Sammelsarium von pandine (Ein Bild sagt mehr als tausend Worte) ================================================================================ Kapitel 1: Firnament -------------------- Kalte Luft erfüllte die nächtlichen Straßen der Stadt. Autos huschten von einem Fleck zum Anderem, Menschen drängten sich trotz später Stunde durch die Gassen und Winkeln. Lichter fluteten den Schnee, welcher zu Matsch verschwunden war. Nur auf den höchsten Dächern herrschte die Neuschneepracht für eine längere Dauer als die von wenigen Sekunden. In dieser lärmenden Masse war auch das schwarze Auto nichts Besonderes. Es gab viele dieser Art, man könnte meinen, es wäre ein neuer Hype. Elegant geschwungen, tiefdunkel lackiert und mit silbernem Allerlei verziert, natürlich nicht für nichts zu haben. Gespiegelte Gläser, in denen man kurz rasch seine Fassade aufbessern könnte. Und innen individuell auf den Kunden zugeschnitten, aber nicht für lau. „Wann sind wir da?“ Die Stimme war im Lärm nicht zu hören. Sie war auch so schon sehr leise, wenn man sie mit dem dröhnenden Bass verglich, der antwortete. „Gleich.“ Der Motor des Wagens brummte sein Brummen im Hintergrund, während sie sich im schleppendem Verkehr der Nachtgeister bewegten. Die Frau auf der Rückbank seufzte resigniert, denn dieses Gleich bedeutete vermutlich Noch ewig. Sie sah aus dem Fenster hinaus. Die Menschen der Stadt waren in so vielen Facetten vorzufinden. Mal geschminkt, mal einfach nur mit leichten Nuancen und dann gab es noch die Bienen, die von einem Termin zum Anderen hetzten. Diejenigen ohne Heim, die, die man schon aufgegeben hatte und jene, die nichts mit ihrem Leben anzufangen wussten. All das erschien ihr wie ein buntes Sammelsarium aus Farben und Formen. Die Stadt war bunt. So bunt, wie sie nur sein konnte. Menschen in allen Farben pilgerten zu ihr, verblieben dort und verschwanden. „Immer noch gleich?“ Ihre Stimme war ein Wispern, aber er hörte es klar und deutlich. „Ja.“ Es war ein nur verständliches Verhalten, bei solch einer Stimme und einem absolutem Gehör seine Stimme nicht hören zu wollen. Sie erklang viel zu laut in seinen Ohren und wollte nicht verschwinden. Sie hallte auf seinem Trommelfell wieder, obwohl die Dauer so kurz, so kurz war. Sie nickte frustriert. Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte, dass noch Zeit war. Wenigstens würde sie nicht zu spät kommen, dachte sie sich. Es wäre ein Jammer gewesen, die Lämmchen warten zu lassen. Ein Glück, dass sie früh genug aufgebrochen waren. Sie erinnerte sich an das Dunkel der Vorstadt, ehe sie in das Herz eingedrungen waren. Dort war es noch still gewesen, stiller als in diesem beinahe gänzlich schalldichten Auto. „Möchtest du einen?