Seelensplitter von Lunatik ((Puppyshipping)) ================================================================================ Kapitel 2: Enttäuschung ----------------------- Ich erinnere mich noch genau an dieses vollkommen nicht rationale Gefühl, das ich hatte, als die Zeitungen von „mysteriösen Todesfällen“ einiger gesellschaftlicher Männer berichteten. Einige davon waren bekanntlich in die Kaiba-Affäre verwickelt, andere wurden in keinerlei solche Verbindung gebracht. Doch ich weiß, sie alle waren schuldig. Die Tode dieser Menschen waren wirklich merkwürdig, bei einigen wusste man nicht, ob man sie als Unfälle oder geplanten Mord einstufen sollte. Einige waren den Autopsien nach ohne jegliche äußere Einwirkungen – also eines natürlichen Todes gestorben. Ein Fall schockierte die Gesellschaft – es war der einzige grausame Tod. Man fischte Einzelteile der Leiche des Richters aus dem Fluss. Es wurde bestätigt, dass der Körper vor dem eintreten des Todes zerlegt worden war. Beim Lesen des Artikels darüber hatte ich dieses Gefühl – die Vorahnung, dass Seto nun kommen würde. Ich hatte Recht. Es war das letzte Mal, dass ich eine japanische Zeitung gelesen hatte.   Es war mitten in der Nacht als Katsuya ohne einen bestimmten Grund sich an die Wand eines leeren Wohnzimmers im Erdgeschoss der Villa lehnte. Er war in völlige Dunkelheit gehüllt – das Licht im Zimmer brannte nicht und der Mond draußen versteckte sich hinter Wolken, so dass auch durch das Fenster kein Funken Licht, der seine Anwesenheit verraten hätte, kam. Der Blonde konnte sich selbst nicht erklären, was er da eigentlich tat und so langsam erschien es ihm lächerlich hier auf einen nächtlichen Besuch zu warten. Sollte Kaiba wirklich nach Amerika kommen, so würde er es voller Arroganz bei Tage tun und dabei einen protzigen Auftritt hinlegen – so wie immer. Und nicht wie ein Dieb durch das Fenster einbrechen. Fast hätte er geseufzt, doch ein Geräusch ließ ihn aufhorchen und den Atem anhalten. Ein Klacken und er hörte wie die Gardinen zur Seite gezogen wurden. Eine dunkle Gestalt stieg durch das Fenster in das Zimmer. Merkwürdigerweise kam es ihm in diesem Moment überhaupt nicht seltsam vor. Warum auch? Er hatte genau hierauf gewartet. „Ich wusste gar nicht, dass Einbrechen zu deinem Repertoire gehört, Kaiba.“ Einen Moment lang herrschte Stille und der Gedanke, er könnte sich geirrt haben und es sei gar nicht Kaiba, durchkreuzte Katsuyas Bewusstsein. „Welch eine bekannte Stimme, die mir zu Ohren kommt. Köter.“ Dieser spöttische Ton, der ihm mit kaltem Abscheu begegnete. Die Stimme, die ihn provozierte und die von der besonderen Herablassung, die Kaiba stets für ihn aufgehoben hatte, erfüllt war. Als wären sie wieder in ihrer gemeinsamen Schulzeit zurückversetzt worden. Als wäre dies nur ein gewöhnlicher Streit zwischen zwei verfeindeten Klassenkameraden. Katsuya betätigte den Lichtschalter rechts von sich. Das elektrische Aufleuchten ließ Kaiba für einige Sekunden die Augen zukneifen und danach blinzeln. Es lenkte Katsuyas Blick darauf. So bemerkte er sofort als Kaiba seinen Blick wieder auf ihn richtete, dass das Feuer fehlte. Das Leuchten von Kaibas Augen, an das er so gewohnt war. Dem er in den Wortgefechten immer mit seiner eigenen brennenden Flamme begegnet war. Es war nicht da. Diese blauen Augen blickten ihn wie immer kalt an, doch nun steckte hinter diesem Ausdruck nichts dahinter. Nun wirkten diese Kristalle leblos wie die einer Puppe. „Köter – oder sollte ich lieber geheimnisvoller Mister Wood sagen, der meinen Bruder aus den Klauen der Machenschaften der bösen Erwachsenen befreite? Seit wann trägst du diesen Namen?