Prophecy von ChocolateChip (Frühlingswichteln 2014) ================================================================================ Kapitel 1: First Dream ---------------------- First Dream   In wenigen Tagen war sehr viel passiert, er konnte es gar nicht glauben. Von einem Moment auf den anderen hatte sich sein ganzes Leben geändert. Er war völlig durcheinander, hatte nichts machen können, und weil die wichtigste Person ihm genommen worden war, saß er nun hier, nutzlos und allein. Gilbert hatte sich frische Kleidung angezogen und sich in sein Bett verkrochen, nachdem Xerxes Break ihn wieder zurückgebracht hatte. Der vierzehnjährige Junge wusste nicht, wo ihm der Kopf stand, und die Wunde in seiner Brust schmerzte sehr. Als er Hals über Kopf weggelaufen war, war seine Wunde wieder aufgerissen und man hatte den Arzt erneut rufen müssen. Er war einfach so durcheinander gewesen, dass er nicht genau wusste, was er tat. Es war ihm auch egal. Er hatte trotz Schmerzen die Beine angezogen und seine Arme um sie geschlungen. Mit dem Weinen hatte er schon lange aufgehört, denn das würde seinen Meister und besten Freund auch nicht wieder zurückbringen. Oz Bezarius wurde von seinem eigenen Vater in den Abyss gestoßen und er würde mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr wiederkommen. Ob es wirklich einen Weg gab, so wie dieser Clown ihm versichert hatte, wagte er zu bezweifeln. Wer einmal im Abyss gefangen war, konnte ihm nicht mehr entfliehen. Immer wieder drängte sich die Frage in seinen Kopf, wie alles nur dermaßen schief gehen konnte. Es kam ihm vor, als sei es erst gestern gewesen, als Oz ihm sein Gewand mit der Bitte überreichte, an seiner Coming of Age-Zeremonie teilzunehmen. Im nächsten Moment musste er hilflos zusehen, wie sein Körper, von einer fremden Macht gelenkt, versuchte, Oz zu erstechen. Dass dieser dann auch noch von seinem eigenen Vater in den Abyss gestoßen wurde, ließ ihm sauer aufstoßen. Er würde Oz nie verraten, wer an allem Schuld war, das hatte er sich geschworen. Der junge Bezarius hatte durch seinen Vater schon so viel Schmerz ertragen müssen, dass dieser ihn auf jenem Wege loswerden wollte, brauchte er nicht zu wissen. Niemals. Gilbert konnte sowieso nicht verstehen, wie ein Vater seinen eigenen Sohn so sehr hassen konnte, denn gegenüber Ada zeigte er ein ganz anderes Gesicht. Seine Tochter wurde von ihm geliebt. Auch wenn Onkel Oscar Oz mit all seiner Liebe überschüttete - so wie ihn auch -, die Liebe eines Vaters konnte er nicht ersetzen und Gil sah tagtäglich, wie einsam sein Meister sich fühlte. Doch Gilbert hatte sich entschlossen. Er würde das Haus Bezarius verlassen und sich von den Nightrays adoptieren lassen. Scheinbar, das hatte er gehört, gab es dort einen Blutsverwandten von ihm. Es war den Nightrays zu Ohren gekommen, dass die Bezarius' genau wie sie einen heimatlosen Jungen aufgenommen hatten. Ihm stockte der Atem, als er von der Beschreibung des schwarzhaarigen Jungen hörte. Vincent Nightray hatte in Gilbert seinen verlorenen älteren Bruder wiedergefunden und die Nightrays hatten das Angebot vorgelegt, Gilbert bei sich aufzunehmen, damit die Brüder wieder vereint wären. Gilbert schwirrte immer noch der Kopf. Er konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, einen Bruder gehabt zu haben; jedoch konnte er sich an die Zeit, bevor er den Bezarius' diente, auch nicht