Liebe führt, wie zu erwarten, zu Dummheiten von Lyndis ================================================================================ Kapitel 4: Vorsichtiges Misstrauen ---------------------------------- "Kai?", es hatte eine gefühlte Ewigkeit gedauert bis Rei sich so stark zusammengerissen hatte, dass er wenigstens den Namen des Jungen rufen konnte, der da verletzt vor ihm in einer Gasse lag. Aber er reagierte nicht. Warum nicht? Er war doch bei Bewusstsein, warum reagierte er nicht? Sorgenvoll und auch mit einer gewissen Angst, trat er auf Kai zu. Ihm war nicht wohl dabei. Er kniete sich vor ihn, rüttelte leicht an seinen Schultern, doch er reagierte noch immer nicht. "Hey", hauchte er, während die Angst um seinen Bekannten immer weiter stieg. Was war nur passiert? "So kann ich dich nicht in Sicherheit bringen... du musst mir schon ein wenig helfen." Kurz spielte Rei mit dem Gedanken den Krankenwagen zu rufen, aber er hatte das Gefühl Kai damit nur mehr Probleme zu machen statt ihm zu helfen. Es sah nicht so aus als bräuchte er ärztliche Unterstützung, zumindest nicht für die körperlichen Belange. Als Kai immer noch nicht reagierte, war Rei wirklich kurz davor zu verzweifeln. Was sollte er denn jetzt machen? Vielleicht, wenn er seine Kraft richtig einsetzte könnte es klappen, einen Versuch war es zumindest wert. Eine gute Viertelstunde später hatte er es endlich geschafft Kai hoch zu hieven, der sogar halbwegs selbstständig jetzt stand. Wenigstens stand er nicht komplett neben sich, auch wenn der Ausdruck in seinen Augen immer noch kein Stück lebhafter war. So schleppten sie sich die nun endlos erscheinenden Meter bis zu der Wohnung, in der Rei derzeit lebte. Glücklicherweise war in dem Haus ein Aufzug vorhanden. Dennoch brauchten sie insgesamt eine Ewigkeit, bis er den Verletzten endlich auf sein Bett ablegen konnte. Teilnahmslos ließ Kai alles mit sich geschehen und Rei hoffte, dass er sich nach einer Mütze Schlaf wieder erholen würde. Nachdem er die Decke über ihm ausgebreitet hatte, seufzte er noch einmal: "Was ist nur mit dir passiert?" Dann verließ er den Raum, in der Hoffnung, dass Kai wenigstens etwas seine Ruhe finden konnte. Wie immer war sonst niemand im Haus, doch ausnahmsweise war die Stille wirklich bedrückend. So beschloss er kurz eine CD in die kleine Anlage einzulegen und sich mit einem Buch aufs Sofa verziehen. Zum Glück war morgen keine Schule, denn er ahnte, dass er kein Auge zumachen würde diese Nacht. Begleitet von leisen, typisch chinesischen Klängen, vertiefte er sich schließlich in das Buch, dabei immer in die sonstige Stille lauschend um ja nicht zu verpassen, wenn Kai erwachte. Hätte er gewusst, wie schwer der junge Russe zu überhören war, hätte Rei sich vielleicht dazu hinreißen lassen zu schlafen. So schreckte er nur vollkommen übermüdet aus den Tiefen des nun schon dritten Buchs, als plötzlich die Tür seines Schlafzimmers aufflog und sein Patient eiligen Schrittes versuchte die Flucht zu ergreifen. "Kai!", stieß Rei erschreckt aus und sprang sofort von dem Sofa. Aber Kai reagierte nicht einmal. Etwas ziellos versuchte er die Ausgangstür zu finden. Da ihm das aber nicht gelang, war es für den jungen Chinesen ein leichtes ihn endlich am Arm zu erwischen und zurück zu halten. "Kai! Jetzt beruhig dich doch endlich! Du kannst nicht weg, du musst dich ausruhen!" Wie zur Salzsäule erstarrt stand Kai einfach da und Rei musste mit Erschrecken feststellen, dass er leicht zitterte. "Hey, Kai", fuhr er deshalb mit wesentlich sanfterer Stimme fort. "Du brauchst keine Angst haben, du bist hier bei mir. Ich bin's, Rei. Ich tu dir schon nichts." Das schien den anderen endlich zu erreichen, denn er entspannte sich. Etwas zu sehr wie ihm schien, denn dem Russen brachen die Beine weg. Nur weil Rei schon da war, konnte er ihn gerade noch davon