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I want you by my side

von

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[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Etwas helles, angenehm warme weckte Charles und er schlug langsam die Augen auf. Wie spät war es? Bestimmt schon Mittag, dem Winkel der Sonne nach zu urteilen, welche in sein Zimmer schien. Gähnend streckte er sich und fuhr sich dann durch die zerzausten Haare. Was für ein seltsamer Traum. Erik war hier gewesen und hatte mit ihm geschlafen. Als ob er das wirklich getan hätte. Mit leiser Verwunderung stellt Charles fest, dass seine Kleider achtlos vor das Bett geworfen waren und beugte sich vor, um sie aufzuheben.

„Tja, soweit ist es jetzt schon mit dir. Du hast Sexträume mit Erik. Reis dich zusammen, Mann“, knurrte er, mit leiser Wut auf sich selbst.

Er rutschte zur Bettkante und spürte, dass die Matratze unter ihm an einer Stelle warm war, auf der er gar nicht gelegen hatte. Was hatte das zu bedeuten?

„Und warum zu Teufel steht mein Rollstuhl am Schreibtisch?“

Hatte er ihn vielleicht weggestoßen? Es musste so gewesen sein, anders konnte er es sich nicht erklären. Er konnte ja schließlich nicht vom Schreibtisch zum Bett gelaufen sein. Und wie sollte er jetzt zu seinem Rollstuhl kommen? Seufzend und die Zähne so fest zusammenbeißend, dass er sie knirschen hörte, zog er sich weiter an die Bettkante und versuchte etwas nach unten zu rutschen, um auf einer Höhe mit den Rollstuhl zu sein. Dann beugte er sich über das Bett hinaus, stützte eine Hand am Boden ab, um nicht zu fallen und strecke den anderen Arm nach der Armlehne des Stuhles aus. Es fehlt nicht viel, nur noch wenige Zentimeter und er hätte ihn erreicht. Doch dann bekam er plötzlich das Übergewicht und fiel nach vorne. Aber anstatt auf dem harten Boden zu landen, viel er in zwei Arme und im ersten Moment machte sich die leise Hoffnung in ihm breit, dass Erik doch hier war. Allerdings wurde diese zerschlagen, als er in Hanks Gesicht sah, der ihn wieder zurück auf das Bett setzte, sorgsam darauf bedacht immer die Decke um seine Hütten geschlungen zu haben. Erst nach dieser Reaktion fiel Charles auf, dass er vollkommen nackt war. Er trug noch nicht einmal seine Boxershorts.

„Warum hast du mich nicht gerufen?“, wollte Hank wissen und sah ihn fragend an.

„Ich bin kein Baby, ich kann durchaus für mich selbst sorgen“, entgegnete Charles, eine Spur schärfer als beabsichtigt.

„Nach Hilfe zu fragen ist kein Zeichen der Schwäche. Wenn das jemand wissen sollte, dann du, meinst du nicht auch?“, Hank schob ihm seinen Rollstuhl in Reichweite und verließ das Zimmer.

Auf dem Weg zur Tür fügte er hinzu:

„Ist immerhin das, was du deinen Schülern gepredigt hast, oder?“

Dann war er verschwunden.

„Okay… Hank ist wütend. Aber warum?“, schoss es Charles durch den Kopf.

Hatte er irgendetwas falsch gemacht, oder war es wirklich nur, weil er nicht nach Hilfefragte? Er seufzte und griff nach seinen frischen Kleidern, welche, komischerweise, auf seinem Nachttisch lagen. Er konnte sich nicht erinnern sich welche bereitgelegt zu haben. Auch die Auswahl war seltsam und kam ihm trotzdem so bekannt vor. Es waren seine braunen Cordhosen, der bequeme dunkelbraune Pullover und seine Handschuhe, an denen, außer an den Daumen, die Fingerspitzen fehlten. Dieselben Sachen hatte er letzten Herbst angehabt, als Erik und er unterwegs gewesen waren, um neue Schüler für ihre Schule abzuwerben. Ê erinnerte sich noch gut an den Tag, fast als wäre es gestern gewesen
 

Sie hatten gerade einen Mutanten besucht, der die Fähigkeit hatte wie ein Gecko die Wände hinaufzuklettern. Auf dem Rückweg zur Schule hatten sie an einem Park Halt gemacht und sich dort, abseits des Trubels und dem Lärms der Stadt, ins Gras gesetzt. Eine ganze Weile hatten sie sich über dies und jenes unterhalten und es sich bequem gemacht. Charles hatte sich irgendwann hingelegt und sah zu Erik auf. Der saß, ein Bein angewinkelt sodass er seinen Arm darauf legen konnte, neben ihm und lächelte glücklich. Er erzählte gerade begeistert von den Fortschritten, welche er mit seinen Fähigkeiten gemacht hatte. Charles hörte ihm gebannt zu und beobachtete lächelnd sein Gesicht. Es hatte nur wenige Momente gegeben, in denen Eriks wunderschöne blaue Augen so leuchteten, wie sie es in diesem Augenblick.

„HERC2.“

„Was“, hatte Erik gefragte und ihn angesehen, als hätte er das komplizierteste Wort der Welt ausgesprochen.

„HERC2. Dem hast du deine Augenfarbe zu verdanken. Es ist ein mutiertes Gen. Das solltest du eigentlich wissen, Erik. Das war Lernstoff aus der Uni.“

„Und wie kommst du jetzt darauf, Herr Professor?“, fragte Erik und zog eine Augenbraue hoch.

Charles setzte sich, im Schneidersitz hin und fing an zu gestikulieren, als stünde er im Hörsaal einer Universität.

„Deine Augen haben eben so schön blau aufgeleuchtet, das hat mich daran erinnert. Ursprünglich hatten alle Menschen braune Augen. Bereits bekannt war, dass hauptsächlich das OCA2-Gen für die Variationen der Augenfarbe verantwortlich ist. Es bildet ein Eiweiß, das für die Herstellung von Melanin wichtig ist. Menschen mit geringem Melanin-Gehalt haben blaue Augen. Untersuchungen zeigten, dass die Anlage für blaue Augenfarbe in einem benachbarten Gen liegt, genannt HERC2. Die HERC2- Erbanlage reguliert die Melanin-Produktion des OCA2-Gens herunter. Es wird weniger Melanin gebildet, wodurch die Iris blau erscheint.

Weißt du, dass viele Menschen, Leuten mit blauen Augen einen starken Willen und Charakter zu schreiben? Weil sich bei ihnen die Mutation durchgesetzt hat. Außerdem glaubt ein Großteil der Weltbevölkerung daran, dass Gottes Diener blauäugig sind. Du hast Engelsaugen.“

„Du vergleicht mich mit einem Engel? Süß von dir“, hatte Erik erwidert.

Daraufhin war Charles verstummt und hatte den Blick verlegen gesenkt. Er hatte sich wieder auf den Rücken sinken lassen und in den Himmel gestarrt. Bis sich Erik über ihn beugte und lächelnd ansah.

„Dabei sind deine Augen so viel schöner und blauer als meine“, sagte er leise und als Charles nichts darauf erwiderte, fügte er grinsend hinzu: „So schüchtern hab ich dich ja noch nie erlebt.“

„Ich bin nicht schüchtern, ich bin müde. Ich habe immerhin den ganzen Tag gearbeitet.“

Jetzt lachte Erik, legte sich neben ihm und folgte seinem Blick.

„Wann hast du bitte gearbeitet?“, fragte er schließlich. „Das bisschen Gedanken lesen kannst du wohl kaum Arbeit nennen.“

„Okay, dann kannst du ja das bisschen Gedanken lesen übernehmen, wenn wir den nächsten Mutanten finden“, schnaubte Charles.

„Nur wenn du ihn mit Hilfe von metallischen Gegenständen am Flüchten hinderst.“

Einen Moment war es still zwischen ihnen gewesen, doch dann hatten sie losgeprustet und gelacht wie schon lange nicht mehr und danach auch nie wieder.
 

Charles schob die Erinnerung seufzend bei Seite und schlug die Bettdecke zurück.

„Was zum…“

Sein Bauch klebte seltsam und wenn er über seine Haut fuhr fühlte es sich so an, als hätte jemand eine Flüssigkeit darauf verteilt, die jetzt getrocknet war. Konnte es sein das…Aber das war unmöglich. Ab dem Nabel abwärts konnte er nichts mehr bewegen oder spüren. Selbst wenn er sich berührte passierte nichts, da er es einfach nicht spürte. War Erik doch hier gewesen? Nein, er wäre heute Morgen noch da gewesen, wenn er ihn wirklich besucht hätte. Es musste eine andere Erklärung geben.

„Egal was es ist, ich muss duschen gehen“, murmelte Charles und zog sich auf seinen Rollstuhl.

Die Kleider legte er sich auf die Beine, sodass seine Blöße verdeckt war und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Er musste in den rechten Flügel des Hauses, was in einige Anstrengung kostete. Der Weg war lang und es war eiskalt in dem Gebäude. Ein Grund mehr, sich zusätzlich anzustrengen und die Strecke schneller hinter sich zu bringen.

Zitternd vor Kälte kam Charles im Badezimmer an. Er fuhr zu er ebenerdigen Dusche, zog sich auf den Stuhl, den Hand dort hingestellt hatte und schob seinen Rollstuhl so weit weg, dass er nicht nass wurde, er ihn aber immer noch erreichen konnte. Dann nahm er eine ausgiebige Dusche. Das warme Wasser löste verkrampfte Muskeln, von denen er bis jetzt noch nicht einmal gespürt hatte, dass sie verspannt waren. Genießerisch schloss er die Augen und legte den Kopf in den Nacken, um sich das Wasser auf das Gesicht prasseln zu lassen.

Als er zwanzig Minuten in den Spiegel sah und sich die Haare trocken rubbelte, fiel ihm etwas an seinem Hals auf. Charles fuhr näher zum Spiegel und reckte den Hals um den dunklen Fleck genauer betrachten zu können. Erst mit gerunzelter Stirn, dann mit ehrlicher Verwunderung und schließlich mit schmerzlicher Erkenntnis begutachtete er den Fleck. Egal was sein Verstand über Erik wusste und ihm sagte, seinem Herz versetzte diese Erkenntnis trotzdem einen Stich. Es war ein Knutschfleck und den konnte er sich nicht selbst zugefügt haben, zumindest nicht an dieser Stelle. Mit zitternden Händen fuhr er sich durch die Haare und vergrub dann das Gesicht in den Handflächen.

„Verdammt, Erik… Warum bist du nicht geblieben?“, murmelte er und nur seine Hände an seinen Augen verhinderten, dass Tränen über seine Wangen liefen.

Wenig später saß Charles wieder an dem Tisch auf der Terrasse und hatte die Hände vorm Gesicht verschränkt. Seine Trauer war Wut gewichen, die er mühsam versuchte zu unterdrücken. Er hasste es sich selbst wütend zu erleben. Aber in diesem Moment konnte er nicht anders. Erik hatte ihn benutzt, schon wieder und er war so blind gewesen und hatte ihm wieder einmal vertraut. Warum brachte in dieser Mann immer dazu sein Gehirn abzuschalten? Warum musste er so auf dessen Anwesenheit reagieren? Erik hatte nur seinen Spaß haben wollen und den hatte er immerhin bekommen.

„Charles? Du… du solltest rein kommen“, erklang Hanks besorgte Stimme hinter ihm.

„Warum?“, seine eigene Stimme war fast so kalt wie Eis.

„Es regnet und du kannst es dir nicht leisten krank zu werden. Das würde deinem Körper noch mehr Schaden zufügen, als er jetzt schon davon getragen hat. Sei vernünftig.“

Charles knirschte mit den Zähnen und wandte sich zu Hank um.

„Ich will nicht vernünftig sein, das war ich schon mein ganzes Leben lang. Ich bin dazu erzogen worden! Aber jetzt, in diesem Moment will ich es nicht sein, also lass mich in Ruhe!“

Er war wütend und da Hank der einzige andere Mensch auf dem großen Grundstück war, richtete sich seine Wut jetzt gegen ihn. Charles wusste, dass er seinen Freund damit verletzten würde, aber es war ihm in diesem Moment egal. Er musste sich abreagieren und Hank war das perfekte Opfer. Dieser schien das jedoch nicht zu so zu sehen, denn er funkelte Charles an knurrte:

„Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber es geht mir auf die Nerven! Lass deine Wut nicht an mir aus, wenn ich nicht der Grund dafür bin! Von mir aus kannst du hier sitzen bleiben und versauern, aber komm nicht zu mir wenn du krank bist!“, mit diesen Worten verschwand er wieder im Haus.

Charles sah ihm nicht nach. Er hatte sein Ziel erreicht. Er wollte einfach nur allein sein, mehr nicht. Aber er war nie allein. Sobald seine Konzentration ein wenig nachließ stürzten die ganzen Empfindungen der Menschen über ihm zusammen und drohten ihn mitzureisen und das war im Moment etwas, dass er gerne zuließ. Solange er sich auf die Schmerzen anderer konzentrierte, spürte er seine eigenen nicht. So saß er den Rest des Tages draußen und hörte sich die Probleme anderer an. Er war so in Gedanken versunken, dass er noch nicht mal spürte, wie seine Kleider sich mit Wasser vollsaugten und er am ganzen Leib zu zittern begann. Erst als es dunkel wurde, griff er nach den Reifen seines Rollstuhles und fuhr in Haus. Ohne ein Wort zu Hank zu sagen, der gerade, zufällig oder nicht, die Treppen herunter kam, fuhr er in sein Zimmer und warf die Tür hinter sich zu.

Mit einer Hand massierte er sich seine rechte Schläfe, mit der anderen begann er seine Schuhe auszuziehen. Sein Pullover folgte schnell und landete auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch, genauso wie die Hose, seine Boxershorts und seine Handschuhe. Das alles würde er morgen waschen, jetzt jedoch war ihm sogar egal, dass die durchnässten Sachen seinen wunderschönen hochlehnigen Mahagoniholzstuhl ruinieren könnten. Mit einem gequälten Seufzen ließ er sich aus seinem Rollstuhl auf sein Bett fallen und starrte an die, mit Holz verkleidete Decke. Eine leise Hoffnung machte sich in ihm breit, dass Erik vielleicht wiederkommen würde. Dann würde er ihn wenigstens Hochkant hinauswerfen können. Doch er kam nicht und auch an den folgenden Tagen war keine Spüre von ihm zu sehen.

Charles verlor sich immer mehr in seinen Schmerzen und den Schmerzen anderer, dass Hank sich wirklich Sorgen um ihn machte. Er war nur noch ein Schatten von dem Charles Xavier, den er einmal gekannt hatte. Das konnte so nicht weiter gehen. Er musste etwas unternehmen und das ziemlich schnell, bevor Charles nur noch ein Häufchen war, dass aus Schmerz und selbst auferlegten Trauer bestand.

Genau aus diesem Grund fuhr er am nächsten Tag mit ihm in die Stadt, um ihn etwas abzulenken. Zu Beginn sah es nicht so aus, als hätte er großen Erfolg damit. Charles konnte die ganzen Gedankenstimmen nicht aus seinen eigenen Gedanken fernhalten und da er sich angewählt hatte nur schlechte Gedanken zu hören, schien es ihm noch schlechter zu gehen. Doch nachdem Hank ein ruhiges Plätzchen in einem Café gefunden und Charles ein Kamillentee getrunken hatte, schien es ihm besser zu gehen.

„Ich danke dir, Hank. Du weißt genau, was ich brauche“, meinte Charles plötzlich und sah seinen Freund lächelnd an.

„Kein Problem, Professor. Du würdest das Gleiche auch für nicht tun.“

„Ja, das würde ich. Aber deswegen ist es noch lange nicht selbstverständlich, dass du dich so um mich kümmerst.“

Hank grinst und schob seinen Stuhl zurück, um aufzustehen.

„Ich hol mir noch einen Kaffee, soll ich dir etwas mitbringen?“

Charles überlegte kurz, dann nickte er und meinte:

„Eine heiße Schokolade, wenn’s geht.“

Hank nickte ebenfalls und betrat das Café. Es dauerte länger als gedacht, bis er seine Bestellung angeben konnte und auch bis diese fertig war. Nach insgesamt zwanzig Minuten trat er wieder hinaus und ging zu dem Tisch, den er für sie ausgesucht hatte.

„Hat etwas länger gedauert, da drin ist die Hölle los… Charles?“

Der Tisch war leer und von Charles weit und breit keine Spur. Hank stellte die Tassen ab und sah sich noch einmal um. Als er auch dieses Mal Charles nicht finden konnte, ging er zu einem Nachbartisch, an dem zwei Frauen saßen und fragte:

„Verzeihung, aber haben sie gesehen, wo der junge Mann im Rollstuhl hin ist?“

„Ja. Er war eingeschlafen und dann kamen zwei Männer und haben ihn mitgenommen. Sie haben so ausgesehen, als kennen sie sich. Deshalb haben wir auch nichts gesagt“, erzählte die eine.

„Danke.“

Hank drehte sich um und rannte zu seinem Auto. Zwei Männer die Charles kannten und ihn einfach mitnahmen? Außerdem schlief Charles nie ein, wenn er unterwegs war, das erlaubte er seinem Körper nicht. Irgendetwas stimmte nicht und er musste Charles schnell wieder finden, bevor diesem noch etwas zustieß.

Er war aufgewacht, noch bevor die Sonne ihre ersten Strahlen in Charles kleines Zimmer werfen konnte und hatte seinen Freund lächelnd beobachtet. Charles Kopf lag auf seiner Brust und er hatte einen Arm um ihn geschlungen. Sein Gesicht war im Schlaf vollkommen entspannt und doch zuckten seine Augen unruhig unter seinen Lidern hin und her. Erik beobachtete Charles noch eine ganze Weile, dann begann er sich vorsichtig von ihm zu lösen, um ihn nicht aufzuwecken.

Das gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht, da der Kleinere fest dazu entschlossen schien, ihn nicht gehen zu lassen. Erik schob langsam Charles Kopf von seiner Brust, was diesen etwas wie „Nein, ich will keine Pizza mit Quittengelee…“ murmeln ließ. Erik musste angestrengt ein Lachen unterdrücken, da ihm die Szene zu dieser Aussage gerade einfiel.
 

Sie hatten sich, ungefähr eine Woche bevor sie noch Kuba geflogen waren, einen Tag frei genommen und wollten essen gehen. Sie hatte sich zuvor kein Restaurant ausgesucht, sondern blieben einfach bei einem stehen, dass ihnen gerade gefiel. Schnell hatte sich herausgestellt, dass es kein normales Restaurant war. Dieses hatte sich nämlich auf ausgefallene Speisen spezialisiert. So gab es dort unter anderem Heuschrecken oder Mehrwürmer in Schokoladen- oder Barbecue-Soße, lebenden Tintenfisch (mit Anleitung wie man diesen verspeist), riesige Tausendfüßler auf Weinblättern und eben diese Pizza mit Quittengelee.

Sie hatte wirklich eine ganze Weile überlegt, ob sie nicht in ein anderes Restaurant gehen sollen und hatten dann beschlossen, zu bleiben um eine neue Erfahrung zu machen. Weitere fünfzehn Minuten hatten sie überlegt, was sie essen sollten. Charles entschied sich für die Heuschrecken in Barbecue-Soße und er selbst hatte sich für das kleinere Übel entschieden, nämlich die Quittengelee-Pizza.

Nach dem ersten zaghaften Bissen, hatte Charles sein Essen wohl gut geschmeckt, denn er sah begeistert auf seinen Teller und grinste, als Erik ihn angewidert angesehen hatte.

„So schlecht schmeckt es gar nicht“, hatte der Kleinere gesagt. „Schmeckt wie Hähnchen.“

„Alles schmeckt wie Hähnchen. Nur Hähnchen nicht, das schmeckt wie Fisch“, antwortete Erik darauf und aß seine Pizza weiter, die alles andere als gut war.

„Probier mal.“

Mit diesen Worten hatte Charles ihm seine Gabel mit einer Heuschrecke hingehalten und erwartungsvoll geschaut. Erik hatte den Kopf geschüttelt.

„Nein danke.“

„Na los, jetzt mach schon.“

Erik verdrehte die Augen, wusste er doch, dass Charles nicht aufhören würde zu nerven und öffnete den Mund. Zugegeben das Zeug schmecke nicht schlecht und um Welten besser, als diese Salamipizza mit Peperoni und Quittengelee. Aber schon sein Stolz und die Tatsache, dass er es hasste, wenn Essen weggeworfen wurde, verboten es Erik seine Pizza stehen zu lassen. Allerdings ließ er sich den Rest einpacken, um ihn zu Hause vielleicht noch zu retten.

Am Abend desselben Tages hatte er sich die Pizza warm gemacht und ein Stück Charles angeboten. Dieser wollte es aber nicht und meinte:

„Nein, ich will keine Pizza mit Quittengelee.“

Im Endeffekt hatte er doch ein Stück davon gegessen, da Erik ihn auf den Boden geworfen und sich auf seine Beine gesetzte hatte. Mit einer Hand hatte er Charles Hände am Boden festgehalten und mit der anderen hielt er ihm ein Stück der Pizza vor den Mund. Immer wieder hatte zwischen zusammengebissenen Zähnen gemurmelt:

„Ich will keine Pizza mit Quittengelee.“

„Mund auf! Ich hab auch deine Heuschrecken gegessen!“

„Niemals!“

Charles weigerte sich weiter, bis Erik seine Hände mit einem Metallkabel am Boden gehalten hatte und ihm mit der nun freien Hand die Nase zuhielt. Als er nach Luft schnappte, stopfte Erik ihm das Stück Pizza in den Mund.
 

Als er sich an den Gesichtsausdruck des Kleineren erinnerte, musste Erik doch lachen. Es war das erste und einzige Mal, dass er Charles zu etwas gezwungen hatte, das er nicht wollte und danach nie wieder. Es war aber auch das erste Mal, an dem er sich seinen Gefühlen für seinen Freund bewusste wurde. Es hatte sich richtig angefühlt den Kleineren unter sich zu spüren. Am liebsten hätte er ihn an diesem Abend schon ins Bett gezerrt, hatte sich aber noch beherrscht.

Jetzt drückte er Charles einen Kuss auf die Stirn, löste sich endgültig aus seiner Umarmung und stand auf. Er suchte seine Kleider zusammen, zog sich an und wandte sich dann schließlich noch einmal dem Bett zu. Charles schlief Gott sei Dank noch. Erik wollte ihn nicht verlassen, aber er hatte keine andere Wahl, es war einfach zu gefährlich. Er deckte Charles wieder richtig zu und wollte schon gehen, als ihm einfiel dass der Kleinere noch Kleider benötigte. Er suchte die Schränke im Zimmer durch (in den meisten fand er Bücher), bis er den Kleiderschrank entdeckte. Lange musste er nicht suchen, bis er Kleider gefunden hatte, die ihm gefielen. Vorsichtig, damit die anderen Kleider nicht aus dem viel zu kleinen Schrank fielen, zog er eine braune Cordhose und einen braunen Pullover heraus und legte beides auf den Nachttisch neben Charles Bett. Dann durchsuchte er noch einige Schubladen und fand Charles Lieblingshandschuhe, welche auch bei Sachen auf dem Nachttisch landeten. Erik strich Charles noch einmal durch die Haare und sah einen Moment zu, wie dieser versuchte sich auf die andere Seite zu drehen und wandte sich dann von ihm ab. Er schnappte sich seinen Helm, besah sich noch schnell das Schachbrett und machte seinen Zug, bevor er aus dem Zimmer verschwand.

So schnell er konnte verließ er das Grundstück der Schule und lief zu seinem Auto. Bevor er einstieg ließ er sich auf alle viere nieder und sah unter den Wagen. Als er gestern losfahren wollte, hatte ihn nur seine Mutation davor geschützt nicht in die Luft gejagt zu werden. Irgendjemand hatte eine Bombe an seinem Wagen angebracht, allerdings vergessen, dass er Metall und die Unterschiede in seiner Struktur spüren konnte. Jetzt stand er wieder auf, setzte sich in sein Auto und fuhr los, immer die Landstraße entlang. Unterwegs hatte er Zeit nachzudenken.

Die Bombe war nicht der erste Versuch in den letzten Tagen gewesen, um ihn zu beseitigen oder wenigstens zu fangen. Alle waren daran gescheitert, dass die Fallen einen Teil Metall in sich trugen, welchen Erik spürte. Nur wer hatte es auf ihn abgesehen? Es mussten ganz klar Menschen sein, denn außer seiner Bruderschaft und Charles kleiner Gruppe gab es noch keinen Zusammenschluss von Mutanten. Außerdem, warum sollten andere ihn angreifen und töten wollen? Er hatte noch nie einem Mutanten etwas getan, mit Ausnahme von Schmidt und Charles. Aber das war etwas anderes gewesen. Schmidt hatte es verdient und das mit Charles war ein unverzeihlicher Unfall gewesen. Es konnten nur die Menschen sein, da war er sich sicher. Es mussten Leute sein, die sie kannten, vielleicht welche vom FBI.

Wie um seine Vermutung zu bestätigen tauchte plötzlich ein schwarzer Wagen hinter ihm auf. Erik war nicht paranoid, aber die jüngsten Ereignisse ließen ihn vorsichtig werden. Erfuhr konstant dieselbe Geschwindigkeit und trat dann, ganz unvermittelt aufs Gaspedal. Der Wagen folgte ihm weiter, auch als er an einer Kreuzung unwillkürlich links, dann rechts, ein weiteres Mal links und schließlich geradeaus fuhr. Er konnte machen, was er wollte, das Auto ließ sich nicht abschütteln. Da es nicht versuchte ihn zu überholen, beschloss er das Spiel mitzuspielen und tat dies auch, ungefähr zwei Tage, in den er kreuz und quer durch die Gegend fuhr. Am dritten wurde es ihm dann zu blöd. Seufzend fuhr Erik an einem Feld rechts ran und stieg aus. Es dauerte drei Minuten, bis aus dem schwarzen Wagen zwei Männer ausstiegen und auf ihn zukamen. Den Wagen hatte er schon einmal gesehen, konnte sich aber nicht erinnern wo.

„Kann ich helfen, Gentleman?“, wollte Erik wissen und lehnte sich lässig gegen seinen Wagen.

„Du kannst freiwillig mitkommen, Mutant“, knurrte einer der beiden, mit einer schwarz verspiegelten Sonnenbrille.

„Dazu müsste ich erst einmal wissen wohin.“

Die beiden kamen näher und der andere ließ seine Fingergelenke Knacken. Erik zog eine Augenbraue hoch. Wussten die beiden nicht, mit wem sie es zu tun hatten oder fühlten sie sich ihm gar überlegen? Mit Mühe konnte er ein verächtliches Schnauben unterdrücken.

„Und was, wenn ich nicht mitkomme? Zwingt ihr mich dann dazu?“, fragte er stattdessen.

„Richtig erkannt, du Monster.“

„Na los, beleidigt mich weiter. Das verbessert eure Lage ungemein“, dachte Erik und wartete, bis die beiden noch ein Stückchen näher gekommen waren.

Dann machte er eine kaum merkliche Bewegung mit der Hand und die beiden wurden von den Füßen gerissen.

„Also ehrlich, wer trägt heut zu Tage schon noch Schuhe mit Metall in den Absätzen? Seid ihr so dämlich, oder tut ihr nur so? Habt ihr euch nicht über den Mutanten informiert, dem ihr folgen sollt?“

Erik ballte die Hand zur Faust und hörte den röchelnden Atem von dem Brillenträger. Er trug eine Kette aus billig versilbertem Kupfer und diese wurde ihm jetzt zum Verhängnis, denn Erik dachte nicht im Traum daran ihn zu verschonen. Seinem Kollegen ging es nicht besser, nur das sein Tod etwas schneller eintrat. Er war schon älter, aber Erik wunderte sich trotzdem, dass er schon einen Herzschrittmacher hatte.

„Noch einen letzten Wunsch? Etwas, dass du mir sagen willst? Ich rate dir mir zu sagen, wer mich verfolgen lässt, dann musst du nicht so leiden wie dein Freund hier.“

Erik versetzte dem Erstickenden einen Tritt, sodass der auf den Bauch herum rollte und seinen Kollegen anstarrte. Mit zitternden Händen versuchte er die Kette um seinen Hals zu lockern, schaffte es aber nicht.

„Einen Scheiß werde ich einer Missgeburt wie dir verraten“, knurrte der andere und spuckte Erik vor die Füße.

Dieser zog eine Augenbraue hoch und machte ein Wink mit der linken. Der Mann riss die Augen auf, starrte ihn an und dann brach sein Blick und nur noch Leere war in seinen Augen zu sehen. Erik drehte sich um und lief zu seinem Wagen. Auf dem Weg ballte er die rechte wieder zur Faust und hörte den erstickten Schrei des Brillenträgers. Dann stieg er in sein Auto und fuhr weiter. Er musste zu seinem Versteck zurück und herausfinden, warum das FBI hinter ihm her war. Natürlich hatte die Behörde jeden Grund dazu, immerhin hätte er fast tausende Menschen getötet. Aber er hat es nicht getan und danach auch nur solche, die es verdient hatten. Im Prinzip hatte er sich nicht anders verhalten, wie bevor er Charles getroffen hatte. Aber aus einem Grund, den er noch nicht kannte, wollten die Menschen ihn jetzt wegen seiner Taten fangen. Oder war es, weil sie jetzt wussten, dass er ein Mutant war?

Er nickte grimmig und dachte an die beiden Agents zurück. Natürlich war es, weil er ein Mutant war. Seit die Menschen von ihrer Existentes wussten, war alles komplizierter geworden, auch wenn sich die meisten seiner Brüder und Schwestern nicht von gewöhnlichen Menschen unterschieden. Wie konnte Charles in Menschen nur etwas Gutes sehen?

„Charles…Verflucht!“

Erik riss das Steuer herum, vollführte ein Wendemanöver und raste in halsbrecherischem Tempo die Strecke zurück, welche er gekommen war. Ihm war eingefallen, wo er den schwarzen Wagen der FBI-Agents schon einmal gesehen hatte, nämlich vor Charles Schule. Nur das es dort zwei Autos gewesen waren. Warum war ihm das nicht verdächtig vorgekommen? War er so abgelenkt gewesen, um diese Gefahr nicht zu sehen?

„Charles? Charles!“

Eriks Stimme hallte durch die Eingangshalle der Villa, bekam aber keine Antwort. Er lief in Charles Zimmer und suchte danach jeden noch so kleinen Raum im Erdgeschoss ab. Dann rannte er die Treppen hinauf, vielleicht hatte Hank ihn nach oben gebracht.

„Charles! Verdammt noch mal, antworte mir!“

Er suchte die ganzen oberen Stockwerke ab, konnte aber weder Charles noch Hank finden. Nach Atem ringend stand er schließlich wieder am unteren Treppenabsatz und überlegte, wo er noch suchen konnte. Aber ihm fiel kein Raum mehr ein. Fast schon verzweifelt fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und sah sich gehetzt um.

„Jetzt mal ganz ruhig, Erik. Charles ist nicht hier, aber das heißt nicht, dass ihm etwas passiert ist. Bestimmt ist er mit Hank in die Stadt gefahren um…Einkäufe zu erledigen…genau“, besorgt und genervt von dieser Ausrede, welche er selbst nicht glaubte, ließ er die Schultern hängen. „Charles fährt freiwillig in eine überfüllte Stadt, wo er dir doch gerade erklärt hat, dass er seine Kräfte nicht kontrollieren kann. Es ist vielleicht schon drei Tage her, aber ich glaube kaum, dass er es in dieser Zeit gelernt hat.“

Erik setzte sich auf die unterste Stufe der Treppe und starrte eine ganze Zeit lang auf die Eingangstür. Doch passierte nichts, keiner kam durch sie herein, um ihn zu beruhigen und zu sagen, dass es Charles gut ging. Aber es kam auch keiner, um ihm zu sagen, dass es Charles schlecht ging. Erik wusste nicht, wie lange er schon da saß, er hatte irgendwann den Kopf in den Händen vergraben und versucht nicht an das Schlimmste zu denken. Das Geräusch eines Vorfahrenden Autos riss ihn aus seinen Gedanken. Schnell sprang er auf, stieß die Eingangstür auf und starrte in Hanks Gesicht.

