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Annin

Die Wächterin des magischen Ofens
von

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Amtsantritt

Zu einem unbekannten, sehr frühen Zeitpunkt in der Geschichte begann der Herr der Unterwelt damit die Seelen von Verstorbenen auszusortieren. Entweder kam man durch seine Hand in den Himmel oder wurde in die Hölle befördert. Enma Daio hatte kein Problem damit die Ewigkeit hinter seinem großen Schreibtisch zu verbringen, auch wenn er es ab und an nicht lassen konnte sich zu beschweren. Allgemein machte der große Oger, mit der pinken Hautfarbe, dem schwarzen Bart und dem gehörnten Helm, einen sehr strengen Eindruck. Trotzdem hörte er Problemen Anderer immer aufmerksam zu.
 

Mehrere Jahre, vielleicht auch Jahrhunderte vergingen.

An irgendeinem Tag war Enma Daio, der alle anderen Seinesgleichen in Größe und Fülle überragte, ganz besonders mürrisch. Die Seelen der Verstorbenen fanden immer schlechter ins Jenseits. Für die faulen Leute war dies natürlich schön und ein wenig Entspannung tat Enma Daio auch mal gut. Jedoch erreichte ihn die besorgniserregende Nachricht, das jene Seelen, die zu lange umher irrten, sich in dämonische Kreaturen verwandelten. Mit anderen Worten: Es musste etwas unternommen werden. Aber er selbst konnte seinen Platz nicht verlassen, also ließ er jemanden kommen, der an seiner Stelle diese schwierige Aufgabe lösen sollte.
 

Es dauerte eine Weile, aber schließlich kam eine junge Frau in das Büro des Richters. Sie hatte lange schwarze Haare, darüber war ein weißen Stirnband gebunden, an welchem rote und orangefarbene Puschel befestigt waren. Nach oben hin standen zwei ebenfalls orangefarbene Federn ab, welche den Eindruck vermittelten, als seien es Fühler. Ihre Kleidung erinnerte an eine Mischung aus Robe und Rüstung mit den gleichen Farben wie das Stirnband und die Stiefel. Ihr hübsches Gesicht machte einen kämpferischen Eindruck, der von der Schwertlanze in ihrer Hand unterstrichen wurde.

„Ihr habt nach mir rufen lassen, Enma Daio-sama?“, trotz des amazonengleichen Auftrittes erklang ihre Stimme respektvoll.

„Das ist richtig, Annin.“, das stimmte nur zur Hälfte, denn der Herr der Unterwelt hatte nach irgendjemandem gerufen und nicht direkt nach dieser Frau, aber das war jetzt vollkommen egal. „Es gibt ein Problem mit den Seelen, welche zu lange im Diesseits herumlungern. Ihre negativen Gefühle verdichten sich und schließlich werden sie zu grauenhaften Geschöpfen, die nun ein heilloses Chaos veranstalten! Sie halten andere Seelen davon ab den Weg hier her zu finden! Das stört den ganzen Betrieb!“, je länger die Erklärung dauerte um so wütender wurde er. Schließlich knallte Enma Daio sogar seine Faust auf den Tisch, was zur Folge hatte, das ein großer Stapel an Blättern durch den ganzen Raum geweht wurde. Aufgeregt wirbelten einige andere Oger umher um alles wieder einzusammeln.

„Ich verstehe, aber was soll meine Aufgabe konkret sein?“, fragte Annin, welche sich von dem hastigen Treiben nicht ablenken ließ.

„Denk Dir etwas aus, wie die Seelen besser ins Jenseits finden!“, erläuterte der bärtige Richter.

„Wahrscheinlich werde ich Hilfe dabei benötigen.“, denn auf Anhieb wusste Annin nicht, was sie unternehmen sollte.

„Nimm Dir was Du brauchst. Solange es nicht den Betrieb stört!“, meinte Enma Daio fast schon gedankenverloren, da er gerade die eingesammelten Blätter von seinen Helfern entgegen nahm.

„Habt Dank. Ich werde Euch nicht enttäuschen.“, somit verbeugte sich die Amazone und verließ das Büro, um sich ihrer neuen Aufgabe zu stellen.
 

Es hörte sich nach einem einfachen Auftrag an, aber die Schwarzhaarige wusste genau, das eine Umsetzung kompliziert werden könnte. Das was Annin brauchte war ein Ratschlag und um den zu erhalten wanderte sie tief in die Hölle hinein, zu einer Dame, welche um einiges Älter war als sie selbst.

„Roba-sama? Ich muss Dich sprechen, es geht um eine ernste Angelegenheit.“, rief die Amazone in die Dunkelheit hinein und bekam als Antwort nur ein Kichern. „Lass' es sein. Mir machst Du keine Angst. Ich bin hier wegen einem Auftrag, den ich von Enma Daio erhalten habe.“

„Warum sagst Du das nicht gleich, mein Kind?“, aus der Dunkelheit trat eine kleine Person mit schwarzen Haaren und einer ähnlichen Kleidung wie Annin, doch überwog die Farbe Rosa. Würde man nicht in das Gesicht einer alten Frau schauen, so könnte man Roba für ein Kind halten, denn sie ging Annin nicht mal bis zur Hüfte.

Roba schaute grinsend hinauf zu der Jüngeren. „Es geht um die Seelen die im Diesseits festhängen nicht wahr?“

Erstaunt weiteten sich Annins Augen und sie schaute irritiert auf die alte Dame hinunter. „Woher weißt Du das?“

„Was meinst Du wer sich bei dem da oben beschwert hat? Wenn ich hier unten schon Leben muss, dann will ich gefälligst auch durchgängig meinen Spaß haben, aber wenn keiner da drüben ins Jenseits kommt, gibt es auch niemanden der in die Hölle fahren kann.“, erläuterte Roba nicht mehr ganz so gut gelaunt. „Und? Was führt Dich dann ausgerechnet zu mir? Mh?“

„Mir wurde aufgetragen mich um dieses Problem zu kümmern und hatte gedacht das Du, als meine ehemalige Meisterin, vielleicht eine Idee hast.“, erklärte Annin der rustikalen alten Dame.

„Wie bitte?“, Roba schien überrascht und rollte mit den Augen. „Dabei habe ich doch extra einen Vorschlag mit beigelegt. Ist ja mal wieder typisch! Diese Bürokraten! Bei denen geht aber auch dauernd irgendwas verloren!“

Annin versuchte Roba mit Worten zu beschwichtigen. „Bitte beruhige Dich Roba-sama, ich höre mir gerne an, was Du zu sagen hast.“

Es schien zu helfen, denn die Alte schnalzte mit der Zunge und begann ihre Idee zu erläutern. „Die Lösung heißt Feuer.“

„Feuer?“, fragte Annin überrascht nach.

„Naja, um genau zu sein Rauch.“, erklärte Roba, doch Annin verstand immer noch nicht so ganz worauf ihre einstige Meisterin hinaus wollte, also fuhr die Alte mit einem breiten Grinsen fort: „Mit einem kräftigen Feuer kann man viel Rauch erzeugen, der dann wie eine Brücke wirkt zwischen den Wolken des Diesseits und den Wolken des Jenseits.“

Auf einmal erklang alles ganz einfach. Aber Annin hatte trotzdem einige Problem mit diesem Vorschlag: „Woher soll ich ein Feuer nehmen, das stark und lang genug brennt und wo soll ich es platzieren?“

„Dummes Kind!“, betitelte Roba ihre einstige Schülerin. „Ich meine natürlich magisches Feuer! Und bevor Du fragst woher Du das nun wieder bekommst: Unter meinem Suppenkessel brennt eines und um Deine letzte Frage zu beantworten: Der beste Ort um den Rauch zu verteilen ist der Berg der fünf Elemente. Wie Du dahin kommst müsstest Du eigentlich wissen! Achja... könntest Du eventuell kurz etwas wachsen und meine Suppe umrühren?“, fragte Roba nach ihren ganzen Erklärungen, denn Annin hatte die Fähigkeit erlangt sich nach Belieben zu vergrößern oder zu verkleinern. Da sollte es nicht schwer sein, den monströsen Topf, den ihre Meisterin gerne als 'Suppenbad der Hölle' bezeichnete, umzurühren, auch wenn es kein schöner Anblick war, wenn böse Seelen darin gekocht wurden.
 