erinnern, also war es doch durchaus möglich, dass er Geschwister hatte. Beide Jungen hatten außerdem merkwürdige Wunden aufgewiesen, die sich keiner erklären konnte, und Vincent sollte angeblich ein goldenes Auge haben, so wie Gilbert beide hatte. Da dies sehr selten war, war es ein weiterer Beweis der Verwandtschaft. Also würde Gilbert aufbrechen, nachdem seine Wunden verheilt waren. Die Müdigkeit drohte, ihn zu übermannen, also legte sich der Junge hin, um zu schlafen, doch ein Klopfen an der Tür holte ihn in die Realität zurück. Er murmelte ein ‚Herein‘, jedoch bezweifelte er, gehört worden zu sein. Die Tür öffnete sich dennoch mit einem Knarzen und ließ etwas Licht aus dem Flur herein. Gilbert hatte die ganze Zeit in Dunkelheit dagesessen und wollte auch jetzt noch kein Licht. Sein Besucher schien zu verstehen und schloss die Tür wieder hinter sich, ohne Licht mit sich ins Zimmer zu bringen. „Habe ich dich geweckt, Gilbert?“, fragte eine Mädchenstimme sanft. Gilbert erkannte sie sofort als die von Sharon Rainsworth. Er hörte, wie ihr Kleid raschelte, als sie näher ins Zimmer kam und bei seinem Bett stehen blieb. Gilbert hatte sich vorsichtig zu ihr gedreht und versuchte, in der Dunkelheit ihre Silhouette auszumachen. „Nein, ich habe nicht geschlafen“, meinte der Junge, nachdem er sicher war, dass man ihm die Schmerzen nicht anhörte. Man hatte ihn schon genug ausgeschimpft, als er mitten im Regen davongelaufen war. Es war ein Wunder, dass er sich keine Erkältung zugezogen hatte. Er versuchte, sich wieder aufzurichten, um Sharon ein wenig den Respekt zollen zu können, den sie verdiente, doch sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn wieder in die Kissen. „Bleib ruhig liegen. Sonst geht deine Wunde nur wieder auf und wir müssen wieder mit dir schimpfen. Ich werde sowieso nicht lange bleiben. Ich wollte nur nach dir sehen“, erklärte das Mädchen und nahm auf einem Stuhl neben dem Bett Platz. Gilbert konnte ausmachen, dass sie ihn anlächelte. Er konnte spüren, wie sich seine Wangen erhitzten, und war dankbar für die Dunkelheit. Er hasste es ungemein, immer so schnell verlegen zu werden, aber er konnte es einfach nicht ändern. „Ich habe von Xerxes gehört, was passiert ist. Ich kann sehr gut verstehen, wieso du auf einmal weg wolltest. Es ist sehr viel in sehr kurzer Zeit passiert. Und dann erfährst du auch noch, dass du einen Bruder hast und dass du bei ihm, also der Familie Nightray, leben sollst. Es ist bestimmt alles sehr verwirrend für dich“, meinte Sharon sanft. Und Gilbert hatte wirklich das Gefühl, dass sie ihn verstand. „Stimmt. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, einen Bruder gehabt zu haben“, erklärte Gilbert und seufzte. Er hatte Sharon und Xerxes bereits erklärt, dass er sich an nichts vor seinem Leben bei den Bezarius erinnern konnte. „Du bist bestimmt sehr verwirrt. Wie geht es dir eigentlich?