“, fragte sie ihn, während sie eine Dose aus ihrer kleinen Handtasche zog, die eine rechteckige, schwarze Form aufwies. Das Leder war hart unter ihren Fingern und glänzte ebenso wie die Lackierung ihrer Nägel. Er nickte. Sie öffnete die Dose mit einem kaum hörbaren Plopp und entnahm ihr einen Keks. Sie schob sich selbst einen mit spitzen Fingern in den Mund, einen anderen legte sie in seine Hand, die er ihr entgegen streckte. Er nickte noch einmal dankend und steckte den Keks in den Mund. Sie kaute kaum hörbar, während er seinen Keks auflöste, um nicht allzu stark zu hören. Eine weitere, kleine Ewigkeit verbrachten sie in Schweigen. Irgendwann wurde es ihr überdrussig, einfach nur hinauszusehen. Sie begann, vorsichtig zu summen. Eine Melodie beflügelte ihre Töne und verwandelten sich in ein Lied. Zu diesem Lied gesellte sich Text und es wurde verständlich. Durch die Aneinanderreihung von Worten bekam es einen Sinn, durch die Stimme eine Seele. Der Fahrer hörte nur zu. Sie traf jeden der Töne, ihr Gesang löste eine gewisse Befriedigung in ihm aus. Sie war wirklich gut geworden. Er erinnerte sich noch an die alten Zeiten, die ihm wie eine Illusion vorkamen, eine Einbildung, wenn man sie mit den heutigen Tagen verglich. Sie waren so anders als damals. So viel anders. „Gefällt es dir?“, fragte sie ihn. Er nickte. Sie lächelte. Sie lehnte sich tiefer in ihren Sitz zurück, während sie das Zentrum verließen und auf einer weniger befahrenen Straße in ein flotteres Tempo wechselten. Die heutige Nacht würde lang werden. „Bist du bereit?“, fragte er sie. Sie nickte. Sie hielten an einer Seitenstraße an, die die Hintergasse der vielen Hotels bildete. Er stöpselte sich seine Ohren mit Ohrstöpsel zu, die wie moderne Funkgeräte aussahen. Sie waren es zum Teil auch, aber viel mehr sollten sie seine empfindlichen Ohren vor übermäßigem Lärm schützen. Nachdem er so präpariert war, stieg er aus dem Auto. Der ferne Lärm störte ihn nun nicht mehr weiter, er öffnete ihr die Hintertür. Sie schälte sich elegant aus dem Wagen, ihre Absatzschuhe glänzten im schwachen Licht einer Straßenlaterne. Sie ging voraus zu der Tür, die in das Hotel führte. Sie wartete darauf, dass er ihr die Tür öffnen würde. Er kam schnell nach und mit einem Klick hatte die Tür sich geöffnet. Er steckte die Karte wieder in sein Jackett. Sie nickte ihm zu und trat dann in das Haus hinein. „Mal sehen, wie lang die Nacht tatsächlich werden wird.“ Kapitel 2: Rose --------------- Die Welt schien grau zu sein. Ein wenig musste ich über diese Einstellung schmunzeln, die doch auch die meine war. Aber sie würden es nicht verstehen, wenn ich versuchte, zu erklären. Diesen bestimmten Menschen zu erklären, was Anderen offentsichtlich war. Die Welt der Farben. Ich erinnerte mich noch an meine erste Begegngung mit etwas, das sich Farbe nannte. Ich war damals durch und durch das geworden, was man als 'erwachsen' bezeichnete. Man sah nur Schwarz und Weiß, war ständig müde und grau. Unheimlich erschöpft fiel man in das Bett, jedenfalls war es immer das, was ich als Kind dachte, was es hieß, erwachsen zu sein. Ein weiteres Schmunzeln glitt über meine Züge. Ich setzte meinen Weg in gemächlichem Schritt fort, ganz anders als all die Menschen um mich herum, die die Farbe in der Eintönigkeit nicht zu sehen vermochten. Ich war immer noch ganz erstaunt über die Entdeckung von etwas, dass ich doch eigentlich so lange schon kannte. Hatte ich es verkannt? Ich wusste es nicht mehr. Ich wusste eigentlich überhaupt nichts mehr, jedenfalls bis zu jenem Zeitpunkt war alles in eine Monochromität gehüllt, die mich heute erschaudern ließ. „Du bist wieder hier.