Craving The Forbidden von LeBlanc ================================================================================ Kapitel 9: Keep On Running -------------------------- Die Sonne schien, der Wind stand still. Aber Varric Tethras konnte sich nicht wie sonst so üblich an dem warmen Licht auf seiner Haut erfreuen. Es war ein heißer Tag; beinahe so heiß, dass er seinen schweren Mantel hätte ausziehen müssen, um nicht unaufhaltsam zu schwitzen. Doch wie gesagt, nur beinahe. Leise vor sich hingrummelnd durchstapfte er die Oberstadt. Gerade stieg er eine Treppe nach oben, deren Stufen für seinen Geschmack etwas zu hoch waren, um sie ohne Schwierigkeiten emporklettern zu können – an seine kurzen Zwergenbeine hatte der Architekt wohl nicht gedacht. Wie unnachsichtig von ihm. So manch Adeliger beäugte ihn argwöhnisch, was Varric eigentlich bereits gewohnt war – eher sollte er sich Sorgen machen, wenn er mal nicht abfälligen Blickes gemustert wurde – aber heute ärgerte es ihn ein wenig. Er wollte nur in aller Ruhe sein Ziel erreichen, aber einmal versperrten ein paar Menschen einen schmalen Durchgang und der Zwerg musste sich einige Male, immer lauter räuspern, bis die Geschäftsleute die Güte aufbrachten, ihn passieren zu lassen. Er bog um die Ecke, murmelte einige Flüche vor sich hin, seufzte dann und schüttelte den Kopf. Als nächstes passierte der Schurke einen der großen Plätze, auf dessen Mitte ein Podest abgestellt worden war, auf dem ein Mann mit einem Buch in der Hand stand. Er gestikulierte wild um sich. Varric hoffte kurz, dass der Hetzprediger von seiner 'Bühne' fallen würde, gab die Hoffnung jedoch schnell wieder auf. „... Gebt Acht! Nicht mehr Lange und die gehörnten Riesen starten eine Invasion auf uns! Mit ihrem Kampfschiffen werden sie kommen! Sie werden uns alle zu Sklaven ihrer Religion machen wollen! Vom jüngsten Knaben bis zum ältesten Greis werden sie...!“ Varric beschleunigte rasch seine Schritte. Er wollte diesem Unsinn nicht allzu lange ausgeliefert sein – nicht, dass diese Dummheit ansteckend war. Obwohl, leider war sie es vermutlich, denn um den Hetzprediger hatten sich einige Menschen versammelt, manche jubelten dem Verrückten sogar zu und spornten ihn mit Zurufen an. Der Zwerg hatte noch nie verstanden, wie man so ignorant und anderen Rassen gegenüber feindlich gesinnt sein konnte. Menschen, Elfen, Qunari, Zwerge... man könnte meinen, dass man einfach miteinander auskommen und wenigstens versuchen könnte, die anderen und deren Ansichten zu verstehen. Zugegeben, das Qun wäre für ihn persönlich nichts, aber er verurteilte niemanden, der mit dieser Philosophie seinen Frieden fand. Seltsam, dass es für so viele so schwer war, sich einfach gegenseitig zu akzeptieren. Nun ja. Aber eigentlich war Varric nicht so schlecht gelaunt wegen der Idioten, die täglich die Oberstadt durchquerten. Dann würde er ja aus der miesen Laune gar nicht mehr herauskommen. Nein, vielmehr beschäftigten ihn die Geschehnisse rund um Tarohne noch so sehr. Dieser Kampf unter der Dunkelstadt war nun schon 5 Tage her und noch immer bekam der Zwerg eine leichte Gänsehaut, wenn er daran dachte. Für gewöhnlich nahm er diese Dinge auf die leichte Schulter, pflegte sogar Witze über ihre haarsträubenden Abenteuer zu reißen, die alle ohne Ausnahme meist lebensgefährliche Ausmaße nahmen. Aber bisher war ihnen kein Widersacher so nahe wie Tarohne bekommen. Diesmal war es wirklich lächerlich knapp gewesen. Gut, dass er kurz vor der finalen Auseinandersetzung zurückgelaufen war, um noch Verstärkung zu holen. Wenn Blondies Geist nicht gewesen wäre, dann... Varric schüttelte den Kopf. Eigentlich wollte er gar nicht mehr daran denken. Aber er fand, dass ihnen allen diese Erfahrung eine Lehre sein sollte, dass auch sie nicht unbesiegbar waren. Egal wie mächtig Hawke, Fenris oder die anderen waren. Sie alle stießen Mal an ihre Grenzen. So etwas wollte sich lieber niemand eingestehen – auch Varric nicht – aber in diesem Fall blieb wohl keinem der Beteiligten eine Wahl. Wieder seufzte der Zwerg, zum gefühlten hundertsten Mal an diesem Tag. Er sollte sich zusammenreißen; die Sache war ja noch mal gut gegangen. Das nächste Mal würden sie einfach vorsichtiger sein. Der Zwerg hatte nun endlich sein erstes Zeil erreicht: die