Sucht von Lunatik ================================================================================ Kapitel 3: Durchsichtig ----------------------- Ich öffne meine Augen und muss sie gleich wieder zusammenkneifen. Es ist hell. Danach merke ich sofort, dass es laut ist. Ich presse meine Hände an meine Ohren, doch das dämpft das Gefühl nicht. Auf einmal kommt mir der Gedanke, dass meine Hände nicht echt sind. Kein Wunder helfen die nicht. "Was bringst du immer? Was ist das für ein Zeug?" Die Stimme ist mehr ein Grollen. Das Bild eines aufziehenden Gewitters malt sich vor meinen Augen. Schwarze Wolke auf einem dunkelblauen Hintergrund. Durchzogen von weißen Linien aus Licht. Aufkommend. In Sekunden wieder verschwindend. Wolken, die wie vom Himmel hängende Berge immer näher rücken. Ich öffne die Augen. Blonde Haare versperren mir die Sicht. Ich rücke zur Seite, damit mein Blick über die breite Schulter sehen kann. Ein wimmerndes Geschöpf liegt zusammengekauert auf dem Boden. Angewidert verzieht sich mein Gesicht. Die Gestalt ist zu einer Kugel zusammengerollt. Die Hände liegen schützend um den Kopf. Ein Finger steht unnatürlich nach außen ab. Gebrochen. Die Knie sind an den Körper gepresst. Es zittert. Ein Fuß in weiß-orangenen Turnschuhen trifft den Körper in die Seite. Ein hohes Jaulen entfährt der Gestalt. Ich will das nicht sehen oder hören. Ich will weg. Aber ich kann nicht. Wie man bei einem Autounfall nicht seine Augen abwenden kann, so kann auch ich mich nicht wegbewegen. Klebe an diesem einen Fleck. Mariku kniet sich hin und packt die Gestalt an einem Arm. Er zieht den Arm weg von dem Kopf. Die Gestalt versucht davon zu krabbeln oder sich loszureißen. Doch Marikus Griff ist eisern. Ich nicke wissend. Da gibt's kein Entkommen. Und später wird das mindestens violett-blaue Abdrücke hinterlassen. Oder angebrochene Knochen. "Sieh mich an" befiehlt der Blonde. Es dauert einige Momente, in denen die Gestalt lauter wimmert und etwas vor sich murmelt. Bitte? Ja, das Wort müsste es sein, dass den Lippen wie ein Mantra immer wieder entweicht. Er sollte einfach gehorchen, sonst wird es nur schlimmer. Ich seufze lautlos. Schließlich dreht sich der Kopf und zwei weit aufgerissene Augen blicken zu Mariku hoch. Blanke Angst liegt in diesen dunklen, fast schwarzen Augen, die wie zwei Brunnen in die Hölle aussehen. Oh, Tanaka. Jetzt wo ich das Gesicht sehen kann, ist es fraglos, dass es Tanaka ist. Wieso habe ich ihn nicht vorher erkannt? Schulterlanges schwarzes Haar, das fettig im Licht der Lampe glänzt, eine verwaschene Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit irgendeinem Spruch drauf. Definitiv Tanaka. Ich schaue mir wieder sein Gesicht an. Ich habe noch nie solch einen Ausdruck darauf gesehen. Seine Oberlippe ist aufgerissen und blutet. Die Haut unter dem linken Auge ist schon am Anschwellen. Huch, das war vorhin im Bett noch nicht da gewesen. "Brav" lobt eine zuckersüße Stimme. Ein Schauer jagt mir über den Rücken. Doch das ist ok, ich kann es eh kaum spüren. Ich kann eigentlich kaum irgendwas spüren. Doch eins weiß ich: diese warme, unschuldige Stimme ist nur der Verbote eines noch stärkeren Gewitters oder eines Sandsturms, der den Körper mit Millionen von Körnern zerschneidet. "Also, was ist da drin?" Mariku hält eine Spritze direkt in Tanakas Gesicht. Oh, meine Spritze. Darum geht's? Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, doch kein Ton kommt heraus. