Unausgesprochen von Kunoichi ================================================================================ Kapitel 3: Nachwehen -------------------- Das Frühstück war genau eine Viertelstunde lang drin geblieben, das Mittagessen immerhin eine halbe und das Abendessen gerade mal fünf Minuten. Sharrkan hatte die Befürchtung, es würde niemals enden. Er lag rücklings auf dem Bett, die Arme über der Stirn verschränkt und fühlte sich so sterbenselend, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Die wenigen Male, die er hatte aufstehen müssen, waren eine Tortur gewesen und obwohl bereits der Mond durchs Fenster schien, pochte sein Kopf noch immer mit der gleichen Intensität wie heute Morgen. Wenn zumindest dieser quälende Durst nachlassen würde! Schwerfällig rollte er sich auf die Seite und riskierte ein paar Schlucke von dem Tee, den er sich vor Stunden gebrüht hatte und der inzwischen eiskalt war, als es plötzlich an der Tür klopfte. Sharrkan erwartete keinen Besuch und auf welchen eingestellt war er schon gar nicht. Die einzigen Personen, die ihm einfielen, waren Alibaba und Olba und die waren wirklich die letzten, denen er jetzt in die Augen sehen wollte. Soweit sein Gedächtnis es zuließ, hatten in der vorigen Nacht zum ersten Mal die beiden Schüler ihren Meister nach Hause bringen müssen, statt umgekehrt. Die Konfrontation mit dieser Schmach hatte er sich eigentlich aufsparen wollen, bis es ihm wieder besser ging. Doch es klopfte erneut und Sharrkan richtete sich mühsam auf, wartete bis der Schwindel abebbte und schlich dann langsam zur Tür. Wer auch immer dahinter auf ihn wartete – er wollte ihm so würdevoll wie möglich entgegentreten. Aber es war nicht Alibaba und es war auch nicht Olba. Es war Yamraiha. „Tut mir leid, dass ich so spät noch störe, aber ich hab Licht brennen sehen“, begann sie, stockte kurz und blickte Sharrkan dann prüfend ins Gesicht. „Geht es dir gut?“ „Ja, alles bestens“, log er und lehnte sich lässig in den Türrahmen. „Was gibt’s?“ „Ganz sicher? Du bist kreidebleich und ich hab dich den ganzen Tag nicht draußen gesehen.“ „Mir geht’s super. Was willst du?“ Yamraiha überging seine rüde Art und schaute nun ein wenig verlegen drein. „Ich wollte nur meinen Schlüssel wiederholen und… und naja… mich bei dir bedanken… fürs Zuhören letztens“, sagte sie leise. „Aha. Schön.“ „Ist irgendwas?“, fragte sie, irritiert über seine knappe Antwort. „Was soll schon sein?“, gab er provokant zurück. „Keine Ahnung. Ich hab das Gefühl, du bist sauer auf mich.“ „Na, dann trau deinem Gefühl!“ Er wollte die Tür schließen, doch Yamraiha schob blitzschnell ihren Fuß dazwischen. „Was ist eigentlich dein Problem?“, fauchte sie. „Dass du mich nervst“, entgegnete Sharrkan gereizt. Der Tee rumorte in seinem Magen und er sehnte sich danach, einfach nur zurück ins Bett zu kommen. „So? Du glaubst wohl, mir ist das hier leichtgefallen!“, wütete sie nun. „Wenn ich dich so nerve, dann sollte ich wohl besser wieder gehen!“ „Du hast es erfasst!“ Er wollte nicht, dass dieser Brief einen Platz in seinen Gedanken beanspruchte. Er wollte nicht, dass es ihn interessierte, mit wem Yamraiha schrieb oder mit wem sie sich traf. Doch so war es. Und ein wenig zu laut murmelte er: „Geh doch zu deinem Arik!“ Am liebsten hätte sich Sharrkan auf die Zunge gebissen, wäre es da nicht schon längst zu spät gewesen. Yamraiha starrte ihn an, wie vom Donner gerührt. „Woher weißt du davon?“ „Ähm…“ Eilig suchte er nach einer Ausrede – was gerade überhaupt kein leichtes Unterfangen war, denn mittlerweile hatte er wirklich Bauchweh. „Hast du etwa meinen Brief gelesen?