“ Die Rosendame, wie ich sie nannte, lächelte mich verschmitzt an. Ihre Züge verrieten keine Spur der erwachsenen Müdigkeit, sie war voller jugendlicher Frische und Energie. Und erfüllt von kindlicher Farbe. Sie hatte mich wie schon so oft vorher dabei erwischt, wie ich versuchte, auf einer Bank im Rosengarten der Stadt Entspannung zu finden. „Natürlich.“ Ich lächelte schwach. Manchmal ließ mich ihre Gegenwart noch müder werden. „Noch ist es nicht geschafft.“ Mit wahrscheinlich sarkastischer Miene hielt ich das Notizbuch in meiner Hand hoch. Es war über und über bekritzelt in einer Schrift, die wohl außer mir niemand lesen konnte. Sie waren mit bunten Farben markiert, die in ihrer Gesamtheit. Naja. „Aber dass du so etwas“, sie betrachtete die Notizen skeptisch, „hier verfassen kannst, ist mir unerklärlich.“ Dann wurde ihr Lächeln sanfter, weich. „Viel Spaß bei was auch immer du da tust!“, sagte sie dann und verschwand dann in ihrem Schritt, der so leicht und befreit wirkte. Elegant, graziös. Ich atmete erleichtert auf. Oft führte ich mich in ihrer Gegenwart wie ein kleiner Junge auf, ich hoffte, ich war wenigstens etwas natürlich gewesen. Ich lehnte mich in ihrem Rosengarten wieder zurück und versank für eine kurze, entspannende Weile in der Blütenpracht ihrer Liebe. Sie hatte es nicht bemerkt. Jedenfalls wirkte sie nicht so. Ich dachte an die vorige Minute zurück. Meine Hand zitterte, als ich das Büchlein hochgehalten hatte. Sie hatte es nicht bemerkt. Eine laue Welle Trauer schwappte über mich. Ich klatschte mir ins Gesicht. Ich musste weiter arbeiten. Ein Rucken an meiner Schulter. Erschrocken erwachte ich aus meiner Trance und sah mich hektisch um. Es war dunkel geworden, wo war ich? Der süße, schwere Duft von Blüten hing in der Luft. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“ Sie lächelte schwach, im Dämmerlicht konnte ich nur ihren Schemen ausmachen. Sie sah wunderschön aus. „Nicht schlimm“, antwortete ich. Mein Herz klopfte mir immer noch bis zum Hals. „I-ist etwas passiert?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich dachte nur...“ Sie verstummte. Ich bohrte nicht weiter nach, betrachtete sie schweigend. „Es ist nichts.“ Sie schüttelte erneut den Kopf, als würde sie sich eine Wahrheit bewusst machen wollen, die nicht wahr war. „Wirklich?“, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen. Sie sah mich schief von der Seite an. „Entschuldige die dumme Frage, aber wenn du das sagst muss doch...“ Mir blieben die Worte im Hals stecken. Ich kratzte mich verlegen am Hinterkopf, wich ihrem Blick aus. Ich laberte kompletten Unsinn. Ich seufzte, aber es erleichterte mich nicht. „Wie weit bist du gekommen?“ Sie beugte sich näher zu mir heran, sah auf meine Notizen. Ein Stich der Trauer durchzuckte mich, als sie es immer noch nicht bemerkte. „Gut, gut.“ „Ja? Das freut mich.“ Sie lächelte ein wenig mehr. „Ja.