Kirche. Er hatte an diesem Tag nämlich endlich die Zeit gefunden, zur Galgenburg zu reisen um dort von diesem Knight-Captain Cullen die Belohnung für ihre 'Bemühungen um die Sicherheit des Ordens' abzuholen. Merrill hatte ihn begleitet, was Hawke bestimmt missfallen hätte, hätte er davon Wind bekommen. Jedenfalls war die junge Elfe in Gegenwart des blonden Templers rot angelaufen wie eine Tomate. Der Captain hatte dies entweder nicht bemerkt oder aber er hatte es äußerst gekonnt ignoriert. Wäre ersteres der Fall, so hatte er vermutlich ein Brett vor dem Kopf gehabt. Nun ja, sie hatten ihre Belohnung abgeholt und Varrics Aufgabe war es nun – das hatte sich so etabliert – dass er jetzt jedes Gruppenmitglied, das an dem Auftrag beteiligt war, aufsuchte um ihm seinen verdienten Anteil zu überreichen. Im Inneren des Kirchengebäudes empfing ihn eine junge Schwester, die ihn freundlich anlächelte. „Was kann ich für Euch tun, Serrah?“ „Grüße, Schwester. Ich suche Sebastian.“ „Da muss ich Euch enttäuschen. Sebastian hat vor kurzem die Kirche verlassen. Er sagte, er würde einen Freund besuchen.“ „Einen Freund?“, fragte Varric nach. „So ist es, Serrah“, sie kicherte, „er sah recht aufgeregt aus.“ Der Zwerg bedankte sich für die Hilfe der Schwester und verabschiedete sich sogleich, ehe er die Kirche wieder verließ und auf den weißen Marmorstufen kurz inne hielt. Der Chorjunge besuchte also 'einen Freund' und war auffällig nervös? Das war nicht unbedingt ein schwieriges Rätsel, das Varric innerhalb einer Sekunde schon gelöst hatte. Also auf zu Danarius' altem Anwesen! Der Zwerg begab sich zügig zu dem Wohnviertel der Adeligen, musste dafür wieder einige dieser lästigen (und zu hohen) Stufen nach oben steigen. Während seines Weges verfiel er in Gedanken. Er musste an den Moment denken, an dem er seine besiegten Freunde in Tarohnes Versteck erblickt hatte. Sebastian hatte neben Fenris gekniet, hatte dessen Hand gehalten. Er war nicht von der Seite des tödlich verletzten Elfen gewichen. Nicht mal für einen Wimpernschlag. Hatte Varric vorher noch Zweifel gehabt, ob der Prinz wirklich etwas für den grüblerischen Elfen empfand, so waren diese nun alle beseitigt. Mittlerweile war er sich also ziemlich sicher. Zu recht, mochte er meinen. Danarius' Anwesen lag im Schatten, zwischen den Villen anderer Adeliger, die wohl nicht im Ansatz damit rechneten, dass sie neben dem Versteck eines Magisters hausten. Obwohl es ihnen natürlich auffallen könnte, immerhin gab es Anzeichen. Zumindest dahingehend, dass das Haus schon von außen recht verlassen aussah. Die Hecken waren ungestutzt, die Fenster dreckig und wenn das Sonnenlicht richtig fiel, konnte man sogar Spinnweben ausmachen. Von weitem konnte Varric bereits eine braunhaarige Person – einen großen Mann – ausmachen, der vor der Eingangstüre stand. Er ging näher heran und seine Vermutung bestätigte sich: Es war Sebastian. Stirnrunzelnd fragte er sich, was der Prinz da tat. Hatte er Fenris gerade besucht oder... war er kurz davor? Jedenfalls hatte der Braunhaarige die Schultern hochgezogen und tippte von einem Fuß auf den anderen. Er sah schon reichlich nervös aus – ebenso, wie es die Kirchenschwester Varric vorhin berichtet hatte. Gerade wollte er Sebastian begrüßen, da machte dieser auf dem Absatz Kehrt und stürmte dem Zwerg entgegen. Er hatte seine Meinung wohl geändert. „Varric!“, rief der Prinz aus, leicht erschrocken. Er hatte nicht damit gerechnet, den Schurken hier und jetzt zu treffen. „Woeh, woeh, warum denn so eilig, Chorjunge?“, fragte der Zwerg mit einem breiten Grinsen im Gesicht, „wolltet Ihr den Elfen nicht besuchen?“ Sebastian blickte unwillkürlich zurück zu Danarius' Anwesen, dann wieder zu seinem Gegenüber, ehe sein Blick sich gen Boden richtete, wo er erst einmal verweilte. Er schien abzuwägen, was er antworten sollte, kam aber wohl auf keine gute Lösung, denn er seufzte bloß und schwieg. Letztlich entschied er sich, das Thema zu wechseln. „Warum seid Ihr hier, Varric?“ „Ich bringe dem Elfen seinen Anteil von unserem letzten Auftrag“, antwortete der Zwerg und hielt einen Beutel hoch, schüttelte diesen kurz, damit das Klimpern von Münzen zu hören war. In diesem Moment fiel ihm ein, dass der den Lohn des Prinzen ja auch bei sich trug. Warum hätte er sonst vorhin extra bei der Kirche vorbeigeschaut? Manchmal war er schon ganz schön vergesslich. „Ah, Euren habe ich auch bei mir. Hier.