Roba hatte ihre ehemalige Schülerin gefragt ob diese zum Essen bleiben wollte. Annin lehnte es jedoch ab, da es keine Nudeln gab und ein Eintopf in dem vorher Seelen gebadet hatten, gehörte nicht zu ihren Leibspeisen. Sie machte sich schließlich mit einer kleinen Flamme in einem speziellen Gefäß, das aussah wie eine Glaskugel, auf den Weg zum Berg der fünf Elemente. Der Weg dorthin war für sie ein leichtes. Doch dort angekommen musste sich die Amazone erst einmal den Berggeistern stellen. Diese waren wahre Meister der Illusion, doch Annin bestand diese Prüfung ohne große Zeitverschwendung und schaffte es ihr Anliegen verständlich darzulegen.

Die Wächter halfen schließlich dabei einen großen Steinkreis am Fuße des Berges zu bauen und Holz, der umliegenden, sogenannten ewigen oder auch tausendjährigen Bäume, hinein zu legen. So einfach wie es sich anhörte, war es jedoch nicht. Dieses Unterfangen dauerte mehrere Jahrzehnte.

Bevor Annin allerdings das Feuer hineinlegen und brennen lassen konnte, musste sie sich dem wahren Grauen erst noch stellen: Der Bürokratie des Jenseits. Die Junggebliebene landete also wieder im Büro von Enma Daio, welcher hocherfreut war, das es wohl eine Lösung gab.

„Wurde aber auch Zeit!“, kommentierte der Herr der Unterwelt, bevor er einen seiner Helfer losschickte um alle notwendigen Unterlagen zu holen. Gefühlte Jahrhunderte dauerte es bis alle Dokumente abgearbeitete waren, aber schließlich erhielt Annin die Erlaubnis das Feuer zu entzünden und bekam offiziell den Titel: Herrin des magischen Feuers.
 

Es dauerte seine Jahrzehnte bis das Feuer endlich brannte und genügend Qualm entstand, dass eine dicke Schicht schwarzer Rauch über dem Berg der fünf Elemente hing. Das was Roba Annin vorgeschlagen hatte, trat tatsächlich ein. Die Welten von Dies- und Jenseits verbanden sich miteinander. Die Seelen fanden den Weg viel leichter zur Check-In-Station und Enma Daio ging an manchen Tagen fast in einem Haufen an Blättern unter. Jedoch sollte dies nicht Annins Problem sein, denn sie hatte ihre Aufgabe erfüllt. Vorerst...

Die Idee

Das Feuer knisterte, knackste und schlug Funken, doch dann war ein Knall zu hören, welcher nicht von dem Holz kam, sondern von einem der Steine, die die Feuerstelle umrahmten.

„Nicht schon wieder!“, ärgerte sich Annin, als sie um das primitive Gebilde herum ging. „Das ist schon das fünfte Mal in diesem Jahrhundert!“

Es waren bereits zweitausend Jahre vergangen, seit Annin zur Herrin des magischen Feuers ernannt wurde und andauernd zerbrachen die Steine durch die Hitze der Flammen. Es war nicht nur ein Ärgernis, sondern auch mühevolle Arbeit das Gestein jedes Mal auszutauschen. Vor allem, wenn man das Feuer zwischenzeitlich nicht löschen durfte, aber verhindern wollte, das es sich ausbreitete.

Natürlich bekam sie immer wieder Hilfe von den Berggeistern und auch einigen Seelen, die unter ihrer Aufsicht arbeiten wollten. Trotzdem zerrte es an den Nerven aller. Das war aber nichts im Vergleich zu dem Problem, worüber man sich am Anfang keinerlei Gedanken gemacht hat.

Die ewigen Bäume, welche rings um den Berg herum wuchsen waren ideal um das magische Feuer anzufachen und aufrecht zu erhalten. Kein anderes Holz wäre dazu in der Lage gewesen, jedoch verspeisten die Flammen zu viel davon und der Wald wurde zunehmend karger und trostloser.

Annin musste sich etwas einfallen lassen, bevor es womöglich keinerlei Bäume mehr gab, die man abholzen konnte. Wieder einmal kam ihr der Gedanke Roba um Hilfe zu bitten, wollte jedoch das Feuer nicht alleine lassen, also wurde die Alte von der dunkelsten Ecke der Hölle hoch zum Berg der fünf Elemente geordert.

Eine Sache die Roba total missfiel.

„Kind! Ich habe selbst genug zu tun! Was willst Du? Mach es kurz, ja?“, moserte die Greisin herum und ließ Annin allgemein gar nicht erst zu Wort kommen. „Gibt es etwa wieder ein Problem bei dem ich Dir helfen muss? Meine Güte! Und so jemand unselbstständiges ist tatsächlich mit solch einer wichtigen Aufgabe betraut, wie dem Hüten eines heiligen Feuers?“

Die Standpauke war berechtigt, weswegen sich Annins Körperhaltung straffte. Erschien sie wirklich so unfähig? Nein, das wollte die Amazone nicht auf sich sitzen lassen!

„Ich muss ein paar Besorgungen machen, die ich niemandem anderen überlassen kann. Deswegen bist Du hier. Du bist meine Vertretung für die Zeit, die ich nicht anwesend bin!“, sprach Annin in einem befehlshaberischen Tonfall und nichts ließ darauf schließen, das die Ältere einst die Meisterin der Junggebliebenen gewesen war.

„Ach ja? Und was ist mit meiner eigenen Aufgabe?“, fragte Roba skeptisch nach.

„Die bösen Seelen zu bestrafen, welche in der Hölle für Ärger sorgen, können auch die Höllenwächter selbst erledigen.“, erwiderte Annin, die genau wusste, das Roba sich ihre sadistische Aufgabe selbst hatte zugeteilt.

Die jüngere Schwarzhaarige drehte sich einfach auf dem Absatz um und ließ ihre ehemalige Meisterin einfach stehen. Dabei sah sie nicht das stolze Grinsen auf Robas Gesicht, welche auf genau solch eine Reaktion hatte gehofft.

„Na endlich sind wir mal auf Augenhöhe.“, kicherte die Alte als ihre Schülerin außer Hörweite war und drehte sich schließlich zu den paar Geistern und Seelen, welche das Gespräch interessiert verfolgt hatten. „LOS! An die Arbeit! Ich bin nicht so nett wie Annin, also macht Euch darauf gefasst Höllenqualen zu erdulden!“, lachte die Greisin gehässig.
 

Währenddessen machte sich Annin auf den Weg zur Grenze, eine lange, hohe, gewaltige Mauer, welche den Berg der fünf Elemente abschottete. Es gab nur ein einziges Tor. Dieses bekam man nur geöffnet, wenn man außergewöhnliche Kräfte besaß, wie die Hüterin des magischen Feuers. Annin wuchs zu einer gigantischen Größe heran und war schließlich halb so groß, wie das Tor selbst. Sie legte eine Hand an jeweils einen der beiden Flügel um mit viel Kraftaufwand das Tor einen kleinen Spalt zu öffnen. Gerade so groß das sie ohne Mühe hindurch passte. Aber sie musste sich beeilen, denn lange könnte die Amazone diesen Kraftakt nicht aushalten. Annin schlüpfte hindurch und das Tor knallte wieder zu, was eine kurzweilige Erschütterung des Bodens auslöste. Sie schrumpfte daraufhin wieder auf die Größe einer normalen Frau.

Nun war sie in der Welt der Sterblichen und erhoffte sich hier eine Lösung für ihr Problem zu finden, also wanderte sie relativ ziellos den Pfad entlang, der vom Berg wegführte.
 

Der Weg führte Annin in den südlichen Teil der Erde. Mehrere Tage vergingen bis sie das Meer erreichte. Der Anblick der blauen Fluten, welche in der Sonne funkelten, war wundervoll. Aber sie hatte leider keine Zeit die Schönheit der Erde zu bewundern. Eher ärgerte sie sich, das sie bei ihrem Problem nicht weiter kam. Entnervt verschränkte sie ihre Arme ineinander und schaute stur gerade aus bis sie aus dem Augenwinkel etwas dunkles am Horizont entdeckte. Annin dachte erst, es seien einfache Gewitterwolken. Jedoch weckten sie Erinnerungen an den dichten Qualm, der vom magischen Feuer empor stieg. Von aufkeimender Neugierde gepackt, entschied die Amazone sich das mal näher anzuschauen und ging einfach weiter. Für ein Wesen, wie sie war es ein leichtes über Wasser zu gehen. Trotzdem musste Annin aufpassen, denn in der Welt der Lebenden war auch sie sterblich. Es wäre sehr peinlich, wenn die Herrin des magischen Feuers mit einem Heiligenschein bei Enma Daio landen würde. Mal ganz abgesehen von dem ganzen Papierkram, das so etwas mit sich brachte.
 