„Hank, wo ist Cha…“

Im nächsten Moment wurde er von den Füßen gerissen und schlug hart mit dem Kopf auf den Boden auf. Vor seinen Augen explodierten grelle Lichter, teils von dem Schlag, teils von dem Aufprall und er zog sich zu einer Kugel zusammen, was ihm jedoch nicht half. Er steckte einen weiteren Schlag ins Gesicht und einen Tritt in den Magen ein, bevor er anfing sich zu wehren. Hank trug eine Armbanduhr und ein Armband, welches er von Mistique bekommen hatte. Beides hatte einen Metallanteil und anhand dessen konnte Erik Hank davon abhalten ihn ein weiteres Mal zu schlagen. Er stand zwar immer noch vor ihm, hatte aber nun beide Arme zu den Seiten ausgestreckt, konnte sich nicht rühren und starrte ihn wütend an.

„Was willst du hier? Verschwinde! Nur wegen dir hat Charles sich so in sich zurückgezogen und ist unvorsichtig geworden, was sein Leben angeht! Nur wegen dir konnten sie ihn Entführen! Verschwinde von hier!“, brüllte Hank und wehrte sich gegen Eriks Griff, was er so stark tat, dass dieser wirklich Probleme hatte ihn ruhig zu halten, ohne ihm weh zu tun.

„Hank, beruhig dich, dann lass ich dich runter. Okay?“

„Lass mich ruhig runter, damit ich dir den Arsch aufreisen kann!“

Erik holte tief Luft und ließ die Hand sinken, löste allerdings Hanks Fesseln nicht. Er hatte es wahrscheinlich verdient verprügelt zu werden. Aber er wollte gerne noch weiter leben, zumindest bis er Charles gefunden hatte. Danach konnte Hank mit ihm tun, was er wollte.

„Ich werde dich jetzt runter lassen. Aber bitte, hör auf dich wie ein Tier zu benehmen. Verkrüppelt oder Tod kann ich dir nicht helfen, Charles zu finden.“

Hank sagte nichts, gab ihm kein Zeichen, dass er tat was Erik verlangte. Doch dieser hatte keine Wahl, er musste ihn gehen lassen, sonst würde die ganze Situation wahrscheinlich noch mehr eskalieren. Also machte er einen Wink mit der rechten und Hanks Arme fielen fast schon kraftlos herab. Erik machte sich auf alles gefasst, doch der erwartete Schlag blieb aus und Hank starrte ihn einfach nur finster an.

„Ob verkrüppelt oder nicht, du kannst mir so oder so nicht helfen. Die haben Charles in eine Einrichtung mitten in der Pampa gebracht. Dort gibt es kein Gramm Metall, dass du benutzten könntest“, knurrte er und stapfte an Erik vorbei, in Haus.

Dieser folgte ihm und wie sich herausstellte hatte Hank das auch beabsichtigt, denn er führte Erik in sein Arbeitszimmer. Dort setzte er sich vor seinen Computer und tippte ein paar Befehle ein. Schon ging ein Fenster auf, in dem die Aufnahme eines Betonbunkers zu sehen war. Er stand mitten im Gottverlassenen Nirgendwo auf einem Feld und wurde so streng bewacht, dass man meinen könnte der Präsident persönlich würde darin wohnen.

„Das ist das Haus?“, fragte Erik und beugte sich etwas näher an den Bildschirm heran.

„Ja, dass ich Forschungseinrichtung M3. M1 und 2 konnte ich noch nicht finden, da ich mich auf diese konzentriert habe. Dort wird Charles festgehalten.“

„M3?“

Hank nickte und machte ein wenig begeistertes Gesicht, als er anfing zu erklären.

„Die Forschungseinrichtungen M waren uns bekannt, aber wir glaubten da hätte jemand ein Gerücht in die Welt gesetzt, um Mutanten zu erschrecken. In Einrichtung M3 werden ausnahmslos Mutanten mit psychischer Mutation festgehalten, erforscht und untersucht. Mit anderen Worten, sie sind Versuchsobjekte. In M1 und 2 dagegen werden Mutanten mit physischer Mutation und elementaren Kräften untersucht.“

Wut kochte in Erik hoch. Er hatte es von Anfang an gewusst, aber Charles wollte nicht auf ihn hören. Hätte er es getan, wäre er jetzt nicht in M3 gefangen. Diese verdammten Menschen mussten alles, was sie nicht kannten beseitigen. Aber vorher wurde das Unbekannte noch gequält und an ihm herumexperimentiert, damit man den besten Weg zur Vernichtung oder etweiligen Nutzen für die Menschheit aus ihm herauspressen konnte.

„Okay, hast du den genauen Standort der Einrichtung?“, fragte Erik, um einen gelassenen Tonfall bemüht, was ihm nicht ganz gelang.

„Ja schon, aber…“

„Aber was? Warum bist du dann noch hier? Du hättest Charles schon lange helfen können!“

Hank schüttelte den Kopf.

„Eben nicht“, er drückte zwei Tasten auf der Tastatur und schon machte die Kamera einen Rundflug um das Gebäude, um einen genauen Bauplan davon aufzurufen. „Siehst du, es sind zu viele Etagen, um sie an einem Tag zu durchsuchen. Mal ganz davon abgesehen, dass wir erst einmal hineinkommen müssen. Wie bereits erklärt, dort ist nichts aus Metall. Alles Plastik, Holz, Keramik und Porzellan, die Mauern sind durchweg Beton. Außerdem wird der ganze Gebäudekomplex strengstens bewacht. Keiner kommt rein oder raus, ohne sich durchsuchen zu lassen und einer Genehmigung des Leitenden Professors.“

Hank schüttelte den Kopf und Erik befürchtete schon, er hätte aufgegeben. Das musste doch zu schaffen sein. In seinem Leben war Erik schon in viele Gebäude eingedrungen, egal ob mit gefälschten Papieren oder ohne. Er würde auch in dieses kommen, das schwor er sich.

„Wo liegt es?“, fragte er einfach nur.

Hank sah ihn an, drückte dann einen weiteren Knopf und schon zeigte der Monitor eine Landkarte von Miami. Aber etwas stimmte an dieser nicht und Erik erkannte erst auf den zweiten Blick, dass vor der Küste eine Insel lag, welche er noch nie zuvor gesehen hatte.

„Es ist eine Insel, die aus allen Datenbanken gelöscht wurde. Sie wurde mit einem speziellen Frühwarnsystem ausgestattet, welches ausgelöst wird sobald jemand über eine festgelegte Grenze schwimmt, fährt, wie auch immer. Das System stößt dann Ultraschallstöße aus, in einer Frequenz, die Lebewesen ein Gefühl von Angst erzeugen. Bis jetzt sind alle wieder umgedreht. Aber ich schätze, wenn die nicht der Fall sein sollte, wartete irgendwo ein Abschusskommando.“

Ein Gefühl von Angst? Das war gut. Angst konnte Erik benutzen, genauso wie Wut, um seine Kräfte noch zusätzlich zu stärken. Aber wenn es dort nichts gab, dass er mit ihnen beeinflussen konnte, dann nütze ihm das ganze Nichts. Aber er konnte sich Metall mitnehmen und das würde er auch tun.

„Wie schnell kannst du mich dort hin bringen? Wenn du schon nicht mithelfen willst Charles zu befreien, dann lass es mich wenigstens versuchen“, meinte Erik und sah Hank ernst an.

Dieser überlegte einen Moment, dann nickte er, wie um einen Gedanken zu bestätigen und stand auf. Er bedeutete Erik ihm zu folgen und führte ihn in den Keller, wo sein Flugzeug startklar bereit stand.

„In ungefähr zwei Stunden sollten wir dort sein und wer hat dir gesagt, dass ich nicht helfen möchte? Charles braucht jemanden, dem er vertrauen kann und das bist eindeutig nicht du!“

Erik nickte und tat so, als hätten die Worte keine Wirkung auf ihn. In Wirklichkeit machten sie ihn traurig, vor allem da Hank Recht hatte. Charles hatte ihm sein Vertrauen geschenkt. Das erste Mal hatte er es auf Kuba missbraucht, dass zweite Mal vor drei Tagen, als er einfach ohne ein Wort gegangen war. Charles würde ihm nicht mehr vertrauen, da machte er sich keine Illusionen. Zwar war der Kleinere ein Herzensguter Mensch, aber auch seine Güte und sein Mitgefühl kannten Grenzen.

Er folgte Hank zum Flugzeug und nahm neben ihm im Cockpit platz. Noch bevor er etwas zu seinem Gegenüber sagen konnte, hatte dieser den Jet gestartet und hielt auf die Wand ihm gegenüber zu. Immer schneller rollte das Flugzeug auf den Sandstein zu und Erik krallte die Hände in die Armlehnen. Doch der erwartete Aufschlag blieb aus. Stattdessen flogen sie einfach durch die Wand hindurch. Erst als sie draußen waren und Erik nach Luft schnappen musste, fiel ihm auf, dass er die ganze Zeit Hanks Namen gerufen, ja fast schon geschrien hatte. Nur langsam beruhigte sich sein Atem und er funkelte Hank wütend an.

„So schreckhaft habe ich dich ja noch nie erlebt“, meinte dieser grinsend.

„Du hättest mich auch vorwarnen können. Was war das überhaupt?“

„Ein Hologramm. Ich hab es eingebaut, damit wir nicht immer warten müssen, bis das Garagentor geöffnet ist. Toll oder?“

Die Schadenfreude war ihm anzuhören und anzusehen, da er ganze zehn Minuten lang ein Dauergrinsen im Gesicht hatte. Irgendwann wurde es Erik zu blöd und er ging in den hinteren Teil des Jets.

„Sag mal, du hast doch hier bestimmt irgendwo einen Kugelschreiber oder etwas in der Art, oder?“

„Natürlich, außerdem eine Küche und wenn du den roten Knopf neben dir drückst, öffnet sich die Tür zur Terrasse. Für was hältst du diesen Jet? Einen Luxusflieger? Hier ist nur das wichtigste für eine Mission drin.“

„Ein einfaches Nein hätte auch ausgereicht, Hank“, knurrte Erik genervt.

Langsam ging ihm die Laune des anderen auf die Nerven. Erik wusste, dass er einen großen Anteil der Schulden auf den Schultern trug, was Charles Lage und geistigen Zustand anging. Aber Hank musste es ihn ja nicht so spüren lassen. Er machte sich schon genug Vorwürfe auch ohne die Kommentare des anderen. Wenn er nicht schwach geworden wäre und seinen Gefühlen nachgegeben hätte, hätte das FBI vielleicht nicht erfahren, wo Charles sich aufhielt, bis er sie ausgeschaltet hatte. Das Ganze war seine Schuld und Charles musste jetzt dafür büßen. Erik wollte sich gar nicht vorstellen, was er gerade durchmachen musste. Verdammt, konnte dieser Jet nicht schneller fliegen?

Um sich abzulenken durchsuchte er das Cockpit und den Frachtraum nach metallischen Gegenständen, welche er sich leihen konnte. Allerdings fand er, außer drei losen Schrauben nichts und selbst diese drei gab ihm Hank nur, damit er irgendetwas Metallisches hatte, was er als Waffe benutzen konnte.

Nach zwei Stunden landeten sie endlich in Miami und machten sich zu Fuß auf den Weg zum Strand. Unterwegs nahm Erik hier und da mal etwas aus Metall mit und ließ es in den Taschen seines schwarzen Mantels verschwinden. Hank bekam davon nichts mit. Erik achtete sehr darauf, dass er nicht sah, wie er etwas klaute oder ihm plötzlich eine dünne Eisenkette zuflog. Hank musste ja nicht alles wissen. Bis sie den Strand erreichten, hatte Erik eine beachtliche Anzahl an Alltagsgegenständen beisammen, mit denen er jeden in Sekundenschnelle töten konnte. Doch dann standen sie vor einem anderen Problem. Sie brauchten ein Boot, am besten ein sehr schnelles und es gab an den ganzen Bootsverleihen nicht ein Händler der ihnen eines geben wollte. Nach dem dritten, der sie zum nächsten geschickt hatte, schnaubte Erik und wandte sich dem Meer zu.

„Hank, ich komm gleich wieder“, meinte er, obwohl er wusste, dass sein Partner ihn nicht hörte, da dieser gerade in Verhandlungen verstrickt war.

Erik lief ein Stück am Stand entlang und hielt seinen Blick auf das Wasser gerichtet. Schnell fand er was er suchte, nämlich ein Motorboot, das über das Wasser zischte. Ein Wink seiner Hand und schon drehte das Boot um und hielt auf den Strand zu. Er ließ es langsamer werden, sodass es nicht gleich am Strand zerschellte und sprang hinein. Die beiden perplexen Passagiere, ein junger Mann und ein Mädchen, das bestimmt fünf Jahre jünger war, warf er kurzerhand heraus und fuhr das Stück zurück, welches er gerade gelaufen war.

„Hank! Problem gelöst!“, rief er, so laut er konnte.

Erik hätte schwören können, dass er ihn gehört hatte, aber dennoch reagierte er erst beim dritten Rufen und drehte sich zu ihm um. Mit großen Augen sah er ihn an und kam schnell zu ihm an den Strand.

„Will ich wissen, wie du das bekommen hast?“, fragte Hank und sprang in das Boot.

„Ich habe ein Pärchen gebeten es uns zu überlassen“, erklärte Erik und grinste.

Hank schüttelte nur den Kopf und sagte so lange nichts mehr, bis sie schon ein gutes Stück weit auf das Meer hinausgefahren waren.

„Und wie willst du jetzt zu der Insel kommen? Das Boot wird den Alarm auslösen und wir werden von Keramikkugeln durchlöchert am Grund des Meeres landen“, wollte Hank wissen und sah Erik fragend an.

„Nicht wenn ich das Abschusskommando zuerst durchlöchere.“

„Wie willst du das anstellen?“

Zur Antwort griff Erik in seine Manteltasche und holte eine Hand voll 9mm Patronen heraus. Er ließ sie vor Hanks Gesicht schweben und grinste erneut, diese Mal aber sein Haifischgrinsen.

„Du müsstest doch wissen, wie ich das anstelle.“

Hank schnaubte, sagte jedoch nichts mehr und Erik war froh darüber. So konnte er wenigstens etwas nachdenken. Denn dieses Abschusskommando war nicht ihr einziges Problem. Sie musste ja auch auf die Insel und ungesehen in die Forschungseinrichtung kommen, von dem Weg zu Charles ganz zu schweigen. Auf die Insel zu kommen, war kein Problem, da war sich Erik sicher. Schwieriger wurde es in die Einrichtung einzudringen und herauszufinden, wo sie Charles festhielten. Am besten sie würden zwei Wachmänner ausschalten und deren Plätze einnehmen.

Ein nerviges Piepsen riss Erik aus seinen Plänen und ließ ihn auf sehen. Allem Anschein nach hatten sie die Grenze überschritten und den Alarm ausgelöst. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern und sie würden Gesellschaft bekommen.

„Hank, das ist jetzt wichtig, also hör mir zu. Ich muss schnell reagieren können, wenn die Wachen auftauchen und kann dann keine Rücksicht auf die nehmen. Deswegen bleibst du genau hier sitzen.“

Erik streckte die Hand in seine Richtung und schon wurde er nach hinten geschubst und zwei Eisenstangen wickelten sich um seine Brust und seinen Bauch und hielten ihn fest, aber nicht zu fest, gegen die Bootswand gedrückt.

„Erik! Mach mich los!“, brüllte Hank und riss an seinen Fesseln.

„Wenn alles vorbei ist, mein Freund, nicht vorher.“

Im nächsten Moment sah er ein Motorboot auf sie zukommen und schon flogen die ersten Schüsse.

Kopfschmerzen, höllische Kopfschmerzen weckten Charles aus einem Schlaf, von dem er das Gefühl hatte, er hätte viel zu lange gedauert und war unfreiwillig gewesen. Er schlug die Augen auf, presste sie jedoch sofort wieder zusammen, da ihn ein gleisend helles Licht blendete. Mit den Händen rieb er sich die Augen, oder wollte es zumindest. Daran gehindert wurde er, weil er die Hände nicht anheben konnte. Panik ergriff ihn. Warum konnte er seine Hände nicht bewegen? Reichte es nicht, dass er seine Beine nicht mehr spürte, musste er jetzt auch noch das Gefühl in den Armen verlieren? Wie lange würde es dann dauern, bis er nicht einmal mehr den Kopf bewegen konnte? Bevor die Panik zu mächtig wurde, zwang er sich dazu logisch zu denke und sich zu beruhigen. Mit dieser, wenn auch unstabilen, Ruhe kam auch das Gefühl in seine Arme zurück. Er konnte sie spüren, sie aber trotzdem nicht bewegen und jetzt, einmal darauf aufmerksam geworden, bemerkte er auch, dass er seinen Oberkörper nicht anheben konnte.

Außerdem fiel ihm noch etwas auf, was auf erschreckende und gleichzeitig beunruhigende Art neu war. Er hörte keine Stimmen, nicht eine einzige. Sein Pulsschlag beschleunigte sich und sein Atem wurde schneller. Was war hier los, wo war er und warum waren seine Kräfte verschwunden?

Ein Geräusch erklang, dass sich anhörte als wurde eine Tür geöffnet. Die dazu passenden Schritte verrieten ihm das mindestens drei Leute auf ihn zukamen. Noch bevor Charles etwas sagen konnte, wurde bereits geredet.

„Das ist unser neuester… Besucher. Charles Xavier, Telepath. Er war bei dem Vorfall auf Kuba dabei.“

„Ist er wach?“

„Das dürfte noch nicht der Fall sein. Wir haben das Betäubungsmittel hoch dosiert, da wir ihn für gefährlich halten.“

„Sie wissen aber schon, dass er ab dem Bauchnabel abwärts gelähmt ist?“

Ein Lachen erklang.

„Seine Kraft liegt im Kopf, nicht in den Beinen. Er könnte sie ohne weiteres kontrollieren und ihnen seinen Willen aufzwingen.“

„Was ich aber niemals tun würde“, mischte Charles sich ein.

Es war vielleicht nicht der geschickteste Schachzug, ihnen jetzt schon zu zeigen dass er wach war, aber er konnte nicht anders. Dieser Mann behauptete etwas, dass er nie tun würde und das musste er klar stellen.

„So viel zu dem Thema, er ist ausreichend sediert“, erklang eine Stimme, deren Besitzer es wohl gewohnt war, Befehle zu erteilen.

„Betäubungsmittel halten nicht lange bei Telepathen. Besonders nicht bei so starken, wie diesem Exemplar.“

Exemplar? Hatte Charles richtig gehört? Er hoffte nicht, denn solche Ausdrücke wurden fast ausschließlich bei Tierärzten oder in Laboratorien benutzt. Da es absurd wäre zu glauben, er würde in einer Tierarztpraxis gefangen gehalten, kam nur noch eines in Frage. Er war in einem Labor, aber wie kam er hier her? Er wusste noch, dass er mit Hank in einem Café gewesen war, danach nichts mehr.

Er strengte seinen Geist an, um auf die gewünschte Erinnerung zuzugreifen, aber seine Gedanken flossen so träge als wären sie mit Honig umschlossen. Was hatten sie mit ihm gemacht? Unruhe machte sich in ihm breit. Sein ganzes Leben lang hatte er sich wenigstens auf sein logisches Denken konzentrieren können und das hatte ihm mehr als einmal geholfen, nicht verrückt zu werden. Momentan jedoch konnte er sich auf nichts konzentrieren.

„Was… was haben sie mit mir gemacht?“, murmelte Charles.

„Wir haben dir nur ein Mittelchen zur Beruhigung gegeben, welches nebenbei auch deine telepathische Kraft unterdrückt. Du sollst uns ja nicht beeinflussen, mit deinen Fähigkeiten.“

Das unausgesprochene „Wenn wir an dir arbeiten“ stand drohend im Raum und Charles musste noch nicht mal Gedanken lesen können, um es zu hören.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte er und wunderte sich selbst, wie leise seine Stimme plötzlich war. „Ich habe niemandem etwas getan.“

„Noch nicht. Aber keine Sorge, wir wollen dich nur untersuchen.“

Plötzlich spürte er ein Stecken im rechten Arm und seine Gedanken begannen noch träger zu fließen, bis er schließlich sein Bewusstsein verlor.
 

Das nächste Mal erwachte Charles nicht durch Kopfschmerzen, dafür aber einen anderen, Schmerz im rechten Arm. Er konnte genau fühlen, wie einen Flüssigkeit in seine Vene lief, denn das Zeug brannte wie Hölle. Immerhin hatten sie das blendend Licht ausgeschaltet und so konnte Charles sich in dem Raum umsehen, in dem er lag.

Alles war weiß und sah unangenehm steril aus. Neben ihm, auf einem kleinen Tisch der aus Porzellan oder Marmor zu bestehen schien, lagen mehrere Spritzen, Skalpelle und andere Gegenstände, von denen er gar nicht wissen wollte, für was sie benutzt wurden. Aber ihm viel auf, dass nichts davon aus Metall war. Über ihm hing die Lampe, welche ihn geblendet hatte und zu seiner linken war eine Glasfront in die Wand eingelassen. Er selbst lag auf einer Liege, der aus Stein zu bestehen schien und seine Arme und sein Oberkörper waren mit breiten, braunen Lederbändern mit dem Tisch verbunden. Er war also wirklich in einem Labor. Aber warum?

Er kannte die Antwort, wollte sie aber nicht wahrhaben.

„Erneut erwacht. Das ist perfekt, dann können wir ja beginnen“, erklang die Stimme hinter ihm, die er als letztes gehört hatte.

„Womit anfangen?“

„Den Tests.“

Ein Mann von mittlerem Wuchs, einer Glatze und strengen Gesichtszügen trat in sein Blickfeld.

„Was haben sie vor?“, wollte Charles wissen und Angst machte sich in ihm breit.

„Zuerst einmal werde ich einige Proben entnehmen.“

Mit diesen Worten nahm er ein Skalpell vom Tisch und setzte es an Charles linkem Arm an. Mit einer Genauigkeit und Präzision, die Charles noch nie gesehen hatte, schnitt er einen gut zwei Zentimeter langen und breiten Streifen aus seiner Haut. Am Anfang hatte er nichts gespürt, doch dann sog er vor Schmerz die Luft ein.

„Das war das“, meinte der Professor und klebte ein steriles Pflastert über die Wunde. „Weiter geht’s.“

Charles knirschte mit dem Zähnen. Der Schmerz war auszuhalten, aber er war ungemein lästig, beeinträchtigte er doch noch zusätzlich seine Gedanken. Allerdings war das nun sein geringstes Problem, da er sich plötzlich auf der Seite liegend wiederfand. Der Professor hatte den Gurt um seine Brust gelockert und ihn auf die linke Seite gedreht. Was ziemlich unangenehm war, da seine rechte Hand immer noch an die Liege festgebunden war. Außerdem konnte er sich nicht selbst so halten, also drückte der Professor ihn nach vorne, was den unangenehmen Zug auf seiner Schulter verstärkte. Doch auch das war schnell vergessen, als ein sengender Schmerz durch seine Wirbelsäule schoss. Er schrie auf und versuchte sich aus dem Griff des Professors zu befreien, was ihm nicht gelang. Stockend atmete er aus und biss die Zähne zusammen, bis sein Kiefer wehtat. Der Schmerz zuckte durch seinen gesamten Körper, bis hinab in die Zehenspitzen und trieb ihm die Tränen in die Augen. Wenn er gekonnt hätte, hätte Charles sich zusammengerollt. Im nächsten Moment lag er jedoch wieder auf dem Rücken und gab ein schmerzverzerrtes Stöhnen von sich.

„Das war die Rückenmarksprobe“, erklärte der Professor und zog das Lederband, um Charles Brust, wieder straff. „Als nächstes werde ich dir Blut abnehmen. Das ist nicht so schlimm.“

Er griff ein weiteres Mal zu dem kleinen Tisch und nahm eine Spritze zur Hand.

„Da du an beiden Armen schon Infusionen hast und ich diese nicht abnehmen kann, muss ich mir dein Blut von wo anders holen.“

Er drückte Charles Kopf zur Seite und dieser sog ein weiteres Mal die Luft zwischen den Zähnen ein, als der Professor die Nadel wenig gefühlvoll in seinen Hals rammte.

„Wozu brauchen sie die ganzen Proben und wo bin ich hier eigentlich?“, wollte Charles wissen.

So absurd es war, aber wenn er sich auf den Schmerz konzentrierte, konnte er wenigstens etwas klar denken. Der Professor beugte sich über ihn und sah ihm kurz in die Augen, dann zog er eine Augenbraue hoch und setzte sich wieder auf den Arzthocker neben der Liege.

„Es ist schon erstaunlich, dass du immer noch in der Lage bist einen klaren Gedanken zu fassen. Ich schätze ich werde die Dosis deines Betäubungsmittels noch einmal erhöhen müssen. Aber ich will dir erklären, was wir hier machen“, er zog die Nadel aus Charles Hals und besah sich das Blut in der Spritze. „Es ist doch so, dass ihr Mutanten quasi eine Weiterentwicklung von uns Menschen seid. Wir wollen herausfinden, was genau sich bei euch verändert hat, um es dann entsprechend auf Menschen zu übertragen. Stell dir mal folgendes vor: Ein Soldat, der sich tarnen kann wie ein Chamäleon, so schnell läuft, dass man ihn nicht sieht und dazu telepathische Kräfte hat, mit denen er seine Gegner für ihn Kämpfen lassen kann. Das wäre doch einfach perfekt und nur unsere Regierung hätte diese Supersoldaten.“

Charles riss geschockt die Augen auf. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Mutationen mussten natürlich entstehen, sonst würden sie dem Betreffenden schaden. Diese Soldaten würden, für den Rest ihres Lebens, unter Schmerzen leiden müssen, die sogar für einen gestandenen Mann zu viel sein konnten. Er musste diese Leute zur Vernunft bringen. Das durfte einfach nicht passieren!

„Das können sie nicht machen! Diese Supersoldaten, wie sie sie nennen, würden nicht lange leben. Sie würden ihrem Leben selbst ein Ende setzten, da sie die Schmerzen der künstlichen Mutation nicht aushalten würden.“

„Oh, das können sie nicht. Jedem von diesen Soldaten wird ein Chip eingepflanzt, mit dem man ihn, per Knopfdruck, lähmen oder sogar töten kann. Du siehst, wir haben an alles gedacht.“

Charles konnte den Mann vor sich nur geschockt ansehen. War es so weit mit den Menschen gekommen, dass sie aus anderen Roboter machen wollten? Das durfte er nicht zulassen. Er musste das verhindern. Aber dafür musste er hier erst einmal raus und das war sein größtes Problem. Er konnte ja nicht einfach aus dem Zimmer laufen. Aber vielleicht gelang es ihm…der Gedanke verschwand, noch bevor er richtig Gestalt annehmen konnte.

Der Grund dafür war, dass der Professor den Tropf der Infusion seiner linken Hand höher eingestellt hatte. Schon wieder drohten Charles die Sinne zu schwinden, aber irgendwie schaffte er nicht Ohnmächtig zu werden. Stattdessen glitt er in einen Zustand zwischen Wach und Schlaf, in dem er zwar alles mitbekam, was um ihn herum passierte und auch alles spürte, was mit ihm gemacht wurde, aber nicht darauf reagieren konnte, außer mit Schmerzenslauten.

Er konnte nicht sagen, was die Professoren mit ihm machten. Er spürte den Schmerz, der niemals enden wollte, konnte aber nicht sagen von welchem Körperteil er ausging. Er nahm auch Schemen war, die sich um ihn herum bewegten und hörte Gesprächsfetzten, die aus weiter Ferne zu kommen schienen.

Wie lange lag er schon so in dem Raum? Er konnte es nicht sagen. Es konnten locker schon Monate sein, oder aber auch erst einen oder zwei Tage. Was er aber sagen konnte war, dass er nicht mehr wollte. Sein gesamter Körper schrie vor Schmerzen und er hatte noch nicht einmal mehr die Kraft, den Kopf zu drehen. Außerdem ließen sie ihn nicht schlafen. Immer wenn der Schlaf ihn überwältigen wollte, wurde ein Licht über ihm eingeschaltet, welches noch durch seine geschlossenen Lider drang und ihn wach hielt.

Aber wie träge, müde oder von Schmerzen erfüllt sein Kopf auch war, immer wieder schoss ihm ein Gedanke in den Sinn:

Hoffentlich haben sie Erik und Hank nicht auch erwischt!
 

Nach einer Ewigkeit, wie es Charles schien, spürte er, wie die Infusionen gezogen und die Lederbänder gelockert wurden. Irgendjemand setzte ihn auf und stützte vorsichtige seinen Kopf, den er nicht von alleine heben konnte. Dann wurde er von der Liege herunter in einen Rollstuhl gesetzt und aus dem Raum geschoben. Wie im Traum sah er Türen und Menschen an sich vorbei fliegen. Irgendwann flog eine dieser Türen auf und Charles erhaschte einen Blick in einen Raum, vollkommen mit Blut verschmiert war. Gerade wollte eine Frau, mit blutverschmiertem Gesicht und Händen hinausrennen, als ein Schuss erklang und sie, mit leeren Augen, nach vorne fiel und reglos liegen blieb.

Charles brauchte einen Moment, um zu begreifen, was gerade passiert war. Dafür war er nur umso geschockter. Was wurde hier mit Mutanten gemacht?

Als das nächste Mal eine Tür aufging, wurde er hindurchgeschoben. Der Raum unterschied sich nicht viel von dem, in dem er bis jetzt festgehalten worden war. Einmal abgesehen davon, dass vor der Glasfront etliche Waffen aufgereiht dastanden. Er wurde an zu der gegenüberliegenden Wand geschoben und posiert, dass die Waffen direkt auf ihn zeigten.

„Zeit für die Tests“, erklang die Stimme des Professors, kalt und gleichgültig wie immer.

„Welche Tests?“, presste Charles mühsam hervor und erschrak, als er seine, vom Schreien, raue Stimme hörte.

„Diejenigen, die dir wahrscheinlich noch weniger gefallen werden, wie die letzten.“

Erik hatte sich hinter die Bootswand geduckt und wartete bis die erste Salve über seinen Kopf hinweggezischt war. Eines der Projektile schlug eine Handbreit neben dem Motor in die Wand ein. Erik beugte sich vor, zog es aus der Metallverkleidung und besah es sich genauer. Hank hatte Recht gehabt, in dieser Kugel war nicht ein Milligramm Metall enthalten. Stattdessen fühlte sie sich an wie Keramik. Er schüttelte den Kopf. Die Menschen waren so einfallsreich, dass ihm manchmal schlecht wurde.

„Erik, ich schwöre dir, wenn du mich nicht auf der Stelle frei lässt, reis ich dir persönlich den Kopf ab!“, knurrte Hank wütend und zog ein weiteres Mal an den Metallstangen.

Erik holte tief Luft, gab ihm aber keine Antwort. Verstand dieser blaue Affe in Menschengestalt denn nicht, dass er sich Sorgen um ihm machte? Er glaubte vielleicht, dass er ihm egal sei, aber so was es nicht. Immerhin hatte er bei dem Training für seine Fähigkeiten genauso mitgeholfen, wie Charles. Und mal davon abgesehen, war ihm jeder Mutant wichtig.