“ Mein Mund war seltsamerweise trocken und mein Kopf leer. Wieso merkte sie es einfach nicht? Es brachte mich beinahe zum Verzweifeln. Ich dachte an all die Häme zurück, die ich über mich hatte ergehen lassen musste. All die Worte voller Spitzen und Schärfe, die Wunden hinterließen. Wunden an mir, einem Verliebtem. „I-ich habe“, fuhr ich dann fort, zögerlich, aber nun hatte ich schon angefangen. Ich konnte meinen Redefluss nicht mehr beenden. „Ich habe hier Rot benutzt, um es ein wenig hervorzuheben und es zu unterscheiden und hier das helle Blau, da es die Farbe der Firma ist und...“ Ich redete unheimlich viel und zeigte ihr all die Sachen, die sie scheinbar nicht bemerkte. Alles auf diesem einen Blatt, welches sie selbst zum Vorbild hatte. Dann zeigte sich ein leichter Hauch von Röte auf ihrem Gesicht. Mit staunenden Augen strich sie auf einmal zart über meine Notizen. „Hihi... Jetzt sehe ich es.“ Sie lächelte schief. „Was?“ Ich sah sie fragend an. „Weißt du... Meine Welt ist Grau. Grau, Schwarz, Weiß in all ihren Variationen“, gab sie dann zu. Ich schwieg betroffen. Mein Blick musste ebenso wirken, denn sie winkte abfällig mit der Hand. „Man gewöhnt sich daran. Aber nun sag mir: Das... bin ich, oder?“ Sie sah mich direkt an. Mein Gesicht wurde heiß. „Ähm... J-ja.“ Zum Glück hatte ich nicht gelogen. Ihr Lächeln wurde eine Spur breiter. „Danke, dass du es mir gezeigt hast.“ „Ich muss dir danken.“ „Hmm? Wieso?“ Sie wirkte sichtlich überrascht. „Du hast mir die Farben, all die Farben gezeigt.“ Ich versuchte, so aufrichtig zu klingen wie ich war. Ihre Überraschung verwandelte sich in sanftes Glück, welches wie eine Welle über mich hinweg flutete. „Ich habe zu danken.“ Kapitel 3: similiar ------------------- „Die Welt... Sie war trist. Öde und Grau.“ „Was redest du da? Führst du Selbstgespräche?“, unterbrach mich jemand von hinten. Die Stimme klang harsch und hart, befehlsgewohnt. Ungewöhnlich tief. Unheimlich spottend. „Nein, Herr.“ Wieder ein verächtliches Schnauben. „Herr? In welchem Zeitalter lebst du denn bitte?“ Immer noch so harsch, amüsiert. Abfällig. „In diesem“, antwortete ich ungerührt. „Leider“, fügte ich hinzu. „Bist du ein Staatsfeind?“ Er richtete seine Waffe, voll mit komplizierter, aber einfach zu bedienender Technik, auf mich. Wie kam ich eigentlich auf die Idee, dass es ein Herr war? Es war eine unberechtigte Frage. „Nein, Sir.“ „Sir?“ Ein Brummen. Er war definitiv männlich, aber trotzdem. Wie kam ich drauf? „Wieso starrst du mich eigentlich so an? Los, mitkommen!“ Er ließ mir keine Zeit zu antworten. Ich erhob mich seufzend. „Voll von Flammen gespickt.“ „Was?“ Ich konnte seinen missstrauischen Blick durch seine Gasmaske hindurch spüren. „Bekomme ich auch so eine, wenn ich rausgehe?“, wich ich aus. Mit einem Finger zeigte ich auf seine Maske. Ich klopfte mir den Schmutz von meinem weitgehend unversehrtem Kleid. „Nein“, brummte der mein männlicher Gegenüber missmutig. „Was hast du überhaupt für einen Fummel an?“ „Der ist gerade in Mode gekommen. Gefällt es Ihnen nicht?“ Ich drehte mich einmal im Kreis, sodass die Falten des türkisblauen Kleides flatterten. Der Stoff umschmeichelte meine Beine angenehm. Er sah immer noch skeptisch. „Ich seh nur viel flammbares Material. Was machst du hier, Mädchen?“ „So ein zartes Wesen wie ich kann eben nicht in dieser Ausrüstung herumlaufen, werter Herr!