“, fragte sie scharfsinnig und er spürte eine Hitze in sich hochwallen, die ihm die Schweißperlen auf die Stirn trieb. „Ähm…“ Dann brach eine Salve aus Beschimpfungen über Sharrkan herein und Yamraiha schien gerade erst Fahrwasser aufzunehmen. Er sah, wie sich ihr Gesicht zornesrot färbte und ihr Mund sich bewegte und bekam trotzdem keines ihrer Worte wirklich mit. Seine ganze Konzentration war nur auf ein einziges Bestreben gerichtet, das ihn vollends beanspruchte: Jetzt bloß nicht kotzen! „WIE KONNTEST DU ES WAGEN?!“ Bitte geh! „ICH HAB DIR VERTRAUT!“ Bitte, geh einfach! „WENN ICH DAS GEWUSST HÄTTE, HÄTTE ICH DICH NIE DORT ALLEIN GELASSEN!“ Um Himmels Willen, jetzt geh doch bitte! „WENN DU GLAUBST, DU KÖNNTEST JE WIEDER BEI MIR ANKOMMEN-“ Bitte geh, bitte geh, bitte „GEH!“ Hatte er das letzte Wort etwa gerade laut ausgesprochen? Energisch drängte Sharrkan Yamraiha zurück, knallte ihr die Tür vor der Nase zu und schaffte es gerade noch rechtzeitig zum Bett, wo er sich in den Mülleimer erbrach. So viel zum Thema Würde. Volle zehn Stunden hatte Sharrkan durchgeschlafen, doch als am nächsten Morgen um fünf Uhr in der Früh sein Dienst begann, wäre er trotzdem lieber noch ein wenig liegengeblieben. Zumindest stellte er erleichtert fest, dass es ihm im Vergleich zu gestern schon bedeutend besser ging. Sein Zimmer – das starke Ähnlichkeit mit einem Katastrophengebiet aufwies – schaffte er nur notdürftig aufzuräumen, bevor er sich fertig machen, ein paar Sachen zusammenpacken und in die neblige Dunkelheit hinaustreten musste. Ihm war noch immer schrecklich flau im Magen, weshalb er vorsorglich aufs Frühstück verzichtet hatte und so konnte er sich eine Menge Zeit lassen für den Weg durch Sindrias leergefegte Straßen. Erst als er das Hafengebiet erreichte, wurde es um ihn herum allmählich belebter. Die sechs großen Handelsschiffe, die am Kai vor Anker lagen, dümpelten gemächlich im Wasser, während die Matrosen eilig ihre Frachten verluden und sich am Horizont schon die ersten goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne in den Wellen brachen. Sharrkans Kampfeinheit war nahezu vollständig. Fröstelnd und gähnend begrüßten sie ihren General, doch Sharrkan nahm nur mit halbem Ohr wahr, was sie ihm erzählten. Er blickte suchend umher, wer mit ihm zusammen die Eskorte leiten würde und entdeckte dann Masrur und – das Herz rutsche ihm in die Hose – ausgerechnet Yamraiha samt ihrer Brigaden an einem der Stege. Beide hatten sein Ankommen noch nicht bemerkt und waren in Gespräche mit ihren Leuten vertieft. Sharrkan war unentschlossen, wie er der Magierin gegenübertreten sollte. Einerseits wusste er natürlich, dass er gleich im doppelten Sinne Mist gebaut hatte. Andererseits wurmte es ihn, dass Yamraiha es geschafft hatte, knappe fünf Stunden über ihre Heimat zu sprechen, ohne eine Person namens Arik auch nur zu erwähnen. Er fühlte sich unfair behandelt, obwohl ein leises (allerdings gut zu verdrängendes) Stimmchen in seinem Hinterkopf ihm zuflüsterte, wie kindisch dieses Benehmen war. Es schien ihm daher das Beste, einfach so zu tun, als sei überhaupt nichts vorgefallen und entgegen seiner Unsicherheit bemühte er sich um eine arglose Miene und wagte sich zu ihr hinüber. „Guten Morgen, Yamraiha“, rief er gut gelaunt, doch die Angesprochene reagierte nicht und setzte die Konversation mit einem ihrer Truppenmitglieder fort. Sharrkan, der glaubte, sie habe ihn nicht gehört, kam ein paar Schritte näher, grüßte beinahe überdeutlich und wurde wieder nur mit blanker Ignoranz gestraft. Als die Schiffer Bescheid gaben, zum Auslaufen bereit zu sein, reckte Yamraiha stolz das Kinn, folgte ihrer Einheit an Bord und ließ Sharrkan stehen wie