“ Varric durchsuchte seine Taschen, bis er den begehrten Beutel fand, um ihn dann Sebastian hinzuhalten. Dieser wirkte nicht gerade begeistert und machte auch keine Anstalten, das Gold anzunehmen. „Ihr wisst doch, ich benötige dieses Geld nicht. Teilt es lieber unter Euch auf. Oder spart es für die Expedition.“ Kopfschüttelnd drückte der Zwerg dem anderen den Beutel gegen die Brust. Er bestand darauf. „Hawke hat mich gebeten, mich nicht von Euch abwimmeln zu lassen, Chorjunge. Gleichberechtigung und so, versteht Ihr? Ihr sollt Euren königlichen Hintern nicht umsonst jedes Mal wieder auf's Spiel setzen. Nehmt es, das geht schon in Ordnung so.“ Sebastian zögerte noch, hob dann aber langsam seine Hand, um die Belohnung doch anzunehmen. „Ich werde es der Kirche spenden“, sagte er leise. „Eure Entscheidung“, meinte Varric, „Es ist Euer Lohn, macht damit, was Ihr wollt.“ Der Prinz nickte, verstaute den Beutel in seiner Tasche. Anschließend machte er Anstalten, an dem anderen vorbeizugehen. „Also dann, Varric...“ „Moment“, meinte dieser aber dann und hielt Sebastian noch den anderen Beutel mit Münzen hin, „Wollt Ihr vielleicht dem Elfen seinen Anteil geben?“ Er hatte das Bedürfnis, dem Prinzen etwas unter die Arme zu greifen. Und so hätte er einen guten Vorwand, um Fenris zu besuchen. Gesetz dem Fall, dass sein Vorhaben daran gescheitert war. Sebastian schluckte, schüttelte den Kopf. „Nein... lieber nicht.“ „Warum? Was hält Euch ab?“ „So einiges.“ Varric ließ seine Hand sinken. Er sah ganz genau, dass den Prinzen etwas beschäftigte, dass etwas an ihm nagte. Der junge Mann wirkte richtig niedergeschlagen. So hatte der Zwerg ihn ja noch nie gesehen. „Was ist denn los?“ Sebastian seufzte, dann blickte er Varric an. Er schien mit sich zu hadern, ob er sich dem anderen anvertrauen sollte. Aber warum denn auch nicht? Der Schurke war ein guter Kerl. Vielleicht... vielleicht tat es ganz gut, mit jemanden darüber zu reden. Er hätte auch mit Hawke reden können, aber der hatte sich seit dem Vorfall mit Tarohne nicht mehr blicken lassen. „Ich glaube ich... mag... Fenris.“ Varric sah nicht verwundert aus. Ehe wirkte er, als hätte man ihm gerade die selbe Geschichte zum wiederholten Mal erzählt. 'Hab ich's doch gewusst!', dachte dieser insgeheim bei sich. „Aber er...“, Sebastian brach ab. Er wusste wohl nicht wirklich, wie er sich am besten ausdrücken sollte. Abermals seufzte er. Der Prinz wirkte recht gequält. „Ich glaube, er verabscheut mich.“ Varric wollte gerade protestieren. Das konnte er sich nämlich beim besten Willen nicht vorstellen. Wie oft hatten Fenris und der Prinz zusammen im Gehängten zu Mittag gegessen? Oder wie oft hatten sie miteinander Zeit in Danarius' Anwesen verbracht? Außerdem war Sebastian der einzige, den der Elf relativ nahe an sich heran ließ. Durch den Chorjungen hatte der Weißhaarige es fertig gebracht, seinen Freunden zur Begrüßung die Hand zu geben. Also 'verabscheuen'? Nein, bestimmt nicht! Der Zwerg wollte gerade Sebastian versichern, dass er sich irrte, dieser kam ihm dann aber zuvor. „Ich habe etwas getan... etwas wirklich dummes.“ Varric schenkte seinem Gegenüber einen fragenden Blick. „Vor fünf Tagen... als Tarohnes Leute uns überwältigt hatten... und kurz davor waren, uns zu töten...“ „Ja?“, fragte der Zwerg nach. Der Prinz presste die Lippen aufeinander. Es war schwierig für ihn, das laut auszusprechen. Er war sich ja selbst etwas unsicher, bezüglich seiner eigenen Gefühle, aber... mit einem anderen Mann darüber zu reden, das war wirklich etwas seltsam. Und das ließ ihn kurz zögern. „Ich habe ihn geküsst...“ „Ah.“ „... auf den Mund.“ „Oha.“ Varric hatte nicht gedacht, dass das nicht von vornherein klar gewesen wäre, aber nun gut. Er konnte sich aber nun noch nicht ganz vorstellen, worin jetzt das Problem bestand. „Er war bewusstlos, lag im Sterben und ich... ich habe mich ihm aufgezwungen!“ Kurz war der Zwerg etwas verwundert, da der Prinz endlich aus sich heraus kam und seine Stimme wenigstens etwas erhob. Gerade eben hatte er noch quasi im Flüsterton gesprochen. „Seit dem geht er mir aus dem Weg, er sieht mich nicht einmal an! Vielleicht hat er es ja mitbekommen und jetzt... jetzt hasst er mich dafür!