“, beklagte ich mich und appellierte an seinen wahrscheinlich nicht existenten Modegeschmack. „Egal. Los, auf!“, erinnerte er wieder an sein eigentliches Anliegen. Ich seufzte theatralisch, ehe ich mich leichtfüßig von einem Trümmer zum nächstem hüpfend auf den Ausgang zu bewegte. „Hast du noch andere Menschen hier irgendwo gesehen?“ „Mit Wunden übersät.“ „Was?“ „Oh, Pardon.“ Ich hatte seine Frage überhört. „Nein, nur ich. Ich bin die Einzige. Die Einzige“, wiederholte ich andächtig. „Jaja, ist gut. Draußen steht ein Panzer, warte.“ Er überholte mich mit schweren Schritten. „Oh, Sie tragen ja einen Anzug!“, fiel mir auf. Ich folgte ihm dicht, konnte nun seine komische Aufmachung besser erkennen. Der Grund, weshalb ich ihm gehorchte, war klar. Mein Leben war mir dann doch lieber als der Tod. „Ja, und jetzt Klappe!“, schnauzte er mich an, seine Stimme klang unruhig. Beunruhigt. „Stimmt etwas nicht?“, flüsterte ich. „Nein, alles bestens, wenn du endlich deine verdammte Klappe hältst!“ Er schien wirklich wütend. Er drehte seinen Gasmaskenkopf zu mir herum, ich spürte das Funkeln. Das wütende Funkeln. Es lief mir aber nicht kalt den Rücken hinunter. Stattdessen erinnerte ich mich an eine Gestalt. Eine Person. Eine männliche Person. Ich schwieg über meine Erkenntnis. „Okay, sie halten uns den Rücken frei. Nun mach schon! Und wehe du fällst über die Falten der neusten Mode, hast du verstanden?“ Der Herr besaß Humor. Genau wie er. Aber nicht du. „Hallo? Hast du verstanden, möchte ich wissen?“ „Äh“, stotterte ich. Als ich ihn wieder ansah, mein Blick war abgeschweift, sah ich hinter dem Gasmaskenkopf frech braune Haare hervorlugen. „Ja, ja“, beeilte ich mich, zu antworten. „Gut.“ Er ging vor, sein Rücken war immer noch derselbe. Aber war es wirklich der Freiheitsliebende, der sich niemandem unterwerfen wollte? Ich stieß ein bitteres Lachen aus. Auch ich war nicht mehr diejenige, die sie einst war. Das sind wir alle wohl nicht mehr. „Alle, außer du“, flüsterte ich in den Wind hinein. „Hör mal auf, ständig unverständliches Zeug zu murmeln!“, zischte er zu mir. Sein wachsamer Blick glitt über die Trümmern einer einstigen Welt. „Auch sie ist es nicht mehr...“ Ich sah ihm an, dass er mich am liebsten geschlagen hätte. Mir kamen Tränen in die Augen. Er hatte sich geändert. Ich hatte mich geändert. „Was war mit dir?“ „Nun komm endlich!“ Er zerrte mich gewaltsam an meinem Arm zu dem großem Panzer. Er war nicht wie früher in Militärfarben, das war aus der Mode gekommen. Nein, so etwas sollte Weiß sein, Weiß. Weiß war die Farbe des Königs. Deine Farbe. Die Fahrt im Panzer war lang. Ich konnte kaum die Stunden zählen, so unverständlich war mir das Radwerk der Zeit geworden. So unvertraut die Landschaft, die ich nicht sehen konnte. Nur seine Nähe irritierte mich. Ich versuchte nicht mehr, ein Gespräch aufzubauen. Er auch nicht. Es war gut so. Er erkannte mich nicht, aber das war gut so. Ich schwieg in meinen Gedanken, fragte mich still, wo sie mich hinbringen würden. Mich, ein zartes, junges Mädchen. Es war wohl ein Wunder, dass noch niemand über mich hergefallen war. „Sie haben die gewünschte Station erreicht“, ertönte die metallisch klingende Computerstimme des blanken, weißen Panzers. „Station: Dornen.