“ Wenn Katsuya irgendwo in einer Ecke seines Bewusstseins Dankbarkeit erwartet hatte, so wusste er in diesem Moment, dass er ganz gewiss keine kriegen würde von diesem Mann. Kaiba schleuderte ausschließlich hässliche Gefühle ihm entgegen. Spott. Herablassung. Unzufriedenheit. Doch auch diese wirkten gedämmt im Vergleich zu seinen Erinnerungen aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit. „Seit einigen Jahren inzwischen und ich habe nie daraus ein Geheimnis gemacht. Ich denke diese Information hatte für dich keinen Wert und ging deswegen an dir vorbei.“ Katsuya merkte, wie sich die Schultern seines Gegenübers leicht entspannten. Er dürfte mit ganz anderen Vorstellungen darüber, was er hier finden würde, durch das Fenster geklettert sein. Der Blonde sah sich den ein Meter entfernten Mann an. Immer noch groß und schlank. In durchweg schwarzer Kleidung: schwarze Jeans, schwarzer Pulli, schwarzer Mantel mit silbernen Initialen KC. Sein ehemaliger Rivale kleidete sich wohl auch zu so etwas wie Einbrechen mit seinem ganz eigenen Stil. Doch er war nicht so gut informiert wie immer – schließlich wusste er nicht, dass er bei seinem ehemaligen Mitschüler einbrach. Ob es ihm wohl jetzt an Mitteln fehlte? „Wo ist Mokuba?“ Es war keine wirkliche Frage, eher ein Befehl ihn zu Mokuba zu führen mit einem höflichen Fragezeichen am Ende. Auch wenn Kaiba für gewöhnlich kein Mann der Höflichkeit war, das hatte er ihm oft genug bewiesen. „In seinem Zimmer. Um die Uhrzeit dürfte er schon schlafen. Hättest du nicht bei Tage kommen können?“ – es klang nur oberflächlich nach einem Vorwurf, wie sich Katsuya zugestehen musste. In Wahrheit hatte er doch ganz genau gewusst, dass dieser Mann mitten in der Nacht hier auftauchen würde und er hatte es für keine Sekunde als unangebracht oder falsch erachtet. Der ehemalige Chef der Kaiba Corporation antwortete nicht. Er bedachte Katsuya stattdessen mit einem nichtssagenden Blick. Der Blonde konnte nicht einmal den gewohnten Hauch von Abscheu oder Belustigung in diesen Augen finden. Sie waren wie mit zwei Glasaugen ausgetauscht. Ja, Glasaugen – das war der richtige Begriff um die blauen Kristalle zu beschreiben. Sie verrieten nichts von den Gedanken ihres Besitzers. Es verstrichen einige schweigsame Minuten, in denen Katsuya abwartete und den reglosen Seto Kaiba beobachtete. „Mokuba hat ein eigenes Zimmer?“, fragte er schließlich in einem neutralen Ton nach. „Natürlich. Er ist jetzt mein Pflegekind. Er hat hier ein Zimmer, den Anspruch die Bediensteten Herumzukommandieren und ist in eine Schule eingeschrieben, die er ab Montag besuchen wird.“ Wieder verstrich stille Zeit, eher einer von beiden etwas sagte. In diesen langen Minuten suchte Katsuya nach einer positiven Regung in seinem Gegenüber. Er erinnerte sich noch sehr gut an die Fürsorge und Zärtlichkeit, mit der Seto Kaiba in der Vergangenheit immer seinem Bruder begegnet war. Mokuba war immer die heilige Ausnahme für den sonst so gewissens- und lieblosen Jugendlichen gewesen. Doch nun konnte er nichts von dem sanften Ausdruck, von der Sorge um seinen Bruder oder der zu erwartenden Erleichterung darüber, dass es Mokuba offensichtlich gut ginge, in den Zügen des Schwarzgekleideten finden. Was hatten Zeit und diese Kaiba-Affäre nur angerichtet? „Dann ist er gut hier aufgehoben“, sprach Kaiba schließlich etwas leiser als zuvor. Katsuya hatte den Eindruck die Worte waren für Kaiba selbst und nicht für ihn gesprochen worden. Darüber nachdenkend entging ihm erst der Sinn dieses Satzes. Erst als Kaiba in einer Stimme voll von Arroganz und Überlegenheit weiter sprach, verstand Katsuya. „Gut, führe mich zu einem Gästezimmer. Zum besten Gästezimmer dieses durchschnittlichen Hauses. Ich werde bis morgen früh hier bleiben. Hoffen wir, dass ihr hinnehmbare Betten habt.