Mitten im Meer betrat Annin plötzlich wieder Sand. Es hatte sich im Laufe der Zeit wohl eine Düne gebildet, welche wie ein Weg wirkte und genau in die Richtung führte, woher die dunklen Wolken kamen. Also ging die Amazone den aufgestapelten Sand entlang, bis sie entdeckte was der Auslöser des, seltsam vertrauten, Gebildes am Horizont war. Ein aktiver Vulkan spukte regelmäßig Ruß in die Atmosphäre. Bei näherer Betrachtung waren es sogar drei Vulkane. Hier entstanden eindeutig ein paar Inseln. Dieses Schauspiel, was mehrere Jahrhunderte in Anspruch nahm, zu beobachten, wäre sicherlich sehr interessant, jedoch müsste Annin ihre Aufgabe als Wächterin kündigen um dem beiwohnen zu können. Ein Gedanke der die Zeitlose wieder zu ihrem Problem zurückkehren ließ.

Plötzlich bemerkte die Amazone, wie ein Schwarm von seltsamen, rundlichen Vögeln mit violettem Gefieder in Richtung der Vulkane sprang. Ein merkwürdiger Anblick, wie sie sich in der Luft fortbewegten, als würden sie auf einem unsichtbaren Weg laufen und dann auch noch einer Gefahr entgegen. Annin wollte wissen, was das zu bedeuten hatte und lief nun schnellen Schrittes auf den, ihr am nächsten liegenden, rauchend Berg zu.

Unerwarteter Weise gab es eine Eruption, bei der Annin beinahe das Gleichgewicht verlor. Der Vulkan spukte nicht nur Ruß, sondern auch heiße Lava aus der Spitze hinaus. Der Schwarm der seltsamer Vögel schien jedoch davon ungerührt, beinahe so, als hätten sie genau darauf gewartet. Annin, welche von dem Treiben so sehr eingenommen wurde, hätte beinahe nicht gemerkt, das sie in der Reichweite des Vulkans stand. In letzter Sekunde bemerkt sie, dass etwas auf sie zuflog und konnte noch knapp ausweichen. Doch das, was sie beinahe getroffen hätte war kein Stück glühendes Gestein.

„Was? Ist das ein... ein Ei?“, tatsächlich sah dieses Ding aus wie ein großes, mit Ruß beklebtes, Ei.

Einer der gefiederten Gesellen kam hinüber gestapft, Annin ignorierend, und pickte auf die Schale ein, sodass sich Risse bildeten und schließlich das Ei geköpft war. Ein kleines nacktes Küken fiepte auf und wurde direkt von dem Älteren Vogel auf dessen Rücken gehoben. Eine rührende Szene aber Annin interessierte sich mehr für die Eierschale, denn alle Splitter davon waren fast ausnahmslos gleich von Größe und Form.

Perfekte Achtecke.
 

Der Lavastrom des Vulkans versiegte, aber einige Vögel waren noch da geblieben um scheinbar genau das abzuwarten. Sie bewegten sich schließlich noch weiter dem rauchenden Berg entgegen und zum Erstaunen Annins auch hinein.

„Was treiben die da?“, fragte sie sich selbst und entschloss sich kurzerhand diesem Phänomen auf den Grund zu gehen.

Somit wagte sie sich an den obersten Rand eines aktiven Vulkans. Es war heiß und stickig, aber für jemanden der seit zweitausend Jahren ein Feuer Tag und Nacht bewachte, war dies nur eine minder schwere Herausforderung. Annin schaute in den Krater hinein und sah, wie die violetten Vögel an den felsigen Vorsätzen ihre Eier ablegten.

„Verstehe. Die Vögel spüren, wenn ein Vulkan ausbricht und richten ihre Fortpflanzung danach.“, wobei Annin sich fragte, was aus dieser Rasse werden würde, sollten die aktiven Vulkane eines Tages versiegen. Doch nicht dieses, sondern ein anderes Problem war ihres.

Wie Annin so in den Vulkan hinein schaute und die Eier sah, welche nicht gekocht, sondern ausgebrütet wurden, erinnerte es sie irgendwie an einen Ofen.

Moment mal...

„Ein Ofen!“, rief sie auf einmal. „Ein Ofen, das ist die Lösung! In einem Ofen bleib die Hitze länger erhalten, man benötigt dadurch weniger Holz und das Feuer brennt stärker und ebenfalls länger!“, außerdem könnte man einen Ofen viel besser unter Kontrolle halten, als das recht offene, immer wieder auseinander fallende, Gebilde, welches sie zur Zeit hatten.

Die nächste Frage die sich dann allerdings stellte war das Material, aus welchem man den Ofen bauen wollte. Doch die Antwort darauf hatte Annin bereits entdeckt. Die Eierschalen dieser Vogelart hielten extreme Hitze aus und waren perfekt als Grundmaterial geeignet.
 

In den darauffolgenden Jahren ging die Wächterin des magischen Feuers immer wieder zu diesen Vulkanen um die Eierschalen der Vögel einzusammeln. Mittlerweile gab es sogar einen Namen für jene Art; Feuerfresser nannte man sie. Auch der Berg, welcher nach und nach diese Insel formte bekam einen, wenn auch seltsamen, Namen. Er wurde Mount Kiwi genannt.
 

Ein großer Stapel dieser achteckigen Kacheln wurde in das innere des Berges der fünf Elemente geschaffen. Annin hatte sich von den Vulkanen inspirieren lassen und fand diesen Ort somit unglaublich passend für einen magischen Ofen, welcher ebenfalls eine achteckige Form erhalten sollte. Jedoch erwies es sich als schwierig ein geeignetes Element zu finden, womit man die Kacheln zusammen halten konnte und so entschied sich Annin abermals die Welt der Sterblichen aufzusuchen.

Der Handel

Kaum hatte Annin das große Tor wieder einmal passiert, wusste sie nicht genau wohin sie gehen sollte. Abermals dem Pfad folgen und nach Süden gehen? Schließlich war sie dort fündig geworden und es sprach nichts dagegen es noch einmal in dieser Richtung zu versuchen. Motiviert ging die Amazone los.
 

Einige Wochen vergingen und Annin hatte immer noch kein Material gefunden, das den extremen Bedingungen standhalten würde. Also entschied sie sich den nördlichen Teil der Erde zu inspizieren. Es wurde immer kälter und Annin fröstelte es nach einiger Zeit. Das war bei ihrer leichten Kleidung und der Tatsache, das sie normalerweise starker Hitze ausgesetzt war, kaum verwunderlich. Fast schon aufgebend entdeckte sie ein wenig Qualm, eine dünne Rauchsäule, welche auf ein Haus hindeutete. Automatisch begab sich die Amazone darauf zu, in der Hoffnung, das es ein Wink des Schicksals war.

Schließlich kam sie an jenem Haus an. Der Großteil davon war in einen riesigen Baumstamm eingearbeitet. Ein kleinerer Teil sah aus, wie eine spärliche Hütte. Plötzlich hörte sie ein Summen in ihrer Nähe. Neugierig inspizierte sie die Gegend und merkte, das dieses Geräusch hinter dem Haus seinen Ursprung hatte. Annin entdeckte dort mehrere Kästen, drum herum schwebten Insekten, Bienen um genau zu sein.

„Bienen bei solch kalten Bedingungen?“, fragte sie sich selbst.

„Weg da!“, kam es plötzlich von hinten und Annin sprang zur Seite. Nun bildeten die Kästen mit den Bienen, die neu aufgetauchte Person und sie selbst quasi ein Dreieck zu einander. Die Wächterin sah einen eingeschüchterten, recht jungen Mann, der sie mit einem kleinen Messer bedrohte. Also nichts wovor man als erfahrener Kämpfer Angst haben musste.

„Eine sehr reizende Begrüßung.“, mäkelte die Schwarzhaarige.

„Müssen Sie gerade sagen! Was wollen Sie? Verschwinden Sie gefälligst.“, kam es ebenfalls unhöflich von dem jungen Kerl.

„Happo! So begrüßt man niemanden!“, erklang nun eine weitere Stimme und kurz darauf sah man ein junges Mädchen um die Ecke treten.

„Aber die da will unseren Honig stehlen!“

„Woher willst Du das wissen? Hat sie das etwa behauptet?“

„Nein, natürlich nicht. Aber -“

„Siehst Du! Also sei still!“
 

Annin kam sich gerade etwas überflüssig vor und wollte schon gehen, da wurde sie von der jungen Frau angesprochen.

„Entschuldigen Sie bitte. Aber mein Bruder wird recht schnell aufbrausend.“, sprach das Mädchen und der Junge, welcher wohl Happo hieß stieß ein 'He' aus, was aber allgemein ignoriert wurde. „Ich würde Sie gerne als Entschädigung in unser Haus und auf eine Tasse Tee einladen.“

„Sag mal hast Du sie noch alle beisammen, Yatsu?“, rief Happo sauer, was allerdings niemanden interessierte. Er wurde einfach weiterhin wie Luft behandelt.