abhalten zu Boden zu sinken. "Was ist denn passiert?", fragte Rei nachdem er seinen Patienten auf die Couch gesetzt und ihm eine Tasse Kaffee zugeschoben hat. Der Junge sah furchtbar aus. Seine Augen waren gerötet, die Haut darum herum blau, ansonsten war die Haut aschfahl und teilweise übel geschwollen. Der Körperhaltung nach zu urteilen hatte er noch immer Schmerzen, weshalb er ihm auch eigentlich Tabletten geben wollte, aber Kai hatte abgelehnt. "Nichts besonderes.", murmelte Kai in seine Kaffeetasse und zuckte leicht mit den Schultern. "Hab mich geprügelt." "Und verloren?" Das leichte Schmunzeln auf dem Gesicht seines Gegenübers verriet ihm, dass dem wohl nicht so war. Eine Antwort bekam er aber nicht. "Warum hast du dich geprügelt? Hat dich jemand angegriffen?" Plötzlich entkam ein Lachen dem anderen, dass Rei zusammenzucken ließ. Es war freudlos, vollkommen kalt und absolut fehl am Platz. Dunkle, stechende Augen, sahen ihn an: "Bist du einer von den Naivlingen die glauben, dass ich mich nur schlage um mich zu wehren?" Nein, ehrlich gesagt kam ihm Kai schon lange nicht mehr vor, wie der missverstandene Junge, den er anfangs in ihm vermutet hatte. Dennoch konnte er sich nicht vorstellen, dass er Spaß daran hatte oder so was. "Nein", antwortete er deshalb wahrheitsgemäß, "aber ich bin sicher, du machst so was nicht einfach so." Durchdringend sah Rei sein Gegenüber an, was diesen dazu brachte den Blick wieder auf die braune Flüssigkeit in seinen Händen zu wenden. Volltreffer! "Was weißt du schon.", kam es nur gegrummelt zurück. Kai wirkte so unglaublich verloren in diesem Moment, dass es Rei weh tat. Und der Vorwurf in der Stimme von ihm, schürte nur das schlechte Gefühl, was er die ganze Zeit schon hatte. "Es tut mir leid", platzte es plötzlich aus Rei heraus, ohne, dass er es kontrollieren konnte. Kai reagierte kaum, was ihn doch sehr verwunderte und irgendwie auch ärgerte. Jetzt rang er sich schon durch den ersten Schritt zu machen und dann wurde er auch noch ignoriert? Langsam reichte es ihm wirklich! Er konnte mit vielem umgehen, aber ganz sicher nicht mit Undankbarkeit! "Hör mal", begann er mit tiefer, gezwungen ruhiger Stimme, doch er kam nicht weiter. "Ich weiß." Diese zwei Worte reichten aus, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, der gerade angefangen hatte ein Sturm zu werden. Was war nur mit diesem Kerl? "Was weißt du?" Er hatte eine gewisse Verwirrung nicht unterdrücken können. "Ich weiß, was du jetzt sagen willst." Er verstand immer noch nicht ganz. "Es ist in Ordnung.", setzte der Russe dann fort. "Ich verstehe das." Er pausierte kurz wieder. "Ich würde es mit mir selbst auch nicht aushalten." Wumm. Das schlug erst einmal ein und Rei wusste nicht genau, was er sagen sollte. Einerseits empfand er unbändige Wut über so einen Schwachsinn und andererseits Mitleid. Er konnte sich nicht recht entscheiden was er nun tun sollte. Sein erster Instinkt war, den anderen anzuschreien und ihm vorzuwerfen, wie undankbar er denn sei, schließlich hatte er ihn sogar von der Straße aufgelesen und hier aufgenommen. Aber das war nicht seine Art. Er hatte ein ziemlich heißblütiges Temperament, aber er trat nicht auf geschlagene Hunde ein. Straßenköter... dieser Ausdruck kam ihm ungewollt wieder in den Sinn. Ja, vielleicht war Kai das tatsächlich, ein reudiger Straßenköter der um sich biss, weil er Angst vor allem und jedem hatte. Vielleicht war das des Rätsels Lösung auf die Frage, was an dem anderen so interessant war. Er hatte zu einem verletzten, verwahrlosten Tier noch nie nein sagen können. Innerlich seufzte Rei als er aufstand und seine eigene, bereits leere Tasse aufnahm und in Richtung der Küche ging. "Denk was du willst." Das war die beste Antwort die ihm einfiel. Manchmal war Teilnahmslosigkeit das beste, was man einem anderen Menschen