Rabenkind von Kadan (Kind der Nacht) ================================================================================ Erinnerung I - Weißkristall - Teil III -------------------------------------- Vincitus Saltus war das Stadtviertel der normalen Bürger. Es gab viele Häuser, teils große, in denen mehrere Familien gleichzeitig lebten. Sie alle waren weiß getüncht und die Dächer waren meist entweder in tiefrot oder in einem satten dunkelbraun gehalten, je nachdem welcher Lehm verwendet wurde. Die Häuser besaßen allesamt Fenster, jedoch nicht viele und nur kleine. Die meisten jedoch blieben über Nacht offen, da die Sommernächte warm und lau waren. Die Eingangstür lag stets einen Schritt über dem Gehweg und man musste vier oder fünf Treppenstufen hinaufsteigen, um sie zu erreichen. Daneben waren meist kleine Säulen errichtet, die sich je nach Vermögen des Hausbesitzers vergrößerten. Die ‚Armen‘ unter den Wohlhabenden dieser Gegend hatte nur kleine, hüfthohe Säulen neben der Treppe, auf denen sie meist kleine Kübel mit Blumen oder anderen Pflanzen stellten. Die Reichen hingegen besaßen Säulen aus Marmor, die bis zu drei Schritt in die Höhe ragen konnten und teilweise reich verziert waren. Darstellungen der Rahja waren ein gerngesehenes Motiv, Weinranken und schöne Künste, Blüten und Pflanzen und die ein oder andere wohlgeformte Frau. Zwei Häuser habe ich noch genauestens im Kopf: Das erste hatte roséfarbene Säulen, mit Weinranken und Frauen verziert, die sich in den verschiedensten Posen liebten. Das Haus selbst war auf den ersten Blick weiß, doch schaute man genauer hin, erkannte man einen leichten Rosé-Stich. Die Fenster waren fast immer mit schweren, tiefroten Vorhängen verhangen, im Garten blühten Rosen und Rauschkräuter und immer, wenn ich an diesem Haus vorbeikam, räkelte sich eine junge Dame halbnackt im Sonnenlicht, die Haut schimmernd vor Ölen und auf dem Leib ein betörender, süßlicher Duft. Den Herren des Hauses hatte ich nie gesehen, doch man sprach über ihn. Sehr viel. Angeblich war er der Rahja zugetan, wie kein anderer Mann und hatte Ehefrauen in Hülle und Fülle. Manchen sprachen von sechs, andere von zehn und manche gar von zwanzig. Doch wie Gerüchte nun mal waren, konnte man vermutlich nichts von alledem glauben. Das einzige, was stimmte, war das Gerücht, dass er Frauen aller Länder und Rassen bei sich zu haben schien. Schon mehrmals war ich an dem Garten vorbeigegangen – ich gebe zu, manches Mal auch nur, um einen Blick auf die Schönheiten zu werfen und einen Moment meinen Schritt zu verlangsamen und den Anblick zu genießen – und immer wieder sah ich andere Frauen. Dunkelhäutige Tulamidinnen, hellhäutige Thorwalerinnen, bosparanische Frauen in allen Variationen, Frauen der Waldmenschen mit ihrer fast schwarzen Haut, Novadi-Frauen, die ihren Leib nur in durchsichtige Seide hüllten und Nivesinnen, mit ihren schräggestellten Augen und meist roten Haaren. Einmal gar eine Zwergin. Nur eine Elfin schien ihm zu fehlen. Das andere Gebäude, das mir gut in Erinnerung blieb, war ein kleines, ebenerdiges Haus, das jedoch aus allen anderen herausstach. Zwar waren auch dessen Wände in Weiß getüncht, doch es hatte keine Fenster und die Tür war aus dunklen Mohagoni-Holz, in deren Rahmen und das Holz der Tür selbst, Verzierungen geritzt waren. Darstellungen von Raben, auf dem Rahmen über der Tür die Seelenwage und in der Mitte der Tür selbst das gebrochene Rad. Ein Kiesweg führte zum