Herzschlag I von DieJESSYcA (Miss Paine) ================================================================================ 017 – Heimat ------------ Mein Platz war nicht in Minneapolis, nicht in Louisiana oder Mississippi, er war hier. „Sofia? Bist du noch hier?“ Ich ging ein paar Schritte. Natürlich war sie fort. Warum hätte sie warten sollen? „Sofia!“, schrie ich in die Dunkelheit. „Ruhe da unten!“, wetterte jemand von irgendwoher und knallte die Fensterläden zu. Sollte ich laufen? Versuchen, Sofia zu finden? Falls sie die Stadt schon verlassen hatte, würde ich sie nicht mehr einholen. Ich konnte die Nacht im Hotel verbringen und morgen den Heimweg antreten. Möglich war es, aber mir fehlte die Ruhe. Ich war aufgekratzt, todmüde und unfähig mich in ein Bett zu begeben, also lief ich. Zurück über den Rathausplatz, Richtung Bahnhof und von dort aus der Stadt, bis ich die letzte Laterne erreicht hatte. Keine Spur von ihr. Die Luft war kühl und klar. Ich konnte den Weg vor mir sehen, der mich zurück zu Sofias Haus bringen würde. Es war so schrecklich weit und eine Nacht im Hotel zu verbringen, klang immer verlockender. „Ist es nicht ein wenig spät für einen Spaziergang?“ Meine Nackenhaare stellten sich blitzartig auf und der Schauer rannte meinen Körper hinab, als ich mich umdrehte. Sofia stand nur ein paar Fuß entfernt. Vielleicht war sie mein Untergang, vielleicht meine Rettung. Ich musste das Risiko eingehen. „Du bist noch da.“ Ich war erleichtert. „Nein, du bist noch da. Ich dachte, du wolltest uns verlassen.“ „Das wollte ich. Aber ... darf ich meinen Abschied zurücknehmen?“ Sie sagte nichts und ich hielt die Luft an. Der Wind pfiff mir um die Ohren, während ich auf ihre Reaktion wartete. „Ich hatte gehofft, dass du das tun würdest“, sagte sie und winkte mich zu sich. Ein kurzes Lächeln und ich folgte der Einladung. Wir gingen schweigend zurück in die Stadt. Ich wusste nicht, was unser Ziel war. Es war zweitrangig. Vielmehr interessierte mich, was in ihrem Kopf vor sich ging. Ob sie mir böse war, ob meine Flucht Konsequenzen nach sich ziehen würde. Sie war unheimlich still, zeigte keine Regung. „Wohin gehen wir?“ Ich musste irgendetwas tun, um die Stille aufzubrechen. „Zum Bahnhof. Wir benötigen eine Kutsche für den Heimweg“, antwortete sie mir ganz sachlich. Sofia klang beinah so nüchtern, wie Ezra es tat. „Bekommen wir so spät noch eine?“ „Selbstverständlich. Ich bekomme immer eine Kutsche.“ Tatsächlich saßen wir fünf Minuten nach betreten des Bahnhofs in einer Kutsche, die uns holpernd aus der Stadt brachte. Der Kutscher hatte es eilig. „Warten wir nicht auf Ezra?“ „Nicht nötig, er kennt den Weg.“ Ich fragte nicht weiter und konzentrierte mich stattdessen auf die Stadt, die an uns vorbeizog. Sofias Blick lag auf der Seite meines Gesichts. Ich konnte es im Augenwinkel sehen und es beunruhigte mich. Sollte ich fragen, oder besser abwarten, bis sich die Nerven aller wieder entspannt hatten? Ich entschied mich für Ersteres und wandte mich ihr zu. „Bist du mir böse?“ Ihre Antwort kam, ohne zu zögern: „Nein.“ „Was ist es dann? Es ist merkwürdig.“ „Ich bin in Gedanken“, gab sie knapp zur Antwort. Ich fragte nicht weiter, sah sie nur an und wartete, dass sie fortfuhr. Dass ihre Erklärung mir nicht genügte, musste ihr aufgefallen sein. Sie seufzte leise, dann brachte sie ein Lächeln zustande und sprach weiter: „Komm hierher, Megan.“ Sie klopfte auf das Polster neben sich. Ich saß ihr gegenüber. Jetzt sollte ich meinen Platz wechseln und es behagte mir nicht. Obwohl ich mich entschieden hatte, bei ihr zu bleiben, war mir nicht wohl bei dem Gedanken, so nah neben diesem ... dieser Frau zu sitzen. „Denkst du wirklich, es macht einen Unterschied, ob du eine Handbreit oder drei Fuß Abstand zu mir hast? Ich will dir nichts Böses.