Aeonar von Phinxie (Willkommen im berühmtesten Magiergefängnis Thedas') ================================================================================ Prolog: Hinter den Mauern Aeonars --------------------------------- Es war kalt. Zu kalt. Die kalten Steine drückten in den schmerzenden Rücken der Person, die verzweifelt und trocken schluchzend in der Zelle, die Beine mit den Armen umschlingend an den Körper gezogen und das unrasierte, dreckige Gesicht mit der Stirn voran an die Knie gelehnt. Es gab keine Tränen mehr, die den Körper des erschöpften Magiers verlassen konnten; denn zu lange, viel zu lange schon, saß er hier in der dunklen Zelle, umgeben von störender Anitmagie, sodass er seine Kräfte noch nicht einmal einsetzten konnte, um für ein wenig Licht zu sorgen. Das schwarze, wirre und strähnige Haar fiel über die leicht bebenden Schultern. Die Gelenke des Mannes schmerzten von dem langen Sitzen an der kalten Wand. Die Antimagie drückte auf seine Schultern; permanent war sie da, jeden Tag, jede Stunde; sie erinnerte sie alle daran, dass sie niemals entkommen konnten. In der kleinen Zelle des eingekerkerten Mannes roch es modrig; so, wie in den verschachtelten Gängen vor den Gitterstäben. Irgendwo quiekte lauthals eine Ratte; ja, selbst die kleinen Nagetiere fühlten sich, gefangen in diesen dunklen Mauern, nicht wohl. Es roch nach Nässe, nach gewissen Körperausscheidungen, nach Blut und Verwesung; denn einige, die in ihrer Zelle einfach starben, meist, ohne ein Laut von sich zu geben, wurden oft erst viele Wochen später abgeholt. Von draußen konnten die Ohren des Mannes den Wind gefährlich heulen können; wahrscheinlich war wieder ein Schneesturm im Anmarsch. Das beschwerende Quieken der Ratte erstarb in einem hellen, kreischenden Schrei, als sich klappernde Schritte näherten, klapp-klapp-schepper-schepper. Der gefangene Magier hielt kurz inne. Sein Herz pochte wie wild, und er hielt den Atem an, damit der patrouillierende Templer nicht auf ihn aufmerksam wurde. Das Blut rauschte in seinen Ohren und der zitternde Mann sandte ein Stoßgebet zum Erbauer, auf dass dieser ihn beschützen möge. Früher, da hatte er nichts von dem ganzen Kirchenzeugs gehalten, doch jetzt… jetzt, da waren seine kleinen Gebete ein einziger, schwacher Trost. Die Schritte kamen immer näher, wurden immer lauter. Wie eine Drohung schienen sie sich vor seiner Zelltür zu verlangsamen. Es kam dem Mann wie eine Ewigkeit vor, ehe sich die Schritte langsam weiter entfernten und ihn wieder in der einsamen Dunkelheit zurückließen, in der nichts anderes zu hören war als das leise Tropfen des Wassers, was sich einen Weg durch die dicken Mauern gebahnt hatte. Vorsichtig hob Jowan das Gesicht und erlaubte es sich, die Nase kurz hochzuziehen. Das Niesen, das verkniff sich der Gefangene aber; noch war der patrouillierende Templer nicht weit genug entfernt und konnte ihn hören. Er wusste, er war nicht der einzige Gefangene hier in Aeonar. Doch niemand traute sich, ein Wort oder einen Laut über die Lippen zu bringen, sobald der wachhabende, brutale Templer vorbei ging. Man hatte es ihnen gelehrt sich ruhig zu verhalten, sonst wurde man bestraft. Die Peitschenhiebe seiner letzten Bestrafung waren dem Maleficar noch gut in Erinnerung geblieben, obwohl sie schon Jahre her war. Am Anfang, ja, da war er noch aufmüpfig gewesen. Zwar hatte man sich im Zirkel in Kinloch Hold, Ferelden, immer nur schreckliche Sachen über das Gefängnis erzählt, doch nie hatte Jowan sich erträumen können, wie es wirklich war, ein Gefangener des berüchtigtstem Gefängnisses für Maleficare und andere, angeklagte Magier zu sein. Doch jetzt? Jetzt war Jowan genauso gebrochen wie alle anderen Insassen. Alleine schon seine Zelle brachte den Mann dazu, sich einfach nur zitternd und verzweifelt in die hinterste Ecke zurückzuziehen, eingehüllt in undurchdringbarer Dunkelheit und versuchen, nicht an das zu denken was geschehen könnte. Die Zellen waren klein; es passte gerade mal ein einziger Mann hinein, doch wenn die Templer schlecht gelaunt waren, steckten sie zwei Magier in eine Zelle. Meistens wurden diese Personen aufgrund des Platzmangels verrückt, schrien sich an, bis es zu einem Handgemenge tat, aus dem nur einer lebend hervorgehen konnte. Man bekam hier keinen Luxus; wenn man Glück hatte, kam einmal am Tag eine der Wachen runter und verteilte eine dünne, wässrige Suppe ohne Geschmack an die Insassen, damit sich nicht verhungerten. Und einmal im Monat wurden sie dazu gezwungen, ihre Zellen sauber zu machen, damit der Gestank von Urin verschwand; denn die abtrünnigen Magier hier in der Festung bekamen noch nicht einmal einen Kübel, wo sie ihr Geschäft verrichten konnten. Nur in wenig Stroh lag in der Ecke, doch das benutzte Jowan zum schlafen; ansonsten gab es nichts in der kleinen Zelle.   Hoch im Norden lag die Festung, am Ende des Kaiserlichen Hochweges, umgeben von felsigen Bergen und undurchdringbaren Schneestürmen. Ja, es hieß sogar, dass ein Hoher Drache über das Gebiet kreiste und jeden ungeliebten Eindringling fortjagte. Allerdings wusste niemand genau, wo die Festung lag; einzig alleine eine Handvoll Templer, die brutalsten und fähigsten, die der Orden jemals ausgebildet hatte, wussten dies; hielten hier Wache, passten auf die gefangenen Magier auf. Es schien so, als habe die Kirche hier keine Befehlsgewalt mehr. Die Templer besaßen freies Tun, was die Magier anging. Keiner der Verurteilten wurde mit Samthandschuhen angefasst, so, wie es eigentlich verlangt wurde. Jowan hatte bisher nur wenige Templer ohne robuste Rüstung und dem Helm mit dem schmalen Sehschlitz gesehen; ja, selbst bei seiner Ankunft vor beinahe zehn Jahren war es dem Mann so erschienen, als besäße die gesamte Festung nur die fünf Templer, die ihn am jenen verhängnisvollen Tag durch die langen, labyrinthartigen Gänge des Gefängnisses geführt hatten. Mehr als diese fünf, die ihn einst in seine Zelle geschliffen hatten, hatte er nie gehört. Früher hatte der Mann geglaubt, Besänftigung wäre das Schrecklichste, was sie einem antun könnten. Aber das stimmte nicht, nein; Aeonar, das war ein lebendig gewordener Alptraum. Jowan wünschte sich schon lange, er würde das sonnenförmige Mal auf seiner Stirn eingebrannt bekommen, um endlich nichts mehr fühlen zu können. Keine Angst zu spüren, keine Verzweiflung mehr. Das hätte das Leben in Aeonar bestimmt erträglicher gemacht. Zumindest für die Zeit, die der gefangene Magier noch vor sich hatte. Man musste nicht, was mit ihnen, den Gefangenen, geschehen würde. Einige saßen etliche Zeit in Aeonar ein, andere wiederum nur wenige Tage. Und dann wurden sie abgeholt, von einem Trupp erfahrener und schwer gerüsteter und bewaffneter Templer, nur, um ihrem Schicksal entgegenblicken zu können. Wurden sie getötet? Wieder in die Zirkel gesteckt, jetzt, wo man sie gebrochen hatte? Oder war schlussendlich doch eine Besänftigung ihre Bestrafung? All das schien noch harmlos zu sein; harmlos im Vergleich zu der Vorstellung, auf ewig an diesem schrecklichen Ort verweilen zu müssen. Jowan hatte Angst, dass genau das mit ihm passieren würde. Obgleich sich der abtrünnige Magier fragte, wie er es die letzten zehn Jahre nur hatte aushalten können. Ja, er hatte Fehler gemacht. Sein erster war gewesen, sich der Blutmagie zuzuwenden, um ein besserer Magier zu werden. Und sein zweiter war gewesen, zu fliehen. Ja, und der dritte – und am schwersten gravierende Fehler – war gewesen, dass er Loghain vertraut und Arl Eamon vergiftet hatte. Der Teyrn hatte den jungen Maleficar nicht geholfen, sondern ihm seinen Schicksal überlassen. Und als er Buße hatte tun wollen… ja, da wurde er nach Aeonar gebracht. Erst zum Zirkel zurück, wo sich Greagoir seiner annehmen sollte und schließlich in das Gefängnis. So hatte es der Knight-Commander Kinloch Holds entschieden und so war es auch gekommen.   Ob der alte Sack überhaupt wusste, wie schrecklich es hier war? Nein, wahrscheinlich nicht; Greagoir war vielleicht mürrisch und zählte Magiebegabte nicht gerade zu seinen besten Freunden, aber dennoch war der Mann zu sanftmütig, um Menschen oder Elfen – ja genau, denn das waren sie! – in eine solche Hölle zu schicken. Niemand wusste genau, was in Aeonar vor sich ging, außer denjenigen, die diese Festung als ihre Heimat bezeichnen konnten. Ganz weit in der Ferne konnte der Blutmagier hören, wie sich die schweren Doppeltüren öffneten. Sie stellten den Eingang zu dem Labyrinth aus Kerkerzellen dar und es schien in ganz Thedas keinen sicheren Eingang zu geben, wie hier in Aeonar: Fünf Türen, alle hintereinander und alle einzeln verschlossen bildeten das Tor zur ewigen Verdammnis. Ja, Jowan konnte sich noch gut an seine eigene Ankunft erinnern. Wie er selber zitternd und mit gefesselten Händen vor der ersten Tür gestanden hatte, bis sie geöffnet worden war. Wie er dann mit großen Augen die zweite Tür erblickt hatte, die dritte, die vierte und schlussendlich die fünfte. Jede von ihnen war mit großen Schlössern versehen, von starker Antimagie getränkt und fünf verschiedene Templer besaßen jeweils einen einzelnen Schlüssel; damit, falls es einem Magier gelingen sollte, einen Schlüssel in die Hand zu bekommen, dieser nicht so einfach entkommen konnte. Und dann hörte der abtrünnige Magier die Schritte. Das Klappern der Metallrüstungen, das schwere Stapfen der Plattenstiefel. Und die schlurfenden Schritte eines Neuankömmlings. Man schaffte es als Magier nicht, die Füße richtig zu heben; zu stark drückte die Antimagie auf die Schultern und brachte sie alle dazu, jämmerlich, klein und hilflos zu wirken. Der arme Mann, der jetzt gebracht wurde... Jowan fragte sich, was jener angestellt hatte, um einen Platz in dem sichersten Gefängnis Thedas‘ zu bekommen. Immerhin wurden hierhin ja nur die schlimmsten Verbrecher überstellt. Vorsichtig, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, rappelte sich der geschwächte Mann auf. Wie ein Hundewelpe, der gerade erst Laufen lernte, tappte Jowan zu den Gitterstäben und umklammerte sie mit beiden Händen. Der Schmerz, als er das kalte Metall berührte, schoss durch seinen gesamten Körper, der schreiend protestierte, aber der schwarzhaarige Mann brauchte diese Stütze; sonst wäre er einfach umgefallen. Die empfindlichen Ohren des Magiers bekamen mit, wie die anderen Gefangenen es ihm gleich taten. Neuankömmlinge waren selten und ein jeder wollte einen Blick auf das Gesicht des bedauernswerten Magiers erhaschen, der ab sofort zu der Gemeinschaft in Aeonar gehören würde. Die Schritte kamen näher, genau wie das schwache Licht einer kleinen Kerze. Und da sah der Magier sie auch schon: Fünf Templer, einer ganz vorne, zwei dahinter, dann der Abtrünnige, und zwei weitere Templer bildeten die Nachhut. Der Magier in der Mitte keuchte ein wenig; holte immer wieder tief Luft. Die wirren, blonden Haare hingen ihm ins Gesicht und wie Jowan es erwartet hatte, ließ er die Schultern hängen. Und dennoch… Ja, er erkannte den Magier. Zuerst wollte er seinen Augen nicht trauen. Aber er musste es sein; eine Verwechslung war ausgeschlossen, denn der Maleficar kannte nur eine einzige Person mit einem fetten, goldenen und auffälligen Ohrring im rechten Ohrläppchen. Er umklammerte die Metallstangen so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten und hätte am liebten auch das Gesicht gegen das Metall gedrückt, doch er hielt sich gewaltsam zurück. Mit offen stehendem Mund betrachtete er den gefangenen Magier, der an seiner Zelle vorbei und wieder in die Dunkelheit geführt wurde. Die spröden, blutig gebissenen Lippen des Abtrünnigen formten wortlos den Namen des neuen Zellengenossen; ungläubig und vollkommen verwirrt: „Anders…“   Kapitel 1: Streit -----------------  „Cullen?“ Hawke steckte die Nase fragend in das Büro des schlecht gelaunten Mannes, der gerade eben einen Bericht Ser Barris‘ las. Der kurzhaarige Kommandant der Truppen der Himmelsfeste blickte kurz auf und musterte den in der Tür stehenden Schwarzhaarigen mit dem Blutstreifen quer im Gesicht mit seinen braunen Haselnussaugen. Der Mann vor ihm schien… besorgt zu sein. Ein schwacher Schatten hatte sich über das sonst so gut gelaunte Gesicht gelegt. Augenringe zierten die tief in den Augenhöhlen liegenden Augen und der Mann hatte sich seinem Bart bestimmt schon mehrere Wochen nicht mehr gewidmet, so lang war dieser geworden. Der ehemalige Templer ließ den Bericht langsam sinken. „Was gibt es?“, fragte er und bedeutete Hawke, er möge doch hereinkommen. Der Champion von Kirkwall tat wie geheißen und trat ein. Er schnappte sich den ungemütlichen Holzstuhl, der vor dem großen Schreibtisch stand, drehte ihn um und setzte sich breitbeinig drauf, damit er sich mit den Armen auf der Armlehne abstützen konnte. Das Kinn auf die Unterarme gebettet und in einer Hand immer noch seinen Magierstab haltend, seufzte der Mann kurz auf, ehe er zögernd fragte: „Wisst Ihr vielleicht, wo sich Anders befindet?“ „Nein“, meinte Cullen und hatte jetzt schon keine Lust mehr auf das Gespräch. „Wieso geht Ihr der Annahme, dass ich das wüsste?“ Hawke seufzte auf und ließ seinen Magierstab auf den Boden fallen, während er sich mit der jetzt freien Hand nachdenklich am Hinterkopf kratzte. Der Stab gab ein paar blaue Funken von sich; der ehemalige Templer in Cullen schrie auf, dass er sich darum kümmern müsse dieses todbringende Objekt aus seinem Büro zu entfernen, doch äußerlich ließ sich der Mann nichts davon anmerken. „Weil Ihr und Anders…“ „Hawke“, unterbrach der Kommandant den Magier sofort mit leicht genervter Stimme. Er wollte das nicht hören. Schon gar nicht von dem Mann vor ihm, der den abtrünnigen Magier, der für die Sprengung der Kirche in Kirkwall verantwortlich war, schon seit Jahren ziemlich gut kannte. Zwar kannte auch der Kommandant den Blondschopf gut, aber seit Kinloch Hold und Kirkwall war doch eine Menge Zeit verstrichen. Ach, was waren ihm damals, vor ein paar Monaten, die Augen aus dem Kopf gefallen, als er gesehen hatte, wie Hawke und Anders gemeinsam die Himmelsfeste betreten hatten, mit der Ausrede, dass Anders gerne helfen wolle. Natürlich wusste jeder, dass der Magier nur den abtrünnigen Templern hatte entkommen wollen und sich somit freiwillig in die Hände der Inquisition begeben hatte, in der Hoffnung, sie würde ihn beschützen. Und natürlich hatte Inquisitor Trevelyan zugestimmt. So, wie es jede Magierin an ihrer Stelle getan hätte. „Aber Ihr müsst wissen, wo er ist!“, beharrte Hawke, ohne auf den Unterton in der Stimme des Kommandanten einzugehen. „Ihr habt ihn zuletzt gesehen!“ „Das…“, fing Cullen an, biss sich danach aber auf die Zunge. Das stimmte. Leider. Er und der Blondschopf hatten sich gestritten, woraufhin der wutentbrannte Anders aus seinem Büro gestürmt und danach nicht wieder gesehen worden war. Dieser Streit war jetzt schon sechs Wochen her und in all der Zeit hatte der chaotische Blondschopf keine Nachricht geschickt oder gar ein Lebenszeichen von sich gegeben. Kein Wunder, dass Hawke langsam anfing, sich Sorgen um seinen alten Freund zu machen; der Mann hatte mit Anders in Kirkwall so einiges durchgemacht und ihn kurz, bevor er von Varric zur Himmelsfeste gebeten wurde, wieder getroffen, sodass er diesem das Angebot unterbreiten konnte, doch mitzukommen. Wahrscheinlich mit dem typischen Grinsen in dem Gesicht und einem schelmischen Unterton in der Stimme, dass es dem freiheitsliebenden Anderfelser bestimmt ‘Spaß machen würde‘.     Hawke richtete sich auf und streckte den Rücken durch. Seine strahlend blauen Augen taxierten den Krieger hinter dem schönen Holzschreibtisch, auf dem die altbekannte Unordnung herrschte, die man von Cullen bereits gewöhnt war. Währenddessen griff der Soldat nach einem Krug, der auf einem Stapel bereits gelesener Berichte stand und auf der obersten Seite einen kleinen, dunklen Ring aus Wasser hinterließ. Er führte ihn zu den Lippen, trank einen Schluck und überlegte, was er denn sagen sollte, wo er sich vorher ja so abrupt selbst unterbrochen hatte. Nachdenklich berührte er mit seiner Zungenspitze die Narbe über der rechten Lippe. Sie war ein Abschiedsgeschenk von Meredith gewesen, nachdem Cullen sie von hinten überrumpelt und ihr das Schwert in den Leib gestoßen hatte. Hawke und seine Freunde hatten dann die Chance genutzt, um sie vollends zu überwältigen, während der Krieger von der Klinge seiner Vorgesetzten getroffen worden war, da er nicht rechtzeitig hatte ausweichen können. Hawke beobachtete den ehemaligen Knight-Captain dabei. Seine Finger umklammerten die Lehne und seine Knöchel traten weiß hervor. „Ich weiß, dass Ihr ihn liebt.“ Mit Daumen und Mittelfinger rieb Cullen sich das Nasenbein. Er war bereits seit Stunden wach, hatte ein äußerst anstrengendes Training mit neuen Rekruten hinter sich, die nicht einmal Schwertschneide von –griff unterscheiden konnten; und jetzt sollte er sich noch mit einem aufdringlichen Hawke befassen? „Hawke; tut mir einen Gefallen und stellt keine Vermutungen über nichtexistierende Gefühle meinerseits auf“, murrte der Soldat deswegen und schickte sich an, den Bericht auf seinem Schreibtisch weiterzulesen. Eine stumme Aufforderung an den Champion, zu gehen. Und obwohl Hawke ja eigentlich ein sehr humorvoller Charakter war und viele Sachen ins Lächerliche zog… So konnte der Mann umso wütender werden. Der Kommandant hörte, wie der Stuhl mit einem lauten Knall auf den Boden fiel. Der Kurzhaarige zuckte zusammen und wich ein wenig vor dem angesäuerten Magier zurück, als dieser seine Hände mit vollem Schwung auf die Platte des Tisches niedersausen ließ und sich vorbeugte. Hawke fixierte die braunen Augen des Mannes und knurrte ein: „Ihr könnt mir nichts vormachen, Kommandant. Ich weiß um Anders‘ Gefühle und ich weiß um die Euren. Ihr könnt nicht so tun, als sei Euch das Verschwinden unseres Blondschopfes vollkommen egal!“ Seine Hand schoss vor und packte den Krieger an dem Saum seiner roten Robe, die den Großteil seines Brustpanzers verdeckte. „Ich will wissen, was bei eurem Streit passiert ist! Hat Anders vielleicht irgendwelche Hinweise darauf gegeben, wohin er gegangen sein könnte?“ „Hawke…“, brachte der in Bedrängnis genommene Cullen hervor und umfasste die Hand des anderen. Beinahe ohne jegliche Anstrengung brachte er den Magier dazu, von ihm abzulassen. Danach stand der inzwischen sehr aufgebrachte Soldat auf und drehte Hawke den Rücken zu. Wie ein trotziges Kind mutete er dabei an, während er sich mit einer Schulter an die Wand anlehnte, um aus dem Fenster schauen zu können. Es war ein schöner, sonniger Tag und Cullen hatte Blick auf die Berge, die die Himmelsfeste umschlossen. Der weiße Schnee glitzerte im Sonnenlicht wie viele, kleine Diamanten; ein paar Fenneks tollten umher und genossen das gute Wetter, während man irgendwo in der Ferne das Brüllen eines Drachen hören konnte, der wohl gerade die Frostgipfel überquerte.     Eine Nacht. Das war eine verdammte Nacht gewesen, in der sich Cullen und Anders näher gekommen waren. Beziehungsweise, der aufdringliche Blonde hatte den kurzhaarigen Fereldener beinahe dazu genötigt, mit ihm ins Bett zu steigen. Am Anfang noch hatte sich der Mann dagegen gesträubt, wollte er eigentlich nicht mit einem Mann, den er schon etliche Jahre kannte, schlafen, doch schlussendlich hatten Anders‘ geschickte Finger, seine anrüchigen Sprüche und der eigene, lustvoll-verlangende Körper den Verstand des Kommandanten untergraben, sodass dieser sich dem blonden Abtrünnigen hingegeben hatte. Na gut. Vielleicht waren auch die gute Stimmung, der Alkohol und die Tatsache, dass Cullen vom Inquisitor einen Korb bekommen hatte, der Grund dafür gewesen, dass er sich schlussendlich in jener Nacht mit dem Anderfelser in seinem Bett über seinem Büro zwischen den Laken gewälzt hatte, doch wer hätte den ahnen können, dass der sexliebende Blonde mehr in diese Sache reininterpretieren würde, als der Kommandant selbst? Der abtrünnige Magier hatte den Kurzhaarigen nicht mehr in Ruhe gelassen; nervig, wie er war, war er im Büro aufgetaucht, immer zu den unpassendsten Zeiten, hatte sich beim Essen stets einen Platz neben dem Krieger gesucht und ihn sogar während des Trainings der Rekruten beobachtet. Es war dem Soldaten aus Ferelden sehr unangenehm gewesen so sehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Magiers zu stehen und er hatte den Mann eines Tages zu sich gerufen, um die Situation aufzuklären. Und natürlich hatte Anders das… naja, nicht falsch aufgefasst, aber er hatte doch ein wenig überreagiert, fand Cullen. Er ließ das Gespräch, während er ein wenig geistesabwesend aus dem Fenster starrte, vor seinem inneren Auge Revue passieren:   „Was gibt’s?“, fragte der Blondschopf schelmisch und setzte sich schwungvoll auf den Holzstuhl vor Cullens Schreibtisch. Hätte er es gekonnt, hätte der flatterhafte Chaot wohl die Füße auf dem dunklen Holz abgelegt, um es sich mit auf dem Bauch verschränkten Fingern gemütlich zu machen. Doch so blickten die braunen Rehaugen des Anderfelsers den Fereldener nur erwartungsvoll und gleichzeitig ahnungslos an. Cullen bedachte seinen kurzfristigen Sexualpartner mit beinahe schon grimmiger Miene und seufzte dann aus; die letzten Wochen waren enorm anstrengend für den Soldaten gewesen; alleine schon, die ganzen Gerüchte, die sich mittlerweile um ihn und den Blonden zusammengeschart hatten, auszublenden, hatte die meiste Zeit des Tages in Anspruch genommen. So konnte das nicht weitergehen; er musste als Vorbild funktionieren, seine Männer und Rekruten sahen zu ihm auf! Wenn die Gerüchte weitergingen, lief der Kommandant Gefahr, an Ansehen einzubüßen und das war schlecht für die Moral und den Wille der Armee. „Anders…“, fing er langsam, doch zögernd, an. Das Gespräch würde sehr, sehr, sehr unangenehm werden; und wahrscheinlich nicht nur für Cullen, denn der Kurzhaarige konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie der Blondschopf reagieren würde. In seinen Gedanken dachte sich der ehemalige Templer bereits ein paar Argumente aus, die er Leliana, Josephine, Cassandra und dem Inquisitor entgegenschleudern konnte, wenn der Blondschopf auf irgendwelche dumme Gedanken kommen würde (wie etwas in die Luft sprengen. Darin war der Abtrünnige ja arg bewandert). „Cullen“, erwiderte der Blonde und grinste dabei sogar noch breiter; eine Tatsache, die der Soldat aus Ferelden eigentlich niemals für möglich gehalten hätte. Er verschränkte die Finger ineinander, legte sie ungeachtet des Chaos auf seinem Tisch, auf der Holzplatte, ab und meinte dann mit ruhiger Stimme: „Mir ist aufgefallen, dass Ihr Euch in letzter Zeit ein wenig… angenähert habt.“ Vorsichtig ausgedrückt. „Tatsache?“, gluckste der Magier. „Und ich dachte schon, ich mache alles falsch!“ Er strahlte den Mann gegenüber von sich an, so, als habe dieser ihm gerade ein ganz besonderes Geschenk gemacht. „Jetzt mal ehrlich, Cullen. Lass die Förmlichkeiten und komm mit ins Bett“, schnurrte er dann, in der vollsten Überzeugung, der Krieger habe ihn zu sich gerufen, damit sie miteinander – wie es der Anderfelser immer titulierte - ‘Spaß‘ haben konnten. Cullen musste sich beherrschen, damit ihm nicht alles aus dem Gesicht fiel. Und damit er nicht aufsprang, um dem Angebot des anderen Mannes Folge zu leisten; denn, obgleich es ihm so unangenehm und peinlich war, dass er mit Anders das Lager geteilt hatte, wie ihm noch nie eine Sache peinlich gewesen war, desto mehr schien sein Körper nach dem zu verlangen, was ihm der Blondschopf geben konnte: Eine weitere, unvergessliche Nacht. „Ich… ähm…“, meinte der Krieger, ein wenig aus der Fassung gebracht, und fing an, seine Finger zu kneten, während er ein wenig rot im Gesicht wurde. Beim Erbauer, er war ein Mann in den Mittdreißigern und benahm sich gegenüber dem Abtrünnigen wie ein kleines Kind! Aber Anders wäre wohl nicht das ‘Sonnenscheinkindchen‘ von Kinloch Hold gewesen, das sich regelrecht durch die halben Bewohner der Turmes gevögelt hatte, wenn dieser eben nicht die Einstellungen vertrat, die er eben vertrat. Deswegen stand der Magiebegabte auf und kam zu dem Templer hin. Er bemerkte noch nicht einmal, dass der Soldat sich ein wenig dagegen sträubte, als er seine Hände auf die stoppeligen Wangen des Kommandanten legte und dann seine weichen Lippen auf die des ehemaligen Templers presste. Der Geistheiler legte seine komplette Leidenschaft in diesen Kuss, schob seine warme Zunge in den Mund Cullens, sodass dieser das Nichts schmecken konnte; ein Geschmack, der dem unter Lyriumentzug leidenden Krieger, beinahe wahnsinnig machte. Der unerfahrene Kommandant schloss genussvoll die Augen und wider Willen erwiderte er den Kuss des blonden Abtrünnigen nicht weniger leidenschaftlich. Dabei breitete sich ein warmes, wohliges Gefühl in seiner Magengegend aus, ein Kribbeln, das dem ehemaligen Templer in dem, was er hier tat, bestätigte. Ja, regelrecht zuzujubeln schien ihm sein eigener Körper; alleine schon, damit der Krieger wenigstens die Illusion, Lyrium in sich zu haben, aufrecht erhalten konnte – wonach sich der erschöpfte Körper des ehemaligen Templers vergeblichst sehnte. Viel zu schnell löste der Magier dann den Kuss wieder; ganz kurz leuchtete es blau hinter seinen Pupillen auf und verunsichert wollte der Kommandant vor dem Mann zurückweichen; er kannte den Geist namens Gerechtigkeit, der in dem Körper des dünnen Blondschopfes innewohnte. Und dieser war ganz und gar nicht glücklich über die Tatsache, dass sein ‘Wirtskörper‘ das Herz an einen eigentlich erbitterten Erzfeind verloren hatte. „Nicht“, murmelte Anders leise. „Ich hab‘ ihn unter Kontrolle; versprochen.“ Trotz der liebevoll gemeinten, beruhigenden, geflüsterten Worte des Abtrünnigen, löste sich Cullen endgültig von ihm und stand auf; wandte dem Mann den Rücken zu, während er sich heimlich über die Lippen leckte, um die letzten Reste des Nichts auf der Zunge schmecken zu können. Sein Templer-Verstand seufzte zufrieden auf; stupste ihn an, fragend, ob der Krieger nicht doch wieder Lyrium zu sich nehmen wolle… Und, wie um den Süchtigen dazu zu animieren, schoss ein plötzlicher Schmerz durch den Körper des Mannes. Es wurde kurz schwarz vor seinen Augen und er stützte sich mit einer Hand an seinem Schreibtisch ab, um nicht hinzufallen. Dabei versuchte er, seine Atmung zu kontrollieren. „Cullen?“ Anders klang besorgt und der Mann spürte, wie der Magier zu ihm treten wollte. „Nein“, murmelte er, raffte sich auf und wandte sich dann endlich dem Abtrünnigen zu, um ihm zu sagen… ihm zu sagen… Argh, war das schwer, in diese braunen, lieben und sanften Augen zu blicken und dabei zu versuchen, vollkommen kaltherzig zu bleiben. Das hätte Knight-Captain Cullen von Kirkwall getan. Aber Kommandant Cullen von der Himmelsfeste war da ein anderes Kaliber. Deswegen wendete der Soldat beinahe schon in einer ängstlichen Geste den Kopf ab. Irgendetwas war da zwischen ihm und dem Blondschopf; aber der Soldat wollte es sich nicht eingestehen. „Das geht nicht“, brachte er schließlich heraus. „Wir… lass es einfach, Anders“, erklärte er schließlich und duzte den Geistheiler dabei unwissend. Die braunen Rehaugen blickten den Krieger fragend an. Cullen seufzte auf und zeigte auf die Tür: „Es ist besser, wenn du jetzt gehst. Das mit uns… Das kann nicht funktionieren, in Ordnung?“. „Warum nicht?“, wollte der Magier wissen und verschränkte die Arme vor der Brust; vorwurfsvoll blickte er den ehemaligen Templer an und tippte mit der Spitze seiner schwarzen Stiefel immer wieder auf den Boden; so, als ob er ungeduldig wäre… … oder verärgert. Auf einmal war sich der Kurzhaarige nicht mehr so sicher, ob er die fragwürdige ‘Beziehung‘ zu Anders immer noch beenden sollte. Wer wusste schon, wie der Magiebegabte nun reagieren würde? Vor allem mit diesem Geist in seinem Körper? Allerdings hatte der Krieger jetzt angefangen; und, bei Andrastes süßem Blut, er würde es auch zu Ende bringen! „Ich… WIR, Anders, WIR müssen momentan darauf achten, was der Inquisition gut tut… und was nicht. Und wenn das Gerücht die Außenwelt erreicht, dass der Kommandant der Truppen mit einem Magier im Bett war, dann…“ „Das war kein Gerücht!“, unterbrach ihn der Blondschopf fauchend. Oh-oh. „Du WARST mit mir im Bett! Und es hat dir gefallen!“, fuhr der wutentbrannte Geistheiler fort und seine Finger fingen an, in einem bläulichem Licht zu erstrahlen. Das machte dem Kommandanten eher weniger Angst; auch, wenn er kein Lyrium mehr zu sich nahm, konnte er seine Templer-Fähigkeiten immer noch einsetzten; obwohl sie nicht mehr so wirkungsvoll waren. Aber der sich gerade in Rage redende Anders dachte anscheinend nicht daran, den Soldaten vor sich zu attackieren. Stattdessen zeigte er anklagend auf die Brust des ehemaligen Templers und rief aus: „Gib es wenigstens zu! Was andere denken, kann dir doch scheißegal sein! Solange du es selber willst, ist alles in Ordnung.“ „Aber ich WILL es doch gar nicht!“, log der jetzt aufgebrachte Cullen den Magier an. „DU bist zu mir gekommen und hast dich mir aufgedrängt. Meine Güte, ich habe seit was-weiß-ich wie vielen Jahren keinen Sex mehr gehabt und dann kommst du daher und fasst mich einfach an! Da war doch klar, dass ich nachgebe!“ Er holte kurz tief Luft; Haselnussaugen trafen auf Rehaugen und der Soldat brachte dann noch hervor: „Das war doch nichts weiter als Triebbefriedigung! Gerade du müsstest so denken.