Eingang, anders als bei den anderen Häusern, die per Treppe zu erreichen waren, eingefasst von Säulen aus schwarzen Marmor. Auf den ersten beiden fanden sich zwei Raben aus dem glatten Stein, mit ausgebreiteten Flügeln und aufgerissenen Schnäbeln. Manchmal, vor allem des Abends, ließen sich Krähen auf den Marmorsäulen nieder und beobachteten die Menschen und Wesen, die an dem Haus vorbeigingen. Es fiel mir oft schwer zu erkennen, ob der Besitzer des Hauses nun weitere Statuetten angebracht hatte oder ob dort wirkliche Tiere saßen. Erst, wenn sie den Kopf leicht bewegen und mich anstarrten, bemerkte ich, dass es Tiere waren. Etwas abseits des Gehweges fand sich ein kleiner Garten, umzäunt und abgeschieden vom Rest, verdeckt durch eine Trauerweide. Ich erkannte einmal schwarze Rosen und schwarzen Lotus und zwischen ihnen einen Stein. Doch als ich näher trat und sehen wollte, was es mit dem Stein auf sich hatte, bemerkte ich die Wirkung der Pollen des Lotus, die bleierne Müdigkeit, die in meinen Körper kroch, und ich machte mich so schnell ich konnte davon. Auch um dieses Haus und seinen Besitzer kursierten die merkwürdigsten Gerüchte. Ein Fanatiker des Nemekath, der regelmäßig Rauschkrautorgien und rituelle Selbsttötungen veranstaltete, sagten die einen. Es sei das Haus eines Nekromanten, mit langen Kellergängen, tief unter Bosparan selbst, sagten andere. Doch die glaubhafteste Geschichte war wohl die des Boron-Gläubigen, der seiner Frau hinterher trauerte. Ich hielt mich meist auf der Seite der Straße auf, von der ich den Blick in den Garten mit den hübschen Damen werfen konnte. Ich hielt damals nicht viel von der Totenverehrung und dem Kult des Boron – natürlich, ich war gläubig. Ich ging auch manches Mal zu den Geweihten, um mir Träume deuten zu lassen oder ich nahm an den rituellen Begräbnissen bei, wenn jemand verstorben war, den ich kannte. Doch ich war der Ansicht, dass ich das Leben genießen sollte, bis Boron mich zu sich holen würden. Wo die Boroni der Ansicht waren, dass das Leben nur der kurze Abschnitt vor der Ewigkeit war und man auf Hab und Gut verzichten solle, war ich der Ansicht, dass man das Leben genießen sollte. Warum dann also nicht Geld und Gut ansammeln, wenn es einem gefiel? Und auch an diesem Abend warf ich einen Blick über die Hecke, die niemals höher als bis zur Brust reichte und wohl mit Absicht den Blick in den Garten freigab, und verlangsamte meinen Schritt. Ich erblickte eine junge Tulamidin. Der Duft von Kirschen kam zu mir herüber und das Öl auf ihrer Haut verlieh ihr einen wunderschönen Glanz. Ihre Augen waren haselnussbraun, ihre Haare schwarzblau, hüftlang und flossen wie Wasser um ihre Schultern. Sie hatte weibliche Proportionen, war nicht so dürr wie die tulamidischen Sklaven auf den Feldern und die Seide, die sie sich um Hüfte und Brust geschlungen hatte, zeigte mehr, als dass sie verdeckte. Sie lag auf dem Rücken, einen Arm hinter den Kopf gelegt und der andere auf ihrem Bauch. Sie hatte die Augen geschlossen, doch als ich an der Hecke vorbeitrat, öffnete sie sie leicht, schaute mich an und lächelte verführend. Innerlich fing ich an, mich mit mir selbst zu streiten. Stehenbleiben und den Moment auskosten? Oder doch beeilen und endlich zu den verdammten Tavernen gehen? Meine Schritte wurden langsamer und ich glaube, ich blieb sogar einen Moment einfach stehen, mit den Gedanken ganz woanders, als noch vor wenigen Momenten. Die Tulamidin im