“ „Das weiß ich. Sonst hättest du es längst getan.“ „Und dennoch misstraust du mir.“ „Ich kann dir nicht mein vollstes Vertrauen schenken, nach allem, was in den letzten Tagen geschehen ist.“ „Und nach allem, was ich in den letzten Jahren für dich getan habe.“ Es was ein berechtigter Einwand. Sie hatte mir viel gegeben. Mehr als irgendjemand sonst und trotzdem fiel es mir schwer, auf sie zuzugehen. Vielleicht war es an der Zeit, meine alten Denkweisen über Bord zu werfen, wenn ich mich schon für diesen Weg entschieden hatte, und ihr ein kleines bisschen zurückzugeben. Mir war klar gewesen, was sie war, als ich mich entschieden hatte und warum dort weitermachen, wo ich aufgehört hatte, bevor ich den Rückzug angetreten war? Reiß dich zusammen! Ich atmete entschlossen durch, erhob mich und nahm direkt neben Sofia wieder Platz. „Ich danke dir“, sagte sie mir einem Lächeln. „Wofür?“ „Ich werde dir zeigen, dass ich nicht das Monster bin, das du vermutest. Und ich will dir beweisen, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast.“ Ihr Tonfall war rein und weich. So sanft, als könnte sie keiner Fliege etwas zuleide tun. Ich war sicher, dass das eine Fantasie fernab der Realität war. Sofia legte ihre offene Hand mit der Fläche nach oben auf mein Bein. „Gib mir deine Hand.“ Ich zögerte kurz, dann ging ich ihrer Aufforderung nach und legte meine Hand in ihre. Sie verschränkte unsere Finger ineinander. Eine eigenartige Verbindung. „Solange du bei mir bist, werden meine Hände dir ein Schutzschild sein. Sie werden dich leiten und stützen, wann immer du sie benötigst.“ Meine Blicke waren noch immer auf unsere beiden Hände gerichtet, die so fest miteinander verbunden waren. Ein seltsames Gefühl, das ich in ihrer Gegenwart zuvor noch nie verspürt hatte. Geborgenheit. In diesem Moment, da sie meine Hand hielt und der Klang ihrer Worte so aufrichtig war, konnte ich nicht anders, als ihr zu glauben. So absonderlich es sein mochte, ich fühlte mich sicher an ihrer Seite. „Kannst du mir das versprechen?“ Der leichte Anflug eines Schmunzelns flog über ihre Lippen, als ich versuchte mit meinen Blicken ihre Augen zu durchbohren. Nur einen Moment später wurde sie wieder ernst und schwor es mir. „Bei meinem Leben“, fügte sie hinzu und ich versucht in diesen Tiefen zu erkennen, ob sie die Wahrheit sagte. Sie glänzten bernsteinfarben, im Licht der Laterne und ich wollte so gerne hinter ihre Fassade sehen. Was zählte dieser Schwur bei einem Vampir? Zählte er mehr, weil ein Vampirleben ewig dauerte, oder weniger, weil ein Vampir nach seinem Tod wiederauferstehen konnte? Über Sofias Gesicht breitete sich ein sanftes Lächeln aus. „Was ist mit dir?“, fragte sie und hielt meinen Blicken problemlos stand. „Nichts. Ich wollte nur sehen, ob du ehrlich bist.“ „Kannst du das in meinen Augen erkennen?“ Sie schien vergnügt, während sie auf meine Antwort wartete. „Ich hatte es gehofft.“ Es war unmöglich eine Antwort in diesen grünen Abgründen zu finden, die mich jetzt so golden anstrahlten. Ich musste mich geschlagen geben. Hier war nichts zu entziffern. Nicht der kleinste Gedanke, also wandte ich mich wieder dem Fenster der Kutsche zu. Draußen war kaum etwas zu sehen. Nur ab und zu schimmerten Grashalme im silbrigen Mondlicht und der Sand knirschte unter den Rädern der Kutsche. Meine Gedanken kreisten um Sofias Hand, die die meine noch immer festhielt. Sie war kalt, eisig und es wunderte mich kein Bisschen. Wir waren des Nachts in einem der kältesten Staaten der USA unterwegs und auch meine Hände waren Eiszapfen, obwohl es nicht einmal Winter war. Sofia drückte meine Hand sanft, bevor sie die Stille brach: „Ich möchte dich um Verzeihung bitten.