“ Immerhin war der Abtrünnige berüchtigt dafür, nichts von Liebe oder gar Beziehungen zu halten. So war das schon in Kinloch Hold gewesen. Anders schnappte nach Luft; und dann sahen seine braunen Augen den Krieger verletzt an. Was… Was hatte Cullen denn JETZT angestellt? Es war, als sei alle Luft aus dem Körper des Anderfelsers gewichen; enttäuscht ließ dieser die Schultern sinken. Seine Lippen standen einen kleinen Spalt weit offen und der Magier ließ den Kopf zur Seite hängen. Ein paar seiner blonden Strähnen, die von dessen Zopf nicht gehalten wurden, fielen ihm in das Gesicht. Cullen widerstand dem Impuls, dem Mann diese hinters Ohr zu streichen und wartete ab. Die Schultern des Langhaarigen fingen an zu beben und dann hob der Abtrünnige wieder den Kopf. Aus rot geränderten, unter Wasser stehenden Augen blickte er den Kommandanten der Inquisition an. „Scher‘ dich doch weg!“, brüllte er den Fereldener dann plötzlich an; vollkommen unerwartet und mit einer solcher Wucht hinter den Worten, dass Cullen glaubte, ihm würden tausend kleiner Messerchen entgegen fliegen. Die Augen des Anderfelsers fingen an, bläulich zu leuchten; Lyriumrisse zeichneten sich auf seiner Haut und seiner Kleidung ab. Gerechtigkeit. Doch bevor der Templer in Cullen reagieren konnte, gab der besessene Anderfelser einen ersticken Laut von sich, drehte sich um und verließ aufgebracht das Büro des verwirrten Kriegers und ließ diesen mitten im Raum stehen, wie bestellt und nicht abgeholt.     So war das gewesen. Und dann hatte sich der Blondschopf nicht wieder blicken lassen. Warum fühlte sich Cullen seit diesem Streit eigentlich so, als wäre er der Schuldige und Anders das arme Opfer? Lange Zeit hatte der Mann über die heftige Reaktion des Langhaarigen nachgedacht, doch er war zu keinem Entschluss gekommen. Anders konnte keine Gefühle für ihn hegen; das war unmöglich. Der Magier wusste doch noch nicht einmal, was Liebe bedeutete! Und doch… Ach, es war zum Haareraufen! Hawke hatte gerade etwas von Anders‘ Gefühlen gegenüber dem blonden, kurzhaarigen Fereldener geäußert… Und hatte dabei hinter die sonst so steinerne Fassade Cullens geblickt, die der Mann mühevoll um sich herum aufgebaut hatte. Und es war ja nicht so, als ob sich Cullen selbst keine Sorgen machte; im Gegenteil, abends lag er noch stundenlang wach und dachte über den Blondschopf nach. Dabei versuchte er stets, seine eigenen, seltsamen Emotionen, die ihn bei dem Gedanken an diesen, überschwemmten, in die hinterste Ecke seines Kopfes zu verfrachten, aber so ganz wollte es dem Krieger nicht gelingen. Der Kommandant seufzte ergeben auf und schielte zu Hawke, der nach wie vor abwartend vor dem Schreibtisch des Mannes stand. „Na gut“, sagte er schlussendlich. „Ich werde sehen, was ich tun kann, um Anders zu finden.“     Kapitel 2: Etage 3 ------------------ Anders rieb sich die kalten Handflächen, während er, nur bekleidet mit einer an den Knien gerafften, dünnen Stoffhose, durch die dunklen Gänge des Labyrinths schritt. Den kleinen, schwarzen Schlüssel, den sie ihm kurz vorher in die zitternde Hand gedrückt hatte, hatte der abtrünnige Magier in die Tasche gesteckt, während er barfuß über die erstaunlich ebenen, schwarzen Steine schritt. Eine Gänsehaut überzog den nackten Oberkörper des Mannes und ein weißer Dampf stieg vor seinem Gesicht auf; es war arschkalt hier unten. Die Steine unter seinen sensiblen Fußsohlen fühlten sich nass an; irgendwo tropfte es stetig und hin und wieder trat der Blondschopf in eine Pfütze. Erschrocken über die plötzliche Nässe und das Platschen, das er verursachte, sprang der verängstigte Magier dann immer einen Schritt zurück, nur, um in der Dunkelheit das Gleichgewicht zu verlieren. Anders als in den oberen Etagen brannten hier in unregelmäßigen Abständen ein paar Fackeln; weit oben, unter der Decke waren die Halterungen dafür angebracht, damit kein Gefangener auf die Idee kommen würde, sie herunterzuholen und die Wachen damit zu attackieren. Selbst mit einer Räuberleiter würde man nicht an die potentiellen Waffen heran kommen. Der Blondschopf war durch die fünf gewaltigen Tore geschritten; begleitet von fünf dieser fies aussehenden Blechbüchsen. Er war durch die dunklen Gänge gegangen, hatte die Zellen gesehen, die blassen, meist unrasierten Gesichter der Maleficare, die sich an die Gitterstäbe gedrückt hatten, um ihn zu begaffen wie ein gefangenes Tier. Der Blondschopf hatte gedacht, er würde ebenfalls in einer dieser kleinen Zellen eingesperrt werden, doch dies war nicht der Fall gewesen; eine metallene, schwarze Tür, eine Treppe und dann waren sie eine Etage weiter unten gewesen. Und, ganz anders als in der ersten Etage, war es in der zweiten laut gewesen. Die Wahnsinnigen, die sie dort eingesperrt hatten, schrien, brüllten, rüttelten an den Gitterstäben. Sie kicherten wahnsinnig, lallten irgendetwas Unverständliches vor sich hin und schrien regelmäßig nach dem Tod. Sie sprachen mit einer unsichtbaren Person oder führten Selbstgespräche. Als Anders an ihnen vorbeigeführt worden war, waren sie kurz still gewesen; das Klappern der Templer-Rüstungen schien sie zu ängstigen, und zwar so sehr, dass sie sogar den Mund geschlossen hielten. Doch dann waren die Schreie und das Rütteln wieder losgegangen. Sie hatten vor dem Magier auf den Boden gespuckt, ihn angegrinst und ihm fürchterliche Sachen zugeflüstert. „Sie werden dich töten, Jungchen.“ „Komm her, Kleiner. In meiner Zelle ist noch Platz!“ „Etage Drei ist schlimmer. Bete, dass du hierhin kommst.“ „Der Tod ist noch zu sanft.“ „Ich rieche deine Angst, Süßer. Sie zeichnet dich als Feigling.“ „Du bist verloren. So, wie wir alle.“ „Bete, dass sie dich schnell holen.“ „Du dreckiger Magier!“ „Sieh, wo sie ihn hinbringen!“ „Er wird nicht lange leben!“ „Kein Mucks. Kein Mucks. Kein Mucks.“ „Sie werden dich quälen, bis du gebrochen bist!“ Begleitet von ständigem, verrückten, und hysterischen Schreien und Gekicher. Einige hatten ihn schon fast mitleidig aus weit aufgerissenen Augen angesehen, andere hatten ihn verspottet. Einige hatten die Hände zwischen den Gittern hindurch gesteckt, um ihn zu berühren. Das hatten seine Wachen zwar schnell unterschlagen – ein schwerer Schlag, ein lauter Schrei und die gebrochene Hand wurde jammernd wieder zurückgezogen – trotzdem besaß der Anderfelser hier unten panische Angst. Er hoffte, dass er nicht hierbleiben musste; hier, unter all dieses Wahnsinnigen, denen etwas widerfahren war, was sich der Blondschopf gar nicht ausmalen wollte. Ja, der Langhaarige hatte regelrecht Stoßgebete zum Erbauer gesandt, dass die Templer ihn nicht hier in eine Zelle stecken würden. Und seine Gebete waren erhört worden. Eine weitere schwarze Tür, eine weitere, endlos erscheinende Treppe. Je weiter sie nach unten vordrangen, desto leiser wurden die Schreie und Rufe der Wahnsinnigen. Anders klingelnde Ohren seufzten erleichtert auf, doch seine aufsteigende Panik wurde dem Mann nicht genommen. Nein, stattdessen wurde sie noch verschlimmert; nämlich, als sie vor einer weiteren, schweren Tür stehen blieben. Beinahe schon spottend blickte das riesige Templerschwert, das in das schwarze Metall eingraviert war, auf den Abtrünnigen herab. Vor dieser Tür stand ein grimmig aussehender Templer, dem fünf Narben quer durch das Gesicht liefen. Die Haut des Mannes war blass; das kurzgeschnittene Haar schwarz und strähnig. Eine Narbe verlief direkt durch das rechte, milchige Auge; es war klar, dass der Templer zur Hälfte blind war. Seine Rüstung war ein wenig schwerer als die der Begleiter Anders‘ und sichtlich gelangweilt lehnte der Mann an der Wand. Anders sah kein Schwert oder Schild; stattdessen hing eine lange, schwarze Peitsche an dessen Waffengürtel. Der Anderfelser schluckte trocken. „Ein Neuer, wie ich sehe.“ Die Stimme des offensichtlich hochrangigen Templers ließ eiskalte Schauer über den Rücken des Anderfelsers laufen. Sie klang brüchig, rau, gefährlich… einfach nur brutal. Sie tropfte nur so von Hass und Abscheu gegenüber dem Magier und langsam stieß sich der besagte Krieger von der Wand ab. „Er sieht ungefährlich aus…“, schnurrte der Templer und seine schwer gepanzerte Hand schoss hervor, um den, sich nicht wehren könnenden, Anders hart am Kinn zu packen. Der Griff des Kriegers war fest und dem Abtrünnigen kam es so vor, als wolle man ihm sein Kiefer brechen. Nach Luft schnappend und der Panik nahe, stand der Mann vor dem Templer und blickte auf die grausigen Narben in dessen Gesicht. „Ein besonderer Fall. Eine Abscheulichkeit; aber er kann es beherrschen“, informierte ihn einer der Templer „Kommandant Magnus hat es so befohlen.“  Der hässliche Templer vor Anders‘ Nase kicherte ein wenig. „Abscheulichkeit, hm?“, murmelte er. „Nicht mehr lange.“ Er ließ das inzwischen taube Kinn des Blondschopfes los. Beinahe hätte der Blonde ihm etwas entgegen geschleudert; doch seine Angst, die war zu groß. So groß, dass der sonst so vorlaute Magier seine eigentlich große Klappe nicht aufreißen konnte, sondern einfach nur stumm und mit panisch aufgerissenen Augen dastand, während ihn die Kälte unerbittlich umarmte. Er konnte Gerechtigkeit nicht spüren; die Antimagie in dem berühmten Gefängnis war einfach zu stark. Noch nie hatte sich der Geistheiler so verlassen und einsam gefühlt wie in diesem Moment, in dem er noch nicht mal die Anwesenheit seines langjährigen ‘Freundes‘ spüren konnte. Also wartete Anders ab, was jetzt kommen würde. Das Narbengesicht holte einen Schlüssel hervor und schloss dann die große Tür langsam auf. Man konnte regelrecht hören, wie sich die Riegel wegschoben und somit das Öffnen der Tür ermöglichten. Und der Templer, der Ser Narbe über die Person Anders‘ informiert hatte, drückte ihm einen schwarzen Schlüssel in die Hand. „Nicht verlieren.“ Er lachte leise. „Den wirst du brauchen.“ Dann gab man ihm einen Schubs in den Rücken und der überrumpelte Abtrünnige stolperte orientierungslos in den dunklen Gang hinein, während sich die großen, schwarzen und bedrohlichen Türen hinter ihm laut donnernd schlossen. Beinahe hätte der Anderfelser den Schlüssel verloren, doch seine klammen, zitternden Finger verkrampften sich fest um das schwarze Metall. Er stolperte gegen die Wand; streckte die Hand aus und stützte sich dort ab, während er verzweifelt nach Luft schnappte. Ja, und jetzt war der Geistheiler hier. An einer der Lichtquellen hatte der Mann den kleinen Schlüssel kurz untersucht, doch keinen Hinweis darauf gefunden, wozu jener gut sein sollte. Also hatte er ihn in die Tasche seiner dünnen Hose verstaut, in die die Templer den ohnmächtigen Magier gesteckt hatten, und war weitergegangen. Hier unten, auf Etage Drei, war es erstaunlich ruhig; der blonde Mann hatte erwartet, dass sich auch hier hin und wieder jemand unterhielt, oder ein Schrei durch die Gänge hallte… Aber nichts. Außer der patschenden Füße auf den feuchten Steinen drang kein Laut an die Ohren des Abtrünnigen. Überhaupt war es seltsam hier unten; Anders konnte sich vollkommen frei bewegen und bisher hatte er nur wenige, leere Zellen gesehen. Komisch. Der verwirrte Magier spürte, wie ein wenig seiner Angst abfiel. Im Grunde genommen war es hier unten gar nicht mal so schlecht, oder? Immerhin war er nicht eine Etage früher zwischen all den Wahnsinnigen gelandet. Immer weiter schritt der Magier in der Dunkelheit, bog hin und wieder ab und arbeitete sich so durch das riesige Labyrinth. Den schweren, keuchenden Atem, der durch die Gänge zog, den bemerkte der Abtrünnige jedoch nicht.   Kapitel 3: Erste Spur --------------------- Lya Trevelyan strich sich eine ihrer rotbraunen Haarsträhnen aus dem herzförmigen Gesicht und blickte den Kommandanten vor ihrem Schreibtisch anschließend ein wenig kritisch aus meerblauen Augen an. Dieser wünschte sich gerade an einen anderen Ort; weit, weit entfernt von der Frau, die ihm vor sechs Wochen ins Gesicht gesagt hatte, dass er zwar ein netter Mensch sei, sie aber niemals etwas mit einem Templer – und sei es auch nur ein ehemaliger – anfangen würde. Außerdem befänden sie sich ja im Krieg; da war es natürlich undenkbar, dass der Inquisitor und der Kommandant der Truppen so etwas wie eine Beziehung haben konnten; unvorstellbar! Man müsse ja darauf achten, wie eine solche Tändelei – ein solcher Skandal! – auf die Außenwelt wirkte. Nein, man konnte es sich nicht leisten, den mühsam aufgebauten Ruf der Inquisition in den Dreck zu ziehen. An genau diese Worte dachte der nervöse Cullen zurück, während Lya ihn mit einem Blick bedachte, mit dem sie wohl auch eine Abscheulichkeit oder so ähnlich ansehen musste; denn der Krieger würde gerade nur zu gerne die Beine in die Hand nehmen und vor der Frau fliehen. Und beinahe dieselben Worte hatte der Kommandant auch Anders vor sechs Wochen entgegen geschleudert. Welch Ironie. Irgendwie konnte der Mann die Reaktion des Anderfelsers plötzlich besser nachvollziehen. Peinlich berührt und den Blick auf ein wichtig aussehendes Dokument auf dem Tisch der Magierin geheftet, wartete der schwitzende Mann die Reaktion seines ‘Bosses‘ ab. Oh, Erbauer! Es war vor sechs Wochen wahrlich einfach nur peinlich gewesen, wie sich der angeheiterte Cullen an den Inquisitor… ähm, ‘rangemacht‘ hatte. Sein Glück war gewesen, dass es kaum jemand mitbekommen hatte; außer Blackwall, Cassandra, der Eiserne Bulle, Sera (was so ziemlich das Schlimmste war) und Leliana, die ihn seither immer mit einem schelmischen Blick bedachte. Dabei hatten sie alle gute Laune gehabt; Adamat war erfolgreich eingenommen worden, die Wächter halfen der Inquisition und sie hatten ihren Sieg ausgelassen gefeiert, nachdem sie wieder in die Himmelsfeste zurückgekehrt waren. Ja, und deswegen hatte sich der hoffnungsvolle, verliebte Mann ein wenig zu sehr mit der Magierin unterhalten, bis ihm schließlich herausgerutscht war, dass er ständig an sie hatte denken müssen. Sera hatte als erstes aufgelacht und angefangen, Knutsch-Geräusche von sich zu geben, während Blackwall eine ziemlich angesäuerte Miene aufgesetzt hatte (dass der Graue Wächter zu dem besagten Zeitpunkt bereits mit Lya herumgeschäkert hatte, hatte Cullen nicht gewusst). Und daraufhin hatte Trevelyan ihm schließlich sanft, aber bestimmend eine Absage erteilt und der Mann war, wie ein getretener Hund, in die Kaserne geschlichen, wo ihn - Überraschung! – der grinsende Blondschopf aus Anderfels erwartet hatte. Jaja. Peinliche Situationen gehörten seit jeher zu dem Leben des Kommandanten. So hatte er sich in Kinloch Hold als junger Rekrut ebenfalls häufig genug vor den Magiern und Magierinnen lächerlich gemacht. Einmal hatte Anders das Gerücht über Geheimgänge in die Welt gesetzt und er arme Cullen hatte zu den bedauernswerten Templern gehört, die den ganzen Turm nach diesen besagten Gängen hatte absuchen müssen. So gut amüsiert hatten sich die magiebegabten Bewohner Kinloch Holds zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr. „Wir können Euch nicht einfach so für mehrere Wochen entbehren, Kommandant“, sagte Lya schließlich förmlich und lehnte sich nachdenklich in ihrem Stuhl zurück. Als Magierin trat sie enorm selbstsicher auf, fand Cullen. „Ihr müsst an Eure Männer denken.“ „Hauptmann Rylen wird mich gebührend vertreten können, Inquisitor“, antwortete Cullen, der sich schließlich schon vorher sämtliche Pläne zurechtgelegt hat, die Magierin davon zu überzeugen, ihm zu erlauben, dass er sich auf die Suche nach Anders begeben dürfe. Ja, höchstpersönlich. Hawke war auf den Weg nach Weißhaupt, nachdem er sich versichert hatte, dass sich der kurzhaarige Krieger dem Verschwinden Anders‘ annehmen würde und deswegen stand Cullen jetzt vor Lya und hatte sie gebeten, ihn ein paar Wochen freizustellen, damit er Nachforschungen anstellen konnte.  „Muss Hauptmann Rylen nicht in den Westgraten sein und dort für Ordnung sorgen?“, fragte Trevelyan und runzelte ein wenig die Stirn. Cullen dachte kurz nach, ehe er vorsichtig antwortete: „Ich bin mir sicher, die Griffonflügelfeste hält sich auch eine Weile ohne den Hauptmann.“ Lya seufzte auf und lehnte sich nachdenklich in ihrem Stuhl zurück. Der Kommandant ahnte bereits, dass sie sehr unzufrieden mit seiner Bitte war und diese somit nicht erlauben würde; immerhin war Cullen ein sehr guter Kommandant, seine Leute vertrauten ihm und seine Kampfkünste wurden eigentlich immer gebraucht. Ein wenig nervös fuhr sich der Fereldener mit der Zungenspitze über seine Narbe und wartete dann einfach geduldig ab; Trevelyan war eine Frau, die erst alles genauestens überdachte, ehe sie eine Entscheidung traf. „Wie lange braucht Josephine noch, um eine Einladung zu Celene's Ball zu bekommen?“, fragte die Magierin schließlich und sprach somit ihre nächste Mission von großer Wichtigkeit an. Obwohl der Sieg bei Adamant die Inquisition motivierte, konzentrierten sich die Anführer bereits darauf, die Kaiserin vor Corypheus‘ Attentätern zu retten. „Sie arbeitet daran“, antwortete Cullen, der sich am Morgen noch mit der Botschafterin unterhalten hatte. „Sie meinte, wenn es gut läuft, bekommt sie in ein paar Wochen Bescheid.“ „Ein paar Wochen…“, murmelte der Inquisitor und legte nachdenklich die Fingerspitzen aneinander. Es war klar, dass sie selbst keine große Reise unternehmen konnte, sondern abwarten musste, bis der Winterball stattfand. Das bedeutete für die sonst so freiheitsliebende Magierin, dass sie sich die ganze Zeit auf der Himmelsfeste aufhalten musste. „Wann werdet Ihr denn wieder hier sein?“, wollte die Frau schließlich wissen und man konnte beinahe den Stein hören, der von Cullens Herzen fiel; einen Moment lang hatte er tatsächlich befürchtet, dass sie schlichtweg nein sagen und ihn aus ihrem Büro entlassen würde, damit er sich wieder seinen Pflichten zuwandte. „Sobald Ihr mich benötigt“, antwortete der Kommandant pflichtbewusst, „oder ich werde mich sofort auf den Weg nach Halamshiral machen, sobald mich eine von Lelianas Krähen erreicht. Das kommt darauf an, wie weit ich mich von dem Winterpalast der Kaiserin entfernt befinde.“ Er lächelte ein wenig und legte in eleganter Haltung seine beiden Hände auf den Knauf seines großen Schwertes, dass er an seiner Hüfte trug. Eine Geste, für die der kurzhaarige Mann inzwischen bekannt war. „Inquisitor, Ihr wisst bestimmt selber, dass Anders unheimlich… äh… wertvoll für die Inquisition ist“, endete der ehemalige Templer ein wenig lahm und klang selber nicht so ganz überzeugt von seinen Worten. Lya hob fragend beide Augenbrauen und verlangte somit eine weitere Erklärung. „Äh, ich meine…“ Der Krieger fuhr sich mit einer Hand über den Nacken. Darüber hatte er, um ehrlich zu sein, nicht so recht nachgedacht. Natürlich konnte Anders mit Informationen über Geister und Dämonen aushelfen und war ein ziemlich guter Geistheiler, der sich gerne um die Menschen im Lazarett kümmerte… Aber der Elf Solas war genauso gut in Sachen Wesen des Nichts und die meisten Menschen bei der Inquisition wollten sich lieber von einem nicht-magischen Heiler behandeln lassen, als von dem chaotischen Blondschopf. „Also… Hmmm…“, gab Cullen weiter von sich und überlegte intensiv nach. Ein Blick auf Trevelyan verriet dem Mann, dass diese sich gerade prächtigst über den ratlosen Kommandanten amüsierte und ein leichtes Lächeln zierte ihre dunklen Lippen. „Liegt es vielleicht auch ein wenig an der Tatsache, dass Ihr den Geistheiler mögt?“, fragte sie schließlich und Cullen seufzte schwer aus. Lange dachte der Angesprochene über ihre Worte nach. Er war sich nicht sicher, ob er den Blondschopf wirklich mochte, so, wie man einen Freund oder seine Familie mochte, aber auf eine vollkommen verdrehte Art und Weise schien der blonde Fereldener den vorlauten Anderfelser zu vermissen. Anders‘ Fehlen machte sich auf jeden Fall bemerkbar; es war deutlich ruhiger geworden, es gab weniger Templer, die sich über den Blondschopf beschwerten und auch die Magier schienen sich mehr zurückgezogen zu haben. Außerdem hatte der Krieger nicht mehr das Gefühl, dass ihm diese sanften, lieben Rehaugen des Anderen auf Schritt und Tritt verfolgten. „Ich kenne Anders schon lange“, antwortete Cullen schließlich, wobei er natürlich selber wusste, wie neutral diese Aussage war. Aber Lya war eine ziemlich intelligente Person. Sie lächelte ein wenig breiter – wissender – und meinte dann mit gnädiger Stimmlage: „Nun gut, Kommandant… In Anbetracht dessen, dass Ihr Euch persönlich um das Verschwinden eines alten Bekannten kümmern möchtet… Und vielleicht angesichts der Tatsache, dass ich die Streiche des Magiers immer ziemlich amüsant gefunden habe… Sucht ihn. Nehmt ein paar Männer mit, so viele, wie Ihr benötigt, und beschafft Euch Eure Informationen. Haltet Euch aber bereit, denn wenn Ihr gebraucht werdet, müsst Ihr einsatzbereit sein.“ „Danke“, meinte Cullen so förmlich wie möglich und deutete eine kurze Verbeugung an; schließlich verließ er das Büro des Inquisitors und machte sich auf den Weg Josephine und Leliana aufzusuchen, damit er die beiden Frauen von seinem Vorhaben informieren konnte.   „Hab den Blonden irgendwo dort lang laufen sehen“, meinte der kleine, aufgeweckte Junge, der sich ganz fest an das Goldstück klammerte, das Cullen ihm in die Hand gedrückt hatte. Die großen, glänzenden Augen die die Rüstung des Kommandanten bewunderten, waren dem Fereldener schon fast ein wenig unangenehm, doch er versuchte, den schwärmenden Blick des Kleinen nicht zu beachten, sondern fragte: „Und sonst? War irgendjemand hinter ihm her?“ „Kann mich nicht dran erinnern“, gab der Junge zu und begutachtete kurz sein Sovereign. „Der Mann hat so komisch blau geleuchtet. Und immer wieder geflucht.“ „Geflucht?“ „Ja. Ich glaube, er hat so etwas wie ein Scheiß Cullen von sich gegeben. Keine Ahnung, wer der Mann ist, den er erwähnt hat, aber es klang so, als wolle er ihn am liebsten umbringen.“ Ach, waren kleine Kinder nicht herrlich? Dachten sich nichts dabei, was sie sagten, sprachen alles rundherum aus, ohne um den heißen Brei herumzureden und sahen dabei auch noch ziemlich niedlich aus. Zudem achteten sie – zum Glück - selten auf die Reaktionen ihres Gegenübers, denn gerade, da versteinerte sich das Gesicht Cullens prompt und er schluckte kurz. Ja, das klang eindeutig nach Anders… äh… Gerechtigkeit. Wenn der Kommandant den Blondschopf finden wollte, dann sollte er lieber darauf achten, kein falsches Wort von sich zu geben. In den letzten zwei Wochen, in denen er sich durch etliche Dörfer und kleinere Städte gefragt hatte, war dies die erste heiße Spur, die der ehemalige Templer bekommen hatte. Deswegen bedankte der Kommandant sich bei dem Jungen, warf ihm noch ein Silberstück zu, das der Kleine jauchzend auffing, und machte sich dann wieder auf den Weg zu ihrem Lagerplatz. Die fünf Männer, die er mitgenommen hatte, lungerten gerade eben um das kleine Feuer, das sie entzündet hatten, herum und spielten eine Runde Sündenfall. In einem kleinen Kessel brodelte fröhlich eine Suppe vor sich hin und die sechs Pferde grasten ein wenig weiter auf der Ebene. „Kommandant!“, begrüßte einer der Männer ihn und sah dabei zu Cullen auf. Der Kommandant kannte seine Begleiter inzwischen besser als vorher und schalt sie deswegen nicht aufgrund ihres unerlaubten Kartenspiels; auch sie hatten sich ein wenig Ablenkung verdient, nachdem sie einen ungefähr sechsstündigen Ritt hinter sich hatten. Cullens Hinterpartie schmerzte noch immer; Reiten war noch nie seine Lieblingsbeschäftigung gewesen, denn weder in Kinloch Hold, noch in Kirkwall hatte er sich je in einen Sattel schwingen müssen. Allerdings gehörte Reitunterricht zur Templer-Ausbildung und mit mehr Glück als Verstand – und weil der damalige Rekrut glücklicherweise ein sehr sanftmütiges Pferd bekommen hatte – hatte er seine Prüfung bestanden; nur, um sich danach nie wieder in den Sattel zu setzen. Von daher war der Mann in Sachen Pferde ziemlich unbegabt und hatte deswegen einen jungen, vielversprechenden Rekruten mitgenommen, der diese Tiere als eine Art Familie ansah und sich gerne um sie kümmerte. „Möchtet Ihr eine Runde mitspielen, Kommandant?“, wollte eben jener Rekrut wissen und sah von seinem Blatt hoch. „Nein, danke“, meinte Cullen. Der Mann war in dem Spiel nicht sonderlich gut und hatte damals in Kinloch Hold viel Geld verloren, während er als naiver Rekrut gegen seine älteren Ordensbrüder gespielt hatte. Seither mied Cullen dieses Spiel lieber. Alle fünf Männer warfen ihrem Vorgesetzten enttäuschte Blicke zu, ehe sie pflichtbewusst anfingen, die Karten einzusammeln und sich aufzurappeln. Gerade eben war es später Nachmittag; wenn sie sich jetzt beeilten, konnten sie das nächste Dorf noch vor Sonnenuntergang erreichten.   „Also…“, fing Cullen langsam an. Dann unterbrach er sich aber selber und zeigte hektisch auf den Kessel, aus dem es gerade brodelte und spritzte, als habe Anders dort einen Explosionszauber hineingesetzt. Das Wasser lief über das schwarze Metall und der Koch der Mannschaft gab einen entsetzten Ton von sich, ehe er eiligst zu dem Kessel sprintete, um die Katastrophe zu beenden. Cullen verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab, während der Mann die Suppe vom Feuer nahm, fluchte, das heiße Teil fallen ließ und sich das sehr wässrige Essen der sechs Männer auf dem Boden verteilte. Der Kommandant seufzte. „Sieht so aus, als müssten wir noch ein wenig warten“, kommentierte er und machte eine wegwerfende Handgeste. „Ich hatte so oder so noch keinen Hunger. Löscht das Feuer und schwingt euch in die Sättel“, befahl er seinen fünf Unterstellten, die sofort nickten, salutierten und sich dann daran machten, das improvisierte Lager abzubauen. Mit einem kleinen Lächeln betrachtet Cullen seine Männer und machte sich dann daran, sein eigenes Pferd – eine schneeweiße Stute, die laut Angaben von Meister Dennett eines der friedlichsten Pferde in ganz Thedas war – zu holen. Die Fünf, die er mitgenommen hatte, waren noch verhältnismäßig jung und unerfahren; sie waren als frische Rekruten zur Inquisition gekommen und hatten sich durch erstaunliche Fähigkeiten mit dem Schwert hervorgetan. Und der kurzhaarige Kommandant hatte es als gutes Training empfunden, sie mitzunehmen. Außerdem waren sie zuverlässig, hinterfragten nie seine Anweisungen und vertrauten ihm blind. Wenn sich Cullen von der Klippe stürzen würde, würden sie, ohne zu zögern, hinterher springen. „In Ordnung, Lady“, murmelte der reitunbegabte Kommandant und packte die Zügel seiner weißen Stute. Diese stupste ihn mit ihrer weichen Nase lieb an und verlangte ein paar Streicheleinheiten. Lady war vielleicht kein Schlachtross, aber sie besaß eine unheimlich gute Ausdauer – und Cullen hatte ja nicht vor, mit dem Pferd in die Schlacht zu reiten. Mit ein paar kleinen Schwierigkeiten – in denen Lady vor ihm wegtänzelte, als er versuchte, einen Fuß in den Steigbügel zu bekommen – schaffte der Kommandant es schließlich und saß aufrecht im Sattel. „Allesamt zuhören“, setzte er an und brachte Lady mit einem sanften Druck in die Seiten dazu, ein paar Schritte zu traben, damit er sich vor seine Männer stellen konnte. „Ich habe die Information erhalten, dass Anders sich in Richtung des Kaiserlichen Hochweges, Richtung Norden, befindet. Wollen wir mal schauen, ob wir dort oben noch weitere Informationen bekommen!