“, fragte Sharon dann. Gilbert wollte zu einer automatischen Antwort anlegen, als ihm auffiel, dass das bis jetzt keiner gefragt hatte. Nur sehr wenige Leute waren bis jetzt bei ihm gewesen und alle hatten sie nur wissen wollen, wie er sich entscheiden würde. Wollte er bei den Bezarius bleiben oder doch zu den Nightrays gehen? Alle hatten sie zu einer Antwort gedrängt, aber bis jetzt hatte keiner offen gefragt, wie es ihm ging. Dies trieb ihm die Tränen in die Augen, doch er riss sich zusammen und schluckte den dicken Kloß im Hals herunter. „Mir… Mir geht’s…“ Da stockte Gilbert. Er wusste selbst nicht so recht, wie es ihm ging. In seinem Kopf herrschte ein Durcheinander und ein Gedanken jagte den anderen. Er drehte sich beschämt weg, doch Sharon hatte nach seiner Hand gegriffen. „Ist schon gut. Du brauchst nicht zu antworten. Nicht jetzt. Ich werde wieder gehen und du kannst noch ein wenig schlafen, immerhin ist es schon spät. Ich werde morgen noch einmal nach dir sehen, also mach dir keine Gedanken.“ Fast hätte Gilbert ihr nicht geglaubt, dass sie so alt wie er selbst war, fast noch ein Kind. Doch in seiner Müdigkeit nahm er es hin. Sharon war ein Mädchen und die waren für gewöhnlich reifer als die Jungen. Gilbert unterdrückte ein herzhaftes Gähnen, da er in Gegenwart einer Dame nicht unhöflich sein wollte, doch ganz konnte er es nicht verstecken. Sharon machte sich jedoch nichts daraus und hielt sich die Hand damenhaft, doch kichernd, vor den Mund, während sie dies tat. Es war ein schönes Kichern, dachte Gilbert, als ihm die Augen zufielen. Das Rascheln von Stoffen ließ ihn die Augen erneut kurz öffnen und er erkannte, dass Sharon sich erhoben hatte, um zu gehen. „Gute Nacht, Gilbert“, flüsterte Sharon, um den Jungen, falls er eingeschlafen war nicht zu wecken. „Gute Nacht“, murmelte Gilbert verschlafen zurück und schloss erneut die Augen. Er konnte sie nicht lange genug offen behalten, bis Sharon das Zimmer verlassen hatte. Im Halbschlaf hörte er noch, wie sie zu jemand anderem murmelte ‚Bitte pass auf ihn auf‘, ehe sie das Zimmer verließ und die Tür wieder mit einem leisen Klick geschlossen wurde.   Es war stockdunkel. Er konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen und doch rannte er einfach los. Er hatte das Gefühl, einfach nur rennen zu müssen, vor etwas fliehen, von dem er nicht einmal wusste, was es war, doch seine Beine bewegten sich wie von selbst weiter durch diese undurchdringliche Dunkelheit, die kein Ende zu nehmen schien. Erst als er kaum noch Luft bekam, blieb er stehen und japste nach Sauerstoff. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sich sein Puls wieder beruhigt und er atmete wieder ruhiger. Er wagte noch einmal den Blick um sich herum, doch immer noch war alles schwarz. Panik versuchte, nach seinem Herzen zu greifen doch er versuchte, sie niederzukämpfen. Er durfte nicht in Panik verfallen, wenn er von hier weg wollte, wo auch immer das war. Erneut setzte er an, zu laufen, doch als er wieder nach vorne sah -  war das wirklich vorne? -,  sah er auf einmal ein Licht. Vorhin war es noch nicht da gewesen, da war er sich sicher. Sein Kopf sagte ihm, er solle es ignorieren, doch sein Gefühl trieb ihn dazu, darauf zuzugehen. Und seine Gefühle obsiegten. Vorsichtig ging er auf das Licht zu, das sehr schnell näher zu kommen schien. Er konnte die Augen noch schließen, ehe es ihn eingeholt hatte und gänzlich umhüllte. Dennoch blendete es ihn und er brauchte einige Momente, um seine Augen zu öffnen, ohne dass es schmerzte. Da schien das Licht sich wie von selbst zu dimmen und wurde etwas angenehmer. Woher es kam, konnte er nicht sagen. Es war einfach da. Doch der Anblick, der ihn erwartete, war es nicht. Aus der Dunkelheit rings um ihn herum waren dicke Ketten gespannt und hielten ein riesiges, vogelähnliches Monster gefangen. Vage erinnerte es an eine Krähe, doch da