“ Sofort hatte sie meine volle Aufmerksamkeit. Hatte ich mich verhört? „Mein Egoismus bringt zuweilen zweifelhafte Ideen hervor. Ich wollte, dass du bleibst, und habe dir dadurch viel zugemutet. Das tut mir leid.“ Mit etwas Abstand betrachtet, war die Idee überhaupt nicht derart zweifelhaft. Aus Sofias Sicht betrachtet, ergab es durchaus Sinn. Allmählich verstand ich, was sie dazu bewogen hatte, mich erst so spät einzuweihen. „Wahrscheinlich ... war es die klügere Entscheidung.“ Sie atmete leise aus und ich meinte, Erleichterung darin zu hören. „Eines musst du noch wissen“, fuhr sie fort, „Ich bin nicht gutmütig, wie Magdalena und ich bin nicht aufrichtig, wie Ezra. Ich spiele nicht immer fair und ich bin mir stets selbst die Nächste. Aber dir ... dir würde ich, ohne zu zögern, den Platz auf meinem Thron schenken.“ Nichts von dem, was sie sagte, überraschte mich. Sie war nicht der mütterliche Typ Frau. „Vorausgesetzt, ich stimme zu, deine Schülerin zu werden“, ergänzte ich ihre Aussage. „Das ist richtig.“ Natürlich war ihr Versprechen an diese Bedingung geknüpft. Als Mensch war mein Leben für Sofia nicht viel mehr als das Vorbeiziehen der Jahreszeiten. Manchmal erheiternd, manchmal mühsam und nur ein Bruchteil ihres Lebens. Den Platz auf ihrem Thron gab es nicht umsonst. „Was würde es bedeuten, wenn ich deine Schülerin würde?“ Diese Entscheidung war noch lange nicht gefallen, trotzdem interessierte es mich. „Einhundert Jahre an meiner Seite, in denen ich dir alles beibringen würde, was du wissen musst.“ Ich schluckte schwer. „Einhundert Jahre?“ „So viel ist das nicht.“ Sie drückte meine Hand und fuhr fort: „Wenn man unsterblich ist.“ Vermutlich hatte sie recht. Es gab jedoch noch eine andere Frage, deren Beantwortung mich weitaus mehr interessierte: „Wäre ich dann überhaupt noch ich selbst?“ „Ja sicher!“ Sie lachte herzlich. „Du wärst nur noch etwas mehr, als du es jetzt bist. Du wärst schneller, stärker und deine Sinne würden schärfer. Allerdings ...“ Ihr schien etwas eingefallen zu sein, was nicht mit einem fröhlichen Lächeln verpackt werden konnte. „Was ist?“ Erwartungsvoll beobachtete ich, wie Sofia überlegte. Wohl eher ob, nicht wie sie es mir sagen sollte. „Eine Mutterschaft wäre damit ausgeschlossen.“ Ich blinzelte sie wortlos an. Ob Sofia gerne Kinder gehabt hätte? Sie wirkte beunruhigt, während sie auf meine Reaktion wartete. „Das wäre das geringste Problem“, antwortete ich schließlich. Es mochte ungewöhnlich sein, für eine Frau meines Alters, doch ich hatte noch nie den Wunsch verspürt, einmal Kinder zu gebären. Nun war es also an mir, ein amüsiertes Schmunzeln aufzusetzen, während ich in Sofias überraschtes Gesicht blickte. „Ich möchte keine Kinder. Es wäre verantwortungslos. Würde mir etwas zustoßen, gäbe es niemanden mehr, der meine Kinder beschützt und sie wären der Willkür anderer ausgesetzt. Deshalb möchte ich lieber überhaupt keine Kinder.“ „Sie hätten noch immer einen Vater.“ „Hätten sie das? Nun, ein Vater hat andere Prioritäten.“ „Ich verstehe.“ Sie fragte nicht weiter nach und ich war froh darum. Diese Unterhaltung entwickelte sich in eine Richtung, die mir nicht gefiel. Sofia wechselte kurzerhand das Thema: „Ich würde ohnehin viel lieber wissen, warum du dich entschieden hast, bei mir zu bleiben.“ Womit fing ich an? „Das ist schwer zu beantworten. Ich denke ... vor allem, weil kein anderer Weg mich weitergebracht hätte. Nicht im Allgemeinen und auch nicht weiter, als bis ins nächste Wirtshaus.“ „Du wolltest also doch lieber den sicheren Weg gehen.