Garten blickte mich ebenso an, legte den Kopf leicht schief und lachte leise, ehe sie aufstand und an mich herantrat. Ich glaube, ich starrte sie in dem Moment einfach an, zu sehr verwirrt von meinen eigenen Gedankengängen, die sich mittlerweile darum stritten, weiterzugehen, stehenzubleiben oder einfach über die verdammte Hecke zu springen und mich dem hinzugeben, dass in mir aufwallte. Irgendwie musste ich mich dafür entschieden haben, einfach stehenzubleiben, denn ich starrte die Dame nur unentwegt weiter an... „Dir scheint ja zu gefallen, was du siehst, hm?“ Sie lachte, süß wie Honig. In ihrer Stimme schwang ein südländischer Akzent mit, der sich jedoch so geschmeidig anhörte, wie das Schnurren einer Katze. Ich nickte geistesabwesend. Und wieder lachte sie. Um ehrlich zu sein, weiß ich bis heute nicht, warum ich so geistesabwesend war. Sie war bei weitem nicht die erste Frau, die ich nackt gesehen hatte. Und dennoch stand ich vor der Tulamidin und starrte sie unentwegt an. Sie legte den Kopf leicht schief und verschränkte die Arme vor der Brust, nicht jedoch ohne jene dabei anzuheben. „Du gefällst mir, irgendwie. ‘Ist niedlich, wie du mich so anstarrst.“ Erst, als sie es erwähnte, bemerkte ich es selbst und riss mich, nicht ohne zusammen zu zucken, wieder zurück in die Realität. Diesmal lachte ich auf und grinste seicht. Ich sagte jedoch nichts – aus dem einfachen Grund, dass mir nichts Gescheites einfiel... „Weißt du... Yanturius ist im Moment beschäftigt... Und ich langweile mich... Ganz fürchterlich..!“ Ihre Stimme wurde leiser, doch nicht minder süß. Es legte sich vielmehr ein Ton in die Stimme, der mir eine seichte Gänsehaut bescherte. „Ich wünschte, es wäre jemand hier, mit dem ich... ein wenig spielen könnte?“ Sie grinste, nun vieldeutig, und legte ihren Oberkörper etwas nach vorne, räkelte ihren Körper und fuhr mit einer Hand nach oben, die Taille entlang in ihre Haare. Ich merkte, wie die Hitze in mir aufstieg und tatsächlich war ich einen Moment versucht. Ziemlich versucht sogar. So eine Gelegenheit bot sich ja nicht jeden Tag! Und bei Rahja, wenn mir die Göttin schon so ein Angebot machte, warum dann nicht..? Und tatsächlich ertappte ich mich, wie ich meinen Blick über die geschlossene Hecke gleiten ließ, eine gute Stelle suchend, über die ich hüpfen könnte. Ja, ich entdeckte sogar eine und war drauf und dran mich zu jener zu begeben, über das Gestrüpp in meinem Weg zu klettern und der Versuchung der Dame nachzugeben..! Doch ein lauter Knall riss mich aus den Gedanken und aus der Bewegung. Ich zuckte zusammen, die Dame vor mir ebenso. Hinter uns war eine Tür aufgeschlagen worden, das schwere Holz war gegen die Steinmauer des Hauses geknallt und hatte uns beide fürchterlich erschrocken. Ich drehte mich um und entdeckte, dass es das Haus mit den schwarzen Säulen war. Eine junge Dame stand im Türrahmen, der Leib war von einer schwarzen, schlichten Robe bedeckt und ihr Haupt bedeckte eine Kapuze. Sie selbst schien etwas verwirrt zu sein über die Kraft, mit der sie die Tür aufgestoßen hatte und blickte einen kurzen Moment auf das schwere Holz, ehe sie seufzte. Dann machte sie sich auf den Weg – direkt zu mir und der Tulamidin. Trotz dessen, dass die Robe weit geschnitten war, erkannte ich, dass die Frau dünn war. Sehr dünn. Ihre Finger waren lang und fast schon dürr und man erkannte die Knöchel, selbst wenn sie die Hand nicht zur Faust ballte. Ihr Gesicht war zum großen