Befreiung von __Kira ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Ich wachte erst spät am Abend wieder auf. 'Super, den ganzen Tag verpennt', gähnte ich und machte mich auf den Weg unter die Dusche. Jetzt konnte ich die warmen Wasserstrahlen auf meiner Haut genießen und ließ sie über mein Gesicht laufen, wusch meine Haare und ließ die Haarkur etwas länger einwirken, um meine langen widerspenstigen Wellen wenigstens etwas in den Griff zu bekommen.  Als ich endlich fertig  war, wickelte ich mir ein Handtuch um den Körper und mit einem Kleineren band ich mir einen Turban auf meinen Kopf.   'Nur ein bisschen antrocknen, dann kann ich mir mit meinem neuen  Tangle Teezer die Haare striegeln (Ungelogen: Es fühlte und hörte sich wirklich so an, als würde man einem Pferd das Fell und die Mähne striegeln.)‘ sagte ich laut zu mir selbst, denn wer sonst sollte es in meiner kleinen Wohnung auch hören. Ich ließ mich gerade auf mein Sofa fallen,  als ich auch schon den typischen Sound von Skype hörte, der verriet, dass mich jemand anrief. Ich drückte auf den grünen Hörer und das Gespräch begann wie -ich könnte darauf schwören - jedes Skype-Gespräch.   "Phyllis?" fragte ich meine Freundin und ich hörte auch schon den Satz, der mich zum Lachen brachte.   "Kannst du mich hören?" Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Ab und zu klang sie wie ein erschrecktes Eichhörnchen und das in Kombination mit diesem Satz brachte mich vollends aus dem Konzept. Leider Gottes bekam ich einen Lachkrampf, sodass mich ihre nächsten Worte ungewollt noch mehr zum Lachen brachten, obwohl sie nicht ansatzweise so lustig waren wie die davor.   "Wieso lachst du?" Ich versuchte ihr unter Lachern zu antworten, dass alles in Ordnung sei und konzentrierte mich dann auf meinen Atem.   "Liegst du in den Wehen oder was ist bei dir los?" Meine ganze Atemtechnik war dahin und ich lachte schon wieder, hörte aber in ihrer Stimme, dass sie sich so langsam anstecken ließ.   "Ne, ne, alles gut, ich hab's gleich wieder." Ich atmete noch dreimal mit einem 'Hap Huuu' durch und fragte sie dann, warum sie überhaupt anrief.   "Du weißt, ich hab dich sehr lieb, aber wie kommt's, dass du mich so plötzlich ohne Vorwarnung anrufst? Ich komme gerade aus der Dusche und hab mir noch nicht einmal die Haare ordentlich durchgekämmt. Also schieß los, wie kann ich dir diesmal helfen?" Sie antwortete mir nicht auf meine Frage, sondern rief nur: "Mach die Facecam an! Das will ich sehen!" Ich rollte mit den Augen.  "Das werde ich jetzt ganz sicher nicht tun, also wieso rufst du an, Phylui?", nannte ich sie bei dem Spitznamen, den ich ihr selbst gegeben hatte.   "Warte eben, ich hol eben meine Bürste und dann kannst du mir alles erzählen." Einen kurzen Moment später saß ich wieder auf der Couch und kämmte meine Haare, während ich Phyllis aufgeregten Erzählungen gewissenhaft lauschte.  "Ich komme zu euch! Also, ich meine zu euch in die Klinik, als PJ'lerin, Wahnsinn oder? Dann arbeiten wir zusammen und sehen uns endlich mal wieder öfter. Du Trulla hast ja kaum Zeit."   Ich hielt kurz Inne und ließ das gesagte Revue passieren.   "Auch auf unsere Station?" Sie hatte mittlerweile ihre Facecam angemacht und nickte, auch ich betätigte den Knopf und sagte, bevor sie etwas über meine nassen Haare sagen konnte:   "Du weißt, dass du meine persönliche Sklavin sein wirst?" Sie sah mich erschrocken an.   "Aber, aber, aber..." fing sie an, doch ich unterbrach sie.   "Das war ein Witz, du wirst mir sowieso  freiwillig helfen." Ich  warf ihr einen Kuss durch die Kamera zu, den sie spielerisch auffing und sich an ihr Herz drückte.   "Da hast du wohl recht.", lachte sie. Wir quatschten noch ein wenig weiter und unterhielten uns über ihr Medizinstudium, ihre Trennung von diesem Penner, den sie mal ihren Freund nannte und kaum, dass wir es bemerkten, waren auch schon zwei Stunden vergangen.   "Ach Phyllis, ich hab ganz vergessen zu fragen, ab wann du bei uns bist." Sie lachte seltsam.   "Naja, also eigentlich schon seit heute. Nur wurde uns erst alles gezeigt und erklärt und naja, als ich bei dir auf Station kam, wurde mir gesagt, dass du gerade mit den Schülern beschäftigt bist. Da wollte ich nicht weiter stören." Es entstand eine Pause.  "...Was?! Das ist jetzt nicht dein Ernst, wieso hast du mir denn nicht schon früher Bescheid gesagt?" Ich hätte sie am liebsten erwürgt.   "Ich..." ,sagte sie vorsichtig. " Ich hatte es vergessen." Eine noch längere Pause entstand, bis sie noch vorsichtiger fragte: "Bist du mir sehr böse?" Ich seufzte.    "Nein, bin ich nicht, nur überrascht und etwas verärgert. Aber ist schon in Ordnung. Ich muss jetzt sowieso mal Schluss machen, ich habe morgen um 10 Uhr einen Tattoo- Termin und den möchte ich ungern verpassen. Und du solltest schlafen, damit du morgen auf Arbeit fit bist.", sagte ich streng.    "Okay, dann viel Spaß und wir sehen uns ja sicher bald. Ich hab dich lieb.", grinste sie.   "Ich dich auch.", antwortete ich wohl eine Stufe zu hart, doch ich hatte schon aufgelegt und das Gespräch beendet. Ich schaltete meinen Laptop aus und legte ihn behutsam zur Seite. Bevor ich wieder zurück ins Bett ging, flocht ich mir zwei Zöpfe, damit meine Haare morgen schöne Wellen hatten.        Die Nacht war viel zu schnell wieder vorbei und ich war schon dabei mich anzuziehen. Ich hatte noch genügend Zeit, bis ich mich mit Valentin traf und mein neues Tattoo bekam. Die Zöpfe hatten ihr Werk getan und ich hatte schöne große Wellen, die ich mir mit etwas Schaumfestiger in die richtige Position frisierte. Eigentlich viel zu aufwendig dafür, dass ich stundenlang auf einer Bank liegen und eine Maschine hundert Nadeln auf einmal in mich hineinrammen würde.   Mein Frühstück bestand aus einem Apfel und einer Banane, die ich klein schnitt und in meinen immer vorbereiteten Chiasamen-Joghurt mischte. Dazu eine Tasse meines  leckeren Kaffees und der Tag konnte losgehen. Irgendetwas fehlte noch in meinem Frühstück, aber ich konnte  nicht genau sagen, was es war, also suchte ich meine Küche nach dem richtigen Gewürz ab und entschied mich letztendlich für etwas Zimt. Was natürlich dafür sorgte, das es Weihnachtlich schmeckte, was etwas verwirrend zu dieser Jahreszeit war.  Aber es schmeckte, und das war die Hauptsache. Mein Handywecker, den ich mir extra gestellt hatte, klingelte, damit ich die Bahn diesmal nicht (fast) verpasste. Ich schlang mir meine kleine Tasche über die Schulter und machte mich auf den Weg. Lange musste ich nicht auf die Bahn warten und ab der Haltestelle Rudolfplatz entschied ich mich zu laufen, denn weit war es nicht mehr. Der Tattooladen Inkfinity lag genau zwischen den Haltestellen Zülpicher Platz und Barbarossaplatz und war gleichzeitig der Treffpunkt für Valentin und mich. Ich sah ihn schon neben Raphael stehen, meinem Tätowierer, der genüsslich an seiner Zigarette zog und mir dann zuwinkte. Bei den Beiden angekommen nahmen sie mich kurz in die Arme und wir warteten zusammen auf den -diesmal- blauhaarigen Raphael, der seine Haarfarbe alle paar Monate wechselte. Dann  gingen wir gemeinsam in sein Studio. Wie immer saßen ein paar Kunden da und sahen sich die verschiedenen Ordner seiner Werke an, nur um sich dann ein Ohrloch stechen zu lassen. Wahrscheinlich waren sie nicht einmal 18 Jahre alt und Raphael würde sie direkt wieder nach Hause schicken, da war er konsequent.  Keine Tattoos oder Piercings unter 18 Jahren und selbst mit elterlicher Begleitung auch erst ab 16 Jahren, lautete seine Devise. Er wies mich an, doch schon einmal nach hinten zu gehen und es mir auf der Liege bequem zu machen. Ich hatte extra einen älteren BH angezogen, der ruhig etwas schmutzig werden konnte, legte mein weites T-Shirt auf einen Stuhl und platzierte mich halbwegs bequem auf der harten Pritsche. Valentin setzte sich auf einen der Stühle und wartete erst einmal bei mir, bis seine Tätowiererin kam, um ihm sein Tattoo zu verpassen.   "Na, bereit, meine Beste?" fragte mich Raphael während er mit einer Hand die Häkchen meines BHs aufspringen ließ und holte einen Stift aus seiner Tasche, mit dem er erst einmal grob die Linien der Schnörkel auf meinen Rücken zeichnete. Auch die Farbsprenkel und Blumen zeichnete er grob auf. Im Moment sah mein Tattoo eher aus wie von einem 6 –jährigen, der mit einem Filzstift auf meine Haut gekritzelt hatte, aber ich vertraute Raphael voll und ganz und wusste, dass er es perfekt hinbekommen würde. Ich hatte ihm meine Vorstellung geschildert und jetzt lag es an ihm, sie umzusetzen. Die groben Linien gefielen mir, sie verliefen flüssig und harmonisch über meinen Rücken, auch die Blumen waren nicht zu eng beieinander, sodass es nicht gequetscht aussah.  Noch waren es allerdings zu Wenige dass es leer und unfertig wirken könnte.   "Ich sehe es schon vor mir, es wird fantastisch!" Ich beobachtete mich ein letztes Mal im Spiegel und legte mich dann geschickt wieder zurück auf die Bare. Ich hörte nur noch das vertraute Surren der Tätoowiermaschine, die er langsam und sanft in die schwarze Farbe tunkte, um die ersten Outlines zu tätowieren.   "So, ich fange jetzt an. Du weißt ja, wenn es zu weh tut, sag Bescheid. Dann machen wir eine kurze Pause." ich nickte und spürte Raphaels warme Hände in seinen schwarzen Handschuhen auf meinem Rücken. Direkt bekam ich eine Gänsehaut vor Vorfreude auf mein neues Tattoo. Die Nadel stach in meine Haut und nach der ersten Schrecksekunde war es schon wieder gar nicht so schlimm. Es tut nicht so weh, wie man es sich vorstellt, klar ist es unangenehm, aber es ist nicht schmerzvoll oder unerträglich. Außerdem macht man es  ja freiwillig und das Endergebnis ist es nun wirklich Wert, zumal  man es nach einer Zeit fast gar nicht mehr spürt. Kaum hatte ich den Gedanken in meinem Kopf ausgesprochen, stach Raphael an einer Stelle zu, die direkt an meiner Wirbelsäule lag. Ich musste an mich halten, nicht laut aufzuschreien, doch das brauchte ich auch nicht, er stoppte und sah mich an.   "Du hast es gleich geschafft an dieser Stelle ist nicht mehr viel. Ich habe extra versucht dort etwas außenherum zu tätowieren, halt durch, mein starkes Mädchen." ich nickte und drückte Valentins Hand, die er mir entgegengestreckt hatte. Nach gefühlten Stunden, die wahrscheinlich nur 5 Minuten waren, hörte der Schmerz auf und der bekannte Druck regelte sich wieder ein. Raphael machte etwas Musik an und ich schloss die Augen, entspannte völlig und lauschte der ruhigen angenehmen Rockmusik. Und wieder einmal schweiften meine Gedanken um  Jahre zurück.   Niemals hätte ich vor vier Jahren gedacht, dass ich einmal so glücklich sein würde. Frisch nach der Trennung von meinem damaligen Freund und kurz vor dem Umzug in eine neue Stadt, die ich vorher noch nie gesehen hatte, fühlte ich mich, als würde ich den Boden unter den Füßen verlieren. Und trotzdem hatte irgendetwas in mir gesagt: Tu es! Zieh nach Köln! Da gehörst du hin!' Diese Stimme hatte Recht behalten. Auch wenn der Abschied meiner Freunde tränenreich und sehr schmerzhaft war, war es doch das einzig Richtige, das ich tun konnte. Ich fühlte mich Zuhause wie eine Wildkatze, eingesperrt in einem viel zu kleinem Käfig und alles schien mich zu erdrücken, all die Erinnerungen - selbst die Schönsten -wurden schmerzhaft durch die Erfahrung, dass es nie wieder so sein würde, selbst wenn ich zu Hause bleiben würde. Wir alle -meine Freunde und auch ich - wurden erwachsen, jeder hatte andere Prioritäten. Wir waren keine 16 mehr, eine Zeit, in der die größte Sorge darin lag, von wem ich meine Hausaufgaben abschreiben könnte. Also bewarb ich mich in Köln und wurde direkt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, bei dem ich auch Haylee kennenlernte. An diesem Tag setzte ich  das erste Mal einen Fuß auf Kölschen Boden... Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie sehr mein Herz flatterte, als der Dom sich vor uns auftat und ich das erste Mal durch die Straßen lief, die so voller Leben steckten. Das Leuchten und Staunen war aus meinem Augen nicht mehr wegzudecken. Auch heute habe ich es, sobald ich den Dom ansehe, wie er nachts von den Lichtern um ihn herum angestrahlt wird und so pompös und mächtig da steht, dass er einem fast Angst machen könnte. Meine Liebe zu dieser Stadt wurde von Tag zu Tag größer und mit jedem Tag, den ich hier verbrachte, lernte ich Neues kennen. Die Menschen, die ich in dieser Zeit kennenlernen durfte, sind aber das wohl größte Geschenk, das man mir überhaupt hätte machen können. Von der ersten Minute an fühlte es sich auf meiner Station an, als wäre ich Zuhause angekommen, als wäre das der Ort, der für mich geplant war. Ich hörte immer wieder,  dass es Ärger und Zickereien auf anderen Stationen gab, aber das könnte man sich bei uns niemals vorstellen. Keiner würde dem Anderen jemals vorschreiben, wie er zu arbeiten hatte und niemand würde sich jemals fälschlicherweise krankmelden. Da es selbst an stressigen Tagen bei uns so humorvoll und entspannend von statten ging, dass man von dem Stress nie etwas mitbekam - könnte man denken, dass bei uns niemals etwas zu tun wäre. Doch das ist falsch. Es kommt nicht darauf an, wieviel Arbeit du hast, sondern wie du damit umgehst. Wir gingen nun mal anders an die Sache heran als andere. Wir waren das, was man ein Team nennen konnte, wenn nicht sogar eine Familie. Ich lächelte Valentin an, der es ohne nachzudenken erwiderte und meine Hand drückte, was mich in meinen Gedanken nur bestätigte.   "Wie lang möchtest du deine Haare denn noch wachsen lassen?" fragte ich um ein Gespräch zu beginnen. Valentin war ungefähr so groß wie Liam und David, also so um die 1,85 - 1,90m groß und seine langen Haare trug er heute offen, sodass sie ihm knapp an die Schulter reichten. Sie hingen ihm glatt und völlig formlos - wie Haylee immer schimpfte - an seinem Gesicht herunter. Mit seiner anderen Hand fuhr er durch sie hindurch und errötete leicht.   "Ach ich weiß nicht, ich habe ja nicht mal einen besonderen Grund sie wachsen zu lassen. Ich wollte einfach mal etwas Neues machen." Er grinste verlegen.   "Es ist noch sehr ungewohnt...", gab ich ehrlich zu.“...aber schlecht sieht es nicht aus."    "Danke. Mal schauen, wie lange ich sie noch so habe, bis sie mir zu viel werden.", sagte er lachend. Ich musste mitlachen und Raphael gab mir einen Klaps auf den Po, damit ich still hielt.    Drei Stunden waren nun schon vergangen und Valentin war nun auch dabei, sich sein Tattoo stechen zu lassen. Ich hielt es vor Neugier schon kaum mehr aus und wollte es unbedingt sehen. Noch immer surrte die Maschine in vollem Gange und es schien fast kein Ende mehr zu nehmen. Dass Raphael keinen Krampf bekam, wunderte mich ja am meisten. Ich hätte für solch eine Arbeit keine Geduld und bin auch viel zu unkreativ dafür. Wieder kuschelte ich mich auf meine Arme und legte den Kopf zur Seite, um mir seine besten Werke anzusehen, die er an die Wand seines kleinen Tätoowierzimmers gehängt hatte. Darunter war auch mein „Harry-Potter-Boobie-Tattoo“, wie Benji es schimpfte. Dots to Lines und Watercolour waren seine Spezialgebiete - in denen machte ihm niemand so schnell Konkurrenz und dafür war er auch in ganz Deutschland bekannt. Ich drehte mich vorsichtig mit meinem Kopf auf die andere Seite und versuchte einen Blick auf Raphael zu erhaschen.   "Und? Wie weit bist du?“, fragte ich etwas ungeduldig.   "Wieso? Kannst du nicht mehr? Sollen wir eine Pause machen?" Ich schüttelte schnell den Kopf.   "Nein, ich will es nur endlich sehen." Er lachte und schaute nachdenklich meinen Rücken an.   "Hm, also in Prozent gerechnet sind wir ungefähr bei 80." Ich fragte schnell hinterher:   "Die noch Verbliebenen  oder die schon Gemachten?"   "Es fehlen noch 20%, dann bist du fertig." Er lächelte und machte sich wieder ans Werk.   