“ Sie lachte. „Ganz im Gegenteil. Das hier ist der unsicherste Pfad, den ich je beschritten habe.“ Sofia dachte einen Moment darüber nach, bevor sie antwortete: „Aus deinem Blickwinkel betrachtet, mag es zutreffend sein.“ „Außerdem hatte ich das-“ Die Kutsche wurde plötzlich unnatürlich stark erschüttert. „Was war das?“ „Ezra.“ „Wie?“ Meine Verwirrung ging so fließend in Verblüffung über, wie Ezra durch das Fenster ins Innere der Kutsche glitt. Du wärst schneller ... Er hatte sich auf der Sitzbank niedergelassen, als hätte er schon die ganze Zeit über dort gesessen. Keinerlei Anzeichen von Erschöpfung. Noch ehe ein Wort der Begrüßung fiel, hatte Sofia meine Hand losgelassen und sich zu ihm hinübergebeugt. Sie drückte ihm ihre Lippen auf den Mund, als wäre es das Normalste der Welt und ich konnte nicht umhin, als das offensichtliche Missfallen in Ezras Gesichtszügen zu bemerken. Er drehte seinen Kopf zur Seite und schob Sofia zurück. „Lass das!“, schnaubte er. „Was?“, fragte Sofia, „Ich kann nichts dafür, wenn du schlampig arbeitest. Das tust du andauernd.“ Wie war das nun zu verstehen? „Sei nicht albern. Sie weiß es.“ Sie? Er meinte mich. „Was weiß ich?“ Sofia seufzte. „Dass unser Speiseplan anders aussieht, als der deine.“ Das wusste ich durchaus. „Aber was hat das mit … ah!“ Es dämmerte mir. Ezra war eine Kleinigkeit „Essen“ gewesen und hatte vergessen, eine Serviette zu verwenden, also hatte Sofia diese Spuren beseitigt. Mehr oder minder unauffällig. Je länger ich darüber nachdachte, desto höher stieg der Säurepegel in meinem Hals. Ich wusste, dass sie Blut tranken. Das war nicht mehr neu, nur hatte ich es verdrängt. „Ich hatte dich vor zwanzig Minuten erwartet“, fuhr Sofia fort. Ezra ging nicht darauf ein. Er hielt die Augen geschlossen – wie üblich – und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. „Du bist verstimmt“, stellte sie schließlich fest. „Wundert es dich?“ „Durchaus.“ Er blies abfällig die Luft aus seinen Lungen und ich hatte fast vergessen, wie übel mir war. Als würde man die Sehne eines Bogens langsam zurückziehen, wurde die Anspannung immer deutlicher. Gleich würde jemand schießen und ausnahmsweise war ich nur Zaungast. „Tu nicht so“, knurrte Ezra. „Du weiß ganz genau, was mein Problem ist.“ „Du bist ein elender Schwarzmaler“, gab Sofia zur Antwort und schien sich von seiner miesen Laune nicht beeinflussen zu lassen. „Sicher.“ Dann schwiegen sie. War es das? Kein Schuss? Besser ich mischte mich nicht in deren Probleme ein, auch wenn es mich brennend interessierte, was genau Ezra meinte. Ich überlegte noch, ob ich fragen sollte, als er mir ein Stück entgegenkam. „Soll ich dir etwas sagen, Megan?“, fragte er. Natürlich sollte er. „Was?“ „Sie ist eine verdammte Hexe!“ „Ezra!“, fuhr Sofia ihn an, wurde aber sofort wieder ruhiger. „Erzähle keinen Unsinn.“ „Das ist mein ernst. Sei froh, dass du dich nicht gegen sie entschieden hast.“ „Wie? Ich verstehe nicht …“ Ezra hatte mich gekonnt in Unruhe versetzt. Bevor ich mich weiter dazu äußern konnte, meldete Sofia sich wieder zu Wort: „Er meint, dass ich mich zuweilen wie eine verhalte. Eine Metapher. Ich bin nicht wirklich eine Hexe.“ „Aber es passt“, fügte Ezra hinzu. Beruhigend zu wissen, dass zumindest die Hexerei nicht zu ihren Fähigkeiten zählte. Sofia seufzte. „Wie auch immer.“ Dann lehnte sie sich entspannt zurück. „Er übertreibt.“ "Ist das so?" Ezra klang, als würde er ihr jeden Moment ein Messer an die Kehle setzen wollen. Sofias Stimmung war gekippt. Ihre Miene war steinhart und ich rutschte so unauffällig wie möglich zur Seitenwand der Kutsche. „Kann mir bitte jemand sagen, was hier los ist?