Teil durch die Kapuze verdeckt, doch ihre Wangenknochen waren gut zu sehen und ebenso erkannte man einen Teil der Schlüsselbeine, die sich stark von den Schultern abzeichneten. Trotz dessen, war ihr Gesicht fein und ihre Haut schien so eben wie der Marmor der schwarzen Säulen. Sie blieb direkt neben mir stehen und wandte sich der Tulamidin zu. „Dein Friede ist nicht gefunden, Kamiljia. Geh‘ und suche den Frieden im Leben, denn das Leben ist nur der Vorgeschmack auf den Tod. Lebe in Armut und frei von Laster, denn der Tod ist die Ewigkeit. Wende dich ab und lerne zu sterben.“ Ich war überrascht, wie sanft ihre Stimme war. Wie zart und zerbrechlich sie klang und doch zur gleichen Zeit so stark und fest. Ich schwieg und starrte die Frau in der dunklen Robe an, während die Tulamidin sich zurückzog, zuerst nur zögernd, dann jedoch mit einem spottenden Lachen. Sie tat zwei Schritte nach hinten, ehe sie ihren Leib streckte, die Arme hinter den Kopf legte und mich wieder anblickte. „Also, kommst du mit mir?“ Ich blickte auf, musterte sie erneut - und schüttelte den Kopf. Ich wollte nicken, ich wollte über die Hecke springen und ihr hinterhergehen, ich wollte es! Und dennoch schüttelte ich urplötzlich den Kopf und blieb wie angewurzelt auf der Straße stehen, verdattert über meine eigene Reaktion auf ihre Frage. Kamiljia, wie die Tulamidin wohl hieß, schnaubte auf und ging ins Haus. Ich seufzte. „Und du... Komm mit, Grangorias. Folge mir. Es gibt etwas wichtiges, dass ich dir mitteilen muss.“ Ich erschrak. Woher kannte sie meinen Namen?! Noch nie hatte ich die Frau getroffen, geschweige denn gesehen. Und sie kannte meinen Namen? Erneut blieb ich nur stehen, starrte die Frau an und versuchte Antworten auf die Fragen zu bekommen, die sich in meinen Gedanken auftaten. Wer war sie. Was war sie. Warum kannte sie mich? Und warum zum Teufel hatte sie mir die Chance mit der Tulamidin vermasselt?! „Es gibt keine ungelösten Fragen, nur ungefundene Antworten. Folge mir, dann wirst du sie bekommen.“ Und sie ging. Sie ging einfach wieder gen des Hauses mit den Säulen und ließ mich stehen. Und erneut stritt sich alles in mir um drei Möglichkeiten: Mitgehen. Kamiljia nachrennen. Oder endlich zu den Tavernen gehen. Irgendwie entschied ich mich schon wieder gegen das, was ich eigentlich anfangs wollte und so folgte ich der Frau in der schwarzen Kutte in ihr Haus... Ohne zu wissen, welche Bedeutung all das noch für mich haben würde. Es war totenstill. Absolut still, wie in einem Tempel des dunklen Herrn. Nicht einmal die Tür gab ein Geräusch von sich, als die Frau sie hinter mir schloss. Und so still wie es war, so dunkel war es auch. Lediglich zwei kleine Fackeln erhellten den kreisrunden Raum, in dem ich stand. Ich brauchte lange, um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die Fremde schien damit kein Problem zu haben. „Folge mir.“ Sie ging voraus, direkt auf die Wand zu, wie es schien. Erst wenige Meter davor erkannte ich in der Dunkelheit, dass es hinab ging. Eine Treppe runter. Das Gebäude war also nicht ebenerdig... Und da schossen mir die Gerüchte wieder in den Kopf. Und das beunruhigte mich, denn die Geschichte, die mir bisher am plausibelsten erschien, stimmte nicht. In diesem Haus wohnte kein Mann, der seiner Frau nachtrauerte. Es war eine junge Frau in der Blüte ihres Lebens... Doch was stimmte dann? Das mit der Nekromantie konnte ich nicht glauben. Dann also... Ich schluckte schwer. Ich