entgegenbringen konnte. Wäre er auf die Provokation eingegangen, egal in welche Richtung, hätte das nur wieder fehlinterpretiert werden können. Er würde sich nicht weg beißen lassen, aber der andere musste selbst merken, dass es durchaus auch Menschen gab, die einfach nur hilfsbereit waren, auch ohne etwas zu erwarten. "Du solltest was essen, auf was hast du Lust?" Er bekam keine Antwort, hörte aber, wie Kai aufstand und zu ihm in die Küche kam. Ein kurzer Blick verriet ihm, dass er mit vorsichtigem Misstrauen in den Augen im Türrahmen lehnte. "Warum tust du das?" Rei fragte sich was dem anderen passiert war, dass es ihm derart schwer fiel einfach mal Hilfe anzunehmen. Aber er bekam nichts weiter als ein Schulterzucken von ihm: "Weil ich es will." Natürlich war das keine zufriedenstellende Antwort, aber was hätte er auch sonst sagen sollen? Es gab keinen schlichtweg keinen anderen Grund. "Hm." Rei wandte sich daraufhin dem Herd zu und begann einfach etwas typisch japanisches zuzubereiten. Er kannte sich mit russischem Essen leider nicht aus, sonst hätte er seinem Besucher etwas aus seinem Heimatland zubereitet. "Meine Eltern waren da... am Samstag meine ich." Begann er dann. Nicht, um sich zu rechtfertigen oder sich noch einmal dafür zu entschuldigen. Nein, einfach nur, weil er wollte, dass Kai wusste was los war. "Du weißt, dass meine Eltern nicht oft da sind und ich wollte es genießen, dass sie es ausnahmsweise mal sind und das auch noch am Wochenende. Ich hab kurz an dich gedacht, wusste aber nicht, wie ich dir Bescheid geben soll." Schließlich hatte er keinerlei Kontaktdaten. Kai kam zu ihm, sah ihm kurz über die Schultern und schnappte sich danach ein Messer um das bereitgelegte Gemüse zu putzen und zu zerkleinern, als wüsste er genau, was Rei vor hatte. "Du hast mir gegenüber keinerlei Verpflichtungen.", tat der Russe das Thema ab. "Ich weiß." So kochten die beiden in stummer Eintracht zusammen und Rei musste gestehen, dass es wirklich gut tat, mal wieder nicht allein zu sein. Manchmal war er so sehr damit beschäftigt anderen aus dem Weg zu gehen, dass er vergaß, dass auch er ab und zu Gesellschaft brauchte. Und Kai war wirklich eine ausgesprochen angenehme Gesellschaft, wenn auch nicht unkompliziert zu handhaben. Dennoch schienen es teilweise ähnliche Regeln wie bei einem traumatisierten Tier zu sein. Beispielsweise das Verhalten kurz zuvor: Verhielt man sich ganz normal, als wäre es nichts besonderes, dass das Tier da war und schenkte man ihm vor allem keine besondere Aufmerksamkeit, verlor es irgendwann seine Scheu und machte den ersten Schritt. Es war genauso wie damals im Park gewesen, als Kai plötzlich bei ihm gewesen war. Er hatte den ersten Schritt gemacht und das schien im Umgang mit ihm wichtig zu sein. Jetzt hatte er ihn wieder ganz normal behandelt, ihn nicht weiter beachtet und er hatte ihm sogar beim Kochen geholfen. Nebenbei war zu erwähnen, dass Rei wirklich erstaunt darüber war, dass Kai kochen konnte. Irgendwie hatte er dem das nicht zugetraut, ganz zu schweigen davon, dass er nicht erwartet hatte, dass der ihm helfen würde. Kais Kochkünste stellten sich im Nachhinein auch als eher begrenzt heraus, was Rei bemerkte, als der Andere sich in den Finger schnitt. Doch er selbst reagierte darauf nicht weiter, außer kurz Pflaster aus einer Schublade zu fischen und ihm zu geben. Er war sich sicher, dass das die richtige Entscheidung war, wollte er den Stolz des anderen doch nicht verletzen und ihn ob seines Missgeschicks belächeln. Das passierte Anfängern und auch fortgeschrittenen Köchen eben ab und an, nichts Besonderes also. Und so machten sie kurz danach auch einfach weiter. Als sie dann stumm beim Essen saßen, überlegte Rei fieberhaft, wie er ein Gespräch beginnen könnte. Bisher hatte es immer hervorragend funktioniert Kai ein wenig zu