“ Ich kannte diesen Namen. Es war einer seiner Lieblingsplätze gewesen. Und jetzt? Ich fragte mich, ob ich das wissen wollte. Er erhob sich, während alle anderen sitzen blieben. „Aufstehen, du kommst mit mir.“ Ich stand auf, er reichte mir keine Hand. Ich wollte seine Hand auch nicht nehmen. Er führte mich wortlos weiter, weiter zu dem Ort, wo der Königssohn residieren sollte. Ich rief mir Bilder in das Gedächtnis. Bilder, die ich nicht fassen konnte. „Nicht schlapp machen!“, mahnte er mich, nur weil ich stehen geblieben war. Stehen geblieben, weil alles mir schrecklich vertraut vorkam. Ich bekam Kopfschmerzen, furchtbares Ziehen in meiner Hirngegend. „Ja“, keuchte ich und zwang mich, trotz der schier überflutenden Anzahl an Bildern, weiterzugehen. Ich kannte diese Personen auf den Bildern nicht. Ich kannte sie nicht. Ich hatte sie nie gesehen. „So voller... Leid“, presste mein Verstand aus meinem Körper heraus. „Fängst du schon wieder damit an?“ Es klang nun eher genervt als verärgert. „Und... Un...schuld.“ Stimmte das wirklich? Er schwieg. Trafen ihn diese Worte? Ich wusste es nicht. Ich keuchte. Die Bilder in meinem Kopf schienen schier übermächtig die Oberhand zu bekommen, Realität verschwamm mit Fiktion. Wirklich fiktiv? „Hey!“ Ich spürte, wie Arme mich festhielten. „Was machst du da?“ Ich kam wieder zu Sinnen. Was war passiert? „Dieser Flur ist tabu, hast du verstanden? Und nun komm.“ Welcher Flur? Da war nur weiß. Makelloses Weiß... Die Farbe des Königs. „Ich... muss...“, zwang ich mich, zu erwidern. Ich strampelte schwach, doch die Bilder raubten mir immer noch die Besinnung. Flimmern. „Da...hin.“ „Nein, du hast hier lang zu gehen!“ Er verstummte mitten in seiner zerrenden Bewegung. Ich sah eine Maske fallen. Ein entsetztes Gesicht. Ein erstauntes Gesicht. Ein verstehendes Gesicht. Ein leidendes Gesicht. Ein loslassendes Gesicht. Ich stolperte aufgrund meiner plötzlichen Freiheit. Lange hielt ich mich nicht auf. Ich torkelte zu deiner Farbe, die mich bald verschluckte. Anders als gedacht ruhtest du auf einem Bett aus Korn. Jedenfalls wirkten die Spitzen wie Korn und flammenden Lilien. Gelb und Orange in ihrer Farbe, so wenig von den Farben, die du liebtest. Aber ich. „Du hast dich wirklich nicht verändert.“ Ich näherte mich der Stätte, auf der du ruhtest. Ich atmete immer noch schwer, die Folgen des krampfhaften Erinnerns hafteten an mir wie ein zweites, hässliches Kleid. „Zum Glück.“ Nachdenklich betrachtete ich das Gesicht, das dir gehören sollte. Und dir gehörte. Es lächelte nicht, wirkte müde. Müde und kraftlos. So hattest du auch ausgesehen, als ich dich das letzte Mal gesehen hatte. Entkräftet. Schwach. Ich lachte bitter. „Wieso passt diese Farbe nicht?“ Ich fuhr durch deine Haare, die so blau waren wie die Farben einer Stadt, die es nicht gab. „Deshalb dieses Korn? Warum hast du dein Herz bloß daran verloren?“, seufzte ich, während ich deine Haarspitzen auf meine Finger zwirbelte. Ein kurzweiliges Vergnügen. „Zeit, aus deinem Schlaf zu erwachen.“ „Wer war das?