war doch jetzt nicht etwa in Begleitung einer fanatischen Nemekath-Anhängerin? Das fehlte mir jetzt. Ich war in Zeitmangel und sollte nun etwa einer Rauschkrautorgie teilhaben? Doch gut, dachte ich mir, warum eigentlich nicht? Rahja schien mit an dem Tag sehr gütig. Und solche Gaben der Göttin lässt man ja nun nicht einfach links liegen, nicht wahr? Die Dunkelheit im Gang war schlimmer, als oben. Hier hingen keine Fackeln und ich musste mir jede Treppenstufe mühevoll mit den Füßen ertasten, ehe ich weiter hinab kam. Meine Führerin jedoch schien keine Probleme zu haben und stieg die Treppen zügig hinab, so dass ich sie schon nach wenigen Momenten in der Schwärze verlor. „Suche nicht mit deinen Augen. Lass dich führen vom Herrn, denn er wird dir den Weg zeigen, selbst durch tiefste Dunkelheit hindurch.“ Ich sollte also einfach draufloslaufen? Nichts da! Ich hatte nicht vor, noch eventuell von der Treppe zu fallen. Da tastete ich mich lieber weiter, Stufe für Stufe hinab. Irgendwann käme ich schon unten an. Und solange müsste sie sich halt gedulden..! „Vertraue, sonst wirst du fallen.“ Musste ich mir das jetzt etwa die ganze Zeit anhören? Ich seufzte innerlich und machte trotz ihrer Worte einfach weiter, wie bisher. Ich tastete mit dem Ende der Sandalen nach einem Absatz. Fand ich ihn, glitt ich mit dem Fuß daran hinunter, bis ich wieder auf festen Boden stieß. Und dann wiederholte ich die Prozedur mit dem anderen Fuß. Langsam, aber effektiv! Nach einigen Momenten und einigen Treppenstufen konnte ich die Länge und Größe der Treppe soweit einschätzen, dass ich kaum noch tasten brauchte. Es ging schneller als vorher voran und ich grinste in mich hinein, freute mich und spottete vielleicht sogar ein wenig der Worte der Fremden. Von wegen, nicht auf die Sinne trauen! Es war nur eine Treppe, es waren nur Stufen, es war nur eine Sache der Taktik und der Geduld! Es war - Und ich fiel. Ich stieß einen kurzen Schrei aus, vor Schreck, ehe ich nach vorne fiel. Da, wo vorher Treppenstufen waren war keine. Stattdessen schien eine zu fehlen. Und das war mein Untergang. Denn ich trat zielsicher vor, im Gedanken, dass fester Boden auf mich wartete. Doch stattdessen trat ich in die Luft, verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorne. Ich schlug hart mit dem linken Arm auf den Stein auf, fiel einige Stufen hinab und überschlug mich selbst einmal, ehe ich am Ende der Treppe zum liegen kam. Mein ganzer Körper schmerzte und ich fluchte auf, stöhnte und versuchte erst einmal zu registrieren, was da gerade geschehen war. „Ich sagte, du sollst auf den dunklen Herrn vertrauen...“ Ihre Stimme war tonlos, es lag weder Schadenfreude noch Tadel in ihr. Es schien mir eher, als wollte sie mich daran erinnern, dass ich soeben gestürzt war. Ich grummelte leise, dann richtete ich mich auf, tastete in der Dunkelheit meine schmerzen Stellen ab und versuchte mich zu orientieren. Was mir jedoch nicht gelang, denn immer noch lag da diese absolute Dunkelheit im Raum. Kein Licht. Kein Geräusch. Außer meinem Fluchen und Grummeln, natürlich. „Folge nicht deinen Augen sondern lasse dich leiten vom Herrn und lausche dem Geräusch meiner Schritte. Dann wirst du den Weg finden.