“  Kapitel 4: Schrecken -------------------- Vor zwei Wochen. Anders tappte weiterhin durch das schummrige Licht der dritten Etage. Immer wieder drehte sich der abtrünnige Magier um, weil er glaubte, etwas hinter sich gehört zu haben; doch nie war etwas zu sehen. Wahrscheinlich wurde er noch paranoid aufgrund der vergangenen, quälenden Stunden, aber davon würde sich der Magier nicht abschrecken lassen. Oh, niemals im Leben würde er sich den Blechbüchsen beugen, niemals im Leben würde er vor dem hässlichen Narbengesicht in die Knie gehen. Denn natürlich wollten sie nur das mit der Gefangennahme erreichen; der Anderfelser hatte ja die apathisch wirkenden Gefangenen auf der ersten Etage gesehen. Immer wieder hatte der Blondschopf in den unendlich wirkenden Weiten des Irrgartens abgeschlossene, leere Zellen entdeckt. Ja, einmal hatte er sogar seinen eigenen kleinen, schwarzen Schlüssel hervorgeholt und ihn probeweise in eines der Schlösser gesteckt. Der Schlüssel hatte gepasst, sich aber nicht drehen lassen. Aber er schien aus dem gleichen Metall wie die Gitterstäbe zu bestehen und irgendetwas in dem blonden Kopf sagte dem eingesperrten Magier, dass irgendeine dieser leeren Zellen für ihn bestimmt war. Warum aber sollte er sich einsperren, wenn er frei herumlaufen konnte? Lächerlich. Beinahe hätte der Abtrünnige laut aufgelacht, doch er verkniff es sich; er war sich sicher, dass er nicht der einzige Mensch hier unten war und würde sich nicht verraten, indem er das Gefängnis und die Belegschaft verspottete. Also war Anders weitergegangen, mit tapsenden Schritten. Irgendwann – der Blondschopf hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war – hatte er sich auf dem nassen Boden niedergelassen. Seine dünne Hose war natürlich sofort durchgeweicht und die nasse Kälte kroch seine Knochen hoch, umarmte ihn unerbittlich und wollte ihn nicht wieder loslassen. Oh, bei Andrastes flammenden Untergewand… Der Geistheiler würde sich hier unten noch erkälten, so viel stand fest. Sein Atem stieg in der Kälte als weißer Dunst auf und der erschöpfte Magier lehnte den Kopf an die schwarzen Steine. Blöde Templer. Blödes Narbengesicht. Blöder Cullen. Der Gedanke an den ehemaligen Templer stimmte den Anderfelser traurig und gleichzeitig wütend. Oh, wie der Kommandant der Inquisitionstruppen ihn behandelt hatte! Das war einfach nur unerhört gewesen! Anders konnte sich nur allzu gut an jenen erinnern, wie er nackt über ihm gelegen hatte, um immer wieder wild und animalisch in ihn hineinzustoßen, damit er seinem Frust über den Korb vom Inquisitor freien Lauf lassen konnte. Wie der Krieger den Magier unter sich angeschaut hatte, wie sich seine kurzen Fingernägel in seine Haut gegraben hatte und wie der durchtrainierte Körper schließlich erzittert war, als jener zum Höhepunkt gekommen war. Und Anders hatte es genossen, oh ja. Niemals würde er den Blick der haselnussbraunen Augen vergessen, wie diese ihn angesehen hatten, während sich der schwitzende Anders unter ihm vor Lust gewunden hatte. In jenem Augenblick hatte sich der Abtrünnige wirklich in den ehemaligen Templer verliebt. Und er verfluchte sich dafür; natürlich hatte er den Krieger schon vorher anziehend gefunden, doch erst in jener verhängnisvollen Nacht hatte sich der Mann seine fragwürdigen Gefühle für den Soldaten eingestanden. Und, dumm und naiv wie er gewesen war, hatte er natürlich geglaubt, dass Cullen seine Gefühle erwiderte. Aber darin hatte sich der Anderfelser geirrt. Als Cullen ihn zu sich ins Büro gerufen hatte, hatte der Blondschopf nicht geahnt, was jener von sich geben würde. Er hatte gehofft, dass der Mann seine Gefühle erwidern würde, auch wenn es für ihn schwer gewesen wäre. Selbst wenn sie spezielle Differenzen in der Vergangenheit gehabt haben und nie wirklich gut miteinander ausgekommen waren… So hatte Anders geglaubt, diese Meinungsverschiedenheiten wären vergessen, Schnee von gestern. Immerhin war Cullen kein Templer mehr und sie arbeiteten ja in gewisser Art und Weise zusammen. Der Krieger hatte sich von dem Arschloch, das er in Kirkwall gewesen war, wieder ein wenig abgewandt und hatte den Charakter eines Mannes angenommen, den jeder respektierte und mochte; vor allem seine, ihm treu ergebenen Truppen. Und Anders? Ja, er hatte sich prompt in den Krieger verliebt. Natürlich war auch Eifersucht mit im Spiel gewesen, nachdem der anhängliche Magier bemerkt hatte, dass der Soldat eigentlich nur Interesse am Inquisitor hatte. Natürlich war es von dem Blondschopf geplant gewesen, in der Kaserne auf den Kommandanten zu warten, ihn in Empfang zu nehmen und zu trösten, weil er gewusst hatte, dass Trevelyan reinen Tisch machen würde. Natürlich hatte er sich vorgenommen, mit dem Mann im Bett zu landen, um jenem zu zeigen, dass er keine Frau, keine Trevelyan, benötigte, um glücklich zu werden. Und natürlich war dem Krieger die gemeinsame Nacht peinlich gewesen. Alleine schon, wie hektisch der Soldat am nächsten Morgen aus dem Bett gesprungen war, mit hochroten Wangen und ein paar gestotterten Worten, nur, um sich mehr schlecht als recht die Rüstung überzuziehen und sich voller Eifer in seine Aufgaben zu stürzen Und Anders? Er hatte geschmunzelt, das Verhalten des ehemaligen Templers als süß abgetan. In seinem verliebten Kopf hatte er sich bereits ausgemalt, wie Cullen zu ihm stehen würde und wie sie gemeinsam an der Seite des Inquisitors kämpfen würden, um die Welt zu retten. Oh, was war der Blondschopf von seinen Gefühlen geblendet gewesen! Und dann war der Schmerz gekommen. Die Einsicht, dass der Soldat ihn nicht wollte, obwohl jener sich nach dem Nichts im Körper des Magiers verzehrte wie sonst keiner. Ja, Anders hatte es dem Kommandanten angesehen, dass jener ihn begehrte, doch dieser war wohl zu stolz, um sich das selbst einzugestehen. Und wo war Anders deswegen gelandet? In Aeonar. Überwältigt von mehreren Templern, geschlagen und all seiner Sachen beraubt war der ohnmächtige Mann in dem Gefängnis eingeliefert worden, nur, um jetzt hier unten regelrecht zu vergammeln. Alles nur Cullens Schuld, befand Anders und dachte gar nicht daran, dass er es vielleicht ein wenig übertrieben hatte. Nein, nur der blöde Kommandant war Schuld an der Misere und er, Anders, der Leidtragende. Mit diesen Gedanken war es zumindest einfacher, den ehemaligen Templer zu hassen.   Seine Fingerspitzen glitten über den Boden und der Abtrünnige holte tief Luft. Er spürte gar nicht, wie ihm ein paar Tränen aus den Augen quollen und von der Nasenspitze tropften; zu sehr noch schmerzte es, wie Cullen ihn abgewiesen hatte. Gerechtigkeit hatte ja gejubelt, aber dies war nur ein schwacher Trost für den verliebten Blondschopf gewesen. Und jetzt hatte er noch nicht mal den Geist an seiner Seite, sondern war vollkommen alleine. Seine Finger fassten wieder in eine Pfütze. Sanft schwappte das Wasser gegen die Kuppen und benetzte sie mit der kalten Flüssigkeit. … Und dann fiel dem Anderfelser auf, wie zähflüssig das Wasser war. Ein wenig zu dick schien die Flüssigkeit zu sein, zu klebrig. Das hier war kein Wasser, so viel stand fest. Der Blonde hob die Hand wieder und hielt sie sich vor das Gesicht. Langsam tropften zähe Fäden nach unten, auf seine Hose und auf den Boden, beinahe so, als wäre Anders' Hand das Maul und seine Finger die Zähne, an denen der Speichel eines Monsters heruntertropfte. Oh. Der Anderfelser stieß einen erstickten Schrei aus, schüttelte die Hand, um den Speichel abzubekommen und rappelte sich dann schnell wieder hoch. Mit panisch aufgerissenen Augen stolperte er von der Stelle weg, stützte sich dabei an den glatten Steinen der Wand ab und starrte auf den Geifer, der sich am Boden gesammelt hatte. Wie, beim Erbauer, kam so etwas hier unten hin? Er wischte sich den Rest des Speichels an seiner so oder so schon durchnässen Hose ab und musste sich dazu zwingen sich jetzt nicht zu übergeben; und das, obwohl sein Magen ziemlich rebellierte. Er presste sich einen Arm auf den Bauch und hoffte so, der Übelkeit ein wenig entgegenwirken zu können und beugte sich vornüber. Seine wirren, blonden Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht und der entsetzte Magier gab ein ersticktes Keuchen von sich. Und erst jetzt registrierte der Blondschopf auch den schweren Atem, der durch die Gänge hallte. Er gab einen entsetzten Laut von sich und spürte, wie die Panik in seine Knochen kroch; alles in dem Körper des Magiers verkrampfte sich und vornübergebeugt stand er da, Tränen in den Augen. Nein. Das… das war unmöglich, oder? Er… er bildete sich das ein. Ja, eindeutig. Das war alles nur Einbildung. Er hörte kein schweres Atmen. Er hörte kein regelmäßiges, leises Tropfen in der Dunkelheit und das da auf dem Boden, das war auch kein Speichel, sondern nur Wasser. Seine Fantasie spielte ihm gerade einen Streich. Ja, anders konnte der Blondschopf es sich nicht erklären. Selbst hier in Aeonar waren die Templer nicht so grausam und sperrten die Magier mit einem Monster zusammen ein. Das hoffte der Anderfelser zumindest. Urplötzlich wünschte sich der Mann zu den ganzen Wahnsinnigen eine Etage höher zurück. Dort wäre es zwar laut gewesen, aber immerhin würde er da nicht an einer Angst sterben, die er noch nie empfunden hatte. Ganz langsam tappte der Blonde weiter; weg von der seltsamen Pfütze (Wasser. Das war und blieb Wasser.) und weiter den Gang entlang. Seine zitternden Hände fuhren dabei über den schwarzen, glatten Stein an den Wänden und mehrmals versagten seine Beine und er knickte ein; fiel auf den Boden hin, schlug sich die Knie auf. Das Blut lief ihm langsam an seinen Waden herunter, pulsierend und warm, doch der Abtrünnige ging weiter. Er wollte weg von hier. Weg von dem Atmen, das er sich bestimmt nur einbildete. Weg von diesem schrecklichen Ort. Einfach nur weg, ganz, ganz weit weg. Er bog um eine Ecke. Sein Atem ging aufgrund der aufsteigenden und immer größer werdenden Panik stoßweise und sein Hals war wie zugeschnürt. Es wunderte den Geistheiler beinahe schon, dass sie erst jetzt kam; aber offensichtlich hatte sein Körper schlussendlich wirklich wahrgenommen, wo er sich befand, genau, wie der aufgrund von zu viel Antimagie benebelte Geist des Magiers. Der Mann blieb stehen und hob den Kopf; eine Hand lag noch immer auf seinem rebellierenden Bauch und ein leises Wimmern drang aus seiner Kehle, während er in die große Höhle starrte, vor dessen Eingang er gerade stand. Und auf das, was dort, zusammengerollt und umringt von etlichen Wertgegenständen schlummerte. Dessen rote, schuppige Seiten hoben und senkten sich regelmäßig, während der warme Atem aus den Nüstern in weißen Rauchwolken aufstieg. Wie eine Katze lag der Drache dort zusammengerollt, sein Speichel lief ihm an der rosa gegabelten Zunge hinab und bildete am Boden eine kleine Pfütze. Den langen, mit Dornen besetzte Schwanz um den Körper geschlungen sah das Vieh nicht sonderlich groß aus, trotzdem war jede der scharfkantigen, schwarzen Krallen länger als der magere Unterarm des Geistheilers. Die Flügel waren auf dem Rücken zusammengefaltet, trotzdem konnten die braunen Rehaugen deren stechend rote Innenfarbe von ihnen ausmachen; die dünne, empfindliche Membran spannte sich zwischen den Flügelknochen und wenn man genau hinsah, konnte man sogar die Schuppen durchschimmern sehen. Anders gab ein verzweifeltes, lautes Stöhnen von sich. Er konnte nicht anders; seine Beine zitterten so unglaublich stark, dass er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er sank auf den Boden, ignorierte den stechenden Schmerz aufgrund seiner Wunden an den Beinen und stützte sich mit den Handflächen am Boden ab. Er würgte und schmeckte, wie ihm die Galle säuerlich in den Mund stieg, während dem verängstigten, verzweifelten Mann Tränen über das leichenblasse Gesicht liefen. Er öffnete den Mund, wollte laut losschreien. Wollte seine Panik rausbrüllen, in dem ganz genauen Wissen, dass das schlafende Tier auf ihn aufmerksam werden und ihn fressen würde. Bevor aber auch nur ein Ton seine trockenen, aufgesprungenen Lippen verlassen konnte, legte sich eine kalte Hand von hinten auf seinen Mund und zog ihn fort, zurück in die spärlich beleuchtete Dunkelheit.     Kapitel 5: Dunkle Vorahnung --------------------------- Cullen stieg langsam vom Pferd und sah sich das vollkommen zerstörte Dorf an, in dem sie am späten Nachmittag angekommen waren. Das sah… nicht gut aus. ‘Nicht gut‘ war noch beschönigend für das, was sich vor dem Krieger ausbreitete: Die Häuser waren zum größten Teil zerstört, immer noch hing ein leichter Geruch von Verbanntem in der Luft, die Fensterscheiben lagen zerbrochen wie tausende, kleine Kristalle auf den Wegen und machten diese beinahe unpassierbar. Keine einzige Menschenseele war zu sehen, dafür aber umso mehr Leichen von Männern, Frauen und Kindern. Der Kommandant schluckte und roch den süßlichen Geruch von Tod und Verwesung. Es war eine Katastrophe. Der ehemalige Templer kannte nur einen, der für ein solch derartiges Massaker verantwortlich sein konnte, und das war Gerechtigkeit. Natürlich, es hätten auch die aufständischen Templer oder die Venatori sein können, aber dies hielt der Kommandant eher für unwahrscheinlich. Das lag vielleicht auch ein wenig daran, dass an den unversehrten Hauswänden mit Blut hingeschmierte Schimpftiraden standen, die eindeutig auf den wütenden Blondschopf hinwiesen. Oder auf Gerechtigkeit; wie man es eben sehen wollte.   Seine Männer stiegen ebenfalls von ihren Pferden ab und banden sie fest, damit sie sich in Ruhe umsehen konnten. Cullen setzte sich auch in Bewegung; inzwischen waren sie relativ weit im Norden und ein kühler Wind fegte über das verlassene Dorf, dessen Name der Kommandant noch nicht einmal wusste. Wie hatte Anders so weit laufen und dabei wüten können? In den letzten Wochen hatten sie immer wieder Hinweise auf eine komisch blau-leuchtende Gestalt erhalten, die immer weiter den Kaiserlichen Hochwegs entlang gerannt und dabei hin und wieder vollends ausgerastet war. Bereits an zwei angeschlagenen Dörfern waren sie vorbei gekommen, aber das dritte Dorf übertrumpfte alles; denn hier schien es, als habe Anders die komplette Bevölkerung in seinem Wahn getötet. Der Kommandant wollte dies eigentlich nicht glauben; selbst wenn der Blondschopf wütend war, so würde er doch niemals ein ganzes Dorf dem Erdboden gleichmachen, oder? Dazu konnte selbst Gerechtigkeit nicht in der Lage sein; vielleicht hatte hier auch ein Kampf gewütet? Vielleicht war das Dorf von den Venatori oder Dämonen angegriffen worden und der Geistheiler hatte helfen wollen? …Das erklärte allerdings nicht die unschönen Schimpfwörter an den Fassaden der noch stehenden Häuser. Nein. Das MUSSTE Gerechtigkeit gewesen sein. Immerhin übernahm der Geist ja ganz gerne mal die Kontrolle über den Blondschopf und wütete dann herum. Und wer konnte die ganze Sauerei jetzt wegmachen? Natürlich er, der Kommandant der Inquisition. Als habe er so schon nicht genug Aufgaben zu erfüllen. „Kommandant?“ Einer von Cullens Begleitern versuchte, die Aufmerksamkeit des schweigsamen Fereldeners zu erhaschen. „Ja?“, antwortete dieser und wandte seinen Blick von einem sehr netten Kommentar an einer besonders heilen Hauswand (Ich werde diesem Kommandanten aufschlitzen und die Eingeweide rausreißen, um auf seinem Herz rumtrampeln zu können, wie er es bei mir gemacht hat!) ab. Der kleinere Krieger vor ihm zeigte in eine andere Richtung. „Wir haben dort einige Überlebende gefunden, Ser. Sie könnten uns verraten, was hier passiert ist.“ Das Herz des Kurzhaarigen klopfte schneller. Er war auf einmal sehr aufgeregt und seine Hände in den ledernen Handschuhen waren plötzlich schweißnass. Es war nicht gesagt, dass die Menschen dort wirklich etwas über den verschwundenen Blondschopf wussten; aber Cullen musste es wenigstens versuchen. Er wandte den Hasstiraden, die an ihn gerichtet waren, den Rücken zu und meinte: „Sehr gut. Führt mich hin.“   Die Überlebenden bestanden aus einem kleinen Grüppchen von zwei Männern und drei Frauen. Allesamt besaßen sie zerrissene Kleidung, waren blutbeschmiert, rußbefleckt und sahen verzweifelt und vollkommen fertig mit den Nerven aus. Beinahe schon hatte Cullen ein schlechtes Gewissen, als er sich zu ihnen setzte, während seine Männer die Kochstelle aufbauten, um für etwas Essbares zu sorgen; die armen Bewohner des Dorfes schienen seit Wochen nichts mehr richtiges in den Magen bekommen zu haben und der Kommandant war kein Unmensch. Vollkommen verängstigt saßen sie auf dem Boden um ein kleines Feuerchen herum, was sie mit Mühe und Not entfacht hatten. Sie rieben ihre Hände aneinander, um sich zu wärmen, kauten auf ihren Lippen herum und die Frauen zogen sich ihre zerrissene Kleidung so über den Körper, dass nicht allzu viel nackte Haut hindurchblitzen konnte. Und da der Kommandant ein Mann der Ehre war, zog er seinen eigenen Mantel aus und legte ihn um die Schultern der am stärksten bibbernden Frau; seine Männer machten es ihm nach und bald zitterte das kleine Grüppchen nicht mehr und bedankte sich mit hauchenden Stimmen bei ihren Rettern. „Das ist kein Problem“; meinte Cullen nur setzte sich ein wenig gemütlicher hin. „Ich weiß nicht so genau, ob ihr schon mal etwas von uns gehört habt. Mein Name ist Cullen Rutherford, ich bin der Kommandant der Inquisition.“ „Natürlich haben wir von Euch gehört, Ser“, meinte einer der Frauen. „Ich kannte Eure Schwester, Mia. Wir waren miteinander in Honnleath befreundet, ehe die Verderbnis kam.“ Der Kommandant blinzelte ein wenig perplex; jahrelang hatte er, außer einigen Briefen, nichts mehr von seiner Schwester oder von seiner Familie gehört. Dass er jetzt vor einer Freundin von Mia saß machte… die ganze Situation nicht gerade angenehmer. Aber er versuchte, sich davon nichts anmerken zu lassen (und die neugierigen Blicke seiner Männer im Rücken zu ignorieren). „Ähm… Das freut mich. Mia geht es übrigens sehr gut“, sagte er. Die Mundwinkel der Frau zuckten sogar ein wenig nach oben. Oh, Erbauer… Das war wirklich… Cullen konnte sich noch gut selber daran erinnern, nachdem ihm der Horror persönlich begegnet war, damals, in Kinloch Hold. Er hatte mit niemanden reden wollen, denn die Erinnerung daran war einfach zu schrecklich gewesen. Und jetzt saß er hier vor Menschen, denen genauso schlimmes widerfahren war und musste sie ausfragen. Ja, er fühlte sich scheußlich.  „Also…“, fing er schließlich zögernd an und winkte seinen Männern, dass sie endlich anfangen sollten, etwas zu Essen zu kochen; die armen Leute hier brauchten unbedingt etwas Anständiges im Magen, so ausgehungert, wie sie aussahen. „Ich… hätte da ein paar Fragen an Euch…“ Eine der Frauen brach in bittere Tränen aus und warf sich in die Arme des neben ihr sitzenden Mannes, der Cullen sofort einen tödlichen Blick zuwarf. Der Kommandant rieb sich mit einer Hand im Nacken und seufzte schwer auf. Beim Atem des Erbauers… Warum noch mal tat er sich das hier an? Wegen Anders. Und wegen dem Versprechen an Hawke, dass er den Blondschopf finden werde. Die Frau, die sich ihm als Mia's Freundin vorgestellt hatte, warf einen mitleidigen Blick auf die Trauernde und meinte mit gedämpfter Stimme: „Sie hat ihren Sohn verloren. Er war ihr Ein und Alles.“ Sie zog den Mantel des Kommandanten enger um ihre Schultern und hielt ihn mit beiden Händen vor ihrer Brust zusammen. „Mein Name ist übrigens Rita. Freut mich sehr“, stellte sie sich schließlich vor, doch ihr einsames, verlorenes Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Natürlich tat es das nicht. Die Frau hier vor ihm war eindeutig gezeichnet von dem, was passiert war. Es würde Jahre dauern, bis sie wieder richtig lachen könnte. „Rita…“, fing der Kommandant an, wurde aber von einem seiner Männer unterbrochen: „Ser? Sollen wir die Vorräte für nächste Woche anbrechen? Sonst wird es nicht reichen, befürchte ich.“ „Macht einfach“, schnauzte der sensible Fereldener den armen Mann an und wandte sich dann mit einem leichten Stöhnen auf den Lippen wieder an Rita. „Entschuldigt“, murmelte er. „Rekruten.“ Rita und alle anderen blickten den Kommandanten mit großen Augen an. In ihrem Blick lag etwas Ungläubiges… aber gleichzeitig auch etwas unheimlich Dankbares. Sie schienen es immer noch nicht fassen zu können, dass man ihnen endlich helfen würde; dass die Männer in Metallplatten und Rüstleder gerade ernsthaft kochten und sich der Kommandant der Inquisiton persönlich um sie kümmerte…! Der Fereldener biss sich auf die Unterlippe und starrte gen Boden. Diese hoffnungsvollen Blicke, die gerade alle auf ihn gerichtet waren, waren beinahe nicht mehr auszuhalten. Und gleich würde er die armen Leute wieder ihrem Schicksal überlassen müssen, weil er es sich nicht erlauben konnte, auch nur einen einzigen Tag zu vertrödeln. Rita war die erste, die wieder etwas von sich gab: „Ich… nehme an, Ihr möchtet wissen, was geschehen ist?“ „Ja“, antwortete Cullen mit leiser Stimme. „Es tut mir leid, euch dies fragen zu müssen. Aber… der Mann, der hier durchkam, war ein Freund von mir. Ich suche ihn schon seit vier Wochen und vermisst wird er schon viel länger. Wenn ihr… wenn ihr also irgendetwas gesehen habt, einen Hinweis, wo er hingelaufen sein könnte… Die Inquisition stände wahrlich in eurer Schuld.“  Der Herold Andrastes würde ihm den Kopf abreißen, wenn sie erfuhr, was Cullen da gerade von sich gegeben hatte. Immerhin war sie der Boss der Inquisition und würde es bestimmt als etwas Persönliches sehen, dass der Kommandant den Menschen gerade eben gesagt hatte, dass die Inquisition in deren Schuld stände. Immerhin war Anders nicht unbedingt wichtig für die Organisation und abgesehen von seinen Streichen und der Tatsache, dass er ein paar Soldaten geheilt hatte, hatte er noch nicht sonderlich viel zu ihrem Kampf beigetragen. Aber gesagt war gesagt und Rita starrte ihn mit offenem Mund an; genau, wie alle anderen. Hinter seinem Rücken hörte der Kurzhaarige, wie seine Männer kurz damit aufhörten, herumzuwerkeln und seinen Hinterkopf ebenfalls perplex ansahen. Ja, er hatte sich eindeutig zu viel rausgenommen. Aber der Kommandant würde seine Worte nicht zurücknehmen; und ja, er würde sie auch halten! Und wenn er sich dafür persönlich mit der halben Führerschaft der Inquisition anlegen müsste, dann wäre ihm das ebenfalls recht! Er sah es nicht ein, andere Menschen leiden zu lassen, während sie Mittel und Wege besaßen, diesem Leid ein Ende zu setzten. „Wir… brauchen nichts“, hauchte Rita schließlich stellvertretend für die ganze Gruppe. Alle anderen nickten, um ihre Aussage zu bestätigen. „Ihr müsst euch ja jetzt noch nicht entscheiden“, meinte der Kommandant mit sanfter Stimme, „Wichtig ist nur, dass ihr wisst, dass die Inquisition… dass ich euch nicht vergessen werde.“ Vorsichtig linste der Krieger über seine Schulter nach hinten; das zerstörte Dorf war zu sehen und immer noch stieg ein wenig Rauch auf. „Vielleicht könnten die Soldaten helfen, euer Dorf wieder aufzubauen. Falls ihr das wünscht“, schlug Cullen vor; mit ein wenig Glück fand er ein paar Freiwillige, die bei dem Wiederaufbau helfen würden. Die Mitglieder des Grüppchens sahen einander an; pure Erleichterung stand in ihrem Blick und in Ritas Augen schwammen sogar ein paar Freudentränen. „Das… wäre wunderbar“, meinte sie mit leicht gedrückter Stimme und tupfte sich mit einem Zipfel von Cullens Mantel die Tränen aus den Augenwinkeln. Der Kommandant lächelte leicht. Er hatte das Richtige getan.       Schließlich erzählte Rita ihnen, was vorgefallen war. Offensichtlich war Anders bereits blau leuchtend angekommen. Der Geistheiler hatte zwar einen gefährlichen Eindruck gemacht, aber angegriffen hatte er niemanden. Die Menschen des Dörfchens waren vor ihm zurückgewichen und wollten ihn passieren lassen. Der Blondschopf hätte wohl nichts getan, was den Menschen schaden könnte. Natürlich nicht; das war immer noch Gerechtigkeit. Und es war keinesfalls gerecht, einfach so ein wehrloses Dorf abzuschlachten. Aber was war dann geschehen? Die Hasstiraden auf den Kommandanten stammten eindeutig von dem abtrünnigen Magier; eine andere Erklärung gab es dafür nicht. Aber der Fereldener sollte schon bald seine Antwort bekommen: „Wir haben beschlossen, Euren Freund einfach ziehen zu lassen. Er würde uns nichts tun, solange wir ihm nichts tun. Alles schien wunderbar funktioniert zu haben“, erzählte Rita mit leiser, hektischer Stimme. In ihren Händen lag eine hölzerne Schale, gefüllt mit dem dampfenden und gut riechenden Eintopf, den seine Soldaten auf die Schnelle herbeigezaubert hatten. Cullen aß ebenfalls etwas; der Hunger hatte sich bei ihm gemeldet und der Kommandant löffelte seine Schale leer, während er der Geschichte der Überlebenden mit großen Augen lauschte. „Und dann kamen die Templer. Sie wollten nur gucken, ob alles in Ordnung sei; und dann sahen sie Euren Freund.“ Cullen hörte auf zu essen. Er wusste, was jetzt kommen würde; er kannte den Blondschopf – oder eher gesagt: Gerechtigkeit – inzwischen gut genug, um zu wissen, dass bei jenem kein Templer überlebte. „Sie haben auf ihn gezeigt und ihn angebrüllt. Ihn als Abscheulichkeit beschimpft. Und Euer Freund hat den Kopf gehoben und einfach nur gelacht. Es war gruselig, wie er dastand, blutbespritzt, und wie den Templern höhnisch ins Gesicht gegrinst hat.“ Rita zitterte bei den Worten ein wenig und nahm schnell einen Löffel ihres Eintopfes zu sich. Sie kaute langsam und vorsichtig, schluckte runter und besaß dann wieder genug Kraft, um weiterzusprechen: „Dann begann der Kampf. Die Templer wollten Euren Freund überrumpeln und in einen Hinterhalt locken, aber er fiel nicht darauf rein. Es war… unglaublich. Feuerstürme, Blitzgewitter und Hagelregen… All das kam runter, zerstörte das Dorf, tötete die meisten der Templer. Ein paar schafften es zu fliehen; sie riefen uns zu, dass wir ebenfalls fliehen sollten und sie mit Verstärkung zurückkommen würden. Ab diesem Zeitpunkt war die Hälfte unseres Dorfes bereits tot und Euer Freund hat wahnsinnig grinsend da gestanden und geschrien: ‚Seht, das passiert mit euch elendigen Templern! Niemand wagt es, mich zu verletzten, niemand!‘ Und dann hat er sich gebückt, sich die Hände mit Blut geschmiert und dann angefangen, diese ganzen Sätze an die Wände zu schreiben.“ Dem Kommandanten war der Appetit gründlich vergangen; er konnte sich unheimlich gut vorstellen, wie wütend Anders gewesen sein musste, wie verzweifelt die Templer versucht hatten, sich gegen das Wesen aus dem Nichts zu wehren… Er hatte den Blondschopf in Kirkwall in voller Aktion gesehen. Wie er mit ihm gemeinsam gegen Meredith gekämpft hatte, wie jener an der Seite des damaligen Templers gestanden hatte und wilde Feuerbälle auf das Schlachtfeld hatte prasseln lassen… Cullen erschauderte aufgrund dieser Erinnerung und verbannte sie aus seinem Kopf. „Was ist dann passiert?“, wollte er wissen. Er spürte, dass da noch etwas kam. Etwas, was für ihn von unheimlicher Wichtigkeit sein würde. „Wie die Templer versprochen hatten, kamen sie mit Verstärkung wieder. Der fürchterliche Kampf ging von neuem los, aber schließlich… schließlich haben sie den Magier überwältigt. Sie entzogen ihm all sein Mana, bis er nur noch eine sabbernde Hülle am Boden war.“ Der Kommandant stellte seine Schüssel auf den Boden und begann langsam, seine Hände zu kneten. Er kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. „Und dann?“, fragte er mit schwacher Stimme und schloss die Augen. Wenn Anders von Templer erwischt worden war, dann… „Dann haben sie ihn mitgenommen. Ich hörte, wie einer von ihnen rief: ‚Schafft ihn weg. Kommandant Magnus wird sich mit ihm befassen wollen.‘ Und dann war alles vorbei. Unser Dorf war zerstört, die Templer abgezogen und wir…“ Ritas Unterlippe zitterte und einer der Männer schob ihr eine Hand auf den Rücken, um sie zu trösten. Cullen richtete sich auf und holte tief Luft. Er sprach mehrere Minuten kein einziges Wort. Er wusste, wo Anders war. Als Templer besaß man die heilige Pflicht, alle Oberhäupter zu kennen. Cullen hatte Listen von Knight-Commanders auswendig lernen müssen, um zu wissen, wer wo stationiert war und nach wem er suchen musste, wenn er in einer fremden Stadt war und eine Führungsperson benötigte. Und Kommandant Magnus war einer derjenigen gewesen, die sich der Fereldener nur allzu gut gemerkt hatte; denn jener war Knight-Commander bei den Templern, die Aeonar bewachten. Das berüchtigte Magiergefängnis.  „Beim Atem des Erbauers…“, flüsterte der Kommandant der Inquisition leise und schüttelte ungläubig den Kopf.       Kapitel 6: Die Standhaften -------------------------- Vor vier Wochen. Anders wedelte panisch mit den Armen und verlor das Gleichgewicht; mit den Fersen schleifte er über den Boden, während eine kräftige Hand auf seinem Mund lag, um ihm die Fähigkeit zum Atmen zu rauben und ein anderer Arm um seinen Torso geschlungen war, um ihn wegzerren zu können. „Hmpf!“, machte der Blondschopf und umfasste mit beiden Händen das Handgelenk der Hand, die auf seinen Lippen lag, um sie wegzuzerren. Seine Augen waren panisch und weit aufgerissen, er atmete schwer und laut durch die Nase ein und aus und dachte in diesem heiklen Moment gar nicht mehr an den Drachen und daran, dass jener sie hören könnte, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf den nackten Oberkörper, der sich von hinten an seinen Rücken drückte. Der Geistheiler wurde um eine Ecke gezogen und dann blieb sein unerwarteter Besuch stehen. Der Blondschopf spürte, wie sich dessen Brust ebenfalls unregelmäßig hob und senkte, als wäre jener vor wenigen Minuten noch gerannt und versuchte, mit seinem Bein nach hinten auszutreten damit er endlich frei kam. Aber der Mann hinter ihm war wohl darauf vorbereitet; er wich dem Anderfelser geschickt aus und dann raunte eine leicht rauchige Stimme in sein Ohr: „Sei still. Oder willst du etwa, dass Erdbeerchen aufwacht und uns findet?“ Seine Finger lagen nach wie vor auf dem Mund des Blonden und machten keine Anstalten, den Magier von diesem Umstand zu befreien. Anders, der gerade eben dazu ansetzten wollte mit den Beinen zu strampeln, hielt einen Moment irritiert inne. Erdbeerchen? Wer, bei Andrastes flammender Unterbuchse, war bitte schön Erdbeerchen? Ein wenig perplex stand der Geistheiler dann erstaunlich ruhig da und atmete immer noch schwer durch die Nase. Das Geräusch klang viel zu laut in seinen empfindlichen Ohren und er wünschte sich, der Mann würde sich nicht mehr so eng an ihn heran pressen; auch wenn er eigentlich nichts gegen verschwitzte Körper hatte (vor allem, wenn sich die Besitzer jener im Bett wälzten), so fühlte er sich doch nicht wohl, so arg… ‘gefangen‘ zu sein. Gefangen, haha. Guter Witz, Anders! Er spürte den warmen Atem des anderen an seinem Ohr und hörte dann wieder ein paar geflüsterte Worte: „Kann ich dich loslassen, ohne, dass du vor Panik rumschreist?“ Der Abtrünnige nickte langsam; er wollte endlich raus aus dieser unfreiwilligen Umarmung und sehen, wer ihn denn da so grob von hinten gepackt hatte. Der Mann ließ ihn los. Sofort trat Anders mehrere Schritte nach vorne, schnappte nach Luft und fuhr sich mit einer Hand über das stoppelige Gesicht, während er sich mit der anderen an der schwarzen Wand abstützte. Er beugte sich vornüber und versuchte, seinen rasenden Puls langsam wieder zu beschwichtigen. Immer noch rauschte dem Abtrünnigen das Blut in den Ohren und es schien, als würde er sich gleich übergeben müssen. Nachdem er sich ein paar Minuten lang fassen konnte, linste er über seine Schulter zurück.   