Crossroads von lunalinn (decisions are never easy) ================================================================================ Kapitel 22: Fluch ----------------- Es schien ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass es immer dann schlimmer kam, wenn man meinte, bereits am Abgrund zu stehen. In seinem Fall war das wohl nicht mal ein dummes Sprichwort, denn er hatte vor drei Tagen tatsächlich auf der Plattform des Astronomie-Turms gesessen und in die Tiefe geblickt. Natürlich hatte er nicht vorgehabt, sich runterzustürzen – auch wenn das ein gewisser Jemand vielleicht vermutet hatte –, er hatte einfach nur seine Ruhe gewollt. Nach der Beerdigung seiner Mutter war alles noch viel unerträglicher geworden, vielleicht, weil er langsam den Schock überwunden und realisiert hatte, dass seine Mutter nicht zurückkommen würde. Während er auf das Grab geschaut und der überflüssigen Heuchelei des Geistlichen zugehört hatte, hatte er sich vorgestellt, wie der Körper seiner Mutter von Würmern zerfressen wurde. Sein Vater hatte kein Wort gesprochen, sein Gesicht hatte an eine Totenmaske erinnert. Severus wusste nicht, ob er geweint oder ein Bier zu viel gehabt hatte, doch seine Augen waren rot und geschwollen gewesen. Es hatte nur sie beide gegeben – und den ätzenden Pfarrer, der so gesprochen hatte, als hätte er seine Mutter gekannt. Es gab keine Verwandten oder Freunde, die hätten angerufen werden können, um dem Begräbnis beizuwohnen und Eileen Snape die letzte Ehre zu erweisen. Severus konnte nicht behaupten, darüber betrübt zu sein, denn es war schon schwer genug gewesen, schweigend neben seinem Vater zu stehen. Es hatte kein Essen danach gegeben, keinen Trost von Tobias, geschweige denn eine Erklärung. Nach der Beerdigung war er in seine Stammkneipe verschwunden und war erst am nächsten Morgen vollkommen verkatert wieder aufgetaucht. Severus hatte in seinem Zimmer gesessen, vor sich hingestarrt und die Sekunden gezählt, bis seine Selbstbeherrschung vollkommen den Bach runtergegangen war. Am liebsten wäre er auf seinen Vater losgegangen, hätte ihn geschlagen oder ihm einen Stupor in die Brust gejagt. Er hatte schreien und toben wollen. Er hatte fragen wollen, wie das hatte passieren können, ob es wirklich ein Unfall gewesen war. Nichts hatte er gesagt, nichts getan, sondern es einfach stumm hingenommen und allein in seinem Zimmer geweint. Vielleicht hatte er nichts gesagt, weil er es nicht wissen wollte, auch jetzt nicht, denn das würde es endgültig machen. Es würde bedeuten, dass sein Vater, der ihn, seitdem er erfahren hatte, dass seine Frau und sein Sohn nicht normal waren, kaum noch ansah, der Mörder seiner Mutter war. Severus wusste nicht, was er dann tun würde. Er wusste es wirklich nicht und alles in ihm sträubte sich dagegen, es herauszufinden. Also hatte er zu verdrängen versucht, nichts und niemanden an sich herangelassen, was auch soweit ganz gut funktioniert hatte. Er wollte keinen Trost, kein Mitleid – nicht mal von Lily. Lieber zog er sich wie ein verletztes Tier in eine dunkle Ecke zurück, um seine Wunden zu lecken, bis der Schmerz gelindert war. Er konnte das, er war mental stark genug, um den Tod seiner Mutter allein zu verarbeiten. Darüber zu reden, hätte ihn bloß noch mehr aufgewühlt und das konnte er gerade in der Prüfungszeit nicht gebrauchen. Wieso nur hatte Lupin es nicht wie Lily halten und ihn nach der ersten Abfuhr in Ruhe lassen können? Wieso hatte ihm der Werwolf trotz seiner boshaften Äußerungen nicht den Rücken gekehrt, sondern war