Die Schüsse waren verklungen und Erik wagte es über den Rand der Bootswand hinauszusehen. Das andere Motorboot war schon um einiges näher gekommen und jetzt sah er einen der, in schwarz gekleideten und maskierten Männer, eine Hand an den Mund legen. Im nächsten Moment wehte eine Stimme zu ihnen herüber.

„Gebt auf, ihr hab keine Chance! Niemand betritt diesen Bereich, der keine ausdrückliche Einladung dabei hat. Wir werden euch auf den Grund des Meeres schicken!“

Erik zog eine Grimasse.

„Die fragen ja noch nicht einmal, was wir wollen oder befehlen uns umzukehren.“

„Das sind eben nicht ihre Befehle“, stellte Hank klar.

Erik schnaubte anfällig. Er hasste Leute, die blind jeden Befehl befolgten. Wo blieb da die eigene Meinung? Außerdem waren seine Erfahrungen mit solchen Leuten ja auch nicht gerade gut gewesen. Die, die er kannte hatten die Ausrede „Das war ein Befehl“ oder „Ich habe nur Befehle befolgt“ für jede ihrer Taten eingesetzt und waren damit durchgekommen.

„Ich mach euch einen Vorschlag“, rief Erik schließlich. „Ein Freund von mir, ist in eurem schicken, kleinen Labor gefangen. Er hat es nicht gerne, wenn jemand getötet wird, also gebe ich euch eine Chance euer Lebe zu retten. Verschwindet von hier und lasst euch nicht wieder blicken, dann werde ich euch nichts tun! Bleibt ihr, strebt ihr hier!“

„Große Töne für jemanden der gleich am Meeresgrund liegt!“, kam die Antwort sofort und ohne Zögern.

„Ihr wollt es also nicht anders.“

Erik griff in seine Tasche und holte die 9mm Patronen heraus. Er konnte nicht wirklich zielen, da sie schon wieder unter Beschuss standen, aber das was er sah reichte aus, um bei zwei der sieben Männer für immer das Licht auszuknipsen. Die restlichen Geschosse blieben in der Bootswand stecken oder landeten im Wasser. Er verschwendete keinen Gedanken darauf, sie wieder zu holen. Sie waren zu klein, das wäre eine unnötige Suche, da er ja noch andere Gegenstände hatte.

Hinter ihm beschwerte sich Hank schon wieder lautstark und dann ruckte plötzlich das Boot, als hätte er sich dagegen geworfen. Erik schüttelte den Kopf. Hank war genauso stur wie jemand anderen, den er kannte.

„Jetzt hör auf, in einer, höchstens zwei Minuten mach ich dich los. Du kannst mir doch eh nicht helfen, auf die Entfernung zwischen den Booten.“

„Ich helf dir gleich mal und danach kannst du dir den Küstenrettungsdienst zur ersten Hilfe und für die lebensverlängernden Maßnahmen bestellen!“

„Jetzt wollen wir aber mal nicht übertreiben, was?“

Wieder flogen Schüsse durch die Gegend und Erik druckte sich schnell wieder. Er musste näher an die Wachen heran, damit er genauer zielen konnte. Er atmete tief ein und aus und legte die Hände auf den Boden des Bootes. Dann ging ein leichter, aber spürbarer Ruck durch das Boot und es nahm Fahrt auf. Er steuerte direkt auf das andere zu und machte keine Anstalten anzuhalten. Hinter sich hörte er Hank seinen Namen rufen und dass er verrückt sei und sie umbringen würde. Die Kollision mit dem anderen Boot würden sie nicht überleben, da beide mit aller Wahrscheinlichkeit explodieren würden.

Erik grinste nur in sich hinein. Das war die Rache für das Hologramm beim Start des Jets.

Sein Grinsen jedoch verschwand, als erneut auf sie geschossen wurde. Da sie näher an dem Boot waren, konnten die schwarz gekleideten auch besser zielen. Kurzerhand ließ Erik den Bug des Bootes nach oben rucken und das soweit, dass sie nun fast senkrecht auf dem Wasser fuhren. Die ganzen Projektile schlugen in den Rumpf ein, ohne wirklich großen Schaden zu verursachen. Jetzt war Hank wahrscheinlich froh, an die Bootswand gebunden zu sein, da er sich sonst hätte nirgends festhalten können. Erik hatte das Problem nicht. Er hielt sich einfach mit seinen Kräften auf dem Boden fest.

Kurz bevor sie mit dem anderen Boot zusammenstießen, ließ er ihres ein Stückchen über dem Wasser schweben und es sich dann überschlagen. So standen sie für den Bruchteil eines Augenblickes auf dem Kopf und gleichzeitig über dem Boot des Abschusskommandos. Grinsend griff Erik in die Tasche seines Mantels und ließ den Großteil daraus auf die Männer unter ihm fallen. Im nächsten Moment schlug ihr Boot wieder im Wasser auf. Erik wandte sich zu dem anderen um. Eine Hand in Hanks Richtung ausgestreckt, löste er die Stangen um seinen Bauch und seine Brust, dann konzentrierte er sich ganz auf die anderen.

Von dem Boot scholl Gelächter herüber.

„Was soll das? Willst du uns mit Schmuck fertig machen? Ich hab ja solche Angst vor Halsketten“, meinte einer der Männer, mit gespielter ängstlicher Stimme.

„Ja, ich werde euch mit Schmuck töten“, erwiderte Erik ernst.

Bevor ein weiterer Kommentar abgegeben werden konnte, schoss Eriks Hand nach vorne und schon hörte am die ersten Schmerzenslaute. Was Hank nicht sehen konnte, war für Erik zu spüren. Er spürte, wie sich eine Halskette um den Hals eines Mannes legte und fest zusammenzog, dass er erstickt, ein weiterer starb an der Tatsache, dass sich vier Nadel direkt in sein Herz bohrten und dort anfingen die Herzkammer zu zerstechen. Zwei der übriggebliebenen tötete er mit einem kleinen Taschenmesser, indem er ihnen die Kehlen durchschnitt und der Letzte würde ertrinken. Erik hatte nämlich unter sich im Meer etwas metallisches gespürt. Ein Wink mit der Hand und schon wickelte sich die Eisenkette um die Beine des Mannes, zog ihn über den Bootsrand ins Wasser und hinab in die Tiefe. Er würde ertrunken sein, noch bevor er bei dem metallischen Gestand am Meeresboden ankam.

„Ironie des Schicksals“, meinte Erik und sah ihm mit seinem Haifischgrinsen hinterher.

Denn es war der Mann gewesen, der ihnen zuvor damit gedroht hatte, sie auf den Grund des Meeres zu schicken. Im nächsten Moment sah Erik Sternchen und fand sich auf dem Deck liegend wieder. Hank stand drohend über ihm und hatte die Hände zu Fäusten geballt.

„Wenn du mich noch einmal fesselst, oder sonst irgendwie festhältst, bist du tot! Verstanden?!“

Erik nickte mühsam, da sich vor ihm alles drehte. Er hatte schon mit so etwas gerechnet, aber nicht so bald. Hank hatte einen ganz schönen Wums hinter seinen Schlägen. Traute man ihm gar nicht zu, wenn man ihn sich so ansah. Er war ja nicht mehr, als ein Spargel mit Armen und Beinen, zumindest, wenn er seine Mutation unterdrückte.

„Sag mal, Hank, wirst du eigentlich jemals zu deinem wahren Aussehen stehen, oder dich immer hinter deinem Serum verstecken?“, wollte Erik wissen und rappelte sich auf.

Hank gab ihm keine Antwort und er hatte auch keine erwartet. Bei diesem Thema war er sehr empfindlich. Erik schüttelte den Kopf um die leichte Benommenheit zu vertreiben und setzte das Boot wieder in Bewegung. Den Rest der Fahrt sprachen die beiden kein Wort und obwohl sie so schnell wie möglich fuhren und es keinen weiteren Zwischenfall gab, kamen sie erst bei Einbruch der Dunkelheit am Strand der Insel an.
 

„Wir sollten bis morgen warten. Im Dunkeln kommen wir nicht weit“, meinte Hank und duckte sich hinter das Gestrüpp, mit dem sie ihr Boot getarnt hatten.

Erik gab einen missgelaunten Ton von sich. Er wusste, dass Hank Recht hatte, wäre aber trotzdem lieber sofort in das Labor eingebrochen. Jede Minute, die Charles länger darin gefangen war, machte ihn nervöser. Seine Gefangenschaft durfte nicht länger als unbedingt nötig dauern, sonst würden sie ihn vielleicht niemals mehr lebend sehen.

„Dann lass uns ein bisschen die Lage auskundschaften. Vielleicht finden wir ja einen sicheren Weg hinein“, schlug er vor und ging los, ohne zu warten.

Natürlich konnten sie nicht einfach über die Insel spazieren. Überall waren Überwachungskameras installiert und Wachen, teilweise sogar Soldaten, patrouillierten um das große, graue Gebäude herum. Hank musste Erik zwei Mal davon abhalten, sie frühzeitig zu verraten. Beide Male waren sie auf Wachen gestoßen, die sich über die Forschungseinrichtung unterhalten hatten. Was sie dabei zuhören bekamen gab ihnen nicht wirklich mehr Hoffnung, Charles lebend wiederzusehen.

Laut Aussage der ersten Wache, waren „diese Monster und Missgeburten nicht berechtigt zu leben und müssen beseitigt werden. Es ist mir nur recht, dass die nach den Tests und Experimenten getötet werden.“ Sein Leben hatte er einzig und allein dem Umstand zu verdanken, dass Hank Erik auf eine Kamera aufmerksam gemacht hatte und dieser herauszufinden versuchte, ob darin metallische Teile enthalten waren, damit er sie drehen konnte. Wie sich herausstellte, war dies nicht der Fall.

Beim zweiten Mal hätten die Wachen wirklich fast dran glauben müssen. Sie hatten sich über ein Experiment unterhalten, dass am Mittag schiefgegangen war. Dabei war versucht worden, die Fähigkeiten eines Telekineten mit Stromschlägen zu verstärken. Die Schläge bekam er direkt ins Gehirn, da sich davon die meisten Erfolge versprochen wurden. Nachdem es bei den ersten paar Malen nicht funktionierte, hatte man den Strom erhöht. Das Ergebnis war gewesen, das der Kopf des Telekineten regelrecht gegrillt wurde und schließlich explodierte. Die einzigen Kommentare, der beiden Wachen, zu diesem Vorfall waren:

„Ich möchte nicht die Putzen sein, die jedes Mal diese Sauerei wegwischen muss. Die muss entweder einiges gewohnt sein, oder sehr gut bezahlt werden.“

Und:

„Diese Missgeburten haben es nicht anders verdient, die sollten alle so beseitigt werden. Ich verstehe nicht, dass die frei herumlaufen dürfen. Alleine die Vorstellung so ein Ding könnte meiner Tochter zu nahe kommen…“

Erik war schon aufgesprungen und hatte sein Messer auf die beiden zuschnellen lassen, als Hank ihn am Arm packte und zu sich herum riss.

„Gefangen oder tot können wir Charles nicht helfen“, hatte er geflüstert.

Erik hatte knapp genickt, seine Hand weggeschlagen und war weiter gelaufen. Das Messer flog nur wenige Millimeter an Hanks Ohr vorbei und landete in Eriks Hand, der es gleich wieder einsteckte.

Mittlerweile waren sie wieder bei ihrem Boot angekommen. Aber Erik dachte nicht im Traum daran sich tatenlos hinzusetzen und auf den Morgen zu warten. Im Gegenteil, er beschloss den kleinen Wald in ihrer Nähe zu erkunden. Hank blieb lieber beim Boot. Er hatte sich auf dessen Deck gelegt und versuchte gerade einzuschlafen, als es sich von selbst bewegte.

Was machte dieser nervöse Trottel jetzt wieder?

Die Arme vor der Brust verschränkt, saß Hank da und wartete ab, wo das Boot hinfuhr. Fast geräuschlos glitt es durch das Wasser und fuhr so weit um die Insel herum, bis der Wald rechts von ihm erschien. Auf diesen hielt er jetzt zu. Das Boot fuhr, ohne einmal anzustoßen, zwischen den Bäumen hindurch und hielt erst vor Erik an, der wartend am Ufer stand.

„Was ist?“, wollte Hank leicht genervt wissen, da er müde war. „Hast du Angst alleine durch den Wald zu laufen oder hast du dich verirrt?“

„Eigentlich wollte ich dich ersäufen. Sei froh, dass ich etwas entdeckt habe, was ich dir unbedingt zeigen wollte“, gab Erik zurück und bedeutete Hank ihm zu folgen.

Dieser seufzte, sprang aber aus dem Boot und folgte Erik. Er hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten, da er kaum etwas sehen konnte. Als Erik dann plötzlich stehen blieb, lief Hank mit vollem Schwung in ihn hinein. Erik stolperte zwei Schritte nach vorne, fing sich aber, wild mit den Armen rudern, ab bevor er stürzen konnte. Kein Wort der Entschuldigung kam über Hanks Lippen.

„Wenn du schreist oder sonst etwas machst, dass uns auffliegen lässt, stoß ich dich in das Loch“, warnte Erik mit ernster Stimme.

„Für was hältst du mich? Ein kleines Schulmädchen?“

„Nein, aber für jemanden, der so etwas noch nicht gesehen hat.“

Ein schwacher Lichtkegel erschien und Hank hielt augenblicklich den Atem an, als er in dem fahlen Licht erkannte, was Erik gemeint hatte. Vor ihnen, in einer Grube, lagen unzählige, reglose Körper. Hank war froh darüber, dass das Licht nicht sehr hell war. Er wollte gar nicht genauer erkennen, wie diese entstellt waren. Es reichte ihm, dass ein paar blicklose Augen, an denen die Fäulnis schon nagte, in seine Richtung sahen und er erkannte, dass einige der Körper nicht mehr in einem Stück in das Loch gefunden hatten. Er wandte sich ab, denn er war sicher sein Mittagessen wiederzusehen, wenn er länger in die Grube sah.

Erik ekelte sich auch vor dem Anblick. Aber er zwang sich weiter hinzusehen und sich alles zu merken, denn genau das würde er mit den Professoren machen, sobald er sie gefunden hatte. Wut machte sich in ihm breit und drohte ihn zu übermannen. Früher hätte er es zugelassen, denn damals hatte er aus ihr seine Kraft bezogen. Seit er Charles kennen gelernt hatte, wusste er, dass es noch einen stärkeren Quell gab und aus diesem würde er Kraft schöpfen, wenn sie am Morgen in die Forschungseinrichtung eindrangen.

„Was habt ihr damit vor?“, fragte Charles und deutete auf die Schusswaffen ihm gegenüber.

Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache. Wollte er überhaupt wissen, was sie testen wollen? Eigentlich nicht, aber die Frage war draußen. Mittlerweile waren der Professor, drei weitere Männer und eine Frau in dem Raum hinter der Glasscheibe erschienen und beobachteten ihn.

„Nun es ist ganz einfach, Mutant. Wir wollen wissen, wie weit deine Fähigkeiten reichen. Wie wissen, dass du in die Gedanken anderer eindringen und sie kontrollieren kannst. Aber ist das wirklich alles?“

Charles legte die Stirn in Falten. Das meinte der Professor doch nicht ernst, oder?

„Ja, das sind alle meine Fähigkeiten. Ich höre die Gedanken anderer, kann in ihren Geist eindringen, sie kontrollieren, sie quasi einfrieren und ein Bild von mir selbst an einen anderen Ort projizieren. Mehr nicht, das ist alles“, meinte er und seine Stimme überschlug sich fast, da er wusste, dass seine Worte nichts ändern würden.

„Du wärst erstaunt, welche Fähigkeiten bei euch Mutanten freigesetzt werden, wenn ihr unter dem richtigen Druck steht. Es ist ganz einfach, du musst nur die Kugel aufhalten.“

Charles riss die Augen auf, als sie eine Pistole auf ihn richteten. Das konnte nicht ihr Ernst sein. Waren die vollkommen verrückt? Er konnte doch keine Waffen kontrollieren, schließlich war er ein Telepath.

„Ich kann keine Gegenstände kontrollieren oder aufhalten. Ich bin ein Telepath, kein Telekinet oder jemand, der ein bestimmtes Material kontrollieren kann.“

Der Abzug der Pistole krümmte sich langsam. Charles schluckte und versuchte die aufsteigende Angst niederzukämpfen.

„Ich werde die Kugel nicht stoppen können“, versuchte Charles zu erklären.

Ein Schuss er klang. Charles zuckte zusammen, presste die Augen zu und wartete auf den Schmerz, der allerdings ausblieb. Stattdessen spritze Verputzt von der Wand auf seine Wange. Die Kugel hatte ihn verfehlt, aber nicht, weil er sie abgelenkt hätte. Fast hätte er erleichtert geseufzt, doch dann fiel ein weiterer Schuss. Zum Glück traf dieser auch nicht.

„Ich glaube wir müssen die Waffen neu einstellen. Sie zielen nicht mehr auf den richtigen Punkt“, meinte einer der Männer, in Begleitung des Professors und drückte auf ein paar Knöpfe.

Die Pistole bewegte sich etwas nach rechts und oben, dann erklang der nächste Schuss. Charles schrie auf. Eine Hand auf die rechte Schulter gepresst, sank er nach vorne und holte vor Schmerz stöhnend und zitternd Luft. Die Kugel hatte seine Schulter durchschlagen. Als er den Kopf hob, liefen ihm Tränen über die Wangen und es kostete ihn all seine Selbstbeherrschung, nicht ein weiteres Mal zu schreien.

„Wenn du sie nicht aufhältst, wirst du noch mehr Wunden davon tragen“, hörte er den Professor sagen.

„Ich kann…das nicht“, presste er zwischen den Zähnen hindurch und drückte die Hand fester gegen seine verletzte Schulter.

„Dann wirst hier sterben.“

Erneut fiel ein Schuss und wieder schrie Charles. Diesmal hatten sie ihn ins rechte Bein getroffen. Schmerz jagte durch seinen Körper und löschte für einen Moment seine restlichen Empfindungen aus. Er glaubte sogar für einige Sekunden das Bewusstsein verloren zu haben. Als er die Augen wieder aufschlug, sah er, dass er eine Hand instinktiv auf die Wunde presste. Blut quoll in Strömen zwischen seinen Fingern hindurch und färbte die weiße Leinenhose binnen eines Lidschlages rot.

„Ich kann es nicht!“, rief er und schluchzte.

Von dem Professor oder seinen Kollegen kam keine Antwort. Charles sah, dass sie miteinander redeten, konnte aber nicht verstehen, worüber. Er hatte Mühe überhaupt den Kopf zu heben. Am liebsten hätte er sich so tief in seinen Geist zurückgezogen, dass er keine Schmerzen mehr spüren konnte. Aber er hatte auch Angst, dann nicht mehr herauszufinden.

„Na schön, probieren wir etwas anderes“, erklang die Stimme des Professors.

Charles wollte gar nicht wissen, was jetzt kam. Aber ihm blieb wohl nicht erspart es herauszufinden. Im nächsten Moment ging die Tür zu seiner rechten auf und ein junger Mann kam herein. Er trug dieselben Kleider wie Charles, weiße Leinenhosen, weißes Leinenhemd. Dazu kamen aber noch ein Ring, der aussah als sei er aus Eisen und sich wie ein Stirnband um dessen Kopf legte und eine Pistole, die er in der Hand trug.

„Was… haben sie vor? Reicht es nicht… dass mich ihre Maschinen abschießen?“, wollte Charles wissen und drückte die Hand fester gegen die Wunde, in der Hoffnung die Blutung stoppen zu können.

„Du hast doch gesagt, du bist ein Telepath, dann kannst du ihn ja aufhalten.“

Charles lächelte gequält. Wie sollte er das tun, wenn sie ihm doch seine Fähigkeiten geraubt hatten. Aber einmal darauf aufmerksam gemacht, konnte er tatsächlich eine leise Stimme hören, ganz so, als käme sie aus weiter Ferne. Sie war fiel zu leise, um sie festzuhalten oder gar über sie in den Kopf des anderen zu kommen und ihn so zu kontrollieren.

„Du hast die Wahl, Mutant. Halt ihn auf oder stirb.“

Der andere kam auf ihn zu und setzte ihm die Pistole gegen die Stirn. Einige wichtige Sekunden lang konnte Charles ihn nur anstarren, dann fing der Mann an, den Finger am Abzug zu krümmen. Da er ihm so nahe war, konnte Charles nun doch in seine Gedanken eindringen und versuchte, ihn mit reden aufzuhalten.

Nicht! Hör bitte auf damit. Ich tu dir nichts und auch sonst keinem. Du musst das nicht tun!

Der Mann reagierte nicht, sah ihn einfach nur aus leeren Augen an. Panik ergriff Charles und er überlegte wild, was er tun sollte. Er wollte ihn nicht verletzten, erst recht nicht als er spürte, dass er auch ein Mutant war.

Bitte! Du musst ihnen nicht gehorchen!

Charles stockte. Und was wenn doch? Wenn dieses Eisenstirnband ein Prototyp des Kontrollchips war und der Mann gar nicht anders konnte, als ihn anzugreifen.

„Sie sind ein Monster! Sie zwingen uns dazu, uns gegenseitig zu verletzten damit sie weiter experimentieren können!“, rief Charles und sah an dem Mann vorbei zu dem Professor.

„Tut mir ja leid. Aber anders tut ihr nicht, was wir euch sagen.“

Es tut mir leid. Aber ich will noch nicht sterben.

Charles drang tiefer in den Geist des anderen ein und versuchte diesen zu kontrollieren, doch etwas blockierte ihn, sodass es ihm nicht gelang. Vielleicht war er immer noch zu schwach und konnte es deshalb nicht. Oder dieses Stirnband hatte etwas damit zu tun.

Stopp!

Auf diesen Gedankenbefehl hin blieb der Mann vollkommen reglos stehen und rührte keinen Finger mehr. Erleichtert atmete Charles auf, sog ihm nächsten Moment aber schmerzlich die Luft zwischen den Zähnen ein. Durch die Verbindung zu ihm, spürte Charles wie dem Mann warm wurde und dann heiß. Von dem Stirnband ging eine unglaubliche Hitze aus, welche sein Gehirn regelrecht kochte. Schnell unterbrach Charles die Verbindung. So egoistisch sich das anhörte, er hatte sich einmal in einem Kopf befunden, als der Mensch oder besser gesagt, Mutant getötet wurde. Diese Schmerzen wollte er kein zweites Mal miterleben. Er sah, wie der Mann auf die Knie fiel, zur Seite kippte und dann reglos liegen blieb. Das alles passierte ohne dass ein Laut über seine Lippen gekommen war. Um Atem ringend sah Charles zu den Professoren. Vielleicht hatten sie ja jetzt genug Tests.

Er hoffte es, denn seine Sinne schwanden allmählich. Er hatte einfach zu viel Blut verloren. Lange würde er nicht mehr bei Bewusstsein bleiben. Er spürte seinen rechten Arm nicht mehr, dafür sein Bein umso deutlicher. Er hatte die Zähne fest zusammengepresst, was den Schmerz allerdings nicht linderte. Seltsamerweise nahm er den Schmerz in seinen tauben Beinen um ein Mehrfaches deutlicher war, als in Körperteilen, die er spürte.

Aber es sah nicht so aus, als hätten die Professoren schon genug. Die Tür wurde ein weiteres Mal geöffnet und diesmal kam eine Frau herein. Sie hatte keine Waffen dabei, trug aber auch einen dieser Eisenringe. Sie kam auf Charles zu und drückte ihn gegen die Wand. Es schien ihr egal zu sein, dass er vor Schmerz keuchte, als sie einen Finger in die Wunde an seiner Schulter grub.

Hör auf, bitte!

Dann töten sie mich! Ich will nicht sterben!

Eine Telepathin! Charles schöpft etwas Hoffnung. Wenn sie mit ihm reden konnte, wurde sie vielleicht nicht von ihnen kontrolliert. Zumindest nicht im Moment.

Ich auch nicht. Zusammen können wir vielleicht von hier verschwinden.

Wir können sie aus diesem Raum heraus nicht beeinflussen. Die Wände sind aus einem Material, das unsere Kräfte blockiert. Sie werden mich töten.

Eine Schmerzwelle rollte durch Charles Geist und für einen Moment konnte er an nichts denken.

Sie sind da draußen, sie können dich nicht töten.

Das sagst du, du trägst ja auch keinen dieser Kontrollringe um den Kopf. Du hast doch gesehen, was mit ihm passiert ist!

Sie deutete auf den Mann, dem gerade das Hirn gekocht worden war.

„Julia, greife ihn endlich an, oder wir machen das für dich.“

„Nein, ich will euch nicht mehr in meinem Kopf haben!“

Charles hatte keine Chance mehr, ihr noch etwas zu sagen. Erneut wurden seine Gedanken von Schmerzen erfasst. Er hatte noch nicht einmal Zeit, um sich dagegen zu wappnen. Diesmal kam kein Schrei über seine Lippen, denn er konnte nicht schreien. Genau genommen konnte er kein Körperteil bewegen. Sie hatte seinen Geist vollkommen von seinem Körper abgeschnitten. Der einzige Schrei der erklang, war in seinen Gedanken zu hören.

Er musste sich wehren, sonst würde sie ihn wirklich töten. Also startete er einen Gegenangriff und hatte sogar Erfolg damit. Charles drängte sie soweit in ihren eigenen Geist zurück, wie er konnte und hielt sie dort fest. Er wusste, dass er sie töten würde, wenn er sie aus ihrem Kopf herausdrängte und schob sie immer weiter auf diese eine unsichtbare Barriere zu. Mit dem nächsten Stoß würde er sie töten.

Aber ein Teil von ihm, und der war größer als der Rest, wollte ihr nichts tun. Er wollte sie nicht verletzten, hatte keinen Grund dazu. Sie befolgte nur Befehle, um nicht selbst getötet zu werden. Er konnte es nicht, sonst würde er genauso sein, wie diejenigen, die dieses Labor leiteten. Außerdem würde er dann genau das machen, was die Professoren von ihm wollten und diese Genugtuung wollte er ihnen nicht geben.

Ich kann dich nicht töten.

„Ich töte sie nicht. Macht mit mir, was ihr wollt, aber dazu könnt ihr mich nicht zwingen“, sagte er laut und löste die Verbindung zu Julia.

Diese sah ihn fast schon entsetzt an. Er konnte ihr Gedanken hören. Sie konnte es nicht fassen, dass er sie verschont, hielt ihn sogar für verrückt. Sie war aber auch verwirrt und wusste nicht, was sie tun sollte. Fragend sah sie zu dem Professor, dieser schüttelte den Kopf und machte eine Geste zur Tür. Julia nickte dankbar und ging.

Danke. Aber du hättest mich töten sollen, denn jetzt wirst du leiden. Du hättest dir das ersparen können.

Ich töte niemanden.

Als Charles seinen Blick wieder auf die Glasscheibe richtete, war der Raum leer. Sofort spannt er sich an und sah zur Tür. Keine Minute später kam der Professor herein und stellte sich drohen vor ihn.

„So läuft das hier nicht, Charles. Du tust, was wir sagen, oder du wirst bestraft.“

So schnell, das Charles nichts dagegen tun konnte, zog er eine Pistole und schoss ihm, einige Zentimeter über der ersten Wunde, in das Bein. Charles hörte sich selbst nicht mehr aufschreiben, denn der erneute Schmerz löschte all seine Wahrnehmung aus. Er sah nichts mehr, hörte nichts mehr, konnte nichts sagen und spürte nur noch diese höllischen Schmerzen. Dann war alles schwarz und er hieß diese Schwärze und ihre alles umfassende Taubheit willkommen.
 

Er wusste nicht wo sie ihn hinbrachten, aber er spürte dass er gefahren wurde, dann war er wieder ohnmächtig. Als nächstes spürte er wieder eine Liege unter sich, ein Ziehen in den Armen, Schmerzen in Schulter und Bein, dann nichts mehr.

Es konnten Stunden, Minuten oder Tage gewesen sein, bis er wieder genug Kraft hatte, die Augen aufzumachen. Wohl eher Stunden, aber er war sich nicht sicher. Er lag in einem anderen Raum, als bisher, was die Sache aber nicht besser machte. Wo der andere zu wenig eingerichtet gewesen war, war dieser zu überfüllt mit Maschinen, deren Anwendung er sich nicht einmal vorzustellen wagte.

„Zum Glück arbeitet dein Gehirn auf Hochtouren, so verarbeitest du alles schneller und kommst auch wieder schneller zu dir“, erklang die Stimme des Professors. „Dann können wir schneller weiter machen.“

„W…was…was haben sie… mit mir vor?“, murmelte Charles benommen.

Er bekam keine Antwort, sah aber aus den Augenwinkeln, wie der Professor mit einer der Maschinen hantierte. Er schob einen Bildschirm auf ihn zu, der mit einigen Kabel verbunden war. Diese endeten wiederum in weißen, runden Plättchen. Diese drückte er Charles jetzt auf Stirn, Schläfen und den Nacken.

„Für was… sind die?“

Wieder keine Antwort, nur ein leises Summen, welches von dem Bildschirm ausging. Charles fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen, was ihn ungewohnt viel Mühe kostete.

„Still halten und versuch bitte nicht, den Kopf zu bewegen.“

„Was… ah!“

Charles Kopf ruckte in den Nacken. Er hatte den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen. Er wusste nicht, was der Professor mit ihm machte, aber es fühlte sich an, als würde er Strom durch seinen Kopf jagen. Im nächsten Moment war es vorbei.

„Was…“, weiter kam er wieder nicht, denn der Professor unterbrach ihn.

„Der Strom stimuliert dein Gehirn, sodass es seine Leistungen erhöht. Leider weiß ich nicht, wie hoch ich ihn für dich einstellen muss. Aber da du keinen Schaden erlitten hast, gehe ich davon aus, dass die Dosis entweder genau richtig oder zu klein war. Ich würde aber eher auf zweiteres Tippen.“

Er drehte an einem Regler und drückte dann einen Knopf. Wieder zuckte Charles Kopf und sein gesamter Körper spannte sich an. Blitzes aus reiner Pein zuckten durch seinen Kopf und ließen nichts als Taubheit zurück. Beim nächsten Schlag sah er nur noch grelles, weißes Licht, dass von gelegentlichen roten Flecken unterbrochen wurde. Beim übernächsten Mal, spürte er seinen Körper nicht mehr und dann war es wieder schwarz um ihn herum.

Doch auch dieses Mal sollte die Ohnmacht nicht lange anhalten. Der Professor stand über ihn gebeugt da und ersetzte gerade die eine Maschine durch eine andere. Wieder wurden ihm von diesen weißen Plättchen auf Stirn, Schläfen und Nacken geklebt. Dann spürte er, wie etwas, genau an diesen Stellen, in seine Haut stach. Die Luft zwischen den Zähnen einsaugend, grub er sich die Fingernägel in die Handflächen. Dann jagte wieder Strom durch seinen Körper und er hörte seinen Schrei, der seltsam von den Wänden des Raumes wiederhalte.

„Entschuldigen Sie, können sie mir helfen? Der Motor meines Bootes ist plötzlich ausgefallen, als ich und meine Freunde an dieser Insel vorbei gefahren sind.“

Schon zeigten zwei Gewehrläufe auf Erik. Dieser hob erschrocken die Hände und machte einen Schritt rückwärts.

„N…nicht schießen. Wir fahren auch gleich weiter, wir bräuchten eben nur Hilfe beim Starten des Motors“, meinte er.

Die Männer sahen sich an, dann nickte einer und sie wandten sich wieder Erik zu.

