Craving The Forbidden von LeBlanc ================================================================================ Kapitel 1: Judgement -------------------- „Hier verstecken sie sich also?“ Der Zwerg hielt seine Armbrust im Anschlag und ging voran. Er tat vorsichtig einen Schritt nach dem anderen, seine Augen schweiften über den Boden, suchten nach etwaigen Druckplatten oder Drähten, die irgendwelche tödlichen Fallen auslösen könnten. Als einziger Schurke ihrer Gruppe war es seine Aufgabe, solche Hindernisse zu entdecken und gegebenfalls auszuschalten. Als er sich dann aber sicher war, dass zumindest vorerst durch Fallen keine unmittelbare Gefahr drohte, senkte er seine Armbrust und atmete auf. Seine Haltung entspannte sich etwas. „Es sieht so finster aus – vielleicht sollte man ein paar Kerzen aufstellen... und Blumen, dann würde es viel freundlicher wirken!“ Varric lachte auf und wandte sich zu der schwarzhaarigen Elfe, die gerade das Haus betrat, nachdem der Zwerg der Gruppe mitgeteilt hatte, dass der Raum sicher war und sie hereinkommen konnten. „Wie wär's, Gänseblümchen, wenn Ihr Eure Einrichtungsvorschläge den Banditen unterbreiten würdet, sobald wir sie finden?“ Merrill nickte eifrig und lächelte, erkannte den Scherz hinter Varrics Worten nicht. „Ich bin mir nicht sicher, ob sie auf Euch hören würden“, sagte Anders und betrat ebenfalls den Raum. Eigentlich verstand er sich gut mit der jungen Dalish, dennoch traute er ihr nicht so ganz über den Weg, weil sie eine praktizierende Blutmagierin war und demnach jederzeit von dem Dämon, mit dem sie einen Pakt geschlossen hatte, überwältigt werden könnte. „Blondie, nehmt dem Mädchen doch nicht den Mut!“, meinte Varric und klopfte Anders freundschaftlich auf die Schulter. Dieser aber schien nicht sonderlich begeistert, runzelte die Stirn. „Ich habe Euch doch gebeten, mich nicht so zu nennen – meine Haare sind gar nicht blond!“ Endlich betraten auch die letzten drei der kleinen Gruppe den Raum. Ein weißhaariger Elf, der sich grazil wie eine Katze bewegte, ein junger Krieger und ein braunhaariger Magier, der nicht wie es für seine Art üblich war in einer langen Robe gekleidet war, sondern in einer einfachen Hose und einem ledernen Hemd. Eine seiner Schultern war durch ein Rüstungsteil geschützt, das um seinen Oberkörper gebunden war und eine Halterung besaß, in dem sein Zauberstab steckte. „Dieses Haus sieht nicht gerade aus wie das Versteck einer Räuberbande“, gab Anders zu bedenken und sah sich um; er betrachtete ein paar der verstaubten Einrichtungsgegenstände. „Sehen wir uns erst einmal um“, schlug Hawke vor und ging voran. „Wartet“, meinte der Zwerg, als der braunhaarige Magier eine der Türen öffnen wollte, „lasst mich vorgehen, falls diese Mistsäcke doch noch irgendwo Fallen platziert haben.“ Der Magier nickte, ließ den Zwerg seine Arbeit machen. „Wir sind leichtsinnig, uns nur zu sechst in das Versteck einer gut organisierten Banditengruppe zu wagen“, meinte der weißhaarige Elf und erntete wegen seines Kommentars sofort einen stechenden Blick von Anders, der keine Gelegenheit ausließ, sich mit dem Krieger zu streiten. „Nun“, begann Varric während er die Tür untersuchte, „Frau Anführerin der Wache hat in der Kaserne zu tun, die Rivaini liefert sich im Gehängten Mann ein Trinkduell mit ein paar Fereldnern und der Chorjunge muss Arbeiten in der Kirche erledigen – bleiben also nur wir.“ Fenris schnaubte. „Nun, wenn alle Stricke reißen kann die Dalish ihre verdorbenen Künste wirken und die Abscheulichkeit kann ihren Dämon zu Hilfe rufen.“ Merrill warf dem Weißhaarigen wegen seiner Beleidigung lediglich einen bösen Blick zu, aber Anders stapfte auf ihn zu, bäumte sich vor ihm auf und nutzte dabei die Tatsache, dass er etwas größer war. Fenris zeigte sich unbeeindruckt. „Na los, nennt mich noch einmal 'Abscheulichkeit'!