“ Ich drehte mich nach rechts um, der Stimme, aus der die Stimme gekommen war. Da war niemand. „Ich bin es.“ Ich starrte dein Gesicht an. Es sah aus wie zuvor. Aber ich halluzinierte nicht. „Aha.“ Ich klang nicht sonderlich überrascht. „Du hast mir eine Menge zu erzählen, wenn wir wiederkehren, mein Lieber.“ „Ich weiß.“ „Erinnerst du dich denn noch?“ Ich nahm neben dir Platz, lehnte meinen Rücken an den Rand deiner Grabstäte. Sah dein Gesicht nicht. „Aber natürlich. Die Stadt, nicht wahr?“ Ich hörte ein Lächeln heraus. Ein Nostalgisches. „Natürlich, was sonst.“ Ich klang ironisch, obwohl ich es nicht wollte. Ich seufzte leise. Schien, als hätte sich selbst unsere Beziehung geändert. „Hat sie nicht.“ „Huh?“ Ich drehte mich zu dir um, dessen Lippen sich trotz der Worte nicht bewegten. Du ruhtest wie eh und je dort, friedlich. „Sie hat sich nicht geändert.“ Ich schwieg, wusste keine weitere Antwort mehr. Auf diesen Satz nicht. „Die Stadt... hat sich geändert.“ „Ich weiß.“ „Was weißt du nicht?“ „Ich weiß nicht.“ Ich hörte dein Lachen, obwohl du dich nicht bewegtest. „Aber es ist so langsam Zeit, oder?“ „Vielleicht.“ Ich schmunzelte. „Vielleicht.“ Kapitel 4: ----------- Mädchen... Was bedrückt dich? Sie sah ihn nicht an, während sie sich ihre Knie noch enger an ihren Körper heranzog, noch kleiner wurde, als sie schon war. Klein und kleiner, so klein, so klein. Die Gestalt ohne richtigen Körper wirkte unter der stets breit grienenden Maske bedrückt. Wild umrahmten kurze, struppige und doch wellenglatte Haare diese Maske. Sie verbarg das Gesicht, tarnte es. Mädchen... Die Stimme ohne Körper klang traurig. Unfassbar traurig. „It is nothing, dear friend“, antwortete das Mädchen, auch wenn sie nicht so aussah, als ob nichts wäre. „Yeah, it is nothing at all.“ Wirklich? Obgleich sie einander mit Worten, die sie sprachen, nicht verstanden, verleihten sie ihren Stimmen Klänge. Klänge gefüllt mit unendlichen Gefühlen und endloser Tiefe. „Yes. See! I can smile again.“ Sie versuchte sich an einem Lächeln, aber es gelang ihr nicht richtig. Ich seh dein Lächeln nicht. Das in anderer Leute Augen 'Monster' genannte Wesen ließ sich nicht von ihr in die Irre führen. Traurig legte es seine Arme um seinen kleinen Schützling. „No, no. Everything's okay, right?“ Sie sah ihm mit einem erzwungenem Lächeln in das verhüllte Gesicht. „Right?“ Das Monster sah sie betroffen an. Schüttelte den Kopf. Das Mädchen begann, nicht mehr zu lächeln. Es hörte auf, ihre Gefühle zu verstecken. Ihre Mundwinkel fielen, ihr Gesicht war hinter Händen verborgen. An ihren Wangen rannen Tränen hinunter. Schnell verdeckte das Monster das Mädchen vor der Öffentlichkeit. „M-mum and D-dad! They want to divorce. I've heard it! I saw it!“, weinte sie, nun ohne Halten, aber mit einer Schulter, an der sie weinen konnte. Alles wird gut. Er legte all seine Wärme, Geborgenheit in das Mädchen. All das, was in solch einem Monster wie ihm, durch die Pein der Menschen zerstört, noch übrig war. Nun weine nicht mehr. Doch sie musste weinen. Lange, immer, wenn ihre Erinnerungen sie zu überrollten drohen. Erst, als sie vor Müdigkeit kaum noch weinen konnte, verebbte es langsam. Langsam, langsam. Schau. Da, im Himmel!, rief das Monster plötzlich uns zeigte mit seinen Ärmchen nach oben. Bunte Feuerblumen zierten den Himmel mit ihrem bunten Farben für wenige Sekunden. Schmückten ihn für wenige Sekunden mit ihrer Vielfalt. Und ihrem Licht. Mit gefesseltem Blick verfolgte sie jede einzelne Bewegung dieser schönen, aber vergänglichen Blüten. „It's... wonderful. Thanks, my dearest friend!