Hinter ihm befand sich mit einem breiten Grinsen ein Mann (wie er bereits erwartet hatte). Er lehnte in einer erstaunlich lässigen Position mit einer Schulter an der steinernen Wand und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Haut war ungesund blass, aber der Geistheiler bemerkte trotzdem dessen trainierte Muskeln, die sich unter der Haut spannten. Er besaß rotbraune, lange, strähnige Haare, die vor Fett glänzten und ihm bis zum Kinn gingen. Es sah nicht so aus, als habe er sich die Frisur freiwillig so wachsen lassen und der Blondschopf vermutete eher, dass jener schon etwas länger hier unten gefangen war. Sein Mithäftling war in genau die gleiche dünne, schmuddelige braune Hose gekleidet wie er selber; ansonsten trug auch jener nichts anderes am Leib. Die smaragdgrünen Augen funkelten den Geistheiler beinahe schon belustigt an. „Hast du dich eingekriegt?“, wollte er wispernd wissen und hob fragend beide Augenbrauen. Der Angesprochene drehte sich langsam um und antwortete nicht; stattdessen verschränkte er nur die dünnen Arme vor dem Bauch und blickte dem ihm gegenüber an der Wand Lehnenden auffordernd entgegen. Es war ein stummes Was sollte das? Und der Mann verstand dies. Er seufzte kurz auf, pustete sich eine seiner Strähnen aus dem Gesicht und winkte dann mit der Hand: „Komm mit. Erdbeerchen wacht normalerweise erst in ein paar Stunden auf; außer ein Neuankömmling wie du wagt es, zu laut zu sein. Mensch, ein Glück, dass ich rechtzeitig gekommen bin, um dich da raus zu zerren…“ Er schüttelte den Kopf und wandte sich von Anders ab, um den spärlich beleuchteten Gang weiter entlang zu gehen. Er blickte dabei nicht zu dem verunsicherten und verwirrten Anderfelser zurück, sondern hatte schlichtweg die Hände in die Taschen seiner Hose gesteckt und ging guter Dinger voraus. Als erwartete er, dass ihn der Blondschopf wie ein Hund folgen würde! Pah, da konnte jener aber lange warten. Anders zog sich mit einem bestimmenden Griff seinen Zopf wieder fester und drehte sich um. In diesem Moment hallte ein Grollen durch die Gänge und ließ alle Härchen von Anders zu Berge stehen.   Nur wenige Sekunden später lief der verängstigte Abtrünnige neben seiner neuen Bekanntschaft her und blickte immer wieder unsicher über die Schulter nach hinten, als erwartete er, der Drache würde aus dem Nichts auftauchen und sie beide verschlingen. Sie gingen mehrere Minuten schweigend durch die Gänge. Der Mann schien ganz genau zu wissen, wo er lang gehen musste, denn er führte Anders mit zielstrebigen Schritten durch das große Labyrinth. Dies bestätigte den Verdacht des Magiers, dass dieser Mann schon länger hier unten war. Er ließ den blonden Kopf ein wenig hängen; jetzt, wo die Aufregung vorbei war, spürte er die Antimagie des Gefängnisses umso stärker. Sie drückte seine Schultern gen Boden und der Blondschopf musste sich anstrengen, die Füße ordentlich anzuheben, damit die empfindlichen, nackten Zehen nicht über den steinigen Boden schleiften. Immer noch sagte seine seltsame Begleitung kein einziges Wort. Und dabei war der Anderfelser gerade so neugierig! Tausende von Fragen brannten ihm auf der Zunge und schließlich gab er diesem Drang nach und setzte an: „Also…“ „Nein“, kam die prompt geflüsterte Antwort zurück. „Nicht jetzt. Gleich.“ Der eingeschüchterte Anders hielt abrupt seine sonst so vorlaute Klappe und folgte dem unbekannten Mann immer weiter durch die unheimlichen Gänge. Nach gefühlten fünf Stunden hielt seine Begleitung schließlich an; wahrscheinlich waren sie gerade mal dreißig Minuten durch die dritte Etage gewandert, trotzdem schwitzte der Anderfelser aus allen Poren und hielt sich mit einem Arm die Seite. Sein unbekannter Kollege wandte sich schließlich zu ihm „Gut. Jetzt müssten wir weit genug weg von Erdbeerchen sein.“ Er grinste wieder sein altes Lachen und musterte den Blondschopf von oben bis unten. „Du bist also der Neue, hm?“ Dem Abtrünnigen fielen tausende von schlagkräftigen Antworten ein. Und er wollte dem eigentlich freundlichen Mann schon eine davon entgegenschleudern (denn wer wusste schon, ob jener nicht einfach nur so freundlich tat?), aber als er den Mund öffnete, verließ nur ein einziges Wort seine Lippen: „Erdbeerchen?“ Der Mann kicherte. „So nennen wir den Drachen. Wegen ihren roten Schuppen. Keine Ahnung, wie der olle Brutus sie wirklich getauft hat und es interessiert mich auch nicht. Außerdem entschärft der Name die Gefahr, die sie eigentlich darstellt!“ Und wieder verließ nur ein einziges Wort die verwirrten Lippen des Geistheilers: „Brutus?“ „Jaaaa“, stimmte der Mann ihm langgezogen und nickend zu. „Du hast ihn wahrscheinlich kennen gelernt. Ser Narbengesicht wird er auch häufig genannt, aber ich finde, Brutus passt besser zu ihm!“ Er lachte einmal laut auf, sodass Anders zusammenzuckte und sich erschrocken umsah, ob ‘Erdbeerchen‘ nicht auf sie aufmerksam geworden war, aber kein Laut war aus der Richtung, aus der sie gekommen waren zu hören. „Wahrscheinlich hat er irgendeinen mega peinlichen Namen…“, sinnierte der Mann vor ihm gerade weiter. „Das werden wir wohl nie erfahren!“ Mit einer Hand rieb er sich sein Kinn, das von einem leichten Bart bedeckt war, ehe er die Hand schließlich dem Magier entgegen streckte. „Julius mein Name übrigens. Und wie heißt du, wenn ich fragen darf?“ Misstrauisch beäugte Anders die ihm entgegenstreckende Hand. Er rührte sich keinen Zentimeter, doch seine Rehaugen glitten von den Fingern hoch zu Julius‘ sympathischem Gesicht. Seine neue Bekanntschaft schnalzte unzufrieden mit der Zunge. „Ich verstehe schon. Du bist verwirrt, nicht wahr? Keine Sorge, ich erkläre es dir.“ Julius zeigte mit dem vorher bereits ausgestreckten Arm gen Decke. Anders sah unsicher nach oben, aber abgesehen von dem schwarzen Stein, aus dem das ganze Gefängnis gebaut war, erkannte er nichts. Wollte der Mann ihn hier gerade verarschen? „Auf Etage Eins sind die Gebrochenen. Wir nennen sie so, weil sie es noch nicht mal eine Woche hier aushalten, ohne sich in sabbernde, auf dem Boden hockende apathische Hüllen zu verwandeln!“ Ja, Anders erinnerte sich noch allzu gut an die… Magier dort. Er schauderte bei der Erinnerung und umschlang seinen Oberkörper mit seinen eigenen Armen. Seine schwieligen Hände fühlten die Gänsehaut, die nicht nur von der Kälte hier unten herrührte… Julius ließ seinen Arm ein wenig sinken; der ausgestreckte Finger zeigte immer noch zur Decke und wieder blickte Anders verunsichert nach oben; es schien, als wolle der Mann vor ihm bedeuten, dass er sozusagen auf die zweite Etage ‘deutete‘. Hm. Der Blondschopf verstand, was Julius mit seiner spektakulären Armhaltung zeigen wollte und wandte den Blick von dem schwarzen Stein ab, um die Augen des Mannes ihm gegenüber zu suchen.  „Auf Etage Zwei sind die Wahnsinnigen. Ich glaube, ich muss dir nicht erklären, warum wir sie so nennen, oder?“ Der chaotische Anderfelser schüttelte den Kopf. Er wunderte sich nicht, dass Julius von einem wir sprach; wahrscheinlich meinte er damit die anderen Gefangenen, die hier ebenfalls herumlaufen mussten. Jetzt zeigte Julius auf sich selbst. „Und wir: Wir sind die Standhaften. So nennen wir uns selbst, weil wir uns hier, auf Etage Drei nicht so einfach unterbuttern lassen!“ Danach schwieg der Mann und blickte Anders erwartungsvoll an. Und jener befand, dass man Julius vertrauen konnte. Naja, vielleicht nicht direkt vertrauen… aber er musste ja nicht alle anfeinden, die sich hier unten befanden. Immerhin war der Mann genau wie Anders, nicht wahr? Ein unglücklicher Magier in den Fängen der Templer. „Ihr könnt mich Anders nennen“, stellte sich der Blondschopf schließlich vor. Das Lächeln von Julius wurde breiter und der Anderfelser merkte, dass es wirklich ehrlich war. Keines dieser falschen Lächeln, die die Augen nicht erreichten, sondern ein aufrichtiges, beinahe schon lieb gemeintes Lächeln, das dem Mann sogar ein paar Grübchen in das blasse Gesicht zauberte. „Freut mich, Anders. Und Herzlich Willkommen auf Etage Drei!“, meinte Julius und seufzte schwer. „Schon ein blödes Los, was du da gezogen hast. Aber sieh es positiv: Immerhin kennst du mich jetzt!“ Na, ob das tatsächlich so positiv war, konnte Anders schlecht sagen. Seine Mundwinkel zuckten ein wenig nach oben und der Anderfelser fühlte sich auch nicht mehr ganz so unwohl wie am Anfang. Es war zwar seltsam, wie sie sich kennen gelernt hatten, aber wenigstens musste er jetzt nicht mehr mutterseelenallein durch die dunklen Gänge streifen; denn schließlich besaß er jetzt noch das Wissen, dass sich hier ein blutrünstiger Drache aufhielt! Und auf dieses Wissen konnte der Abtrünnige sehr gut verzichten; er zitterte am ganzen Leib und das nicht nur wegen der verdammten Kälte hier unten; nein, es war pure Angst, die die Körpersprache des Blondschopfes verdeutliche. Eine Angst, die er vorher noch nie verspürt hatte, selbst dann nicht, als er damals in Amaranthine vor der riesigen, ekeligen Brutmutter mit den anderen Grauen Wächtern gestanden hatte, um sie zu bekämpfen. Nein, dies hier war eine Angst vor dem Ungewissen. Anders wusste nicht, wann der rote Drache aufstehen und sich sein Fressen suchen würde; er wusste nicht, wo dieses blutrünstige Monster auftauchen wird und ob er sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Der Geistheiler würde nie wieder ein Auge hier unten zubekommen, so viel stand fest; denn selbst jetzt arbeiteten seine Sinne auf Hochtouren; er lauschte ständig nach dem regelmäßigen Atem des Drachen; horchte, ob er schwere, stapfende Schritte ausmachen konnte oder ob seine nackten Fußsohlen vielleicht das Vibrieren der Bewegung des Drachens wahrnehmen konnten. Er war bis auf das Äußerste angespannt und unheimlich nervös. Der Anderfelser verstand nicht, wie Julius so ruhig bleiben konnte; aber das machte die Erfahrung nicht? Der Mann vor ihm schien immerhin schon mindestens ein paar Monate hier unten zu sein. Er schien sich an den Umstand, diesen ständigen Tod im Nacken zu spüren, gewöhnt zu haben und sah das Übel als geringer an, als es in Wirklichkeit war. Er hatte sich und die anderen ‘Die Standhaften‘ genannt; aber wahrscheinlich waren sie hier unten, auf Etage Drei, genauso wahnsinnig wie die Verrückten auf Etage Zwei. Nur eben auf eine andere Art und Weise…   „Also… dieser Drache…“, fing Anders schließlich zögernd wieder an. Julius nickte. „Erdbeerchen ist schon ein Schock, wenn man sie zu, ersten Mal sieht. Also… es läuft so ab: Die meiste Zeit des Tages schläft sie. Sie ist blind, weil sie schon seit Jahrzehnten hier unten festgehalten wird. Ich glaube, so langsam verlässt sie auch die Fähigkeit zu hören, aber man sollte sich da nicht zu sicher sein. Ihr Geruchssinn ist nach wie vor einwandfrei. Brutus ist ihr Herr. Unser wertes Narbengesicht hat sie, seit sie aus ihrem Ei geschlüpft ist, gezähmt und deswegen hört sie nur auf ihn. Die fünf Narben in seinem Gesicht hat er trotzdem seinem geliebten Drachen zu verdanken. Geschieht ihm Recht“, setzte Julius hinzu und räusperte sich anschließend.    „Äh ja. Auf jeden Fall wacht Erdbeerchen einmal am Tag auf und macht sich auf die Jagd. Hier unten herrscht das Motto: Rennen oder gefressen werden. Das ist so ein Psychotrick, den die hier bei uns anwenden, um uns zu brechen und all so einen Scheiß. Aber wie gesagt, wir sind die Standhaften und lassen uns nicht so leicht unterkriegen!“ Die Gesichtszüge entglitten dem Geistheiler immer mehr, während Julius erzählte. „WAS?“, entkam es ihm lauter, als er eigentlich gewollt hatte; die Übelkeit, die er bereits vor einer halben Stunde verspürt hatte, wurde mit einem Schlag schlimmer. Der Blondschopf keuchte und beugte sich vor; ein wenig Wasser verließ seine Kehle und platschte laut auf den Boden, direkt neben eine dieser ekeligen Sabber-Pfützen, die eindeutig von dem Drachenweibchen stammen mussten. Der zitternde, sich Übergebende spürte eine beruhigende Hand auf seiner Schulter und bemerkte, wie Julius ihm freundlicherweise die Haare aus dem Gesicht hielt, während der Abtrünnige hustete und spuckte und hin und wieder ein verzweifeltes Stöhnen von sich gab. „Ganz ruhig. Lass alles raus“, murmelte der Mann und tätschelte die Schulter Anders‘ beruhigend. „Ich habe eine Woche lang gekotzt, nachdem ich hier unten reingeworfen worden war…“ „Nicht… hilfreich!“, krächzte der Geistheiler und hielt sich die Finger an seine Schläfen. Er rieb dort ein wenig, als hoffe er, die sich anbahnenden Kopfschmerzen so vertreiben zu können. Seine Knie zitterten und langsam ließ sich Anders auf die kalten Steine sinken. Seine verkrampften Fäuste lagen auf seinen Oberschenkel und er schniefte schwer. Ein Kloß steckte in seinem Hals und seine Unterlippe zitterte. Julius sagte kein einziges Wort, als das erste Schluchzen über die Lippen des Abtrünnigen kam und auch keines, als die ersten Tränen über dessen stoppelige Wangen rollten und mit einem leisen Geräusch auf den Boden tropften. Stattdessen setzte sich seine neue Bekanntschaft neben ihn im Schneidersitz auf den Boden, lehnte den Rücken gegen die Wand und wartete geduldig ab, bis sich der Abtrünnige wieder beruhigte.   Kapitel 7: Aeonar ----------------- Cullen stapfte durch den knöchelhohen Schnee. Ein kalter Wind kam auf und bauschte den Mantel des Kommandanten auf, während jener mühsam einen Fuß vor den anderen setzte und dabei die Zügel seiner schneeweißen Stute fest umklammert hielt, um sie den unsichtbaren Weg den Berg hinaufzuführen. Seine Männer gingen schweigend hinter ihm her; keiner sprach ein Wort, nur das Heulen des Windes und das gelegentliche Wiehern der unzufriedenen Pferde waren zu hören. Sie hatten den Kaiserlichen Hochweg vor beinahe einer Woche verlassen und marschierten nun seit einer gefühlten, halben Ewigkeit durch die Berge, um nach Aeonar zu kommen. Das Problem war, dass niemand genau wusste, wo genau das berüchtigte Magiergefängnis eigentlich lag. Nur deren Insassen und die Templer, die dort arbeiteten und lebten kannten die genaue Wegbeschreibung; alle anderen Menschen wussten nur, dass sich Aeonar hoch im Norden am Ende des Kaiserlichen Hochwegs befand. Es war für Cullen eine reichlich wenig verlockende Vorstellung gewesen, sich durch Schnee- und Gewitterstürme durch die Berge zu kämpfen, bei eisigen Temperaturen und ohne überhaupt zu wissen, wo er langgehen sollte. Aber der ehemalige Templer war ein Mann, der seine Versprechen hielt. Und deswegen stapfte er immer weiter, während ihm, trotz der Kälte, der Schweiß von den Schläfen rann und er kurz stehen blieb, um sich mit dem Ärmel seines dicken Mantels über die schweißnasse Stirn zu wischen. Sie waren bereits seit Stunden ohne Pause unterwegs; und abgesehen von Schnee und Gestein hatte sich die Aussicht auch nicht großartig verändert. Es schien ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein. Reiner Wahnsinn, was Cullen hier gerade versuchte. Seine Männer flüsterten hinter seinem Rücken über das Unterfangen; einige bedauerten es bereits, überhaupt mitgekommen zu sein, aber nach einem strengen Blick ihres Kommandanten wurden sie sofort ruhig. Als ein echter Soldat beschwerte man sich nicht; zumindest war das die Auffassung des Kommandanten. Statt herumzujammern, sollten sie glücklich über die Chance sein, die sich ihnen gerade bot: Überlebenstraining in einer eiskalten Landschaft; sie wanderten jeden Tag mehrere Kilometer durch dicken, kalten, schweren Schnee, trainierten ihre Muskeln, stählten ihre Körper und trotzten den eisigen Temperaturen… Außerdem bekamen sie die Möglichkeit, Aeonar aus der Nähe zu betrachten. Das berüchtigte Magiergefängnis war schon fast eine Legende… Als er jünger gewesen war, hatte Cullen sich häufig gewünscht, dort stationiert zu werden; denn es hieß, dass dort nur die besten der Templer hinkamen – ausgewählte Krieger, die sich durch eine besondere Leistung hervorgetan hatten und anschließend geehrt wurden, indem sie über die gefährlichsten Magier ganz Thedas‘ wachen durften.  Für die meisten der Kirchensoldaten eine Chance, die sie niemals ablehnen würden. Cullen blinzelte in die Sonne, die den Schnee um ihn herum zum strahlen brachte und atmete schwer. Das Gewicht seiner Rüstung zog ihn förmlich gen Boden und machte das Bewegen im dicken Schnee umso schwerer. Seine Stute wieherte unzufrieden und zog ein wenig an den Zügeln; aber der Kommandant hielt sie mit eisernen Griff fest, während er sich langsam umsah. Nichts als Schnee; endlose weiße Weiten. Sie erinnerten den Kommandanten an die Reise zur Himmelsfeste; damals waren die Soldaten dem Herold gefolgt, der sie geführt hatte, um die große Feste, die sich mitten in den Bergen befand, zu finden. Sie konnten von Glück sprechen, dass Solas, der Elfenmagier, damals von diesem Ort gewusst hatte; sonst würden sie wahrscheinlich heute noch im Schnee herumirren, während Corypheus die Welt zerstören würde… Sein Pferd schnaubte aus und trat ein paar Schritte zurück; Cullen drehte sich zu dem weißen Tier um und wollte es wieder ein Stückchen zu sich heranziehen, da stutzte er: Die Augen des Tieres waren weit aufgerissen. Weißer Schaum quoll aus dessen Maul, aus den Nüstern stieg weißer Dampf aus und die Ohren waren verängstigt zurückgelegt. Es schrie wiehernd auf, warf den Kopf hin und her und scharrte mit den Hufen. Cullen legte sich beinahe mit seinem ganzen Gewicht in die Zügel, um die Kontrolle über das panische Pferd zu behalten, als alle anderen Pferde anfingen, sich genauso zu verhalten. Der Kommandant warf einen Blick auf den Burschen, der sich mit Pferden sehr gut auskannte und fragte: „Was soll das?“ „Sie haben Angst, Ser!“ „Das sehe ich selber. Aber wovor?“ Der junge Rekrut kam nicht dazu, eine Antwort zu geben. Denn in diesem Moment riss sich die weiße Stute Cullens endgültig los, so stark, dass der Kommandant nach vorne stolperte und in den Schnee fiel; sie schnaubte auf, wirbelte herum und galoppierte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren – gefolgt von fünf weiteren Pferden. Der im Schnee hockende Cullen starrte den flüchtenden Tieren entsetzt hinterher. „Beim Erbauer…“, gab er leise flüsternd von sich. Das waren ausgebildete Kriegspferde! So schnell flüchteten die Tiere nicht, es sei denn, etwas wirklich Gefährliches war in der Nähe… Meister Dennett hatte ihm erklärt, dass Pferde einen sechsten Sinn besaßen. Und wahrscheinlich hatten sie irgendetwas gespürt… Ein Warnsignal, schnellstens von hier zu verschwinden. „K-Kommandant!“, rief einer seiner Soldaten und zeigte mit entsetzter Miene auf etwas, das sich im Rücken des Angesprochenen befand. Der Fereldener linste über seine Schulter zurück und wurde kalkweiß im Gesicht. Etwa zweihundert Meter entfernt erhob sich eine riesige Gestalt aus dem Schnee. Wie ein großer Hügel hatte es dort gelegen… und jetzt bewegte es sich, als wäre es auf unangenehme Art und Weise geweckt worden. Cullen machte, dass er so schnell wie möglich aufstand und zog sein Schwert; seine Männer machten es ihm nach, obwohl sie alle wussten, dass sie unmöglich gegen den Hohen Drachen, der sich da gerade aus dem Schnee schälte, bestehen könnten; die rotbraunen Schuppen des Tieres waren von Frost überzogen, der langsam abfiel. Die gelben, stechenden Augen fixierten das kleine Grüppchen und aus dem offenen Maul und den Nüstern stieg weiß-grauer Rauch auf. Sabber tropfte von den messerscharfen Zähnen zischend in den Schnee und alles in allem maß der Drache mit Sicherheit an die vierzig Meter. Er war kräftig gebaut, mit langen, drahtigen Beinen und einen Schweif, an dessen Schwanzspitze sich gefährliche, rostbraune Dornen befanden, die wohl selbst durch die stabile Rüstung Cullens dringen könnten. Auf dem Kopf des Drachens befanden sich zwei riesige, gebogene Hörner. Das große Tier warf den Kopf in den Nacken und breitete die Flügel aus, während es einen markerschütternden Schrei ausstieß, der den Boden erbeben ließ. Cullen starrte den Drachen an, der sich jetzt langsam in Bewegung setzte; die gelben Augen ruhten auf seiner Beute. Der Kommandant war kein Feigling; ganz und gar nicht. Aber in Anbetracht dessen, dass er so ziemlich der einzige, wirklich ausgebildete Soldat war und sich seine Rekruten vor Angst schon fast gar nicht mehr bewegen konnten, brüllte er: „Rückzug!“ Er hatte keine Ahnung, wohin sie rennen sollten. Aber alles war besser, als einfach stehen zu bleiben und sich von dem Drachen verspeisen zu lassen. Seine Rekruten waren auf alle Fälle noch nicht vor Schock am Boden festgewachsen, sodass sie sich schnellstens umdrehten und den schneebedeckten Pfad durch die Berge zurückrannten. Cullens massiv gepanzerte Füße kamen schwer auf dem Boden auf und der Soldat spürte, wie ihn das Gewicht der Metallplatten an seinem Körper arg behinderte. Immer noch lief ihm der Schweiß von der Stirn und der Kommandant hielt während des Rennens Ausschau nach irgendeinem Unterschlupf, wo sie sich in Sicherheit bringen könnten. Selbst in einer Eislandschaft gab es Höhlen; immerhin war hier kein flaches Land, sondern sie befanden sich hoch oben in den Bergen und… Ein weiterer Schrei des Drachens ließ Cullens Haare förmlich zu Berge stehen. Der Kommandant eilte weiter und hörte, wie sich der Drache hinter ihm offenbar dazu entschlossen hatte, die Flügel auszubreiten und loszufliegen. Uh-Oh. Ein heftiger Windstoß erwischte die kleine Truppe von fünf Mann und haute sie regelrecht um; der fliehende Templer fiel mit der Nase vorneweg in den weichen Schnee und seine Sicht wurde sofort schneeweiß; prustend und hustend versuchte, er sich wieder aufzurichten. Seine Arme steckten bis zu den Ellenbogen im Schnee und auch von seinen Beinen war nichts mehr zu sehen. Cullen schüttelte den Kopf, um die weiße, nasse Masse aus seinen Augen zu entfernen und spuckte aus. Hinter sich hörte er die Flügelschläge des Drachens, schwerfällig und laut. Ein gewaltiger Wind kam dadurch auf und drückte den ehemaligen Templer beinahe wieder zurück in den Schnee. Das Blut rauschte in seinen Ohren und er hörte sein eigenes Herz bis zum Hals klopfen. Er traute sich gar nicht, nach hinten zu gucken; seine Männer lagen stöhnend und ebenfalls hustend neben ihm und in wenigen, entscheidenden Sekunden würde der rotschuppige Drache bei ihnen sein. Schneeflocken, die durch den starken Wind aufgewirbelt wurden, peitschten dem Krieger ins Gesicht und er atmete schwer. Seine braunen Augen fixierten irgendeinen unsichtbaren Punkt in der Schneelandschaft – da donnerten auch schon die krallenbewehrten Pranken auf dem Boden auf. Cullen glaubte, vor Schreck sterben zu müssen. Er schielte nach rechts und erkannte eines der schuppigen, sehnigen Beine direkt neben sich stehen. Seine Männer schrien panisch auf und versuchten in ihrer Angst wegzurobben, aber das würde nichts nützen; wenn ein Drache einmal jemanden im Visier hatte, dann war man tot. In den meisten Fällen zumindest.  Der Krieger spürte den stinkenden, heißen Atem des Drachens in seinem Nacken. Er bewegte sich kein einziges Stückchen; war vor Schock steif wie ein Stein. Seine Atmung ging flach und er versuchte, sich so klein wie möglich zu machen; kleine Gegner waren immerhin nicht ernst zu nehmen und man würde gar nicht auf die Idee kommen, sie anzugreifen, nicht wahr? Zumindest bekam Cullen immer ein schlechtes Gewissen, wenn er das Schwert gegen jemanden erhob, der in seinen Augen eine halbe Portion war. Allerdings hatte der Kommandant auch überhaupt keine Ahnung von Drachen. Wie diese sich verhielten. Und vor allem nicht, ob diese ihre Beute lebendig fraßen oder, wie Katzen, noch eine Weile mit ihr spielten, ehe sie sie verspeisten… Urgh. Der Gedanke, durch die Luft geschleudert zu werden, war kein angenehmer… Obwohl, der, bei lebendigen Leibe gefressen zu werden, auch nicht! Wobei das wenigstens ein schneller Tod wäre… Der Atem in seinem Nacken wurde wärmer. Und der Krieger spürte regelrecht, wie sich der Drache zu ihm herunterbeugte. Ohne einen Laut von sich zu geben bewegte der Soldat seine Lippen und sprach ein stummes, schnelles Gebet an den Erbauer; auf dass jener einen Platz an seiner Seite für den gläubigen Fereldener haben würde. Für sich und seine Männer. Etwas Warmes und Klebriges lief an dem Kopf des Kriegers runter; er spürte, wie der Speichel aus dem Maul des Drachens auf ihn tropfte und er schluckte trocken. Er wollte gar nicht an die armlangen Zähne in seinem Rücken denken, die ihn mit Sicherheit gleich packen würden, um ihn in der Luft zu zerreißen… Der Krieger spürte eine klebrige, gegabelte Zunge in seinem Nacken. „Uhh…“, stöhnte er und riss die Augen vor Panik weit auf. Er erschauderte am ganzen Körper und sein Herz blieb für einige Sekunden lang stehen, so sehr schoss der Schock durch seinen Körper. Und dann kreischte der Drache noch einmal schrill auf. Der warme Atem verschwand aus dem Nacken des Kriegers und er schloss die Augen; nasse Locken klebten ihm in der Stirn und er krallte sich in den Schnee, als könnte dieser ihm Halt geben… Der Soldat spürte einen Luftzug. Und dann wurde er von irgendetwas Hartem getroffen und durch die Luft geschleudert. Dem Fereldener wurde alle Luft aus den Lungen gepresst und er keuchte schwer auf; mehrere Meter segelte er durch die Luft und ihm wurde dabei speiübel; die Welt um ihn herum drehte sich und dann fand er seine Stimme plötzlich wieder: Er stieß einen markerschütternden Schrei aus. Zumindest so lange, bis er hart auf dem Boden und mit dem Rücken aufkam. Trotz des zentimeterdicken Schnees tat es weh und er prallte mit dem Kopf auf den steinernen Boden. Ein paar Sekunden lang blinzelte der atemlose Templer dem Himmel entgegen; bei helllichtem Tage erschienen ganz viele Sterne vor seinen Augen und er glaubte, jeder einzelne Knochen in seinem Körper war gebrochen. Und dann wurde es schwarz vor den Augen des Kommandanten.     „Kommandant. Kommandant, wacht auf, bitte!“ Die Stimme drang schwach an die Ohren des Kurzhaarigen. Ein raues Stöhnen entwich seiner Kehle und vorsichtig blinzelte er ein paar Mal. Das gleißende Licht tat in seinen Augen weh und schwerfällig schützte er sich die empfindlichen Augen mit einer Hand, um ihnen Schatten zu spenden, damit sie sich besser an die Lichtverhältnisse gewöhnen konnten. Bewegte er sich…? Er lag noch immer auf dem Rücken, aber ein kühler Luftzug strich durch seine immer noch feuchten Haare. Über ihm hockte ein Schemen und mit etwas Mühe erkannte der Fereldener einen seiner Rekruten wieder, der sich besorgt über ihn beugte und versuchte, ihn wach zu kriegen. „Bei Andraste…“, stöhnte er schwer auf. Jeder erdenkliche Muskel in seinem Körper schmerzte; aber gebrochen schien nichts zu sein. Und das, obwohl er ziemlich hart aufgekommen war. Aber was war genau passiert? Der Krieger hatte eigentlich damit gerechnet, von diesem Monster von Drachen gefressen zu werden, doch stattdessen lebte er noch immer… genau, wie seine Rekruten. „Kommandant. Ihr seid wach, endlich…“, murmelte der Mann vor seiner Nase und wandte sich von ihm ab. Er schien irgendjemanden zu sich zu rufen und im nächsten Moment spürte Cullen, wie die Welt um ihn herum anhielt; jetzt erst spürte er, dass er nicht mehr im kalten Schnee lag, sondern auf einer etwas weicheren Unterlage; eine dicke Decke aus Wolfsfell bedeckte seinen Körper und wärmte ihn. Wahrscheinlich lag er auf einem Schlitten oder ähnlichem; auf jeden Fall war klar, dass sie offenbar Hilfe bekommen hatten. „Da könnt Ihr froh sein, dass wir rechtzeitig vorbeigekommen sind!“ Ein Mann, den Cullen nicht kannte, trat in das Sichtfeld des Extemplers und half ihm, sich aufzurichten. Stöhnend setzte der Kommandant der Inquisition sich hin und rieb sich den pochenden Kopf. Der Mann vor ihm trug zwar keinen Helm, aber eine Templer-Rüstung. Allerdings eine andere, als die, die der Fereldener normalerweise kannte. Diese Templer-Rüstung war pechschwarz. Das Schwert auf der Brust war golden eingestanzt worden und die Robe war nicht weinrot, sondern glich eher einem unheilverkündendem blutrot. Diese Rüstung hier war mit rot eingefärbtem Fell verziert und verlieh dem Templer ein leicht böses Aussehen. Was ganz und gar nicht zu seinem freundlichen Lächeln passen wollte. Cullen hatte ihn offenbar lange genug verdutzt angeschaut; denn jener lächelte breiter und meinte: „Oh, ich sehe, Ihr seid verwirrt! Aber keine Sorge. Das ist schnell erklärt.“ Er zeigte in die Richtung, aus der sie offenbar gekommen waren; abgesehen von ihm konnte Cullen noch vier weitere Templer in denselben Rüstungen erkennen. Er schluckte und fuhr sich mit der Zuge über die aufgebissenen, blutig schmeckenden Lippen. Es war offenbar, dass die Templer von hier stammten… also mussten das Templer von Aeonar sein. Oder nicht? „Ihr wurdet von dem Hohen Drachen hier angegriffen. Keine schöne Angelegenheit. Wir haben Euch ohnmächtig im Schnee gefunden und mitgenommen!“ Cullen starrte den Templer vor seiner Nase an. Er öffnete den Mund und fragte mit krächzender Stimme: „Er hat uns nicht gefressen?