“, drohte der Heiler und strafte sein Gegenüber mit einem finsteren Blick, dem dieser aber mit Leichtigkeit standhielt. Hawke rollte genervt mit den Augen, stellte sich zwischen die beiden Streithähne. „Könntet Ihr bitte mit Euren Kindereien aufhören? Wir haben hier einen Auftrag zu erledigen. Danach könnt Ihr Euch wieder so viel streiten, wie Ihr wollt.“ Fenris blickte zu dem Braunhaarigen, nickte dann. „Nun gut“, meinte er und ging auf Abstand. Anders sah sich wohl als Gewinner des kleinen Blickduells, denn er grinste zufrieden. Hawke sah ihn an, hob eine Augenbraue und seufzte. Es war keine Seltenheit, dass Fenris, Anders und Merrill aneinandergerieten und so hatte Hawke mittlerweile beschlossen, sich so gut es nur möglich war herauszuhalten, solange sie durch ihre Streiterein keinen Auftrag gefährdeten. Glücklicherweise waren die Auseinandersetzung bis jetzt immer verbaler Natur gewesen, doch wer konnte schon sagen, wie viel noch nötig war, dass eine der Parteien handgreiflich wurde? Varric hatte sich inzwischen vergewissert, dass die Tür nicht mit Fallen gespickt war und ging hindurch, fand sich in einem langen Gang mit einigen weiteren Türen wieder. Hawke trat neben ihn, rieb die Hände aneinander und sah sich um. „Nun, Zwerg, wo würdet Ihr Eure Banditenfreunde in so einem Haus verstecken?“ Varric zuckte lediglich mit den Schultern; es war Carver, der antwortete. „Vermutlich irgendwo, wo sie besser versteckt sind?“, er dachte nach, „vielleicht im Keller?“ Hawke nickte. „Warum nicht? Gut, sehen wir uns um“, er wandte sich an seine Gefährten, „sollte einer von Euch etwas finden, wartet erst auf den Rest... Nicht, dass mir hier irgendwer alleine voranstürmt.“ „Keine Sorge, Hawke“, versicherte Anders und lachte, „ich lasse Euch schon noch ein oder zwei Banditen übrig.“ Der Braunhaarige runzelte die Stirn, sah den anderen verwirrt an. „Was wollt Ihr tun, 'Blondie', die Banditen kaputt heilen?“ Ehe Anders etwas erwidern konnte, war Merrills lautes Kichern zu hören und sie sagte: „Das geht doch gar nicht!“ Hawke grinste kurz wegen dem naiven Kommentar der Dalish, dann wurde er wieder ernst. „Gut, teilen wir uns auf. Sucht nach einem Keller oder nach etwas anderem Verdächtigen.“ Er sah zu seinem Bruder und wies ihn mit einer kurzen Handbewegung auf, zu ihm her zu kommen. „Du bleibst bei mir.“ Carver verschränkte die Arme. „Ich werd' dir doch nicht wie ein Hund hinterherlaufen.“ „Doch, genau das wirst du tun“, verlangte Hawke. Varric, Merrill und Anders tauschten ein paar kurze Blicke, mischten sich aber nicht ein. Mittlerweile waren sie es gewohnt, dass Hawkes Tonfall sich sofort änderte, wenn er mit seinem Bruder sprach. Während er zu ihnen recht freundlich war und gerne mit ihnen scherzte, sprach er mit Carver wie mit einem dummen kleinen Kind, dem man auf Schritt und Tritt folgen musste, damit ihm nichts zustieß. Varric aber hatte die Vermutung, dass dies eine alt eingesessene Angewohnheit war – und Junior, wie er den jüngeren Hawke nannte, war oftmals auch nicht so einfach und schnell eingeschnappt. Carver murmelte einen letzten Protest, dann tat er aber, wie sein großer Bruder von ihm verlangte und folgte ihm, anstatt das Haus auf eigene Faust zu erkunden. Es dauerte nicht lange, da hatte Fenris tatsächlich hinter eine der Türen eine Treppe gefunden, die nach unten führte. „Da haben wir unseren Keller“, meinte Varric. „Dort unten ist es noch dunkler“, bemerkte Merrill. Anders winkte ab; mit Zeigefingern und Daumen formte er einen Kreis. Er wisperte etwas und wenige Sekunden später entstand zwischen seinen Fingern ein helles Licht. Er ließ die Kugel frei, sie schwebte über den Köpfen der anderen hinweg und folgte den Stufen nach unten, erhellte dabei den Weg. „Am besten gehe ich wieder vor“, meinte Varric, „falls wir auf Fallen stoßen.