geblieben? Und wieso um alles in der Welt hatte er Severus das letzte Stück Boden unter den Füßen wegreißen müssen? Seit drei Tagen durchlebte er die Hölle, denn er konnte einfach nicht vergessen, wie Lupin ihn umarmt hatte. Wobei das ja noch irgendwie auszuhalten gewesen war; wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er es sogar ein kleines bisschen…genossen. Doch dann hatte Lupin alles zerstören müssen, was Severus bislang aufrechterhalten hatte. Genauso gut hätte er ihn vom Turm werfen können, das wäre weniger grausam gewesen, als ihn verflucht noch mal zu küssen. Obwohl er Lupin seit der Beerdigung geschnitten hatte, hatte er nicht vorgehabt, sich dauerhaft von ihm fernzuhalten. Er hatte bloß eine Weile für sich sein wollen, bis er seine Trauer verarbeitet hatte. War das wirklich so schwer zu verstehen? Gut, Lupin litt nun mal an diesem bescheuerten Helfersyndrom, das hatten sie ja bereits mehrmals festgestellt. Logisch, dass er es nicht auf sich beruhen lassen konnte. Verdammt noch mal, er hatte angefangen, den Werwolf leiden zu können. Seit dem Bruch mit Lily hatte er niemanden mehr gehabt, der mit ihm in der Bibliothek saß und lernte. Es hatte niemanden gegeben, der sich um ihn scherte. Mit der Zeit hatte sich Lupins Anwesenheit als angenehm erwiesen, man konnte wohl behaupten, dass er angefangen hatte, ihn zu mögen. Wie auch immer das passiert war, es ließ sich nicht leugnen – auch, wenn er sich eher die Zunge abgebissen hätte, als dies auszusprechen. Warum also, um alles in der Welt, hatte Lupin es zerstören müssen? Am liebsten hätte er den Werwolf einfach gar nicht mehr gesehen, um vergessen zu können, was passiert war. Dies war allerdings unmöglich, denn dazu hätte er den Unterricht schwänzen müssen und das ging nicht, da die Prüfungen bevorstanden. Lupin hatte sich wirklich die beste Zeit ausgesucht, um mit seinen unnatürlichen Anwandlungen daherzukommen. Unnatürlich, verrückt…einfach krank, das war es doch, oder? Solange sich Severus zurückerinnerte, hatte er niemals auch nur einen Gedanken daran verschwendet, einem anderen Jungen auf diese Weise nahe zu kommen. Warum auch? Es hatte immer nur Lily gegeben und auch jetzt gab es nur sie, egal, was da mit Potter lief. Er kannte diesen Mistkerl gut genug, um zu wissen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er das Interesse an ihr verlor. Potter war ein unverbesserlicher Frauenheld und Lily würde nicht so einfältig sein, auf ihn hereinzufallen. Vermutlich wollte sie nur nett sein, weil Potter ihr ja ach so mutig das Leben gerettet hatte; dass er auch seinen Teil dazu beigetragen hatte, spielte ja keine Rolle. Sein Blick schweifte missgelaunt zu seiner Kindheitsfreundin, die soeben einen zusammengeknüllten Zettel entfaltete, herüber. Wenigstens besaß sie noch die Geistesgegenwärtigkeit, die Augen zu verdrehen, doch das sanfte Schmunzeln um ihre Mundwinkel entging ihm nicht. Potter grinste in ihre Richtung, zuckte mit den Schultern, ehe er sich lieber wieder McGonagall, die ihn bereits im Visier hatte, zuwandte. Leider gab es nicht einmal eine Verwarnung für seinen Feind und natürlich konnte Potter seine Münze problemlos in einen Raben verwandeln, wofür er auch noch Hauspunkte bekam. Severus wandte sich ab, jedoch konnte er dabei nicht verhindern, dass sein Blick Lupin streifte. Der Werwolf sah fertig aus und Severus wusste, dass es nicht am Vollmond lag, denn die Zeit stand ihm noch bevor. Normalerweise hatte Lupin mit Verwandlung kein Problem, doch heute wirkte jeder seiner Zauber unvollständig. Er