“ „Kaiba, was hast du vor?“, versuchte der Blonde die Frage zu stellen, die er hätte sofort stellen müssen. Sein Gesprächspartner ignorierte diese jedoch gänzlich. „Immer noch die schlechten Manieren, Köter. Man lässt einen Gast, vor allem so einen hohen Gast wie mich, nicht warten!“ Typisch. Es passte wirklich wunderbar zu Kaiba – zu Kaiba aus seiner Erinnerung – sich als „Gast“ zu bezeichnen nach dem er durch das Fenster eingestiegen war. Wenn er die Augen schließen würde, würde er dann einen Unterschied zu früher merken? Nein, wahrscheinlich nicht. Es würde alles so sein als wäre er nie nach Amerika gegangen, als hätte er nie seiner Heimat den Rücken gekehrt, als hätte er nie seine Freunde im Stich gelassen… und als hätte Kaiba nie seine Firma und seinen Bruder verloren. Dann würde er vielleicht auch einen hitzigen Kommentar diesem Kotzbrocken entgegen schleudern anstatt sich gelassen von der Wand zu lösen, mit einer einladenden Bewegung die Tür zu öffnen und Kaiba zu einem Gästezimmer zu führen.   ***   Kaiba fasste in einer schnellen Bewegung nach seiner Hand und hielt diese mit eisernem Griff fest. Doch er führte sie nicht weg von seiner Wange. Er stoppte ihre Bewegung, ließ Katsuya nicht weiter über dessen Gesicht wandern. Doch er ließ sie an dieser kalten Haut, die langsam seinen Fingern Wärme entzog. Katsuya blickte tief in die Augen seines Gegenübers, versuchte etwas darin zu finden, doch er stieß nur auf das Nichts. Er spürte Stiche, die einer nach dem anderen sich in sein Herz bohrten. Er legte auch die zweite Hand auf das Gesicht Setos, auf die andere Wange, und ließ sie dort. Diesmal folgte darauf kein weiterer Haltegriff. Er fühlte einen Klos in seinem Hals und ein unbestimmtes Gefühl sich immer mehr seinen Augen nähern. In diesem Moment – wo er die Kälte von Setos Haut unter seinen Fingern spürte und in diese so veränderten, nichtssagende Seelenspiegel blickte – merkte er endlich wie sehr ihm sein altes Leben fehlte. Wie sehr er die heiteren Freuden seiner früheren Tage vermisste. Ja, es war ein Leben voller Schwierigkeiten, voller Gosse und Schmerzen gewesen. Er wurde oft nicht besser als ein Straßenhund behandelt. Doch trotzdem hatte er so viel Spaß tagtäglich gehabt. Hatte sich über vollkommen belanglose Dinge aufgeregt. Hatte sich nie ernsthaft einen Plan für die Zukunft zurechtgelegt, außer allgemeinen Floskeln. Er hatte Freunde, mit denen er viel erlebt und viel gelacht hatte und die ihn nie im Stich ließen. Er musste sich nicht einsam fühlen. Und er hatte nach Herzenslust geflucht, wenn es ihm dreckig erging. Oft hörte ihm sogar jemand zu, den es interessierte. Er spürte wie sich ein Arm um ihn legte und ihn näher an Seto zog. Suchte der andere auch nach dieser so fern erscheinenden Zeit? Bestimmt. Sie standen in einem Gästezimmer, in das Katsuya sie geführt hatten. Wie gefordert das beste Zimmer, das diese Villa zu bieten hatte. Die Tür stand noch offen, doch das kümmerte sie nicht. Wer würde um diese Uhrzeit hier schon vorbei wandern? Katsuya senkte seinen Blick. Seine Hand wurde nicht mehr gehalten. Stattdessen legte sich ein zweiter Arm um ihn und kalte Finger strichen über seinen Rücken, die er trotz des Stoffes seines Pullovers spürte. Der Blonde senkte seine Hände und legte sie auf den Schultern Setos ab. Seine Stirn berührte den Hals des anderen. So standen sie da. Eine ganze Weile, in der Katsuya auf den Atem Setos hörte und die Berührung genoss. Sanft prasselten die Erinnerungen an warme Tage auf ihn ein.   ***   Es war ein sonniger Morgen Mitte Mai, an dem Katsuya Wood und Seto Kaiba, zuwider ihrer Natur und der alten Rivalität, friedlich zusammen frühstückten. Ein junges Mädchen Namens Lara schenkte ihnen jeweils eine Tasse Kaffee ein. Jeder von ihnen war damit beschäftigt schweigsam eine Zeitung zu lesen – beide jeweils die Börsenseite zwei verschiedener Zeitungen. Ihre Konkurrenzfirma stieg immer noch ab, stellte Katsuya automatisch fest, obwohl seine Gedanken auf verräterische Weise immer wieder zu dem Mann am anderen Ende des Tisches zurückkehrten anstatt sich auf die gedruckten Informationen zu konzentrieren. Im Moment wirkte dieser wie ein souveräner Geschäftsmann – weder Haltung noch Ausstrahlung glichen dem Seto Kaiba, den er bisher kennengelernt hatte. Oder sollte er eher sagen den beiden Seto Kaibas, die er bis jetzt kannte? Der Mann, der gestern durch das Fenster einbrach, war ebenfalls ganz anders als der Jugendliche in seiner Erinnerung gewesen. Er hatte das Bedürfnis etwas zu sagen, mit ihm zu reden – doch er wusste einfach nicht was. Ihn nach seinem weiteren Vorgehen zu fragen schien in diesem Moment zu unpassend. Über Geschäftliches zu oberflächlich und über das Wetter zu banal. Blieb noch „Duel Monsters“ – doch das war dann ein doch etwas schmerzliches Thema für ihn selbst, vor allem im Zusammenhang mit Kaiba, den er nie besiegt hatte. Außerdem wusste er nicht, ob der andere überhaupt noch spielte. Er vermutete eher nicht. Doch bevor er frustriert aufgeben und das erste was ihm in den Sinn kam sagen konnte, ging die Tür auf. Es trat ein noch nicht ganz wacher Mokuba mit verwuschelten Haaren ein. Er war im Begriff etwas zu sagen, doch die Worte blieben unausgesprochen bei dem Anblick, der sich ihm bot. Bei dem Anblick seines Bruders. „Seto!“ – es war ein lauter und sehr freudiger Aufschrei. Das breite Grinsen auf dem Gesicht dieses Teenagers, der dabei war erwachsen zu werden, erinnerte stark an das frühere Kind, welches seinen Bruder liebte. „Du bist…gekommen.“ Doch die Euphorie verschwand schnell aus dem Gesicht und auch der Stimme Mokubas. Katsuya konnte es gut nachvollziehen. Hier saß der lang ersehnte Bruder nun und trank in aller Ruhe seinen morgendlichen Kaffee mit einer Zeitung in der Hand. Nichts in ihm zeigte auch nur eine Spur von Anstrengung, die er gehabt hatte um hier anzugelangen. Keinerlei überschwängliche Emotionen, nicht einmal ein Aufstehen. Doch wenn es so einfach war wie Kaibas Haltung es zeigte, wieso war er dann nicht früher gekommen? Oder war er ihm einfach nicht mehr wichtig? Diese Frage stand Mokuba förmlich ins Gesicht geschrieben. Doch es war als würde sein Bruder dies alles einfach ignorieren. Als würde er auch die Zeit ignorieren, in der er Mokuba nicht gesehen hatte. „Hallo, Mokuba, setz dich. Habe ich dir nicht oft genug gesagt, du sollst dich ordentlich fertig machen bevor du zum Frühstück kommst?