So langsam tat mir mein Rücken echt weh, das viele Liegen, ohne sich groß bewegen zu können, strengte an. Ich hatte das Gefühl, dass ich komplett steif war und hätte mich so gerne einmal der Länge nach gestreckt. Ich wusste einfach nichts mehr mit mir anzufangen. Ich kannte jeden Millimeter in diesem Zimmer und war einfach nur noch kaputt, obwohl ich ja gar nicht diejenige war, die arbeitete. Doch jetzt, nach all den Stunden,  war es nicht mehr das Tätowieren an sich, das weh tat, sondern das Tuch, mit dem er immer wieder über meine wunde Haut rieb, um die überschüssige Farbe und das Blut wegzuwischen. Mit jedem Strich stieg in mir das Bedürfnis, ihm das Tuch aus der Hand zu reißen und sein Gesicht mit einem Schmirgelpapier zu bearbeiten, denn genau so ließ sich das Gefühl auf meinem Rücken beschreiben. Ich atmete tief und versuchte mich zu beruhigen. Es war ja nicht Raphaels Schuld - so war es nun mal. Irgendwann ist die Haut mehr als nur wund, immerhin sind Tattoos nichts als schöne, bunte Wunden, für die man bezahlte. Bei dem Gedanken musste ich grinsen.   Es klopfte und Valentin kam wieder zu uns, er war schon fertig. Es war seine letzte Sitzung für dieses Tattoo und es wurden nur noch ein paar letzte Schatten und Effekte eingearbeitet. Sein Oberarm war in eine spezielle Folie gehüllt, die leicht knisterte als er sich wieder auf seinen alten Stuhl sinken ließ. Mitleidig sah er mich an.   "Wie geht's dir?" bei seinen Worten strich Raphael erneut mit seinem Schmirgelpapier über meine Haut und ich verbarg mein Gesicht in der Barre und schenkte Valentin einen zitternden Daumen nach oben. Er tätschelte mir vorsichtig den Kopf und versuchte mich aufzumuntern.   "Du hast es bald geschafft und es sieht wirklich geil aus! Denk dran du wolltest das alles in einer Sitzung - was ich immer noch nicht verstehen kann." ich zeigte ihm meinen Mittelfinger und er lachte, langsam kam ich wieder zu Atem und mit einem letzten Strich über meine Haut meldete sich nun Raphael zurück.   "So wir sind fertig!" wie aus Protest strich er noch einmal über meinen kompletten Rücken. Ich stieß einen Schrei zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen aus und fauchte ihn an.   "Das hast du doch mit purer Absicht gemacht!!" er lachte und streckte mir seine Zunge entgegen. In meinem Kopf bildeten sich die schönsten Mordgedanken die sein verschwinden wie einen Unfall aussehen ließen, nur wäre ich dann auch meinen Tätowierer los und sich einen neuen zu suchen ist wirklich schwere Arbeit. Ich war schon froh das ich Raphael kennengelernt hatte und das nicht wie man sich vielleicht denken könnte im Internet, auf einer Tattooconvention oder aus einer Werbung, nein ich hatte ihn beim Feiern kennengelernt und das obwohl ich so gut wie nie feiern ging. Er wusch die Überschüssige Farbe mit Vaseline von meinem Rücken und wollte gerade die fast identische Folie von Valentins Arm über meinen Rücken kleben bis ich aufrief.   "Warte!" ich stieg steif und völlig unbeweglich von der Britsche und streckte mich erst einmal ausgiebig was ungefähr so schmerzhaft war wie das Schmirgelpapier gerubbel. Außerdem musste ich mir ja noch mit einer Hand meinen BH festhalten um nicht Oben Ohne dazustehen. Das würde eine tolle Nacht werden. Langsam ging ich vor den Spiegel und mein Herzschlag beschleunigte sich schneller als ein Lamborghini auf der leeren Autobahn.    "Wow..." war das einzig was ich heraus bekam. Es war einfach Wunderschön und passte perfekt zu mir. Der Mond wirkte überhaupt nicht unpassend, da es schien als würde er einen Schein auf das untere Tattoo werfen. Die Blüten waren ohne Outlines in einem weichem blau und hellen lila gestochen und es sah aus als würde etwas von der Farbe leicht aber nicht zu sehr verwischend daran herunter laufen. Verbunden waren sie durch feine Linien die mit Punkten und Mustern wie Mandalas oder Ornamente verziert wurden und selbst die Blätter der Blüten bestanden aus Ornamenten in leichten Grünfarben. Die schwarzen Farbspränckel passten perfekt dazu und selbst dort - wenn man genau hinsah - konnte man erkennen das diese Muster in sich trugen. Von weitem sah es einfach aus als wären sie frisch und feucht und es wären Effekte. Doch bei genauerem Hinsehen konnte man die Spiralen und kleinen weißen Punkte erkennen die sich um die Spirale herum wunden.   