wirkte unkonzentriert und übermüdet, ganz zu schweigen von diesem furchtbaren Ausdruck in seinen bernsteinfarbenen Augen. Anfangs hatte Severus regelrechte Panik bekommen, dass Lupin seinen Freunden etwas von dem Vorfall erzählen würde. Noch paranoider als sonst hatte er sich durch die Korridore bewegt und immer gefürchtet, einer der Rumtreiber würde ihn plötzlich abfangen. Allerdings schien Lupin den Mund gehalten zu haben, denn kein Wort war diesbezüglich gefallen. Damit erwies sich auch seine kurzweilige Befürchtung, Lupin könnte ihn geküsst haben, um etwas gegen ihn in der Hand zu haben, als nichtig. Davon abgesehen, dass sich der Werwolf damit ins eigene Fleisch geschnitten hätte…und einfach kein Typ für solch hinterlistige Aktionen war. Als er ihn jetzt wie ein Häufchen Elend da sitzen sah, kam Severus das erste Mal der Gedanke, dass Lupin ihn geküsst haben könnte, weil er ihn auf dieselbe Art mochte, wie es bei ihm mit Lily der Fall war. Aber das war absurd, nicht wahr? Niemand interessierte sich auf diese Weise für ihn, das war immer so gewesen. Lupin hatte jedoch schon auf dem Turm behauptet, dass er ihn mochte. Bisher war er ehrlich zu ihm gewesen, hatte sich sogar einmal seinetwegen gegen seine Freunde gestellt. Dennoch konnte er es einfach nicht begreifen; was lief mit dem Werwolf schief? Gut, die Frage brauchte er sich wohl nicht stellen, eben weil Werwölfe gar nicht richtig ticken konnten. Doch so boshaft er auch darüber zu denken versuchte, es änderte nichts daran, dass er sich wegen dem Vorfall furchtbar fühlte. Und…es half auch nicht dagegen, dass er sich ohne Lupin allein fühlte. Er hätte sich nie so sehr an den Werwolf gewöhnen dürfen, nein, der Fehler lag bei ihm. Was hatte er sich dabei gedacht? Nichts…und nun war es zu spät. Lupin hatte sich wirklich den besten Zeitpunkt ausgesucht, um sein Leben noch mehr zu verkomplizieren. Er hatte es kaum gedacht, da hob der andere plötzlich den Kopf und erwiderte seinen Blick. Severus spürte, wie seine Wangen zu brennen begannen und sich ein Kloß in seinem Hals bildete. Es war kaum auszuhalten, wie Lupin ihn ansah – mit einem geprügelten Hund konnte er definitiv mithalten. Hastig beugte er sich über das Pergament auf seinem Tisch, wobei er die Tinte umstieß. Hässliche Kleckse fraßen sich in das dünne Papier, machten einige der Worte unleserlich und in Gedanken fluchte der Slytherin. Zwar konnte er dies mit einem Zauber wiederherstellen, doch es missfiel ihm, dass ihm solche Unachtsamkeiten wegen Lupin passierten. Warum konnte es ihm nicht einfach egal sein? Nach Verwandlung packte er eilig seine Sachen zusammen, wollte keine Sekunde länger als nötig mit Lupin im selben Raum sein. Es ging einfach nicht, er konnte es nicht vergessen und ganz sicher wollte er nicht darüber reden. Schon gar nicht hier, wo es jeder hören konnte. Allerdings schien Lupin das anders zu sehen, denn er wagte es tatsächlich, auf ihn zuzukommen. Severus spannte sich an, setzte aber weiterhin auf Ignoranz, indem er sich vollkommen auf seine Bücher und Abschriften konzentrierte. „Moony, lass den doch!“ Unverkennbar Black, doch er nahm sich zusammen, würde nicht reagieren. Im Stillen hoffte er jedoch – und es war mit Sicherheit das erste und einzige Mal –, dass Lupin auf diesen Mistkerl hörte. Natürlich musste Lupin ausgerechnet in dieser Situation Rückgrat beweisen, indem er vor seinem Tisch stehen blieb. „Snape“, hörte er die vertraute Stimme und ihm entging die Nervosität darin nicht. „Können…können wir bitte reden?