“ So langsam ging sie mir auf die Nerven. Mir war selbst klar, dass ich hier unten nicht meine Augen nutzen konnte. Wie denn auch?! Ich rieb meinen linken Arm, tastete nach meinem Schwert, dass noch immer an meinem Gürtel hing, unbeschädigt und fest in der Scheide, ehe ich ihren Schritten folgte. Eine Hand legte ich dabei an die Wand. Einfach, um nicht das Gefühl zu haben, in einem leeren Raum zu laufen... Irgendwann stoppten ihre Schritte und auch ich blieb stehen. Ich hörte, wie sie einen Schlüssel in ein Schloss steckte – wobei ich mich fragte, wie bei den Niederhöllen sie es schaffte, in dieser Dunkelheit das Schlüsselloch zu finden, wenn sie doch der Meinung war, sich nicht auf die Sinne zu verlassen? Wie fand sie es, wenn sie nicht danach tastete? Dann öffnete die Tür, was ich an dem leisen Geräusch der Scharniere erkannte, und sie trat ein. Ich folgte. Der Raum, in den wir dann traten, war heller. Mehrere Fackeln erleuchteten den Raum, der ebenso kreisrund war, wie jener ebenerdige. Auf dem Boden war ein gebrochenes Rad in den Stein geschlagen, mit Silber ausgegossen, wie mir schien. Der Boden und die Wände, selbst die Decke, waren auch schwarzem Stein, von dem ich jedoch nicht sagen konnte, welcher Art er war. Basalt? Obsidian? Marmor? An den Rändern des Rades lagen zwei schwarze Samtkissen, eines auf der Radmitte und eines auf der Speiche direkt gegenüber. Ich hätte sie fast übersehen. Außerdem standen an allen Speichenden und jedem Kontaktpunkt mit der Radmitte schwarze Kerzen, die Äußeren lang und scheinbar neu, die Inneren nur noch kurz und eine schien kurz vor dem Erlöschen zu sein. „Setz dich auf eines der Kissen. Dann wirst du deine Antworten bekommen.“ Auch die Frau ging zu einem, setzte sich auf das Kissen in der Radmitte und ließ sich nieder. Sie schien die Ruhe selbst und schaute mich lediglich an, während ich unentschlossen davor stand. Wollte ich nicht eigentlich in die Tavernen und Schenken, um meinen Traum zu erfüllen? Und nun? Nun stand ich im Keller einer Boroni und sollte mich auf ein Kissen setzen... Ich seufzte, setzte mich dann jedoch. „Dürfte ich vielleicht erfahren, wie Ihr heißt? Und wo, bei Rahja, ich mich hier befinde?“ Ich merkte zu spät, wie genervt ich klang. Und ich bereute es im selben Moment. Doch die Dame vor mir lächelte nur sanft und schob die Kapuze nach hinten. Sie trug kinnlanges, schwarzes Haar und auch ihre Augen waren von dunkler Farbe. Ihr Gesicht war hager und doch zugleich fein, ihre Wangen hoch. Ihre Augen erinnerten mich an die einer Katze und der Ausdruck der in ihnen lag, fesselte mich. Wachsamkeit. Lebendigkeit. Und doch zeitgleich die Melancholie des Todes... „Mein Name ist Corvinia. Du befindest dich in einem kleinen Heiligtum des Boron. Kein offizieller Tempel, vielmehr eine kleine, unterirdische Kammer, in der sich die Geweihten des Rabengottes zurückziehen, wenn ihnen das Leben zu viel wird. Oder wenn etwas Außergewöhnliches passiert. Wie in diesem Fall.“ Und immer noch klang ihre Stimme tonlos, nicht einmal eine Regung in ihrem Gesicht war zu vernehmen. Doch ich kannte es von den anderen Boroni, daher wunderte es mich nicht. Gut, fassen wir zusammen: Ich war eigentlich auf dem Weg in die Tavernen, um mir meinen Traum zu erfüllen, hatte mich dann aber von dem Angebot einer Tulamidin ablenken lassen und war nun durch seltsame Fügung, statt mit jener Dame Rahja zu huldigen, in einem geheimen Heiligtum des Boron, mit einer Geweihten namens Corvinia, die mich aus welchen Gründen auch immer kannte und mir irgendetwas wichtiges zu sagen hatte. Seltsamer Tag. Doch ich hatte auch schon seltsamere erlebt und fragte mich deshalb nicht, warum oder wieso. Die