einen begossenen Pudel. Sie hätte ihn anschreien können. Sie hätte toben oder heulen, ihn beleidigen oder ohrfeigen können. Sharrkan hätte jede Reaktion in Kauf genommen, solange es nur irgendeine Reaktion gegeben hätte. Doch dass sie ihn so eiskalt missachtete, hatte er noch nie zuvor erlebt und es machte ihm deutlich, wie gekränkt und enttäuscht Yamraiha tatsächlich sein musste. Ein letzter Aufruf erfolgte und mit hängenden Schultern und wesentlich ruhiger, als seine Untergebenen es von ihm gewohnt waren, betrat nun auch Sharrkan das Flaggschiff. Dann wurden die Leinen gelöst, die Segel gesetzt und die Handelsflotte steuerte aus dem Hafen Sindrias hinaus aufs offene Meer. Die Sonne hatte sich mittlerweile gänzlich über der rauen See erhoben und obwohl sie noch nicht so viel Kraft hatte, weckte sie zusammen mit dem kristallblauen Himmel die Erwartung an einen warmen Sommertag. Sharrkan verbrachte den kompletten Vormittag damit, sich – augenscheinlich zufällig – überall dort aufzuhalten, wo Yamraiha gerade war. Er ließ beiläufig lautstarke Bemerkungen fallen, hantierte demonstrativ mit dem Schwert und versuchte durch allerlei Faxen ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch nicht ein einziges Mal würdigte sie ihm auch nur eines Blickes. Kurz vor der Mittagszeit fand er sie oben an Deck mit einem der Kaufmänner, lungerte eine Weile in ihrer Nähe herum und ging schließlich so dicht an ihnen vorüber, dass er Fetzen ihrer Unterhaltung aufschnappen konnte. „Wenn wir die Magie so weit entwickelt haben, wird es einfacher damit“, sagte Yamraiha und der Händler kratzte sich interessiert am Bart. „Als wenn Magie je irgendwas einfacher gemacht hätte“, warf Sharrkan spöttisch ein, ohne eine Ahnung zu haben, worum es überhaupt ging. Die Schultern der Magierin zuckten gefährlich, als müsse sie eine bevorstehende Explosion mit allen Mitteln unterdrücken und er wappnete sich bereits für ihren Gegenschlag, da wurde das Schiff plötzlich durch einen starken Ruck erschüttert. Yamraiha verlor das Gleichgewicht, prallte gegen Sharrkan und riss ihn von den Füßen, wobei er hintenüber und sie unsanft auf ihn drauf fiel. „Bist du verletzt?“, ächzte er, obwohl ihm klar war, dass ihre Landung deutlich weicher gewesen sein musste als seine. Fluchend schob sich Yamraiha den verrutschten Hut aus dem Gesicht. „Nein, ich glaube nicht“, entgegnete sie, während sie vorsichtig von ihm herunterkletterte und sich erschrocken umsah. „Was war denn das?“ Sharrkan spürte ein wohliges Kribbeln in seinem Inneren, das sich rasend schnell über seinen gesamten Körper ausbreitete. Sie hatte wieder mit ihm gesprochen! „Ich weiß nicht“, wollte er auf ihre Frage eingehen, doch es schaukelte erneut und aus Richtung der restlichen Flotte kamen angsterfüllte Schreie zu ihnen herüber geweht. Sofort sprangen die beiden auf und rannten zum Heck des Schiffes. Es war ein riesiger Teufelskraken, wie er im Südmeer nicht selten vorkam, der seine acht Arme fest um den Rumpf des nachfolgenden Schiffes geschlungen hatte und drohte, es jeden Moment in die Tiefe zu reißen. In ihrer Verzweiflung klammerte sich die Besatzung an alles, was sie an Deck zu fassen bekam, aber Sharrkan sah rundherum auch schon etliche Menschen hilflos im Wasser treiben. Durch die Bewegungen des Ungetüms schlugen die Wellen so hoch, dass sie sich kaum an der Oberfläche halten und die anderen Schiffe zur Rettung auch nicht nah genug an sie heranfahren konnten. „Wir kümmern uns um den Kraken!