“ Severus‘ schwarze Augen hefteten sich starr auf die Tischplatte, während er sich seine Bücher unter den Arm klemmte. Man sah es ihm vielleicht nicht an, doch er hatte alle Mühe, sie nicht fallen zu lassen…oder Lupin anzuschreien, was, um alles in der Welt, er sich dabei gedacht hatte, ihn zu küssen. „Bitte, Snape“, startete der andere seinen zweiten Versuch. „Ich…ich kann das erklären, ich-“ „Lass mich in Ruhe!“, zischte Severus so schneidend, dass Lupin blass wurde und direkt verstummte. Wie konnte er es wagen, das hier anzusprechen? Es auch nur irgendwie anzudeuten! War der Werwolf noch ganz bei Trost?! Mit vor Zorn funkelnden Augen blickte er ihn an, woraufhin sein Gegenüber noch mehr in sich zusammensackte. Ein paar Schüler schauten zu ihnen herüber und Severus wusste bereits jetzt, dass er deswegen wieder zum Gespött seines Hauses werden würde. Ohne noch ein weiteres Wort an Lupin zu verlieren, ließ er diesen stehen, verließ den Raum so schnell wie nur irgendwie möglich. Er würde nicht darüber reden. Er konnte sich nicht damit auseinandersetzen und er wollte es auch nicht. Warum hatte Lupin nicht vorher über den Schaden, den er mit seiner Aktion angerichtet hatte, nachgedacht? Was hatte er bitte von ihm erwartet? Als ob er nicht schon genug Probleme hätte, mit denen er zurechtkommen musste. Er brauchte nicht noch mehr Verwirrung, noch mehr Magenschmerzen und…Schuldgefühle. Es war nicht seine Schuld, dass Lupin ihn geküsst hatte! Es war auch nicht seine Schuld, dass seine Mutter tot war! Er konnte nichts dafür! Und trotzdem musste er darunter leiden. Er bemerkte gar nicht, wo er in seiner Wut hinlief, doch zu seiner Erleichterung hielten sich kaum Leute im Korridor auf. Alleinsein erschien ihm das Beste, um sich zu beruhigen und wieder klar zu werden. Eigentlich hatte er gedacht, dass es nach einer Weile besser werden würde, doch auch nach drei Tagen ebbten die ganzen Gefühle nicht ab. Es wurde eher schlimmer anstatt besser. Er musste es vergessen, aus seinem Kopf verbannen…und Lupin am besten bis ans Ende seiner Tage meiden, so gut es ging. Der Kloß in seinem Hals schwoll bei diesem Gedanken noch mehr an und er spürte wieder dieses Brennen in den Augen. Nein, er würde keine Schwäche zeigen. Es reichte langsam. Dann war er eben wieder allein. Na und? Das war er auch schon nach Lilys Bruch gewesen, was sollte es also? Es war so leicht, sich das alles einzureden, doch wie sollte er das bitte umsetzen, wenn er ständig Lupins Hundeblick vor Augen hatte? Vielleicht hätte er ihn nicht so anherrschen sollen, schließlich hatte er kein Wort über den Kuss verloren. Damit hätte er sich selbst bloßgestellt und so dumm war nicht einmal Lupin. Genau genommen war der Werwolf weit entfernt von Dummheit, wie er schon des Öfteren festgestellt hatte. Severus atmete tief durch, kaum dass er stehen geblieben war. Eine Ravenclaw lief an ihm vorbei, ohne wirklich Notiz von ihm zu nehmen, dann war er wieder allein. Verteidigung gegen die dunklen Künste würde erst in einer Stunde beginnen, er hatte also Zeit. In Anbetracht der Umstände wünschte er sich, er hätte sie nicht, denn so konnte er sich nicht von diesen ätzenden Gedanken abhalten. Sollte er vielleicht doch mit Lupin reden? Möglicherweise wollte sich der Werwolf bloß entschuldigen und ihn darum bitten, dass sie normal miteinander umgingen. Aber war es überhaupt möglich, diesen Vorfall zu vergessen? Severus kannte die Antwort bereits und sie machte es noch schwerer. Es würde nie wieder so ungezwungen zwischen ihnen sein, wie es das in den vergangenen Monaten