Hall of Mirrors von Asmodina ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es ist so still um mich herum. Kein Laut, kein Ruf und auch kein Schritt. Es ist kalt hier auf dem alten Dachboden, welchen schon seit Jahren kein Mensch mehr betreten hat. Durch das verstaubte Fenster dringt das silberne Leuchten des Mondes, begleitet von einem kühlen Wind. Nun stehe ich hier allein und starre wie gebannt auf den Holzbalken vor mir. Seine Aufgabe ist es, das Dach vor dem Einsturz zu bewahren, doch heute Nacht soll er noch eine andere Funktion bekommen. Meine Hand zittert, doch ich weiche nicht zurück. Es muss sein, es gibt keinen anderen Ausweg. Ein letztes Mal atme ich tief durch, dann steige ich auf einen Stuhl und binde das Seil in meiner Hand um den Balken. Die Schlinge legt sich um meinen Hals, ein letztes „Auf Wiedersehen“ und der Schritt nach vorne. Ein brennender Schmerz fährt durch meine Glieder, der Strick zerdrückt die Luftröhre. Es tut sehr weh, Sekunden erscheinen wie Stunden, doch es ist egal… Ich schließe die Augen und betrete meinen letzten Weg. Als ich wieder erwache, liegt mein Körper auf glattem, schwarzem Grund, der einer Tanzfläche gleicht. Um mich herum stehen Spiegel; abertausende Spiegel. Sie scheinen jede meiner Bewegungen auf das Genaueste einzufangen. Ich stehe auf und blicke mich erstaunt um. Niemals glaubte ich, etwas über das Leben nach dem Tod zu wissen, aber so hatte ich mir das Danach nicht vorgestellt; als eine Halle voller Spiegel. Langsam gehe ich weiter, ohne zu wissen, wohin. Es ist auch schwer, sich zu orientieren, wenn alles um einen herum verspiegelt ist. Plötzlich fesselt ein Geräusch meine Aufmerksamkeit, ich bleibe stehen. Nur langsam erkennt mein Gehör, dass es sich um kraftvolle, laute, aber dennoch wohlklingende Klaviertöne handelt. Wer spielt an diesem seltsamen Ort solch wundervolle Musik? Neugierig folge ich den Klängen, was in einem Meer aus Spiegeln nicht einfach ist. Egal, wohin ich blicke, von überall lächelt mir mein eigenes Spiegelbild entgegen. Endlich werden die Klänge lauter und ich beschleunige meinen Schritt. Plötzlich bleibe ich wie angewurzelt stehen und wäre beinahe gestürzt: Vor meinen Augen steht ein großer, schneeweißer Flügel, aus dem diese herrliche Musik emporschwebt. Die spielende Person sehe ich nur von hinten: Schulterlange, schwarze Haare, von denen eine winzige Strähne weiß gefärbt ist, fließen wie glatte Seide den schlanken Rücken hinab. Dieser ist nur von einem Netzhemd bedeckt, welches erst an einer schwarzen Lackhose endet. Jene zeichnet seine dürren Beine mehr als deutlich ab, ohne jedoch morbide zu wirken. Die blasse Haut kann ich im fahlen Licht sehr deutlich erkennen. Dieser Anblick raubt mir die Sinne und es dauert einige Minuten, bis ich merke, dass dieser Mensch nicht nur Klavier spielt, sondern auch singt. Erschrocken mache ich einen Schritt rückwärts und stolpere. Diese Stimme ist mir bekannt, sehr bekannt sogar… „Das kann doch nicht sein“ murmele ich und bemühe mich um Fassung. Die Person unterbricht ihr Spiel und steht auf. Quälend langsam dreht sie sich zu mir um und mit jedem Zentimeter des offenbarten Gesichtes werde ich bleicher. Diese Person ist mir bekannt… Auf Erden genoss sie meine ganze Bewunderung. „Rozz“ flüstere ich und wage nicht, mich zu rühren, „Rozz Williams!