„Wo liegt denn dein Motorboot?“

„Nicht weit von hier, am Strand.“

„Dann bring uns hin, wir werden sehen was wir tun können.“

Erik drehte sich um und grinste. So leicht konnte man Wachen von ihrem Posten weglocken. Die Aussicht, dass er nicht alleine auf der Insel gestrandet war und noch Freunde dabei hatte, lockte sie mit zum Strand. Schließlich sollten sie alle Eindringlinge erledigen. Er hätte sie am liebsten gleich hier und jetzt erledigt, aber dann würden sie mit aller Wahrscheinlichkeit zu früh entdeckt werden. Erik führte sie ein Stück weit den Weg entlang, dann bog er davon ab. Er brachte sie zu einem Felsen und blieb dort stehen.

„Was ist, geh weiter!“

Erik schüttelte den Kopf. Im nächsten Moment erklang ein unangenehmes Knacken, als die Köpfe der beiden Wachen gegeneinander prallten und sie sackten in sich zusammen. Hank stand hinter ihnen und sah Erik finster an. Dieser verlor keine Zeit, sondern zog dem größeren der beiden die Kleider aus, um selbst hineinzuschlüpfen. Hank tat das Gleiche mit dem anderen und bevor sie zurückgingen, versteckten sie die beiden hinter dem Felsen. Hank wartete nicht auf Erik, sondern lief einfach los.

Diesem war das nur Recht, denn so konnte er dafür sorgen, dass ihnen die beiden Wachen nicht folgten. Mit einem kräftigen Ruck brach er den Beiden das Genick, schnappte sich das Gewehr und schloss zu Hank auf.

Tatsächlich kamen sie ungehindert in das Labor und konnten sich dort frei bewegen. Jetzt mussten sie nur noch Charles finden. Das gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht, da sie keinen nach dem Weg fragen konnten. Wenn sie das tun würden, mussten sie sich eine Ausrede einfallen lassen, warum sie sich hier nicht auskannten und das wiederum würde ungewollte Aufmerksamkeit auf sie lenken. Sie mussten als das Archiv finden, um Charles zu finden. Sie beschlossen zum Hauptgebäude des Labors zu gehen, um dort nach dem Archiv zu suchen.

Auf dem Weg dorthin kamen sie an einem Lageplan vorbei. Mit hochgezogenen Augenbrauen sahen sich Hank und Erik an. Was sagte das wohl über diese Einrichtung aus? Hank deutete auf eine Stelle, die mit einem roten Punkt markiert war.

„Wir sind hier und hier“, er fuhr mit dem Finger über die Plastikscheibe. „Ist das Archiv. Wir hatten Recht, es ist im Hauptgebäude.“

„Wir brauchen ungefähr eine viertel Stunde bis dahin und… schätzungsweise eine halbe um hier rauszukommen, was meinst du?“, fragte Erik.

„Könnte hinkommen, warum?“

Erik grinste finster und deutete auf einen Raum, der die Beschriftung Elektronik trug.

„Ich will noch eine kleine Änderung an der Elektronik des Gebäudes vornehmen. Das sie Charles entführt haben, hat mir ausgereicht um alle Menschen in diesem Labor töten zu wollen. Aber nach der Leichengrube da draußen, werde ich das komplette Labor vernichten“, erklärte er. „Neben dem Archiv ist der Kontrollraum. Dort gibt es bestimmt einen Schalter zur Entriegelung der Zellen. Mach sie auf und gib die Durchsage, dass sich alle beeilen sollen hier herauszukommen. Den Rest müssen sie alleine schaffen, ich nehme heute nur auf eine Person Rücksicht. Wir treffen uns am Kontrollraum.“

Hank nickte. Man konnte ihm ansehen, dass ihm dieser Plan nicht gefiel, aber er gab kein Kommentar dazu. Er würde ihn so ausführen und sich nicht erlauben, ein schlechtes Gewissen zu bekommen. So ungern er es auch zugab, Erik hatte Recht. Sie konnten das Labor nicht stehen lassen, sonst würde das ganze nie enden.

Sie gingen noch ein Stück gemeinsam, dann bog Erik in einen Seitengang ein und verschwand hinter einer Ecke. Hank lief schneller und gab sich Mühe, die Augen für das zu verschließen, was er unterwegs sah. Aber so ganz wollte ihm das nicht gelingen und mit jeder Zelle, an der er vorbei kam und die offen stand, stimmte er Erik noch mehr zu. Es war wie ein Albtraum. Weiße Zellen, in denen Mutanten gefangen gehalten wurden. Hank konnte zwei Mal einen Blick auf Experimente erhaschen, die gerade durchgeführt wurden, sah mehrere Mutanten Leiden und einen sogar sterben. Entsetzen ergriff ihn, als er daran dachte, dass dies auch mit Charles gemacht worden war. Ein Großteil der Zellen, die er sah, war blutverschmiert und zeigte einfach nur ein Bild des Grauens. Irgendwann lief Hank wie mit Scheuklappen durch die Gänge zum Archiv. Er war sich sicher, dass er, wenn er nur noch eine weitere dieser Zellen sehen würde, die Beherrschung verlor.

Endlich im Archiv angekommen, fand er dies, glücklicherweise, leer vor und musste sich keine Gedanken darüber machen, die Leute loszuwerden. Er ging zu den Schränken, öffnete diese und zog eine Schublade heraus. Erleichtert stellte er fest, dass die ganzen Unterlagen nach Namen sortiert waren, so fand er schnell heraus, in welcher Zelle Charles gefangen gehalten wurde.

„Zelle 257, den Gang runter, einmal links und einmal rechts abbiegen, dann die erste Tür“, prägte sich Hank ein und verließ das Archiv wider.

So schnell er konnte, ohne dabei Aussehen zu erregen, lief er zu Charles Zelle.
 

Erik hatte die Hälfte der Zeit benötigt, um zum Elektronikraum zu kommen. Dort hielten allerdings zwei Soldaten wache, also musste etwas in dem Raum sein, das entweder gefährlich oder wichtig war. Einen einfachen Elektronikraum ließ man doch nicht bewachen. Erik sah sich kurz unauffällig im Gang um, entdeckte keine Kameras und beschloss kurzerhand die beiden zu töten. Aus einer seiner Hosentaschen holte er zwei schwere Metallkugeln heraus und ließ sie über seiner Handfläche kreisen. Dann trat er um die Ecke und sah die beiden Soldaten finster an. Ruckartig öffnete er die Hand und schon flogen die Kugeln pfeilschnell los. Jede von ihnen traf einen der Männer am Hals und zertrümmerte ihm den Kehlkopf. Die beiden sanken an der Wand hinab und sahen ihn entsetzt an. Die Metallkugeln verschwanden wieder in Eriks Tasche, noch bevor er den Raum betrat.

„Na wer sagst denn, damit lässt sich arbeiten“, meinte Erik.

Vor ihm im Raum standen nicht nur der Zentralrechner und alle möglichen anderen Stromversorgungsgeräte, nein hier wurden auch die Waffen gelagert. Schön säuberlich in Regale und eigens dafür gebauten Ständer standen und lagen Gewehre, Pistolen, Munition und sogar Granaten.

„Entweder die haben ein Gottvertrauen, dass hier niemand reinkommt und keiner der Angestellten ein Mutant oder Helfer der Mutanten ist, oder die sind einfach nur sau blöd“, schoss es ihm durch den Kopf.

Wer bitteschön lagerte schon Munition und Granaten in der Nähe von elektronischen Geräten, bei denen es immer mal vorkommen konnte, dass Funken spritzen. Naja, ihm sollte es recht sein, so wurde die Explosionskraft eben noch größer.

Erik schloss sorgfältig die Tür hinter sich und ging zu dem Zentralrechner hinüber. Er grinste, als er bemerkte, dass alles aus Metall bestand. Da legten sie so viel Wert darauf, nichts metallischen in ihrem Labor zu haben und dann das hier. Egal! An die Arbeit. Er riss ein paar sorgsam ausgewählte Kabel aus dem Rechner und verband sie miteinander, dann verband er das Ganze mit dem Sicherungskasten und stellte sicher, dass seine Konstruktion erst in mindestens einer viertel Stunde Funken sprühen würde. Danach ließ er ein Kabel, welches er zuvor komplett aus dem Rechner entfernt hatte, vom Sicherungskasten auf den Boden fallen. Jetzt kam die Fuschelarbeit. Er schnappte sich drei Pistolen und ausreichend Munition, genauso wie einen Granatengürtel mit acht Granaten und legte es zur Tür. Dann nahm er sich eine Handvoll Patronen und öffnete diese. Das Schwarzpulver kippte er vor sich auf den Boden. Dies tat er so lange, bis er genug Pulver zusammen hatte, um den Rest der Munition zu zünden. Er schob es zu einem Häufchen zusammen, ließ eine Spur zum Munitionsvorrat laufen und steckte dann das Ende des herunterhängenden Kabels in das Schwarzpulver.

Die Hitze, welche bald von dem Kabel ausgehen würde, reichte aus, um das Schwarzpulver zu entzünden. Da er die Polarität des Zentralrechners umgekehrt hatte, würde dieser in spätestens fünfzehn bis fünfundzwanzig Minuten überhitzt sein, erst anfangen zu Schmoren und schließlich explodieren. Ebenso wie die restliche Munition.

Erik ging zur Tür, hob die Pistolen auf, lud sie durch und verstaute sie, wie die restlichen Pistolenmagazine in seinen Hosen. Den Granatengürtel hing er sich um und verließ den Raum. Er musste Hank und Charles finden, damit sie so schnell wie möglich von hier verschwanden. Unterwegs war es ihm egal, ob er Aufsehen erregte, weil er andere Wachen aus dem Weg stieß oder den Granatengürtel umhängen hatte. Früher oder später würden sie entdeckt werden und so hatte er wenigstens noch die Genugtuung einige dieser Schweine eigenhändig zu erledigen. Was er unterwegs sah, verbesserte die Schicksale der Wachen, Soldaten und Professoren nicht, die er traf. So viel Leid hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen. Er konnte es sogar spüren, ganz so als wäre es zu etwas greifbarem geworden.

Um Munition zu sparen, denn die würden sie noch benötigen, tötete Erik seine Feinde mit seinem Messer und die beiden Metallkugeln. Den meisten schnitt er einfach achtlos die Kehlen durch, oder zertrümmerte ihren Schädel. Nur wenn er gerade an einer Zelle vorbei kam, die offen stand oder aus der Schreie oder andere Schmerzenslaute kamen, gönnte er den Menschen nicht die Gnade, so schnell zu sterben. Dann schnitt er ihnen die Pulsadern auf, jede am gesamten Körper oder durchlöcherte ihre Lungen, damit sie langsam und qualvoll verbluteten oder erstickten. Es dauerte nicht lange, da hallten Alarmsirenen durch die Gänge und etliche Soldaten stellten sich ihm in den Weg.

„Kommt nur. Ich bin gerade so richtig gut drauf“, knurrte Erik und machte keine Anstalten stehen zu bleiben.

Noch ehe es sich die Männer und Frauen versahen, war die Hälfte von ihnen tot und die andere lag im Sterben. Erik machte keinen Unterschied zwischen Männer und Frauen oder Soldaten und Professoren. Sie alle arbeiteten hier und experimentierten an seinen Brüdern und Schwestern herum, also mussten sie auch alle sterben. Er bog in einen Gang ein, als Hank plötzlich aus einer Zelle gerannt kam und beinahe in ihn hineingelaufen wäre.

„Erik! Schnell, ich brauch deine Hilfe! Charles…“

Erik war an ihm vorbei und in dem Zimmer, noch ehe Hank den Satz beendet hatte. Wie erstarrt blieb er stehen und starrte auf Charles, der auf einer Liege lag und kaum zu atmen schien. In jedem Arm hatte er eine Infusion liegen, die nicht wirklich gesund aussah, aber das war das kleinere Übel, beschloss Erik. Die kurze Leinenhose, welche Charles gerade man bis in die Mitte des Oberschenkels reichte und alles war, was er an Kleidung trug, war vielleicht irgendwann einmal weiß gewesen. Jetzt war sie rot, blutrot und nur noch an manchen Stellen konnte man erkennen, wie sie früher einmal ausgesehen hatten. Charles Brust lag frei und auf ihr waren einige frisch vernähte Schnitte zu sehen. Außerdem klebten die Messplättchen einer Maschine darauf. Dieselben Plättchen, nur von einer anderen Maschine klebten auf seiner Stirn, Schläfen und Nacken. Sein Körper war mit Lederbändern an der Liege befestigt und das so fest, dass sie ihm in die Haut schnitten und Blut langsam, aber unaufhörlich aus den Wunden floss. Auf seinem Gesicht spiegelte sich nichts anderes als Schmerz.

Außerdem fiel Erik auf, dass in einer Ecke des Raumes ein Mann hockte, der einen Laborkittel trug. Das musste der Arsch sein, der Charles das angetan hatte. Um ihn würde er sich noch kümmern. Aber zuerst brannte ihm etwas anderes auf der Zunge.

„Warum hast du ihn noch nicht los gemacht?“, herrschte Erik Hank wütend an.

„Weil sich Nadeln von den Messplättchen in seine Haut bohren. Ich fang schon an zu zittern, wenn ich daran denke, was schief gehen könnte wenn ich während ich die Nadeln ziehe zitterte. Er könnte sogar sterben, je nachdem wie tief sie in seinem Kopf stecken.“

Erik verstand und trat neben die Liege. Er war sich sicher, dass in einer der Infusionen ein Beruhigung- oder Schlafmittel enthalten war und beschloss deswegen zuerst alles andere von und vor allem aus Charles zu entfernen, bevor er diese zog.

„Pass auf, dass niemand rein kommt. Wenn doch schieß ihn ab“, mit diesen Worten reichte er Hank eine Pistole und wandte dann seine gesamte Aufmerksamkeit Charles zu.

Er schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Das hier war keine überdimensionale Satellitenschüssel oder ein U-Boot. Er musste alles richtig machen und hatte keinen zweiten Versuch. Erik holte Luft, beruhigte sich und konzentrierte sich auf den Punkt, den Charles ihm gezeigt hatte. Genau zwischen Wut und Gelassenheit. Dann griff er mit seinen Kräften nach den Nadeln, verbot es sich selbst zu erschrecken, als er spürte sie viele es waren, und zog sie langsam aus Charles Fleisch. Das Ganze dauerte etwas fünf Minuten und als Erik die Augen wider öffnete sah Charles ihn aus trüben, vor Schmerz blinden Augen an. Er schien ihn nicht zu erkennen, was Erik einen heftigen Stich in die Brust versetzte.

So sehr es ihn im Moment auch schmerzte, wandte er sich von Charles ab und dem Professor zu. Er ging vor ihm in die Hocke und legte den Kopf schief. Ein Wink seiner Hand reichte aus, um die beiden Maschinen hintern ihn rollen zu lassen.

„Haben sie schon einmal solche Nadeln in ihrem Körper stecken gehabt?“, wollte Erik wissen.

Der Mann schüttelte den Kopf. Erik sah ihn so kalt an, dass er zusammen zuckte.

„Dann wird es Zeit.“

Die Kabel schnellten nach vorne und die Nadeln bohrten sich in Gesicht und Hals des Professors. Dieser Schrie vor Schmerz auf und schlug die Hände vors Gesicht, um die Messplättchen zu entfernen. Doch Erik ließ es nicht zu. Er griff nach den Händen des Mannes und band sie mit einem Kabel zusammen. Dann stand er auf und lief zu Charles zurück. Hinter sich erklang immer wieder das schmerzhafte Stöhnen und Keuchen des Professors, wenn sich die Nadeln erneut in sein Fleisch bohrten. Das würden sie auch weiterhin tun, solange Erik in dem Raum war.

„Hank, traust du dir zu jeden zu erschießen, der uns über den Weg läuft?“, wollte er wissen, als er Charles Fesseln löste.

„Wirklich jeden?“

„Also nicht. Dann trägst du Charles und ich übernehme die Deckung“, erklärte Erik und strich Charles durch die Haare. „Wir bringen dich hier weg.“

Hank war zu ihnen an die Liege getreten, gab Erik die Pistole zurück und hob Charles auf seine Arme.

„Wo müssen wir hin?“, wollte er wissen.

Erik sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. Das hatte alles länger gedauert, als geplant.

„Hast du die Zellen geöffnet?“

Hank nickte.

„Bevor ich dich holen wollte. Aber ich glaube nicht, dass es viele überleben werden.“

Erik schnaubte und lief zur Tür, um in den Flur zu schauen. Es war niemand zu sehen. Er warf einen Blick zu dem Professor, machte eine Handbewegung von links nach rechts und eine Nadel, welche sich gerade in dessen Hals bohren wollte, riss ihm die Kehle auf. Er würde langsam verbauten und Erik gönnte ihm jede qualvolle Sekunde, die er noch zu leben hatte. Dann wandte er sich wieder dem Flur zu.

„Das ist nicht unser Problem. Wir müssen hier raus. Folg mir und bleib nicht stehen“, antwortete Erik, mit einiger Verspätung.

Damit rannte er los. Immer darauf bedacht schnell zu sein, aber nicht so schnell, dass Hank ihn aus den Augen verlor. Schon nach der nächsten Biegung rannten ihm drei Wachen über den Weg. Erik erledigte sie im Handumdrehen, trug aber selbst einen Streifschuss am rechten Arm davon. Knurrend biss er die Zähne zusammen und rannte weiter. Die Flure wurden immer belebter und immer öfter rannten Wachen an ihnen vorbei oder direkt auf sie zu. Hier und da sah Erik auch mal einen Mutanten, aber diese sahen nicht so aus, als hätten sie den Willen zu leben.

„Wir schaffen es nicht“, schoss es Erik durch den Kopf, als er ein weiteres Mal auf seine Uhr sah. „Ich muss einen anderen Ausgang finden… oder einen machen.“

Er blieb stehen und sah sich in dem Gang um. Keiner zu sehen, bis jetzt. Dann wandte er sich an Hank und bedeutete ihm zurückzubleiben. Er ging zu der Wand ihm gegenüber und postiert dort eine Handgranate. So schnell wie möglich suchte er Deckung und schon einen Lidschlag später explodierte die halbe Wand. Sie hatten Glück. Unter ihnen rauschte das Meer. Weniger glücklich war jedoch die Entfernung, zwischen ihnen und dem Wasser. Es mussten mindestens sieben, acht Meter sein. Erik hatte nicht genug Kraft, sie alle zum Boden schweben zu lassen, also mussten sie springen.

„Hank, komm, wir verschwinden von hier!“, rief er und wartete bis der angesprochene neben ihm, an dem Loch ankam.

„Bist du des Wahnsinns? Charles überlebt das nicht!“

„Wenn wir hier bleiben auf keinen Fall. Wenn wir spring besteht immerhin eine Chance. Keine Diskussionen, los jetzt.“

Wie um seine Worte zu unterstreichen bogen gerade mehrere Soldaten in den Gang ein und wollten sie umstellen. Erik gab Hank einen Stoß, so dass dieser in die Tiefe stürzen und wandte sich den Soldaten zu. Grinsend deutete er an die gegenüberliegende Wand, hob die Hand zum Gruß und sprang Hank nach. Er hatte kaum den Gang verlassen, als eine weitere, ungleich stärkere Explosion daraus erklang. Er hatte die restlichen Handgranaten in dem Flur deponiert und bei einer den Stift gezogen.

Im nächsten Moment schlug er im Wasser auf. Nach Luft schnappen durchbrach er die Oberfläche und sah sich schnell nach Hank um. Er entdeckte Charles, der rechts von ihm im Wasser trieb und Hank zu seiner linken. Dieser hatte wohl etwas am Kopf abbekommen, denn er hatte eine Platzwunde an der Stirn und die Augen geschlossen. Schnell griff Erik nach Charles und nach Hank. Charles Kopf hielt er über Wasser und versuchte dasselbe bei Hank, allerdings wollte ihm sein rechter Arm nicht ganz gehorchen. Als dann auch noch Schüsse vom Strand her erklangen, fluchten Erik und ließ zu, dass die beiden anderen ihn unter Wasser zogen.

Charles! Du musst dich festhalten!

Und tatsächlich griff eine Hand nach Eriks Arm und eine andere nach seiner Schulter. Aber Charles war zu schwach, er würde sich nicht lange festhalten können. Aber immerhin war er wach, was man von Hank nicht behaupten konnte. Erik hatte ihn am Kragen gepackt, damit er ihm nicht davon schwamm. Charles Griff wurde lockerer.

Lass nicht los, hörst du! Du musst dich festhalten.

Ich kann ni…

Charles Gedankenstimme wurde von einer Schmerzenswelle begleitet und erstarb dann. Er war wieder Ohnmächtig.

„Verflucht!“

Er musste auftauchten, ihm wurde die Luft knapp und die beiden anderen würden auch nicht ewig unter Wasser bleiben können. Zum Glück hatten sie das Motorboot in der Nähe versteckt, sodass Erik es schnell herbeirufen konnte. Die Schüsse waren Mittlerweile verklungen, warum interessierte Erik nicht. Er tauchte auf, hielt mit der einen Hand Charles über der Wasseroberfläche, mit der anderen Hank.

Das Boot kam zum Glück in nur wenigen Sekunden bei ihnen an. Mithilfe der niedrigen, metallischen Reling, sorgte er dafür, dass Hank nicht wieder unterging. Er ließ sich die dünne Eisenstange um Hanks Brust schlingen und ihn an das Boot drücken. Dann griff er nach der kurzen Leiter, die ins Wasser hing und zog sich und Charles in das Boot. Schließlich zog er Hank auch hinein und fuhr los.

Im nächsten Moment wusste Erik, warum die Schüsse verklungen waren. Es wurden Löschketten zum Wasser gebildet, um einen Teil des Gebäudes zu löschen. Allerdings würde ihnen das nicht helfen. Erik grinste ein weiteres Mal, sah auf seine Uhr und zählte bis drei. Als er bei der letzten Zahl ankam, explodierte das Hauptgebäude mit einem ohrenbetäubenden Knall. Zu seiner positiven Verwunderung folgten weitere Explosionen in den anderen Gebäuden. Allem Anschein nach waren sie alle miteinander verbunden und das Überlasten des einen Rechners hatte zum Überlasten aller geführt. Jetzt würden sie das Labor wirklich nie wieder in Betrieb nehmen können.

Es war gar nicht so einfach gewesen von der Insel zu fliehen. Zwar hatten die meisten Wachen und Soldaten alle Hände voll damit zu tun, überlebende zu suchen und zu retten. Aber sie hatten auch einige Trupps zusammengestellt, die Erik, Hank und Charles verfolgten. Das erste Boot, welches ihnen zu nahe kam, hatte Erik mit einem Wink versänkt. Die Menschen darauf hatte er mit Hilfe der Reling an das Boot gekettet, sodass sie alle ertranken. Aber Hank, der mittlerweile wieder in der Welt der Lebenden weilte, hatte ihn davon abgehalten die anderen Boote zu versänken. Die acht armen Kerle, die ihnen immer noch auf den Fersen waren, hatten trotzdem nicht mehr Glück.

Beim Strand angekommen hatte Hank mit Charles auf einer Bank an der Straße gewartet und Erik hatte ihnen ein Auto besorgt. Sie konnten schließlich nicht zu ihrem Jet laufen. Erik fuhr, während Hank darauf achtete, dass Charles auf dem Rücksitz liegen blieb. Es dauerte ungefähr zehn Minuten, bis sie ein schwarzes Auto verfolgte und Erik konnte machen, was er wollte, es ließ sich nicht abschütteln. Schließlich endete es so, dass Erik eine Vollbremsung hinlegte, Hank drohte ihn lebendig zu begraben, wenn er es wagte Charles alleine zu lassen und ausstieg.

Ein weiteres Mal fand er sich zwei schwarzgekleideten Agents gegenüber und versuchte erst gar nicht sein Lachen zu unterdrücken, als er bemerkte dass sie dieselben Fehler machten wie die letzten. In weniger als fünf Minuten lagen beide tot am Boden, einer mit einer Kugel im Kopf, der andere mit gebrochenem Genick und Erik fuhr schon wieder weiter.

Zum Glück schien das FBI ihnen keine Jets auf den als zu hetzen, denn sobald sie in der Luft waren, hatten sie Ruhe. Erik hatte Charles in einen der Sitze geschnallt und diesen in eine halbwegs liegende Position gebracht. Er und Hank redeten nicht. Der eine konzentrierte sich auf das Fliegen, der andere versuchte sich zu beruhigen. Erik war so wütend wie schon lange nicht mehr. Am liebsten hätte er sofort die anderen beiden Forschungseinrichtungen gesucht und sie dem Erdboden gleich gemacht. Aber Charles ging vor und so flogen sie zurück zur Schule, um ihn dort zu versorgen.
 

„Wie geht es ihm?“

„Er schläft.“

Erik seufzte. Es war jetzt schon fast vier Tage her, dass er und Hank Charles aus dem Labor geholt hatten und er schlief immer noch. Hank meinte das sein normal, sein Körper müsse sich erholen. Erik wollte ihm das auch gerne glauben und hätte es auch getan, wenn Charles nicht fast vierzig Grad Fieber gehabt hätte. Mit jede Stunde, in der Charles nicht wach wurde, wurde er nervöser. Es ging sogar soweit, dass er anfing Zimmer der Villa zu renovieren, nur um sich abzulenken. Abends saß er an Charles Bett und beobachtete ihn. Er wartete nur darauf, dass er die Augen aufschlug und eine Predigt hielt, weil er das Labor in die Luft gejagt hatte.

Hank hatte ihm sein altes Zimmer gegeben und wenn Erik nicht bei Charles war, oder in einem anderen Zimmer arbeitete, saß er vor seinem Computer und recherchierte. Er wollte die beiden anderen Forschungseinrichtungen ausfindig machen und sie ebenso in die Luft jagen. Er konnte es nicht zulassen, dass Mutanten so behandelt wurden.

Am Abend des vierten Tages, saß Erik wieder an Charles Bett und strich ihm gerade eine Haarsträhne aus dem Gesicht, als Hank herein kam.

„Du solltest schlafen gehen. Er wird nicht schneller wach, nur weil du neben ihm sitzt“, meinte er und sah Erik an.

„Ich geh gleich ins Bett. Lass mich nur noch einen Moment hier sitzen, okay?“

Hank zog verwundert eine Augenbraue hoch. Seit sie wieder bei der Villa angekommen und Charles in sein Bett gelegt hatten, hatte Erik sich verändert. Er war nicht mehr so bissig, eher nachdenklich und fragte bei Dingen um Erlaubnis, die eigentlich selbstverständlich waren. Er schien sich wirklich Sorgen zu machen.

„Von mir aus, kannst du gerne hier bleiben. Ich dachte nur, du willst dich mal etwas ausruhen.“

Hank gab ihm zwar immer noch die Schuld daran, dass das Ganze überhaupt hatte passieren können, aber Erik machte es ihm schwer. Besonders wenn er so an Charles Bett saß, mit diesem hoffnungsvollen Blick und später mit einem enttäuschten, wenn er wider nicht erwacht war. Hank beschloss Erik und Charles wieder alleine zu lassen und schloss die Tür leise hinter sich.

Entgegen seiner Behauptung ging Erik nicht ins Bett. Er blieb bei Charles sitzen und nahm dessen Hand in seine. Dann musterte er das Gesicht des Kleineren. Es spiegelte sich immer noch Schmerz in dessen Zügen und die Wunden, welche die Messplättchen hinterlassen hatten, heilten nur langsam. Erik streckte die Hand aus und schlug die Bettdecke zurück. Vorsichtig knöpfte er Charles Nachthemd auf und besah sich die Nähte der Wunden. Er verstand nicht viel von medizinischen Dingen, aber er wusste, wann er Fäden ziehen konnte und diese konnte er entfernen. Eine kleine Schere kam von Charles Schreibtisch in seine Hand geflogen und er machte sich daran die Knoten der Fäden abzuschneiden und sie zu ziehen. Dann knöpfte er Charles Hemd wieder zu und breitete die Decke über ihm aus. Er griff nach einer Schüssel Wasser, die auf dem Nachttisch stand, und nahm einen Lappen heraus, den er Charles auf die Stirn legte. Das Fieber wollte sich einfach nicht sänken lassen und sie konnten ihm keine Medikamente besorgten, da sie nicht wussten wie lange die aus dem Labor wirkten.

„Ich bin nicht gut darin und das weißt du“, murmelte Erik und fuhr sich durch die Haare. „Also… ich hab keine Ahnung, was ich dir erzählen soll. Ich… wahrscheinlich hörst du mich noch nicht mal. Ich hab angefangen die Zimmer zu renovieren, die es nötig haben und Hank… macht Fortschritte mit seinem neuen Serum… du fehlst hier einfach. Auch wenn es erst vier Tage sind, das Haus ist so still und grau, wenn du nicht da bist. Es ist fast so, als ob ihm jemand etwas Wichtiges genommen hätte und… ich fühl mich genauso.“

Erik erzählte in dieser Nacht noch einiges und vieles, an das er sich danach nicht mehr erinnern konnte. Er musste wohl irgendwann eingeschlafen sein, denn am Morgen lag er, mit dem Oberkörper auf der Matratze und hielt Charles Hand fest in seiner. Gähnend richtete er sich auf und sah in Charles strahlend blaue Augen. Der Kleinere lächelte ihn an, dieses warme Lächeln, in das Erik sich sofort verliebt hatte, als er es das erste Mal sah. Er konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern, als er spürte wie warm ihm plötzlich wurde.

„Erik…“

Charles Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und im nächsten Moment schüttelte sich sein Körper unter einem Hustenanfall. Erik setzte ihm ein Glas Wasser an die Lippen und wartete, bis er getrunken hatte.

„Ich träume nicht, oder?“, fragte Charles, mit rauer Stimme.

Erik lachte leise und schüttelte den Kopf.

„Du bist wirklich nicht mehr im Labor, keine Angst.“

Er strich ihm die Haare aus dem Gesicht und ließ seine Hand an seiner Wange liegen. Charles erwiderte seinen Blick und versuchte ein weiteres Mal zu lächeln, was ihm jedoch nicht gelang.

„Schau….mich nicht…so an…mir geht es gut…jetzt geht es….mir wieder gut“, stellte Charles klar, wenn auch mit einer Stimme, die seine Worte Lügen straften.

„Es… es tut mir leid, Charles. Wenn ich geblieben oder besser noch, wenn ich gar nicht erst gekommen wäre, dann wäre das alles nicht passiert. Sie wussten nicht, dass du hier lebst. Nur weil ich meinen Bedürfnissen und Gefühlen nachgegeben habe, konnten sie herausfinden wo du dich aufhältst. Es tut mir so leid.“

Charles schüttelte den Kopf und versuchte sich etwas mehr aufzusetzen, sog allerdings scharf die Luft ein und ließ sich wieder in das Kissen sinken.

„Was passiert ist, ist schlimm. Das schlimmste, was ich jemals durchgemacht habe. Aber um nichts in der Welt würde ich diese eine Nacht missen wollen. Wenn du nicht gekommen wärst, wäre ich noch vor Selbstmitleid zerflossen“, erklärte Charles.

„Und wenn ich nicht gegangen wäre, wäre das alles nicht passiert.“

„Diese Diskussion können wir endlos fortsetzen. Ich bin froh, dass du gekommen bist und ich gebe dir nicht die Schuld an dem, was passiert ist. Wenn ich etwas aufmerksamer gewesen wäre, hätte ich bemerkt das etwas mit meinem Tee nicht stimmt und hätte ihn nicht getrunken.“

Jetzt war es an Erik den Kopf zu schütteln. Charles war wirklich ein herzensguter Mensch. Er hatte nicht erwartet, dass er ihm verzieh, aber genau das war passiert. Woher nahm er nur immer diese Kraft, in allem und jedem das Gute zu sehen? Erik verstand es nicht.

„Erik, kannst du mir einen Gefallen tun?“, wollte Charles wissen und holte ihn aus seinen Gedanken.