“ Masrur war neben Sharrkan an der Reling erschienen. Er warf seine schwere Rüstung zu Boden, stieg auf das Geländer und stürzte sich in die Fluten. In der Zwischenzeit hatte Yamraiha ihren Stab zur Hand genommen und konzentriert die Augen geschlossen. Sie begann, mithilfe ihres Zaubers, einen Ertrinkenden nach dem anderen in einer Wasserblase zu sich an Bord schweben zu lassen. Für Sharrkan bestand kein Zweifel daran, dass sein Körperbau es ihm nicht erlaubte, Masrur zu folgen – schließlich war er kein Fanalis und hatte nicht die Kraft, gegen das aufgewühlte Meer anzuschwimmen. Nein, sein Vorteil war ein anderer. Umgehend positionierte er sich einige Meter hinter der Reling, umfasste den Griff seines Schwertes und wartete auf die passende Gelegenheit. Als einer der Krakenarme dicht genug am Heck des Flaggschiffs vorbeischnellte, nahm er Anlauf, sprang mit einem weiten Satz hinüber und stieß dem Ungeheuer die Klinge ins Fleisch. Er hatte Mühe sich festzuhalten, denn in seinem Schmerz und der Absicht, den Störenfried schleunigst wieder abzuschütteln, schlug der Kraken wie wild um sich. Sharrkan wurde unter Wasser getaucht, in die Luft gewirbelt und gegen den Segelmast gerammt. Im rechten Augenblick zog er das Schwert aus dem Arm heraus und ließ sich an Deck des angegriffenen Schiffes fallen, wo Masrur längst mit den übrigen Gliedmaßen beschäftigt war. Gemeinsam trennten sie dem Teufelskraken mehrere seiner Arme ab, bis er endlich von ihnen abließ und wieder in den dunklen Untiefen des Südmeeres verschwand. Der Schaden hielt sich in Grenzen: Ein paar Fässer und Kisten mit Obst waren zerstört worden, ein Segel zerrissen und der Bug gesplittert, doch es gab nichts, was man nicht hätte reparieren können oder was die Weiterfahrt nachhaltig beeinträchtigt hätte. Auch die Belegschaft war, dank dem beherzten Eingreifen der Generäle, nur mit Kratzern und Blessuren davongekommen. Zurück auf dem Flaggschiff wurden Sharrkan und Masrur von ihren Kampfeinheiten in Empfang genommen, die unverhohlen ihre Bewunderung kundtaten, aber Sharrkans Interesse galt nur einer einzigen Person. „Das ist ja noch mal gutgegangen, was?“, sagte er an Yamraiha gewandt und sie schaute ihn abweisend an, kehrte ihm den Rücken zu und ging wortlos in ihre Kajüte. Es schien, als sei die Distanz zwischen ihnen größer denn je. Betrübt lehnte sich Sharrkan über die Reling, starrte hinunter ins glitzernde Wasser und spürte, wie die leichte Brise auf seinem nassen Körper eine Gänsehaut erzeugte. Dann wurde plötzlich ein weiches Handtuch über seinem Kopf ausgebreitet und er drehte sich überrascht um und sah Masrur, ebenfalls in ein Handtuch gehüllt, hinter sich stehen. „Warum redest du nicht einfach mit ihr?“, fragte er ohne Umschweife. „Wie denn?“, antwortete Sharrkan. „Sie will ja nicht reden.“ „Hast du es schon mal mit einer Entschuldigung versucht?“ „Wie kommst du darauf, dass ich Schuld bin?“ „Ich kenn dich doch.“ Masrurs Worte wogen deutlich schwerer als sein eigenes schlechtes Gewissen und Sharrkan trocknete sich die Haare, um sein glühendes Gesicht zu verbergen. „Sie hat doch angefangen“, sagte er trotzig. „Wenn sie mir das nicht verschwiegen hätte mit diesem… diesem schmalzigen… schnulzigen… widerlichen… dann…“ Ja, was dann? Hätte er niemals ihren Brief gelesen? Hätte er sich nicht betrunken und wäre sie nie so angegangen? Hätte er sich schon früher viel mehr um sie bemüht? Hätte er ihr offener gestanden – „Du bist eifersüchtig.“ „So ein Blödsinn!“ Sharrkan zog sich das Handtuch noch ein Stückchen tiefer ins Gesicht, doch Masrur ging auf seine Aussage nicht ein. „Du solltest ihr einfach sagen, was du fühlst“, schlug er vor, „wenn du nicht willst, dass dir ein anderer zuvorkommt.“ „Das ist aber nicht einfach“, seufzte Sharrkan. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)