Lächelnd drehte ich mich um bis ich meine Flanke sah an der er nicht zu weit hinein tätowiert hatte und an der keine Blüte zu sehen war. Fragend drehte ich mich zu ihm um. Überrascht aber lächelnd sah er mich an und stellte sich neben mich.   "Naja, hast du vergessen dass du mir gesagt hast dass du dort noch einen Wolf Patronus hin haben möchtest? Also habe ich direkt die Farben der Blüten darauf abgestimmt und etwas Platz gelassen um alle deine Tattoos perfekt verbinden zu können." Mir blieb der Mund offen stehen und ich schlang meine Arme um seinen Hals bis ich mich wieder daran erinnerte das mein BH ja die ganze Zeit offen gewesen war und nur durch meine Arme gehalten wurde. Ich lief rot an.   "Du bist der Beste wirklich und so lieb ich dich habe wehe du bewegst dich jetzt." er lachte und ich stimmte verlegen ein. Valentin reichte mir meinen BH und drehte sich um da sagte Raphael.   "Du kannst dich aber schon noch daran erinnern das du vor ungefähr einem halben Jahr oben ohne vor mir lagst? Denn das Tattoo unter deinen Brüsten habe ich gemacht." ich erinnerte mich und brachte nur ein peinlich berührtes "Oh." heraus. Trotzdem drehte sich Raphael um und ich zog mir meinen BH vorsichtig über die Schultern immer noch so dass dort die Folie befestigt werden konnte, die er direkt ausrollte und an meinem Rücken anpasste.    "Ich muss dir ja nicht mehr erklären wie du damit umzugehen hast oder?" ich schüttelte lächelnd den Kopf und zog mir mein T-Shirt über den Kopf als ich ihm erklärte:   "24 Stunden belassen dann Folie entfernen und mit klarem Wasser oder pH-Neutraler Seife abwaschen, 1 -2 Mal täglich eincremen und ansonsten in Ruhe lassen." er nahm mich nochmal in den Arm und wir gingen gemeinsam nach vorne an die Kasse. Ich sah Valentin an.   "Ich habe schon bezahlt, warte nur noch auf dich." er lächelte beschwichtigend. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Geldbeutel und sah dann hoch zu Raphael.   "Wie viel bekommst du von mir mein Süßer?" mit dem was ich jetzt hörte hätte ich ganz sicher nicht gerechnet,   "300€." sagte er trocken. Ich konnte meinen Ohren nicht trauen.   "Das ist nicht dein ernst." mir sank die Farbe aus dem Gesicht, machte er Witze? Ich sah in meinen Geldbeutel und dann wieder ihn an.   "Das kannst du doch nicht wirklich ernst meinen." er lächelte und sagte genauso trocken wie zuvor auch schon.   "Doch ist es und jetzt diskutiere nicht mit mir das ist ein Freundschaftspreis." er streckte die Hand nach meinem Geldbeutel aus doch ich zog zurück.   "Freundschaftspreis?!" sagte ich schon fast auf 180 "Dieses Tattoo ist nicht 300€ Wert."   Ich glaubte immer noch dass es ein Spaß war, ich meine das Tattoo ging über meinen kompletten Rücken und es dauerte Stundenlang, er hatte heute nur mich als Kundin gehabt.   "Raphael, dieses Tattoo ist mindestens das 3fache davon Wert! 300€?! Ich fühl mich von dir verarscht." er seufzte und sah mich etwas traurig an.   "Wieso kannst du es nicht einfach annehmen? Immerhin habe ich dich auch gequält und ich weiß doch, dass du wieder zu mir zurückkommst. Außerdem will ich das sobald dieses Tattoo verheilt ist du zu mir kommst und wir ein Fotoshooting machen. Ich will ein hochwertiges Foto dieses Tattoos in Großaufnahme in meiner Folterkammer." er lächelte nun endlich wieder und nun war ich es die seufzte und sagte.   "Na gut, aber ich fühl mich echt nicht gut dabei." er nahm das Geld und schloss die Kasse schnell wieder. Wir verabschiedeten uns und Valentin und ich gingen noch ein Stück zusammen die Straße entlang. Es war jetzt ungefähr  Vier Uhr Nachmittags und sein Magen grummelte, er sah mich an mit einem Gesicht das so viel sagte wie 'Bitte Bitte lass uns irgendwo noch etwas zu essen suchen gehen'        Wir entschieden uns für ein Restaurant in dem man super lecker Burger essen konnte, was übrigens kein Gericht ist das man bei einem Date essen sollte. Zumindest habe ich noch nie jemanden gesehen der es geschafft hatte einen Burger elegant zu essen.   