Annin wusste erst nicht so recht was sie davon halten sollte, entschied dann allerdings, das ein heißes Getränk jetzt genau richtig wäre und folgte der Einladung von Yatsu. Man ging nach einander ins Haus, welches gerade mal aus drei Zimmern bestand. Einer Küche aus welchem wärme und der Geruch von Essen kam, anscheinend einem Schlafzimmer und eben dem Zimmer, in welchem sie standen. Es wurde wohl als Ess- und Wohnzimmer genutzt. Zumindest ließ der runde Holztisch stark darauf schließen.

„Setzen Sie sich doch, ich hole eine Tasse mit Tee“, meinte Yatsu höflich, während Happo die Unbekannte nicht aus den Augen ließ. Annin ging auch dieser Einladung nach und wartete stillschweigend auf den angekündigten Tee.

Yatsu stellte das angebotene Getränk auf den Tisch und setzte sich Annin gegenüber. Die Amazone wurde regelrecht mit den hellbraunen Augen der Jüngeren neugierig durchlöchert.

„Und was wollen Sie nun hier?“, meldete sich Happo harsch.

„Happo! Lass das! Sie ist unser Gast!“, funkte Yatsu mit einem strengen Blick dazwischen.

Abermals kam sich Annin überflüssig vor, schwieg und wollte einen Schluck von dem Tee nehmen, da wurde sie von dem jungen Mädchen aufgehalten.

„Moment, da fehlt noch Honig.“, sprang Yatsu auf und hielt der Älteren lächelnd einen kleinen Topf hin.

„Jetzt reicht es!“, rief Happo wütend und entriss seiner Schwester das Objekt. „Diesen Honig haben wir mit viel Mühe selbst gemacht. Er ist das einzig wertvolle in diesem Haus! Das einzige was wir zum tauschen nehmen können!“

„Dummkopf.“, meldete sich dann auf einmal die Wächterin des magischen Feuers zu Wort.

„Wie bitte?“, schrie Happo.

„Ich sagte: Dummkopf. Du hast gerade verraten, was das einzige hier ist, was sich lohnt zu stehlen.“, sagte Annin ungerührt.

Der junge Mann bemerkte seinen Fehler, wollte sich aber scheinbar nicht beruhigen und direkt weiter zetern. Allerdings ging seine Schwester dazwischen. Sie sagte, das diese Frau ein Gast sei und das man Gäste nicht anschrie, sondern Tee mit Honig anbieten müsste, wie es die Eltern ihnen hatten beigebracht.

Nach der Standpauke setzte sich Happo mürrisch neben Yatsu, welche dann wieder das Wort an Annin richtete:

„Nochmals Entschuldigung. Nun.“, Yatsu musste einen Moment überlegen, „Mein Name ist Yatsu, ich bin 17 Jahre alt und das ist mein Zwillingsbruder Happo, demnach auch 17 Jahre alt. Wir leben hier Draußen ziemlich einsam, weswegen wir wenige Besucher haben und mein Bruder deswegen sehr misstrauisch ist.“, erläuterte das Mädchen und erwartete scheinbar eine ähnliche Art der Vorstellung von Annin. Diese empfand das Verhalten, besonders die Sprechweise, des Mädchens für ihr Alter recht kindlich.

„Mein Name ist Annin und meine Suche führte mich in diese Region.“, mehr mussten diese Kinder nicht wissen, jedoch wurde Yatsu durch die Antwort nur noch neugieriger.

„Und was genau suchen Sie? Vielleicht können wir Ihnen ja helfen.“

„Das glaube ich kaum.“

„Das wissen Sie erst, wenn Sie es versucht haben.“

'Da hat sie allerdings recht.', musste Annin sich eingestehen und schwieg noch einen Moment bevor sie einen Beutel aus ihrem Umhang herbeizauberte. Happo war skeptisch und machte einen erneut feindlichen Eindruck, blieb allerdings ruhig, bis Annin langsam ein paar der Eierschalen herausholte. „Ich suche etwas, womit ich diese Kacheln in einem Ofen befestigen kann.“, erklärte sie, erwartete allerdings keinerlei Lösung für dieses Problem.

„Würde Honig funktionieren?“, kam es interessiert von Yatsu. Sie schien diese Kacheln gerne mal näher anzuschauen, jedoch machte der weibliche Gast nicht den Eindruck, als würde er das gutheißen.

„Honig?“, fragte Annin skeptisch.

„Ja, Honig. Ich meine unseren Honig, denn er ist etwas ganz Besonderes. Normalerweise schmilzt Honig in heißem Wasser oder wird bei Wärme sehr flüssig. Bei dem Honig der Winterbienen ist das allerdings ein bisschen anders, er wird klebriger, je heißer das Wasser ist.“, erklärte das junge Mädchen sehr erfreut darüber eine Hilfe sein zu können.

„Wirklich?“, es war eine Überlegung wert. „Dann will ich es in Eurem Ofen testen.“, entschied Annin.

„Ach ja? Und wenn wir das nicht wollen?“, fragte Happo sauer, denn er fühlte sich übergangen.

„Natürlich wollen wir.“, antwortete Yatsu direkt, da sie es spannend fand und schaute ihren Bruder mit einem sehr bettelnden Blick an. Doch dieser ließ sich davon nicht beirren und stänkerte direkt wieder herum.

„Nein!“

„Warum nicht?“

„Weil wir den Honig brauchen um ihn gegen andere Dinge eintauschen zu können!“

„Wir kommen auch ohne Honig klar!“

„Achja? Wer hat sich bitte letztens noch beschwert, das wir nichts Gescheites auf den Tisch bekommen?“

„Das liegt nur daran, dass Du zu feige zum jagen bist!“

„Ich bin nicht feige! Außerdem wenn ich was erlegen würde, würdest Du das Essen durch Deine miesen Kochkünste verderben!“

„Trotzdem isst Du immer alles auf!“

„Habe ich denn eine andere Wahl?“

„RUHE!“, Annin war aufgestanden und stemmte erbost ihre Hände auf den Tisch. Dieses Gezanke war ihr mittlerweile einfach zu sehr auf die Nerven gegangen. „Das ist ja nicht auszuhalten.“, seufzte die Amazone und sprach mit ruhigerer Stimme weiter: „Ich schlage Euch einen Tausch vor. Ihr lasst mich den Honig in Eurem Ofen testen und ich bringe Euch das Kochen und Kämpfen bei. Was sagt ihr?“
 

Zwei überraschte Augenpaare starrten erst Annin und dann einander an. Der Vorschlag war durchaus gut, das musste sogar der Junge Mann, wenn auch mürrisch, zugeben. Die Ältere wurde daraufhin in die Küche geführt. Die Zwillinge löschten das Feuer im Ofen, entsorgten das verkohlte Holz und reinigten die Innenwände, welche schließlich mit ein paar Kacheln, wie auch Honig versehen wurden. Happo holte direkt Holz herbei und wollte es in den Ofen legen und entzünden. Annin hielt ihn allerdings davon ab, da sie etwas Holz von einem der ewigen Bäume, für genau solch einen Moment, dabei hatte, wie auch das gläserne Gefäß in welchem es möglich war, das magische Feuer zu transportieren.

Interessiert strich sich Yatsu ihre dunkelbraunen, fast schwarzen Haare hinters Ohr um besser auf das Objekt schauen zu können, welches Annin in der Hand hielt.

„Ist das nicht heiß in der Hand?“

„Wie?“

„Das Glas.“

„Oh. Aso. Nein, es ist verzaubertes Glas, es wird nicht heiß.“

„Wirklich nicht?“

Annin hielt dem neugierigen Mädchen das Gefäß hin und ermutigte sie es zu öffnen und die kleine Flamme, welche darin brannte in den Ofen zu kippen. Ihr Bruder hatte ebenfalls hingeschaut, tat aber so, als würde er sich um das Geschehen nicht scheren. Eine starke Wärme breitete sich von dem Ofen aus, welche die wenigen Zimmer, binnen kürzester Zeit, auf eine angenehme Temperatur brachte.
 

„Und wie lange müssen wir nun warten?“, fragte der junge Kerl dann schließlich. Ob es nun der Drang war, dass die Fremde Person endlich verschwand oder ob er motiviert war das Kämpfen zu erlernen konnte man durch seine andauernde, mürrische Stimmung nicht ganz durchschauen.