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht was drin ist. Ich nehme einfach immer das, was Tanaka mir bringt. "DMT" die Stimme ist nicht mehr als ein Hauch und dafür fängt sich Tanaka eine Faust ins Gesicht. Ich höre ein Knacken und sehe wie die Nase zur Seite absteht. Blut fließt herunter und saugt sich in den Stoff des T-Shirts. Immerhin merkt man auf Schwarz kaum einen Unterschied. Und jetzt ist auch Tanakas Arm wieder frei. Er krabbelt einige Schritte nach hinten und hält seine Hände schützend vor sein Gesicht. "Rede laut und deutlich mit mir." Marikus Stimme klingt ruhig. Oh, oh. Das ist die letzte Warnung. Danach wird er schreien und schlagen. Unkontrolliert. Woher weiß ich das? Ich blinzle, mir ist als ob alles kurz schwarz geworden wäre. "Hast du verstanden?" Tanaka nickt eifrig und mehr Blut spritzt von seinem Gesicht. Manche Tropfen landen auf dem Boden. Wer soll das nachher aufräumen? "Also, nochmal: was ist das? Und was hast du sonst noch gebracht?" "DMT. Aber das ist reiner Stoff...Deswegen in der Spritze...Da ist guter und teurer Stoff. Ich hab dich nicht reingelegt!" Die Gestalt schreit fast während große Tränen die Wangen herunter kullern. Keine gute Idee. "Was sonst?" - ein tiefes Knurren. Ein Raubtier, das sich zum Sprung bereit macht. Heute ist Mariku ziemlich geduldig. Ich sehe wie sich Tanakas Kehlkopf bewegt, als er schluckt. Auch ihm muss der Ton aufgefallen sein. "Manchmal LSD. Heroin. Amphetamine. Ketamin. Meskalin. Aber in letzter Zeit hauptsächlich DMT." Wow, ich lebe noch bei all dem Zeug? Jegliche Emotion hat Tanakas Stimme verlassen. Hoffnungslos. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass Marikus Augen zu Schlitzen zusammengekniffen sind. "Wie lange schon?" "Mann, du bist so krank." Das war ein Fehler. Eine Faust nach der anderen schlägt auf die Gestalt ein. Ich sehe wie der Kopf gegen die Wand prallt. Weitere Blutflecke bleiben daran kleben. Es ist kein Wimmern mehr, sondern jetzt sind es Schreie. Aber sie ersterben schnell. Dann hört man nur wie Fleisch verarbeitet wird. Wie Knochen brechen. "Zwei...zwei...Jahre! Bitte, tu mir nichts mehr. Bitte. Tut mir Leid. Bitte." Unaufhörlich wiederholt er die Worte. Das bringt nichts. Ich weiß, dass Mariku schon lange nicht mehr zuhört. Er ist aufgestanden und tritt nun zu. In die Seite - Rippen brechen. In die Arme - sie schlagen dumpf auf den Boden. Ich will nicht mehr. Ich will weg. Ich schließe die Augen. Vielleicht verschwindet alles in einem Traum. Ich höre wie etwas aufklappt und reiße die Augen auf. Ein Messer. Mariku beugt sich über das Geschöpf. Es kann sich nicht mehr bewegen. Es ist ganz leise. Die Augen starren nur noch ins Leere. "Keine Angst, da hol ich dich wieder raus." Die Stimme klingt fast liebevoll. Wie die eines Vaters, der seinem Kind die Hand reicht. Starke Hände zerreißen erst den schwarzen Stoff. Dann legt sich die kalte Klinge auf bare Haut und langsam zieht Mariku sie über die ganze Brust. Es bleibt nur ein weißer Strich zurück. Ich weiß, in wenigen Minuten wird die Haut gerötet sein. Mariku setzt oben neben dem Strich wieder an und zieht die Hand parallel nach unten. Diesmal quellen an einigen Stellen rote Tropfen hervor. Das könnte schon eine dünne Narbe geben. Beim dritten Schnitt bohrt sich das Metall tief in das Fleisch. Das Rot fließt. In der gleichen langsamen Geschwindigkeit führt Mariku seine Bewegung aus. Schließlich höre ich einen Schrei. Tanakas Stimme. Er ist wieder da. "So ist es besser." Mariku malt auf Tanakas Körper wie ein Künstler. Erschafft ein groteskes Meisterwerk. Bis man an einigen Stellen weiße Knochen sehen kann. Bis einzelne Nägel auf dem Boden verstreut liegen. Etwas zerbricht. Ein Knochen? Nein, etwas in mir. Eine dunkle Wand, die nun in Scherben liegt. Ich schließe die Augen.   