provozieren, aber ihm fiel es schwer ständig irgendwelche Dinge aus der Luft zu greifen, die den anderen anspornten, aber nicht verschreckten. Nach einer Weile hatte er aber einen Ansatzpunkt gefunden: "Es gibt da was, was ich dich schon eine ganze Weile fragen wollte.", begann er absichtlich etwas ungenau und sah erstaunt, wie die Stäbchen in der Hand seines Gesprächspartner zum Stillstand kamen und sogar leicht zu zittern begannen. Was erwartete der denn, was er fragen würde? Egal... das musste er jetzt ignorieren. "Ist die Augenfarbe eigentlich echt?" Jene Farbe konnte er jetzt wieder einmal genau betrachten. Fast geschockt, aber eher erstaunt, lag der Blick Kais plötzlich auf ihm. Es waren nur ein paar Sekunden, ehe er sich wieder verschloss und das Feuer wieder kalt und stumpf wurde. "Pigmentstörung.", war das einzige, was er als Antwort bekam, aber immerhin bekam er eine. Das erklärte wohl auch die enorm blasse Haut und die grauen Haare. "Mich würde ja brennend interessieren, was du dachtest, dass ich dich frage." Er stichelte absichtlich etwas, doch Kai wandte nur seinen Blick wieder ab und dem Essen zu. Seine ganze Körperhaltung stand auf Abwehr, als würde er vermuten, jeden Moment angegriffen zu werden. Dieser Junge war so unglaublich kaputt. Dennoch wirkte er zu keinem Moment traurig oder einsam. Nur eben verschlossen. Seine Körperhaltung drückte selbst jetzt, wo er eindeutig Schmerzen hatte, noch Stolz und Selbstsicherheit aus. Nur der fehlende Augenkontakt zeigte die eigentliche Verunsicherung und Rei vermutete, dass Kai derzeit einfach nicht die Kraft aufbringen konnte, auch noch dieses Merkmal zu verbergen. "Das was sie alle fragen.", kam dann doch noch die eiskalte Antwort, mit der der Asiate gar nicht mehr gerechnet hatte. Von einer neuen Welle der Neugierde gepackt, versuchte er nachzuhaken: "Was fragen sie denn?" Eigentlich konnte er es sich schon denken. Er kannte die Gerüchte um den ominösen Jungen vor ihm sehr gut. Da gab es eine Menge unangenehme Fragen, die gestellt werden könnten, aber Rei interessierte sich für die Fragen, die der andere als derart störend empfand. "Hm." Mehr kam nicht mehr, verdammt. Kurz stocherte er in seinem Essen herum, bis er sich traute, die Worte auszusprechen, die ihm schon sehr lange im Kopf herum spukten: "Du musst ganz schön einsam sein." Wieder blieb das Esswerkzeug des anderen mitten in der Luft hängen, aber wenigstens zitterte er diesmal nicht. "Ich meine.. es muss doch schlimm sein, wenn man mit niemandem über das reden kann, was einen bedrückt, oder?" Er schien damit ins schwarze getroffen zu haben, denn Kai ließ die Stäbchen jetzt langsam sinken und schien zu versuchen, diese Situation einfach tot zu schweigen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Warum sagte Rei so etwas? Warum konnte er es nicht einfach dabei belassen? War es nicht schon schlimm genug, dass er wie ein geschlagenes Tier hier saß und alle Mühe hatte, nicht zusammen zu klappen? Die Idioten gestern Nacht hatten ihn ziemlich übel erwischt, auch wenn er es schließlich gewesen war, der sie in die Flucht geschlagen hatte, bevor ärgeres geschehen war. Aber ehrlich gesagt hätte er sich jetzt gerade lieber noch einmal geprügelt, als dieses Gespräch weiter mit zu machen. Konnte er nicht einfach die Klappe halten und essen? Stattdessen spürte er, wie die Augen des anderen auf ihm ruhten, ihn neugierig hoffend anstarrten und wohl nicht locker lassen würden, bis er nachgab. Aber er wollte nicht. Wollte auf diese verdammte Frage nicht Antworten. Was wusste er denn schon! Was wusste denn überhaupt jemand!? Nichts wussten sie! Und sie sollten ihn einfach in Ruhe lassen! "Wir sind doch Freunde, Kai, oder?" Sein Herz krampfte sich bei diesen Worten schmerzhaft zusammen. Wollte dieses Schlitzauge sich etwa über ihn lustig machen? Reichte das alles