war. Dieser verdammte Kuss würde immer zwischen ihnen stehen…weil Lupin so etwas bestimmt nicht grundlos tat. Severus lehnte sich an die Wand, während die Erinnerung gegen seinen Willen hochkam. Er hatte sich seinen ersten Kuss immer nur mit Lily vorgestellt. Sie war das einzige Mädchen, das ihn interessierte. Wenn sie allein gewesen waren, hatte er gedanklich durchgespielt, wie es sein würde, sie einfach zu küssen. Lily hatte schöne, rosige Lippen, die sich bestimmt weich anfühlten. Sie hätten süßlich geschmeckt und während er sie ganz fest gehalten hätte, hätte er den Duft ihres blumigen Parfüms vernommen. Viel intensiver als sonst. Es war nie dazu gekommen. Stattdessen hatte Lupin ihn geküsst und obwohl er es vergessen wollte, kam die Erinnerung von ganz allein. Lupin hatte ihn gehalten, nicht so fest, dass es unangenehm gewesen war, denn eigentlich...hatte er sich in der Umarmung sogar geborgen gefühlt. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann ihn das letzte Mal jemand umarmt hatte. Nicht, dass er im Allgemeinen sonderlich erpicht darauf war – es sei denn, es handelte sich um Lily. Da sie aber schon seit geraumer Zeit keine Freunde mehr waren, war Lupin nach langem der Erste und Einzige, der ihn berührte – hinterhältige Angriffe zählten nicht dazu. Unweigerlich erinnerte er sich daran, wie Lupin ihn in den Krankenflügel gebracht hatte, denn dort hatte er nach seiner Hand gegriffen. Jetzt, wo er so darüber nachdachte, hatte ihn der Werwolf ziemlich oft berührt und sei es nur flüchtig. Es war ihm nur nie in diesem Zusammenhang aufgefallen. Lupins Lippen hatten sich warm und weich angeführt, obwohl sie durch seine Verwandlungen ebenso vernarbt und rissig waren wie der Rest seiner Haut. Der Kuss konnte nur wenige Sekunden gedauert haben und wenn er so darüber nachdachte, war er ziemlich unbeholfen ausgefallen. Impulsiv…und plötzlich kam ihm der Gedanke, dass es auch Lupins erster Kuss gewesen sein könnte. Seine Lippen hatten nicht süß geschmeckt, eigentlich hatten sie keinen richtigen Geschmack und Lupin roch ganz sicher nicht nach Blumenparfüm. Dafür hatten sich Lupins bernsteinfarbene Augen umso mehr in sein Gedächtnis gebrannt. Gegen seinen Willen spürte er, wie seine Wangen zu kribbeln begannen – warum, bei Merlin, wurde er jetzt rot?! Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Es musste die Scham über das Geschehene sein, genau, es war ihm einfach peinlich. Er war so in Gedanken versunken, dass ihm beinahe entgangen wäre, dass er nicht länger allein auf dem Korridor war. Normalerweise konnte Severus auf seinen siebten Sinn, der ihn schon so manches Mal vor unschönen Überraschungen bewahrt hatte, vertrauen. Die widerlichen Streiche seiner Erzfeinde standen dabei ganz oben auf dieser Liste. Im Endeffekt hatte er dennoch oft den Kürzeren gezogen, da sie in der Mehrzahl waren, doch wenigstens hatte er versucht, sich zu verteidigen. Als er nun herumfuhr und den Zauberstab hochriss, um sich zu schützen – stocke er innerlich. Er wusste nicht, warum er instinktiv Lupin erwartet hatte, doch vermutlich war dies der Grund, weswegen er nicht sofort einen Stupor auf sein Gegenüber schleuderte. „Expelliarmus!