Meine Hände tun weh. Müde versuche ich meine Augen aufzumachen, die sich verklebt anfühlen. Nach einiger Anstrengung gelingt es mir. Ich würde so gerne weiter schlafen. Was hat mich geweckt? Warum bin ich wach? Achja, Schmerz. Ich hebe meine Hände zum Gesicht. Da ist nichts. Ich drehe sie um und sehe gerötete Knöchel. Irgendwas regt sich in mir. Ich richte mich auf im Bett. Mein Hals kratzt. Durst. Wie spät es wohl ist? Der Gedanke wird gleich verschluckt von Gleichgültigkeit. Was spielt es schon für eine Rolle, wenn man eine zeitlose Existenz führt? Ich ergebe mich meinen körperlichen Bedürfnissen und schleppe meinen Körper aus dem Bett. Es ist verwunderlich, wie ein nicht mehr in der Realität existierender Körper noch Wasser und Nahrung braucht. Ich schüttele den Kopf. Was sollte das? Mein Körper ist echt und lebt. Natürlich braucht er gewisse Dinge. Ich gehe zur Küche und jeder einzelne Schritt ist eine Kraftanstrengung. Ich habe das Gefühl ich hätte ewig geschlafen, während meine Muskel degeneriert sind. Ich greife nach einem Glas und fülle ihn mit Leitungswasser. Das Wasser schmeckt nach Kalk, doch es lindert das Kratzen in meiner Kehle. In der Spüle steht noch die Kaffeetasse von gestern. Ich lasse das Wasser laufen und greife nach dem Spülschwamm. Ich stocke in der Bewegung. Warum ist da nur –   Er lachte laut auf und lief vor. Isis rief hinter ihm, er solle auf sie warten. Er gehorchte und blickte ihr lächelnd entgegen, als sie näher kam. Er fasste nach ihrer Hand und umklammerte diese fest, während sie zwischen den Ständen liefen. Er blieb jede Paar Schritte stehen und sie erklärte ihm all die Dinge, die sich seinem Blick eröffnete. Mit großen Augen saugte er das Wissen wie ein Schwamm auf. Es war so faszinierend!   Er blickte auf die Leiche seines Vaters. Die Augen waren immer noch weit geweitet in Schock. Wer hatte die Lüge erzählt Sterbende würden ihre Augen schließen? Arme legten sich um ihn und zogen ihn fest in eine Umarmung. Isis murmelte in sein Ohr. Doch er konnte kein einziges ihrer Worte wahrnehmen. Sie drehte ihn mit Kraft zu sich und er blickte in tränenerfüllte Augen. Ein Schatten stand hinter ihm und im nächsten Moment wurde sie zur Seite gedrängt. Odion kniete sich vor ihm und starrte mit einem intensiven Blick zu ihm. „Wer?“ flüsterte der Junge leise und erschrak als er seine eigene Stimme hörte. Sie klang gebrochen und zitterte. Er würde nicht so schwach sein!   Die Sonne brannte heiß. Seine Haare, die nicht alle vom Helm geschützt waren, wehten wild im Wind. Freiheit! Er lachte lautlos und seine Augen blickten nach vorne. Es war endlich vorbei! Das Wissen auf seinem Rücken wurde genutzt und nun gab es nichts mehr, was er beschützen musste! Nun konnte er die Pyramiden und den endlosen Sand hinter sich lassen. Er konnte einfach davon fahren und eine Arbeit finden, die ihm Spaß machte. Er konnte lernen zu singen, Instrumente zu spielen, zu zeichnen. Was auch immer er wollte! Der Pharao war endlich zu seinen Ahnen zurückgekehrt. Der Pharao –   Er blickte auf seinen eigenen Körper herab, der vor ihm stand. Eine Stimme – seine eigene, aber tiefer und grollender – lachte laut. Ihm gegenüber stand der Pharao. Über ihm schwebte sein kleineres Ebenbild durchsichtig