“ „Sonst wärt Ihr ja nicht hier, was?“, lachte der Templer und schüttelte den Kopf. „Nein, der Hohe Drache frisst keine einfachen Passanten. Ihr habt Glück gehabt!“ Wahrscheinlich mehr Glück als Verstand. Aber was wollte dieses Drachenmonster denn dann…? Cullen hatte noch nie von einem Drachen gehört, der sein potentielles Fressen erst begutachtete, dann wegschleuderte und es anschließend liegen ließ. Und dementsprechend irritiert blickte er den eindeutig jüngeren Mann vor sich auch an. Dieser schmunzelte nur und meinte: „Seid doch einfach nur glücklich, dass Ihr noch am Leben seid!“ Er zeigte nach Norden. „Abgesehen davon sind wir jetzt da.“ Cullen folgte seinem ausgestreckten Arm. Und dem Kommandanten fiel beinahe die Kinnlade herunter. Vor ihm erhob sich eine einzige, gewaltige Treppe, die zu einer riesigen, pechschwarzen Felswand führte. In dieser Felswand war ein einziges, großes Tor eingelassen… Mit einem riesigen Templerschwert quer über den beiden Torflügeln eingraviert, sowie Bildern von Andraste und dem Erbauer, kunstvoll eingearbeitet und mit glänzendem Metall und buntem Glas verziert. Ein paar kleinere, mit Gitter versehende Fenster waren ebenfalls in die schwarze Felswand eingelassen und man konnte nicht mal erahnen, wie weit es in den Berg hineinging. Neben der riesigen Tür waren aus dem schwarzen Fels zwei Templerstatuen ausgehauen worden; beide hatten ihre Schwerter erhoben, die sich direkt in der Mitte der Tür trafen und somit wie zwei riesige, steinerne Wächter wirkten. Auch an ihnen war das Templer-Symbol eingeritzt worden, das gelblich in dem Licht der langsam untergehenden Sonne funkelte. Die andere Hand der Templer war ausgestreckt und hielten beide jeweils eine Schale, aus der Flammen schlugen; so, wie es auch häufig bei den Statuen von Andraste der Fall war. Ansonsten wirkte Aeonar recht… unspektakulär. Aber wahrscheinlich hatte man bei dem Bau des Gefängnisses eher daran gedacht, dass es praktisch und ausbruchssicher und nicht hübsch anzusehen war. So sah also das berühmte Magiergefängnis von außen aus. Und Cullen ritt, gemeinsam mit seinen Männern geradewegs darauf zu.   Kapitel 8: Was in den tiefen Gängen lauert... --------------------------------------------- Vor sechs Wochen. „Also…“, fing Anders langsam an, nachdem er mit Julius eine gefühlte halbe Ewigkeit durch die Gänge gegangen war. Er verschränkte die Arme vor seinem, mit Gänsehaut überzogenen, Körper. Seine Hose war unangenehm durchnässt und ein wenig seines eigenen Erbrochenem war darauf gelandet. Oh, war das ekelig! Früher, da war der Blondschopf eitel gewesen. Damals, in Kinloch Hold. Er hatte oft stundenlang im Bad verbracht, bis die Templer verärgert gekommen waren, weil er nicht zum Abendessen erschienen war, hatte sich stets die besten Zirkel-Roben unter den Nagel gerissen und hatte stundenlang vor dem Spiegel ausgeharrt, um sich die Haare zu machen. Viele hatten ihn als ‘weibisch‘ bezeichnet, doch der Anderfelser war trotzdem DER Frauenschwarm schlechthin gewesen. Wahrscheinlich gerade deswegen; weil er sich so gepflegt gegeben hatte. Frauen standen auf so etwas, das wusste der alte Casanova. In Amaranthine und in Kirkwall hatte das ein wenig anders ausgesehen; als er bei den Wächtern gewesen war, hatte man ihn förmlich dazu gezwungen, sich schneller fertig zu machen und nicht stundenlang unter einer heißen Dusche zu stehen. Der Anderfelser hatte sich unter den Wächtern unwohl gefühlt, vor allem, als man ihm Ser Naseweiß weggenommen hatte, weil ihn diese Katze zu ‘weich‘ gemacht habe. Pfft, die hatten doch alle keine Ahnung… Und in Kirkwall hatte er sich Eitelkeit schlichtweg nicht mehr leisten können. Es lag auch ein wenig an Gerechtigkeit, er gab es zu, aber… wenn man sich um einen Raum voller kranker, verletzter Menschen kümmern musste, durfte man nicht zimperlich sein oder sich wegen ein wenig Dreck unter den Fingernägeln aufregen. Als Hawke ihn damals kennen gelernt hatte, hatten ihm die Haare verschwitzt ins Gesicht gehangen und seine Kleidung hatte ein paar Löcher dazu bekommen, die er in einer schlaflosen Nacht geflickt hatte. Trotzdem, vollkommen wie ein Penner hatte er auch damals nicht ausgesehen. Jeder schaffte es, sich wenigstens einmal am Tag zu waschen, auch wenn es in der dreckigen Dunkelstadt war. Aber dann, in der Himmelfeste? Da war der eitle Geistheiler wieder aufgeblüht. Er hatte sich sogar einen neuen Goldohrring angeschafft, den er damals, in Kirkwall, abgelegt hatte, um nicht allzu schnell erkannt zu werden (dieser Ohrring war immerhin so etwas wie sein Markenzeichen gewesen!). Gekleidet in Pelz und anderen, feinen Stoffen, die man ihm freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte, war der Anderfelser erneut durch die Himmelsfeste spaziert, wie der reichste Schnösel der Kirkwaller Oberstadt. Natürlich hatte er auch geheilt… meistens jedoch hatte er seine Zeit damit verbracht, anderen Magiern beizubringen, wie man Heilmagie richtig anwandte. Das war immerhin auch sehr wichtig, jawohl…! Auf jeden Fall war es jetzt wieder ein vollkommen anderes Gefühl, nass, dreckig und mit Kotze auf der Hose durch ein dunkles Verlies zu rennen. Julius neben ihm machte einen weitaus saubereren Eindruck als er selbst und Anders fragte sich, ob jemand regelmäßig mit Seife, Rasierer und einer Schale Wasser herunterkam, damit sie sich frisch machen konnten. …War er eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte der Anderfelser so etwas GERADE überhaupt nur DENKEN? Man hatte ihn hier unten eingesperrt, ohne alles, außer diesem blöden, schwarzen Schlüssel, während ein roter Drache Jagd auf sie machte. Natürlich würden die Templer dann mit Wasser und Seife runterkommen, den Gefangenen sollte es ja nicht allzu schlecht gehen, was? Das Leben war so grausam. „Wo genau gehen wir jetzt hin?“, beendete der Anderfelser. Julius fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und zuckte mit den Schultern. „Kommt drauf an. Wir können noch eine Weile durch die Gänge spazieren oder ich bringe dich zu meiner Zelle.“ Schon fast wollte Anders verwirrt stehen bleiben, aber das Wissen, dass Erdbeerchen in seinem Rücken lauerte, verängstigte den Blondschopf so sehr, dass er eisern weiterging. „Deine Zelle?“ „Ja. Da wären wir zumindest bis zum nächsten Morgen in Sicherheit“, erklärte Julius und kramte aus seiner Tasche einen kleinen, schwarzen Schlüssel; den selben, den die Templer auch Anders damals in die Hand gedrückt hatten. Jetzt blieb der Langhaarige doch stehen. Julius lief noch ein paar Schritte weiter, doch dann kam er auch wieder zurück. Die braunen Rehaugen Anders‘ trafen auf die von Julius und der Magier holte jetzt selbst seinen kleinen Schlüssel raus. „…dann sind das tatsächlich Zellenschlüssel?“ Der kräftige Mann vor ihm nickte, sagte aber kein einziges, weiteres Wort. „Das heißt, wir können uns selber einsperren?“ Wieder ein Nicken; dieses Mal begleitet von einem schwachen Lächeln. „Eine ziemliche Ironie, was? Entweder, wir sind frei und werden gefressen, oder wir sind eingesperrt und in Sicherheit. Und dabei müssen wir uns auch noch selbst einsperren. Wieder so ein dämlicher Psycho-Trick der Templer.“ Er zuckte mit den Schultern und scharrte ein wenig mit dem Fuß am Boden. „Mir egal. Ich lebe lieber und beuge mich deswegen dem ganzen Scheiß hier. Habe nämlich gehört, dass es im Maul eines Drachens nicht so angenehm sein soll!“. Ein heiteres Lachen verließ die Kehle des muskulösen Mannes und er deutete in eine Richtung. „Du musst deine Zelltür selbst finden. Und ich rate dir, dies lieber schnell zu tun, sobald zu die Zeit dazu findest. Nicht jeder ist so nett wie ich hier unten, verstehst du?“ Das war Anders schon klar gewesen… Er hatte offenbar ziemlich viel Glück gehabt, gerade eben auf Julius getroffen zu sein. Er steckte den Schlüssel wieder in seine Hosentasche und schlang die Arme um den nackten Oberkörper. „Was meinst du mit… wenn ich die Zeit dazu finde?“ Julius blickte wieder den Gang hinunter. Seine Miene wurde ein wenig bitterer und er schnaubte gar abfällig aus. „Fragst du dich nicht, wie du hier unten überleben sollst, wenn du frei rumrennen kannst? Wie sieht das mit Essen aus? Trinken?“ Der Angesprochene schwieg; er hatte sich noch keine Gedanken über diese Sachen gemacht, aus Angst, sie würden ihn hier unten schlichtweg verhungern lassen; aber Julius‘ Beispiel zeigte doch, dass die Templer sich hier etwas ausgedacht haben mussten… oder nicht? Doch, mit Sicherheit. Das hier war zwar grausam und unmenschlich; aber je länger der intelligente Anderfelser darüber nachdachte, desto mehr erschien es ihm, als mache das hier alles einen Sinn. Der freundliche Julius klopfte ihm auf die Schulter. „Ich zeige dir alles beim nächsten Gong. Komm jetzt mit und ruh dich aus.“ Sie liefen noch einige Zeit durch die dunklen Gänge; so lange, bis Julius vor einer der Gittertüren stehen blieb, und sie aufschloss. Anders war die ganze Zeit neben ihm hergelaufen und ihn nie aus den Augen verloren; der kräftige Mann war der einzige, der ihm hier unten half und schon fast so etwas wie ein Lichtblick geworden. Gleichzeitig fragte der Anderfelser sich, wie Julius seine Zelle gefunden hatte… Immerhin war das Labyrinth hier unten riesengroß. Hatte der Braunhaarige tatsächlich einen so guten Orientierungssinn? Oder was war das Geheimnis der unterschiedlichen Zellen…? Anders nahm es sich fest vor, Julius darauf mal anzusprechen… Denn er würde bestimmt nicht auf ewig dem Mann hinterherrennen können, oder? Die Zellen waren eng und klein; ein wenig Stroh lag in einer Ecke, doch der kräftige, braunhaarige Mann beachtete dies gar nicht, sondern setzte sich schlichtweg auf den steinernen, glatten Boden. Er lehnte sich mit verschränkten Händen hinter dem Kopf an die Wand und nickte anschließend auf die gegenüberliegende Mauer Langsam und zögernd ließ Anders sich daran nieder, nachdem er die Zelltür hinter sich geschlossen hatte. Es war ein seltsames, befremdliches Gefühl, sich selbst einzuschließen… Aber wenn der rote Drache bald tatsächlich auf Beutezug ging, dann fühlte sich Anders hier drinnen eindeutig sicherer, als draußen. Der Blondschopf zog die Beine an den Körper und bettete das Kinn auf die Knie. Seine Augen starrten in der Dunkelheit in Julius‘ Richtung, der keine Anstalten machte, einen Ton von sich zu geben. Anders hasste die aufkommende Stille. „Wie viele sind hier unten?“ Er hörte, wie Julius sich ein wenig bewegte; der Schein einer weiter entfernten Fackel war zu schwach, als dass jener die Zelle wirklich gut erleuchten konnte, deswegen mussten sie sich jetzt blind unterhalten. „Schlecht zu sagen“, kam die Antwort, „zu den Gongs erscheinen nicht alle; mindestens einmal in der Woche wird einer von Erdbeerchen erwischt. Einige werden von den Templern mitgenommen und nie wieder gesehen. Die letzte Zählung der Templer liegt schon Wochen zurück… Damals waren wir hier unten an die dreißig Männer und Frauen. Aber jetzt, wenn ich schätzen müsste…“ Eine kurze Pause entstand, dann meinte Julius mit leiser Stimme: „Zwanzig Leute, vielleicht auch fünfundzwanzig. Aber mehr auch nicht.“ „So wenige Leute in einem so großen Komplex?“, fragte Anders erstaunt nach. Der Irrgarten hier unten war riesig; schon jetzt hatte der Blondschopf keine Ahnung mehr, wo sie sich befanden; sein Orientierungssinn, der ihn auf seinen Fluchten aus dem Zirkel immer gut geholfen hatte, hatte ihn nun vollends im Stich gelassen. „Sie nehmen die Gefährlichsten und packen sie hier unten rein. Der Rest, der auf den oberen Etagen lauert?“ Julius lachte leise und streckte die Beine aus. „Die kannst du allesamt vergessen. Das sind irgendwelche Magier, die hierher gebracht werden, weil sie sich die Arme aufgeschlitzt haben und für gefährlich erachtet wurden. Eine Woche hier drin und sie sind nichts anderes mehr als wimmernde Mabaris. Dass du hier bist, zeugt davon, dass sie dich für etwas Besonderes halten.“ Anders konnte Julius‘ musternden Blick selbst im Dunkeln spüren und der Magier schluckte leicht. Der Mann vor ihm war neugierig… ZU neugierig, nach Anders‘ Geschmack. „Weswegen bist du hier, Anders?“ Der Abtrünnige antwortete nicht; er wollte nicht an seinen Wutanfall denken, den er damals in dem kleinen Dorf gehabt hatte… Dieser Gestank nach Blut und Verwesung, verbranntem Fleisch… das war zu schrecklich; und er hasste diesen Gestank, wollte sich nicht daran zurückerinnern. Vor allem nicht daran zurückerinnern, warum er überhaupt vor der Himmelsfeste geflohen war. „Was hast du getan?“, fragte der Blondschopf deswegen, um von sich abzulenken. Julius lachte leise in sich hinein. „Du bist ein Magier, nicht wahr?“ „Nur Magier kommen nach Aeonar“, lautete Anders‘ Antwort darauf. „Wirklich?“ In Julius‘ Stimme lag etwas… Seltsames. Beinahe schon spöttisch und dem Geistheiler wurde mulmig zumute. Wenn Gerechtigkeit jetzt hier wäre, wenn er den Geist spüren konnte, dann würde er sich besser fühlen, aber so… so fühlte er sich vollkommen allein gelassen. Schweiß stand ihm, trotz der Kälte hier unten, auf der Stirn. „Mir macht die Antimagie nichts aus“, sagte Julius nach einer gefühlten halben Ewigkeit des Schweigens. „Ich habe aber auch kein Mana in meinen Adern fließen, Anders. Ich bin ein ganz normaler Mensch, den sie hier unten eingesperrt haben.“ Das erklärte zumindest dessen kräftige Statur, befand Anders. Und doch wurde dem Blondschopf flau im Magen; denn wenn nicht nur Magier hier eingesperrt wurden, wer wusste dann schon, was für Monster sich hier unten, abgesehen von Erdbeerchen, befanden? Julius kicherte vor sich hin; und dieses Mal klang dieser Laut wahrlich wahnsinnig in Anders‘ empfindlichen Ohren. „Keine Sorge, kleiner Magier. Ich werde dir nichts tun.“ Das beruhigte den Langhaarigen nicht im Geringsten und er wollte schon aufstehen, um zu gehen, da hörte er, wie sich bebende Schritte durch die breiten Gänge bewegten. Julius warf einen Blick nach draußen. „Jagdzeit“, meinte er mit leiser Stimme. Anders blieb lieber sitzen, lehnte den Kopf an die harte Mauer und schloss die Augen. Ein lauter, durchdringender Gong weckte den Anderfelser. Er hatte sich während des Schlafes auf die Seite gelegt, die Hände unter den Kopf geschoben, um sie als Kopfkissen zu nutzen und war, dank der Erschöpfung, die in seinen Knochen steckte, recht schnell eingeschlafen; jedoch war er stets wachsam gewesen, aus Angst, dass die Gittertüren den Drachen doch nicht abhalten würden. Schreckliche Albträume hatten den schwitzenden und zitternden Magier geplagt, er hatte im Schlaf wahrscheinlich geschrien, nur, um jetzt aufzuschrecken, als ihn der Gong aus einem schrecklichen Traum riss, in dem er von zehn Drachen gleichzeitig verfolgt worden war. Falls er Julius um dessen Schlaf gebracht hatte, ließ sich der Mann nichts anmerken. Jener stand bereits am Gitter und machte gerade eben die Tür auf. „Komm mit“, sagte er zu dem, immer noch am Boden liegenden, Magier. „Was war das?“, fragte der Angesprochene vollkommen perplex, machte sich aber schnell daran, sich aufzurappeln. Gestern hatte er noch enorme Angst vor Julius gehabt… aber da dieser ihn im Schlaf nicht gemeuchelt hatte, ging diese Angst wieder ein wenig zurück. Es war immer noch komisch, mit einem Nicht-Magier durch das Magiergefängnis zu laufen… aber gleichzeitig war Julius die einzige Person, die ihm hier half und somit auch am Leben erhalten konnte, nicht wahr? Also folgte der Anderfelser dem Kurzhaarigen, nachdem jener nur mit einem leichten Lächeln auf den Lippen gemeint hatte: „Komm mit und du wirst es herausfinden.“ „Was… ist DAS?“, fragte Anders und blieb mit offenem Mund stehen. Julius hatte ihn ungefähr fünfzehn Minuten lang (wenn Anders Zeitgefühl ihm nicht im Stich gelassen hatte…) durch die langen Gänge geführt (der Mann schien sich bestens hier unten auszukennen), bis sie an einem großen Raum, der schon fast einer Höhle glich, angekommen waren. Julius war unbeirrbar weitergelaufen, doch der Anderfelser musste sich erst einmal ein Bild davon machen, was sich hier unten befand: Mehrere Templer standen Wache; einige saßen und wiederum andere unterhielten sich, doch sie alle waren schwer gerüstet in diese unheimlichen, schwarz-roten Uniformen. Abgesehen von dem Gang, der säuberlich aus dem Stein herausgeschlagen worden war, führten noch mindestens fünf weitere Gänge von dem unterirdischen Höhlenraum ab; vor jedem Eingang standen zwei Templer Wache, vor ihren Füßen befanden sich Kisten mit Spitzhacken drin. In einer Ecke stand ein großer Geröllhaufen und gerade eben schoben zwei kräftige Männer – die ebenfalls Gefangene waren – einen großen Wagen, der bis zum Rand mit schweren, schwarzem Stein gefüllt war, auf diesen Haufen zu, um ihn dort zu entladen. Julius drehte sich um und nickte dem Blondschopf auffordernd zu. „Komm schon. Herumstehen und Trödeln bringt dir keine Pluspunkte bei den Templern ein.“ Der Mann ging auf den dritten der Tunnel zu und stellte sich vor einen der Templer, die allesamt einen Helm trugen. Anders folgte ihm, vorsichtig und zögernd; überall musterten ihn die anderen Gefangen; einige zeigten auf ihn, denn es war offensichtlich, dass er ein Neuankömmling war. Wie ein Tier schlich der Anderfelser durch den Raum, gesellte sich zu Julius, der sich eine der Spitzhacken nahm und ein wenig den Nacken dehnte. Er schulterte das schwere Teil und grinste Anders auffordernd an. „Du darfst dir auch eine nehmen.“ Der Blondschopf schluckte schwer, rührte sich nicht. „Ich korrigiere mich: Du MUSST dir eine nehmen, Anders. Wer nicht arbeitet, bekommt keine Belohnung.“ Ohne zu antworten (denn es wäre eine sarkastische Bemerkung gewesen und der Magier dachte daran, dass so etwas hier unten nicht gut war), packte er vorsichtig einen der hölzernen, stabilen Schafte einer Spitzhacke und hob sie hoch; das Gewicht zerrte an seinen Armen und der dünne Magier keuchte auf, spannte die Muskeln in seinem Körper an, um das Werkzeug wie Julius zu schultern. Der Templer vor seiner Nase sagte kein einziges Wort, doch seine grünen Augen lagen au dem Blondschopf wie ein Raubtier, das seine Beute betrachtete. „Komm mit“, meinte Julius und nickte in Richtung des Ganges. Unsicher folgte Anders ihm; auch hier waren in einigen Metern Abstand Fackeln angebracht und unter jeder stand eine der Templerwachen, die allesamt schwere Antimagie wirkten. Die Gänge hier waren gerade mal mannshoch, was bedeutete, dass Erdbeerchen hier nicht durchkommen würde… doch gleichzeitig fühlte sie Anders wie in einem Käfig gefangen. Es dauerte eine Weile, bis die beiden Männer schweigend am Ende des Ganges angekommen waren. Ein weiterer stand bereits dort und hackte den Stein von den Wänden; zwei andere Gefangene packten jene in einen Wagen und warteten darauf, dass sie den Karren wieder wegschieben konnten. Eine der Personen, die ziemlich schmal war und die der Abtrünnige nur von hinten sah, richtete sich auf und wandte sich um. „Julius“, sagte sie und trat ein wenig näher, sodass das Licht der Fackel auf ihr Gesicht schien. Anders ließ sich beinahe die Spitzhacke auf die Füße fallen, so perplex war er, dass er vor einer Frau stand. Sie hatte sich die langen, feuerroten Haare zu zwei schmalen Zöpfen gebunden, sodass sie jünger aussah, als sie wohl in Wahrheit war. Ihr Gesicht war länglich, mehrere Sommersprossen zierten ihre blasse Haut und ihre Augen besaßen ein tiefes Waldgrün. Sie steckte in genau derselben dünnen, gerafften Hose, wie Anders sie trug, doch zusätzlich dazu noch in einem dreckigen Hemd, das sie sich so um den Körper gebunden hatte, dass es nur ihre Brüste bedeckte. Dreck, Schrammen und blaue Flecken konnte man auf ihren Händen und Armen ausmachen und der Blick der Frau wanderte schlussendlich zu dem neu dazu gekommenen Anderfelser. „Ist das der Neue?“, fragte sie. „Ja“, antwortete Julius und nickte den anderen drei Männern grüßend zu. „Und er soll hacken? Er scheint mir ein Magier zu sein…“ „Mal schauen, wie er sich schlägt“, grinste der Braunhaarige und holte aus; er ließ die Spitzhacke runtersausen und schlug damit ein paar Steinchen aus der massiven Wand vor sich. Anders selbst stand wie festgewachsen da und blickte sich um; nicht weit von ihnen standen zwei Templer, beide gerüstet und bewaffnet mit ziemlich fies aussehenden Waffen. „Ich bin Bronwen“, stellte sich die Frau mit den roten Haaren schließlich vor. Sie wischte sich Schweiß von der Stirn und hielt ihm dann anschließend die Hand hin. „Nett, dich kennen zu lernen…?“ Ihre Stimme klang fragend, doch der angesprochene Blondschopf verpasste seinen Einsatz. „Anders“, antwortete Julius stattdessen für ihn. Bronwen nickte und atmete einmal tief durch. „Ziemlich krass, hm?“, fragte sie und sah sich um. „Ich habe genauso geguckt, als ich hierhin gekommen bin…“ Endlich fand der so stumme Magier seine Stimme wieder: „Bist du… eine Magierin?“ „Ja“, lachte sie. „Und ich bin glücklich, nicht mehr die einzige hier in diesem Tunnel zu sein. Wenn Julius nicht da ist, ist es ganz schön langweilig, denn Garen und Oliver sprechen nicht viel…“. Das mussten dann wohl die anderen beiden Männer sein, die hier standen und Anders bisher nur einmal zugenickt hatten. Der Blondschopf selbst machte noch nicht mal Anstalten, zu arbeiten, sondern fragte: „Was soll das hier werden?“ „Kennst du die Geschichte von Aeonar nicht, Anders?“, erwiderte Bronwen und beugte sich runter, um ein paar Steine aufzusammeln und sie in die Kiste zu werfen. Der Blondschopf schüttelte nur den Kopf. Die Rothaarige seufzte daraufhin auf und meinte: „Früher, da wurde Aeonar gebaut, weil das Reich von Tevinter hier irgendetwas gesucht hat. Aber was, das weiß man nicht… und ganz offensichtlich hat das Reich es auch niemals gefunden.“ „Und deswegen sind wir hier“, ergänzte Julius und schlug noch ein paar Steine aus dem Stein heraus. „Wir sind die perfekten Arbeiter; keiner vermisst uns, wir sind stark und können uns noch nicht mal großartig wehren.“ „Ihr habt Spitzhacken“, bemerkte Anders. „Ja, und der Templer da hinten eine fette Axt, mit der er meinen Kopf spalten kann“, konterte Julius lachend, „es wäre Wahnsinn, hier unten einen Templer angreifen zu wollen.“ „Auf jeden Fall“, mischte Bronwen sich wieder ein und lehnte sich an den hölzernen Wagen. „Wir sollen das finden, wonach Tevinter schon gesucht hat. Gang Eins ist schon ziemlich weit fortgeschritten, während wir hier noch recht am Anfang stehen. Wir sind halt nicht allzu viele Gefangene hier unten… ich glaube, auf einen von uns kommen zwei Templer und dazu kommt auch noch Erdbeerchen.“ „Greift der Drache nicht die Templer an?“, fragte Anders misstrauisch. „Nein. Sie hört im Endeffekt nur auf Brutus, hat aber beigebracht bekommen, in dieser Höhle niemanden anzugreifen, es sei denn, er befiehlt es“, meinte Julius und hörte einen Moment lang auf zu hacken. Er blickte zu Anders und lächelte jenen leicht an. „Und jetzt hilf lieber mit, Blondie.“ „Warum sollte ich?“, erwiderte der Anderfelser, packte den Griff seiner Spitzhacke ein wenig fester. Bronwen und Julius tauschten einen bedeutungsvollen Blick aus. „Die Regeln sind ganz einfach: Wenn du genug gearbeitet hast, bekommst du eine Mahlzeit. Wenn nicht, verhungerst du oder wirst Erdbeerchen irgendwann zum Fraß vorgeworfen“, erklärte die Frau ihm schließlich. „Also heißt es hier, man muss arbeiten, wenn man überleben will“, erkannte der Blondschopf. Julius und Bronwen nickten nur; die anderen beiden grunzten zustimmend. Anders seufzte schwer aus und schüttelte den Kopf. Es war nicht zu fassen; und er glaubte schon fast daran, dass das hier gerade nur ein sehr, sehr, sehr böser Traum war. Natürlich, er konnte jetzt auch einfach aufgeben und den Drachen suchen… aber dafür war sein Überlebenswille viel zu stark. Der Magier… er wollte hier unten nicht sterben. Zumindest nicht allzu bald. Anders unterdrückte die erneuten, aufsteigenden Tränen und gesellte sich anschließend zu Julius und Garen oder Oliver (wer auch immer gerade neben ihn stand) Er hob die Spitzhacke über den Kopf und haute anschließend zu; das Klirren von Stahl auf Stein und das Bröckeln schien ihn förmlich auszulachen, aber der Blondschopf würde nicht zusammenbrechen, oh nein. Er würde hier unten überleben… überleben und entkommen. Die Standhaften, so hatte Julius sich selbst und alle anderen bezeichnet. So langsam verstand Anders, was genau der muskulöse Mann damit gemeint hatte… Kapitel 9: Knight-Commander Magnus ---------------------------------- Man ließ ihn stundenlang warten. Also, nicht, dass man ihn in der Kälte stehen ließ oder nicht mehr beachtete; nein, im Gegenteil: Der Kommandant war mit seinen Männern in die Kaserne geführt worden, wo man ihnen Tee und einen heißen Eintopf gegeben hatte, damit sie sich stärken konnten. Der Eintopf schmeckte ziemlich gut, war gefüllt mit vielen Sorten Gemüse und zartem Rindfleisch, sowie Reis. Dazu wurde ein wenig Brot gereicht und der Kommandant, dem der komplette Rücken wehtat, sowie seine Männer nahmen die Nahrung sehr gerne an. Es war ziemlich dunkel hier unten; und der Gedanke daran, dass sich meterdicker Stein über ihnen befand, behagte dem Fereldener nicht und immer wieder blickte er hoch zur steinernen Decke. Einzig und alleine ein vergittertes Fenster erlaubte es dem Tageslicht in den Raum zu dringen; ansonsten brannten Fackeln an den Wänden, dessen Halter vergoldet waren und wie kleine Templer-Schwerter aussahen. Überhaupt war Aeonar im Innern gemütlicher, als es von außen aussehen mochte: Die Möbel waren aus warmem, rot-braunem Mahagoniholz gefertigt und die Steinböden mit dunkelroten Teppichen ausgelegt, die aufwendige, goldene Stickereien besaßen, die die Symbole des Ordens, der Kirche und Andraste darstellten. An den Bildern hingen etliche Bilder – sie alle zeigten stolz blickende Männer in der gleichen, schwarz-roten Templeruniform, die Cullen bereits kannte. Unter jedem Bild stand ein Name und nachdem der Fereldener sie sich eine Weile angeschaut hatte, war er zu der Erkenntnis gekommen, dass hier die Knight-Commander Aeonars verewigt worden waren. So eine Bildergalerie hatte Kinloch Hold damals nicht besessen, fiel dem ehemaligen Templer auf, während er sich auf einen der gemütlichen Stühle nahe des Feuers, das fröhlich in einer Ecke prasselte, niederließ. Mehrere Templer befanden sich hier in dem recht großen Raum und unterhielten sich leise; sie alle trugen legere Kleidung und blickten auf, als Cullen und seine Männer hineingeführt wurden. „Ich sage schnell dem Knight-Commander Bescheid!“, hatte der eine Templer gesagt, mit dem sie sich schon auf den Weg nach Aeonar unterhalten hatten, und war verschwunden. Cullen lehnte sich in dem Stuhl ein wenig zurück und starrte grüblerisch in die Flammen; er fragte sich, wie er das Gespräch mit dem Knight-Commander der hiesigen Templer wohl anfangen sollte. Entschuldigt bitte, aber Ihr habt einen Magier eingesperrt, der hier nicht hingehört. -Kommandant Cullen, dieser Mann hat mehrere Templer auf dem Gewissen und hat blau geleuchtet! Ich weiß, aber ich versichere Euch, die Inquisition hat alles im Griff, was diesen Mann angeht! -Ich kann Euch nicht einfach so diesen Abtrünnigen übergeben, Kommandant. Er ist gefährlich. Wir haben etliche Templer in unseren Reihen, Ser. Wir werden auf uns aufpassen können. -Nun, wenn Ihr das so sagt… Würde es wirklich so einfach werden? Der Fereldener bezweifelte es ja. Er hatte in seinem Leben nicht viele Knight-Commander kennengelernt, doch er hatte die Erfahrung gemacht, dass die meisten recht verbohrt waren, wenn es um ihre eigene Meinung ging (Greagoir war ein Sturkopf gewesen und Meredith ein noch viel größerer). Wenn der Knight-Commander hier den Anderfelser behalten wollte, dann würde Cullen jenen auch nicht allzu schnell befreien können. Beim Atem des Erbauers… Der Soldat hoffte ja, dass der Knight-Commander ihm Anders widerstandslos übergeben würde. Und hoffentlich weiß der verdammte Blondschopf es dann auch zu schätzen!, fuhr es Cullen durch den Kopf, doch schon im gleichen Moment schaltete sich sein schlechtes Gewissen ein. Und wer ist Schuld daran, dass er hier einsitzt? Vielleicht sollte sich der Kurzhaarige nicht solche Gedanken machen; immerhin war Anders, kindisch und trotzig wie er war, weggerannt und hatte ganze Dörfer zerstört. Wäre Cullen allerdings nicht so kaltherzig und gemein zu dem langhaarigen Magier gewesen, dann wäre jener vielleicht auch niemals weggerannt… Ach, es war zum Haareraufen! Für Hawke war der Kommandant eindeutig der Schuldige; immerhin war ER ja der Grund, warum Anders überhaupt ausgerastet war. Aber woher hätte der Kommandant denn auch wissen sollen, wo dieser Streit endete? Er hatte ja vieles erwartet; angefangen damit, dass Anders ihn, trotz seines Schmerzes, von Cullen zurückgewiesen worden zu sein, immer noch nicht von der Seite weichen würde. Oder dass jener den Kommandanten vollends ignorieren würde (was dem Fereldener ja ziemlich lieb gewesen wäre). Ja, der Blondschopf hätte auch wegrennen und sich irgendwo verstecken können, denn gefunden hätte man ihn irgendwann so oder so. Aber Aeonar? Nein, das war niemals in Cullens Gedanken gewesen… Und, um ehrlich zu sein, er hatte auch niemals gedacht, wirklich hier hin zu kommen. Aeonar war für viele Templer eine Art Legende – ein Heiligtum. So auch für den Extempler, der sich stets gewünscht hatte, eines Tages das berühmte Gefängnis eines Tages mal zu sehen. Doch jetzt, wo er hier war, wünschte er sich nichts sehnlicher, als wieder abhauen zu können – und das am besten mit Anders im Schlepptau! Ja, er würde den Magier wieder mitnehmen, sich bei jenen entschuldigen und wohlbehalten wieder in die Himmelsfeste begleiten. Und danach… mh, nun, wie es danach aussehen würde, das würde der Fereldener ja dann noch sehen. „Kommandant Cullen?