“ Sie lachte wieder. Bitte sehr. Doch plötzlich war das Monster verschwunden. Sie landete sanft auf dem Boden, hatte gar nicht bemerkt, wie er sie hochgehoben hatte. „Friend? Friend?“ Sie rief unermüdlich den Namen, den sie für ihn gefunden hatte, doch er kam nicht mehr. Es war still geworden. Sie wollte wieder weinen. Tränen schossen ihr in die Augen, doch sie erinnerte sich. Erinnerte sich an den Klang seiner Worte, seiner Stimme. „I... won't cry. I'll wait for you!“ Sie schrie es mit all ihrer Stimme in den Himmel. All ihren Emotionen hinaus. Hinaus, in die weite Welt, und irgendwo, dem war sie sich sicher, war er. Ihr liebster Freund.   Seit Monaten weigerte sie sich, eine andere Kleidung als jene an diesem einem Tag anzuziehen. Ihre Eltern verzweifelten fast an ihr, doch sie weigerte sich. „Friend won't recognize me if I don't wear the same as always!“, verteidigte sie sich und trottete schmollend davon. Zu der Stelle, wo sie sich das letzte Mal gesehen hatten. „Oh dear, what should we do with her?“ Ihre Mutter sah ihr besorgt nach. „I don't know. Do you know who this 'Friend' is?“ Ihre Mutter schüttelte verneinend den Kopf. Sie jedoch wusste noch genau, wie er aussah. Jedenfalls das, was sie immer von ihm sah. Sie wusste auch, wie seine Präsenz sich anfühlte, wie er roch. Doch das Wichtigste: Wie seine Stimme klang. Sie setzte sich auf einen großen Stein an jenem Ort und wartet. Sie sah starr den Weg entlang, der zu diesem Ort führte und dort endete. Die Zeit rann davon. Ihre Augen konzentrierten sich auf den Weg. Sie wurde müde. Sie zwang sich, ihre Sicht klar zu halten. Sie würde jetzt nicht einschlafen dürfen. Sie nickte immer wieder weg, ermahnte sich aufs Neue, nickte weg. Dann, da! Am Horizont war ein Schemen erschienen. Langsam kam er näher. Aufgeregt stand sie auf, als auf einmal Zweifel sich durch ihre Gedanken fraßen. Was, wenn er es nicht war? „No“, entgegnete sie energisch. Niemand kannte diesen Weg und diesen Ort. „He must be friend.“ Sie eilte weiter den Weg auf die Person entlang, als erneut Unbehangen in ihr aufkam. Die Gestalt war von menschlicher Natur. War er es wirklich? Aber sie spürte es doch. Fühlte es mit jeder Faser ihres Körpers. „He must be“, flüsterte sie. Doch sie ging nicht weiter. Mit großen Augen blieb sie stehen und wartete, bis die Person sie erreicht hatte. Er hatte dasselbe Haar wie Friend. Die Person ging auf ein Knie, senkte den Blick und hob ihn dann wieder. Das Mädchen sah erstaunt aus, als er ihr eine Hand reichte. Guten Tag, Mädchen. Es kam ihr zu unwirklich vor, als dass es wahr sein könnte. Zögernd legte sie ihre Hand in die seine. Sie hatte es doch die ganze Zeit gewusst. Er würde wieder kommen. Und er tat es wirklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)