Götter wussten schon, was sie taten und ich vertraute ihnen. Gut, vielleicht nicht allen bedingungslos und blind, doch im Grunde vertraute ich ihnen. Ich seufzte erneut, ehe ich nickte. Corvinia schwieg einen Moment, ehe sie sich etwas nach vorne beugte und eine Schale zu sich zog, die meinem Blick entgangen war. Sie war schwarz wie der Boden, vermutlich aus Obsidian und ich hatte sie übersehen, da sie sich in keinster Weise vom Boden abhob. Corvinia hingegen schien sie sehr gut zu sehen. Sie hob ein kleines Bündel Myrrhe aus der Schale und hielt es in die Kerze, ließ es Feuer fangen und pustete es dann wieder aus. Sie schwenkte das Bündel ein paar Mal hin und her, um den Myrrhe dazu zu bringen, die Glut zu fangen und legte es dann, als es zu qualmen begann, wieder in die kleine Schale. Dann schwieg sie. Minutenlang. Ja, es war eine Geduldsprobe für mich. Nichts lag mir damals ferner als einfach den Mund zu halten, zu schweigen und die Augen zu schließen für eine Findung meiner selbst. Ich hatte damals einfach keine wirkliche Bindung zum dunklen Herrn. Ich wusste, er würde eines Tages meine Seele abwägen und ich versuchte mein Bestes, ihn nicht zu erzürnen. Doch andererseits, wie sollte man ihn auch erzürnen, wenn man in einer Stadt lebte und nichts anderes tat, als zu arbeiten und zu Tagträumen? Und war nicht vielleicht die Tagträumerei schon eine kleine Andacht für sich an den Herrn? Nun gut. Meine Ungeduld wuchs von Sekunde zu Sekunde, die ich dasaß und Corvinia beim Beten zusah. Ich versuchte selbst ruhig zu werden, versuchte mich auf mich zu besinnen und Meiner Herr zu werden, doch es misslang. Statt ruhiger zu werden, wurde ich immer aufgedrehter und statt meiner Gedanken Herr zu werden, kreisten sie immer mehr darum, welche Zeitverschwendung dies doch war und dass ich mich sputen müsste, wenn ich die Abenteurer noch treffen wollte. Doch ich harrte aus. Ich blieb sitzen, schwieg und schluckte all das herunter. Ich schloss sogar die Augen, allerdings nur um mich des anstrengenden Dämmerlichtes zu entziehen, der in dem Raum lag. „Kommen wir zu dem Anliegen, weswegen ich dich hierhergeholt habe.“ Corvinia öffnete ihre Augen wohl als erste, denn ich erschrak leicht ob ihrer Stimme, die die Stille im Raum nun teilte. In meinen Ohren klang es beinahe, als würde sie schreien, so leise war es gewesen. „Ich hatte einen Traum. Keinen klaren, denn der Herr schickt seinen Dienern nur äußerst selten direkte Ahnungen. Doch ich weiß, dass es um dich ging, denn ich sah dich. Höre also gut zu, denn einer Diener Borons spricht nicht oft. Und vor allem wiederholt er sich nicht.“ Ich nickte. Dass die Boroni nicht oft sprachen, hatte ich bereits gemerkt. Selbst zu Andachten und Begräbnissen sprachen sie nur das nötigste, nur ein paar Verse und Gebete. Ja, Corvinia war im Gegensatz zu den anderen Boroni sehr gesprächig. „Dir wird schlimmes widerfahren. Doch schaudere nicht, denn Boron wird sich deiner Annehmen. Boron wird sich deiner Seele nach deinem Tod gnädig erweisen und sie in eines der Paradiese schicken. Vielleicht wird Marbo ein Wort für dich einlegen, doch Boron ist streng in seinem Urteil – und deines ist der Tod. Bald. Sehr bald. Ich weiß, dass du vorhast in die Welt zu ziehen. Ich weiß, dass du durch Dere reisen wirst und ich weiß, dass dies dein Ende sein wird. Ein Schwert wird dein Leben beenden, eine Klinge, die dein Herz töten wird, deinen Herzschlag stoppen lässt und deinen Tod besiegelt. Eine Klinge, schwarz wie die Nacht, von Unheil erfüllt.