'Das ist das erste Mal das sich ein Material vielversprechend anhört, ich sollte etwas mehr Zeit einplanen.', dachte sich Annin und beantwortete dann die Frage des Jungen: „Etwa sechs Monate. Vielleicht auch etwas länger.“, je nachdem wie sich der Honig machte, außerdem hatte Annin den beiden ja einen Handel vorgeschlagen, der nicht innerhalb von ein paar Stunden erledigt war.

„Sechs Monate?“, kam es von den Zwillingen wie aus einem Mund. Das hatten sie jetzt scheinbar nicht erwartet. Sie schauten einander an und dann wieder zu Annin.

„Das ist doch keine Zeit. Normalerweise wäre es meine Pflicht es mindestens für ein Jahrzehnt zu testen.“, und selbst das war nur ein Wimpernschlag, wenn man bedachte das der Ofen – wenn es gut lief - für die Ewigkeit halten sollte.
 

In dem darauffolgenden halben Jahr lernten die beiden jungen Leute allerlei Dinge. Dazu gehörte ebenfalls lesen und schreiben. Annin unterrichtete Yatsu nicht nur in der Kunst des Kochens, sondern half ihr auch dabei richtig zu nähen. Happo zeigte die erfahrene Kämpferin wie man ein Tier ordentlich jagte. Mehr und mehr fragte sich die Schwarzhaarige, wie die Kinder es geschafft hatten solange zu überleben. Die Antwort war recht simpel. Das einzige was sie hatten wirklich gelernt, war, wie man diesen vorzüglichen Honig herstellte und diesen hatten sie immer wieder für Dinge eingetauscht, welche sie gerade am dringendsten brauchten, wie Fleisch, Salz oder Mehl. Scheinbar waren die Zwillinge die einzigen Personen über Meilen hinweg, die mit den Winterbienen zurecht kamen.

Schließlich war es Zeit die kleine Version eines magischen Ofens zu inspizieren. Mittlerweile waren alle drei gespannt, was nun aus der Innenkonstruktion geworden war. Annin holte das angekokelte Holz heraus und durfte feststellen, das alle Platten noch dort waren, wo sie vor sechs Monaten angeklebt wurden. Ein sehr gutes Ergebnis.

„Ich werde viel Honig benötigen, als Gegenleistung erhaltet ihr von mir das, was ihr weder in dieser Gegend, noch in der Stadt bekommen könnt. Schreibt mir einfach eine Liste mit Euren Wünschen. Soweit ihr es mir erlaubt, werde ich einmal im Jahr all Euren Honig mit mir nehmen.“, schlug Annin dem Zwillingspaar vor. Yatsu nickte und machte sich schon Gedanken darüber, was sie gerne haben wollte. Happo, der sonst immer den Honig wie einen Schatz verteidigte, schien irgendwie anders zu sein als sonst. Allgemein hatte sich seine Stimmung gegenüber Annin in den letzten Wochen stark verändert. Er schien sogar traurig zu sein, das die Ältere gehen musste, woraufhin Annin meinte: „Morgen werde ich abreisen, bis dahin habt ihr Zeit Euch zu überlegen, was ich Euch das nächste Mal mitbringen soll, allerdings sollte es nur ein Wunsch pro Kopf sein.“, somit hatten die Zwillinge einen ganzen Tag und eventuell auch eine Nacht Zeit sich etwas zu überlegen.
 

Am nächsten Morgen wachten Annin und Yatsu sehr früh auf. Die beiden Frauen hatten die sechs Monate in dem Schlafzimmer geschlafen, während Happo sich ein Bett aus Decken im Wohnbereich hatte zurecht gelegt. Doch in der letzten Nacht war er wohl auf einem Stuhl eingeschlafen über einem zusammen gefalteten Zettel. Yatsu hatte sofort gewusst, was sie sich von Annin wünschte, ihr Bruder wohl nicht. Man legte eine Decke über den Schlafenden und ging hinaus in die eisige Morgenluft um alles für den ersten Abtransport vorzubereiten. Als alles soweit fertig war holte Yatsu den gefalteten Wunschzettel, ohne ihren Bruder zu wecken und gab ihn Annin, welche sich von der Jüngeren verabschiedete und sich auf den Weg zurück zum Berg der fünf Elemente machte.

Etwa zwei Stunden später wachte Happo auf und war ziemlich sauer, das er die Abreise von Annin hatte verpasst.

„Wieso hast Du mich nicht geweckt, verdammt?“

„Hielt ich nicht für nötig.“

„Habe ich gemerkt, verdammter Mist!“

„Hör auf zu fluchen Happo, Du siehst Deine Annin ja wieder...“, meinte Yatsu dann ungerührt, während sie die Suppe auf dem Herd beobachtete.

„Was meinst Du denn bitte damit?“, keifte Happo seine Schwester an, welche darauf nur mit einem süßlichen Kichern reagierte.

Wünsche

Annin wanderte zurück zum Berg der fünf Elemente und wies ihre Mitarbeiter an den Honig als Kleister zu verwenden. Roba, welche alles im Auge behielt war skeptisch, doch Annin wusste was sie tat und so wurde das achteckige Gerüst gebaut, Rohre verlegt und schließlich angefangen die Kacheln im Ofen zu platzieren.

Annin fand nach ihren ganzen Anweisungen endlich Zeit sich dem gefalteten Zettel der Zwillinge zu widmen.

Die Amazone musste schmunzeln, als sie die beiden, natürlich in verschiedener Schrift geschriebenen, Worte las.

Yatsu wünschte sich eine Bürste und Happo wünschte sich ein Schwert. Damit blieben die Kinder wirklich bescheiden, was Annin irgendwie stolz machte. Hoffentlich würde das auch so bleiben.
 

Wie die Schwarzhaarige es hatte angekündigt kam sie nach genau einem Jahr wieder zu den Zwillingen, welche sich unglaublich freuten die Herrin des magischen Feuers wieder zu sehen.

Annin überreichte Yatsu eine Bürste aus dem Holz eines ewigen Baumes, somit würde sie sich ewig damit die Haare kämmen können.

Für den Jungen Mann Happo hatte Annin einen Krumsäbel aus einem speziellen Metall fertigen lassen, damit es Jahrhunderte überdauern konnte und es war fähig soweit jedes bekannte Material auf der Erde zu durchtrennen.

Es war mehr als die beiden Jungen Leuten hatten sich erhofft und sie waren beide sehr stolz auf ihre Geschenke.

Man redete sehr viel und für beide Seiten war Annins Besuch viel zu kurz gewesen, aber man freute sich auf das darauffolgende Jahr.

Abermals hatte die Amazone einen Zettel mit Wünschen bekommen, welche weiterhin recht bescheiden blieben und somit nicht schwer zu beschaffen waren.
 

Die Jahre vergingen.

Für beide Seiten wurde es zu einem besonderen Tag, wenn die Herrin des magischen Feuers ihren Berg verließ um die beiden jungen Erwachsenen zu Besuchen. Es ähnelte schon fast Weihnachten oder einem Geburtstag, wo man ja auch Geschenke entgegen nehmen durfte.

Yatsu und Happo waren nun bereits beide 25 Jahre alt, ihre Wünsche passten sich ihrem Alter entsprechend an.

Das Mädchen, welches mehr und mehr zu einer Jungen Dame heran gewachsen war wünschte sich teure Kleidung, Kosmetik oder Schmuck, während ihr Bruder bei grundlegenden Dingen blieb, wie speziellen Gewürzen, Musikinstrumente oder anderen handwerklichen Utensilien.

Seit jeher hatten die Zwillinge eine tiefe Verbindung zu einander. Annin bemerkte, das es mehr und mehr in eine falsche Richtung lief, jedoch war dies nicht ihre Sache und in manchen Regionen wurden Geschwister sogar miteinander verheiratet. Somit würde sich die Amazone in diese Beziehung nicht einmischen, auch, wenn Annin hoffte sich zu täuschen.
 

„Nun denn ihr beiden, ich werde Morgen wieder Euren Honig mit mir nehmen. Also schreibt Euren Wunsch wieder auf einen Zettel.“, forderte die Amazone und wurde besonders von dem Jungen Mann bedrückt angeschaut.

„Annin?“, fragte Happo.

„Ja?“

„Lass' uns zusammen Jagen gehen.“

„Warum? Das kannst Du doch seit Jahren bereits alleine.“

„Ich mein... um die alten Zeiten willen.“

Annin schaute den Jungen Mann an und verstand nicht, was es damit auf sich hatte, aber sie wollte ihm diesen Gefallen auch nicht einfach ausschlagen, also seufzte sie auf und nickte schließlich.

Happos Gesichtsausdruck wurde direkt zufrieden.