“, fragte ich todesmutig und machte mich sicherheitshalber bereit, aus der fahrenden Kutsche zu springen. „Nichts, das ist nicht wichtig“, versuchte Sofia mich zu beschwichtigen. "Er ist nur noch immer schlecht auf mich zu sprechen, wegen neulich Nacht." Ich musste kurz überlegen, dann fiel es mir wieder ein. Ich erinnerte mich, wie Ezra am Fuß der Treppe gesessen hatte. Blutüberströmt. Wie Sofia mir gestanden hatte, dass sie es gewesen war. "Unter anderem", knurrte Ezra, sagte danach aber nichts mehr. Es war still in der Kutsche und ich hoffte, dass wir bald ankamen. Die Erinnerung beschäftigte mich. Sofia war gefährlich. Sich etwas anderes einzureden, wäre falsch. „Du musst dir deswegen keine Sorgen machen. Es betrifft dich nicht. Ich weiß sehr wohl, wann ich wie weit gehen kann", erklärte Sofia. Aus Ezras Richtung war ein kurzes Schnauben zu hören. Sofia ignorierte es. „Was bedeutet das?“ Ich sprach so leise, dass ich nicht einmal sicher war, ob sie es gehört hatte, und wollte mich räuspern, um es zu wiederholen, doch Sofia hatte alles verstanden. „Das bedeutet, dass ich mir gelegentlich eine Auszeit von der zivilisierten Zurückhaltung gönne, wenn ich mit jemandem mein Bett teile, der das verkraften kann.“ Ich hatte angenommen, es wäre im Streit passiert. Offenbar war das ein Irrtum gewesen. Ich sah sie entgeistert an. Es war völlig abstrus. „Das ist doch Wahnsinn ...“ Noch bevor Sofia antworten konnte, schoss Ezra dazwischen: „Das ist es. Vor allem, wenn man es auf eine so heimtückische Art tut.“ Sofia seufzte entnervt, ließ Ezras Aussage aber unkommentiert stehen und beschloss das Thema zu beenden. „Wie dem auch sei, es ist nichts, was dich betrifft. Sei unbesorgt.“ Es fiel mir schwer, bei derartigen Informationen unbesorgt zu bleiben. Das einzig Beruhigende daran, war die Tatsache, dass es – so merkwürdig es auch klingen mochte – nicht während eines Streits zu einem solchen Exzess gekommen war. Das verschaffte mir einen gewissen Sicherheitsabstand zu derartigen Zwischenfällen. Das letzte Stück der Fahrt war Folter und ich war unendlich dankbar, als wir nach einer Viertelstunde endlich am Haus hielten und ich aussteigen konnte. Raus aus diesem Gefährt, in dem die Luft so dick war, dass man kaum atmen konnte. Eilig griff ich meinen Koffer und sputete mich, zur Haustür zu kommen. Drinnen brannte noch Licht. Ich schätzte, dass es mindestens halb elf sein musste und gewöhnlich befand Magdalena sich zu dieser Zeit im Bett. Heute nicht. Als ich die Tür öffnete, erhellte sich ihr sorgenvolles Gesicht, wie eine Lampe, die man entzündet hatte. Sie kam hastig zu mir herüber und schlang ihre Arme fest um meinen Körper. Beinah wäre ich erstickt, so fest drückte sie mich an sich. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ „Magda ... es ist doch alles gut. Drück nicht so stark.“ „Entschuldige.“ Sie gab sich Mühe, mich etwas weniger innig zu umarmen. Es wurde nicht wirklich besser. Als hätte sie mich seit Jahren nicht gesehen. Eine verschollene Tochter, endlich zurück im Schoß der Familie. Es war schön und ich hätte es vermisst, wäre ich gegangen. Ich ließ den Koffer los und schloss die Augen. Irgendwo in der Ferne wünschte man mir eine gute Nacht. Ich antwortete nicht. Magdalenas Freude über meine Rückkehr hatte mich getroffen. Ich bereute, überhaupt gegangen zu sein. Wie unüberlegt es gewesen war. „Entschuldige ... ich war die letzten Tage nicht sehr nett zu dir“, murmelte ich leise in Magdalenas Halsbeuge. „Schon gut, ich weiß ganz genau, was in deinem Kopf vor sich geht.“ Und ich fragte mich ernsthaft, wie ich jemals hatte annehmen können, dass Christina einem Engel glich. Hosted by Animexx e.V. 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