in der Luft. Yugi, erinnerte er sich an den Namen. Wut durchströmte ihn als Teile seines Körpers von den Schatten gefressen wurden. Wut, die ihm Kraft gab gegen sich selbst zu kämpfen. Das da vorne war nicht er! Aber es war sein Körper. Er kämpfte wie gegen einen reißenden Strom oder Masse so fest wie Zement. Doch er biss seine Zähne zusammen. Auch wenn ich gerade keine habe. Er war viel mehr als sein zweites Ich! Er konnte mehr als wütend und mordlustig zu sein. Er konnte lieben und sich freuen und verzeihen und lachen und beleidigt sein. Der andere Geist war nicht er. Der andere Geist war Mariku. Er wehrte den fremden Mariku ab und überließ ihn den Schatten.   „Mariku“ flüsterte Malik leise und ließ den Spülschwamm wieder fallen. Seine Hände zitterten, als er das Wasser wieder abstellte. Die Erinnerungen fluteten sein Bewusstsein. All die Scherben seiner Vergangenheiten fügten sich wieder zusammen zu einem vollständigen Bild. Malik spürte ätzende Brühe von seinem Magen aufsteigen. Oh nein. Er erinnerte sich an gestern Abend. War das gestern? Tanaka! Malik schluckte, um das Gefühl von Erbrochenen wieder zurück zu drängen. Er stürmte in den Flur und untersuchte den Boden. Da war nichts – in einer Ecke an der Wand war ein brauner Fleck. Er war klein und er hätte alles Mögliche sein können. Doch er wusste genau, dass es das Blut aus Tanakas Nase war. Nicht fähig es länger zurückzuhalten, lief Malik ins Bad und beugte sich über die Kloschüssel. Er erbrach. Die Säure ätzte in seinem Rachen und der Geschmack ließ ihn erneut über die Kloschüssel hängen. Er hustete, während sein Gehirn ihm den Abend in allen Einzelheiten vor Augen führte. Tränen liefen seine Augen runter. In seinem Erbrochenen war Blut beigemischt. Er musste aufhören. In seinem Magen war nichts mehr da. Malik zwang sich einen tiefen Atemzug zu nehmen und ganz ruhige die Luft zwischen seinen Lippen wieder rauszupressen. Er achtete nur darauf, wie sich seine Brust hob und senkte. Er dauerte eine Weile, bis er aufstehen konnte, ohne das Bedürfnis zu haben sofort wieder seinen Magen ein weiteres Mal zu leeren. Er betätigte die Spülung. Er musste seine Zähne drei Mal putzen bis der bittere Geschmack dem von Minze endlich wich.   Malik setzte sich auf sein Bett. Daneben standen die Turnschuhe, wie er gedankenlos registrierte. Der Blonde vergrub seinen Kopf in den Händen und hoffte, dass dies sein Schluchzen dämpfen würde. Mariku würde ihn für diese zur Schaustellung seiner Schwäche auslachen. „Warum bist du wieder da? Wie kann das sein?“ brachte er hervor, während seine Wangen und Finger von Tränen nass wurden. Ein Schnauben. Malik sah auf und starrte an die Wand. Da stand er mit verschränkten Armen und betrachtete ihn missmutig. „Ich bin ein Teil von dir gewesen. Natürlich habe ich den Weg zu dir zurück gefunden.“ Die Stimme klang amüsiert und herablassend, doch gleichzeitig ruhig. Das erinnerte Malik an Bakura. Er konnte sich nicht erinnern Mariku jemals zuvor ohne Wut erlebt zu haben. „Wieso?“ Er fühlte sich wie das Kaninchen, als Mariku ihm näher kam und sich nach vorne beugte. Er kann mir nichts tun. Malik wiederholte die Worte in seinem Kopf, doch trotzdem verriet sein Körper ihn mit einem Zittern. Er wusste nun, wie sich all die Opfer immer gefühlt hatten. „Weil wir zurück nach Domino City müssen. Ich will meinen eigenen Körper.“ Die Sonne schien durch Mariku hindurch, während Maliks Augen sich in Schock weiteten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)