Schließlich machten sich der Junge Mann und die Amazone fertig um in das kalte Wetter hinaus zu treten, während Yatsu ihr neues Gewand anzog um dieses den beiden zu präsentieren. Allerdings kam die Junge Frau nicht mehr dazu, denn Annin und Happo waren bereits unterwegs, als Yatsu freudestrahlend aus dem Schlafzimmer trat. Ihre Freude wandelte sich direkt um in einen zornigen und beleidigten Ausdruck.

„Annin hier! Annin da! Immer ist Annin wichtig!“, motzte die Brünette verärgert herum und stapfte wieder zurück ins Schlafzimmer um sich etwas anderes anzuziehen und schon einmal alles in der Küche bereit zu legen. Denn würden Annin und ihr Bruder wieder kehren, so würden sie wahrscheinlich schnell eine wärmende Mahlzeit haben wollen.
 

Die beiden Jäger stapften durch den Nadelwald, auf der Suche nach einer passenden Beute oder zumindest den Spuren davon. Doch während Annin sich wirklich darauf konzentrierte, schien Happo einerseits unentschlossen, welcher Spur man jetzt folgen wollte, wie auch allgemein eher abgelenkt.

„Brechen wir hier am besten ab.“, meinte Annin schließlich, als ihr jüngerer Jagdpartner auch die offensichtlichsten Fährten nicht zu deuten wusste.

„Was? Wieso? Nein!“, entgegnete Happo erschrocken.

„Du bist unkonzentriert.“

„Ich weiß.“

„Was ist das Problem?“

„Ich...“

Annin wartete auf eine Antwort, stattdessen stotterte Happo nur herum und bekam kein einziges klares Wort mehr heraus oder es war so leise gesprochen, das die Amazone einfach nichts verstehen konnte. Er drehte sich von der Junggebliebenen weg. Dann wurde es still und Happo versuchte erneut zu erklären was nun los sei:

„Ich habe mich gefragt, was Du Dir wünscht.“, kam es schließlich verlegen aus seinem Mund.

Das war eine Aussage mit er Annin nicht gerechnet hatte, weswegen sie ungläubig ihre Augenlider ein paar Mal auf und zu schlug.

„Was ich mir wünsche? Warum machst Du Dir um so etwas überhaupt Gedanken?“

„Nun, weil Du uns jedes Jahr einen Wunsch erfüllst, habe ich mich gefragt, was Du Dir in Deinem Leben so wünschst.“, erklärte Happo und traute sich nicht seine Gönnerin anzusehen.

Die Amazone schloss daraufhin ihre Augen und musste sehr lange überlegen. Eine Stille kam zwischen ihnen auf bis Annin die richtigen Worte hatte gefunden:

„Meine Aufgabe bestimmt mein Leben und ich wünsche mir, das meine Aufgabe immer seinen Zweck erfüllt.“

Abermals wurde es sehr still. Happo hatte sich wohl etwas anderes als Antwort erhofft. Doch plötzlich fuhr er herum, ergriff Annins Arme, zog sie an sich heran und schaute ihr tief in die Augen. Sein Gesicht war ihrem auf einmal so Nahe, das sich ihr Atem miteinander verband.

„Was soll das?“, kam es ernst, fast schon erbost aus dem Mund der Schwarzhaarigen.

Daraufhin fing sich der Junge Mann wieder und ließ die Amazone los, blieb ihr jedoch eine Antwort schuldig.
 

Zusammen fingen sie schlussendlich noch ein paar Schneehasen, welche Happo dann zusammengebunden über der Schulter nach Hause trug. Beide schwiegen sich an, was sich auch nicht besserte, als sie das überschaubare Heim der Zwillinge erreichten. Happo brachte seiner Schwester die Hasen in die Küche und Annin setzte sich an den Tisch.

Die Stimmung war angespannt und das merkte Yatsu ebenfalls, weswegen sie mit einem fragenden Blick den Tisch deckte.

„Ihr habt ja nicht viel gefangen, kein Glück gehabt?“, kam es von der Brünetten, allerdings doch etwas vorwurfsvoller, als sie es wollte.

„Richtig.“, erwiderte Happo und setzte sich auf seinen Platz.

Annin machte ebenfalls keine Anstalten irgendetwas zu erklären, sondern aß ihren Teller leer und stand auf.

„Morgen werde ich gehen, schreibt Euren Wunsch, wie immer, auf einen Zettel.“, wiederholte die Wächterin des magischen Feuers, denn so war es geplant und so würde es letztendlich auch durchgeführt werden. Annin ging ohne weitere Worte in ihr Zimmer, welches extra für sie an das Haus angebaut wurde.
 

„Was ist passiert?“, wollte Yatsu von ihrem Bruder wissen, kaum das Annin hatte den Raum verlassen.

„Nichts.“

„Nach nichts sieht das aber nicht aus...“

„Ich weiß.“

„Und?“

„Sei ruhig und geh schlafen, ich räum' den Tisch ab.“, meinte Happo genervt und nahm bereits das erstbeste Geschirr vom Tisch runter, während seine Schwester ihn mit den großen braunen Augen anstarrte. Sie fragte sich was wohl geschehen ist, jedoch würde wohl keiner von beidem momentan eine Antwort darauf geben. Yatsus Fantasie geriet ins Rollen und ihr kamen Gedanken die sie bleich werden ließen.

'Ich übertreibe! Beruhige Dich!', ermahnte sich die Brünette gedanklich, würde aber die Nacht über sicherlich nicht gut schlafen können.
 

Keiner schaffte es Erholung aus der Nacht zu schöpfen und am Morgen war die Stimmung weiterhin gedrückt. Annin stand nach dem Frühstück von ihrem Stuhl auf und wollte aufbrechen, wartete eigentlich nur noch darauf, das die beiden ihren Zettel auf den Tisch legten, was sie schließlich auch taten. Doch diesmal war es nicht ein einziger, sondern getrennte Zettel. Das erschien der Amazone etwas merkwürdig und sie nahm beide um sie ausnahmsweise direkt zu lesen.

Yatsu wünschte sich roten und weißen Stoff in bester Qualität, sowie entsprechendem Nähgarn. Ein seltsamer Wunsch, aber die Schwarzhaarige fragte nie nach, wozu die beiden etwas brauchten, sondern nahm alles einfach hin wie es war.

Jedoch Happos Wunsch war eindeutig nicht umsetzbar.

„Ich kann Dir Deinen Wunsch nicht erfüllen, Happo.“, meinte sie schlicht. „Entweder schreibst Du etwas anderes auf oder ich werde Dir nichts mitbringen können.“

„Wenn Du noch eine Nacht bleibst dann denke ich mir etwas anderes aus.“, entgegnete der Junge Mann und Annin brauchte lange um sich zu entscheiden, willigte letztendlich jedoch ein.
 

Wieder verging eine Nacht in der allesamt kaum ein Auge zu taten.

'Wie kam er nur darauf, sich den Mond zu wünschen?', fragte sich die Schwarzhaarige, während sie an die Decke ihres Raumes starrte.

An sich war es ein romantischer Wunsch, aber vollkommen überzogen.
 

Abermals brach der Morgen herein und zum wiederholten Male forderte die Herrin des magischen Feuers die Wünsche der beiden, bzw. von dem Brünetten, denn was Yatsu wollte, wusste Annin ja bereits.

Doch wieder einmal war es ein Wunsch, den Annin Happo nicht erfüllen könnte und wieder bat der Junge Mann um eine Nacht Aufschub.

Diese Prozedur wiederholte sich schließlich noch ganze 3 Nächte, bis es Annin endlich reichte. Sie hatte damals nicht mit solchen Schwierigkeiten gerechnet, als die den Kindern den Handel vorschlug. Die Amazone konnte den Honig nicht selbst herstellen und brauchte diese Menschen nun mal dafür, also war sie geduldig geblieben.

Annin hatte mit Yatsu gesprochen und man hatte am Abend zuvor alles für die Abreise vorbereitet, so dass man Happo nicht damit behelligen musste. So war die Schwarzhaarige bereits einige Meter weit von dem Heim der Zwillinge entfernt, als Annin hörte, wie Happo nach ihr rief und ihr hinter her gerannt kam.
 

„Annin!“

Doch Annin ignorierte ihn.

„Annin!“

Wieder ließ sich die Amazone nicht dazu herab sich auch nur ansatzweise zu Happo um zu drehen.

Der Junge Mann jedoch hatte Annin schließlich eingeholt. Vollkommen außer Atem stellte er sich vor die Junggebliebene.