“ Es war ein wenig komisch für Varric. Sebastian hatte Fenris geküsst, ja, aber der Prinz sprach davon, als hätte er dem Elfen die Kleider vom Leib gerissen. „Aber Chorjunge, warum sollte er Euch deswegen-“ „Ihr versteht das nicht, Varric! Es verabscheut die Nähe zu anderen! Er hat Schmerzen, wenn man ihn berührt! Sogar ein einfaches Händeschütteln ist unangenehm für ihn! Als ich ihm so dermaßen zu nahe gekommen bin, habe ich sein Vertrauen in mich missbraucht! Ich habe ihn schier betrogen!“ Der Zwerg wollte etwas sagen, doch ihm fehlten die Worte. Davon, dass der Elf Schmerz empfand, wenn man seine Haut berührte, wusste er nichts. Er hatte keine Ahnung. Kam das von den Lyriumzeichen? Naja, von was denn sonst? Er schluckte schwer. „Aber Chorj-... Sebastian. Ihr habt ihn nicht geküsst, um ihm weh zu tun, sondern weil Ihr in ihn verliebt seid.“ Der Prinz sah auf. Diese Worte zu hören, kamen sie auch aus dem Mund eines anderen, war schon ein wenig seltsam. Aber ja, er hegte diese Gefühle für Fenris. Stärker, als er für möglich gehalten hätte. „Deswegen glaube ich nicht, dass der grüblerische Elf Euch das übel nimmt. Habt Ihr überhaupt mit ihm geredet? Vielleicht liegt Ihr falsch und dem Burschen setzt etwas ganz anderes zu.“ Er dachte dabei an Gerechtigkeit. Als der Geist Fenris geheilt hatte, war dieser nicht sonderlich begeistert gewesen. Um es mal vorsichtig auszudrücken. Varric hielt Sebastian wieder den Beutel voll Münzen hin. „Es gibt nur einen Weg, wie Ihr das herausfinden könnt.“ Der Prinz betrachtete den Beutel, schüttelte dann aber den Kopf. Er entfernte sich langsam von dem Zwerg. „Ich... muss jetzt gehen.“ „Aber-“ Sebastian drehte sich um und zog von dannen, verschwand hinter der nächsten Ecke. Varric blieb zurück und das mit einem flauen Gefühl in der Magengegend. Er seufzte. Naja, soviel dazu. Der junge Prinz hatte den Zwerg gerade ein wenig an sich selbst erinnert. Als er noch jünger gewesen war – so um die 13 Jahre – war er auch so schrecklich dramatisch gewesen. Ja, er konnte Sebastians Schuldgefühle irgendwie nachvollziehen, aber er glaubte, dass der andere einen Drachen aus einem Nug machte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass der Elf ihn wirklich 'hasste'. Varric hatte ihn ja zu jenem Zeitpunkt gesehen – er war ohnmächtig gewesen, tödlich verwundet. Unmöglich, dass er mitbekommen hatte, dass der Chorjunge ihn geküsst hatte. Ah, aber bevor er es vergaß, es gab ja einen Grund, warum er hier war. Varric trat an die Eingangstüre zu Danarius' Anwesen heran und klopfte drei Mal, ehe er eintrat. Wie immer war es dunkel im Inneren der Eingangshalle, durch den Luftzug war Staub aufgewirbelt worden. Gerade wollte er nach Fenris rufen, im nächsten Moment kam dieser aber schon die Stufen hinabgestiegen. Seine Schritte waren kaum zu hören; er trug ja keine Schuhe. „Varric“, grüßte dieser mit der gewohnt monotonen Stimmlage. „Grüße, Elf. Ich bringe Euch Euren Anteil.“ Er ging Fenris entgegen und hielt diesem den mit Münzen gefüllten Beutel hin. Der andere nahm ihn entgegen und bedankte sich höflich. „Sebastian ist wieder gegangen.“ Es war eine Feststellung, keine Frage. Varric stockte und sah zu dem Weißhaarigen auf. Wenn Fenris den Prinz hat gehen sehen, muss er doch auch von ihrem Gespräch wissen. Gut nur, dass er unmöglich ihre genauen Worte hatte hören können. Das wäre sonst jetzt schon sehr peinlich. Für wen von ihnen dreien am meisten, konnte er nicht genau abwägen. „Ja“, sagte Varric dann. Die Stimme der Vernunft in seinem Kopf – auf die er offengestanden nicht allzu oft hörte – riet ihm, sich aus der Sache rauszuhalten. Das war Fenris' und Sebastians Angelegenheit und deren ewiges Hin und Her ging ihn nichts an. Vermutlich würde er mehr Schaden anrichten, als dass er irgendetwas reparieren könnte. „Braucht Ihr noch etwas?“, fragte Fenris. Es war eine höfliche Art dem Zwerg zu sagen, dass er verschwinden sollte. Der Elf wollte offenbar für sich sein und seine Ruhe haben. Alles in allem wirkte er ein wenig... grüblerischer als sonst. Also ja, Sebastian hatte wohl schon recht, dass den Ex-Sklaven etwas bedrückte. Aber was genau, das war nicht zu sagen. Varric überlegte kurz angestrengt, gab aber dann ein zaghaftes „Nein“ von sich. Er machte Anstalten, Fenris' Wunsch nachzukommen und das Anwesen zu verlassen, aber als er die Tür schon halb geöffnet hatte, hielt er noch kurz inne und drehte sich wieder zu dem Elfen um. „Sebastian denkt, dass Ihr auf ihn wütend seid.