“ Der Extempler sah auf und stand anschließend auf; einer der Templer kam auf ihn zu und meinte: „Knight-Commander Magnus ist bereit, Euch zu empfangen, Ser.“ „Hat ja auch lange genug gedauert“, brummte der Fereldener und bedeutete seinen Männern, zu warten, während er sich mit Ser Magnus besprechen würde. Jene nickten und wandten sich wieder ihrem Kartenspiel zu, das sie mit ein paar der Aeonar-Templer angefangen hatten. Cullen folgte dem Mann, der ein wenig jünger war, als er selbst, durch einen der langen, engen Gänge und stand schließlich vor einer großen Tür. „Bitte schön“, meinte der Templer und ließ den Kommandanten schließlich alleine. Cullen holte einmal tief Luft, hob die Hand, ballte sie zur Faust und klopfte. Es dauerte ein paar Minuten, doch schlussendlich konnte man ein: „Herein“, hören und der Fereldener trat in den gut beheizten Raum ein. Hier sah es nicht viel anders aus, als in der Kaserne: Mahagoni-Holz, dicke Teppiche und die Wände waren zusätzlich noch mit rot-goldenen Vorhängen verhangen. Auch hier gab es ein kleines, vergittertes Fenster, zudem standen ein ordentlich gemachtes Bett, ein Schreibtisch und ein paar Stühle in dem kleinen Raum. Offensichtlich war dies hier das Gemach und das Büro des Knight-Commanders gleichzeitig; aber angesichts dessen, dass es wohl recht wenig Platz gab, war dieser Umstand zu entschuldigen. Cullens Haselnussaugen glitten von der Einrichtung weg und hinüber zu dem Knight-Commander. Jener saß in eine einfache Kirchenrobe gehüllt hinter seinem Schreibtisch und blickte Cullen erwartungsvoll an. Seine braunen Haare waren ordentlich kurz geschnitten und die warmen, braunen Augen blickten dem Kommandanten willkommen entgegen. Da der Templer Aeonar wohl nur selten verließ, war er ziemlich blass und Cullen konnte dessen Adern unter seiner Haut, die wie Porzellan aussah, ausmachen. Er erinnert eher an eine Adelsdame aus Orlais, als an einen Knight-Commander, fuhr es dem ehemaligen Ordensmitglied durch den Kopf, doch er kam nicht umhin, gleichzeitig zu denken, dass Magnus ein sympathischer Mann zu sein schien. „Kommandant Cullen, nehme ich an.“ Der Knight-Commander sprach mit ruhiger, weicher Stimme. Jedoch besaß sie einen bestimmenden und harten Unterton, der keinen Widerspruch duldete. Dieser Mann hier wusste ganz genau, welche Position er innehatte und wie er sie auszuführen hatte. Cullen schluckte ein wenig; das baldige Gespräch würde sich wohl als ziemlich schwer gestalten… „Richtig“, antwortete der Kurzhaarige. „Von der Inquisition? Setzt Euch doch. Möchtet Ihr etwas trinken, Tee, Wasser, gewürzten Wein?“ „Nein, vielen Dank“, antwortete der Fereldener, während er sich auf den einzigen noch freien Stuhl setzte, der sich im Raum befand. Seine Kehle war zwar trocken, doch er wollte seine Worte nicht hinauszögern, indem er immer wieder an seinem Becher nippte. „Knight-Commander Magnus, wie mir gesagt wurde?“ „Vollkommen richtig“, strahlte der blasse Mann und lehnte sich ein wenig zurück. „Es tut mir Leid, dass ich Euch so lange habe warten lassen, aber ich war unten beschäftigt. Also, bei den Gefängniszellen“, setzte er hinzu, als er Cullens verwirrten Gesichtsausdruck richtig deutete. „Ach… ja, stimmt.“ Der Kurzhaarige lachte ein wenig; man vergaß… ziemlich schnell, dass ein paar Meter unter ihm gefährliche und wahnsinnige Blutmagier lebten, so ruhig war es hier, in der kleinen, warmen Stube des Knight-Commanders. „Also… Ihr kommt von der Inquisition. Erstaunlich, mir war Euer Besuch nicht angekündigt!“, meinte Magnus und blätterte ein wenig in seinen Unterlagen herum. „Hättet Ihr etwas gesagt, hätte ich versucht, eine Eskorte zu schicken… Manuel war mit seinen Jungs ja so oder so unterwegs, um neue Vorräte zu beschaffen, von daher…“ „Mein Besuch ist ein wenig… plötzlich“, gab Cullen zu und setzte sich ein wenig gerader hin. Magnus sah von seinen Unterhalten interessiert auf. „Er war eigentlich nicht geplant, glaubt mir, Ser… wenn ich früher davon gewusst hätte, hätte ich Euch in Kenntnis gesetzt. Allerdings ist mein Anliegen auch… etwas seltsam, sodass ich es gerne persönlich mit Euch besprechen würde. Wir waren über sechs Wochen unterwegs, um jetzt hier zu sein.“ „Nun, innerhalb von sechs Wochen hätte uns kein Brief der Welt erreicht“, stimmte Magnus zu und nickte leicht. „Und ich sehe, Euer Anliegen muss tatsächlich ziemlich dringend sein. Dann tragt es doch bitte vor, Kommandant.“ Der Fereldener lächelte leicht und setzte an: „Nun, wir Ihr bereits wisst, komme ich von der Inquisition…“ „Eine beeindruckende Organisation“, unterbrach Magnus ihn strahlend, „ich wünschte, ich könnte mithelfen, aber ich habe hier alle Hände voll zu tun. Sagt mir, Kommandant, wie kamt Ihr zu dieser Gruppierung?“ „Oh, ich war Knight-Commander der Templer in Kirkwall, bis mich Sucherin Pentaghast für die Inquisition rekrutiert hat“, antwortete Cullen und Magnus nickte, schien begierig zu sein, seine Geschichte zu erfahren. „Ihr wart Templer?“, fragte jener nämlich sofort nach und wirkte fasziniert. „Ja.“ Cullen nickte und faltete die Hände ineinander. „Allerdings habe ich dem Orden den Rücken gekehrt, nachdem jener sich von der Kirche abgewandt hatte.“ „Oh ja, ich habe die Geschichte mit Lucius gehört…“ Magnus klang, als würde er den Tod des Lordsuchers nicht wirklich bedauern. „Tragisch, was er seinen Männern angetan hat. Und vollkommen verwerflich; der Orden steht für Mut, Recht und Ehre – etwas, was die meisten Templer liebend gerne vergessen. Genauso, wie sie vergessen, ihren Pflichten nachzugehen. Wir, hier in Aeonar, würden den Teufel tun, ehe wir unser Versprechen an die Kirche und an das Volk brechen würden.“ Magnus seufzte schwer auf. „Wir beschützen das Volk vor den Magiern, mit denen die Zirkel nicht mehr klarkommen.“ „Eine ehrenwerte Aufgabe… Es muss ziemlich einsam hier oben sein“, meinte Cullen. „Man gewöhnt sich daran“, lachte Magnus ein wenig, „wir sind wie eine große, glückliche Familie.“ „So ist es ja auch in den meisten Zirkeln“, antwortete Cullen. „War es in Kirkwall genauso? Die Geschichte von Meredith… ich konnte es gar nicht glauben!“ Magnus wirkte regelrecht entsetzt über das, was die wahnsinnige Commander in der Galgenburg angerichtet hatte und Cullen empfand mehr und mehr Sympathie für den freundlichen Mann. „Meredith war wahnsinnig… von roten Lyrium; genau dem Zeug, das auch Lucius seinen Templern verabreicht hat.“, antwortete der Fereldener und seufzte schwer. „Ich bin glücklich, dass wir die Templer wieder auf ihren rechten Weg zurückgeführt haben.“ „Sie werden sich bei der Inquisition beweisen.“, meinte Magnus und stützte beide Arme auf seinem Schreibtisch ab. „Aber, Kommandant, weswegen seid Ihr hier? Entschuldigt, dass ich Euch vorhin so abrupt unterbrochen habe.“ „Das ist schon in Ordnung“, meinte der Kurzhaarige schnell und spürte, dass er vorsichtiger sein musste: Er hatte schon mehr von sich Preis gegeben, als er eigentlich gewollt hatte. „Es geht um Folgendes… Vor ungefähr sechs Wochen müsste hier ein Magier angekommen sein. Blonde, lange Haare, auffälliger Goldohrring im Ohr, ungefähr so groß“ – Cullen hielt eine Hand horizontal in die Höhe und schätzte Anders‘ Größe dabei – „und mit einer noch größeren Klappe. Ein Geistheiler.“ Magnus runzelte ein wenig die Stirn. „Hm… Kommandant, wir haben viele Magier hier, und…“ „…er könnte auch blau geleuchtet haben.“ „Ach. DEN Magier meint Ihr“, sagte der blasse Commander und nickte jetzt wissend. „Ja, der ist hier. Ich habe ihn auf Etage Drei bringen lassen, damit er niemanden mehr schaden kann.“ „Die Sache ist die…“, der Kurzhaarige lächelte nervös und fuhr sich mit einer Hand über den schweißnassen Nacken. „…ich, ähm… würde Euch gerne bitten, ihn mir zu übergeben. Er… sollte vom Herold verurteilt werden, und Lady Trevelyan hat es nicht gerne, wenn man ihr Ihre Verurteilungen vor der Nase wegschnappt!“ Jetzt war es draußen; und Cullen war ziemlich stolz auf sich, dass ihm in letzter Sekunde noch diese kleine Notlüge eingefallen war. Denn, ganz ehrlich, was hätte er sonst sagen sollen? Da schob er lieber Lia vor… Magnus schwieg mehrere Minuten lang. „Warum ist der Inquisitor dann nicht persönlich hier?“, wollte er stirnrunzelnd wissen. „Der Herold ist sehr vielbeschäftigt…“, bemerkte Cullen an und verfluchte sich dafür, dass er an DIESES Detail natürlich nicht gedacht hatte; und der Commander vor ihm war ebenfalls alles andere als blöd: „Und der Kommandant der Truppen hat nicht viel zu tun?“ „Ich war so oder so auf der Durchreise… von daher…“, versuchte Cullen, sich aus der Bredouille zu retten. Die Tür öffnete sich und zwei gerüstete Templer traten ein, sie schienen etwas von Magnus zu wollen. Der Knight-Commander hob eine Hand, um ihnen zu bedeuten, dass sie warten sollten und meinte dann: „Kommandant, Ihr wisst hoffentlich, dass ich Euch den Abtrünnigen nicht einfach so geben kann. Er ist hochgefährlich.“ „Das verstehe ich vollkommen…“, fing Cullen an, wurde jedoch gleich von Magnus unterbrochen: „Außerdem mag ich es nicht, wenn man mich anlügt.“ War der Fereldener ein SO schlechter Lügner? Augenscheinlich ja, denn er gab ein erstickten Laut von sich und meinte: „Ich… mh, nun gut. Erwischt. Ich bin aus privaten Gründen hier.“ „Warum sagt Ihr das nicht vorher?“ „Weil ich befürchtet hatte, dass Euch meine persönlichen Gründe nicht interessierten und von daher…“ Der Kommandant zuckte mit den Schultern und sah zu Magnus, der sich jetzt langsam aufrichtete. „Kommandant… Ihr hättet auch einfach einen Brief schicken können“, meinte jener, „Besucher auf Aeonar sind selten und ich schätze sie auch nicht besonders. Und ihr schneit hier herein und verlangt von mir tatsächlich, dass ich einen hochgradig gefährlichen Magier frei lasse, damit er mit Euch mitgehen kann?“ Selbst in Cullens Ohren hörte sich dies lächerlich an, und das, obwohl er wusste, dass Anders zahm wie ein Lamm sein konnte, wenn er wollte. „Ich verstehe ja Euren Missmut…“, fing der Kommandant an und spürte, wie ihm der Schweiß nun in Bächen herunterlief. Beim Erbauer, warum war er so verdammt nervös? Er stand ebenfalls auf und trat auf Magnus zu, um jenen noch einmal eindringlich anzusprechen und versuchen, ihn zu überreden. „Ich war Templer, Ser. Ich weiß, wie ich mit Abtrünnigen vorgehen muss, und…“ Er stockte. Seine Augen weiteten sich. Er schluckte schwer. Und schließlich wich er wieder einen Schritt zurück. „Ich schätze keinen Besuch, Kommandant“, murmelte der Knight-Commander und machte eine kleine Handbewegung. „Vor allem nicht von Menschen, wie Ihr einer seid.“ Cullen wollte sich umdrehen, aber schon wurde er von hinten gepackt und von den zwei starken, gerüsteten Templern festgehalten. Er versuchte, sich zu wehren und freizukommen, doch im nächsten Moment zog einer der Templer bereits sein Schwert und haute mit dem Knauf fest auf den Kopf des Fereldeners; Cullen wurde augenblicklich schwarz vor Augen und mit einem Seufzer glitt er zu Boden, um dort liegen zu bleiben. Magnus trat langsam an den Kommandant heran und stupste ihn mit den Fuß an. „Ihr wisst, was zu tun ist“, brummte er die beiden Templer im Raum an. „Ihn? Wirklich?“, fragte der rechte von beiden und blickte den Commander an, als habe jener den Verstand verloren – aber wahrscheinlich hatte er es bereits schon. „Ja, ihn. Er war Templer und wir können ihn brauchen“, antwortete Magnus, der selbstverständlich von den Fähigkeiten des Kommandanten der Inquisitionstruppen gehört hatte. „Und die anderen fünf, die er mitgebracht hat?“, wollte der Templer wissen, während sein Ordensbruder sich bereits daran machte, Cullen aus den Raum ziehen zu wollen. Magnus drehte ihnen den Rücken zu und trat an das kleine Fenster heran, um hinaus zu gucken. „Sie sind Rekruten und wir brauchen sie nicht“, meinte er schließlich. „Tötet sie und werft sie Erdenay zum Fraß vor. Sie wird sich freuen.“ Kapitel 10: Zwischenspiel ------------------------- Vor einer Woche. Er umklammere den Stab der Spitzhacke und schwang sie über seinen Kopf, nur, um sie anschließend auf die harte Steinwand, die sich nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht befand, niedersausen zu lassen. Sein Atem ging schwer, seine Muskeln hörten nicht auf, unkontrolliert zu zucken und sein Rücken schmerzte von erneuten Peitschenhieben, die man ihm zur Strafe gegeben hatte. Zur Strafe, weil er ein einziges, patziges Wort gesagt hatte, da sein Wille zwar gebrochen, aber nicht ungezähmt war. So recht konnte sich der Blutmagier nicht an das erinnern, was nach seiner Bestrafung passiert war; seine Schreie waren durch die Gänge gehallt und alle anderen Gefangenen von Etage Eins hatten sich in die hinterste Ecke zurückgezogen, die Knie mit den Armen umschlungen, um betend und flüsternd zum Erbauer zu beten, dass sie nicht die nächsten seien, die man wohl ‘bestrafen‘ wollte. Jowan hatte seine Peitschenhiebe mitgezählt. Es waren zwölf Stück gewesen; zwölf harte Hiebe, die ihm die Haut von dem Rücken geschält hatten, bis das Fleisch aufgeplatzt und das Blut nur so in Strömen von seinem Körper gelaufen war. Noch immer erinnerte sich der Schwarzhaarige daran, wie er in den starken Eisenketten zusammengesunken war, als seine Knie nach dem fünften Hieb nachgegeben hatten. Nach dem zehnten Schlag hatte er kurzzeitig das Bewusstsein verloren, doch man hatte ihn wieder aufgeweckt, damit er seine Pein nicht verschlafen konnte. Und nach dem zwölften Schlag hatte der Mann sich noch nicht einmal mehr getraut, nach oben zu gucken, aus Angst, ein dreizehnter könnte folgen. Man hatte ihn von seinen Ketten befreit und zurück in seine Zelle geschliffen, wo er tagelang ausgeharrt hatte, mit dem Bauch auf dem kalten, nassen Stein, während seine Wunden sich entzündeten und zu eitern begangen. Jowan hatte schrecklich Albträume gehabt, das Wundfieber hätte ihn beinahe hingerafft – und ja, der Magier hatte sich zu jenem Zeitpunkt nichts sehnlicher gewünscht, als endlich zu sterben. Zu sterben und alles, was geschehen war, zu vergessen. Er hatte frei sein wollen, frei von allem. Von dem Turm, den Templern, dem griesgrämigen Greagoir. Frei von der Magie, um gemeinsam mit Lily ein schönes Leben aufzubauen. Und nun bezahlte er den Preis dafür. Anstatt frei zu sein saß er in Aeonar und wünschte sich jeden Tag, jede Stunde aufs Neue, er wäre doch niemals in die Kammer der Phylakterien eingebrochen und hätte sich niemals auf Loghain verlassen, der seinen Namen ja hatte reinwaschen wollen. Er hatte während seiner Bestrafung laut geschrien, dass er schuldig sei, dass er ein Sünder sei, da er die Magie beherrschte. Er hatte zugegeben Andraste und den Erbauer zu verspotten und dass seine Existenz nichts anderes als Blasphemie war, doch nichts hatte die Templer zufrieden gestellt. Im Gegenteil: Es schien sie sogar noch weiter angespornt zu haben, ihn weiter zu quälen und zu foltern, bis er blutüberströmt und wie eine Leiche da gehangen hatte, wie Vieh, das man zum Schlachten aufhing. Jowan hatte sich gefragt, ob die anderen Templer wussten, was in Aeonar geschah. Aber dann schalt er sich für diesen Gedanken und kam zu dem Schluss, dass dem nicht so war. Greagoir war ein Templer, ja. Er war ein Mensch, der seine Arbeit erledigte, viel Respekt entgegengebracht bekam und er sogar das Recht der Auflösung aussprach, sollte es von Nöten sein. Ein Templer, der um seine Pflichten und Aufgaben wusste. Aber er war kein Mensch, der jemanden in so etwas wie Aeonar schicken würde, wenn er wüsste, was dort wirklich geschah. Niemals im Leben hätte der Kommandant von Kinloch Hold es zugelassen, dass man die Magier so derartig behandelte – und noch weniger, dass man die eigenen Kirchenleute so behandelte. Lily. Der Name hatte sich in Jowans Gedanken eingebrannt und kurzzeitig, während seines Deliriums, hatte der Schwarzhaarige sogar vergessen, wer diese Person war. Doch dann war es ihm wieder eingefallen und er hatte sich, unter Tränen und Fieber, gefragt, ob man sie genauso behandelte wie ihn. Das hatte Lily nicht verdient, nein, nicht seine süße, unschuldige Lily… Und als klar gewesen war, dass er seinen Wunden nicht erliegen würde, hatte man ihn geholt. Geholt, um ihn auf Etage Drei zu bringen. Und nun stand er hier, inmitten all der Anderen und baute die Tunnel weiter, die Tevinter damals zurückgelassen hatte. Die Antimagie lastete schwer auf seinen Schultern und der Schwarzhaarige keuchte vor Anstrengung, die aber nicht von seiner körperlichen Arbeit herrührte. Einen kurzen Moment lang wagte er es, die Spitzhacke zu senken und sah sich um. Neben ihm befanden sich noch mehrere Männer und sogar die eine oder andere Frau. Es war schrecklich, wozu sie hier gezwungen wurden, doch Jowan wusste: Sich auflehnen würde nichts bringen. Er spürte den Blick des Drachens, den sie hier unten Erdbeerchen nannten, in seinem Rücken und hob schnell wieder die Spitzhacke, um weiterzuarbeiten. Erdbeerchen. Ein bescheuerter Name, doch die Gefangenen scheinen so besser mit der Situation klar zu kommen, dass sie von einem blutrünstigen, menschenfressenden Drachen bewacht und in Schach gehalten wurden. Jowan konnte sich damit nicht anfreunden und er war der festen Überzeugung, dass er derjenige war, der am allermeisten Angst vor dem roten Drachen besaß. Der schwarzhaarige Magier arbeitete seine mühsamen Stunden ab, bis der Gong ertönte, der ihm bedeutete, dass er aufhören durfte. Schwach und mit hängenden Schultern trottete er den Anderen hinterher und fragte sich, warum er hier unten gelandet war. Er hatte ja schon geglaubt, es könnte für ihn nicht schlimmer kommen, nachdem er auf Etage Eins gelandet war. Aber dies war ein fehlerhaftes Denken gewesen; Etage Drei war die reinste Hölle und während er mit dreckigen Fingern die Holzschale von dem Templer entgegennahm, der für die Essensausgabe zuständig war, war er versucht zu fragen, was er hier unten eigentlich verloren hatte. Ja, er gehörte hier nicht hin, befand er. Unter all diesen ganzen streng aussehenden Männern und Frauen war er doch direkt als Schwächster der Gruppe gekennzeichnet und lange, das war dem Magier klar, würde er hier nicht überleben. Jowan aß seinen kargen, doch erstaunlich deftigen Eintopf mit großen Fleischstückchen hastig leer – schon lange hatte er nichts so Gutes mehr zu sich genommen und es war nicht schwer zu erraten, warum die Gefangenen hier unten besseres Essen bekamen, als auf den höheren Etagen: Es schien, als wollten die Templer sie sich nicht zu Tode arbeiten lassen. Irgendwie war das auch verständlich; immerhin wurde nicht jeden Tag ein Magier zu dem berühmten Gefängnis gebracht und man musste mit dem Bestand auskommen, den man hatte. Und stärkere, gut genährte Magier bedeuteten wohl oder übel auch eine bessere Arbeitskraft. Jowan ließ die Schale in die Kiste fallen, in der sie gesammelt wurden und begann dann, sich zurück zu seiner Zelle zu begeben. Er hatte Glück gehabt; hatte seine eigene – verhältnismäßig behagliche - Zelle recht schnell gefunden und konnte sich den Weg auch gut merken. Rechts, links, rechts, rechts, geradeaus, links. Immer wieder flüsterte Jowan diese ewige Mantra vor sich hin, um den Weg in die Sicherheit bloß nicht zu vergessen. Hinter sich hörte er, wie Erdbeerchen langsam begann, sich auf die Jagd zu machen und ohne, dass er großartig darüber nachdenken musste, fing Jowan an, zu rennen, auch, wenn seine Knie jeden Moment unter ihm nachzugeben drohten. Es fühlte sich an, wie in einem Traum. Es schien, als würde er sich selbst zugucken, während er durch die spärlich beleuchteten Gänge rannte, um dem sicheren Tod zu entkommen. Jowan hatte ja niemals gedacht, dass er so schnell laufen konnte, doch nun flog er förmlich über die dunklen, glatten Steine und betete stumm zum Erbauer, die rettende Zelle zu erreichen, ehe Erdbeerchen ihn einholte. Der rote Drache nahm seine Richtung und Jowan versuchte, nicht allzu sehr darüber nachzudenken. Rechts, links, rechts, rechts, geradeaus- „Jowan?“ Verwirrt durch die plötzlich, ihm doch bekannte Stimme, blieb der Schwarzhaarige stehen, als er an der Kreuzung stand. Mit großen, schreckgeweiteten Augen und schwer keuchend starrte er dem Blondschopf mit dem auffälligen Goldring im Ohr entgegen, der nicht minder irritiert zurück starrte. Jowan öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch in dem Moment, in dem er Anders erkannte, spürte er den heißen, keuchenden Atem über sich und dann war Erdbeerchen auch schon da, senkte den Kopf und ihre zwei Reihen messerscharfer, großer Zähne schlossen sich um seinen Körper, während das Blut in alle Richtungen spritzte. Kapitel 11: Die Wahrheit ------------------------ Vor einer Woche. Anders starrte mit wachsendem Entsetztem an die Stelle, an der vor wenigen Augenblicken noch Jowan gestanden hatte. Er hatte… er hatte den Magier wiedererkannt! Sie waren gemeinsam in Kinloch Hold gewesen, hatten sich auch hin und wieder mal unterhalten. Der Blondschopf hatte von der Tändelei des Schwarzhaarigen gewusst, hatte ihn aber nie verraten – dafür hatte Jowan auch stets den Mund gehalten, wenn es um Anders‘ eigene Lustbefriedigungsaktionen gegangen war. Man konnte nicht behaupten, dass sie Freunde gewesen waren, denn da Anders ein Magier und Jowan nur ein Schüler gewesen war, hatten sie sich nicht sonderlich oft getroffen. Und doch blitzten die Erinnerungen an den schwarzhaarigen Magier auf, während Erdbeerchen den Kopf in den Nacken warf, um Jowans Bein, das noch aus ihrem Mundwinkel hing, ebenfalls zu verschlingen. „Beim Erbauer…“, keuchte er und hielt sich eine Hand entsetzt vor den offenen Mund. Seine Augen waren weit aufgerissen und er schüttelte ungläubig den Kopf. Tränen liefen ihm unbemerkt über die stoppeligen, unrasierten Wangen und hinterließen hautfarbene Spuren auf seinem dreckigen Gesicht. Ein wenig Blut war ihm ins Gesicht und auf seine Brust gespritzt und es fühlte sich unangenehm an – sein Kopf war leer, nur noch erfüllt von dem Schrecken, von dem er gerade eben Zeuge geworden war. Er konnte es nicht fassen… Jowan war tot. Erdbeerchen hatte keine Sekunde gezögert, den Magier zu fressen, und- Jowan war tot. Einfach so. Der Anderfelser konnte es nicht glauben und irgendwie sickerte der Gedanke, dass der Schwarzhaarige das Zeitliche gesegnet hatte, nur sehr schwer in seinen Kopf hinein, wie zäher Sirup, den er sich früher immer so gerne auf seine Pfannkuchen geschüttet hatte (wenn es in Kinloch Hold denn mal diesen Luxus gegeben hatte). Erdbeerchen knurrte auf und grunzte ein wenig – ihr heißer Atem schlug dem paralysierten Magiers ins Gesicht und sie fletschte die Zähne. Speichel und Blut tropfte herab, vor ihr auf den Boden, und ihre Krallen schabten über den Grund, als sie einen kleinen Schritt tat. Anders verspürte keine Angst, sondern nur noch lähmende Leere und Lethargie. „Anders!“ Eine Hand an seiner Schulter, doch der traumatisierte Magier reagierte nicht. Immer noch stand er in gleicher Haltung da, die Finger vor dem geöffneten Mund und mit dem Gefühl, jeden Augenblick sein reichhaltiges Abendessen wieder ausbrechen zu müssen. Er tastete blind mit der anderen Hand nach dem fremden Arm, wollte ihn abschüttelten, doch er schaffte es nicht. Sein Gesicht verzog sich beinahe in Zeitlupe und ein lautes, durchdringendes Schluchzen verließ seine Kehle. „Anders!“ Julius‘ Stimme drang an sein Ohr, doch noch immer reagierte der Geistheiler nicht. Noch immer starrte er auf die Stelle, an der Jowan – in seinen Augen – einfach verschwunden war und achtete nicht auf das Zerren an seiner Schulter. „Anders, jetzt komm, beim Erbauer!“ Nur widerwillig ließ sich der Geistheiler mitziehen. Erdbeerchen fuhr sich mit der gegabelten Zunge über die schuppigen Lippen und senkte dann den Kopf, um das Blut und herausgefallene Eingeweide vom Boden aufzulecken, doch dies sah der Blondschopf schon gar nicht mehr, denn Julius zerrte ihn gewaltsam mit sich, bog um eine Ecke, damit sie in ihre sichere Zelle fliehen konnten. Die ganze Zeit über liefen Anders Tränen über die Wangen und er trauerte um seinen Bekannten. Jowan war der Erste, den er hier unten hatte sterben sehen. „Nein!“, stöhnte Anders schwer und ließ sich auf die Knie fallen. Er war geschwächt und sein Körper wurde von Zitteranfällen geplagt. Er umklammerte die schweren Eisenstangen vor seinen Augen mit beiden Händen, sah mit verschwommenem Blick hindurch und schluchzte wie wild. Er ließ den Kopf hängen – die Tränen tropften auf den Boden und hinterließen dunkle Flecken, die bald schon trocknen würden. Seine Haare hingen ihm unordentlich ins Gesicht, doch dem sonst so eitlen Magier war dies völlig egal. Sein Magen verkrampfte sich und er spuckte aus – Speichelfäden fingen ihm von Kinn herab und es schien, als sei er geradewegs dabei, den Verstand zu verlieren. Julius saß im Schneidersitz an einer Wand und blickte den nervlich völlig fertigen Geistheiler unbeeindruckt an. Das ging nun schon seit STUNDEN so und langsam fing es an, zu nerven. Menschen starben nun mal, wenn sie nicht wussten, wie man sich in Aeonar zu benehmen hatte. Und dieser seltsame Schwarzhaarige hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich mit jemandem anzufreunden. Wer versuchte, ohne Hilfe zu überleben, der war von Anfang an dem Tod geweiht. Der muskulöse Mann selbst fand die Tatsache, dass Erdbeerchen nun relativ früh zum Abendessen gegessen hatte, ziemlich angenehm und vielleicht würde er auch mal eine ruhige Nacht schlafen können… Bei diesem Gedanken stöhnte der Anderfelser in der Zelle wieder laut auf, als wäre gerade er selbst es, der von dem roten Drachenweibchen gefressen werden würde und Julius presste die Lippen zusammen und verkniff sich ein Augenrollen. Er ist noch neu, sagte er in Gedanken zu sich selbst, gib ihm Zeit. Zeit? Der verdammte Magier war seit fünf Wochen hier und sollte eigentlich schon wissen, dass Erdbeerchen hin und wieder jemanden von ihnen erwischte! Der Schwarzhaarige, der war vorher auf Etage Eins gewesen – Julius persönlich hatte nichts als Verachtung für die Gebrochenen übrig. Sie waren viel zu schnell in Selbstmitleid und Trauer versunken, krochen auf Knien herum und winselten, damit die Templer sie in Ruhe ließen. Und genau deswegen machte es der letzteren Gruppe ja auch so verdammt viel Spaß, sie zu quälen. Wer wollte schon jemanden auspeitschen, der ihm ins Gesicht lachte, spuckte und ihn als ‚Feigling‘ bezeichnete? Niemand und schon gar nicht das olle Narbengesicht, denn jenes war viel zu stolz für solche Beleidigungen. Julius pustete sich eine Haarsträhne aus seiner Stirn und lehnte den Kopf gegen die steinerne Wand. Anders schluchzte immer noch hemmungslos vor sich hin und es schien, als wolle er heute Abend nicht mehr aufhören. Also… so langsam fragte sich der kräftige Braunhaarige, was der Blondschopf hier unten machte. Klar, jener schien ein recht starker Magier gewesen zu sein, aber Julius hatte noch keine verräterischen, halb verheilten Schnittwunden, wie sie alle Maleficare trugen, gesehen (und er hatte sich Anders, als jener geschlafen hatte, ziemlich genau angeguckt. Ein Glück, dass der Magier einen tiefen Schlaf hatte, sonst wäre jener wohl ausgerastet, hätte er es mitbekommen…). Und auch sonst schien der dürre Magier hier nicht reinzupassen. Natürlich, im Endeffekt passte KEIN Magier hier unten rein, doch einige schlugen sich besser, als andere. Der arme Kerl Jowan hatte zu den Leuten gehört, die sich nun mal schlechter geschlagen hatten. Es war kein Wunder, dass er gefressen worden war und Anders sollte lieber froh darum sein, dass sie für heute Ruhe vor Erdbeerchen hatten. Aber das war er nicht. Stattdessen heulte er hier herum. Oh, hoffentlich hörte Brutus ihn nicht…! Das Narbengesicht LIEBTE weinende, kleine, schwache Magier und tat nichts lieber, als jene noch ein wenig weiter zu quälen. Wenn das so weiterging, würde Julius dem Anderfelser noch den Mund stopfen müssen, so viel stand fest! War Anders mit diesem Jowan befreundet gewesen? Man könnte dies meinen und Julius seufzte schwer aus, während er den heulenden Geistheiler beobachtete. Er war schon verhältnismäßig lange hier unten und hatte gelernt, mit dem Schmerz – mit allem – umzugehen. Er hatte viele seiner ‘Freunde‘ sterben sehen, viele, die direkt vor seinen Augen von den Templern abgeholt worden und nie wieder gekommen waren… doch niemals war er so gebrochen gewesen, wie Anders. Knight-Commander Magnus musste sich vertan haben – der Blonde gehörte nicht auf Etage Drei. Er gehörte auf Etage Eins, dorthin, wo alle hockten, die schnell nachgaben und sich am liebsten in ein dunkles Loch verkriechen würden. Doch wenn Julius eines gelernt hatte, dann, dass Knight-Commander Magnus niemanden umsonst auf Etage Drei schickte. Was machte den Blondschopf also so besonders, dass er hier unten gelandet war? Jetzt. Anders schlurfte mit seiner Schüssel mit gut riechendem Eintopf zu Julius, der bei Branwen und Oliver saß und sich leise unterhielt. Der Blondschopf hatte immer noch rot geränderte Augen und regelmäßig brach er noch in Tränen aus, wenn er mit Julius alleine in der Zelle war, doch meistens blieb er still und erledigte seine Arbeit. Er konnte so oder so nichts anderes tun. Julius hatte ihn gewarnt, Schwäche zu zeigen, wenn die Templer in der Nähe waren und deswegen riss Anders sich zumindest während der ‘Arbeit‘ zusammen, um nicht aufzufallen. Trotzdem, der Schock, dass Jowan, sein alter Freund, einfach so gefressen worden war… der steckte ihm einfach noch zu tief in den Knochen. Aus dem sonst immer breit grinsenden, eitlen Magier war ein gebrochener Mann mit tiefen Augenringen geworden. Julius und Branwen sahen auf, als Anders sich zu ihnen setzte, Oliver jedoch aß still weiter. Der Mann war generell nicht gesprächig und antwortete auch meistens nur mit Ein-Wort-Sätzen. „Gestern ist Sam von uns gegangen“, meinte Branwen mit leiser Stimme und stocherte in ihrem Eintopf herum. Julius kniff die Lippen zusammen und meinte: „Samantha war hochschwanger, Bran. Was hast du denn erwartet?