“ Für einen Moment hatte Katsuya das starke Bedürfnis seine Tasse nach dem brünetten Kopf zu werfen und hatte nur mit äußerster Willenskraft widerstanden. Doch dann sah er das Lächeln, das sich auf Kaibas Lippen legte. Ein sanftes und liebevolles Lächeln. Mokuba sah es auch und die Bitterkeit in seinem Blick verschwand. Stattdessen drehte er den Kopf zur Seite und schlenderte zum Tisch, an den er sich setzte und einen Teller zu sich zog. „Ich komme zum Frühstück wie ich will. Ich bin alt genug“, murmelte er. Man konnte die gemischten Gefühle, die nun Mokubas innere Welt beherrschten genau an seiner Haltung, seinem Gesicht und seiner Stimme ablesen wie aus einem Buch. Bei diesem Anblick musste Katsuya schmunzeln. Es erinnerte ihn an seine eigene Unbeholfenheit manche Gefühle zu zeigen und auszudrücken. Sein Blick traf auf den von Kaiba Senior. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass in diesem Moment eine Entscheidung gefällt wurde. Es war ein leises Flüstern in seinem Kopf, das ihm die Zukunft verraten wollte und noch zu leise dafür war. Ähnlich wie bei der Vorahnung über die Ankunft Kaibas.   Er war herausgegangen um den beiden Brüdern etwas Zeit zu zweit zu geben. Mokuba hatte zwar offensichtliche Schwierigkeiten sich zu sammeln und diese äußerst überraschende Situation in den Griff zu bekommen, doch Katsuya war sich sicher, dass er es noch schaffen würde. Vielleicht würde er nicht darüber reden können, wie er sich die letzten Monate gefühlt hatte, sogar ganz bestimmt nicht, aber er würde zumindest wieder mit seinem Bruder lachen können wie früher. Er war überzeugt davon. Also setzte er sich an den Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer und fing mit dem Beantworten der Mails an, von denen sich schon einige über die letzten zwei Tage angesammelt hatten. Nach einer Stunde, in der die Anzahl der Mails nicht wesentlich kleiner wurde, versetzte er seinen Laptop seufzend in den Standby Modus. Da die Kaiba-Brüder anscheinend immer noch im Esszimmer verweilten, entschied er sich ohne eine Verabschiedung ins Büro zu fahren. Es warteten noch einige Dinge auf ihn. Halleluja! War Arbeit nicht was schönes?   ***   Seto stand in Katsuyas Büro an einem Fenster. Er schien zu überlegen und Katsuya wollte sich nicht in den Gedankenprozess dieses Mannes einmischen. Er verrichtete einfach leise vor sich hin die Papierarbeit, mit der er täglich zu kämpfen hatte. Wozu hatte er eigentlich eine Sekretärin und ganze Abteilungen für Papierkram? Immer wieder seufzend vertiefte er sich in Berichte der letzten Woche. Er hatte die Anwesenheit seines früheren Rivalen ganz vergessen, doch nach einiger Zeit mischte sich in die geschäftlichen Gedanken völlig unangekündigt die Erinnerung an die gestrige Nacht. Sie hatten mindestens eine ganze halbe Stunde in der Umarmung verharrt eher er gute Nacht gewünscht hatte und gegangen war. Er hatte nicht die geringste Ahnung was für eine Bedeutung es hatte und er war sich nicht sicher ob es überhaupt eine Rolle spielte. Er hatte unerwarteten Halt gefunden wo er ihn überhaupt nicht erwartet hatte. Zumindest nicht in der Form. Doch viel wichtiger als das war die Frage wie es weiter gehen würde und diese konnte er immerhin stellen. „Was hast du jetzt vor?“ Angesprochener drehte seinen Kopf zu dem Blonden und Sonnenstrahlen spiegelten sich in den blauen Augen, so dass sie bei seiner Antwort glänzten. „Meine Firma zurückholen natürlich.“ Kaibas Stimme klang dabei so selbstverständlich und sicher, dass Katsuya für keinen Augenblick daran zweifelte, dass er es auch schaffen würde. „Also, ich lasse Mokuba dann in deiner Obhut.“ „Ja…“ Moment. In seiner Obhut? Er nahm ihn nicht wieder zu sich? „Wie, du lässt ihn bei mir?