“ Da, jetzt hatte er sich doch eingemischt. Er hörte seine innere Stimme der Vernunft schier resigniert seufzen. Sie hatte schon keine einfache Arbeit. Der Zwerg sträubte sich wohl immer sehr davor, auf sie zu hören. Aber nicht, weil er ihn mit Absicht das Leben schwer machen wollte, sondern weil er von Natur aus dazu hegte, Dummheiten zu begehen. „... Ich verstehe“, sagte Fenris dann nur. „Und?“ Der Elf blickte auf. Es schien ihm nicht allzu sehr zu gefallen, dass Varric sich derart einmischte. Er sagte nichts, blickte gen Boden, dann wieder zu dem Zwerg und schließlich wieder weg. Er wandte sich ab und stieg die Stufen nach oben, ohne noch ein Wort zu sagen. Varric seufzte. Warum ließen ihn heute alle einfach so stehen? Schnaubend verließ er dann das Anwesen. Er hätte sich nicht einmischen sollen. Warum war es so unglaublich schwer für ihn, seine Klappe zu halten? Beim Erbauer... Das hatte er davon, dass er immer für jeden die nette, hilfreiche Tante spielen musste. **** Isabela verschränkte die Arme, verlagerte ihr Gewicht auf das linke Bein. Sie hatte ein selbstsicheres, wissendes Grinsen aufgesetzt. Vor ihr standen mehrere Männer, die alle ihr Mittagessen hatten stehen lassen, um bei dem Ratespiel der Piratin mitzumachen. Sie schauten die Frau mit dem Kopftuch fragend an, während deren Blick herausfordernd und schadenfroh wirkte. „Was denkst du?“, fragte der eine, worauf ein anderer „Ich weiß nicht“ antwortete. „Nun“, meinte Isabela und ließ die Arme sinken, breitete sie aus, „wo hab ich das Messer versteckt?“ Angespannt studierten die Spielmitglieder die Frau, deren knappe Kleidung nicht allzu viel Stoff für die Fantasie übrig ließ. „Im Stiefel?“ „Welchen?“ „Den linken.“ Die Rivaini zog besagten Stiefel aus und warf ihn achtlos zur Seite. Sie schüttelte den Kopf. Ihr Grinsen wurde noch breiter, als ein anderer der Männer den rechten Schuh vorschlug, den sie dann ebenfalls abstreifte. Auch dort war das Messer nicht versteckt. „Vielleicht unterm Kopftuch?“ Ein paar der Spieler schnaubten verärgert über den abgegebenen Tipp. Isabelas welliges Haar war nicht unbedingt das, was sie gänzlich unbedeckt sehen wollten. Aber gemäß den Spielregeln entknotete die Frau den blauen Stoff und ließ ihn fallen. Sie schüttelte ihr dichtes Haar auf und lachte. Gerade als die Männer überlegten, ob sie nun zum Kleid oder direkt zum Höschen übergehen sollten, stand plötzlich eine junge Elfe neben Isabela und sah diese verwirrt und aus großen Augen heraus an. „Was macht Ihr da?“ „Och Schätzchen“, meinte Isabela und beugte sich zu Merrill hin, damit sie ihr ins Ohr flüstern konnte, „Ich ziehe diesen Trotteln das Geld aus der Tasche.“ „Wirklich?“ meinte die Maleficar, etwas lauter, „es sieht nämlich so aus, als würdet Ihr Euch lediglich vor lauter Fremden ausziehen.“ Das sagte sie mit keinerlei Vorwurf, eher mit einer gewissen Naivität und offener Ahnungslosigkeit. Darauf grinste Isabela diabolisch. „Ja“, räumte sie ein, „aber in Wirklichkeit ziehen die sich aus, nicht ich.“ Die Männer hörten das und sahen sich daraufhin etwas dumm und verwirrt zugleich an. „Also“, sagte Isabela laut, „Euch geht langsam die Zeit aus.“ Die Mitspieler der Rivaini berieten sich leicht panisch im Stillen. Einer von ihnen gestikulierte dabei wild, schlug seinem Nebenmann dabei fast ins Gesicht. Merrill hatte noch immer nicht ganz begriffen, worum es nun bei diesem 'Spiel' ging, aber es kam ihr recht langweilig vor. Unwillkürlich blickte sie dann zur Eingangtür und entdeckte dabei ein bekanntes Gesicht. „Isabela, schaut“, bat sie und tippte dabei der anderen Frau auf die Schulter, „da ist Carver.“ „Oh!“, rief die Rivaini, bückte sich schnell und sammelte ihre Habseligkeiten wieder ein. Ihre Gegenspieler sahen recht enttäuscht aus, aber die Piratin versicherte ihnen zu ihrer Erleichterung, dass sie in absehbarer Zeit weitermachen würden, wo sie jetzt aufhörten. Die beiden Frauen gingen daraufhin gleich auf Carver zu, der gerade an einem freien Tisch Platz genommen hatte. „Hallo!