„Was willst Du?“,

„Ich will...“,

„Wieder einen Wunsch äußern, von dem Du denkst ich könnte ihn nicht erfüllen? Der Mond, die Sterne, das Meer, einen Regenbogen und wie bist Du auf ein Einhorn gekommen?“, wurde Happos Satz von Annin beendet, welche nun einfach an dem Brünetten vorbei ging. Sie war wütend und enttäuscht, das ihre Lage so ausgenutzt wurde. Allerdings wurde sie wieder von seinen Worten aufgehalten.

„Ich möchte mit Dir kommen!“

„Das ist nicht möglich. Meine Welt ist für die Deinen nicht geeignet.“

„Aber warum denn nicht?“

„Weil es so ist und das musst Du akzeptieren.“

„Dann gib mir ein Stück von dem magischen Feuer!“

Annin stoppte. Eine gewisse Anspannung war in der Luft zu vernehmen. Die Amazone ballte ihre Hände zu Fäusten und drehte sich schließlich zu dem weit aus jüngeren Wesen um.

„Wie kannst Du es wagen?“, schrie sie ihn an.

Happo hatte anscheinend nicht mit solch einer heftigen Reaktion gerechnet und fiel direkt mal mit dem Hintern in den Schnee.

„Dieses Feuer ist ein Heiligtum und ich bin dessen Wächterin! Du bist nur ein einfacher Mensch! Jedes Jahr bringe ich Euch Geschenke und Du hast nichts besseres zu tun als mich mit unerfüllbaren Wünschen zu beleidigen. Was veranlasst Dich dazu zu denken es wäre bei dem magischen Feuer anders?“, schrie sie Happo zornig entgegen, welcher schützend seine Hände vor sich hielt, da er Annin noch nie hatte so wütend erlebt. Trotzdem schien er den Mut aufzubringen ihr tatsächlich eine Antwort geben zu wollen:

„Weil das Feuer einst in unserem Ofen brannte?“, die Frage war zögerlich gestellt und er machte sich darauf gefasst, das sie abermals anfing ihre Stimme zu erheben, aber Annin blieb überraschend ruhig.

„Es war eine Ausnahme.“, entgegnete diese und nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu: „Es wäre wohl besser, wenn wir uns die nächsten Jahre nicht sehen würden. Lass Deine Schwester die Wünsche aufschreiben und mir geben.“

Das waren die vorerst letzten Worte, welche die beiden miteinander wechselten.

Die Legende des Mount Frappe

Drei Jahre vergingen in denen Annin Happo nicht mehr gesehen hatte, da er ihrem Wunsch folge leistete und sich immer außerhalb des Hauses befand, während ihres Besuches. Er hatte keinerlei Wünsche geäußert in dieser Zeit.

Doch im vierten Jahr blieb Annin länger als sonst, sie legte es darauf an, das sie sich begegneten und so kam es schließlich auch.

„Kann ich Dich sprechen, draußen?“, fragte der Brünette unterwürfig, denn er wollte nicht, das seine Schwester etwas mitbekam, die sich gerade in der Küche daran machte etwas zu Essen vorzubereiten.

Annin stand wortlos auf, nahm sich einen Mantel und ging mit Happo vor die Türe. Nach außen waren die beiden ruhig und die Stimmung zwischen ihnen mindestens so kalt wie die momentanen Temperaturen, aber innerlich sah es ein wenig anders aus. Annin war neugierig, während Happo vor Anspannung zitterte. Er machte ein ernstes Gesicht und schien ihr etwas wichtiges mitteilen zu wollen. Doch statt es ihr direkt zu sagen hielt er ihr einen Zettel hin.

„Mein... Wunsch...“, ungeahnt schüchtern sagte Happo seine Worte und die Schwarzhaarige nahm das Stück Papier seufzend entgegen, da sie vermutete, es würde wieder irgendeine Sache sein, die sie nicht erfüllen konnte.

Tatsächlich wurde Annins Vermutung bestätigt, doch es trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht. Als sie von dem Zettel aufsah, bemerkte sie das es Happo nicht anders erging.

„Nein. Es geht nicht.“

„Was? Aber...“

„Happo... bitte. Such Dir eine eine andere Frau. Eine andere als mich und eine andere als Deine Schwester.“

Plötzlich stand Yatsu in der Türe, sie hatte die Situation unbemerkt beobachtet und knurrte wütend auf. Die Brünette trug eine rote Robe und ein Orangefarbenes Stirnband hielt ihr die Haare aus dem Gesicht. Allgemein ähnelte ihre Kleidung der von Annin sehr, jedoch hatte es die Herrin des magischen Feuers selbst nicht so deutlich bemerkt, da sie sich nur auf ein Treffen mit Happo hatte konzentriert. Doch wie Yatsu da stand, mit dem eisernen Blick und einem der großen Messer in der Hand, machte sie einen ungeahnt amazonengleichen Eindruck.

„Yatsu, was soll das?“, fragte Happo seinen Zwilling mürrisch, denn er wollte immerhin ungestört mit Annin sein.

„Was soll das heißen?“, blaffte Yatsu die beiden Personen vor sich an.

„Was meinst Du?“, fragte Happo, während sich Annin noch aus der Situation heraus hielt.

„Ich meine dieses eine andere Frau als Deine Schwester – Gelaber, bin ich etwa nicht gut genug? Immer heißt es Annin hier, Annin da, Annin ist so toll, so schön, so fantastisch! Du siehst mich kein Stück mehr Happo! Ich habe doch schon versucht so zu sein wie sie, was mache ich falsch?“

Mit dieser Aussage bestätigte sich die Vermutung der Amazone, das die Verbindung zwischen den Zwillingen eine seltsame Wandlung hatte genommen.

Der Griff um das Messer in Yatsus Hand wurde immer verkrampfter, je mehr sie sprach. Ihre Augen feucht vor Zorn und es fehlte wirklich nicht mehr viel und sie würde sich nicht mehr beherrschen können. Genau jetzt wäre es an der Zeit Dinge klar zu stellen oder beruhigende Worte zu sprechen, jedoch machte Happo den Fehler und provozierte seine Schwester.

„Niemand kann wie Annin sein, sie ist einzigartig! Du bist nur meine Schwester und dazu noch langweilig!“
 

Stille.
 

Beide Frauen sahen Happo geschockt an. Das war wohl das Schlimmste was der Brünette seiner Schwester hatte an den Kopf knallen können. Annin war ein wenig von seinen Worten geschmeichelt, aber auch sie empfand die Situation nicht gerade als angenehm, vor allem da das Messer in Yatsus Hand immer bedrohlicher zu zittern begann.

Es musste kommen, wie es kommen musste: Die Brünette konnte die Worte des geliebten Bruders nicht ertragen und stürmte die paar Stufen, welche den Eingang zur Haustüre ebneten, hinab, um das Messer allerdings nicht in seine, sondern in die Brust der Amazone zu rammen.

Aber Happo war ein guter Kämpfer und konnte den Angriff ohne Mühe abblocken, das Messer aus der Hand seiner Schwester schlagen und Yatsu eine schallende Ohrfeige verpassen.

„Lass Annin in Ruhe!“, brüllte er sie an, während eben Annin bereits bereit gewesen war ihren Kopfschmuck, die beiden Federn zu benutzen um die aufgebrachte Frau darin einzuwickeln. Doch dies schien nicht mehr nötig zu sein.

„Ich hasse Dich!“, schniefte Yatsu weinerlich und am Boden zerstört. Sie blicke noch einmal auf und man konnte sehen das Happo wirklich ordentlich hatte zugeschlagen. Ein leuchtender und brennender Handabdruck war auf der sonst so hellen Haut zu erkennen.

„Yatsu... es...“, doch weiter kam der Junge Mann nicht, denn Yatsu wollte jetzt nichts hören, sie wollte einfach nur weg. Weg von ihm und vor allem weg von Annin. Die Nähe der beiden konnte die Brünette einfach nicht länger ertragen und rannte um das Haus herum, die Bienenstöcke um schmeißend dem großen Berg im Hintergrund entgegen.

Die aufgescheuchten Bienen verhinderten das Happo seiner Schwester folgen konnte und er sich mit Annin ins Haus zurückziehen musste.
 

Es dauerte einen ganzen Tag, bis man sich wieder aus dem Haus begeben konnte.

Der Junge Imker räumte alles wieder so hin, wie es sein sollte und am Abend waren die Bienen auch mehr oder weniger wieder beruhigt, aber von Yatsu war nicht der Hauch einer Spur.

„Ich werde sie suchen gehen.“, entschloss sich Happo. „und Du bleibst hier.“

„Damit bin ich nicht einverstanden.“

„Sie wird bestimmt nicht mit mir mitkommen, wenn Du dabei bist.“

„Das ist mir egal, aber mindestens einen von Euch brauche ich noch.“

„Was soll das denn heißen?“

Es klang fast so als ob sich Annin einen Dreck um Yatsu scherte und darüber war Happo gerade sehr wütend. Er war bereits aufgestanden und schlug nun seine Faust gegen die Wand.