„Alles was du willst.“

Charles lachte gequält und schlug die Decke zurück, dann knöpfte er sein Hemd auf und zog es über die rechte Schulter.

„Taste mal über die Schulter… spürst du die Verhärtung? Das ist…“

„Metall.“

„Ein Mikrochip. Bitte hol ihn raus. Ich will nichts mehr von denen in meinem Körper haben.“

„Werde ich machen, aber es wird wehtun.“

Ein raues Lachen erklang, wieder gefolgt von einem leichten Hustenanfall, dann meinte Charles:

„An Schmelzen bin ich mittlerweile gewöhnt. Hol ihn bitte einfach nur raus.“

Erik nickte und konzentrierte sich auf den Metallchip. Eine Bewegung seiner Hand reichte aus, um ihn aus Charles Schulter zu ziehen. Allerdings blutete das Ganze ziemlich stark und Erik musste schnell einen Lappen auf die Wunde drücken. In Charles Blick las er Schmerz, so großen, als hätte er ihm den Arm angerissen. Doch als der Kleinere seinen Blick sah, gab er sich die größte Mühe dieses Gefühl zu verdrängen. Viel wichtiger war jetzt, was sie mit dem Chip tun sollten.

„Das ist eine Art Ortungschip“, erklärte Charles.

Erik nickte ein weiteres Mal und ballte die Hand zur Faust. Mit diesem Chip würde niemand mehr irgendjemand orten. Achtlos ließ er ihn fallen. Dann schlang er die Arme um Charles und drückte ihn an sich.

„Es tut mir so leid.“
 

In den nächsten Tagen sank Charles Fieber schnell und er erholte sich zusehends. Nach weiteren drei Tagen konnte er das Bett verlassen und nach fünf zeugten nur die Wunden von dem, was passiert war. Erik hatte beschlossen noch bei ihm zu bleiben und ihm zu helfen und das ließ Charles Herz vor Freude fast überlaufen. Der einzige Schatten, der jetzt noch geworfen wurde, war die Tatsache, dass Charles Fähigkeiten nur sehr langsam wiederkamen. Er hörte am Anfang nur sehr leise zwei Stimmen, die von Hank und die von Erik, aber das auch nur, wenn sie in seiner Nähe waren. Dann wurden die beiden lauter und er konnte sie auch über eine kleine Entfernung hören. Aber es beunruhigte ihn nach wie vor, nicht die Menge an Stimme zu hören, die er gewohnt war. Außerdem hatte er Angst davor, was passieren würde, wenn sie alle auf einen Schlag wieder zurückkamen. Das würde um Welten schlimmer werden, als seine erste Begegnung mit Cerebro. Und er sollte Recht behalten.

Erik war gerade dabei einen Bericht über die beiden verbliebenen M-Forschungseinrichtungen zu lesen, als er einen Aufschrei hörte, gefolgt von einem Poltern. Wie von der Tarantel gestochen, sprang er auf und rannte die Treppe hinab. Am unteren Absatz lag Charles. Er hatte sich auf die Seite gerollt und presste die Hände gegen den Kopf. Immer wieder trommelte er auf seinen Schädel ein, so als wolle etwas verscheuchen, das nicht hinein gehörte. Erik war mit einem Satz bei ihm und hielt seine Handgelenke fest, damit er sich nicht verletzen konnte. Charles sah ihn aus verschleierten Augen an.

„Erik… bitte, mach das es aufhört… es soll aufhören… ich ertrag das nicht… zu viele“, stotterte er und schien Mühe zu haben, sich an die richtigen Worte zu erinnern.

„Ganz ruhig. Du kannst sie kontrollieren, sie abschalten. Erinnerst du dich, wie es früher gemacht hast? Du musst sie einfach ignorieren.“

Erik wagte es nicht, Charles Hände loszulassen, da dieser immer wieder versuchte auf seinen Kopf einzuschlagen. Mit unterdrückten Schreien wollte Charles sich losmachen, aber Erik ließ es nicht zu. Er hatte Angst, was er tun würde, wenn er seine Hände freigab.

„Beruhigt dich Charles, sonst wird es nur schlimmer. Du musst dich beruhigen, um es zu kontrollieren, hörst du?“

Erik kam sich vor, als hätten sie dir Rollen getauscht. Er musste Charles erklären, dass er die richtige Menge an Ruhe brauchte, um seine Kräfte zu kontrollieren, genauso wie dieser es wenige Monate zuvor getan hatte. Aber er wusste nicht genau, wie er ihm helfen sollte.

„Es sind…zu viele“, presste Charles hervor.

„Dann konzentrier dich auf mich.“

„Ich… kann nicht, ich kann… keine einzelne Stimme…heraushören“

„Doch kannst du. Konzentrier dich einfach auf meine Stimme. Du schaffst das.“

Charles zog eine Grimasse vor Anstrengung, aber Erik konnte seine Gedankenstimme nicht hören.

„Bitte…es soll aufhören… mach das es aufhört…“

Erik sah sich hilflos um. Wie sollte er einem Telepathen helfen, seine Kräfte abzuschalten? Charles riss seine Hände los und presste sie so fest gegen seinen Kopf, dass seine Gelenke knackten.

„Ich weiß nicht, ob es hilft, aber lass mich mal etwas ausprobieren“, meinte er schließlich.

Erik berührte Charles an der Halsbeuge und drückte zu. Augenblicklich fielen Charles die Augen zu und sein gesamter Körper entspannte sich. Erik seufzte und hob ihn auf die Arme. Er trug ihn in sein Zimmer und legte ihn in sein Bett. Dann fuhr er sich durch die Haare. Das war keine Dauerlösung, er konnte Charles nicht immer betäuben. Vielleicht wusste Hank, wie sie ihm helfen konnten. Charles würde in den nächsten beiden Stunden nicht wach werden, also hatte ausreichend Zeit, um mit Hank zu reden.
 

Obwohl Charles nicht bei Bewusstsein war, bekam er alles mit und die Stimmen waren dadurch auch nicht verstummt.

Wo ist die jetzt schon wieder hin?

Du Arsch! Ich hasse dich!

Wo hat er jetzt schon wieder die Milch hingestellt?

Ich will dich nicht verlieren!

Was läuft heute im Fernsehen?

So ging das die ganze Zeit über. Er hörte die banalsten, schlimmsten und schönsten Gedanken und hätte ihnen auch gerne gelauscht, wenn sie sich nicht alle zu einem einzige grausigen Chor zusammengeschlossen hätten. Zeitweise hatte er das Gefühl, seinen Verstand zu verlieren. Nichts und gleichzeitig alles schien real zu sein. Er wusste nicht einmal welche Gedanken von ihm waren und welche nicht. Glücksgefühle, gemischt mit Wut, Hass, Angstzuständen, Liebe, Neid und Frust brachen über ihm zusammen und er konnte nichts davon abwehren. Wenn er nicht schon ohnmächtig gewesen wäre, hätte er sich am liebsten in eben diesen Zustand versetzt. Aber es half ja nichts, er hörte die Stimmen trotzdem und jetzt, da er sich auf nichts anderes konzentrieren konnte, sogar noch deutlicher. Er versuchte sie zu ignorieren, aber das schlug fehl. Wie sollte man auch etwas so mächtiges wie Gedanken und Gefühle ignorieren?

Er war wohl schon eine ganze Zeit lang nicht bei Bewusstsein, als sich plötzlich eine einzelne Stimme von den anderen abhob.

Charles? Du musst dich auf mich konzentrieren, nur auf mich! Vergiss die anderen.

Erik.

Beim ersten Mal hatte es nicht geklappt, dass er sich auf nur eine Gedankenstimme konzentrieren konnte. Aber er musste es versuchen, sonst würde er wirklich noch verrückt werden. Dazu musste Erik allerdings auch etwas denken, dass ihn von den anderen unterschied.

Du schaffst das, Charles, da bin ich mir sicher! Du bist der größte Telepath, dem ich je begegnet bin. Mal davon abgesehen bist du auch der einzige Mensch den ich wirklich brauche! Hast du gehört? Ich brauche dich…ich…ich liebe dich.

Genau in diesem Moment schlug Charles die Augen auf. Eriks Worte waren wie ein Schwall angenehm warmes Wasser gewesen, das ihn aus dem Schlaf riss. Die anderen Stimmen waren sie weggelassen, wenn überhaupt hörte er nur noch ein leises Flüstern. Er liebte ihn! Charles Herz schlug schneller. Er hatte es gehofft, allerdings nicht zu glauben gewagt, auch nicht, als sie miteinander geschlafen hatten. Er sah Erik an und konnte sogar lächeln. Die Gedanken der anderen Menschen waren plötzlich wie weggewischt. Sie würden wiederkommen, da war sich Charles sicher und dann musste er sie abwehren und durfte nicht so schnell aufgeben. Jetzt jedoch war etwas anderes wichtiger.

Erik saß neben dem Bett und hatte sich tief über ihn gebeugt. Das nutzte Charles jetzt aus, um sein Gesicht näher zu seinem eigenen zu ziehen und ihn zu küssen. Kleine Blitze jagten durch Charles Körper, als Erik den Kuss leidenschaftlich erwiderte.

Danke. Ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte. Ich wäre nicht alleine aus dem Chaos herausgekommen.

Doch das wärst du. Du bist der klügste junge Mann, denn ich kenne und außerdem hast du schon einmal diese ganzen Stimmen vertrieben und damals warst du jünger.

Charles sagte nichts mehr. Er wollte im Moment einfach nur Eriks Kuss genießen und wie dieser ihn in die Kissen drückte. Charles erschrak schon fast, als er das Verlangen in Eriks Gedanken erkannte und die große Zuneigung, welcher er ihm entgegenbrachte. Dann unterbrach Erik den Kuss und zog sich sogar von Charles zurück. Dieser gab einen enttäuschten Laut von sich.

„Wir sollten langsam machen. Du bist immer noch nicht ganz bei Kräften. Ich will dich nicht wieder schwächen, oder dir gar wehtun“, erklärte Erik darauf hin.

Charles sah das ein, aber er war der Meinung, dass Erik ihn nicht schwächen würde. Er wollte ihn genau so sehr, wie Erik umgekehrt Charles. Aber vermutlich hatte er Recht. Es wäre keine gute Idee jetzt zu schnell zu handeln und sich nur von seinen Bedürfnissen leiten zu lassen.

„Kannst du mich fest halten?“, murmelte Charles halblaut.

Wie beim letzten Mal verließ ihn ganz plötzlich sein gesamtes Selbstvertrauen und er musste sogar die Augen niederschlagen, um nicht rot zu werden. Erik lachte, als er ihn so sah. Dann schob er Charles kurzerhand ein Stück zur Seite, legte sich zu ihm ins Bett und nahm ihn in den Arm. Charles Kopf ruhte auf seiner Brust und es dauerte nicht lange, da ging sein Atem gleichmäßig und er glitt in einen leichten, aber ruhigen und kräftigenden Schlaf gefallen. Erik lächelte und drückte Charles einen Kuss auf die Stirn. Dann legte er sich bequemer hin und schloss ebenfalls die Augen.
 

„Danke“, murmelte Charles, als er am Morgen die Augen aufschlug.

Erik sah ihn, aus schläfrigen Augen, fragend an.

„Für was?“

„Das du geblieben bist und das du mir geholfen hast wenigstens ein bisschen Kontrolle über meine Kräfte zurückzugewinnen.“

Charles hob den Kopf von Eriks Brust und sah in dessen verschlafene, blaue Augen, die wie ein wunderschöner, klarer Gletschersee aussahen. Er streckte sich und küsste ihn sanft. Erik erwiderte den Kuss überrascht und lächelte in ihn hinein. In diesem Moment wurde ihm klar, wie viel Charles ihm bedeutete. Es fühlte sich so richtig an morgens mit ihm aufzuwachen, sich tagsüber mit ihm zu beschäftigen und abends mit ihm einzuschlafen. Er strich dem kleineren durch die Haare und zog ihn näher an sich. Wie hatte er jemals glauben können, ohne ihn zu leben?

„Weißt du was, Charles? Du bist der einzige, für den ich meine Sichtweisen überdenken würde“, hörte Erik sich selbst sagen und stellte überrascht fest, dass es stimmte.

In den letzten Tagen war ihm klar geworden, dass er alles für Charles tun würde, nur damit es ihm besser ging und er bei ihm blieben konnte. Dazu gehörte auch seine Meinung über die Menschen, zwar nicht zu ändern, aber immerhin nicht mehr so wichtig zu nehmen oder eventuell sie sogar zu vergessen.

„Du schaust, als hätte ich dir einen Heiratsantrag gemacht“, grinste Erik und wuschelte ihm durch die Haare.

„Deine Aussage kam diesem auch ziemlich nahe, zumindest wenn man weiß wie deine Sichtweisen aussehen“, erwiderte Charles lachend.

Sie lachten beide und standen schließlich auf. Unter Protest durfte Erik Charles helfen sich anzuziehen und schob ihn dann in den großen Speisesaal, wo Hank ein Frühstück für alle bereitgestellt hatte. Während sie aßen, stellte Charles die Frage, welche ihn schon die ganze Zeit beschäftigte:

„Was habt ihr mit den anderen im Labor gemacht? Mit den Menschen und den Mutanten?“

Hank warf Erik einen Blick zu, den dieser erwiderte. Dann ließ Erik seine Tasse sinken und schaute Charles an.

„Hank hat die Zellen geöffnet, sodass die Mutanten fliehen konnten Wie viele es letztendlich geschafft haben, wissen wir nicht. Wir mussten dich dort wegbringen und…ich habe ihren Hauptrechner in eine Bombe verwandelt und alles in die Luft gejagt. Die Menschen, welche mir über den Weg liefen haben es auf jeden Fall nicht geschafft.“

Charles sah ihn fassungslos an und schüttelte schließlich den Kopf. Das war typisch Erik.

„Das waren mehr als hundert Menschen und Mutanten, die in diesem Labor gearbeitet und festgehalten worden waren und du hast sie ohne mit der Wimpern zu zucken getötet?“, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte.

„Ich konnte sie nicht am Leben lassen, Charles. Schau dich an, schau die anderen an, die mit dir dort gefangen gewesen waren. Hättest du sie weiter leben lassen, damit sie mit ihren Experimenten hätten fortfahren können?“

Charles biss sich auf die Lippen. Ja, er hätte sie weiterleben lassen. Er konnte einfach keinen töten, egal wie sehr er diese Person auch verachtete. Das Leben war das größte Geschenk auf Erden, warum konnte Erik das nicht begreifen? Aber er hatte nicht vor jetzt mit ihm darüber zu diskutieren. Er wollte einfach nur in Ruhe mit ihm und Hank frühstücken und danach würde er damit beginnen seine Kräfte wieder unter Kontrolle zu bringen.

Es war schwieriger als gedacht. Sobald Charles versuchte sich auf eine bestimmte Gedankenstimme zu konzentrieren, brachen alle anderen über ihn herein. Er war mehrmals, vor Kopfschmerzen krampfend aus seinem Rollstuhl gefallen und hatte sich sogar einmal dabei am Kopf verletzt. Alles Gute zureden, von Erik und Hank, er solle sich von überanstrengen, ignorierte er. Er wollte seine Kräfte wieder unter Kontrolle bringen, auch unter Schmerzen. Der Professor des Labors hatte ihm vieles angetan und vieles würde man ein Leben lang sehen. Aber er gönnte ihm nicht den Triumpf, ihn um seine Fähigkeiten gebracht zu haben.

„Ah…verdammt!“

Charles schlug mit der flachen Hand auf den Tisch vor sich und rieb sich mit der anderen die schmerzenden Schläfen.

„Was hat dieser Mistkerl nur mit mir gemacht? Das darf doch nicht wahr sein. Ich komm mir vor wie ein sechsjähriges Kind.“

„Damals hast du deine Fähigkeiten doch schon kontrollieren können, oder?“, warf Erik ein, der ebenfalls an dem Tisch saß und einen weiteren Bericht über die Forschungseinrichtungen las, den er gefunden hatte.

Charles funkelte ihn wütend an, was zur Folge hatte, dass Erik nur noch mehr lachen musste. Dies wiederrum machte es Charles schwer ihn in Grund und Boden zu starren, da sein Lachen sehr ansteckend war. Er ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken und atmete ruhig ein und aus. Wie konnte es sein, dass er, zwei Wochen nachdem sie ihn aus dem Labor geholt hatten, nur die Gedankenstimmen aussperren und sich nicht auf sie konzentrieren konnte?

„Sag mal, Charles, bist du jetzt nicht wieder genau an dem Punkt, an dem du warst bevor sie dich entführt haben?“, fragte Erik und Charles spürte seinen Blick im Nacken.

Verwundert blinzelte er. Erik hatte Recht. Bevor sie ihn entführt hatten, hatte er dieses Problem auch schon gehabt. Das hatte nichts mit dem Labor zu tun, sondern mit der Tatsache, dass sich seine Kräfte vergrößert hatten. Also konnte es auch noch eine ganze Weile dauern, bis er sie wieder beherrschte.

„Du bist ein Genie“, brummte er sarkastisch und faltete die Hände in seinem Nacken.

Er wusste, dass Erik erwartete von ihm angesehen zu werden, aber den Gefallen tat er ihm nicht, sondern ließ den Kopf auf dem Tisch liegen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass seine Stirn heiß war und die kühle Tischplatte richtig gut tat. Hatte er etwa wieder Fieber? Charles lauscht ein sich hinein und schüttelte dann innerlich den Kopf. Nein, er hatte kein Fieber, denn dann hätte er sich nicht so auf sich selbst konzentrieren können. Vielleicht kam es von der Anstrengung. Wäre nicht das erste Mal, dass ihn Nachdenken ins Schwitzen brachte. Seufzend hob er nun doch den Kopf, da er das Gefühl hatte, Eriks Blick würde sich durch seinen Hinterkopf bohren.

„Es ist alles in Ordnung. Ich bin anscheinend nur etwas aus der Übung“, antwortete er auf die unausgesprochene Frage.

Erik zog zweifelnd die Augenbrauen in die Höhe, beließ es aber dabei. Charles würde nie zugeben, dass es ihm schlecht geht, nicht seit der Folter in dem Labor. Eriks Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Was hatten sie dort nur mit ihm gemacht? Er hatte Charles oft darauf angesprochen, doch die einzige Antwort, welche er bekommen hatte, war, er solle sich darüber keine Gedanken machen, es war Vergangenheit und die konnte man nicht ändern.

„Was liest du da eigentlich?“, fragte Charles und nahm ihm den Bericht aus den Händen.

Kurz überflog er die Seite, schlug die nächst und übernächste auf und sah Erik dann, mit einer Mischung aus Unglauben und Resignation an.

„Ich dachte das Thema wäre durch“, meinte er und legte die Berichte auf den Tisch.

„Für dich vielleicht. Ich kann es nicht ertragen zu wissen, dass diese Einrichtungen irgendwo existieren und in ihnen hunderte, wenn nicht tausende unserer Brüder und Schwestern gefangen gehalten werden, nur um mit ihnen zu experimentieren. Charles, dein Pazifismus in allen Ehren, aber du musst doch selbst zugeben, dass diese Vorstellung schrecklich ist und wir etwas dagegen unternehmen müssen.“

„Es ist schrecklich. Aber du kannst nicht jeden Menschen töten, der etwas gegen Mutanten hat.“

Erik schnaubte und schnappte sich die Berichte.

„Wer sagt das?“, fragte er und redete schnell weiter, bevor Charles ihm antworten konnte. „Ich habe dir versprochen keine Unschuldigen mehr zu töten. Aber diese Männer und Frauen sind nicht unschuldig. Sie würden nicht zögern uns zu töten.“

„Du lässt dich nicht umstimmen, oder?“

„Nein.“

Charles nickte und rieb sich die Stirn. Er konnte es Erik nicht verübeln, schließlich hatte er am eigenen Leib erfahren, wie viel diese Menschen von Mutanten hielten. Aber es wiederstrebte ihm immer noch sie zu töten. Die meisten befolgten einfach nur Befehle und Anweisungen, was die Sache aber auch nicht besser machte. Jeder hatte die Möglichkeit und den freien Willen um zu sagen, was er tat und was nicht. Wenn diese Männer und Frauen nicht in den Laboren arbeiten wollten, dann würden sie das wahrscheinlich auch nicht.

„Kann ich dir einen Vorschlag machen?“, fragte Charles, als sich das Schweigen zwischen ihnen in die Länge zog.

„Welchen?“

„Ich werde mit dir zu den Laboren fliegen und helfen die Mutanten zu befreien. Aber wir töten niemanden. Ich bringe die Menschen dazu zu glauben, dass die Mutanten keine Bedrohung sind. Einverstanden?“

„Und wie lange wird dieser Glaube anhalten?“, wollte Erik zweifelnd wissen.

„So lange sie leben, wenn nicht ein anderer Telepath ihnen das Gegenteil einredet.“

Erik überlegte kurz und nickte schließlich. Hatte er eine andere Wahl? Er wollte keinen Streit mit Charles, deswegen ging er auf seinen Vorschlag ein. Und, zugegeben, im Prinzip war es das gleiche Ergebnis. Die Menschen würden die Mutanten in Ruhe lassen. Mit diesem Gedanken und Ziel hatte er sich in den letzten beiden Wochen angefreundet. Aber es war keine Dauerlösung und das wusste Charles ebenso gut wie er.

„Na schön. Aber ich werde das Labor zerstören. Wenn du es schaffst vorher alle dort rauszubekommen, haben sie Glück. Wer nach einer Stunde noch im Gebäude ist, wir mit plattgemacht.“

Mit diesem Gedanken wiederrum hatte Charles sich angefreundet. Er wusste, dass es Erik schwer fiel auf seine Kompromisse einzugehen. Deswegen ging er in Punkto Zeit auch auf ihn ein. Erik durfte die Dauer aussuchen, wie lange er Zeit hatte um die Menschen zur Vernunft zu bringen und sie aus dem Gebäude zu schleusen. Mit seinem Nicken war das Thema vom Tisch und sie widmeten sich wieder ihren Arbeiten.

Den Rest des Tages brachten sie damit zu, am Tisch auf der Terrasse zu sitzen und sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Hank hatte sich irgendwann dazu gesetzt. Charles hörte ihm und Erik belustigt zu. Denn was immer der eine sagte, der andere war anderer Meinung und so entstanden die lustigsten und teilweise unnötigsten Diskussionen. Sie lachten viel und Charles fühlte sich an diesem Tag so gut, wie schon lange nicht mehr.

Nach dem Abendessen fuhr Charles ein weiteres Mal auf die Terrasse und sah hinauf fing den Himmel. Er beobachtete die Sterne und suchte nach den Sternbildern, als sich plötzlich zwei Arme von hinten um seine Schultern schlangen und ein Kopf auf seinen gelegt wurde. Erik sagte nichts, sondern hielt ihn einfach nur fest sah zu den Sternen hinauf. Erst als Charles seine Augen schloss und sich seufzend gegen ihn lehnte flüsterte er:

„Du solltest rein kommen, bevor du krank wirst. Ich glaube nicht, dass dein Körper das im Moment aushält.“

Charles gab ein Brummen von sich und wandte sich dann zu Erik um.

„Ich habe es Hank schon einmal gesagt und ich sage es dir auch. Ich bin kein Baby mehr. Ich kann auf mich aufpassen. Also keine Sorge, ich geh rein, bevor ich krank werde.“

„Vielleicht kommst du ja mit rein, wenn ich dir sage, dass Hank wider in seinem Zimmer ist und an seinem Serum arbeitet. Wir haben also das Erdgeschoss für uns.“

Charles schnappt nach Luft, als Erik nicht mehr versuchte seine Gedanken zu verbergen. Reine Begierde ging von ihm aus und er selbst konnte nicht leugnen, dass es ihm genauso ging. Noch bevor er etwas anderes tun oder sagen konnte, hatte Erik sich über ihn gebeugt und küsste ihn sanft. Gerade als Charles den Kuss erwidern wollte, löste er sich von ihm und sah ihn lächelnd an.

„Komm schon, gehen wir rein.“

Charles nickte und ließ sich von Erik in sein Zimmer schieben. Dort setzten sie fort, was sie auf der Terrasse begonnen hatten. Erik küsste Charles erneut, strich mit der Zunge über dessen Lippen und verwickelt seine dann in einen kleinen Kampf. Nach Minuten erst lösten sie sich voneinander, um Atem zu holen. Wie alle Male zuvor wich Charles seinem Blick aus. Er hoffte, dass Erik so nicht bemerkte, wie rot er geworden war. Erik schüttelte den Kopf.

„Charles, warum siehst du mich nicht an? Ich komme mir vor, als würde ich etwas tun, das du nicht willst.“

„Das tust du nicht. Es ist nur so…ich…wenn ich dich ansehe, verlier ich auch noch das letzte bisschen meiner Kontrolle. Ich will dich nicht ausversehen kontrollieren.“

Charles hob den Blick, als er Erik leise lachen hörte.

„Ich pass schon auf, dass du hier oben nichts tust, was ich nicht will“, meinte dieser und tippte sich gegen die Stirn.

Dann legte er die Hände auf Charles Wangen, sodass dieser ihn ansehen musste.

„Weißt du, das Problem bei dir ist, dass du zu viel nachdenkst. Das hast du schon immer.“

„Ich bin ein Telepath, was erwartetest du?“

Wieder lachte Erik und drückte Charles einen Kuss auf die Nase. Im nächsten Moment fand dieser sich auf dem Bett wieder. Erik kniete über ihm und sah ihm sanft in die Augen. Dann beugte er sich herab und küsste ihn ein weiteres Mal. Dieses Mal war Charles derjenige, der den Kuss vertiefte. Er schloss genießerisch die Augen, als Erik über seine Wange zu seinem Ohr wanderte und dort kurz an seinem Ohrläppchen knabberte. Er strich weiter, mit den Lippen, über Charles Haut, bis zu seiner Halsbeuge. Mittlerweile wusste er genau, wo sich Charles empfindliche Stellen befanden und er liebte es sie zu reizen. Neckisch biss er in dessen Halsbeuge und saugte an derselben Stelle, was Charles auf keuchen ließ.

Der Kleinere legte den Kopf in den Nacken und leicht zur Seite und Erik wiederholte, was er zuvor getan hatte. Doch dieses Mal biss er fester zu. Charles keuchte ein weiteres Mal und schlang die Arme um Erik. Dieser machte sich einen Spaß daraus ihn mit seiner Langsamkeit zu ärgern. Denn Charles wurde schnell ungeduldig, wenn es ihm zu langsam ging und Erik liebte es ihn zappeln zu lassen.

Fast schon wie in Zeitlupe schob er seine Hände unter Charles Oberteil und dieses nach oben. Dann hob er ihn etwas vom Bett hoch, um ihm das Oberteil auszuziehen. Kaum dass Charles wieder in den Kissen lag, begann Erik seinen Oberkörper mit Küssen zu bedecken und strich ihm mit den Fingerspitzen über die Seite.

Charles wand sich unter seinen Berührungen und stöhnte, als Erik ein weiteres Mal eine empfindliche Stelle berührte. Er hatte das Gefühl sein Körper würde brennen und nur Erik konnte ihm helfen ihn zu löschen. Charles biss sich auf die Unterlippe, als Erik erst vorsichtig und dann neckischer und frecher an seinen Brustwarzen knabberte. Es fühlte sich so gut an, dass er am liebsten geschrien hätte. Aber Hank musste nicht erfahren, was sie hier taten. Das ganze würde er wahrscheinlich noch früh genug mitbekommen.

„Du denkst schon wieder nach“, knurrte Erik und hob den Kopf.

„Woher…?“

„Ich kenne dich.“

Charles lächelte und Erik setzte sich auf, um sein Pullover auszuziehen. Mit einem kleinen Wink seiner Hand, öffnete er Charles Hose und zog sie ihm aus, gefolgt von seiner. Charles sah ihn fragend an und Erik nickte nur lächelnd. Dann spürte er die vertraute Berührung von ihm, in seinen Gedanken. Er hielt sich im Hintergrund, lauschte nur den Empfindungen und Gefühlen und es war ein unbeschreibliches Gefühl für Erik, wenn er seinen Höhepunkt hatte und der von Charles ihn ebenfalls mitriss. Doch das würde erst noch kommen.

Er beugte sich wieder über den kleineren und küsste ihn leidenschaftlich. Gleichzeitig wanderte seine Hand in Charles Unterhose und strich über dessen Glied. Charles konnte es nicht spüren, aber er spürte Eriks Empfindungen und diese ließen ihn gegen den Kuss stöhnen.

Plötzlich klopfte es und noch bevor Erik oder Charles darauf reagieren konnten, ging die Tür auf und Hank kam herein.

„Charles, da ist jem…“, begann er und starrte die beiden, wie vom Blitz getroffen an.

„Charles wo ist Erik?!“, erklang eine Frauenstimme hinter Hank.

„Scheiße“, fluchte Erik, griff nach der Decke und warf sie ihnen über.

„Ich hab ihn schon überall gesucht und…oh mein Gott!“

Raven stand, mit offenem Mund und aufgerissenen Augen, in der Tür. Man konnte auf ihrem Gesicht ablesen, dass sie nicht glauben wollte, was sie sah.

„Raven.“

„Mystique.“

Kam es von Charles und Erik wie aus einem Mund. Charles wollte noch etwas hinzufügen, doch sie gab ihm keine Chance dazu. Sie kam zu dem Bett herüber, holte aus und scheuerte Erik eine, das das Klatschen im Zimmer widerzuhallen schien. Dann verschwand sie, gefolgt von Hank.

Charles versuchte wirklich sich ein Lachen zu verkneifen, aber es wollte ihm nicht ganz gelingen. Erik sah einfach zu komisch aus. So perplex hatte er ihn noch nie gesehen. Dieser hingegen setzte sich auf die Matratze und rieb sich die Wange. Mystique hatte wirklich einen ganz schönen schlag drauf.

„Ich glaube wir sollten nach den beiden sehen“, meinte Charles und angelte sein Hemd vom Boden.

„Ja, ist wahrscheinlich besser so.“

Auch Erik begann sich anzuziehen und half Charles bei seiner Hose. Dann hob er ihn in seinen Rollstuhl.

„Warum hast du die Tür nicht abgeschlossen?“, wollte Erik wissen, als sie das Zimmer verließen.

Er klang nicht verärgert, sondern eher belustigt.

„Ich dachte das hättest du getan.“

Erik schüttelte den Kopf. Es machte ihm nichts aus, das die beiden jetzt endlich Bescheid wussten. Aber er hätte es ihnen doch lieber anders erzählt. Auf Mystique konnte er auch nicht böse sein. Immerhin war er einige Zeit mit ihr zusammen gewesen. Er wollte nicht wissen wie es war seinen Freund mit einem anderen Mann im Bett zu erwischen.

Charles ging es da anders. Er schämte sich. Was sollten sie den beiden jetzt erzählen? Am besten die Wahrheit, dass sie sich liebten. Aber das würde Raven wahrscheinlich nicht aushalten. Sie war so unsterblich in Erik verliebt. Und was war mit Hank? Er hatte nicht einen Ton gesagt. Hoffentlich war er einfach nur zu geschockt dafür.

Sie mussten die beiden eine ganze Weile suchen, bis sie sie in dem großen Speisesaal fanden. Sie saßen an einem Tisch und unterhielten sich leise. Als sie Erik und Hank bemerkten, verstummten sie. Mystique sah die beiden zornig an, Hank wusste nicht wo er hinsehen sollte. Einen unangenehm langen Moment herrschte absolute Stille zwischen den vieren. Dann war es auch Mystique, welche diese brach.

„Und wann bitte hattest du vor mir zu erzählen, dass du Schwul bist?“, fragte sie an Erik gewandt.

Sie ließ ihn nicht antworten, sondern wandte sich gleich an Charles.