“ Die angesprochene Frau antwortete nicht, sondern steckte sich ein paar Fleischstücke in den Mund. Anders sah zur Seite – er kannte die Frau, von der die beiden sprachen. Er hatte sie häufig gesehen und sich gefragt, wie schrecklich diese Templer hier in Aeonar waren, dass sie eine hochschwangere Magierin zur Arbeit zwangen. „Kam sie schon schwanger hierhin?“, wollte er schließlich wissen – im nächsten Moment wünschte er sich, er hätte nicht gefragt, denn Branwen sah ihn mit beinahe schon schreckensgeweiteten Augen an. „Nein“, antwortete Julius schließlich, nach mehreren Sekunden der Stille. „Manchmal holen sich die Templer jemanden, der ihnen besonders gut gefällt. Da sie hier unten so oder so sterben, machen sie sich nichts draus.“ Anders‘ Rehaugen wanderten zu Branwen. Die junge Frau bemerkte seinen Blick und sagte: „Ich bin für die meisten Templer zu mager und habe nicht genügend Brustumfang. Und als es doch mal geschehen ist, habe ich es über mich ergehen lassen, ohne einen Mucks von mir zu geben. Das mögen sie nicht und es spricht sich schnell rum, dass ich ‘langweilig‘ bin.“ Der Blondschopf wurde noch blasser (er hatte ja gedacht, das ginge eigentlich nicht mehr) und senkte den Kopf wieder. Alle, die hier unten waren… sie sprachen so verdammt nüchtern über das, was passierte. Als wäre es nichts. Oder, dachte er sich, als wäre es eine Art Schutz. Schutz davor, damit sie nicht zusammenbrechen, so wie ich. „Was hast du eigentlich getan, dass du hier bist, Bran?“, fragte Anders – inzwischen kannte er die Frau gut genug, um sie bei ihren arg männlich klingenden Spitznamen nennen zu dürfen. Bran runzelte die Stirn, dann meinte sie schulterzuckend: „Ich habe den Knight-Captain unseres Zirkels aus Versehen getötet.“ Anders verschluckte sich an seinem Eintopf und hustete. Julius klopfte ihm auf den Rücken, bis der Hustenanfall vorbei war und entsetzt starrte der Blonde die Rothaarige an. „…was?“ „Ich glaube, da musst du einiges erklären, Bran“, kicherte Julius und grinste ein wenig. Anders fand das alles ja überhaupt nicht lustig. Branwen seufzte aus und sagte: „Naja, es war ein Unfall. Ich habe ein wenig geübt und ein Zauber ging schief… dummerweise knallte er gegen ein Bücherregal, das umkippte und einen unglücklichen Templer unter sich begraben hat – den Knight-Captain.“ Sie kratzte sich verlegen am Hinterkopf, dann fuhr sie fort: „Normalerweise wäre ich ja mit einer Strafe davongekommen, aber der Junge war der Sohn unseres Knight-Commanders und jener wurde wahnsinnig vor Wut. Er hat behauptet, ich sei ein von Dämonen besessenes Monster und ich hätte das mit voller Absicht getan… der Erste Verzauberer – mein Mentor – konnte ihn zwar beruhigen, aber er befahl trotzdem, mich nach Aeonar bringen zu lassen, damit ich niemandem mehr schaden kann. Und deswegen sitze ich nun hier.“ Sie musterte den Blondschopf auffordernd. Jener senkte schnell den Blick und aß ein wenig, bevor es kalt wurde – kalt schmeckte der Eintopf nicht so gut. „Und warum bist du hier, Anders?“ Der Geistheiler hielt inne und zögerte. Branwen hatte ihm seine Geschichte ohne zu zögernd erzählt und es schien, als sei er ihr nun seine ‘schuldig‘. „Ich… habe blau geleuchtet“, sagte er schließlich. „Wirklich? Davon habe ich noch nichts mitbekommen“, kommentierte Julius, doch selbst Oliver hob neugierig den Kopf, um zu erfahren, was hinter den geheimnisvollen Satz steckte. Anders schlug die Augen nieder. „Ich habe einen Geist in mir… Sein Name ist Gerechtigkeit… Und wenn er rauskommt und die Kontrolle übernimmt, dann leuchte ich blau und bin in einer Art… Blutrausch. Und das ist geschehen, als mich die Templer gefangen genommen haben und deswegen bin ich wohl hier unten gelandet.“ Mehrere Minuten lang schwiegen seine drei Mitinsassen, bis Oliver schließlich meinte: „Wahnsinn. So etwas höre ich zum ersten Mal.“ „Allerdings“, murmelte Julius und betrachtete Anders interessiert. „Und warum benutzt du den Geist jetzt nicht einfach, um hier rauszukommen?“ Der Blondschopf versuchte, nicht allzu stark auf die gähnende Leere in seinem Innern zu achten. „Ich… spüre ihn hier nicht. Die Antimagie ist zu groß und er ist nicht da… Zumindest nehme ich an, dass es daran liegt.“ „Hm.“ „Und du, Julius? Was hast du verbrochen?“ Anders wollte das Thema so schnell wie möglich wechseln – und es schien zu funktionieren, denn der Braunhaarige seufzte wehleidig auf und meinte theatralisch: „Ich habe die Regeln gebrochen!“ „Was denn für Regeln?“ „Naja, da gab es diese süße Magierin… und die wollte auch was von mir. Und da dachte ich, warum nicht? Dummerweise hat man uns erwischt und das blöde Miststück hat natürlich sofort behauptet ICH wäre der Böse! So etwas Hinterhältiges habe ich noch nie erlebt! Und dann wurde ich nach Aeonar geschickt…“ „…aber das habe ich auch andauernd gemacht“, meinte Anders verwirrt. „Ich habe dann immer eine Rüge bekommen und dann war es gut. Manchmal musste ich auch die Bücher ordnen oder die Bibliothek wischen, aber sonst…“ „Oh, aber wenn man Knight-Captain ist, darf man sich so etwas leider nicht erlauben, Anders.“ Dem Blondschopf blieb sein Bissen im Hals stecken und er starrte Julius mit weit aufgerissenen Augen an. Der kräftige Mann sah auf und auf einmal schien bei ihm ein Licht aufzugehen: „Oh… stimmt, das hatte ich dir ja noch nicht erzählt. Aber eigentlich hättest du auch selbst drauf kommen können!“ „…du bist ein Templer!“, stieß der Anderfelser aus und blickte zu Oliver rüber. Der Mann zuckte mit den Schultern und meinte nur: „War.“ „…war?“, wiederholte Anders mit schwacher Stimme. Julius hörte einen Moment lang auf zu essen und sagte: „Der Templer-Status wird uns mit der Einlieferung aberkannt. Aber… Anders, sieh dich mal um! Neunzig Prozent derer, die hier unten sind, sind ehemalige Templer!“ Kapitel 12: Nach unten ---------------------- Als Cullen aufwachte, wusste er zuerst nicht, wo er war. Es war dunkel um ihn herum und nur langsam konnten seine, immer wieder zufallenden, Augen sich an das spärliche Licht, das unter den Türspalt hindurch in den kleinen Raum drang, gewöhnen. Er keuchte, schmeckte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Seine Lippe pochte unangenehm und sein Rücken schmerzte – dazu kam der Schmerz an seinem Hinterkopf, als würden tausend kleiner Hämmerchen gegen die Schädeldecke hauen. Er lag auf einer erstaunlich weichen Matratze und war nachlässig in eine Decke gewickelt worden. Der Krieger blieb noch eine Weile liegen und versuchte, sich an die letzten Geschehnisse zu erinnern: Er war nach Aeonar gelangt. Zwar äußerst knapp, aber er hatte es geschafft. Und er… hatte den Knight-Commander des Turmes getroffen. Magnus. Und danach… hatte er etwas gesehen. Etwas, das ihn unheimlich erschreckt hatte. Cullen kniff die Augen zusammen, als der Schmerz ihn übermannte und stöhnte leise. Er hielt sich eine Hand gegen den Hinterkopf, als könne er den Schmerz damit ‘wegdrücken‘, doch jener wurde stattdessen noch viel stärker. Konzentriere dich! Cullen fuhr sich mit der Zunge über die spröden, trockenen Lippen und spürte dabei sogleich einen brennenden Schmerz – er zuckte zusammen. Anschließend folgte der metallene Geschmack von Blut und der Fereldener ahnte, dass er sich wohl die Unterlippe aufgebissen haben musste, als man ihn ohnmächtig geschlagen hatte. Doch darüber konnte sich der Kommandant jetzt keine Gedanken machen. Stattdessen versuchte er, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Magnus hatte so arg blass ausgesehen. Seine Adern waren hervorgestochen – es war kein schönes Bild gewesen. Der Knight-Commander Aeonars hatte todkrank gewirkt. Aber Cullen wusste, jener war nicht krank. Zumindest nicht auf diese Art und Weise. Er hatte es gesehen. Er hatte dieses… rötliche Funkeln in den leeren Augen des Knight-Commanders ausmachen können. Wie damals, als er gegen die Roten Templer in Therinfals Schanze gekämpft hatte. Sie hatten denselben, schrecklichen Blick besessen… Rotes Lyrium. Es verderbte den Körper, verlieh ihm gleichzeitig jedoch ungeahnte Kräfte. …Cullen hätte niemals gedacht, dass sich die Elite-Templer von Aeonar Corypheus verpflichten würden. Denn das taten sie, indem sie das Rote Lyrium von jenen angenommen und getrunken hatten. Es benutzten, als wäre es weniger gefährlich, als sein blauer Verwandter. Langsam richtete sich der Templer schließlich auf – er fragte sich, ob ganz Aeonar verpestet war, oder nur der Knight-Commander… aber im nächsten Moment verwarf er diesen Gedanken schon wieder: Natürlich hatte er Commander verlangt, dass alle anderen ebenfalls das Rote Lyrium zu sich nehmen sollten. Aeonar befand sich also in den Händen des Feindes. Kein angenehmer Gedanke. Der Fereldener schluckte schwer und sog die Luft zischend durch die Zähne ein, als ein neuerlicher Schmerz sein Kreuz hinaufschoss. …beim Erbauer, so langsam wurde er zu alt für solche Aktionen! Nachdem er sich vollständig aufgerichtet hatte und die Decke dabei von seinen Schultern gerutscht war, bemerkte der Templer, dass er halb nackt war. Und es war zudem enorm kalt in dem Raum, in dem er sich befand. Cullen fröstelte und zog sich die Decke doch wieder lieber um die Schultern – dann rieb er mit seinen Fingern über den rauen Stoff der, an den Knien gerafften, Hose und seufzte schwer aus: War ja eigentlich klar gewesen, dass man ihn aller seiner Sachen berauben würde. Und dennoch wünschte sich der Kurzhaarige, sie hätten ihm wenigstens seinen gemütlichen, wärmenden Mantel gelassen… Ich sollte mich auf Wichtigeres konzentrieren!, schalt sich der Templer unruhig. Zum Beispiel darauf, was sie mit mir vorhaben… Ganz langsam stand der Fereldener auf und tastete sich durch das Zimmer – inzwischen hatten sich seine Augen schon so weit an die Dunkelheit gewöhnt, und er konnte zumindest die Größe des Raumes erahnen, in dem er – wahrscheinlich – eingesperrt war. Und ein kurzes Rütteln an der Tür seinerseits verschaffte ihm dahingehend auch Gewissheit. Cullen ließ seine Hand einen Augenblick lang auf der kalten Türklinke ruhen, dann stieß er sich von der Tür ab und tastete sich weiter an der Wand entlang. Gab es kein Fenster? Vielleicht war es schon dunkel, oder sie hatten es verhangen… Der Krieger taumelte ein wenig und keuchte auf; der Schmerz kam immer wieder in Schüben und machte ihn fertig. Er nahm zwar kein Lyrium mehr, aber dennoch… die Folgen seines Entzuges machten sich auch deswegen bemerkbar. Er hielt sich eine Hand an die Brust und versuchte, ruhig und kontrolliert ein- und aus zu atmen: So, wie Adan es ihm gezeigt hatte. Und dann ließ er sich an der Wand zu Boden sinken und versuchte, klar zu denken. Sie hatten ihn hier eingesperrt… In Ordnung. Es war wahrscheinlich nicht anders zu erwarten gewesen, vor allem, wenn man bedachte, dass Aeonar jetzt wohl der Feind der Inquisition war. Und nach mindestens zwei Wochen würde man ihn suchen kommen – immerhin hatte er versprochen bei Celenes Winterball anwesend zu sein. Ob man ihn finden würde, war jedoch die andere Frage… Immerhin war ER ja auch in die Falle getappt! Cullen lehnte den Kopf an die kalte Steinwand und überlegte sich, ob er die Wachen, wenn sie denn kommen würden, anstürmen sollte, um frei zu kommen. Im nächsten Moment jedoch wusste er ganz genau, wie idiotisch dieser Plan war, denn wie sollte er, halbnackt und ohne Waffen, gegen eine Horde von gerüsteten Elite-Templern ankommen? Gar nicht und genau das war das Problem. Vielleicht sollte er ein Duell vorschlagen? Einen ehrlichen Zweikampf, bei dem es um seine Freilassung ging. Würde sich der Commander darauf einlassen…? Bestimmt nicht. Und außerdem- Meine Rekruten! Der Gedanke schoss dem Fereldener urplötzlich durch den Kopf und seine Augen weiteten sich im Dunkeln. Beim Erbauer… was war aus den Männern geworden, die er mitgebracht hatte?! Waren sie bereits tot…? Oder lagen sie in anderen Zimmern, genau wie er? Dem Kurzhaarigen beschlich ein sehr schlechtes Gefühl und sofort schaltete sich auch sein schlechtes Gewissen ein: Er hatte die Verantwortung für diese Männer besessen. Und nun… nun wusste er noch nicht einmal, was aus ihnen geworden war. Cullen stand wieder auf – er war entschlossen den Verbleib seiner Soldaten rauszufinden. Der Kommandant wollte zur Tür gehen und etwas rufen – irgendetwas, einfach nur, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Aber bevor er sein Vorhaben in die Tat umsetzten konnte, hörte man einen Schlüssel, der von der anderen Seite ins Schloss gesteckt wurde: Ein metallenes Klicken erklang, als jener umgedreht wurde; Cullen hörte regelrecht, wie sich der Riegel zurückschob und es klang in seinen Ohren wie das Donnern eines schlimmen Gewitters. Er erstarrte, wich anschließend vorsorglich ein paar Schritte zurück – so weit, bis seine Kniekehlen gegen den Rand des kleinen Bettes im Raum stießen. Die Tür öffnete sich und ein heller Lichtstrahl blendete ihn für einige Sekunden. „Er ist wach.“ „Wie schön. Dann kann er jetzt ja mitkommen.“ Cullen hielt sich eine Hand vor das Gesicht, um seine empfindlichen Augen zu beschatten; sie tränten von der plötzlichen Helligkeit und er schluckte erneut schwer, als er die beiden schwer gerüsteten Templer sah, die den Raum betraten, um ihn zu holen. Cullen überlegte, ob er sich wehren sollte, doch er verwarf den Gedanken lieber schnell: Man kam besser - und vor allem unbeschadeter – voran, wenn man einfach mitging. Und genau das tat er auch. Die beiden Templer nahmen ihn in die Mitte, nachdem sie ihn die Handgelenke mit seltsamen, metallenen Fesseln, die vor Antimagie nur so trieften, vor dem Körper gefesselt hatten und führten ihn durch einen langen Gang. Kein Fenster. Das Licht kam durch Öllampen, die weit oben an Halterungen befestigt waren; das Licht warf gespenstische Schatten an das alte Gemäuer und der Fereldener sah sich unbehaglich um: Kein Laut, außer ihren Schritten und das Geklapper der Rüstungen, war zu hören. „Wo sind meine Rekruten?“, wollte der Kommandant schließlich wissen; seine Stimme klang in seinen Ohren unheimlich laut und hallte in dem langen Gang wieder. Er bekam keine Antwort von seinen beiden Begleitern, doch er versuchte es noch einmal: „Wo sind sie? Ich verlange Antworten!“ „Ganz schön große Klappe für einen Gefangenen“, meinte der rechte Templer und der linke lachte leiste: „Ihr wollt wissen, wo Eure Rekruten sind? Erdenay hat ein schönes Mal mit ihnen genossen…“ Der rechte fiel in das Kichern mit ein und Cullen war verwirrter als vorher: Wer oder was war ‘Erdenay‘? „Und was habt ihr mit mir vor?“, fragte er anschließend, da er ein wenig mehr Mut gefasst hatte. Die beiden Templer antworteten ihm jedoch erst nach wenigen Sekunden: „Wir bringen dich auf Etage Drei. Das ist dein neues Zuhause.“ „Aeonar ist ein Magiergefängnis…“, murmelte Cullen, war jedoch nicht gerade überzeugt von seinen eigenen Worten. Die Elite-Templer schnaubten nur abfällig aus und schubsten den Kommandanten grob den Gang entlang. Cullen stolperte beinahe, fand jedoch noch rechtzeitig das Gleichgewicht wieder. Doch er gab keine Beschwerde von sich, sondern biss auf seine wunde Lippe – ein paar Blutstropfen fielen auf seinen nackten, durchtrainierten Oberkörper und er versuchte, den brennenden Schmerz zu ignorieren. „Da seid ihr ja endlich.“ Die Stimme von einem Mann, den Cullen nicht kannte, aber bestimmt gleich kennenlernen würde. „Hat er Probleme gemacht?“ „Nein. Er ist ein schlauer Bursche.“ Cullen blieb stehen und sah hoch. Vor einer großen, metallenen Tür stand einer der roten Templer; er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte ihn abschätzig an. Neben ihm standen zwei weitere Templer, die sich kein Stück rührten. Cullens Augen glitten an dem schwer gerüsteten Soldaten herab, der hier wohl gerade der Ranghöchste war, und blieben an dessen, mit Dornen besetzten, Peitsche kleben. Eine Peitsche war eine seltsame Waffe für einen Krieger. Hatte er damit irgendein Tier gezähmt? Die fünf großen Narben, die quer über das Gesicht des Mannes liefen, sprachen zumindest dafür. „Soso… der Kommandant der Inquisitionstruppen. Ein richtig schöner Fang, den der Commander da gemacht hat…“ Das Narbengesicht lachte leise und trat näher an ihn heran. Klapp-klapp. Cullen konnte das Geklapper nicht mehr hören – obwohl er ihm vertraut war, war es nun ein widerlicher Klang - aber er richtete sich auf und blickte dem Mann, der sogar noch größer war, als er selbst, standhaft in die Augen. Der Narbige blieb nur wenige Zentimeter vor ihm stehen und meinte: „Nun… ich bin gespannt, wie lange er sich auf Etage Drei machen wird.“ Der hässliche Templer schmunzelte ein wenig und Cullen musste sich anstrengen, nicht die Schultern hängen zu lassen. Er durfte keine Schwäche zeigen! Er… er durfte einfach nicht! Sie gingen los. Einer der Templer holte einen kleinen, silbernen Schlüssel hervor und steckte ihn in das Schloss der großen Tür. Die anderen Templer öffneten sie quietschend und Cullen war, als öffneten sie gerade das Tor zur ewigen Verdammnis. Ein weiterer Gang, der in ein paar Treppenstufen endete. Weitere Öllampen an den Wänden. Der Krieger wurde in den Rücken gestoßen und setzte sich langsam in Bewegung. Er trat durch den Gang und erwartete schon fast, dass man das Tor donnernd hinter ihm zuschlug und ihn alleine ließ. Doch dies war nicht der Fall; stattdessen folgten ihm die Templer im Gleichschritt; Cullen fragte sich, ob JEDER Magier auf die gleiche Prozedur hier reingeführt würde – es wirkte schon fast wie eine Zeremonie und- Eine weitere Tür, ein wenig kleiner als die erste, aber nicht weniger beeindruckend. Einer der Templer – ein anderer als vorhin – drängelte sich vor und öffnete auch diese Tür. Ein weiterer Gang, der in Treppenstufen endete. Weitere Öllampen an den Wänden. Und eine weitere Tür am Ende des Ganges. Cullen schluckte. Aeonar war bekannt dafür das sicherste Gefängnis der Welt zu sein. Man hatte mit dieser Bezeichnung nicht untertrieben. Kapitel 13: Zusammentreffen --------------------------- Templer. So weit das Auge reichte. Nein… keine Templer. Ehemalige Templer. Menschen, die nach Anders‘ Wissen eigentlich schon längst dem Wahnsinn und dem Realitätsverlust verfallen sein müssten, die ein solch langer Lyriumentzug mit sich brachte. Der Blondschopf senkte den Blick und verspürte mit einem Mal keinen Hunger mehr, während Julius fröhlich weiter mampfte. Vielleicht… also, der Mann war ja schon ein wenig verrückt und wahrscheinlich äußerte sich dessen Entzug dadurch. Der Geistheiler fragte sich nur, warum erbauerverdammte TEMPLER hier unten eingesperrt waren; gab es für die keine anderen Strafen? Wie… fünf Mal den Gesang des Lichts (und der war immerhin sehr lang!) rezitieren oder drei Mal die komplette Kirche von Hans schrubben? Warum wurden Templer – von denen es so oder so schon zu wenige gab – unten in auf der tiefsten Etage in Aeonar gefangen gehalten? Es war für Anders tatsächlich unverständlich, warum die Templer ihre eigenen Leute hier in dieser Hölle einsperrten. Und das, obwohl er sich eigentlich freuen sollte, dass Templer genauso litten, wie er selbst – aber der Geistheiler konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass neun von zehn Leuten hier unten gläubige Kirchenkrieger waren und er zermarterte sich das Gehirn darüber, welche Beweggründe nur dahinter stecken mochte. „Anders? Komm wieder runter…“, meinte Branwen schließlich und grinste ihn an. Der Blondschopf sah auf. „… was?“ „Du denkst zu viel nach. Hör einfach auf damit.“ „…ich soll nicht denken?“ „Zumindest nicht über die Sache.“ Branwen rutschte ein wenig zu ihm heran und beugte sich zu ihm rüber, so, dass weder Julius noch Oliver sie hören konnte: „Sie geben den Templern regelmäßig Lyrium. Sie mischen es in das Essen, damit sie nicht vollkommen wahnsinnig werden. Es ist nur wenig, aber genug, um sie am Leben zu erhalten.“ Die rehbraunen Augen des Magiers weiteten sich und er starrte die rothaarige Magierin neben sich sprachlos an. „Es stimmt. Sonst lägen sie doch schon alle sabbernd in der Ecke.“ …in Branwens Worten musste ein Funken Wahrheit stecken. Stirnrunzelnd blickte der Geistheiler auf seine eigene Schüssel… sie wurden ihnen bereits so gegeben, mit Essen drin. Da war es gut möglich zwei Stapel zu machen, einen für die Templer und einen für alle anderen. Die Templer Aeonars mussten demnach ganz genau wissen, wer hier unten was darstellte. „Warum machen sie das? Warum geben sie ihnen regelmäßig Lyrium…?“ „Wahrscheinlich, damit sie weiterhin arbeiten können.“ Branwen zuckte mit den Schultern und beugte sich wieder zurück; sie runzelte die Stirn ein wenig, dann aß sie einen Löffel ihres Eintopfes und fuhr fort: „Sie wollen irgendetwas finden. Ich habe keine Ahnung, was genau Magnus sucht, aber wir müssen es ausgraben. Es kann noch Jahrhunderte dauern, aber Aeonar wird wohl nie fallen.“ Jahre hier unten eingesperrt. Nie wieder das Tageslicht sehen. Anders bekam eine Gänsehaut und dies lag nicht an der Kälte, die hier unten herrschte. „Weißt du zufälligerweise, was genau?“ Branwen zuckte nur mit den Schultern und aß weiter. „In den Büchern, die ich im Zirkel gelesen habe, stand nichts darüber drin, was Tevinter hier einst gesucht hat und auch noch nicht einmal ein Hinweis darauf, was hier versteckt sein soll.“ „Wenn es so tief unten ist, dann muss es doch eigentlich mit den Tiefen Wegen zu tun haben“, sinnierte Anders, der ja mal Grauer Wächter gewesen war, „oder mit den Zwergen. Vielleicht ist es ein alter Thaig?“ „Vielleicht wollen sie auch einfach nur den nächsten Erzdämon vor der Dunklen Brut finden“, kicherte Julius, der wohl gelauscht hatte. „Aber im Endeffekt ist es ja auch egal, was wir ausgraben müssen: Fakt ist, dass wir es auch in den nächsten zwanzig Jahren wohl nicht finden werden!“ „Eher sterbe ich, als dass ich den Rest meines Lebens hier verbringe“, brummte Anders. „Erdbeerchen tut dir bestimmt den Gefallen“, kommentierte der Templer und der Blondschopf seufzte schwer auf; er würde niemals den Mut aufbringen, sich von dem roten Drachen freiwillig verspeisen zu lassen. Anders setzte das Gespräch nicht fort, sondern aß langsam weiter, bis seine Ohren das Donnern eines Tores vernahmen. Er blickte hoch, konnte das Geräusch aber nicht einordnen: In den Wochen, wo er bereits hier war, hatte er es noch nie gehört. Im Gegensatz zu ihm schienen Branwen, Julius und Oliver allerdings genau zu wissen, um was es sich handelte. „Heilige Scheiße…“, wisperte Julius. „Jetzt schon? Unser Blondschopf ist doch gerade mal ein paar Wochen hier!“ „Sie müssen wohl einen Glücksfang gemacht haben“, schnaubte Branwen aus. „Ich gehe ihn nicht holen.“ „Ich habe unseren Blondie gerettet!“, verteidigte sich Julius sofort und Oliver hielt sich dezent aus dem Gespräch raus. „…was? Wie?“ Anders blickte zwischen den beiden hin und her, setzte eine verwirrte Miene auf. „Ihn holen? Was genau meint ihr damit?“ „Naja… Hier wurde noch jemand reingeworfen“, erklärte Julius schulterzuckend. „Es ist echt seltsam, dass es schon so früh wieder passiert: Normalerweise kriegen wir ungefähr alle vier bis sechs Monate Zuwachs!“ „…und dieser jemand läuft jetzt ganz alleine durch die Gänge“, erkannte Anders und dachte an den Moment zurück, wo er selbst durch die steinernen Gänge getaumelt war, sich an den Wänden abgestützt und versucht hatte, nicht die Beherrschung zu verlieren. „Vollkommen richtig“, bestätigte Julius. „Wie wir alle einmal. Er wird seinen Weg schon finden, wenn ihn niemand holen kommt…“ „Warum hast du mich geholt?“, wollte Anders wissen und war schon halb am Aufstehen. Er wusste, wie schrecklich es war, alleine zu sein. Und der Heiler in ihm verbot es ihm, eine Person hilflos zurückzulassen. Julius grinste. „Mir war langweilig, und… he, warte! Wo willst du hin?“ Anders war aufgesprungen und ließ seine halb aufgegessene Schale einfach stehen; inzwischen kannte er sich in dem labyrinthartigen Gängen gut genug aus, um den Eingang wiederzufinden und rechtzeitig bei Julius‘ Zelle zu sein… das hoffte er zumindest. „Ich gehe ihn holen, wenn es keiner von euch tut“, bestimmte er, „mir hat immerhin auch jemand geholfen und ich finde es nur rechtens, wenn ich jetzt dem Neuen helfe!“ „Erdbeerchen wird bald losgelassen, Anders. Das ist Wahnsinn!“, zischte Branwen, die ebenfalls aufgestanden war und packte ihn am Arm, um ihn aufzuhalten. „Das ist mir egal.“, erwiderte der Blondschopf und schüttelte ihren Arm ab. „Ich muss es tun… versteht ihr denn nicht? Ich will nicht, dass diese Person bei ihrem ersten Tag stirbt. Ich war Heiler, bevor ich hierhin gekommen bin, ich muss einfach helfen… Ich… ich kann nicht anders.“ Julius und Branwen tauschten einen Blick. Dann kramte die Rothaarige ihren Schlüssel aus ihrer Tasche und meinte: „Meine Zelle befindet sich relativ nah am Eingang. Finde dort Schutz, wenn du es für nötig hältst.“ Anders starrte den kleinen, schwarzen Schlüssel mit offenen Mund an. Dann schloss er die Lippen wieder und schluckte schwer, griff jedoch nach dem verschnörkelten Teil. „Danke“, wisperte er und drückte Branwens Hand kurz, ehe er sich umdrehte, an der ruhigen Erdbeerchen vorbeimarschierte und sich anschließend auf den Weg zum Eingang machte. Er erkannte den Schatten der Person – jene hatte sich bereits ein wenig vorgewagt und hatte instinktiv den gleichen Weg eingeschlagen wie auch Anders, damals, als er hier gelandet war. Der Blondschopf war gelaufen; sehr schnell, denn Erdbeerchens Ruhezeit würde in wenigen Minuten enden und die Jagd würde eröffnet sein. Er umklammerte Branwens Schlüssel, als würde sein Leben davon abhängen und spürte das Gewicht seines eigenen in der Tasche seiner dünnen Hose – er hatte bisher keine Zeit wieder gehabt, ‚seine‘ Zelle zu suchen. Der Blondschopf trat vorsichtig auf die Person zu und rief dann: „Hey! Warte kurz.“ Die Person erstarrte und wandte sich um. Anders trat näher, bis er unter einer der Fackeln stand, um zu zeigen, dass er kein Feind war: Er hob die Hände. „Ich tue dir nichts. Ich bin hier, um dir zu helfen.“ Er würde es auf eine andere Art machen als Julius. Er würde die Person vorher beruhigen und ihr dann erklären, wie es auf Etage Drei ablief. „Wir müssen uns nur beeilen. Komm mit und dann erkläre ich dir alles ganz genau. Und außerdem…“ „Anders?“ Der Geistheiler erstarrte bei dem Klang der Stimme. Nein. Das… Das konnte nicht wahr sein. Dem Blondschopf wurde heiß und kalt zugleich… in den letzten drei Wochen hatte er kaum mehr an jene Person gedacht. Er hatte jene vergessen wollen, denn sie hatte ihm das Herz gebrochen. Der Schmerz machte das Leben hier unten nur noch unerträglicher, deswegen hatte er alles Quälende aus seinen Gedanken verbannt. Jetzt aber kam alles wieder hoch: Die Trauer und die Enttäuschung, die er verspürt hatte, als der Kommandant der Inquisitionstruppen ihn abgewiesen hatte. Die Wut, die durch Rache hergerührt hatte, die Verzweiflung, als er von der Himmelsfeste – von Cullen – weggerannt war. Es war unmöglich CULLEN, der gerade vor ihm stand. Der Kommandant hasste ihn doch – er hatte nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen. Sein Kopf spielte ihm einen Streich… wahrscheinlich hatte die Person vor ihm auch irgendetwas gesagt, und er hatte einfach nur seinen Namen verstanden. Wahrscheinlich gab er sich so langsam auch dem Wahnsinn hin, an dem die Standhaften allesamt litten. Der Blondschopf, den sein Herz bis zum Hals klopfte, schwitzte, doch er versuchte, sich zu beruhigen. Fieberhaft überlegte er, was er als nächstes sagen sollte, als die Person vor ihm ebenfalls in das Licht trat. Sie hatte eine Kopfwunde und ein paar Blessuren am ganzen Körper; die Augen blickten müde und das Gesicht war von einem strubbeligen Bart bedeckt, dennoch erkannte Anders den Kommandanten wieder. Wer wäre er denn, wenn er es nicht täte? Seine Lippen standen einen Spalt weit offen und zögernd näherte sich der Langhaarige dem Kurzhaarigen. Ganz, ganz langsam streckte er die Hand aus, um Sicherzugehen, dass dies gerade keine Halluzination war – das Cullen tatsächlich in Fleisch und Blut vor ihm stand. Der vertraute Geruch von Orange und Waffenöl stieg ihm in die Nase und er schluckte schwer auf: Er liebte diesen Geruch. „…Cullen?