Ein Tisch am offenem Fenster war noch frei und dort ließen wir uns auch nieder, vorsichtig setzte ich mich hin. Es spannte überall an meinem Rücken doch war es mir egal. Ich war überglücklich mit meinem neuem Schmuckstück und so spürte ich wenigstens dass es kein Traum gewesen war. Erst da bemerkte ich den traurigen und in Gedankenversunkenen Blick von Valentin.   "Alles in Ordnung Valentin?" fragte ich vorsichtig und reichte ihm eine Karte.   "Ja, eigentlich schon ich denke in letzter Zeit nur zu viel nach und fühl mich dadurch immer einsamer, obwohl ich weiß das ich es nicht bin, werde ich dieses Gefühl in mir nicht los." er lächelte mich kläglich an.   "Das klingt ziemlich doof oder?" ich schüttelte den Kopf.   "Nein das tut es ganz und gar nicht, aber was sind es denn für  Gedanken die dich so einsam fühlen lassen? Du weißt ja das wir alle für dich da sind." Und das stimmte, jeder konnte mit egal welchem Problem zu egal welcher Person gehen und wusste das er dort ein offenes Ohr und eine Schulter zum Anlehnen hatte, genauso gut wusste man aber auch das dort eine Person wartete die einen zurück in die Realität holte auch wenn die Wahrheit manchmal weh tat.   Er sah mich nicht an sondern auf die Speisekarte und tat so als würde er sie ganz genau lesen, doch es war unübersehbar wie schwer es ihm viel darüber zu reden und er sich selbst für diese Gedanken verabscheute. Er ließ seine Maske etwas fallen und ich nahm seine Hand.   "Erzähl es mir, ich werde es für mich behalten." er lächelte und wollte gerade anfangen zu erzählen als die Kellnerin kam um unsere Bestellung aufzunehmen. Zum Glück erst einmal nur die Getränke, denn ich hatte noch keinen Blick in die Karte geworfen, obwohl ich mir sicher war, das ich am Ende wohl wieder dasselbe wie immer nehmen würde, trotzdem versuchte ich mich nach meiner bestellten Cola wieder auf ihn zu konzentrieren.   "Naja, eigentlich ist es wirklich dumm und total bescheuert..." er machte eine kurze Pause und starrte auf seine Finger mit denen er sich an seiner Nagelhaut herum knubbelte.   "Ich weiß auch nicht wieso ich plötzlich darauf komme, denn ich hab euch und bin wirklich glücklich bei euch auf Arbeit..." wieder machte er eine Pause und ich hatte schon angst das er gleich sagen könnte das er uns trotzdem verlässt und irgendwo anders arbeiten möchte. Ich biss mir auf die Lippe um nicht zu schnell etwas zu sagen und um ihm erst einmal Zeit zu geben zu Ende zu reden.  "..aber" fuhr er fort und meine angst stieg erneut hoch. "..ach weißt du ich bin jetzt schon so lange Single und würde einfach endlich gerne mal wieder ein Mädchen kennenlernen bei dem es funkt und mit dem ich mir sogar vorstellen könnte mein Leben zu verbringen." er seufzte und griff sich in seine langen Haare die ihm während er redete schwer ins Gesicht fielen.   "Valentin…" fing ich vorsichtig an. „Du bist genau wie ich erst 22 Jahre alt. Wir haben unser Leben noch vor uns und werden den oder die Richtige schon noch finden, meine Mutter sagt immer 'Es passiert dann wenn man es am wenigsten erwartet.' also Genieß dein Leben..." ich nahm seine Hand, sah ihm fest in seine traurigen Augen und fügte hinzu "...mit uns." Er lächelte leicht und drückte meine Hand. Da kam auch schon wieder die nette  Kellnerin mit unseren Getränken und nahm die Bestellung für das Essen entgegen. Ich bestellte einen Cheeseburger mit extra Guacamole und Valentin einen Double Bacon Burger beide mit Curly Fries. Er sah mich wieder an und fügte wieder einmal mit einem seufzten hinzu.   "Du hast wahrscheinlich recht, vielleicht brauch ich einfach mal etwas Ablenkung und kauf mir morgen ein neues Spiel für meine Play Station 4. David, Benji und ich wollten morgen eh mal nach der Arbeit in die Stadt, du hast Spätdienst oder?" ich nickte und trank einen großen Schluck aus meiner Cola - man hatte ich einen Brand das hatte ich vorher gar nicht bemerkt.   "Ich glaube ich habe mit Lara Dienst und bin für die Internisten zuständig. Hast du etwas herausbekommen wer momentan für uns zuständig ist?" er nickte und lachte.   "Wir haben Glück, es ist Yun. Er kam gestern schon freudestrahlend an und erklärte fast feierlich dass er diese Woche komplett nur für uns da war." Das wage ich mal zu bezweifeln, ein Internist ist nie nur für uns zuständig dafür sind es zu wenig Patienten bei uns auf Station.   "Du meinst Dr. viel zu jung für sein alter Lee?" er lachte und verschluckte sich fast an seiner eigenen Cola, hustete und nickte eifrig, nach ein paar weiteren Hustern hatte er sich wieder gefangen.   "Da bin ich ja mal gespannt." sagte ich betont sarkastisch. Er stupste mich leicht mit seinem Fuß unter dem Tisch und ich funkelte ihn gespielt Böse an.   "Willst du etwa Krieg?" fragte ich und hielt die Gabel nach oben, er parierte mit seinem Messer.   Wir kicherten und bemerkten gar nicht dass unser Essen auf dem Weg zu uns war bis es vor uns stand und mir das Wasser im Mund zusammen lief.    Der Burger schmeckte einfach Himmlisch! Die beiden Teller waren schneller leer als das jemand Endoplasmatisches Retikulum aussprechen konnte, na gut dies fiel wahrscheinlich vielen nicht Biologie Kennern schwer.    "Oh schon so spät!" rief Valentin als ich gerade den letzten Rest Cola austrank. Ein Blick auf meine eigene Uhr zeigte mir das wir schon 19 Uhr abends hatten und der Tag wirklich schnell vorbei ging - abgesehen von den letztens Stunden des Tätowierens. Bei dem Gedanken spannte es wieder und ich freute mich auf mein bequemes weiches Bett.    "Musst du noch wohin?" fragte ich Valentin.   "Ja, Nein also ich muss um 20Uhr bei meinen Eltern sein. Sie verreisen und ich soll sie zum Flughafen fahren." ich schaute erneut auf die Uhr.   "Und wie lange brauchst du zu ihnen?" Unschuldig piekte er auf dem leeren Teller herum und nuschelte mehr als das er sprach.  "Eine dreiviertel Stunde ungefähr." ich sah ihn mit offenen Augen an.   "Was machst du dann noch hier?"    "Ich..ehm..muss doch noch bezahlen." und nach diesen Worten als hätte unsere Kellnerin es gehört stand sie da, bereit uns abzukassieren. Valentin sprang auf, Umarmte mich schnell und warf mir beim rennen mit einem Blick zurück, so dass ich echt Panik hatte er könnte hinfliegen, ein 'Danke für den Tag und das andere' zu. Ich lächelte und winkte ihm nach bis ich mich selbst auf den Weg zu meiner Haltestelle machte. Wieder einmal hatte ich Glück und musste nicht lange warten bis der nächste Bus kam und hörte auf dem Heimweg noch etwas Musik, bis ich fast meine Ausstiegsstation verpasst hätte. Ich dankte dem Busfahrer, dass er die Türen für mich noch einmal geöffnet hatte, und sprang schnell über die Straße da gerade kein Auto in Sicht war. An meiner Tür öffnete ich nach Millionen von Jahren mal wieder mein Postfach und holte die ganze Werbung heraus sortierte die Rechnungsbestätigungen heraus und warf den Rest direkt wieder in den Müll. Ich brauchte unbedingt so einen 'Bitte keine Werbung'-Aufkleber.   Endlich in meiner Wohnung angekommen schleppte ich meinen Laptop mit in mein Schlafzimmer und legte ihn auf mein Bett. Während er hochfuhr zog ich mich um und betrachtete noch einmal mein wunderschönes Tattoo unter der Folie im Spiegel, es war noch etwas Surreal das es nun auf meiner Haut war und nicht mehr nur in meinem Kopf - wobei ich es mir nie so schön hätte vorstellen können. Es passte sich meinen Bewegungen an und es schien als würden sich die Blumen in meiner Bewegung mitwiegen und ein eigen Leben haben. Ich lächelte und zog ein weites Satintshirt über, putzte meine Zähne und holte noch eine Flasche Wasser da ich heute wirklich wenig getrunken hatte. Bequem im Bett liegend schaltete ich Netflix ein und schaute mir noch eine Folge Penny Dreadful an - ich war ein totaler Fan dieser Serie, allgemein von allen Serien und Filmen die im alten England spielten und wenn sie sich dann noch mit einem Horrortouch an all den 'bösen'  Fabelwesen orientierte war das Gesamtpaket einfach nur wie gemacht für mich. Ich kann nicht mehr sagen wie viel ich von der Folge mitbekam bis ich eingeschlafen war und von meinem Tattoo träumte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)