“, flötete Merrill und der junge Mann sah auf. Wie Gerechtigkeit vermutet hatte, verlangte die Zeit, die der Krieger auf seine Heilung hatte warten müssen, nach ihrem Tribut. Seine linke Gesichtshälfte war bedeckt von Brandnarben, ebenso wie sein Arm und vermutlich auch sein Bein, das jetzt natürlich von Stoff bedeckt war. Es war aber zu vermuten, dass die Haut dort ebenso in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Narben waren nicht außerordentlich stark ausgeprägt, aber doch gut sichtbar. Carver aber kümmerte sich nicht sonderlich um die Verletzungen. Er fand sogar, dass er so noch mehr wie ein Krieger aussah, der schon viele Kämpfe hinter sich hatte – vielleicht sogar ein wenig respekteinflößend. Das war eine recht kindische Auffassung, die er bis jetzt noch mit niemanden geteilt hatte. Und offen gestanden hatte er das auch gar nicht vor. Das war wohl auch besser so. „Hallo, setzt Euch doch“, meinte Carver und verwies auf die anderen Stühle um den Tisch herum. Die beiden Frauen bedankten sich und kamen seiner Einladung nach. Sie mussten nicht lange warten, da kam Corff zu ihnen und nahm ihre Bestellungen auf, brachte ihnen schon kurz darauf – heute ging es recht schnell – ihre Getränke. Isabela nippte an ihrem Humpen, sah dann Carver vielsagend an. „Wie geht es Euch?“ Der junge Mann zuckte mit den Schultern. „Ganz... gut. Ich weiß nicht, den Umständen entsprechend? Immerhin wären wir beinahe gestorben.“ Merrill nickte zustimmend. Ihr Blick wurde kurzzeitig ein wenig traurig – sie dachte wohl an diesen grausigen Kampf in Tarohnes Versteck zurück. Sie hatte wirklich Glück gehabt, verglichen zu Fenris und Carver war sie noch recht glimpflich davon gekommen. Lediglich Kopfschmerzen hatten sie die vergangenen Tage geplagt. Also nichts, mit dem sie nicht leicht leben könnte. Isabela indes machte sich doch ein wenig Vorwürfe, dass sie die anderen nicht begleitet hatte. Vielleicht hätte ihre Hilfe einen Unterschied gemacht. Nun ja, aber es würde auch nichts bringen, nun über vergossenes Seewasser zu weinen. Es war vorbei und es war ja noch einmal gut ausgegangen. Eigentlich sollten sie froh darüber sein. Zumindest fand sie das. „Tut es weh?“, fragte Merrill zögerlich und deutete auf Carvers Gesicht. Sie sprach von seinen Narben. Der Krieger schüttelte den Kopf. „Es juckt manchmal ein wenig, aber Anders meinte das würde bald vergehen.“ „Anders?“, wollte Isabela wissen, „wie geht es ihm? Er hat ja ein paar Tage flach gelegen.“ „Er ist in Ordnung, denke ich“, meinte Carver, „drei Tage hat er durchgeschlafen.“ Insgeheim dachte Merrill bei sich, dass der Geistheiler Glück hatte, so schnell wieder erwacht zu sein. Bei dem Machttransfer, den Gerechtigkeit vollzogen hat, war es ein Wunder, dass der Magier nicht größere Schäden davongetragen hat. Hätte der Geist einen Fehler begangen, hätte Anders sogar sterben können. Sie wollte gar nicht daran denken. Sicher, Anders war nicht gut auf sie zu sprechen und sie fand, dass er ihr oft Unrecht tat, aber natürlich wünschte sie ihm keinen Schaden. Ebenso wenig wie Fenris. Merrill überlegte kurz, dann fragte sie: „Und Hawke?“ „Ja, wie geht es ihm? Er hat sich ein paar Tage nicht mehr blicken lassen“, pflichtete Isabela ihrer Freundin bei. Carver presste die Lippen aufeinander, überlegte, wie er antworten sollte und seufzte dann lang und ausgiebig. „Er...“ Der junge Krieger ließ die Schultern hängen. Er war sich nicht sicher, was er sagen sollte. „Er hat sich auch zu Hause kaum blicken lassen“, gestand er, „Seit diesem Kampf ist er ganz... komisch. Er ist die ganze Zeit in der Unterstadt, jagt Verbrecher oder so etwas ähnliches.“ Isabela runzelte die Stirn, tauschte fragende Blicke mit der Magierin neben ihr aus. „Er schläft nicht“, sagte Carver, „seid fünf Tagen läuft er durch die Gegend, spricht mit niemanden und lässt sich nicht helfen.