“ Die Frage verließ seinen Mund nur zögerlich und er traute sich kaum, näher ranzugehen. Seine Augen waren weit geöffnet und es schien, als würde die Zeit zwischen ihnen still stehen… oder kam es ihm nur so vor? Der Anderfelser wusste es nicht, aber ihm wurde auf einmal klar, wie sehr er den Kommandanten eigentlich vermisst hatte. Und dass jener jetzt hier war, bedeutete doch, dass er nach ihm gesucht hatte, richtig? Dass es Cullen nicht egal gewesen war, was aus ihm geworden war… Dem sensiblen Blondschopf standen Tränen in den Augen und er ging einen kleinen, weiteren Schritt vor, stand direkt vor dem Krieger und berührte dessen Brust, spürte das Herz Cullens schlagen, spürte dessen Wärme an seinen kalten Fingerspitzen. „Du bist hier…“, wisperte der Blondschopf ungläubig und hob den Kopf, um seinem Gegenüber in die Augen schauen zu können. „Du bist tatsächlich hier…“ Ihm fehlten die Worte und seine Emotionen überschwemmten ihn. Cullen hob die Hand und umschloss die kalten Finger Anders‘ damit. Sein Blick war nicht deutbar, aber es schien, als wäre er erleichtert, Anders zu sehen. Er öffnete den Mund und ein kleines, minimales Lächeln umspielte seine Lippen als er sagte: „…ja. Ich habe dich endlich gefunden.“ Kapitel 14: Ohne Worte ---------------------- Cullen folgte Anders durch die langen, nur spärlich beleuchteten Gänge des Magiergefängnisses. Der Blondschopf schritt voran und wirkte… anders, als noch vor sechs Wochen, wo sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Härter. Während der ehemalige Templer selbst immer wieder überlegte, wie er hier rauskommen sollte, schien der abgebrühte Magier seine Gefangennahme bereits akzeptiert zu haben – das, oder er hatte einen guten Plan zur Flucht. Doch Cullen wusste, aus Aeonar konnte man nicht fliehen. Das Gefängnis blickte auf Jahrhunderte von Geschichte zurück, und in dieser Zeit war niemals ein Magier aus dem berühmten Bauwerk entkommen. Wer einmal in Aeonar landete, kam nie wieder aus diesem Gefängnis heraus, das war der häufigste Satz, den man unter Templern und Magiern gleichermaßen munkelte. Ja, auch Templer kehrten nie wieder nach Hause zurück, wurden sie einmal beruflich nach Aeonar versetzt; doch selbst dies geschah nicht allzu häufig, denn kaum ein Templer war würdig genug, in dem berüchtigten Gefängnis zu arbeiten, wo sich die gefährlichsten Magier ganz Thedas‘ aufhielten. Und trotzdem war Aeonar verloren. Cullen hatte es mit eigenen Augen gesehen… das Rote Lyrium, das Besitz von Knight-Commander Magnus ergriffen und ihn kontrolliert hatte. Er hatte in dessen Augen den gleichen Wahnsinn gesehen, den er auch schon in Kirkwall bei der irren Meredith erlebt hatte, und der betretene Templer schluckte schwer, während er auf Anders‘ nackten Rücken starrte und beinahe schon automatisch einen Fuß vor den anderen setzte. Was der arme Anders die letzten Wochen hier wohl erlebt hatte? Der neugierige Krieger hatte das Bedürfnis, nachzufragen und er öffnete den Mund, holte tief Luft, aber der Langhaarige kam ihm zuvor: „Nicht“, wisperte er und legte einem Finger auf die spröden Lippen „Später.“. „Warum?“, flüsterte Cullen, der ja überhaupt nicht wusste, wie es in Aeonar so lief, zurück. Anders lächelte ein kaltes, beinahe schon traurig Lächeln und er erwiderte: „…du musst es Erdbeerchen ja nicht noch leichter machen, als so schon.“ Dann wandte sich der verschwörerische Magier wieder um und ging weiter. Der Kommandant war zuerst verdutzt stehen geblieben, doch dann eilte er Anders schnell hinterher, der schon um die nächste Ecke gebogen war. Erdbeerchen? Den wirren Soldat beschlich ein ungutes Gefühl, er nahm sich Anders‘ ernste Warnung zu Herzen und hielt vorerst lieber den Mund. Der Blondschopf war schon länger hier und würde wohl wissen, wann sie frei reden konnten und wann nicht. Sie gingen unter einer der wenigen brennenden Fackeln her, die an den Wänden angebracht waren (hoch genug, damit man sie nicht einmal mit einer Räuberleiter erreichen könnte, wie Cullen auffiel) und ihre Körper warfen dunkle Schatten an die schwarzen, feuchten Steinwände. Cullen fror und eine Gänsehaut zog sich über seinen nackten Oberkörper, irgendwo in der Ferne hörte er ein schwaches Knurren. Ein Knurren, das von einem wilden Tier stammen könnte. Dem Soldat brach förmlich der kalte Schweiß aus, obwohl er äußerlich recht ruhig wirkte und es fiel ihm schwer, sich zurückzuhalten und Anders zu fragen, was das gewesen sei. Stattdessen schaltete er sein rationales Denken ein und kam zu dem vagen Schluss, dass das Knurren wohl ‘Erdbeerchen‘ zuzuordnen sei, wobei er sich nicht ausmalen konnte, wer oder was dieses, nach einer Frucht benannte Tier, wohl sein könnte. Plötzlich blieb der wortkarge Anders vor einer Gittertür im Gang stehen und Cullen, der sich immer wieder aufmerksam umgeschaut hatte, lief beinahe in ihn hinein. „Vorsicht.“ Anders lachte ein wenig und holte dann einen kleinen, schwarzen Schlüssel hervor. Cullen beugte sich näher vor. Er kannte diesen Schlüssel, hatte ihn schon mal gesehen. Nein, nicht nur gesehen, er besaß selbst so einen! Mit absolutem Unglauben im Blick sah er dabei zu, wie Anders die schmale Zelle aufschloss und die quietschende Tür nach außen aufschwingen ließ. Dann trat der Blondschopf einen Schritt zur Seite und zeigte einladend hinein, meinte dabei: „Willkommen in Aeonar, Cullen.“ ~ „Ich habe den Schlüssel von Branwen“, erklärte Anders und lehnte sich an die Wand. Er und Cullen saßen sich in der Zelle gegenüber und der Blondschopf hatte den Templer gerade eben die wichtigsten Regeln in Aeonar beigebracht. Während jener gesprochen hatte, war der sonst so standhafte Kommandant immer blasser um die Nase geworden; er hatte zwischendurch seinen eigenen Schlüssel rausgeholt und ihn sich angeschaut, jenen wieder weggepackt, nur, um dann nervös nach draußen zu schauen, ob der Drache – Erdbeerchen – nicht vorbeikommen würde. Anders hatte ihm zwar versichert, dass sie hier in der Zelle sicher seien, doch so ganz konnte und wollte der Kurzhaarige das nicht glauben. Drachen waren mächtige, stolze Kreaturen, denen kaum jemand Einhalt bieten konnte! Ihre brennend heißen Feuerstürme wurden von jedem gefürchtet und es gab nur wenige Menschen, die Jagd auf sie machten, nur, um bei einem erlegten Drachen sehr viel Ruhm einzuheimsen und als Held gefeiert zu werden. Es waren die Tiere, nach denen das Zeitalter benannt worden war und sie wurden immer weniger… Und die Tatsache, dass die Templer von Aeonar es geschafft hatten, eine dieser Kreaturen zu zähmen und für ihre Zwecke zu missbrauchen, war so schrecklich, dass Cullen beinahe schlecht davon wurde, denn es zeugte von der Grausamkeit der Templer in Aeonar. Hatte er es tatsächlich einmal als eine Ehre empfunden, ein Templer in Aeonar zu sein? Cullen wurde bewusst, dass sie tatsächlich überhaupt nie etwas wirklich über das Gefängnis in Erfahrung gebracht hatten, sondern immer nur irgendwelchen… Gerüchten (ja, denn das waren sie im Endeffekt!) Glauben geschenkt hatten. Der Krieger fühlte sich schlecht und er merkte, wie… wütend er wurde. Ja, wütend. Darüber, dass sich Aeonar als eine Lüge entpuppt hatte; und der Soldat wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er die Wahrheit an den Rest der Welt tragen könnte. „Wir müssen hier raus“, sprach der Kurzhaarige seinen nächsten Gedanken laut aus. Anders blickte hoch und runzelte die Stirn. „Das habe ich anfangs auch gesagt“, meinte der Blondschopf schließlich und lächelte schwach. „Du bist hier reingekommen, wie ich. Fünf Türen am Eingang, drei Etagen, ungefähr fünfzig bis hundert Templer, die einen bewachen und dann noch Erdbeerchen… Eine Flucht würde uns niemals gelingen.“ „Wir brauchen die Schlüssel für die Türen oben“, meinte Cullen und lehnte den Kopf an die steinerne Wand, blickte zur Decke. „Und es gibt fünf verschiedene Templer, die jeweils einen besitzen. Haben sie hier unten Wache?“ Anders schien eine Weile zu überlegen und meinte dann: „Weiß ich nicht. Ich weiß noch nicht, wer die Schlüssel hat.“ Cullen runzelte die Stirn und legte die Fingerkuppen aneinander. „Ich habe das Gefühl, dass sie die Besitzer der Schlüssel sogar wöchentlich wechseln. Oder monatlich. Eben, damit man nicht herausfindet, wer genau einen Schlüssel hat. Ich habe mir zwar die Besitzer gemerkt, die bei mir die Türen aufgeschlossen hat, aber so, wie ich den Commander einschätze und was ich bisher den Eindruck von Aeonar habe… Kann ich mir gut vorstellen, dass das heute schon wer anders ist.“ Aeonar war bekannt dafür, dass niemand ausbrechen konnte. Und deswegen würde Cullen auch genau auf solche Vorsichtsmaßnahmen tippen, eben, um alles noch einmal zu erschweren. Der Krieger kniff die Augen zusammen und meinte dann: „Gegen Erdbeerchen könnte man sich wehren.“ Er lächelte leicht. „Erdbeerchen ist blind und taub hast du mir erzählt, nicht wahr? Das heißt, sie muss sich auf ihren Geruchssinn verlassen… aber was wäre, wenn wir so riechen, wie sie?“ Er bemerkte, wie Anders ein wenig näher rückte - der Blondschopf schien ziemlich interessiert zu sein. „Man könnte das mal ausprobieren“, sinnierte Cullen weiter, während der Blondschopf immer weiter zu ihm rückte, bis jener neben ihm saß. „Man könnte sich mit dem Speichel einreiben, um den Drachengeruch anzunehmen und dann mal schauen, ob Erdbeerchen einen bemerkt oder nicht!“ „Du bist verrückt“, lachte Anders und knuffte ihn leicht in die Schulter. „Vielleicht. Aber es wäre eine Möglichkeit, dem Drachen zu entkommen“, erwiderte Cullen. „Zwischen den Arbeitszeiten kann man das ausprobieren.“ „Und dann wirst du gefressen.“ Es war klar, dass Anders von dem Plan ziemlich wenig hielt, doch der Soldat selbst war erstaunlicherweise guter Dinge. Er richtete sich wieder auf, blickte dem langhaarigen Magier direkt in die Augen. „Anders“, sagte er mit seinem fereldischen Akzent. „Ich möchte hier nicht meinen Lebtag verbringen! Ich kann jetzt auch sagen, wir warten zwei Wochen und dann wird die Inquisitorin uns suchen. Aber darauf können und sollten wir uns nicht verlassen… ich habe immerhin auch sechs Wochen gebraucht, um dich zu finden und das war mehr Glück, als wirkliches Können. Wir müssen hier rauskommen, Anders! Ich will gar nicht wissen, was noch so alles passiert…“ Der Angesprochene blickte Cullen mit einem schon fast melodisch-traurigen Blick an und der Blonde wisperte: „…du wirst noch viel erleben müssen, Cullen. Etage Drei härtet ab… ob im negativen oder im positiven Sinne ist fragwürdig.“ Der Blondschopf schlug die Augen nieder und Cullen runzelte die Stirn. Verheimlichte er ihm etwas? „Anders…?“ „Morgen wirst du die anderen kennenlernen“, meinte der Langhaarige schließlich. Cullen nickte und sagte dann: „In Ordnung. Ich bin gespannt.“ „Sie sind nett. Du wirst sie mögen“, fuhr der Magier fort und zog die Knie an den Körper. Cullen nickte daraufhin nur und starrte dann auf den Boden. Einen kurzen Moment schwiegen die beide, dann fing der Kommandant wieder an: „…ich dachte, du würdest mich schlagen und treten, wenn du mich siehst. Du bist ja auch so wütend aus dem Büro gestürmt… damals.“ Anders schwieg daraufhin erst und dann auch so lange, dass Cullen glaubte, dass der Blonde darauf nicht mehr antworten würde. Doch dann kam die überraschende Antwort: „Ich war sauer. Und wütend. Und enttäuscht und verletzt. Und ich habe dich gehasst, doch… als ich erkannt habe, dass du da standest, als ich gemerkt habe, dass du mich gesucht hast… Da ist alles verschwunden.“ Anders wisperte so leise, dass Cullen sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen. Er spürte, wie… schwer es gerade für den blonden Magier war, dies zuzugeben und der Kommandant dachte an ihr letztes Gespräch zurück. Das in der Himmelsfeste. Er sollte etwas sagen. Irgendetwas, aber er tat es nicht; also lehnte er sich wieder zurück. Der Kurzhaarige ahnte, dass sein Verhalten unangebracht war, nicht wirklich… richtig. Sogar sein Gefühl sagte ihm das, aber er konnte es nicht verhindern. Irgendwie war da eine Blockade in ihm, die er nicht überwinden konnte – zu was auch immer er sich überwinden wollte; er wusste es ja selbst nicht so genau. Und dann spürte er eine Hand auf seiner Wange. Der Krieger erstarrte und hielt den Atem an, sein Herz pochte bis zum Hals. Er schluckte, spürte den Kloß in seinem Hals, dann, wie Anders sich vorsichtig an ihn ran schmiegte. Anders ging vorsichtig vor, beinahe schon fragend, während er sich ihm langsam näherte und der Soldat selbst… der war wie erstarrt. Sein Mund stand einen Spalt weit offen und sein Atem ging schneller. Anders rieb seine Nase an der seinen und war ihm somit ziemlich nahe. Und dennoch schob der Cullen den aufdringlichen Magier nicht von sich, sondern erwischte sich dabei, die Augen sogar ein wenig zu schließen. Anders kam ihm näher und ihre Lippen berührten sich, ganz leicht – es glich eher dem Hauch einer Berührung und der Kommandant seufzte schwer aus …warum entkam er diesem blonden Gift nicht?! „Ich habe dich vermisst“, wisperte Anders gegen seine Lippen und vertiefte anschließend den Kuss. Und Cullen… Cullen legte seine Hände ein wenig ungeschickt auf dessen Hüften und erwiderte ihn. Kapitel 15: Wiedersehen mit Brutus ---------------------------------- Ein Gong weckte Cullen am nächsten Morgen. Der Kommandant der Inquisition setzte sich schockiert auf: Dabei plumpste Anders, der den Kopf friedlich auf seiner Brust gebettet hatte, unsanft zu Boden – auf den harten, kalten Steinen - und hatte somit keinen angenehmeren Start in den Tag als der ehemalige Templer. „Hast du das gehört?“, wisperte Cullen hektisch und rappelte sich auf. Alles tat ihm weh und seine Hose hing ihm schief von den Hüften. Während der Mann zu den Gitterstäben ging, zog er sie hoch und band sie fest, ehe er vorsichtig nach draußen linste. Die Dunkelheit wurde von den Fackeln an den Wänden vertrieben, dennoch reichte das Dämmerlicht nicht aus, um in weiter Ferne etwas zu erkennen – abgesehen davon machte der Gang nach ein paar Metern eine Biegung. „Das war der Gong, der uns zum Arbeiten ruft“, erwiderte Anders und rieb sich die verschlafenen Augen ein wenig. Zum ersten Mal seit langem hatte der Magier erstaunlich gut geschlafen und mit einem leicht verträumten Blick starrte er die hübsche Rückansicht Cullens an, während er sich seine eigene, von der ständigen Arbeit schon arg mitgenommene, Hose zuband. Es war eine gute Nacht für sie beide gewesen: Erfüllend, entspannend, wohlig… Zumindest Anders hatte sich so gefüllt – wortwörtlich, hah! – und als sie dann, dicht aneinander gekuschelt, eingeschlafen waren, hatte sich der Blondschopf beinahe so gefühlt, wie damals in der Himmelsfeste. Aber eben nur beinahe, denn die schwarzen Mauern mit der glatten Oberfläche konnte man nur schwer ausblenden. Zum ersten Mal war Anders gut gelaunt, als er ebenfalls aufstand, während Cullen sich augenscheinlich zu einem absoluten Nervenbündel verwandelte. Der langhaarige Blondschopf hingegen war tiefenentspannt und erklärte mit normal lauter Stimme: „Wir sollten jetzt gehen, oder wir bekommen Ärger. Komm mit.“ „Mitkommen?“ Cullen sah verdutzt zu, wie Anders die Gittertür der kleinen Zelle öffnete und nach draußen ging. „Natürlich. Außerdem sollst du doch die anderen kennen lernen…“ Der Magier schenkte dem Templer ein Lächeln und Cullen fragte sich gerade, ob er noch träumte, oder einfach nur etwas verpasst hatte. Ja, vielleicht war er auch mehrere Tage ohnmächtig gewesen oder hatte sich gestern den Kopf angeschlagen... „…warum bist du so… unbeschwert?“, fragte der Templer schließlich, während er dem Blondschopf durch die langen, spärlich beleuchteten Gänge folgte. „Ich weiß es nicht“, antwortete Anders. Dann aber blieb er plötzlich stehen, sodass Cullen ihn beinahe umgerannt hätte, und wandte sich zu dem Templer um, erwischte ihn an den nackten Schultern. „Vielleicht, weil du hier bist“, murmelte der Langhaarige, schlug die rehbraunen Augen nieder und kam Cullen erneut bedrohlich nahe. „Ich habe anfangs geglaubt, ich sei dir egal… so, wie du mich damals abgewiesen hast. Ich war so wütend und enttäuscht wegen dir… und dann landete ich an diesem furchtbaren Ort, wusste nicht, wo mir der Kopf stand, war so verdammt verzweifelt… Und dann tauchst du wieder auf, weil du mich gesucht hast. Du glaubst gar nicht, wie viel mir diese einzelne Geste bedeutet hat, Cullen.“ Der Templer wusste nicht so recht, was er erwidern sollte, außer: „Du… bist mir wichtig.“ Anders schenkte ihm ein typisches Sonnenscheinlächeln, doch Cullen erkannte sofort, dass es seine treuen, großen Augen nicht wirklich erreichte. Der Blondschopf stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Cullen so, wie sie sich in der Nacht geküsst hatten. Stürmisch. Leidenschaftlich. Als wäre es ihr letzter Kuss. „Dieses Gefängnis ist immer noch das Schrecklichste auf der Welt“, murmelte der Magier, nachdem sich die beiden Männer wieder voneinander gelöst hatten. „Aber jetzt bist du hier und ich habe das Gefühl, dass ich dem Schrecken trotzig das Kinn entgegenstrecken kann, die Hände in die Hüfte gestemmt und mit stolzem Blick.“ Anders fasste Cullen am stoppeligen Kinn und zog ihn zu sich hinab – ihre Nasenspitzen berührten sich beinahe und der Templer spürte den warmen Atem des Magiers in seinem geröteten Gesicht. „Du wirst der Grund sein, Cullen. Ich lasse mich von diesem Gefängnis nicht brechen, egal, was passieren wird.“ Dies waren… starke Worte und der Templer schluckte schwer: Ein Kloß steckte in seinem Hals und es schien, als wäre er kaum mehr in der Lage zu sprechen. Warum nur war ER der Grund dafür, dass Anders so verdammt stark wurde? Und warum schaffte Cullen es schlecht, die Nerven zu bewahren und ebenfalls so zu denken? Lag es an den Wochen, die Anders bereits hier unten verbracht hatte, oder… Liebte der Blondschopf ihn wirklich? Cullen… vermochte es nicht zu sagen und er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, schlug die haselnussbraunen Augen nieder: Er schaffte es nicht, dem Magier so lange in die Augen zu sehen, in dessen tiefenschwarzer Pupille er sein eigenes Spiegelbild erkannte: Blass, mit Tränensäcken unter den Augen und von Erschöpfung gezeichnet. „Wir werden von einem Drachen verfolgt, müssen tagsüber schwere Arbeit verrichten und uns nachts selbst einsperren… Dazu die bedrückende Antimagie überall. Wie hast du es die ersten Wochen ausgehalten?“ Anders zögerte, schlug die Augen, umrahmt von unnatürlich langen, schwarzen Wimpern, nieder, dann gab er zu: „Ich hatte… Hilfe. Bekannte. Ich möchte sie nicht Freunde nennen, denn sie würden mich wohl verraten, wenn ich etwas Illegales vorhabe. Sie nennen sich selbst die Standhaften… und sie sind… geschädigt, weil sie schon so lange hier unten sind.“ Cullen nickte, dann streckte er die Hände aus und ergriff Anders an den Oberarmen. „…lass uns gehen. Ich will die anderen kennenlernen“, wisperte er und der Magier nickte, ließ Cullens Kinn los. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. ~ „Ihr habt es geschafft!“ Branwen sah beinahe schon so aus, als wolle sie Anders um den Hals fallen, aber sie ließ es dann doch, als sie den Blick Cullens bemerkte, der hinter ihm stand und die Stirn runzelte. „Ähm…“, machte die Magierin und streckte die Hand verunsichert aus. „Branwen, oder Bran, wie alle mich hier nennen. Nett, dich kennen zu lernen.“ „Von dir hat Anders den Schlüssel“, sagte der Templer und seine kalten Finger schlossen sich um die des Mädchens. Cullen drückte nicht wirklich zu, aus Angst, die schmalen Knochen der dünnen Magierin zu zerbrechen. „Du hast uns damit das Leben gerettet.“ „Mehr oder weniger“, grinste sie und stemmte die Hände in die Hüften. „Und ich war ja nie in Gefahr. Ich bin bei Julius unter gekommen!“ Sie zeigte mit dem ausgestreckten Daumen über die Schulter und der besagte Mann sah auf, als er seinen Namen hörte. „Hat der Blondschopf es doch geschafft…“, murmelte er einfach nur und schüttelte ungläubig den Kopf, als habe besagter Mann ihm gerade offenbart, er könne sich in einen Drachen verwandeln. „Aber gut. Komm mit uns, wir können noch Hilfe gebrauchen.“ Er klopfte Cullen auf die Schulter und deutete dann in einen der Gänge, in dem sie anscheinend arbeiteten. Mit einem skeptischen Blick nahm Cullen die Spitzhacke, die man ihm gab, in die Hand und betrachtete den Templer vor sich ganz genau. Knight-Commander Magnus hatte einen seltsamen, leeren Blick besessen, durchzogen von roten Adern. Die fast schwarze Pupille hatte sich in das Gedächtnis des Templers eingebrannt, doch dieser hier vor ihm besaß normale, erstaunlich hübscher grün-blaue Augen, soweit der Kommandant der Inquisitonstruppen das durch das spärliche Licht beurteilen konnte. Langsam ging er weiter, aber er wandte den Kopf, um sich umzusehen. Erdbeerchen lag genüsslich in der Höhle und die meisten hielten einen respektvollen Abstand zu ihr. Es war das erste Mal, dass Cullen die Drachendame in voller Pracht sah und als er die roten Schuppen erkannte, kam in ihm das Bild des Drachens auf, der ihn und seine Leute im Frostgipfelgebirge angefallen hatte. …die Schuppen hatten die gleiche Farbe besessen und die Größe des Drachens konnte auch hinkommen. Der wesentliche Unterschied bestand eigentlich nur darin, dass Erdbeerchens Augen milchig weiß, blass getrübt, waren und sie nichts sehen konnte – aber dafür wahrscheinlich umso besser riechen. Cullen beschlich ein mulmiges Gefühl und er ging mit Julius mit, Anders dicht hinter ihm. „Dieser Drache…“, fing er langsam an. „Erdbeerchen? Sie ist zahm, solange wir hier arbeiten. Brutus hat sie unter Kontrolle.“ „Brutus?“ „Das Narbengesicht.“ Cullen glaubte, sich schwach zu erinnern, aber er konnte es nicht hundertprozentig sagen. Doch es war ihm auch egal, denn ihm ging es nicht darum, wer der Herr des blinden Drachens war, sondern eher um etwas ganz anderes: „Ich habe auf meinen Weg hierhin einen anderen Drachen getroffen. Er wirkte… nicht sehr erfreut.“ „Das kann gut möglich sein“, erwiderte Julius schulterzuckend, grinste ihn aber an. „In den Gebirgen gibt es Drachen!“ „Er war sehr wütend“, fuhr Cullen fort, ohne auf den Mann zu hören. „Und hatte die gleiche Schuppenfarbe. Das sind viele Zufälle, wenn man mich fragt… und es scheint so, als sei eine Mutter seit Jahren auf der vergeblichen Suche nach ihrem Jungen.“ „Interessante These“, mischte sich Branwen ein. „Und was nützt uns das?“ „Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis…“ „Nein“, unterbrach Julius ihn sofort und blieb stehen. Er legte eine Hand auf den rauen Stein und fuhr fort: „Dies hier ist eine uneinnehmbare Festung. Wenn Drachen sie zerstören könnten, hätte Erdbeerchen sich wohl schon lange einen Weg raus gebahnt.“ „Geht weiter“, brummte Anders. „Ich will nicht geschlagen werden.“ Cullen sah zu dem Templer, der sich ihnen schon näherte und eine böse Miene aufgesetzt hatte, um sie wohl einzuschüchtern, und gemeinsam setzte sich das kleine Trüppchen wieder in Bewegung. „Außerdem“, murmelte der Magier Cullen zu, erwischte ihn an der Schulter. „Solltest du hier nicht so rumposaunen. Die Templer mögen das nicht.“ Der Angesprochene seufzte aus und lief beinahe in Julius herein, als jener stehen blieb: Sie waren am Ende angekommen. „Los geht’s“, brummte der starke Mann und hob seine Spitzhacke. Cullen ergab sich seinem Schicksal und stellte sich neben ihn, packte das Werkzeug und schwang es über seinen Kopf. Dann, eine Sekunde später, ließ er es auf den schwarzen Stein niederkrachen: Ein Stück brach heraus und der Stein bekam ein paar leichte Risse. Als der Kurzhaarige zur Seite blickte, sah er, dass Julius mit geschulten Bewegungen Stein um Stein abtrug, dennoch wirkte etwas… anders an ihm. Klack. Ein weiterer Hieb und dieses Mal wurde Cullen beinahe von den herausspringenden Steinen am Auge getroffen. Klack. Er linste wieder zu Julius und seine geschulten Augen erkannten Muskeln, die unmöglich von den wenigen Wochen – oder Monaten – der Arbeit hier unten kommen konnten. Klack. Julius hielt die Spitzhacke wie Cullen, während sich Anders neben ihm eindeutig ungeschickter anstellte, obwohl sich jener schon sechs Wochen hier unten befand. Klack. Branwen sammelte die Steine auf und warf die in den Wagon, den die Templer geschoben hatten und immer, wenn sie einen warf, entstand ein lautes Klonk. Klack. Niemand sprach und nach wenigen Schlägen wurde es Cullen heiß: Bald würde er anfangen zu Schwitzen. Klack. Branwen und Anders waren Magier und gingen gebückter, so, als würden sie einen unerträglich hohe Last auf den Schultern tragen. Cullen hingegen spürte von der Antimagie nicht das Geringste und auch Julius schien keine Probleme zu haben. Klack. „…beim Erbauer…“, wisperte Cullen und hielt einen Augenblick lang inne, starrte den Mann neben sich an. Klack. Julius neben ihm spürte sein Zögern, sah ihn an und formte mit den Lippen ein „Weitermachen“. Aber Cullen machte nicht weiter, sondern ließ die Spitzhacke sinken. Klack. Bevor sich der schwitzende Templer umdrehen konnte, spürte er einen plötzlichen, brennenden Schmerz in seinem Kreuz. Scharf zog jener an seinem Rückgrat hinab wie eine beißende Säge. Cullen stöhnte gequält auf und ging schwer auf die Knie, während ihm warmes, dunkles Blut über die Haut lief und auf den harten, steinernen Boden tropfte. Der Grund war kalt, zu Knien war unangenehm. Der versehrte Mann keuchte verhalten und biss sich auf die blasser gewordenen Lippen, gab keinen einzigen Schmerzenslaut mehr von sich. Er wollte sich diese Blöße nicht geben, seinem Peiniger die Genugtuung nicht gönnen. „Soso… du hast also überlebt.“ Das ständige Hämmern der Spitzhacken hörte auf und Cullen hob den Kopf, linste über die Schulter hinweg zu dem Narbengesicht, das dort stand. Der brennende Schmerz in seinem Rücken schien sich noch mehr zu entfachen, aus dem Funken war ein Feuer geworden: Jetzt erinnerte sich der Fereldener wieder ganz deutlich an den Templer, der soeben seine lange Peitsche durch die Hände gleiten ließ. Ein spöttisches Grinsen zierte seine dünnen, blutleeren Lippen. „Das wird interessant… Hat man dir nicht die Regeln erklärt? Du wirst nicht aufhören zu hämmern, bis wir es dir sagen, verstanden!“ Cullen antwortete nicht. Stattdessen richtete er sich langsam auf und hielt den Rücken gekrümmt, weil der brennende Schmerz durch seine Adern tobte: Würde er sich strecken, würde er nur noch größere Schmerzen erleben, gepaart mit einer Flutwelle von Blut, die über seinen Rücken auf den Boden schwappen würde. Die Haselnussaugen des Templers verengten sich zu Schlitzen und fixierten das Narbengesicht, fixierten die Peitsche, dieses verhasste Objekt: Kaum in Templer kämpfte mit einer Peitsche, doch Brutus schien sich mit ihr mehr als nur wohl zu fühlen. Und man sah dem Mann in der schwarzen, schweren Rüstung an, dass er sich nicht geziemte, die Peitsche erneut gegen Cullen einzusetzen und dann gegen Stellen, die viel mehr wehtaten, als der Rücken. Weder Anders, noch Julius oder Branwen traten ein, sondern standen nur da, den Blick auf den Boden gerichtet. Nur Anders besaß ein wütendes Funkeln, aber… niemand traute sich, etwas gegen das Narbengesicht zu sagen. Der Blick des Kurzhaarigen fiel auf den kleinen, schwarzen, glänzenden, verschnörkelten Schlüssel, den das Narbengesicht am Gürtel trug und er fuhr sich mit seiner Zunge über die trockenen, aufgesprungenen Lippen. Das hier war Nummer Eins… der erste Schlüssel für ihre Freiheit. „Ich fragte: Hast du verstanden?“ Cullen hob den Blick und sah dem Narbengesicht tief in die Augen. Sein eigener Blick schien leer zu sein, doch eine frostige Kälte umgab Cullen, der die Hände zu Fäusten geballt hatte, um Brutus nicht zu zeigen, wie sehr der Schmerz durch seinen Körper tobte, sich ausbreitete. „Ja“, gab er anschließend von sich. „Ja, Ser“, korrigierte das Narbengesicht ihn. Der Fereldener nickte nur. Brutus schien gerade eben zu überlegen, ob er ihn noch weiter quälen sollte, dann aber wandte er sich ab und befahl dem anwesenden Aufpasser: „Sorg dafür, dass sie durcharbeiten, verstanden?“ „Ja, Ser!“ Der Templer salutierte und seine schwarze Rüstung klapperte und glänzte im Schein der Öllampe, die ihnen Licht spendete. Das Narbengesicht ging von dannen und Anders trat zu Cullen, streckte die Hand aus, als würde er nach einem verletzten Tier schauen wollen. „Nein“, warnte der Kurzhaarige ihn und Anders‘ Hand erstarrte in der Luft. „Ich komme schon klar.“ Er richtete sich endgültig auf und zog die Luft scharf durch die Zähne ein. Der Peitschenhieb schmerzte, aber Cullen wusste, sie BRAUCHTEN die Arbeiter hier unten und würden noch dafür sorgen, dass er verarztet werden würde – zumindest hoffe er das. Der Kurzhaarige nahm seine Spitzhacke, die er fallen gelassen hatte, wieder auf und sah der schwarzen, steinernen Wand entgegen, die sich vor ihm erhob, spöttisch, höhnisch… Er umklammerte den Holzgriff so stark, dass die Knöchel weiß hervortraten, dann schlug er die Augen nieder, nahm seinen Platz ein und hob die Spitzhacke über seinen Kopf. Die ganze Zeit, während er hämmerte, malte er sich aus, wie er dem Narbengesicht am besten seinen Schlüssel stehlen konnte… Hosted by Animexx e.V. 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