denn nicht schon? War es noch nicht demütigend genug? Würde er jetzt auch anfangen wie all die anderen? Sich über ihn lustig machen? Eigentlich traute er ihm das ja nicht wirklich zu. Nicht ihm... nicht diesem sanften Wesen. Dennoch war er misstrauisch. Diese ganze Situation machte ihn misstrauisch. Warum sollte es mit ihm anders sein, als mit irgendwem anderes? Kai schloss kurz die Augen um eine Panikattacke zu unterdrücken. Er fühlte bereits jetzt die Schwere die sich auf seine Brust legte, ja, schon den ganzen morgen versuchte, ihn niederzudrücken. Als er erwacht war, hatte sie ihn innerhalb von Sekunden fest im Griff gehabt. Er hasste es in unbekannten Umgebungen aufzuwachen, die Fluchtwege nicht zu kennen und keine Kontrolle mehr über die Situation zu haben. Wut über die eigene Angst hatte sich mit eben jeder Panik vermischt und er hatte nur blindlings versucht, aus diesem Käfig wieder auszubrechen. Nur die besorgte und gleichsam sanfte Stimme von Rei hatte ihn wieder zurück in die Wirklichkeit geholt und ihn sich beruhigen lassen. Er hätte einfach gehen sollen, denn das hier war schlimmer als allein zu sein. Er fühlte sich so unsagbar schwach und schutzlos. In diesem Zustand wollte er keine Gespräche führen. Vor allem nicht solche. Egal was er jetzt antwortete, es wäre immer falsch. Würde er 'Nein' antworten, würde er den anderen verletzen, würde er 'Ja' antworten, würde er dem anderen offene Angriffsfläche bieten und er war heute nicht wirklich dazu im Stande sich zu verteidigen. Es blieb ihm eigentlich keine andere Wahl, als nicht zu antworten und das tat er auch, indem er kalt sagte: "Denk was du willst." Damit sollte das Thema vorerst erledigt und der andere dermaßen beleidigt sein, dass er erst mal seine Ruhe hätte. Aber als er den Blick kühl hob um sich eine Schimpftirade gefallen zu lassen, blickte er nur verwundert in sanfte, zufriedene Augen. Dieser Typ war einfach unmöglich und das meinte er so wie er es sagte und nicht, wie es die meisten Menschen verwendete. Er war unmöglich! Einen Menschen wie ihn gab es einfach nicht! Wie konnte er nur so ruhig sein? Den ganze Morgen und Vormittag versuchte er schon ihn zu vergraulen, doch er ließ es einfach nicht zu! Alles was er ihm an den Kopf warf, nahm er einfach so hin. Unmöglich! Und er nahm es nicht einfach nur hin, nein, er war auch noch freundlicher zu ihm, als es seit ewig langer Zeit jemand zu ihm gewesen war. Unmöglich! Spontan erinnerte sich Kai an das Erlebte von eben, beim Gemüseschneiden. Er war tatsächlich nicht besonders geübt darin zu kochen oder andere Hausarbeiten zu erledigen, aber er wollte sich von seinem Gastgeber nicht einfach bedienen lassen. Er wollte ihm nichts schuldig sein, auch wenn ihm bewusst war, dass er die Schulden die er bei ihm hatte, damit nicht einmal im Ansatz abtragen konnte. Dennoch sollte ihm keiner vorwerfen faul zu sein. So hatte er ihm geholfen oder eher helfen wollen. Es gestaltete sich mehr schlecht als recht und er hatte schon das Gefühl, ständig den tadelnden Blick von Rei auf sich zu spüren, empfand seine Belustigung über seine Unfähigkeit als nahezu greifbar und als er sich dann auch noch geschnitten hatte, rechnete er felsenfest mit einem Lachanfall oder einem spitzen Kommentar oder sogar noch schlimmerem, aber es blieb alles aus. Nicht einmal Besorgnis oder Mitleid zeigte er ihm gegenüber, sondern gab ihm einfach die Pflaster, als wäre es das normalste auf der Welt. Als wäre es ganz normal zu versagen. Als wäre es ganz normal einfach so normal zu sein wie jeder andere auch. Ihm war bewusst geworden, dass die negativen Gefühle die er vorher geglaubt hatte spüren zu können, nur Einbildung und eine Projektion seiner eigenen Ansprüche gewesen war, nichts davon kam auch nur im Ansatz von Rei. Unmöglich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)