“ Er hätte ihn nicht einmal sehen müssen, denn der verhasste, ähnlich einem Bellen klingende Ausruf hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt. Zorn flutete durch seine Adern, kaum dass ihm der Zauberstab aus der Hand gerissen wurde und ein paar Meter hinter ihm im Korridor landete. Severus hechtete ihm in einem verzweifelten Versuch hinterher, denn er wusste, dass er ohne ihn chancenlos war. Bevor er jedoch auch nur in Reichweite kommen konnte, hörte er abermals die widerliche Stimme – und kippte vornüber. Es fühlte sich an, als würde etwas seine Beine fesseln, so dass er nur noch robben konnte, was ihm die Schamesröte in die bleichen Wangen trieb. Schritte ertönten und jemand stellte sich ihm in den Weg, funkelte ihn von oben herab aus seinen grauen Augen an. „Warum die Eile, Schniefelus?“ Black hielt ihm den Zauberstab entgegen, richtete ihn absichtlich direkt auf seine Nasenspitze. Mit Grauen erinnerte sich Severus an den Zauberspruch, der seine Nase lächerlich groß hatte werden lassen. „Fahr zur Hölle!“, zischte er dem Gryffindor entgegen. „Na, so böse Worte in so einer Situation, Snape...keine gute Idee.“ Normalerweise lag stets dieser ekelerregende Spott in Blacks Stimme und normalerweise hatte er wenigstens Potter dabei – dass nichts von beidem zutraf, empfand Severus als noch beunruhigender als sonst. Allerdings hatte er nicht vor, Black dies zu zeigen, so dass er lediglich die Augen verengte. „Was willst du?!“, raunzte er ihn an. „Was will ich will?“, wiederholte Black betont langsam, als müsste er sich erinnern. „Lass mal sehen…seit Monaten schleimst du dich bei Moony ein und nutzt seine Gutmütigkeit für, was auch immer in deinem kranken Kopf vor sich geht, aus. Du bist wie eine Seuche, Snape…und ich hab ihm gleich gesagt, dass er sich von dir fernhalten soll – aber nein, er weiß es ja besser!“ Severus musste sich alle Mühe geben, seine wutverzerrte Miene beizubehalten, denn in seinem Inneren kämpfte ein irres Lachen gegen nackte Angst. Wovon sprach Black?! Hatte Lupin doch etwas durchsickern lassen? Hatte Black sie gesehen? Nein…nein, das war unmöglich. Das durfte nicht sein! „Ich habe keine Ahnung, was vorgefallen ist, dass du ihn plötzlich wie den letzten Dreck behandelst, aber ich schwöre dir…ich werde dich zur Hölle fahren lassen, wenn du ihn noch einmal auch nur schief ansiehst, klar?!“ Im ersten Moment vernahm er nur eines – und zwar, dass Black keine Ahnung hatte. Er wusste nichts von dem Vorfall auf dem Turm und wieso er Lupin mied. Auf diese Erleichterung folgte jedoch glühender Hass – was wusste Black schon? Was mischte sich dieser Kerl überhaupt ein? „Wie ungemein…ritterlich von dir, Black, dass du deinen kleinen Freund so verteidigst“, spie er dem anderen entgegen und seine Stimme enthielt pures Gift. „Und ich nahm an, dein Herz würde ganz und gar Potter gehören…wenn da niemand eifersüchtig wird…“ Er ächzte leise, als Blacks freie Hand vorschoss und ihn am Kragen packte, die Stabspitze bohrte sich in seine Stirn. Die schwarzen Augen glühten finster vor unterdrückter Abscheu, doch es war Severus egal. Er war selbst viel zu wütend, als dass er darüber nachdenken konnte, was Black mit ihm machen würde. „Vorsicht, Schniefelus, sonst-“ „Tatze! Bei Merlin, lass ihn sofort los!“ Natürlich, wie konnte es anders sein, musste nun auch noch der Ursprung der ganzen Miesere auftauchen. Lupin besaß wahrlich ein Talent dafür, dann aufzutauchen, wenn er nicht erwünscht war. „Lass mich, Moony! Der Fettfleck braucht eine Lektion!“, knurrte Black, ohne ihn loszulassen. „Er muss lernen wo sein Platz ist…“ „Sirius!