“ Sie schwieg wieder. Und ich starrte sie an. Fassungslos. Ungläubig. Verwirrt. Hatte sie soeben meinen Tod vorausgesagt? Hatte sie mir eben gesagt, ich würde sterben? Auf der Reise durch Dere? Hatte sie gesagt, ich würde zu Boron gehen, durch eine Klinge..? Ich schluckte. Sie hatte mir in diesem Moment gesagt, dass ich reisen würde, dass Kämpfen würde, dass... Dass sich mein Traum erfüllen würde. Euphorie stieg in mir auf. Unbändige Vorfreude, pures Glück und ein einzigartiges Gefühl. In einer Sekunde zur Anderen waren alle meine Zweifel aus dem Weg geräumt. ICH WÜRDE ABENTEURER. Wie gern hätte ich in diesem Moment gejubelt, wie gern hätte ich in diesem Moment geschrien vor Freude, doch ich saß einfach nur da, starrte Corvinia an und versuchte die Worte und Gedanken in meinem Kopf zu ordnen. Dass ich sterben würde, interessierte mich damals entweder nicht oder ich war zu sehr von dem Gedanken eingenommen, dass mein Traum sich erfüllen würde, als dass ich dieser ‚kleinen Nebensächlichkeit‘ Beachtung schenkte. Corvinia senkte den Blick seicht, ehe sie eine Hand meinerseits ergriff und wieder aufsah. „Doch habe keine Angst. Dein Tod mag feststehen und du kannst ihn nicht abwenden, denn selbst wenn ich ihn dir gesagt habe, so weiß ich, dass das Verlangen in dir zu groß ist, durch Dere zu reisen und Heldengeschichten zu erleben, als dass dich die Voraussage abbringen würde, doch sei gewiss, dass Boron sich deiner annehmen und eines der Paradiese sich für dich öffnen wird. Gehe weiter den Weg der Götter und Boron wird sich deiner erbarmen.“ Selbst jetzt vernahm ich weder eine Regung im Ton, noch in ihrem Gesicht. Aber ich achtete auch nicht darauf, sondern nickte nur geistesabwesend und überlegte mir, was ich den Wesen in der Taverne sagen würde. Ich wusste jetzt, dass ich mit ihnen reisen würde und jeder Zweifel war genommen. Es käme jetzt nur auf eine Sache an – einen möglichst guten Eindruck zu machen. Ich weiß, dass Corvinia noch weiter redete, dass sie mich segnete und mich auf den Tod versuchte vorzubereiten, doch sie schien genauso zu wissen, dass all das an mit vorbeiging. Dass ich woanders war mit den Gedanken und dass mich all das nicht wirklich interessierte. Und so erhob sie sich nach knapp einer halben Stunde, und führte mich aus einem anderen Gang, den ich vorher nicht bemerkt hatte, hinaus, eine kurze Treppe hinauf und dann an die frische Luft. Ich war recht verblüfft, dass es einen weiteren Eingang gab, doch dann packte mich der Ehrgeiz. Ich verabschiedete mich kurzerhand von Corvinia, verneigte mich vor der Geweihten und ließ ihr ein paar Silber als Spende da, ehe ich mich von dannen machte. Ich weiß, es war sicherlich nicht das beste Verhalten dem dunklen Herrn gegenüber, wenn ich erfahren hatte, dass ich sterben würde. Doch Ihr müsst bedenken: Ich war jung, ein Tagträumer und vor allem hatte ich die Gewissheit bekommen, dass ich in die Welt hinausziehen würde. Egal was käme! Ich werde an dieser Stelle nicht großartig erzählen, wie ich von einer Taverne zur nächsten zog, immer wieder die gleiche Frage stellte und bei einem ‚Nein‘ des Wirtes schon aus der Tür verschwunden war, ehe er fragen konnte, ob ich etwas zu trinken wollte. Mir ist das Meiste davon so oder so schon lange nicht mehr im Gedächtnis. Eines allerdings, werde ich niemals vergessen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)