konnte er sich nicht sicher sein. Es hatte ihn noch nicht bemerkt, da es mit etwas ganz anderem beschäftigt zu sein schien. Er folgte dem Blick des Ungetüms und entdeckte eine Person. Sie war ganz in schwarz gekleidet und war wie das Monster mit Ketten gefesselt worden. Er trat näher heran, doch keiner schien ihn zu bemerken, denn der Blick des Monsters war immer noch auf die Person vor sich gerichtet. Da erkannte er einen Mann, der ihm irgendwie vertraut war und doch zugleich auch fremd. Er wollte gerade den Mund öffnen und fragen, wo er sich denn befand, da wurde ihm das Wort abgeschnitten. ‚Endlich bist du hier. Ich habe lange auf dich gewartet.‘ Die dunkle Stimme dröhnte mitten in seinem Kopf und er wusste, dass die riesige Kreatur gesprochen hatte. Ging es um ihn oder um den Mann vor sich? ‚So lange habe ich gewartet und erst jetzt wagst du es, hier vor mir zu erscheinen?‘ Er wollte der Kreatur antworten, weil der Mann passiv blieb, doch kein Wort verließ seine Kehle. Er fasste sich an den Hals und versuchte er noch einmal, doch nichts. Frustriert blickte er zu dem Vogelmonster, doch es blickte immer noch den schwarz gekleideten Mann an. ‚Über hundert Jahre habe ich auf dich gewartet. Viele waren hier, doch sie waren nicht du. Nur du bist es, den ich akzeptieren werde.‘ Er beobachtete das Spektakel weiterhin vor sich. Der Mann regte immer noch keinen Finger. Ob er bereits tot war? Er wollte schon auf ihn zustürmen und ihn vor dem Monster befreien, als dessen gigantisches Auge sich genau auf ihn richtete und ihn auf der Stelle festfrieren ließ. Angst packte ihn und ließ sein Herz in seiner Brust schmerzhaft hämmern. Er wagte es nicht, Luft zu holen, und wartete darauf, was passieren würde. ‚Raven!‘   Abrupt wachte Gilbert auf und keuchte so, als wäre er stundenlang gelaufen. Mit vor Schreck geweiteten Augen blickte er sich hektisch um. Er befand sich immer noch im Schlafzimmer, in dem er eingeschlafen war. Es war zwar noch dunkel, aber diese Dunkelheit war nicht mehr so erdrückend wie die in seinem Traum. Erleichtert atmete er aus. Sein rasender Herzschlag beruhigte sich auch langsam wieder und er legte sich wieder hin. Ein Traum. Es war nur ein alberner Albtraum gewesen. Seine Gedanken hatten ihn bestimmt bis in seine Träume verfolgt, denn Raven war der Chain, den die Nightrays beherbergten. Xerxes Break hatte ihm von diesem speziellen Chain erzählt, ihn darum gebeten seiner habhaft zu werden und ihm zu helfen, die Nightrays im Auge zu behalten. Bevor er zu Bett gegangen war, wusste Gilbert nicht, ob er diesem merkwürdigen Mann trauen konnte, doch er hatte das Gefühl, als hätte dieser Traum ihm etwas sagen wollen. Grübelnd blickte er an die Decke und überlegte, wie ernst er diesen Traum nehmen sollte. Solch einen Traum hatte er noch nie gehabt, doch für alles gab es ein erstes Mal, oder? Dann auch für solch merkwürdigen Träume, nicht wahr? Dieser Break hatte ihm auch erzählt, dass Raven der einzige Weg wäre, Oz wieder zurückzuholen. Ob es wirklich stimmte, wusste er nicht, aber eines wusste er gewiss: Er wollte Oz wieder aus dem Abyss befreien, koste es, was es wolle. In dieser Nacht traf der Junge eine Entscheidung. Entschlossen blickte er noch einmal zur Decke, drehte sich dann vorsichtig um und schlief wieder ein. Diesmal ließen ihm die Träume seinen Frieden.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)