“, kam es deutlich ernster von dem Werwolf und er packte seinen Freund an der Schulter. Severus wusste, dass er ihn ansah, doch er wich den Bernsteinaugen aus, konnte das gerade nicht ertragen. Auch wenn Lupin mal wieder nur helfen wollte, machte er die Situation nur bedingt besser. Er wollte nur seine Ruhe vor allem haben – war das so schwer? Widerwillig ließ Black von ihm ab, nicht ohne ihm noch einen verächtlichen Blick zuzuwerfen. „Er hat es verdient, Moony! Er hat es verdammt noch mal verdient, so, wie er dich behandelt! Ich hab dir gleich gesagt, dass es ein Fehler ist, mit dieser Schlange herumzuhängen, aber du wolltest nicht hören!“ „Er hat nichts getan“, hielt Lupin dagegen, wobei man ihm Erschöpfung anhörte. „Und selbst wenn, geht das nur ihn und mich etwas an.“ Black stampfte vor Wut mit dem Fuß auf, wobei er an ein bockiges Kind erinnerte, aber Severus hielt sich nicht damit auf. Stattdessen nutzte er die Diskussion der beiden, um zu seinem Zauberstab zu robben. Da Black nun mit dem Rücken zu ihm stand und Lupin ganz andere Sorgen hatte, achtete ohnehin keiner mehr auf ihn. „Nichts getan?! Dass er existiert, reicht schon! Du weißt genau, was er für ein ekelhafter, schwarzmagischer, kleiner-“ „Das hier hat nichts mit dir zu tun, Tatze!“, fuhr Lupin ihm dazwischen. „Lass ihn einfach in Ruhe! Ich kann meine Angelegenheiten selbst regeln!“ „Oh ja, das sehe ich, Moony!“, bellte Black zurück. „Du lässt dich von ihm wie ein Köter behandeln, schleichst mit eingezogenem Schwanz davon…was ist los mit dir?! Es ist nur Snape!“ Am liebsten hätte er Black für jedes einzelne Wort erwürgt, aber er war zu sehr damit beschäftigt, seinen Stab zu packen und mit einem gemurmelten Zauber seine Beine zu befreien. Taumelnd erhob er sich, den Stab fest umklammert haltend und den Stupor bereits auf den Lippen. Allein Lupins erschrockener Blick ließ ihn zögern – leider fiel dies auch Black auf, welcher herumfuhr. „Wage es dich, Snape…“, drohte ihm dieser mit ebenfalls erhobenem Stab. „Versuch etwas und ich schwöre dir, deine eigene Mutter wird dich nicht wiedererkennen!“ „Tatze!“, kam es zornig von Lupin. „Lass-“ „Wobei…vielleicht ist sie ja ganz froh darüber?“, ignorierte Black seinen Freund. Severus spürte, wie ihm heiß und kalt zugleich wurde, so viel Hass stieg in ihm auf. Wie konnte er es wagen?! Seine Finger krampften sich so stark um seinen Zauberstab, dass seine Knöchel weiß hervortraten. „Noch ein Wort, Black…nur ein Wort…“, zischte er warnend, sorgte damit aber nur für ein abfälliges Lachen. „Was denn, Snape? Wunder Punkt? Wusste nicht, dass du ein Muttersöhnchen bist...heulst dich immer bei ihr aus, ja? Weiß sie überhaupt, wie du tickst, oder ist sie genauso eine widerliche, kranke-“ In dieser Sekunde passierte etwas, das Severus erst im Nachhinein realisierte. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er einen Fluch auf Black schleuderte, der diesen zum Verstummen bringen sollte. Es war sein eigener Fluch. „Sectum Sempra!“ Es war nicht Blacks gurgelnder Schrei, der durch den gesamten Korridor hallte. Es war nicht Blacks Blut, das den Boden viel zu schnell rot färbte…dessen Rücken wie von einem unsichtbaren Schwert aufgeschlitzt wurde. Wie betäubt sah er zu, wie Lupin zur Seite kippte, zuckend und ausblutend auf dem kalten Stein liegen blieb. Er hörte Black brüllen und panisch mit dem Zauberstab herumfuchteln, doch da war nur ein Rauschen in seinen Ohren, das alles um ihn herum in Stille tauchte. Selbst, als immer mehr Leute auftauchten, Lehrer und Schüler, er bemerkte nicht mal ihre Blicke, sondern fokussierte sich auf Lupin, der immer noch zuckte. Lupin, der so dumm gewesen war, sich in die Ziellinie zu bringen, um Black anzuherrschen, dass er den Mund halten sollte. Lupin, der vielleicht seinetwegen starb. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)