„Wieso sagst Du so etwas Annin? Das klingt fast so als ob wir Dir egal sind.“

„Nein seid ihr nicht, schließlich seid ihr die einzigen die diesen Honig herstellen können.“, entgegnete die Herrin des magischen Feuers ohne auch nur einen Funken an Mitgefühl.

Happo war entsetzt.

„Was... aber... ich dachte...“, stammelte er vor sich hin bis Annin ihm die Worte aus dem Mund nahm.

„Das wir so etwas wie eine Familie sind? Wir haben eine Abmachung, nicht mehr und nicht weniger.“, harte Worte aus dem Mund der Amazone, aber nur so konnte sie Happo wohl davon überzeugen, das sie beide keine Zukunft miteinander hatten. Natürlich wünschte sich Annin, das Yatsu heil wieder nach Hause kommen würde, aber wenn das Mädchen starb, dann war es nun mal so. Die Herrin des magischen Feuers konnte daran dann auch nichts mehr ändern, außer es hinzunehmen.

Es dauerte seine Zeit bis Happo sich wieder gefangen hatte und natürlich war es ihm egal, was seine Gönnerin wollte, er ging jetzt seine Schwester suchen!

Letztendlich musste sich Annin eingestehen, das ihr die Zwillinge doch wichtiger waren, als es sein sollte und somit gingen beide hinaus in die Kälte um dem Berg namens Frappe zu trotzen.

Doch beide Gestalten betraten gerade mal den Fuß des Berges und ein Schneesturm kam hervor. Nichts ungewöhnliches, denn das Wetter in diesen Höhen schlug allgemein schnell um. Aber nach einigen Stunden in der Kälte und ohne auch nur den Hauch einer Spur nach Yatsu waren die beiden gezwungen zurückzukehren. Vielleicht war die Brünette ja wieder heimgekehrt?

Annin und Happo kamen wieder am Haus der Zwillinge an und mussten zu ihrem Bedauern feststellen, das sie keine Yatsu vorfanden, welche für sie in der Küche gerade etwas zubereitete.

Am nächsten Tag ging Happo sehr früh wieder zum Berg, während Annin den Nadelwald bis zum späten Abend hin absuchte.

Beide hatten keinen Erfolg.

Schließlich musste sich die Amazone von dem Imker verabschieden und wünschte ihm viel Glück bei seiner Suche nach der vermissten Schwester. So leid es Annin dann auch tat, sie hatte ihre eigenen Aufgaben zu erfüllen und transportierte gedankenverloren den Honig zum Berg der fünf Elemente. Musste sie sich etwa die Schuld an den Ereignissen geben? Eine Frage, welche Annin noch lange im Kopf herumschwirrte.
 

Kein Tag verging, an dem Happo nicht nach seiner Schwester zu suchen begann und er wechselte jahrelang kein einziges Wort mit der Herrin des magischen Feuers. Mittlerweile hatte der Imker sich eine Frau gesucht und mit dieser sogar ein Kind gezeugt. Allerdings spürte die Amazone bei jedem Besuch, wie Happo ihre Rückreise mit stechenden Blicken beobachtete. Ab und an war auf den Töpfen ein Zettel zu sehen, welchen Annin einfach nicht ignorieren konnte. Aber kein Wunsch wurde mehr erfüllt bis zu einem bestimmten Tag an dem Happos Sohn auf Annins Ankunft wartete.

„Mein Vater ist gestorben.“, teilte der Jüngling dem jährlichen Besuch mit.

„Das tut mir leid.“, antwortete Annin mit einem ernsten Blick.

„Ich soll Ihnen das hier geben.“, und damit hielt der Junge, welcher seinem Vater unglaublich ähnlich sah, der Schwarzhaarigen ein Kuvert hin. Das war mal etwas anderes, denn sonst kommunizierte man nur über kleine Zettel auf denen kaum mehr als ein Satz passte. Annin nahm den Brief mit einem respektvollen Nicken entgegen und dann machte sie sich daran, wie jedes Jahr, die Honigtöpfe mit zu nehmen. Sie wartete mit dem Lesen bis sie sich wieder auf den Rückweg machte und schließlich in ihrem Berg ankam. Dort stand der große Ofen, welcher wohl endlich bald in Betrieb genommen werden konnte, jedoch vorher würde sich Annin den Zeilen zuwenden, welche Happo hatte geschrieben:
 

Es war einmal ein Mann und eine Frau, welche am Fuße eines Berges lebten. Sie waren die einzigen Imker in jenem Gebiet.Eines Tages kam eine wunderschöne Amazone zu Ihnen und machte ein Angebot, welches das Paar nicht ausschlagen konnte: Die Amazone würde den Imkern einen Wunsch erfüllen für jeden Topf Honig, den sie bekommen würde. Der Mann und die Frau willigten ohne groß zu zögern ein. Begeistert von den Fähigkeiten der Amazone, verliebte sich der Mann schließlich in die Gönnerin.

Dies machte die Imker-Frau wütend. Sie versuchte ihre Konkurrenz zu töten und beschwor daraufhin den Zorn ihres Mannes. Die Imkers-Frau floh schließlich auf den Mount Frappe hinauf. Die Eifersucht, welche die Imker-Frau empfand übertrug sich auf die Berggeister. Kein weiblichen Wesen sollte auf Ewig in der Lage sein sich dem Berg zu nähern oder gar ihn zu besteigen. Eisiger Schnee sollte jede Weiblichkeit daran hindern.

Der Imker fragte die Amazone ob diese ihm helfen würde, seine Frau wieder zu bekommen, doch das war nicht mehr möglich.

Der Imker fragte die Amazone ob sie seine Frau werden wollte, doch auch dies war nicht möglich.

Schließlich war er dazu gezwungen sich eine neue Frau zu nehmen, denn die Kunst des Imkerns musste weiter gegeben werden. Bevor er allerdings starb war sein letzter Wunsch, das die wunderschöne Amazone als Ausgleich für die erste Frau, seine Familie auf ewig beschützen sollte.
 

Annins Hände zitterten. Die Geschichte war kindlich und unübersichtlich geschrieben, aber es wurde deutlich was sie aussagen sollte. Happo gab Annin die Schuld an Yatsus verschwinden und forderte von ihr, das sie ein Auge auf die weiteren Generationen, also seine Kinder und Kindeskinder, werfen sollte, denn man wusste ja nicht, ob der Ofen tatsächlich für die Ewigkeit gebaut werden würde. Also brauchte man Imker, die in der Lage waren den Honig der Winterbienen herzustellen.

Gut.

Annin würde dieses Wunsch erfüllen.
 

~ * ~


 

Der Tag war angebrochen um den Magischen Ofen einzuweihen. Alle notwendigen Papiere waren schon lange bei Enma Daio bearbeitet und man wartete nur noch darauf eine Flamme auf das Holz der ewigen Bäume zu entzünden, welche aufgestapelt worden waren. Annin legte noch einen geflochtenen Korb hinzu.

„Was ist denn das für ein Ding?“, fragte Roba skeptisch.

„Erinnerungen.“, antwortete Annin mit einer ungewohnt sanften und auch leisen Stimme.

Damit vermochte Roba nichts anzufangen, jedoch merkte die Greisin sehr deutlich, das es ihrer einstigen Schülerin wichtig war, weswegen Roba einfach schwieg.

Annin hatte alle Zettel der Zwillinge, wie auch den letzten Wunsch von Happo in das Behältnis hinein getan. Es war ein rührender Augenblick, als das Feuer entzündet wurde, dass sogar der Amazone eine Träne die Wange hinunter rann.

Ihre Idee war ein Erfolg, so dass sie sich dem Welten-Krug widmen konnte, wo man zusehen vermochte, was auf der Erde passierte, sogar, was am Mount Frappe, in dem kleinen Haus im Nadelwald geschah.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Yuiji-
2015-11-04T15:50:06+00:00 04.11.2015 16:50
Gut geschrieben, wie die anderen auch!
Antwort von: LiraJacobs
04.11.2015 16:55
Danke sehr, ich geb mir Mühe :)
Von:  TK-Rabe
2015-11-02T17:16:24+00:00 02.11.2015 18:16
nicht schlecht.
Antwort von: LiraJacobs
02.11.2015 18:18
Danke sehr :)
Antwort von:  TK-Rabe
02.11.2015 18:21
Ich les noch weiter. So wie ich dazu komme^^


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