“ Sicher, er war mit seinem Bruder nie sonderlich gut klar gekommen, aber... Aber in letzter Zeit hatte sich das geändert. Zumindest hatte er das Gefühl. Rhys war viel freundlicher mit ihm umgegangen und jetzt, da er sich so seltsam verhielt, machte sich Carver schon Sorgen. Aber er wusste nicht, was er tun sollte. Sein Bruder war immer nur kurz zu Hause und wenn, dann sah er den Jüngeren nicht mal einen Moment lang an und stürmte mit Verpflegung unterm Arm wieder weg, ohne genau zu verraten, wo er hinging. Was, wenn ihm etwas zustoßen sollte? Merrill sagte nichts, sah aber recht beunruhigt aus. Hawke schlief nicht? Es gab nicht allzu viele Gründe, warum ein Magier sich selbst davon abhalten sollte, einzuschlafen. Und alle davon hatten etwas mit dem Nichts zu tun. Vielleicht sogar mit Dämonen. Gab es einen Dämon, dem Hawke aus dem Weg gehen wollte? Vor dem er Angst hatte? Aber nein, Hawke hatte doch nie Angst. Vor nichts und niemanden. Oder? **** Verdammte Scheiße! Das hatten sie wohl damit gemeint, dass all seine Verbrechen und schlimmen Taten ihn einmal einholen würden, nicht wahr? Anscheinend war es heute so weit. Der Erbauer hatte entschieden, dass Merrins Treiben heute ein Ende haben sollte und dazu schickte er ihm diesen Verrückten hinterher. Ausgerechnet ihm! Es gab so viel schlimmeres Volk hier unten in der Dunkelstadt. Mörder, Schmuggler, Sklavenhändler, Kannibalen... Er hatte lediglich ein paar Mädchen vergewaltigt. Gut, offen gestanden war er sich bei so mancher nicht sicher gewesen, ob sie alt genug gewesen war, aber darüber zu sinnieren brachte ihn jetzt auch nicht weiter. Merrin nahm seine Beine in die Hand, rannte unaufhaltsam weiter und bog um die nächste Ecke. Er war schon lange hier unten in diesem Drecksloch und er kannte die Gegend wie seine Hosentaschen. Dieser Verrückte war dumm, ihm hier in die hintersten Winkel der Dunkelstadt zu folgen. Merrin war hier Zuhause, dieser andere Kerl war lediglich ein Eindringling. Er hatte von ihm schon vor drei Tagen gehört. Ein Ritter in strahlender Rüstung quasi, der gekommen war, um die Dunkelstadt 'zu säubern' schön und gut, aber musste gerade Merrin sein nächstes Opfer sein? Er blieb kurz stehen, blickte zurück. Er sah niemanden, konnte auch keine Schritte hören. Ein paar Leute hatten erzählt, dass dieser Eindringling sich in die Angelegenheiten der Dunkelstadt einmischte und die Bewohner befragte, ihnen seine Hilfe anbot. Nannte einer den Namen eines Verbrechers, suchte dieser Verrückte nach ihm und räumte ihn aus dem Weg. Nicht mehr lange und irgendjemand würde sich um diesen Kerl kümmern. Zu dumm nur, dass es bis dahin für Merrin bereits zu spät sein könnte. Oder auch nicht. Er seufzte, atmete erleichtert auf. Er hatte den Verrückten wohl abgehängt. Recht zufrieden über seine Flucht setzte der Vergewaltiger seinen Weg dann fort, bog um die nächste Ecke, nur, um dann in ein bekanntes Gesicht zu blicken. Er stockte, wich einen Schritt zurück. Wo kam der Kerl auf einmal her? Wie hatte er ihm den Weg abschneiden können? „Du bist der, den sie 'den Schänder' nennen?“ Merrin schluckte schwer. Er sah sich um, wog seine Möglichkeiten ab. Einen direkten Kampf konnte er vergessen. Er war recht dürr, eindeutig unterernährt. Sicher, er war stark genug, um ein Mädchen festzuhalten, aber nicht um gegen diesen großen, muskelbepackten Kerl zu bestehen. Sollte er noch einmal die Flucht wagen? Vermutlich auch nicht die beste Idee, er war schon längst am Ende seiner Kräfte angelangt. Er atmete schwer von dem vielen Laufen, sein Herz hämmerte rasch gegen seine Brust. Merrin ging zu Option C über. Er fiel auf die Knie. Um sein Leben würde er betteln und nein, dafür war er sich nicht zu schade. War man in der Dunkelstadt aufgewachsen, war man sich eigentlich für gar nichts zu schade. Das war ein Luxus, den man sich hier unten unmöglich leisten konnte. „Bitte“, begann er, „i-ich wusste nicht, was ich tue! Serrah, Ihr müsst mir helfen! Ich bin krank! Für das, was den Mädchen passiert ist, konnte ich nichts!“ Er wimmerte, kroch dem großen Mann etwas entgegen und klammerte sich an dessen Hose. Merrin sah zu ihm auf, sah ihn bettelnd an. Den Miserablen und Harmlosen zu spielen war nicht schwer für ihn. Er 'spielte' nicht mal wirklich. Es war nicht so, als würde er sich bewusst dazu entscheiden. Ebenso, wie er sich nicht wirklich bewusst dazu entschied, ein Mädchen zu entführen, dann zu vergewaltigen und letztlich einfach an Ort und Stelle mit zerrissenen Kleidern liegen zu lassen. Merrin tat es einfach. Er wollte es, aber er konnte trotzdem nichts dafür. Es gab so viel schlimmeres Volk hier unten in der Dunkelstadt. Mörder, Schmuggler, Sklavenhändler, Kannibalen... Er