„Und du, wenigstens von dir hätte ich erwartet es zu erfahren. Wisst ihr was das für ein Gefühl ist, seinen besten Freund und Bruder und seinen Freund zusammen im Bett zu erwischen?“

Erik schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Aber Charles schien es ganz genau zu wissen.

„Ein ziemlich bescheuertes, fürchte ich. Du bist ziemlich geschockt und durcheinander. Das tut mir leid. Wir hätten es euch anders sagen sollen und früher. Aber es gab nie den richtigen Zeitpunkt dafür. Die letzten Wochen waren schwierig, musst du wissen“, erklärte er und sah Raven dabei unverwandt an.

„Schwierig? Aja, musstet ihr erst herausfinden, wie ihr das bewerkstelligen wollt, weil du in deinen untere Regionen kein Gefühl mehr hast, oder wie?“

Sie war wirklich wütend, was Charles durchaus verstehen konnte. Er kannte seine Schwester eben und er wusste, dass sie beide sie gerade sehr verletzt hatten. Gerade als er Antworten wollte, übernahm Erik es:

„Charles wurde entführt und in ein Labor gebracht, wo man Experimente mit ihm durchgeführt hat. Hank und ich haben ihn befreit. Es stand nicht gut, mit seiner Überlebenschance. Deswegen waren die letzten Wochen schwierig und es ist noch nicht wirklich besser geworden. Er kann seine Kräfte noch nicht wieder ganz kontrollieren und, auch wenn er es nicht zugibt, geht es ihm auch immer noch nicht so gut, wie es sollte.“

Als Erik das Labor und die Experimente erwähnte, spürte Charles wie Ravens Gefühle umschlugen. Die Wut, welches sich auf ihn und Erik gerichtet hatte, richtete sich jetzt gegen die Menschen und verstärkte den Hass auf sie. Charles Hand zuckte zu seinem Kopf und er presste sie gegen die Stirn. Er nahm Ravens Gefühle viel zu deutlich war. Es fühlte sich an, als würde ihr ganzer Hass über ihn hereinbrechen und drohte ihn zu verschlingen.

„Bitte…beruhig dich, Raven“, murmelte er und stieß den Atem zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hindurch.

„Warum sollte ich? Ich meine, du wirst gefangen und keiner hält es für nötig mich zu informieren…“

Mehr bekam Charles nicht mehr von der Diskussion mit. Er presste nun auch noch die zweite Hand gegen die Stirn und schon war es nicht nur Ravens Wut, sondern auch Eriks und Hanks Sorge, die auf ihn einstürzten. Der Versuch die Gefühle und Gedanken der anderen aus seinem Kopf auszuschließen, schlug fehl. Also holte er tief Luft, schloss die Augen und wartete bis alles vorbei sein würde. Viel mehr konnte er nicht tun, da er sich momentan nicht mal bewegen konnte.

Verdammt, ich hab mir doch nur Sorgen gemacht!

Versteht sie nicht, dass das Charles Zustand verschlimmert?

Die sollten besser aufhören, Charles tut das Ganze nicht gut.

Ein gequältes Lachen kam über Charles Lippen und brachte die anderen zum Verstummen. Alle drei sahen ihn mit dem gleichen Blick an: Sorge.

„Leute, ihr macht mich fertig“, seufzte Charles und ließ die Hände sinken, da ihre Gedanken leiser wurden. „Ihr macht euch alle Sorgen, aber keiner sagt es dem anderen. Stattdessen schreit ihr euch gegenseitig an.“

Er stütze sich auf die Armlehnen seines Rollstuhles und setzte sich wieder etwas aufrechter hin. Dann erwiderte er den Blick der anderen.

„Da ihr nicht miteinander redet übernehme ich das mal für euch. Raven hat sich Sorgen gemacht, da Erik sich nicht bei ihr gemeldet hat. Erik macht sich sorgen um mich, genauso wie Hank. Ihr sehr also, ihr habt alle, mehr oder weniger, dieselben Beweggründe und könnt aufhören zu streiten.“

„Du wolltest nie wieder meine Gedanken lesen“, meinte Raven und funkelt ihn an.

„Ich wollte sie auch nicht lesen, aber, wie Erik dir gerade versucht hat zu erklären, habe ich nicht die ganze Kontrolle über meine Kräfte und eure Gedanken und Gefühle sind momentan so laut, dass ich nicht schaffe sie auszuschließen.“

Raven schnaubte. Sie glaubte ihm nicht und Charles konnte noch nicht einmal sagen, warum. Er hatte ihr nie einen Grund gegeben, ihm nicht mehr zu vertrauen. Aber vielleicht hatte die Situation gerade eben alles zerstört.

„Da ihr es ja so oder so nicht für nötig haltet, mich einzuweihen, braucht ihr das jetzt auch nicht mehr zu tun.“

Raven ballte die Hände zu Fäusten und stürmte an Charles vorbei. Kurz darauf erklang ein lautes Krachen, als die Tür des Haupteinganges zugeschlagen wurde.

„Warum habe ich das Gefühl, dass wir sie so schnell nicht wieder sehen werden?“, fragte Erik.

„Wahrscheinlich weil es so ist.“

Es war Hank der geantwortet hatte, nicht Charles.

„Entschuldigt mich bitte, aber ich muss das auch erst verarbeiten“, meinte er und verließ den Speisesaal.

„Bist du fertig?“, wollte Erik wissen, der, ohne anzuklopfen, Charles Zimmer betrat.

Charles schaute gerade aus dem Fenster und zuckte sichtlich zusammen, da er in Gedanken versunken war.

„Ich bin fertig“, meinte er und wandte sich zu seinem Freund um.

„Dann lass uns gehen.“

Sie hatten für heute den Angriff auf Labor M1 geplant. Erik hatte sich die Baupläne des Labors besorgt und herausgefunden, dass dieses den anderen fast eins zu eins glich. Der einzige Unterschied bestand darin, dass das Hauptgebäude nicht mit dem restlichen Gebäudekomplex verbunden war. Sie, oder besser gesagt Erik, hatte beschlossen dieses Mal gründlicher vorzugehen, was das Beseitigen des Labors anging. Er hatte sie Sprengsätze besorgt, die er in den Gebäuden verteilen wollte. Charles war nicht gerade begeistert gewesen, aber nichts weiter dazu gesagt.

Sie hatten geplant ohne Hank zu fliegen, da dieser, seit dem Vorfall vor drei Tagen, nicht viel mit ihnen geredet hatte. Doch als sie zum Jet kamen, stand er davor und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.

„Ihr wolltet doch wohl nicht ohne mich fliegen, oder?“

„Würde uns nicht im Traum einfallen“, entgegnete Erik sarkastisch.

Charles lächelte nur. Er war sich sicher gewesen, dass Hank mit ihnen mitkommen würde. Er war ein treuer Freund und mittlerweile einer seiner engsten Vertrauten. Sie stiegen in den Jet und waren zwei Minuten später in der Luft. Ihr Weg führte sie in den Yellowstone Nationalpark, denn dort lag die Forschungseinrichtung M1.

„Und du bist sicher, dass du sie alle einfrieren kannst?“, fragte Erik, nun schon zum gefühlten hundertsten Mal.

„Ja, ich bin mir sicher. Ich muss mich mehr darauf konzentrieren, aber dann ist es wie vorher auch“, zum gefühlten dreihundertsten Mal, was man auch an seiner Stimme hörte.

Erik sah ihn zweifelnd an, erwiderte aber nichts drauf. Er wusste, dass er von ihm keine andere Antwort bekommen würde, selbst wenn es eine gäbe. Stattdessen wandte er sich dem Radar zu. Sie konnten sich keinen ungebetenen Besuch leisten, weshalb ihr Radar auch einige Meter weiter reicht, als der Standard. Dennoch mussten sie ihn ständig im Auge behalten, damit sie anderen Flugzeugen und Jets ausweichen konnten. Deshalb konnte Erik es sich nicht leisten, ihn länger als wenige Sekunden zu beobachten.

„Was ist mit dir los, Blauer? Du bist so still heute“, fragte Erik an Hank gewandt.

Dieser knurrte bedrohlich und sah ihn von der Seite an.

„Wie würde es dir gehen, wenn du deinen besten Freund und Mentor mit dem Typen im Bett erwischen würdest, von dem du gedacht hast, er wäre dein größter Feind?“

Erik zog eine Augenbraue hoch und erwiderte Hanks Blick.

„Ich hab eigentlich gedacht wir sind Freunde. Ich sehe dich nämlich nicht als Feind. Ich trage nur den Kampf für unsere Rechte anders aus, als du oder Charles… zumindest habe ich das.“

Er weiß nicht ob er sich freuen oder mich für einen Verräter halten soll. Ich hätte nicht gedacht, dass ihn die Sache so mitnimmt.

Erik sah Charles überrascht an.

Wenn hier jemand ein Verräter ist, dann ja wohl ich. Immerhin bleibst du deinen Freunden und Zielen treu.

Charles lachte leise und sah verständnisvoll in Hanks Richtung. Dieser hielt den Blick nach draußen gerichtet. Aber er wusste dass sie sich unterhielten, soviel las Charles noch in seinen Gedanken, dann zog er sich daraus zurück.

Ich kann ihn verstehen. Ich würde wahrscheinlich genauso reagieren.

Du hast auch für alles und jeden Verständnis.

Sei froh!

Charles zwinkerte Erik zu. Dieser grinste zurück und sah dann wieder auf den Radar. Er kam ihm seltsam vor, dass sie bis jetzt noch keinem anderen Flugzeug begegnet waren, aber er würde sich darüber nicht beschweren. Dennoch behielt er den Radar nur umso aufmerksamer im Blick. Er traute den Menschen einfach nicht. Sie waren einfallsreich, wenn es darum ging Dinge zu bauen, vor allem Waffen, die unbemerkt an einen herankommen konnten, um einen dann möglichst schmerzvoll zu töten. Er hatte es erlebt.

„Wir sind gleich da, anschnallen bitte“, meinte Hank.

Die Ansagen galt Charles, der sich während dem ruhigen Flug abgeschnallt hatte. Dieser legte den Sicherheitsgurt an und nickte ihm dann zu. Schon ging Hank in einen Sinkflug über. Sie rauschten tief über dem Boden dahin, bis Hank langsamer wurde und den Jet schließlich hinter einer Baumgruppe landete. Sie befanden sich in dem Teil des Yellowstone Nationalparks, der Roosevelt Country genannt wurde. Hier gab es fast keinen Tourismus, das perfekte Versteckt für eine Forschungseinrichtung.

Sie verließen schnell den Jet und liefen zu der Baumgruppe. Von dort konnte man das Labor schon sehen und Charles erfuhr auch gleich, dass sich keine Wachen in ihrer Nähe aufhielten. Hier nahm man es mit der Umgebungssicherung wohl nicht so ernst, wie in Labor M3. Er saß auf dem Boden und hatte zwei Finger gegen die rechte Schläfe gelegt. Sie hatten seinen Rollstuhl im Jet gelassen, da er sie nur behindern würde. Wenn sie rennen mussten, würde Hank oder Erik ihn tragen, so wie sie es jetzt auch getan hatten. Sie mussten vielleicht schnell sein und da war ein Rollstuhl nicht wirklich nützlich.

Erik zog die Riemen seines Rucksackes enger und wollte gerade loslaufen, als Charles ihn am Arm festhielt. Er drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend an.

„Du willst mich doch hier nicht einfach so sitzen lassen, oder?“, fragte Charles.

„Was?“

„Ich komme wenigstens bis zur ersten Grenze mit. Ich muss diesen ganzen Menschen einfrieren und je näher ich dran bin, umso einfacher wird es für mich“, erklärte der Kleinere.

Das war ein Teil der Wahrheit. Der andere war, dass er Erik so lange wie möglich im Blick behalten wollte. Dessen Blick verriet, dass er diesen Gedanken sehr wohl auf Charles Gesicht lesen konnte. Allerdings versuchte er nicht ihn von diesem Vorhaben abzuhalten. Er wusste, dass das keinen Sinn hatte. Wenn Charles sich etwas in seinen hübschen Kopf gesetzt hatte, konnte man ihn nicht mehr so schnell davon abbringen.

„Na schön. Aber dieses Mal muss Hank dich tragen. Ich kann nicht auf euch warten, wenn wir die Grenze erreicht haben. Ihr solltet so oder so ein Stück hinter mir bleiben, dann kann ich die Wachen…“

„Ich werde auch die Wachen einfrieren, keine Angst. Du musst niemanden töten!“, unterbrach Charles ihn.

Außer deine Kräfte lassen dich im Stich. Ich bin lieber auf alles vorbereitet.

Danke für dein großes Vertrauen.

„Könnt ihr das bitte unterlassen? Ich höre gerne, was andere in meiner Anwesenheit miteinander reden“, mischte Hank sich ein.

„Entschuldige. Ich lass es“, meinte Charles lächelnd.

Hank nickte, zog ihn auf die Beine und dann auf seinen Rücken. Charles schlang die Arme um Hanks Hals und hielt sich fest so gut er konnte und wagte, ohne seinen Freund weh zu tun. Die Gedanken, die er von Erik hörte, ließen ihn grinsen.

„Du wolltest mich nicht tragen“, sagte er laut und erntete einen vernichtenden Blick von Erik.

Dann liefen sie los. Hank blieb immer wenige Schritte hinter Erik, falls etwas Unerwartetes passieren würde und das tat es tatsächlich. Sie waren noch nicht weit gelaufen. Der erste Zaun, den sie als Grenze bezeichnet hatten, war noch gute fünfzig Meter entfernt, als Erik plötzlich die Hand hob und stehen blieb. Mit gerunzelter Stirn sah er sich um.

„Was ist?“, wollte Hank wissen und verschränkte die Arme hinter dem Rücken, damit Charles nicht herunterrutschen konnte.

„Diese miesen, kleinen Idioten. Euch werd ich`s zeigen“, murmelte Erik und machte eine ausgreifende Geste mit den Händen.

Im nächsten Moment hätte man denken können sie wurden von Flugzeugen bebombt. Um sie herum flog alles in die Luft. Die Druckwelle riss Hank von den Beinen und bevor er es verhindern konnte, viel er auf Charles, dem es die komplette Luft aus den Lungen drückte. Dreck und Holzsplitter flogen durch die Luft. Doch so schnell das Chaos ausgebrochen war, so schnell war es auch wieder vorbei. Erik stand vor Hank und Charles und half ersterem beim Aufstehen.

„Eine Vorwarnung wäre das nächste Mal vielleicht nicht schlecht“, meinte Charles, nachdem er wieder Luft bekam.

„So viel zum Thema unbemerkt anschleichen“, knurrte Hank und klopfte sich den Dreck von den Kleidern.

„Tut mir leid, aber wir wären anders nicht durch das Minenfeld gekommen.“

Hank schnaubte abfällig und nahm Charles wieder auf den Rücken, damit sie ihren Weg fortsetzten konnten.

„Wenigstens wissen wir jetzt, warum hier keine Wachen unterwegs waren“, meinte Charles, als sie sich dem Zaun näherten.

Im nächsten Moment erklang ein Ruf und Schüsse wurden laut. Erik und Hank zogen die Köpfe ein und suchten Schutz hinter zwei Bäumen.

„Verdammt Charles, du wolltest sie doch einfrieren!“, rief Erik wütend.

„Das war die Rache für deinen Bombenauftritt“, erwiderte Charles und legte zwei Finger gegen die Schläfen. „Okay, ihr könnt weitergehen.“

Sie fanden sechs Wachen die vor dem Tor des Zaunes standen. Auf einen Wink von Erik hin löste der Zaun sich, wie von Geisterhand, und fesselte die Männer. Charles spürte dass er sie am liebsten damit zerquetscht hätte und war froh, dass er es nicht tat. Als sie weitergingen befahl er den Wachen zu schlafen und das würden sie tun, bis er ihnen etwas anderes befahl.

Genau fünfzig Meter weiter war der nächste Zaun. Dieser wurde von einer Truppe aus fünfzehn Männern und Frauen bewacht, welche Charles schon schlafen geschickt hatte, noch bevor sie am Zaun ankamen, da sie die drei schon ins Visier genommen hatten. Auch diese wurden von Erik gefesselt. Den nächsten Zaun überwanden sie mit der gleichen Taktik und standen dann vor dem Haupttor des Labors. Auf der doppelflüglichen Tür stand in großen Buchstaben M1.

„Weiter kommt ihr nicht mit. Sucht euch hier draußen Schutz und wartet, bis ich wieder da bin“, meinte Erik, in einem befehlenden Tonfall. „Ich muss mich beeilen, wenn die Sprengsätze scharf gemacht sind und habe keine Zeit, auf euch zu warten.“

Hank wollte Einspruch erheben, doch Charles war schneller als er und nickte.

„Pass auf und vergieß bitte nicht unnötig Blut.“

Erik erwiderte das Nicken, wandte sich von Charles und Hank ab und öffnete die schwere Eisentür mit einem Wink seiner Hand. Im nächsten Moment schlug sie hinter ihm zu. Charles deutete auf eines der Wachhäuschen, welche links und rechts des Tores standen.

„Darin können wir uns verstecken.“

„Vor was eigentlich? Ich meine du wirst doch alle einfrieren, warum müssen wir uns dann verstecken?“, wollte Hank wissen.

„Weil wir auf alles vorbereitet sein müssen. Diese Menschen haben schon unzählige Mutanten untersucht und wissen, wie sie sich gegen unsere Kräfte schützen können.“

Das sah Hank ein und ging zu dem Wachhaus, welches ihnen am nächsten war. Er trat die Tür kurzerhand ein und sah sich darin um. Kein Mensch war hier, die waren alles zum Zaun gerannt. Er setzte Charles auf einen Stuhl und machte sich daran die Tür zu verbarrikadieren. Dann wandte er sich zu Charles um.

Dieser saß, mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht, am Tisch und fixierte einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Hank wusste, dass er ihn nicht stören durfte. Das Labor war sicher voll mit Menschen und es war für Charles schon schwer gewesen mehr als zwanzig einzufrieren, als er noch die komplette Kontrolle über seine Kräfte besessen hatte. Hank blieb neben der Tür stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Charles bekam es nicht mit. Er musste sich auf so viele Gedankenstimmen konzentrieren, wie noch nie zuvor. Außerdem war er die ganze Zeit bei Erik und half ihm dabei die richtigen Räume zu finden.
 

Erik rannte währenddessen durch die Gänge des Labors und verteilte die Sprengsätze. Er achtete nicht auf die Menschen, die überall wie versteinerte dastanden und vor sich hinstarrten.

Wie willst du sie eigentlich hier herausbringen, wenn du sie einfrierst?

Lass das meine Sorge sein. Sorgt du nur dafür, dass unsere Brüder und Schwestern aus ihren Zellen und zu den Helikoptern kommen.

Na schön. Wo lang?

Erik wartete eine ganze Weile auf Charles Antwort, welche dafür aber umso genauer ausfiel.

Den nächsten Gang rechts, dann gerade aus bis zum Ende, erste rechts, dritte links, die Treppen nach oben. Dann müsstest du vor einer Art Luftschleuse ankommen. Der Code um sie zu öffnen ist…

Egal, sie ist aus Metall.

Charles Gedankenstimme schwieg, während Erik sich Zugang zum Hauptgebäude verschaffte. Was er beim Betreten des ersten Raumes sah, jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken und Zorn und Hass durch seine Eingeweide.

Er war in einen Experimentierraum gestolpert, in dem, an einer Wand, zwei Frauen und zwei Männer festgebunden waren. Ihre Arme und Beine hatte man mit Eisenfesseln gegen die Wand gekettet. Ihre nackten Körper waren Blutverschmiert und trugen unzählige Verletzungen. Das schlimmste aber waren die leeren, teilnahmslosen Augen, mit denen sie Erik ansahen. Es waren die Augen von Menschen, die ihre Hoffnung und Willen zu Leben schon lange verloren hatten. Er konnte ihnen nicht helfen. Dennoch befreite er sie von ihren Fesseln. Die vier vielen einfach nach vorn und blieben reglos am Boden liegen.

Du darfst sie nicht hier lassen, Erik. Sie werden sterben.

Und wie soll ich sie deiner Meinung nach mitnehmen? Ich kann keine vier Leute tragen.

Charles schwieg wieder und Erik beschlich die Angst, er hätte ihn verärgert. Das wollte er nicht, aber es war doch die Wahrheit. Wie sollte er die vier aus dem Labor bringen? In solchen Situationen musste man eben Entscheidungen treffen und er entschied sich dafür, diejenigen zu befreien, die noch nicht aufgegeben hatten.

Gerade als er den Raum verlassen wollte, standen die vier fast schon Synchron auf und folgten ihm. Erik zog eine Augenbraue hoch und musterte sie. An ihrem Blick hatte sich nichts geändert. Dann fing einer der Männer an zu sprechen und er wusste, was los war.

„Ich bring sie raus. Befrei du die anderen.“

Erik nickte und rannte weiter. In den Zellen, die er als nächstes öffnete saßen unzählige Mutanten. Einige davon sahen ihn ungläubig, andere ängstlich, wieder andere rebellisch oder zornig an. Nur wenige richteten den Blick gar nicht auf ihn. In jeder Zelle wiederholte er die gleichen Worte.

„Verschwindet von hier. Die Menschen können euch nichts tun. Im Innenhof stehen Helikopter. Steigt ein und wartet. Heute verschwinden wir von hier.“

Es gab viele, die zögerten, aber als sie die anderen sahen, die durch die Gänge rannten, fassten auch sie Mut und rannten zum Innenhof.

Endlich fand Erik den Zentralraumund entriegelte alle Zellen. Durch den Lautsprecher machte er die Durchsage, dass alle frei waren, sich in den Innenhof begeben und dort auf die fünf Helikopter verteilen sollten. Er fügte auch hinzu, dass das Labor in einer halben Stunde in die Luft fliegen würde. Dann stellte er seinen Rucksack ab und verteilte zwei Sprengsätze in dem Raum. Mit den restlichen machte er sich auf den Rückweg.
 

„Hank, mach die Tür auf“, murmelte Charles.

„Was?“

„Mach bitte die Tür auf“, widerholte er etwas lauter.

Hank tat was Charles sagte und öffnete die Tür. Er erschrak, als vor ihm vier blutverschmierte Mutanten standen. Die zwei Frauen und Männer betraten den Raum und sackten an der Wand, neben der Tür, in sich zusammen.

„Bitte kümmre dich um sie. Hier liegen bestimmt irgendwo Kleider“, sagte Charles.

Hank sah sich um und fand tatsächlich Kleider in einem Eisenschrank. Er zog die vier schnell an und wandte sich dann wieder Charles zu. Diesem war die Anstrengung mittlerweile deutlich anzusehen. Er war auf dem Stuhl zusammengesunken, stützte sich schwer auf die Ellbogen und presste die Hände fest gegen den Kopf. Hank hatte keine Ahnung, was er tat, aber er fror die Menschen sicherlich nicht nur ein. Hank wusste das spätestens, als Charles Blick sich verschleierte und die erste Träne über seine Wange lief.
 

Erik sah auf dem Rückweg in jeder Zelle, jedem Raum nach, an dem er vorbeikam, ob noch ein Mutant darin zu finden war. Zu seiner Freude waren es aber nur Menschen. Die Mutanten hatten all ihre Brüder und Schwestern mitgenommen, auch die, die nicht aus eigener Kraft fliehen konnten.

Sie sind alle bei den Helikoptern angekommen.

Aber deine Menschen stehen hier immer noch herum.

Ich weiß…

War das Trauer und sogar etwas Wut, welche Erik da in Charles Gedankenstimme hörte?

Was ist?

Nichts…nicht erschrecken, sie werden gleich alle das Labor verlassen.

Schon im nächsten Moment setzten sich die Menschen in Bewegung und verließen schnell, aber geordnet das Gebäude. Erik folgte ihnen und brachte die letzten Sprengsätze an.

Geht zum Jet, ich komme dorthin.

Bis gleich.

Erik verließ das Labor durch den Haupteingang und rannte an der Menschenmenge vorbei, zu dem kleinen Wald und dem Jet. Hank und Charles saßen schon auf ihren Plätzen und der Jet war auch schon Startbereit.

„Dann lass uns losfliegen“, meinte Erik, setzte sich und legte seinen Sicherheitsgurt an.

„Hast du die anderen?“, fragte Charles.

„Sie werden uns folgen.“

Charles nickte und schloss die Augen. In den Köpfen aller Mutanten hallten seine Worte wieder.

Haltet euch fest, wir fliegen los.

Da er Fragen über Fragen hörte, fügte er hinzu:

Ihr bekommt alle eure Fragen beantwortet, wenn wir in Sicherheit sind.

Sie starteten und als Erik aus dem Fenster auf das Labor hinab sah, erkannte er die Menschen. Sie standen in einigem Abstand da, aber nicht weit genug von dem Labor entfernt. Mindestens die Hälfte würde von der Druckwelle der Explosion von den Füßen gerissen werden. Nicht dass das Erik etwas ausmachen würde, aber das war nicht Charles Art.

„Warum schickst du sie nicht weiter von dem Labor weg?“, fragte er.

Charles schwieg, hielt die Augen auf seine Füße gerichtet. Erik hätte auf alles geschworen, dass ihm lieb war, dass Charles in diesem Moment aufkommende Tränen weggeblinzelt hatte. Er beschloss ihn später noch einmal zu fragen. Dann jetzt musste er sich auf die Helikopter konzentrieren und die Sprengsätze im Labor aktivieren.

„Bring uns hier weg, so schnell du kannst“, meinte er an Hank gewandt.

Obwohl sie schon ein gutes Stück vom Labor entfernt waren, als es explodierte, wurden sie noch von den Ausläufern der Druckwelle erfasst. Nur Hanks Geschick als Pilot hatten sie es zu verdanken, dass sie ohne allzu große Turbolenzen aus der Druckwelle herauskamen. Erik hatte währenddessen die Helikopter stabilisiert. Jetzt standen ihm die Schweißperlen auf der Stirn und Charles fürchtete schon er würde es nicht schaffen. Es waren immerhin fünf Helikopter, von der Machart, wie sie das Militär für seine Luftangriffe benutzte.

Aber Erik hielt es aus und landete die fünf sogar relativ sanft, hinter der Villa. Erleichtert atmete Erik auf, als er die Helikopter freigegeben konnte. Erst jetzt spürte er Charles besorgte Blicke auf sich.

„Alles okay“, meinte er und lächelte müde.

„Dann komm. Wir müssen jede Menge Mutanten unterbringen“, sagte Hank an Charles Stelle.

Erik nickte und stand etwas schwankend auf. Er half Charles in seinen Rollstuhl und gemeinsam gingen sie zu den Helikoptern. Dort warteten die Mutanten schon auf sie. Charles war einen Moment überwältigt von den vielen Gedankenstimmen, hatte sich aber relativ schnell wieder im Griff. Die versammelten Mutanten sahen ihn, Erik und Hank mit gemischten Gefühlen an. Sie waren ängstlich und misstrauisch, aber auch neugierig und hoffnungsvoll.

„Ihr müsst keine Angst haben“, begann Charles. „Wir sind wie ihr, Mutanten. Das hier ist ein sicherer Ort und ihr könnt hier bleiben, wenn ihr wollt. Niemand wird euch dazu zwingen. Es steht euch frei nach Hause zu gehen, wir werden euch auch dabei behilflich sein. Diejenigen unter euch, die hier bleiben wollen, werden gut versorgt. Ihr könnt hier eure Kräfte trainieren und wir werden euch dabei helfen, sie kontrollieren zu lernen. Wenn ihr wollt und es zulässt, wird diese Villa…diese Schule ein neues Zuhause und ihre Schüler und Lehrer eine neue Familie für euch. Hier müsst ihr euch nicht verstecken.“

Nicht nur die Menge vor ihm, sondern auch Hank und Erik, sahen Charles erstaunt an.

„Egal für was ihr euch entscheidet, ihr seid hier jederzeit willkommen und jetzt lasst uns reingehen. Ihr seid bestimmt müde und wollt euch ausruhen. Es gibt genug Zimmer für alle. Sucht euch eines aus. Wer Hunger hat, kann in den Speisesaal kommen. Dort wird auch etwas zu trinken für alle bereit stehen. Helft bitte denen unter euch, die nicht die Kraft zu gehen haben und bringt sie in das große Zimmer im Erdgeschoss des rechten Flügels.“

Charles sendete allen ein Bild, wie sie das Zimmer finden konnten. Dann nickte er Hank und Erik zu. Die beiden eilten zu den verletzten und halfen dabei sie in die Schule zu bringen. Charles wartete, bis alle durch die Terrassentür gegangen waren und folgte ihnen dann.

Nachdem sich alle gestärkt und ein Zimmer gefunden hatten, führte Charles Weg ihn in das Zimmer, in dem sie die Verletzten untergebracht hatten. Er wollte nachsehen, wie es ihnen ging und, was noch wichtiger war, ob alle durchkommen würden. Er befürchtete, dass dies nicht der Fall sein würde und er sollte Recht behalten. Die beiden Männer und Frauen, welche Erik zuerst befrei hatte, starben in der Nacht. Aber sie blieben auch die einzigen Todesopfer.

In den darauffolgenden Tagen wurde die Schule zunehmend belebter. Die Mutanten lebten sich ein und jeder fand seinen eigenen Tagesrhythmus. Es waren nicht viele, fünf oder sechs, welche die Schule verließen. Wie versprochen hatte Hank sich darum gekümmert, dass diese sechs sicher zu Hause ankamen. Der Rest hatte beschlossen zu bleiben

Charles, Erik und Hank halfen den verbliebenen, wo sie nur konnten. Der Großteil wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden und sich von allem erholen oder die Erinnerungen und Geschehnisse vergessen. Es gab aber auch eine kleine Gruppe, die sofort damit begann an ihren Kräften zu arbeiten und fleißig zu trainieren.

Charles unterhielt sich mit jedem Schüler, der dies wollte und fand so heraus, dass manche von ihnen schon als Kind in das Labor gebracht worden waren. Die Schreckensbilder, welche er ihren Gedanken entnahm ließen ihn zum Teil nicht schlafen oder rissen ihn aus dem Schlaf heraus. Es viel ihm schwer die ganzen Gedankenstimmen aus seinem Kopf auszuschließen, da er ihr Leid spürte und sie am liebsten davon erlöst hätte. Aber das lag nicht in seiner Macht oder besser gesagt, nahm er sich diese Macht nicht heraus.

Am vierten Tag, nachdem sie das Labor M1 zerstört hatten, genehmigte Charles sich zwei Stunden Ruhe. Diese verbrachte er in Cerebro. Denn diese wunderbare Maschine konnte seine Kräfte nicht nur verstärken, sondern auch einschränken. Wenn er in der Kugel saß, konnte er keine Gedanken hören oder Gefühle spüren, außer er zog den Helm auf. Charles hatte sich in seinen Rollstuhl sinken lassen und den Kopf in den Nacken gelegt. Mit geschlossenen Augen lauschte er auf sich selbst, was sehr selten war und erschrak. Es waren nun schon einige Wochen vergangen, dass er selbst ein Gefangener in einem dieser Labore gewesen war. Aber das Ganze hatte seine Spuren hinterlassen. Jetzt, abgeschottet von den Schmerzen der anderen und Gefühlen, die ihn selbst auch ein Stück weit manipulierten, spürte er seine eigene Schwäche. Sein Körper hatte sich noch nicht vollkommen erholt und so wie es sich anfühlte, würde das auch noch eine Weile dauern. Außerdem spürte er immer noch etwas in seinem Geist, dass dort nicht hingehörte. Es waren die Reste der Infusion, welche seine Kräfte unterdrückt hatte. Das Gemisch floss immer noch in seinem Blut und machte es ihm zusätzlich schwer seine Fähigkeiten zu kontrollieren.