“, hackte er ungläubig nach. „Ihr habt sogar schon eine Schule ausgesucht. Ich denke, er wird sich hier schnell einleben. Er ist ein sehr heiterer Junge.“ Fassungslos nickte Katsuya einfach. „Ich werde mich dann auf den Weg machen.“ Seto Kaiba stieß sich vom Fenster ab und verließ mit zielstrebigen Schritten das Zimmer. Zurück blieb ein äußerst irritierter und schockierter Katsuya zurück. Moment… Mokuba war sein Pflegekind und nun wurde offiziell beschlossen, dass er auf längere (unbefristete) Zeit bei ihm bleiben würde. Er wurde gerade ganz klar zum… Pflegevater?! Es dauerte eine Weile, in der er reglos an seinem Schreibtisch gesessen und seine Gedanken geordnet hatte. Der Schock saß tief und ließ nur langsam von ihm ab. Es dauerte bis ihm endlich dämmerte was für eine Verantwortung er auf sich geladen hatte. Er war selbst noch sehr jung – gerade erst aus dem Teenie-Alter raus. Er war bei einem Mann aufgewachsen, der nicht gerade als gutes Vorbild, wenn man ein Vater sein wollte, diente. Er hatte keinerlei Erfahrung damit wie man mit verletzten und verlassenen Jugendlichen umzugehen hatte. Er hätte zu seiner Straßenzeit nicht einmal sagen können, wie man am besten mit ihm selbst umzugehen hatte. Und dass Mokuba nicht ein „heiterer Junge“ – wie es Kaiba formuliert hatte – sein würde, wenn er die Nachricht über das erneute Verschwinden seines Bruders hörte, war offensichtlich. Katsuya war sich aus irgendeinem Grund ziemlich sicher, dass Mokuba es noch nicht wusste. All diese Gedanken waren Katsuya durch den Kopf gegangen und einige hatten ihn für lange Momente erschreckt. Doch letztendlich wurde ihm bewusst, dass er keine Vaterfigur zu spielen brauchte – er war keine. Er würde einfach versuchen Mokuba ein Zuhause zu geben und ihm die Möglichkeit geben immer zu ihm zu kommen. Er war Katsuya – so wie er auch früher, als sie vor so vielen Jahren gemeinsam Dinge erlebten, Katsuya war. Er handelte und gab nie auf.   ***   Er strahlte zwar nicht über das ganze Gesicht, doch von ihm ging eindeutig eine sehr entspannte und zufriedene Aura aus. Sein Gesicht zeigte zwar kein breites Grinsen, wie Katsuya irgendwo in hinteren Winkeln seines Bewusstseins erwartete hatte, doch er war friedlich und zeigte keinerlei Bitterkeit oder Bestürzung. Der beste Beweis dafür, dass er es noch nicht wusste. Innerlich seufzte der Blonde tief und schrie einen imaginären Seto Kaiba an. „Wie war es mit deinem Bruder? Geht es dir jetzt besser?“ Er sah wie sich eine kleine Röte auf das Gesicht des Schwarzhaarigen legte, während er den Kopf zur Seite drehte. „Ja… ich denke schon. Es war…schön.“ Mokuba starrte weiterhin die Wand an, als ob ihm die Aussage peinlich wäre. „Das ist gut. Aber ich befürchte ich habe keine gute Nachricht für dich…“ Misstrauisch sah Mokuba wieder auf. Ein Schatten von Angst huschte für nur Bruchteile einer Sekunde über sein Gesicht, doch Katsuya entging es nicht. Verletzungen hinterlassen Eindrücke und Wunden – manchmal auch Narben, nicht wahr? „Seto Kaiba ist wieder abgereist. Seine Firma zurückerobern. Du wirst für eine Weile hier bleiben müssen.“ Vielleich für eine sehr lange Weile, fügte er gedanklich hinzu. Eine sehr langsam voranschreitende Minute lang erwiderte der Kleine nichts. Starrte ausdruckslos auf Katsuya. Dann legten sich Wut und Enttäuschung sehr offen auf sein Gesicht. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Dieser… Dieser…“ Ohne den Satz zu beenden stürmte Mokuba raus und er hörte das Zuschlagen einer Tür. Mistkerl. Das war das treffende Wort. Dieser Mistkerl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)