“ „Ja, das bin ich“ antwortet er und reicht mir seine Hand. Trotz der Umstände ist sie angenehm warm. „Dann bin ich also tot“ frage ich ohne Angst. Immerhin hatte ich diesen Zustand selbst herbeigeführt und obwohl es vielleicht niemand glauben mag; Ich war in Vollbesitz meiner geistigen Kräfte! Doch Rozz schüttelt den Kopf: „Nein, das bist du NOCH nicht“ Ich bin überrascht, frage aber mit ruhiger Stimme: „Und wo bin ich dann?“ Ich schaue ihn dabei an, sein Anblick lässt meine Knie weich werden, „ich meine, wo sind wir?“ Mein Tonfall klingt ein wenig ängstlich, obwohl es eigentlich unsinnig ist. „Wir sind in der Zwischenwelt, irgendwo dort, wo Liebe und Tod sich umarmen! Und ich bin hier, um dich von dieser Dummheit abzuhalten.“ „Welche Dummheit?“ Diese Frage hätte ich besser nicht stellen sollen, denn seine Augen funkelten zornig und die Hand bebte. „Vom Selbstmord“, brüllt Rozz und ich bin dankbar, dass ich keine Schmerzen mehr empfinden kann. „Ich habe damals genauso gedacht, alles schien aussichtslos und ohne Liebe. Zu allem Übel habe ich versucht, diese Hoffnungslosigkeit durch Alkohol und Drogen zu betäuben. Aber alles, was sie mir zeigten, war der Weg in die manische Depression, welche zu einem großen Teil meine Ehe zerstörte. Ich konnte und wollte einfach nicht mehr, zumal Eva damals anfing, religiös zu werden. Ihr Gerede über Gott brachte das Fass zum Überlaufen, denn du weißt ja, wie sehr ich den christlichen Glauben im Leben verabscheute, weil ich mich durch ihn eingeengt gefühlt habe. Meine Parodien auf der Bühne zeugen ausreichend davon; wegen der ganzen Streitereien zweifelte ich an ihrer Zuneigung und übersah die Bestätigungen sowie ihre Liebe zu mir. Erst, als meine Seele den Körper schon längst verlassen hatte wurde mir klar, wie viele Tränen meinetwegen flossen. Denn ich weiß sehr wohl, das sie noch heute an meinem Todestag eine Kerze anzündet.“ Er senkte den Kopf, aber dennoch erwiderte ich: „Bei mir ist die Situation eine andere“ entgegnete ich und senke den Blick. "Ich bin ein Wesen, das ohne Liebe und Wärme nur schwerlich existieren kann. Aber alles, was ich um mich herum spüre, ist tiefer Hass und eisige Kälte. Und Verzeihen gibt es nicht!“ Heiße Tränen der Sehnsucht rollen über meine Wangen, Rozz nimmt mich in den Arm und streichelt mir übers Haar. „Ich will nicht mehr leben!“ „Mir ging es damals gefühlsmäßig nicht anders, gerade dann, als Eva mich verließ“, erwiderte er traurig, „aber ich kann dich nur beschwören; wirf dein Leben nicht weg!“ Leise Musik dringt an mein Ohr, ich kenne die Melodie sehr genau. Rozz nimmt sanft meine Hand und wir gleiten im Takt davon. Ich fühle mich leicht wie eine Feder und geborgen wie eine Geliebte. Mein Herz „klopft“, alles scheint so einfach. Ich schaue tief in seine Augen, verliere mich, wie ich mich noch nie zuvor verloren habe. Meine Hand streichelt die kaum bedeckte Brust, unsere Lippen sind sich nahe. Endlich küsst Rozz mich und ich erwidere. Die Zungen kämpfen und wer siegt? Ein Flüstern: „Ich verliebe mich!“ Mit Schmerzen im Blick schaut er mich an, unbemerkt ist das Loch, welches sich unter mir öffnet. Er fleht: „Verzeih mir“ und stößt mich hinein. Mit einem Schrei stürze ich in die Tiefe, Tränen und Trauer vermischen sich mit der Frage nach dem Warum. Wieder öffne ich die Augen und atme keuchend aus. Mein Körper liegt auf den Brettern des Dachbodens - war alles nur ein Traum? Ich schaue zu dem Balken, dort baumelt der Strick… er ist gerissen. Nun lebe ich qualvoll, doch niemals ist die Halle der Spiegel vergessen. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)