Seufzend öffnete er die Augen und verließ Cerebro. Er fuhr zu dem kleinen Badezimmer, welches Hank, Erik und er für sich beansprucht hatten und ließ sich ein Bad ein. Er brauchte einige Versuche, bis er es geschafft hatte, sich in das angenehm warme Wasser sinken zu lassen.

Erneut kam ein Seufzen über seine Lippen. Er legte den Kopf auf den Wannenrand und schloss wieder die Augen. Es dauerte nicht lange, bis er eingeschlafen war und noch kürzer, bis er, mit einem Schrei aus dem Schlaf erwachte.

Er spürte Nadeln in den Armen, ein Skalpellschnitt am rechten Unterarm und höllische Schmerzen in den Beinen. Vor Schmerz keuchend saß er da und konnte nicht verhindern, dass sich sein gesamter Körper versteifte. So einen Anfall hatte er schon seit Wochen nicht mehr gehabt. Sie hatten angefangen, als er, nachdem Erik und Hank ihn aus dem Labor geholt hatten, aufgewacht war. So verarbeitete sein Körper das erlebte, indem er es ihn immer wieder fühlen ließ.

„Charles? Alles okay?“, Eriks Stimme erklang aus weiter Ferne.

Charles konnte ihm nicht antworten. Er brauchte seine Konzentration, um nicht noch einmal zu Schreien. Vollkommen verkrampft und mit geschlossenen Augen saß er da und hatte die Hände um den Wannenrand gekrallt. Er drückte so fest zu, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Das schlimme an diesem Anfall war, dass er nicht nur aus körperlichem Schmerz bestand. Nein, in Charles Kopf tobten die Bilder, welche er in den Gedanken seiner Schüler und in denen der Mitarbeite von M1 gesehen hatte und diese setzten ihm noch schlimmer zu.

Erik reagierte augenblicklich. Er wusste, dass es nichts brachte, auf seinen Freund einzureden, nicht in diesem Zustand. Also ging er zu der Badewanne und beugte sich zu Charles hinunter. Die Hände legte er an dessen Wangen und sah ihm fest in die Augen.

Charles, es ist alles gut. Beruhige dich. Der Schmerz ist nicht echt, du bildest dir das nur ein.

Eriks Gedankenstimme war wie ein Schwall kaltes, erfrischendes Wasser und riss Charles aus seinen Schmerzen. Schwer atmend sah er sein Gegenüber an und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Es gelang ihm erst nach einigen Minuten.

Danke, Erik.

Er benutzte seine Gedankenstimme, um mit ihm zu reden, da er seiner Richtigen nicht traute. Sie würde bestimmt zittern, wenn nicht sogar versagen, und dann würde wieder dieser mitleidvolle Blick in Eriks Augen erscheinen, den Charles nicht ausstehen konnte. Er wollte kein Mitleid von anderen.

„Was ist los? Seit wir das Labor zerstört haben, bist du richtig seltsam geworden“, fragte Erik, nachdem er sicher war, dass Charles nicht wieder in die Schmerzen abdriften würde.

„Nichts…ich…“

„Lüg mich nicht an, du kannst es nämlich nicht.“

Charles holte tief Luft und stieß sie wieder aus, bevor er Erik ansah.

„Ich habe die Menschen im Labor alles vergessen lassen, was mit Mutanten zu tun hatte. Dazu musste ich mir ihre Gedanken aber erst einmal ansehen. Was ich gesehen habe, kannst du dir nicht vorstellen, Erik. Die ganzen Experimente…ich habe so viele von uns sterben sehen. Getötet durch irgendwelche Injektionen, die ein Heilmittel darstellen sollten oder durch einen von uns, den die Professoren kontrollierten. Aufgeschnitten, verbrannt, mit Elektroschocks gequält, mit angeblicher Medizin vergiftet, einfach zerquetscht, weil eine Aufgabe die Grenzen des Mutanten überschritten. Ich hab einige sogar regelrecht explodieren sehen, Erik! Und dazu kommen die Gefühle unserer Schüler und die Erinnerungen von ihnen, an den Schmerz und die Panik, welche immer noch in ihnen tobt, die Angst, dass das wieder passieren wird…“

Charles vergrub das Gesicht in den Händen und Erik hörte ihn leise schluchzen. Er stand einige Augenblicke da und wusste nicht, was er tun sollte. Dann nahm er den kleineren in den Arm und strich ihm beruhigend über den Kopf. Er sagte ihm nicht, er soll strak sein und aufhören zu weinen, denn genau das schien Charles gerade zu brauchen. Außerdem wusste Erik, wie schrecklich diese Worte in einem solchen Moment waren. Erst nach einer halben Stunde versiegten Charles Tränen und er sah Erik aus roten Augen an.

„Ich…ich danke dir“, sagte er und wusch sich das Gesicht.

Erik lächelte sanft.

„Das ist doch selbstverständlich. Alles wieder in Ordnung?“

„Ich weiß nicht, was ich noch tun kann, um die Bilder zu vergessen…“

„Ich kann es dir nicht sagen, aber ich weiß, was im Moment helfen könnte“, erwiderte Erik.

Er lief um die Wanne herum und ging hinter Charles in die Hocke. Dann griff er nach dem Waschlappen, welcher auf einem Stuhl, neben der Badewanne, lag und begann Charles Oberkörper zu waschen. Mit trägen, kreisenden Bewegungen fuhr er über die Brust und den Bauch des Kleineren und spürte wie sich dessen Muskeln unter seinen Händen entspannten. Charles legte den Kopf auf den Wannenrand und schloss, leise seufzend, die Augen. Er spürte Eriks Kopf, der sich auf seine Schulter legte und seine Lippen, die ihm einen leichten Kuss auf den Hals hauchten. Die langsamen Bewegungen auf seinem Körper beruhigten ihn und die gesamte Anspannung der letzten Tage fiel von ihm ab. Das führte dazu, dass er wieder müde wurde und gegen den Schlaf anzukämpfen versuchte.

„Wenn du weiter machst…schlaf ich ein“, murmelte Charles und wollte den Kopf heben, wurde aber von Erik daran gehindert.

„Dann schlaf doch. Du hast jedes Recht dazu erschöpft zu sein.“

„Hm…“, kam es von Charles.

Erik lächelte. Er glaubte nicht dass dieser seine Worte wirklich mitbekommen hatte, denn sein Atem hatte sich verlangsamt und ging jetzt gleichmäßig. Charles schlief. Erik war einen Moment versucht ihn in der Wanne liegen zu lassen, entschied sich dann aber anders. Er hatte Angst dass Charles krank werden würde und holte ihn deshalb aus dem Wasser. Vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken, trocknete er ihn ab und zog ihn an. Charles schlief so fest, dass er von dem Ganzen nichts mitbekam.

Erik brachte ihn in sein Zimmer und legte ihn in das Bett. Nachdem er den kleineren zugedeckt hatte, wandte er sich dem Zimmer zu und stieß einen tiefen Seufzer aus. Hier sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Charles hatte wohl mal wieder etwas gesucht. Kopfschüttelnd machte Erik sich daran, dass Chaos zu beseitigen. Er war gerade dabei die letzten Bücher in den Schrank einzuräumen, als er inne hielt. Vor ihm lag ein Buch, ohne Titel. Neugierig öffnete er es. Zuerst machte sich Überraschung, dann ein Lächeln auf seinem Gesicht breit.

In dem Buch stand nichts, dafür füllten Bilder die Seiten, Bilder von ihm und Charles. Er hatte keine Ahnung, woher Charles diese hatte, aber es war ihm auch egal. Er setzte sich an den großen Schreibtisch und begann in dem Fotoalbum zu blättern. Es waren schöne Bilder und lustige. Aber vor allem waren es Bilder, auf denen sie beide zu sehen waren und zwar in Momenten, in denen Erik schon hätte klar sein müssen, wie er für seinen Freund fühlte. Als er die nächste Seite aufschlug, sah er eine Bilderserie die ihm nur zu bekannt vorkam.

Charles und er standen auf der Terrasse der Villa, im Hintergrund erkannte man die Satelitenschüssel. Im ersten Bild, hatte Charles zwei Finger an die Schläfen gelegt und er starrte ihn fassungslos an. Im zweiten liefen Tränen über Eriks Wangen und Charles wischte sich seine gerade weg. Das dritte Bild zeigte sie beide, wie sie an dem Geländer der Terrasse lehnten und im letzten hatte Charles seine Hand auf Eriks Schulter gelegt und sie lachten beide.

„Woher hast du diese Bilder, Charles?“, fragte Erik leise.

Es kam ihm seltsam vor, dass sein Freund Bilder hatte, von Momenten in denen sie alleine waren. Wie hätte er diese machen sollen?

„Moira hat sie gemacht. Sie vermutete wohl schon, dass ich ihr Gedächtnis löschen würde und wollte sie sich so bewahren“, erklang Charles Stimme.

Erik hob den Kopf und sah zum Bett hinüber.

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht aufwecken.“

„Hast du nicht“, gähnte Charles und drehte sich so, dass er Erik ansehen konnte.

„Und sie hat nur Bilder von uns gemacht?“, fragte dieser zweifelnd.

Charles lachte und schüttelte den Kopf.

„Nein, aber in diesem Album kleben nur Bilder von uns beiden. Es hat mir am Anfang etwas geholfen, nicht allzu wütend auf dich zu sein. Aber mit der Zeit, haben die Bilder das Ganze nur schlimmer gemacht. Ich hatte eigentlich gedacht, ich hätte es weggeworfen.“

Erik klappte das Buch zu, kam um den Tisch herum und setzte sich zu Charles auf das Bett. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er auf den kleineren herab.

„So, du wolltest es also wegwerfen? Die ganzen Erinnerungen an uns einfach löschen?“, fragte er, mit gespielt drohender Stimme.

„Ich war zu dem Zeitpunkt nicht wirklich gut auf dich zu sprechen. Das wirst du mir doch wohl nicht böse nehmen, oder?“

„Mal sehen.“

Er grinste und kniete sich über ihn. Charles Augen blitzen auf, als Erik nach seinen Händen griff und sie mit seiner über seinem Kopf festhielt. Im nächsten Moment küssten sie sich leidenschaftlich und der kleinere versuchte seine Hände zu befreien. Doch Erik dachte nicht daran es ihm so leicht zu machen.

Außerdem dachte er auch nicht im Traum daran, sich dieses Mal von irgendjemandem unterbrechen zu lassen. Er hob kurz die Hand, mit der er an Charles Brustwarze gespielt hatte und schon war ein leises Klicken zu hören. Die Tür war verschlossen und keiner würde sie stören. Dann widmete er sich wieder Charles und schob dessen Pullover hoch, sodass er das mit den Händen begonnene, mit dem Mund fortsetzten konnte.

Von Charles kam ein lustvolles aber gleichzeitig frustriertes Stöhnen. Er kämpfte gegen Eriks Griff an und dieser hatte endlich Erbarmen mit ihm und gab seine Hände frei. Sofort krallten diese sich in Eriks Haare, als er in Charles Brustwarze biss.

Erik wusste, dass sein Freund schon in seinen Gedanken war und dort sein Verlangen nach ihm fühlen konnte. Spätestens jetzt, da er daran dachte und wie um seine Gedanken zu bestätigen schnappte Charles überrascht nach Luft. Erik ließ seine Lippen weiter nach unten wandern und hauchte einen Kuss auf Charles Bauchnabel. Dieser zog sich endgültig das Oberteil aus und griff dann nach Eriks.

Beides wurde achtlos auf den Boden geworfen, ebenso wie ihre Hosen und Unterhosen. Im nächsten Moment war es Erik, der überrascht nach Luft schnappte. Gleichzeitig kam ein lustvolles Stöhnen über seine Lippen und er sah Charles schwer atmend an. Dieser hatte eine Hand zwischen Eriks Beine wandern lassen und strich erst langsam, dann schneller werdend über dessen Glied. Erik schloss keuchend die Augen und genoss die Berührungen.

Charles wusste genau, was ihm gefiel und durch seine gedankliche Verbindung zu Erik, erregten diese Dinge auch ihn. Sein Verlangen war ebenso groß, wie das Eriks und zusammen brauchte es nicht viel, um Charles zu seinem Höhepunkt zu bringen. Aber er wollte es Erik genießen lassen. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass sein Verlangen auch auf den anderen übersprang.

Eine Sekunde später hatte Erik ihn auf seinen Schoß gezogen und das Gesicht gegen seine Schulter gelehnt. Stöhnend presste er sich Charles Hand immer wieder entgegen und spürte wie sich seine Lust zu einer Welle auftürmte, die jeden Moment über ihm zusammenzubrechen drohte.

Charles hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt und biss sich auf die Lippen, um nicht laut aufzustöhnen. Eriks Gefühle und Empfindungen bauten auch in ihm diese Welle auf. Er verstärkte den Griff um Eriks Glied und ließ seine Hand schneller auf und ab wandern. In dem Moment, in dem sie beide kamen, presste Erik seine Lippen auf Charles` und drückte ihn damit auf die Matratze. Beide stöhnten in den leidenschaftlichen Kuss hinein und unterbrachen diesen auch nicht, als nur noch die Nachbeben ihres Höhepunktes zu spüren waren.

Schwer atmend lagen sie auf dem Bett und sahen sich lächelnd an. Erik zog Charles in seine Arme und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Es gab Paare, die nach dem Sex redeten, aber sie taten das nicht. Sie benötigten in diesem Moment keine Worte, sondern nur die Nähe zueinander und das Wissen, dass der andere so fühlte, wie man selbst. Glücklich schlossen Erik und Charles die Augen und warteten bis sich ihr Atem beruhigte.

„Charles?!“

Hanks Stimme klang gedämpft durch die Tür und er rüttelte am Türgriff. Erik öffnete die Augen und sah missbilligend zur Tür.

Hank hat wirklich ein selten blödes Timing.

Charles lachte, als er diesen Gedanken hörte. Das Rütteln an der Tür wurde lauter und nun kam auch noch ein Klopfen dazu.

„Mir ist vollkommen egal, was ihr beide da drinnen macht! Hört auf und kommt ins Wohnzimmer, schnell!“

Die Aufregung in Hanks Stimme hatte zur Folge, dass Erik und Charles sich so schnell anzogen, wie sie konnten und seiner Aufforderung folgten. Zehn Minuten später saßen sie, mit einigen ihrer neuen Schüler, im Wohnzimmer und starrten entsetzt und ungläubig auf den Fernseher. Dort waren Bilder von einem riesigen Trümmerhaufen zu sehen, der einmal die Forschungseinrichtung M1 darstellte.

„Die Tragödie ereignete sich von ungefähr vier Tagen“, drang die Stimme des Nachrichtensprechers an ihre Ohren. „Das Labor M1, welches, ebenso wie M2 und 3 von der Regierung befürwortet war, wurde vor vier Tagen von einer Gruppe Mutanten angegriffen und zerstört. Die Gründe hierfür sind unklar. Die Forschungseinrichtungen M sind Bestandteil eines Programmes zur Identifizierung, Erforschung und Heilung der Mutationen.

Weiterhin unklar ist, ob bei der Explosion, welche die Gruppe ausgelöst hat, Mutanten ums Leben kamen. Bisher konnten noch keine Leichen aus den Trümmern geborgen werden. Ein weiteres seltsames Detail ist, dass sich keiner der Professoren oder Wachen, welche allesamt Menschen waren, an den Vorfall, ihre Arbeit in dem Labor oder überhaupt an die Existenz von Mutanten erinnern können. Gut die Hälfte von ihnen wird zurzeit noch ärztlich behandelt, da sie zu nahe an der Explosion gestanden hatten. Wie sie das Gebäude überhaupt rechtzeitig verlassen konnten, konnte keiner der Anwesenden sagen.

Nach den Verdächtigen wird gesucht. Wer einen der vermissten Mutanten gesehen hat, soll sich bitte bei dem FBI melden. Bilder und Beschreibungen finden sie auf unserer Internetseite.

Es stellt sich die Frage, was die Mutanten vorhaben und warum sie Einrichtungen angreifen, welche sich ihrer Heilung und ihrem Wohnbefinden verschrieben haben.

Wir halten sie weiterhin auf dem neuesten Stand der Dinge…“

Ungläubiges Schweigen erfüllte den Raum. Alle anwesenden starrten auf den Bildschirm. Es dauerte geschlagene zehn Minuten, bis Charles endlich das Wort ergriff.

„Ihr braucht keine Angst zu haben, hier wird euch niemand finden, das verspreche ich euch“, sagte er an die anwesenden Schüler gewandt. „Und wenn doch, dann seid bitte die besseren Menschen und vergeltet Schmerz nicht mit Schmerz.“

Ein Schnauben erklang. Charles wandte sich Erik zu, der dieses ausgestoßen hatte.

Ich weiß, dass das nicht deine Meinung ist. Aber bitte, ermutige sie nicht zu einem Kampf, dem sie noch nicht gewachsen sind.

Du würdest dich wundern, zu was sie fähig sind, wenn sie ihre Wut gegen die Menschen einsetzten würden.

Nein…ich würde mich nicht wundern, ich wäre enttäuscht und ich bin enttäuscht, das von dir zu hören. Du müsstest doch am besten wissen, dass Wut nicht die stärkste Energiequelle ist.

Aber sie kann helfen.

Müssen wir das hier und jetzt diskutieren?

Nein…

Charles sah die anderen an und erlaubte sich einige Sekunden in ihre Gedanken einzudringen. Sie hatten Angst, verständlicher Weise. Aber sie waren auch entschlossen, sich nicht mehr einsperren zu lassen. Sie würden sich und zu seinem Erstaunen auch die Schule verteidigen. Was ihm aber vor allem Hoffnung gab, war die Tatsache, dass keiner von ihnen einen Menschen töten wollte. Fast schon erleichtert atmete er aus und sah nun Hank an.

Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir die Mutanten aus M2 befreien. Sie haben bestimmt die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Treffen wir uns in meinem Zimmer? Dann können wir alles besprechen.

Hank nickte, sah ihn allerdings nicht an. Charles hatte schon wieder vergessen, dass es ihm unangenehm war, wenn er in Gedanken mit ihm sprach. Da er mit Erik so oft über diesen Weg kommunizierte, geriet es in Vergessenheit, dass das nicht jeder wollte. Er warf seinem Freund einen entschuldigenden Blick zu und verließ das Wohnzimmer.

Sie wurden also als Verbrecher eingestuft, als Gefahr. Das war nichts neues, die Menschen wussten es nicht besser. Aber Charles sah darin keinen Grund wütend auf sie zu sein oder sie gar zu hassen. Er wusste, ihnen würde es nicht anders gehen, wenn plötzlich eine Spezies auftauchen würde, die stärker und weiterentwickelt war, als sie selbst. Das allerdings war etwas, dass viele Mutanten nicht verstehen wollten und allen voran Erik.

In seinem Zimmer angekommen, setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und sah nachdenklich auf das Schachspiel, welches dort stand. Sie hatten sich dazu entschlossen die restlichen

M-Forschungseinrichtungen zu zerstören und er hatte gewusst, dass das nicht so einfach werden würde. Eigentlich hatte er schon damit gerechnet bei M1 auf mehr Wiederstand zu stoßen. Da dies nicht der Fall war, war er sich fast zu hundert Prozent sicher, dass es bei M2 nicht ohne Blutvergießen gehen würde. Aber er würde es nur im äußersten Notfall zulassen. Wenn sie Menschen einfach so töteten, würde das ganze ihre Lage nur noch verschlimmern. Die Mutanten würden sich dann niemals in die Gesellschaft eingliedern können.

Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken und bevor er etwas sagen konnte, betrat Erik das Zimmer.

„Du weißt genau, dass das Ganze nicht ohne einen Kampf enden wird. Du hast gesehen, was sie mit unseren Brüdern und Schwestern, mit seinen Schülern, getan haben und in M2 wird es nicht anders aussehen“, begann er ohne Umschweife. „Verdammt Charles, du hast am eigenen Körper erfahren, was diese Menschen mit Mutanten machen! Und du willst sie einfach weitermachen lassen? Sag mir einen Grund, warum.“

„Vergebung, etwas dass bei dir abhandenkommt, sobald du mit Menschen in Kontakt kommst.“

„Du weißt sehr wohl, warum das so ist!“

Erik schlug mit beiden Händen, so fest, auf den Schreibtisch, dass die Schachfiguren umfielen. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von Charles` entfernt. Dieser zuckte zusammen, wie unter einem Schlag. Seine Verbindung zu Erik war stärker, als zu jedem anderen und deshalb spürte er seine Gefühle stärker, als bei jedem anderen. Jetzt war es Wut, welche ihm entgegenschlug. Wut über das Unverständnis, welches er ihm, Eriks Meinung nach, entgegen brachte.

„Ich kann dich verstehen. Ich verstehe, warum du die Menschen hasst. Ich habe es gesehen und gefühlt, vergiss das nicht. Aber du willst nicht verstehen, warum ich sie nicht töten kann und nicht zulassen kann, dass du es tust“, im Gegensatz zu Erik, war Charles‘ Stimme ruhig.

„Nein, ich verstehe nicht, warum du unbedingt ein Teil dieser Gesellschaft sein willst. Erklär es mir!“

„Wenn wir einen Kampf, einen Krieg, gegen die Menschen anfangen, was glaubst du, wie lange sie die Mutanten tolerieren werden, welche friedlich unter ihnen leben wollen? Sie werden alle fangen und einsperren, wenn nicht sogar schlimmer“, erklärte Charles. „Wenn wir einen Krieg anfangen, wird genau das passieren, was du verhindern möchtest. Die Identifizierung, die Markierung und schließlich die Vernichtung.“

Erik presste die Lippen zusammen, bis nur noch ein dünner Strich zu sehen war und wandte den Blick ab. Charles wusste, dass die Erwähnung der Methoden, mit denen sein Volk, seine Familie, gefangen und getötet worden war, schmerzliche Erinnerungen in ihm wachriefen. Aber vielleicht verstand er so, warum sie die Menschen nicht töten durften.

Erneut war es ein Klopfen, das die Stille unterbrach und Hank betrat das Zimmer. Er sah zwischen Erik und Charles hin und her und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich kann auch später wiederkommen, wenn ihr gerade beschäftigt seid“, meinte er.

Bevor Charles etwas sagen oder tun konnte, war Erik herumgewirbelt und hatte Hank am Hals gepackt.

„Behalt deine blöden Sprüche für dich“, knurrte er.

„Erik! Lass ihn los! Erik!“

Sekunden vergingen, in denen keiner sich rührte. Dann ließ Erik die Hand sinken und Hank schnappte nach Luft.

„Du hast sie doch nicht mehr alle“, hustete Hank und rieb sich den Hals.

„Ich kann mich noch gut erinnern, dass du mich schon wegen eines Kompliments fast erwürgt hättest. Also hör auf dich zu beschweren.“

„Könntet ihr euch bitte beide beruhigen? Eigentlich wollte ich mit euch über unser weiteres Vorgehen sprechen. Wir müssen uns einen neuen Plan überlegen. Die Sicherheitsmaßnahmen von M2 wurden bestimmt aufs höchste verstärkt“, meinte Charles, in der Hoffnung einen Streit abwenden zu können.

Wie sich herausstellte gelang es ihm. Hank und Erik funkelten sich zwar weiterhin wütend an, enthielten sich aber jeglichen Kommentares. Hank zog sich einen Stuhl an den Schreibtisch und setzte sich hin, Erik hingegen ging zum Fenster hinüber und lehnte sich gegen den Fenstersims.

„Na gut, fang an. Was für einen Plan hast du?“, fragte Erik und sah Charles erwartungsvoll an.

„Bist du sicher, dass es funktionieren wird?“, fragte Erik und sah Charles an, der neben ihm auf dem Boden saß.

Dieser schüttete den Kopf.

„Ganz und gar nicht. Es sind zu viele. Ich kann einen Teil einschläfern und den anderen einfrieren. Aber nicht so lange, wie ihr benötigt, um die anderen zu befreien und zu den Helikoptern zu schaffen“, erklärte Charles.

Einen Moment herrschte Stille und sie sahen alle zu dem Gebäude, welches sich vor ihnen erhob. M2 war nicht viel größer, als M1 und 3, ähnelte aber in seiner Bauweise eher einer trutzigen Burg, als einem hochmodernen Labor. Man hätte meinen können, sie würden mit einer ganzen Armee aufmarschieren, so viele Soldaten waren hier stationiert.

„Tja, eine große Lichtung mag das perfekte Versteck für so eine Einrichtung sein. Aber sollte sie mal angegriffen werden, wandelt sich dieser Vorteil in sein riesen Nachteil um. Die Bäume geben den Angreifern Deckung und nicht mehr den Verteidigern“, hatte Erik gesagt, als sie sich an das Gebäude herangeschlichen hatten.

Das hatte die Regierung wohl auch gedacht, als sie die gefühlte Hälfte ihrer Armee abgestellt hatte, um M2 zu beschützen. Es war egal. Sie waren hier und würden nicht gehen, bevor sie alle Mutanten befreit und das Labor zerstört hatten.

„Hank du bleibst bei…“

„Erik. Du bleibst bei Erik“, unterbrach Charles seinen Freund und wandte sich dann an die acht Schüler, welche hinter ihnen, im Schutz der Bäume wartete. „Ihr alle werdet mit Erik mitgehen. Er wird jede helfende Hand benötigen und denkt daran, vergießt kein Blut, wenn ihr eine Situation anders regeln könnt.“

„Irgendjemand muss hier bei dir bleiben, Charles. Ich lass dich nicht alleine hier sitzen“, warf Erik ein.

„Du wirst keine andere Wahl haben, denn ich werde jeden wegschicken, den du hier lässt. Du brauchst wirklich jeden, um da drinnen zurecht zu kommen.“

Erik nickte wiederwillig und wandte sich wieder dem Gebäude zu.

„Wenn du soweit bist, sag es. Dann werden wir anfangen.“

Charles legte zwei Finger an die Schläfe und konzentrierte sich auf die Menschen in dem Labor. Einige Minuten lang war nichts zu hören, außer der Atem, der anwesenden Personen. Dann nickte Charles Erik zu.

„Ich habe die Soldaten am Tor einschlafen lassen, dort kommt ihr ungehindert vorbei. Den Rest werde ich einfrieren, bis ihr drinnen seid. Aber es sich so viele, ich kann sie maximal eine halbe Stunde bewegungsunfähig machen.“

„Wenn wir uns beeilen, reicht die Zeit, um alle raus zu schaffen“, erwiderte Erik und gab den anderen ein Zeichen ihm zu folgen.

Charles schloss die Augen, um sich auf die Menschenmenge im Labor zu konzentrieren. Er benötigte ungefähr fünf Minuten, bis er alle ausfindig gemacht hatte und sie erstarren ließ. Aber es gab bestimmte Bereiche, in welche er nicht eindringen konnte. Sie waren nicht groß, allerdings groß genug, dass sich dort ein oder zwei Personen verstecken konnten. Nachdem er es, nach mehreren Versuchen, nicht geschafft hatte, in diese Bereiche vorzudringen, informierte er Erik.

Sie sind eben doch lernfähig.

Passt auf euch auf!

Charles hasste es abseits des Geschehens zu sitzen und die ganze Szenerie nur aus der Ferne zu beobachten. Ein weiterer Grund, warum er seine Beine verfluchte. Aber er konnte daran nichts ändern. Deshalb gab e sich nur umso mehr Mühe, wenn es darum ging, Hank, Erik und seinen Schülern aus der Ferne zu helfen. Er würde die Menschen solange einfrieren, wie es ihm möglich war und wenn er danach völlig erschöpft sein sollte und sich gar nicht mehr bewegen konnte.
 

„Wir teilen uns auf. Von euch gehen immer zwei zusammen. Hank und ich werden jeweils alleine weitergehen. Wenn irgendetwas ist, lasst es Charles wissen oder macht euch anders bemerkbar, dann kommen wir und helfen euch. Öffnet jede Zelle, jeden Raum, an dem ihr vorbei kommt und sagt den Mutanten, dass sie zum Wald laufen sollen“, erklärte Erik, als sie das Labor betraten.

Sofort folgten die anderen seinen Anweisungen und teilten sich auf. Sie mussten sich beeilen. Auch wenn Charles es schaffen würde, die Menschen länger als vermutet einzufrieren, würden sie doch jede Sekunde benötigen. Von Labor M2 schienen keine Blaupausen zu existieren, kein Lageplan, gar nichts. Deshalb mussten sie die Zellen alle von Hand öffnen. Wenn sie Glück hatten, stolperte einer zufällig über den Zentralraum und konnte sie alle auf einmal entriegeln. Aber Erik machte sich da keine allzu große Hoffnung.

Dass sie keinen Gebäudeplan hatten war frustrierend. Aber noch frustrierender war, dass es hier allem Anschein nach, kein Metall gab. Was Erik im Nachhinein nicht wunderte. Das Labor war immerhin auf Mutanten spezialisiert, die bestimmte Materialien bewegen, kontrollieren und manipulieren konnten. Aber so viele Mutanten wie hier festgehalten wurden, konnten die Professoren gar nicht an Material beseitigen. Da hätten sie das ganze Gebäude abreisen müssen. Allein Mutanten, welche die Luft beeinflussen und kontrollieren konnten, waren so zahlreich, dass sie diese in ein Vakuum hätten einsperren müssen, um ihre Kräfte zu blockieren und das war nicht möglich.

Da fiel ihm plötzlich wieder ein, was die Professoren in M3 getan hatten, um Charles‘ Kräfte zu blockieren. Was wenn es so ein Betäubungsmittel auch für diese Arten von Mutation gab und was, wenn die Mutanten im selben Zustand waren, wie Charles damals? Wie sollten sie diese dann aus dem Labor schaffen? Erik trat gegen eine Tür zu seiner linken und stellte fest, dass sein Gedankengang vielleicht nicht verkehrt war, aber nicht alle Mutanten so ruhig gestellt wurden.

Vor ihm saßen fünf Kinder, er schätzen sie zwischen neun und elf Jahre, und sahen ihn erschrocken an. Er ging zu ihnen und hockte sich vor sie.

„Ihr braucht keine Angst zu haben. Ich will euch helfen…“

„Das haben die anderen Männer auch gesagt, aber sie haben uns nur weh getan“, unterbrach ihn ein Junge mit grünlichen Haaren.

„Ich werde euch nichts tun. Ich bin hier um euch hier weg zu holen. Ich bin wie ihr.“

„Beweis es“, sagte der Junge.

Erik spürte und hörte ein Knistert, welches sich in der Luft verbreitete und seine Haare elektrisch auflud. Das war wirklich interessant. Aber wie sollte er diesen Kindern beweisen, dass er ein Mutant war, wenn er doch kein Metall bei sich hatte.

Es stimmt, er ist wie ihr und ich bin es auch, genauso wie die anderen, die euch helfen. Ihr müsst mit ihnen gehen, sonst werden die anderen Männer zurückkommen.

Du sollst ihnen keine Angst einjagen, Charles.

Hatte ich nicht vor. Ich hab dir Lena und Nick geschickt. Die beiden werden die Kinder zu mir bringen. Dann Kannst du dich auf den Rest konzentrieren.

Gut. Wann kommen…

„Erik! Charles hat gesagt wir sollen dir helfen“, erklang in diesem Moment Lenas Stimme hinter ihm.

Erik wandte sich zu den beiden um und nickte. Dann deutete er auf die Kinder.

„Bringt sie zu Charles und kommt wieder zurück, so schnell ihr könnt“, meinte er und verschwand aus der Zelle, um die nächsten zu öffnen.

Zu seiner Überraschung fand er nicht in jeder einen Mutanten, viele standen leer oder sahen so aus, als wären ihre Bewohner erst vor kurzem von dort weggeholt worden. Erik erinnerte sich daran, was Charles gesagt hatte. Was, wenn die ganzen Mutanten in den Bereichen waren, in die Charles nicht eindringen konnte. Aber warum hätten sie die Kinder dann hier lassen sollen?