hatte lediglich ein paar Mädchen vergewaltigt. Merrin konnte nicht nachvollziehen, warum er den Tod verdient haben sollte. Die letzten Tage hatten unerbittlich an Hawke gezerrt. Sein Haar war ungekämmt, sein Bart ungestutzt – ein Bad würde ihm vermutlich nicht sonderlich schaden. Außerdem war unter seinem Kinn ein getrockneter Blutspritzer auszumachen; ganz klar keine Verletzung seinerseits. Am auffälligsten aber war wohl die Übermüdung, deutlich an den dunklen Ringen unter Hawkes bernsteinfarbenen Augen auszumachen. Um herauszufinden, dass der Mann ein paar Tage lang schon nicht mehr geschlafen hatte, musste man nicht zweimal hinsehen. Ein kurzer Blick genügte schon vollkommen. Um nicht einzuschlafen, hatte Hawke so einiges unternommen. Er sorgte dafür, dass er nie einen ruhigen Moment hatte, immer unterwegs war und ständig etwas zu tun hatte. Einen besseren Ort als die Dunkelstadt hätte er dafür nicht finden können. Die Übermüdung aber setzte seinen Nerven auch zu, er war leicht reizbar und ständig wütend. Hawke wollte nicht an Carver denken, nicht mal für einen Wimpernschlag lang... deswegen beschäftigte er sich mit dem Abschaum der Dunkelstadt. Wie etwa Merrin hier, der fälschlicherweise glaubte, dass der Magier Gnade walten lassen würde. Von seinem Irrtum würde er noch früh genug erfahren. „Also hast du diese Mädchen nicht vergewaltigt?“, fragte Hawke mit einer erschreckend ruhigen Stimme. Merrin, der zu seinen Füßen war, hatte vermutlich nicht so weit gedacht. Er presste die Lippen aufeinander, wollte sich eine Ausrede überlegen. „Dafür kann ich nichts!“, behauptete er dann, „Was soll ich tun, wenn... wenn diese 'Dinger' immer vor mir auf und ab gehen und heimlich über mich lachen?“ „Sie haben also über dich gelacht?“ „Ja!“, rief Merrin und nickte heftig, „immerzu haben sie sich über mich lustig gemacht... Was hätte ich also tun sollen? Sie wollten, dass ich es tue!“ Es wäre kaum möglich, jemanden mit mehr Geringschätzung und Ekel anzublicken, als es Hawke gerade mit dem Vergewaltiger zu seinen Füßen machte. „Eines der Mädchen war gerade mal 13 Jahre alt“, erklärte er. Merrin wirkte gerade ein wenig verwirrt, wippte mit dem Kopf etwas hin und her. Er blickte zu Boden. „Daran kann ich mich nicht erinnern...“ Er hielt kurz inne, dann blickte er auf. „... Oh doch, doch, natürlich. Das Ding hat einfach nicht aufgehört zu zappeln. Ich hab' ihr auf den Kopf geschlagen, bis sie endlich Ruhe gegeben hat.“ Mit einer Sache wenigstens hatte Merrin Recht gehabt: Er war krank. „Aber Ihr, warum seid Ihr hier?“, fragte er Hawke, „lauft durch die Dunkelstadt... seid Ihr verrückt? Seid Ihr auch krank?“ Plötzlich, ganz ohne jene Vorwarnung, sprang Merrin auf. „Ich helfe Euch!“ Er stürzte sich auf Hawke, war unerwartet schnell. Aber für den Magier war es beinahe schon eine Leichtigkeit, den Wahnsinnigen niederzuringen. Er umklammerte die Kehle des Mannes mit beiden Händen, drückte mit den Daumen auf die Luftröhre. Merrin röchelte, schnappte nach Luft und schlug mit Armen und Beinen um sich. Er war aber viel zu dünn und zu schwach, als dass er sich hätte wehren können. Hawke verharrte in seiner Position, übte so viel Druck wie möglich aus, bis sein Opfer aufhörte sich zu bewegen. Anschließend erhob er sich und ging ein paar Schritte weg von dem toten Körper, nur um ihn dann mit einer Aufwärtsbewegung seiner Hand in Flammen aufgehen zu lassen. Hawke fand sich an eine Wand gelehnt wieder. Er wusste nicht, wie er hier hergekommen war. Alles, was er wusste war, dass er unglaublich müde war. Wenn er nur kurz die Augen schließen könnte, ohne einzuschlafen. Langsam ließ er sich nieder, seufzte erschöpft. Er durfte nicht einschlafen. Einfach nur nicht einschlafen. Hawke starrte an die gegenüberliegende Wand, fand aber dort auch nach mehreren Minuten nichts interessantes. Er hörte ferne Stimmen, die für ihn kaum mehr als ein Flüstern waren. Er versuchte sich auf die Geräusche zu konzentrieren, versuchte sich auszumalen, welche Worte die Laute bilden sollten. Irgendwann aber übermannte die Erschöpfung Hawke. Seine Augen schlossen sich und wenige Momente später ging sein Geist in das Nichts über. Er wurde bereits sehnsüchtig erwartet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)