Erik trat die nächste Tür ein und musste ein Würgen unterdrücken. Der Geruch nach Blut schlug ihm entgegen, wie etwas das man greifen konnte und veranlasste ihn dazu, der Zelle noch einmal den Rücken zuzuwenden. Tief atmete er die vergleichsweise frische Luft auf dem Gang ein und schickte dann einen Gedanken in Charles Richtung.

Ich weiß nicht, was ich dort drinnen finden werde. Vielleicht lässt du mich alleine dort hinein gehen.

Ich kann gar nicht anders. Der Raum gehört zu einem der Bereiche, in die ich nicht vordringen kann.

Ist vielleicht besser so.

Erik holte noch einmal Luft und betrat erneut die Zelle. Augenblicklich stockte ihm er Atem. Auf drei Tischen lagen drei reglose Körper. Er konnte nicht sagen, ob es Männer oder Frauen waren. Dazu waren sie zu entstellt. Mann hatte ihnen die Haare rasiert und bei zwei der dreien sah das Gesicht aus, als hätte man es verbrannt oder verätzt. Um ihren blutverschmierten Oberkörper und um die Hüften schlangen sich Eisenbänder und hielten sie so an den Tisch gefesselt. Es schien keinen Millimeter Haut mehr zu geben, an dem sie nicht verletzt waren.

Erik zwang sich noch einen Augenblick die drei anzusehen, bevor er sich abwandte und zu dem Tisch ging, welcher noch im Raum stand. Dort fand er drei Akten, eine über jeden der Mutanten. Er griff nach der ersten und schlug sie auf. Schnell überflog er die Seiten und erfuhr, dass der Mutant jegliche Art von Steinen zu kontrollieren. Es waren unterschiedliche Test an ihm durchgeführt worden. Zuletzt hatte an ihn, natürlich an den Tisch gekettet, unter einen Steinbrocken geschoben und verlangt er solle ihn abfangen. Das Experiment war geglückt, aber nur für wenige Minuten. Dann war der Steinbrocken auf ihn herabgefallen und hatte ihn zerquetscht. Nur durch unverschämtes Glück und ein grausames Schicksal überlebte er es und lag jetzt hier.

Erik stockte. Er hatte überlebt… aber das hieß er war jetzt und hier, in diesem Zustand, gar nicht tot. Die Menschen hatten ihn nur sediert, um mit ihm zu experimentieren. Schnell schlug er die beiden anderen Akten auf, um nachzusehen, ob die zwei weiteren Mutanten auch nur betäubt waren. Als er sah, dass das der Fall war, schmiss Erik die Akten auf den Boden und fuhr sich wütend durch die Haare. Er konnte den Anblick der drei nicht länger ertragen. Was sollte er tun? Er konnte von keinem der Schüler verlangen, dass sie einen Bruder oder eine Schwester in diesem Zustand sahen oder gar zum Jet tragen mussten. Selbst wenn er sie dorthin bringen würde, würden die Drei wahrscheinlich noch nicht einmal den Rückflug überleben.

Erik wandte sich ihnen wieder zu und fasste einen Entschluss. Jede lebensverlängernde Maßnahme bedeutete Qualen für sie und er würde niemals zulassen, dass sie weiter leiden mussten. Er ging zum Ersten und legte vorsichtig eine Zeige- und Mittelfinger auf dessen Hals, um den Puls zu ertasten. Er wollte sie überzeugen, dass er wirklich noch lebte, denn es wollte nicht glauben, dass Menschen so etwas tun konnten. Natürlich waren sie grausam und schreckten nicht davor zurück Experimente an Mutanten durchzuführen. Aber irgendwo hatte doch alles seine Grenzen, oder? Als er den Herzschlag des Mutanten spürte, verlor er jeden Glauben daran, dass Menschen sich Grenzen setzten, zumindest was die Grausamkeiten an Mutanten anging.

Erik griff entschlossen mit zwei Händen nach dem Kopf des Mutanten, als dieser plötzlich die Augen aufschlug und ihn aus schmerzverschleierten Augen ansah. Doch es war kein Schmerz, den Erik in seinen Augen erkannte, es war etwas viel schlimmeres. Er musste pure Höllenqualen erleiden. Erik wandte den Blick einen Moment ab und stellte fest, dass ihn die beiden anderen, mit eben demselben qualvollen Ausdruck in den Augen ansahen. Er hatte das Gefühl etwas sagen zu müssen, brachte aber keinen Ton heraus. Stattdessen nahm er den Kopf des Mutanten wieder in die Hände und brach ihm, mit einem schnellen Ruck, das Genick. Das wiederholte er bei den beiden anderen und verließ dann, schnellen Schrittes, den Raum. Er hatte den dreien noch einmal ins Gesicht geschaut und das selige, erlösende Lächeln welches auf ihren Lippen lag, brannte sich in sein Gehirn. Er hatte Charles versprochen keinen der Menschen zu töten, welche in dem Labor arbeiteten oder stationiert waren. Aber dieses Versprechen war aus seinen Gedanken und Erinnerungen verschwunden, als er die Zelle verlassen hatte.

Mit festem Schritt lief er durch die Gänge und befreite die Mutanten. Zu seiner Erleichterung waren die meisten nur an ihre Zellenwand gekettet und konnten selbst laufen. Diejenigen, die dies nicht mehr konnten, wurden von ihren Brüdern und Schwestern getragen oder gestützt. Erik erklärte ihnen, wo sie Charles und die Helikopter finden konnten und dass sie den Menschen keine Beachtung schenken sollten. Er würde sich um sie kümmern.

Wie im letzten Labor verteilte er auch hier Sprengsätze, hatte aber nicht vor zu warten, bis die Menschen in Sicherheit waren, um sie zu zünden. Charles würde davon auch nichts mitbekommen, solange er selbst nicht daran dachte.

Noch vier Mal fand er Zellen, in denen schwerverletzte Mutanten festgehalten wurden und jedes Mal waren es Bereiche die für Charles nicht zugänglich waren. Schweren Herzens erlöste Erik die Mutanten von ihrem Leid. In der letzten Zelle, die Erik öffnete, war eine junge Mutantin, sie war vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, auf ein Metallgitter gekettet, welches unter Strom gesetzt werden konnte. In der Zelle roch es nicht nach Blut, so wie in den anderen, sondern nach verbranntem Fleisch. Die Begegnung mit ihr trieb seinen Hass auf die Menschen noch weiter, wie er ohnehin schon war, seit er die Labore gesehen hatte. Sie hing kraftlos in den Ketten und konnte kaum mehr sprechen, aber dennoch brachte sie wenige Worte heraus. Erik musste bis auf wenige Millimeter an sie heran treten, um sie überhaupt zu verstehen.

„Töte mich…bitte…ich will…keine Schmerzen spüren…mach…das die Qualen…aufhören…“

Erik sah sie fassungslos an. Sie hatte noch eine Chance zu überleben. Natürlich würde sie noch eine ganze Weile Schmerzen haben. Ihre verbrannte Haut musste heilen. Aber sie konnte leben!

„Ich kann dir helfen. Du musst nicht sterben. Ich bring dich an einen sicheren Ort, wo du in Frieden leben kannst“, versuchte er sie umzustimmen.

Sie schüttelte schwach den Kopf.

„Ich…will nicht leben…nicht mehr fühlen…“

Erik sah, wie ihre Hand zuckte und plötzlich bewegte sich seine eigene auf ihren Hals zu. Verwirrt und fast schon entsetzte sah er zu, wie sich seine Hand, wie von selbst, um ihre Kehle legte und zudrückte. Er konnte nichts dagegen tun, hatte sich selbst nicht unter Kontrolle. Es war nicht so ein Gefühl, wie wenn Charles seinen Körper führte, die Kontrolle war nicht in seinem Kopf. Vielmehr fühlte es sich so an, als würde etwas sein Blut und somit seinen gesamten Körper kontrollieren.

„Bitte, hör auf. Ich kann dir wirklich helfen! Dir wird nie wieder jemand etwas tun! Du musst auch nie wieder unter Menschen, dafür sorge ich! Wirf dein Leben nicht weg!“

Er redete weiter auf das Mädchen ein, aber sie hörte nicht auf ihn. Sie verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig, aber ihre Kontrolle ließ nicht nach. Erik konnte seine Hand nicht zurückziehen, bis sie aufgehört hatte zu atmen. Zitternd und entsetzt über die Tat dieses jungen Mädchens ließ er sich in die Hocke sinken und verbarg das Gesicht einen Moment in den Händen. Was musste man einem Mädchen in ihrem Alter antun, damit es Selbstmord beging?

Erik machte sie von dem Gitter los und ließ sie sanft zu Boden sinken. Er konnte sie nicht mitnehmen, sie nicht beerdigen, das konnte er bei keinem der Mutanten, die er zu töten gezwungen war. Aber er konnte sie Rächen und das würde er tun! Mit entschlossenen Handbewegungen verformte er das Eisengitter so, dass er am Ende ein Messer erhielt. Dieses schloss er fest in die Hand und verließ die Zelle.

Sein Weg führte ihn zu den Menschen, welche er gesehen hatte. Sie standen alle noch wie versteinert da und starrten in Leere. Den ersten beiden durchstach er einfach den Hals und sah zu, wie sie in sich zusammensackten. Als er sich dem dritten zuwandte, spürte er Charles in seinen Gedanken.

Was tust du da, Erik?!

Ich räche unsere Brüder und Schwestern!

Er schnitt dem Mensch vor sich die Kehle durch und lief den Gang entlang um den nächsten ausfindig zu machen.

Du hast es mir versprochen, Erik!

Charles Stimme klang enttäuscht, das war Erik allerdings egal. Er würde sich von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen, auch nicht von Charles. Schon war er bei der nächsten Gruppe von Professoren angekommen und wollte gerade dem ersten das Messer ins Herz rammen, als er sich nicht mehr bewegen konnte.

Lass mich los, Charles!

Dann hör mit diesem Abschlachten auf!

Abschlachten? Weißt du, wer hier abgeschlachtet wird? Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe! Du musstest keine Mutanten töten! Du hast das Blut nicht gerochen, oder das verbrannte Fleisch!

Dann zeig es mir.

Charles Gedankenstimme zitterte vor Anstrengung und Erik wusste, dass er ihn nicht mehr lange festhalten konnte.

Nein, das werde ich nicht tun. Du wirst es nicht ertragen. Du warst beim letzten Mal schon so geschockt, dass du Tage lang nicht schlafen konntest. Ich werde dir das nicht antun.

Er erhielt keine Antwort, konnte sich aber vom einen auf den anderen Moment wieder bewegen und führte seine begonnene Attacke fort. Nachdem er die Gruppe getötet hatte, lief er weiter.

Es tut mir leid, Charles, aber dafür kann ich ihnen nicht verzeihen.

Wieder bekam er keine Antwort und auch, als er versuchte ihm zu erklären, dass sie es nicht anders verdient hatten, blieb Charles Gedankenstimme stumm. Außerdem spürte er, wie er sich aus seinem Geist zurückzog. Im ersten Moment dachte er das sein Tun der Grund dafür war und Charles beschlossen hatte ihn zu ignorieren. Im nächsten wusste er das dies nicht der Fall war, denn die Menschen konnten sich wieder bewegen und starrten ihn erschrocken und feindselig an. Charles hatte die Kontrolle über sie verloren. Oder zumindest über einen Teil von ihnen, denn die Soldaten blieben weiter wie versteinert stehen.

„Erik! Schnell, wir müssen zu Charles zurück!“, erklang plötzlich ein Ruf und Erik wirbelte herum.

Am Ende des Ganges stand Julia und winkte hektisch. Erik rannte zu ihr und wollte gerade eine Frage stellen, als sie auch schon weiterredete.

„Wir haben drei Mutanten entdeckt, die sich seltsam verhalten hatten, haben uns aber nichts dabei gedacht und sie zu Charles geschickt. Vor ungefähr zwei Minuten hat Charles einen Ruf geschickt, dass die drei ihn und die anderen angreifen. Ich hab gedacht du wärst schon unterwegs zu ihm.“

Erik sparte sich eine Antwort und rannte los. Er achtete nicht darauf, ob Julia mit ihm mithalten konnte, auch nicht auf seine Umgebung oder die Menschen, welche er einfach aus dem Weg stieß. In weniger als fünfzehn Minuten hatte er das Labor verlassen und rannte Richtung Waldrand. Panik ergriff ihn, dass er zu spät kam und Charles schon etwas passiert war. Das würde er sich niemals verzeihen! Der Weg zum Wald kam ihm Meilenweit vor, obwohl es nur etwa zwei oder dreihundert Meter waren. Auch wenn es ihm nicht so vorkam, benötigte er nur wenige Augenblicke, um diese zurückzulegen.

„Charles!“

Schon von weitem sah er drei Gestalten am Waldrand stehen. Als er näher kam, erkannte er Charles, der auf dem Rücken lag. Seine Lippe war aufgeplatzt und Blut sickerte aus einer Platzwunde an seinem Kopf. Einen Arm hatte er gegen die Brust gepresst, mit dem anderen stütze er sich am Boden ab. Die drei Mutanten, welche um ihn herumstanden, bewegten sich keinen Millimeter.

Erik riss den ersten zu Boden und trat dem zweiten die Beine weg. Dieser stürzte blöd und schlug mit dem Kopf auf einen spitzen Stein. Ein widerliches Knacken erklang und Erik und Charles wussten, dass der Mutant sich das Genick gebrochen hatte. Von Charles kam ein schmerzvolles Keuchen, während Erik dafür sorgte, dass der Mutant, welchen er umgestoßen hatte, in den nächsten Stunden nicht wieder aufstehen würde. Dann wandte er sich dem dritten zu und stieß ihn ebenfalls zu Boden, um ihm einen Schlag gegen die Schläfe zu verpassen.

„Charles, alles okay?“, fragte er und wandte sich ihm zu.

„Ja…ja, bis auf die Tatsache, dass er tot ist, sowie etliche Menschen auch“, knurrte Charles und deutete auf den Mutanten vor sich.

Erik holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. Selbst wenn es Charles nicht gutgehen würde, würde er es in diesem Moment nicht zugeben. Erik musste kein Telepath sein, um zu wissen, dass er wütend auf ihn war.

„Charles, du verstehst das nicht. Sie haben Mutanten zu Tode gequält!“

„Das waren vielleicht Väter und Mütter! Willst du ihren Kindern sagen, dass sie nicht wieder nach Hause kommen und dass ein Mutant sie getötet hat? Was glaubst du, wen diese dann hassen werden, ihre Eltern oder uns Mutanten?“

Erik knirschte mit den Zähnen und wandte sich ab. Es nützte nichts mit Charles über dieses Thema zu diskutieren. Er würde niemals einsehen, dass diese Menschen es verdient hatten zu sterben. Er würde sie immer in Schutz nehmen, sich immer neue Ausreden einfallen lassen, warum die Mutanten nicht gegen sie kämpfen durften. Solche Gespräche liefen immer auf dasselbe hinaus, nämlich darauf, dass sie getrennte Wege gingen und das wollte Erik nicht. Deshalb ging er wieder Richtung Labor.

Er hatte kaum zehn Meter zurückgelegt, als plötzlich ein schmerzvolles Stöhnen hinter ihm erklang. Schnell wirbelte er herum und sah, wie sich einer der Mutanten, welche er eigentlich bewusstlos geschlagen hatte, über Charles beugte und ihn zu erwürgen drohte. Allerdings bewegte sich der Mutant im nächsten Moment schon nicht mehr. Erik wusste, dass Charles ihn lähmte, aber das änderte nichts daran, dass der Mutant ihn töten wollte.

Nicht, Erik!

Doch Charles Schrei kam zu spät. Eriks Messer hatte sich schon in das Herz des Mutanten gebohrt. Ein Schrei erklang in seinen Gedanken und Erik sank auf die Knie. Er sah zu Charles, der nach Atem rang und eine Hand auf die Brust drückte, genau auf sein Herz. Erst da begriff Erik, dass Charles den Schrei ausgestoßen hatte, zudem der Mutant nicht mehr fähig gewesen war. Er spürte die Schmerzen und den Tod, welche der Mutant in diesem Moment auch spürte. Erik rappelte sich auf und lief zu Charles, um ihm zu helfen. Er wusste, dass er Charles von seinen Schmerzen befreien konnte. Er redete auf ihn ein und tatsächlich dauerte es nur wenige Minuten, bis Charles Blick sich klärte.

„Professor!“

„Professor, alles in Ordnung?“

„Charles, Erik! Was ist passiert?“

Hank und die anderen erschienen hinter Erik und sahen die beiden besorgt und fragend an. Charles atmete zitternd und bedachte Erik mit einem Blick, den dieser nicht einschätzen konnte.

„Ja, alles okay. Die drei haben Charles angegriffen und ich habe…“

„Zwei von ihnen getötet. Der dritte ist bewusstlos. Könnt ihr ihn bitte zu den Helikoptern bringen?“, fragte Charles und sah seine Schüler an. „Die Toten müssen wir leider hier lassen. Ich schaffe noch die Menschen aus dem Labor, dann…“

Der Rest seiner Worte wurde von einem ohrenbetäubenden Knall übertönt. Hank und Charles Schüler wurden von einer Druckwelle von den Füßen gerissen und Erik konnte sich gerade noch abfangen, bevor er auf Charles fiel. Erschrocken und fassungslos starrten sie alle zum Labor zurück, oder zu dem, was noch davon übrig war. Denn sehr viel mehr als ein Trümmerhaufen war nicht mehr zu sehen. Charles schloss kurz die Augen und Erik erkannte den traurigen Ausdruck in ihnen, als er sie wieder öffnete.

„Sie sind tot…sie sind alle tot…“, flüsterte Charles.

„Aber wie…?“, begann Hank, wurde aber von Charles unterbrochen.

„Du hast sie alle umgebracht!“, schrie dieser Erik an.

„Ich habe an der Zeiteinstellung der Sprengsätze nichts ändern können, ich war hier und hab dir geholfen. Sie waren auf eine Stunde eingestellt“, sagte dieser ruhig.

„Du hättest es verhindern können, stimmt`s? Und lüg mich nicht an…“

Erik gab es auf, sich Ausreden zu überlegen. Er konnte Charles nicht belügen und wollte es auch nicht.

„Ja, ich hätte es verhindern können. Aber ich wollte es nicht. Diese Menschen haben es verdient zu sterben. Sie haben so viele von uns gequält, verstümmelt und getötet. Ich habe gesehen, was sie mit Mutanten tun. Keiner von ihnen war unschuldig.“

„Aber den Tod hat keiner verdient. Wenn man nach deinen Richtlinien geht, würdest du auch den Tod verdienen, so viele wie du von ihnen umgebracht hast. Sieh doch endlich ein, dass du unsere Situation damit nicht verbesserst!“, meinte Charles.

„Sieh du ein, dass ich das nicht kann. Ich kann ihnen nicht verzeihen.“

„Du hast es ja noch nicht einmal versucht! Versuch doch zu verstehen, warum ich noch mehr Tote unter den Menschen verhindern möchte.“

Erik presste die Lippen zusammen und stand auf. Er sah zu Charles hinab und einen Moment lang sah es so aus, als würde er sich wieder neben ihm auf die Knie sinken lassen. Doch dann wandte er sich von ihm ab.

„Ich fürchte das kann ich nicht. Immerhin kannst du auch nicht verstehen, warum ich sie hasse, spätestens seit ich gesehen habe, was in diesem Labor mit ihnen gemacht wurde.“

Ohne ein weiteres Wort verschwand Erik zwischen den Bäumen.

„Dann zeig es mir, Erik!“

Charles bekam keine Antwort und ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er diese wahrscheinlich nie erhalten würde.

Erik! Bleib hier…bitte! Ich…ich verstehe dich! Ich werde nicht mehr über das Thema reden! Bitte komm zurück!

Wieder erhielt er keine Antwort und musste sich beherrschen, dass ihm keine Tränen in die Augen traten. Er wusste nicht wieso Erik so reagierte. Sie kannten ihren gegenseitigen Standpunkt und hatten diesen akzeptiert. Zumindest hatte Charles das geglaubt, aber jetzt war er sich da nicht mehr so sicher.

Er sagte nichts, nicht in diesem Moment, nicht auf dem Rückflug zur Schule und auch nicht, als Hank ihn fragte, ob alles in Ordnung sei, bevor Charles in seinem Zimmer verschwand. Er wusste noch nicht einmal, wie die Helikopter zur Schule gekommen waren, da er sich komplett von dem Geschehen abgeschottet hatte.

Wochen später war ihm klar, dass Erik sich nicht wieder melden würde und dass mit ihm auch seine Hoffnung auf ein glückliches Leben verschwunden war. Erik hatte ihm seine Hoffnung genommen. In diesem Moment, in dem ihm das klar wurde, fasste Charles einen Entschluss. Er wollte nicht mehr nachts wachliegen und darauf warten Eriks Gedanken zu hören. Er wollte auch nicht mehr die Gedanken der anderen hören. Sollten sie doch mit ihren Schmerzen selbst fertig werden, er musste es schließlich auch. Er würde alles dafür machen, nie wieder irgendwelche Gedanken, von irgendwelchen Leuten hören zu müssen.
 

Zehn Jahre später…
 

„Du hast deine Gabe geopfert, nur um laufen zu können?“, fragte Erik fassungslos.

„Ich habe meine Gabe geopfert, um schlafen zu können“, erwiderte Charles. „Du hast mir alles genommen, was mir etwas bedeutet hat.“

„Vielleicht hättest du härter darum kämpfen sollen!“

Charles sah nur Eriks Augen, die fast schon angriffslustig funkelten. Erik wollte ihn aus der Reserve locken. Er brauchte seine Kräfte nicht, um das zu wissen. Er wollte herausfinden, wie viel Kampfgeist noch in ihm steckte und ob er zu gebrauchen war und Charles hatte nicht vor sich zurückzuhalten.

„Wenn du einen Kampf willst, Erik, werde ich dir einen Kampf geben!“, sagte Charles lauter, als beabsichtigt.

Was hatte der andere nur an sich, dass er gleich so emotional wurde, wenn er ihn sah. Erik war aufgestanden und im selben Moment sprang auch Charles auf.

„Du hast mich im Stich gelassen!“, schrie Charles und packte Erik am Kragen. „Du hast sie mir weggenommen und dann hast du mich im Stich gelassen!“

Ihm war egal, was Hank und Logan dachten. Ihm war egal, ob sie glaubten er sprach über Raven, seine verlorenen Beine oder seine verlorenen Kräfte. Ihm war alles egal, denn Erik wusste genau wovon er sprach. Er wusste, dass Charles seine Hoffnung und seine Liebe meinte. In dem Moment, in dem Erik gegangen war, hatte er Charles beides genommen und hatte damit, dass er nie wieder zurückgekommen war, dafür gesorgt, dass Charles beides nie wieder zurückgewinnen konnte.

Bonus Kapitel oder das alternative Ende

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]


Nachwort zu diesem Kapitel:
An alle, die sich fragen ob Charles Aussage zu dem Geschmack von Heuschrecken stimmt, gebe ich die Antwort:
Meiner Meinung nach schon aber ich persönlichen bevorzuge sie mit Schokosoße XD und nein, das ist kein Witz, ich habe das echt schon mal gegessen!
Und fragt mich nicht, wie ich auf die Erinnerung gekommen bin, ich weiß es nämlich selbst nicht mehr XD Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (22)
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Von:  usa-kun
2014-06-26T09:27:46+00:00 26.06.2014 11:27
*noch nicht gelesen schon am jubeln* \\\\\> o </////

Antwort von:  usa-kun
26.06.2014 11:47
*Gelesen**super mega fangirl-quiiitsch* >\\\\O//////< das ist so süß! So süß!!!! Liebbe so liebe!!!
* garnicht mehr runter kommt* * auf ihren cherikwölkchen sitz und dusselig grinst* jaaa! So muss das sein x3 werde sehen dir in laufe des tages. Meine ff über ens zukommen zulassen. Es ist ganz cool geworden aber erwarte nicht zu viel. Bei mir passiert noch nichts verauschendes.
Antwort von:  Lelu
26.06.2014 16:22
XD Freut mich, dass dir das Bonus-Kapi so gefällt :D Da schein ich ja den richtigen Nerv getroffen zu haben ;)
Ich werd mir deine FF auch gleich durchlesen wenn ich Zeit dazu habe. Ob ich heute noch dazu komme weiß ich aber leider nicht, weil ich noch arbeiten muss...Aber spätestens morgen kriegst du ne Rückmeldung von mir, versprochen^^
Von:  usa-kun
2014-06-24T12:26:41+00:00 24.06.2014 14:26
Boaaaaa!!!! Y.Y lass das bitte nicht das ende sein QoQ... wieeesooo ist er gegangen!??? Ich werd grad n ,,bisschen" emotinal. Ist das traurig.
Antwort von:  Lelu
24.06.2014 18:50
...ähm...ja...doch...das ist das Ende *dramatische Musik*...Aber, ABER! Es kommt ja das Bonus Kapi zum einen weil du mir diese Idee mit dem Bettgestell wieder in den Kopf gepflanzt hast, zum anderen, weil ich dann weniger gesteinigt werde, da die beiden doch wieder zusammen kommen^^
Antwort von:  usa-kun
24.06.2014 20:57
Jaaaaa xD du hast mich übrigens dazu inspiriert auch eine ff zuschreiben. Frage ist ob ich sie hochgeladen bekomme. Bin halt einfach nicht der talentierteste schreiber und was zu meckern an der Ausführungen gibt es ja immer. Falls was sinnvolles herraus kommt sag ich dir Bescheid wenn du magst ^^
Antwort von:  Lelu
24.06.2014 21:41
Juhu! Ich hab jemandem zum Schreiben inspiriert! Jetzt freu ich mich aber! *Luftsprung mach* XD
Wenn du willst kann ich deine FF auch Co-lesen, bevor du sie hochlädst. Ich nötige meine Freundin auch immer meine FFs durchzulesen, bevor ich sie hochlade ;) Das hilft manchmal bei Formulierungen usw.
Kannst es dir ja überlegen^^
Antwort von:  usa-kun
24.06.2014 22:35
Ich weiß nicht ob die dann noch wer anders lesen will xD aber erst mal gucken was bei rumkommt. Wie gesagt bin deletant, habe gnade mit mir ><
Von:  usa-kun
2014-06-23T21:13:16+00:00 23.06.2014 23:13
ich bin so gespannt wies weitergeht!!!!>///< finds total süß wenn erik so forsch zu charles ist zb: wenn er seine handgelenk länger festhält wie der kleine das möchte x3

...
es gibt doch diese ... alten bettgestelle, die öfters auch in englischen herrenhäusern stehen, mit schnörkel und so- kennst du die?
ich glaube die sind aus messing... *unschuldig wegschau*

Antwort von:  Lelu
23.06.2014 23:28
Du wirst lachen, aber mit dem Gedanken hab ich auch schon gespielt. Das gibt vielleicht noch ein Bonuskapitel...nein, hab gerade beschlossen, das gibt sicher ein Bonuskapitel. Aber erst wenn die FF fertig ist, weil es nicht mehr in den erlauf passt *grins*
Antwort von:  usa-kun
24.06.2014 08:54
Waaaaah! Es ist schon ein ende abzusehen, das macht mich traurig y.y
Andererseits freu ich mich natürlich auf das bonuskapitel x3
Von:  usa-kun
2014-06-23T20:55:00+00:00 23.06.2014 22:55
sorry mal ne ganz stumpfe beobachtung. das spielt doch nach der kubakrise... oder? internetseite? XD
*wäre mir bestimmt auch passiert* XD
Antwort von:  Lelu
23.06.2014 23:24
hehe...jaaaa, blöd, wenn man Internet gewohnt ist...Auf der anderen Seite, Cerebros Tür wir per Augenscann geöffnet, also warum nicht auch Internet XD
Antwort von:  usa-kun
24.06.2014 08:52
Leider Plausibel ^^
Von:  usa-kun
2014-06-22T16:50:25+00:00 22.06.2014 18:50
OMG!ich weiß ich hab schon mal ein Kommentar geschrieben ABER : ich liebe die story! der schreibstil ist so schön simpel und man kann auch mit matschigen hirn die kapitel immer lesen.*like* ich mag auch das die story so viel eigenes hat, du aber immer den original Charakteren treu bleibst, dass kann verdammt schwierig sein.
und ich hatte doch noch was was ich sagen wollte...? warum hat das hier so wenig kommis?! wie verstehs nicht ><" wah!
ich bin überhaupt keine Leseratte! aber ich hab grade spontan von 2- 10 kapitel gelesen( das ist für mich ne leistung!XD)
bitte bitte bitte! mach weiter! ich bin fan und voll gespannt wies weiter geht, und ich hoffe da kommt noch mehr x3
Antwort von:  Lelu
23.06.2014 00:59
Also, ich freu mich über jedes Kommi^^ Kannst gerne noch ein paar schreiben :D
Freut mich auch, dass dir die FF so gut gefällt, dass du von Kapi 2 bis 10 durchgelesen hast. Und klaro kommt noch mehr^^
Von:  Otabek
2014-06-05T20:33:39+00:00 05.06.2014 22:33
Cherik <3 Hab ich mir gleich an mein Kindle schicken lassen, dann kann ich morgen weiter lesen. Bin schon gespannt wie es weiter geht.
Antwort von:  Lelu
07.06.2014 21:53
hey, freut mich das dir die FF gefällt^^
ein neues Kapi gibt's auch schon, muss nur noch freigeschaltet werden.
Von:  Yulice
2014-05-30T07:45:13+00:00 30.05.2014 09:45
mimimim T//////////T armer Charles!!1 Ich hoffe Erik und Hank schaffen es rechtzeitig *shnif*
Von:  Black_Polaris
2014-05-27T19:31:19+00:00 27.05.2014 21:31
wow, du weißt wie man spannung aufbaut, ich erwarte mit höchst freude das neue kapitel, oh bitte lass charles es gut gehn !!!
Antwort von:  Lelu
27.05.2014 23:57
Wie es Charles geht, kommt erst im 5. Kapi, da musst du noch etwas warten, sry^^
Hochgeladen ist das nächste Kapi schon, muss nur noch freigeschaltet werden :D
Von:  Yulice
2014-05-27T07:58:11+00:00 27.05.2014 09:58
wieder ein schönes Kapi *0*
Ich mag es wenn man die Sicht der beiden sieht ^^ so schreibe ich meist auch selbst und finde es viel schönes so XD da wir ja erik kennen und er nicht gerade ein offenes Buch ist XD
Antwort von:  Lelu
27.05.2014 19:06
ja, ich schreib auch lieber aus der Sicht von beiden, so kommt man nochmal anders in die Geschichte rein und bekommt auch viel mehr von dem Geschehen mit (meiner Meinung nach).
Bei Geschichten die nur aus einer Sicht geschrieben werden, frag ich mich immer, was die andere Person gerade macht XD
Antwort von:  Yulice
27.05.2014 21:40
Ja oder was die andere Person denkt, da man dann viel besser die Beweggründe versteht. ^0^ wenn derjenige sich eben scheiße verhalten hat xDDDD
Antwort von:  Lelu
27.05.2014 23:58
Meine Rede XD
Antwort von:  Yulice
28.05.2014 07:48
Mihihihihihih XD
Von:  Yulice
2014-05-26T12:33:37+00:00 26.05.2014 14:33
awwwwwwwww ///D ich liebe das Pairing so !! ich hoffe es geht weiter >D
Antwort von:  Lelu
26.05.2014 18:00
klar geht's weiter. Bin schon am nächsten Kapi^^
Antwort von:  Yulice
26.05.2014 18:12
*\\\\\\*


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