“ Hawke nickte und bat Fenris, nicht von der Seite des Zwerges zu weichen, sodass er ihn verteidigen konnte, falls dieser aus dem Hinterhalt angegriffen werden sollte. Carver wollte auch an die vorderste Reihe der Gruppe, aber sein Bruder griff nach seinem Arm und hielt ihn zurück. Der Schwarzhaarige schnaubte und riss sich los. Die sechsköpfige Truppe folgte den Stufen nach unten, wo sie überraschender Weise nicht einen einfachen Keller vorfanden, sondern einen unterirdischen Tunnel. Das Haus selbst war also gar nicht das Versteck der Banditengruppe, sondern lediglich der Weg dahin. Anders sammelte sein Mana, beschwor eine weitere Lichtkugel, da es in dem Durchgang noch finsterer war. Varric und Fenris gingen voran, dann folgten Hawke und Carver. Anders und Merrill bildeten das Schlusslicht. Plötzlich kreischte die Dalish auf. Die anderen wirbelten herum, konnten aber aufatmen, da die Elfe bloß wegen einer Spinne erschrocken war, die es sich auf ihrer Schulter gemütlich gemacht hatte. „Geh' weg“, befahl Merrill. Sie schlug die Spinne weg, sammelte dann ihr Mana und schoss mit arkanen Bolzen nach dem Ungeziefer. Anders, der neben ihr ging, zuckte zusammen. „Was macht Ihr da?“, fragte er, wich dabei etwas von ihr zurück. „Ich hab sie gleich... Flinkes, kleines Mistding!“ Der Heiler griff nach ihrer einen Hand, um ihr zu signalisieren, dass sie aufhören sollte. „Schluss damit!“ Von vorne war ein leises Schnauben zu hören. Es war Fenris. „Sie hat einen Pakt mit einem Dämon geschlossen, fürchtet sich aber vor Spinnen...“ „Nun“, meinte Hawke, „falls die Banditen nicht wussten, dass wir kommen, jetzt tun sie's ganz bestimmt.“ Merrill entschuldigte sich für den Lärm, den sie veranstaltet hatte, ließ es sich aber nicht nehmen, noch ein letztes mal einen arkanen Bolzen auf die Spinne abzufeuern. „Ha!“, jubelte sie, „hab ich dich!“ Die Gruppe gelangte an das Ende des Durchgangs, befand sich nun wohl in dem Keller eines größeren Hauses. Vorsichtig tasteten sie sich voran, gingen durch die nächste Tür, wodurch sie in den nächsten Raum gelangten. Varric blieb schlagartig stehen. „Uh-Oh.“ Das Zimmer war erhellt durch brennende Fakeln, die in den Halterungen an den Wänden angebracht waren. In der Mitte stand ein riesiger Tisch, auf dem einige Dokumente verstreut lagen und Krüge, gefüllt mit Ale, standen. Darum herum standen etwa zwanzig mit Pfeil und Bogen, Schwertern und Dolchen bewaffnete Männer. Lediglich eine Frau war unter ihnen, die langes, ungewaschenes Haar hatte und deren Augen mit schwarzer Farbe umrandet war. Sie alle trugen dieselbe Rüstung; mit einem verschnörkelten Zeichen auf der Brustplatte – das Zeichen ihrer Bande. Einer der Männer, er war mit einem Zweihänder bewaffnet, trat nach vorne und sah dabei nicht gerade begeistert aus. „Sith?“ „J-Ja, Rosch?“, meldete sich einer der Banditen und trat hervor. „Wie kommt es, dass auf einmal ein Haufen Fremder in unserem Versteck stehen?“ Der Mann, der wohl Sith hieß, schien etwas eingeschüchtert; er hatte wohl großen Respekt vor dem anderen. „Nun, sie haben wohl unsere Wachen überwältigt...“ Rosch verschränkte die Arme. „So so“, meinte er und schüttelte den Kopf, „ich bin von Idioten umgeben.“ Die Frau mit dem auffälligen Make-Up trat an seine Seite. „Ich hoffe, du meinst damit nicht mich?“ Rosch lachte, legte seine Hand an die Wange der Frau. „Natürlich nicht...“ Hawke legte zwei Finger zwischen seine Lippen und pfeifte laut, damit er die Aufmerksamkeit der Banditen zurückgewann. „Wir stören ja nur ungern, aber: Seid Ihr...“ Er brach ab, schien nachzudenken. Er wandte sich an den Zwerg. „Varric, wie nennen die sich doch gleich?“ „Black Reapers.“ „Ach ja! Black Reapers... was für ein bescheuerter Name. Jedenfalls: Seid Ihr das?“ Der Anführer verengte die Augen. Dann wandte er sich an seine Kumpanen. „Diese Volltrottel sind wohl auf Ärger aus. Los, zeigt Ihnen, was passiert, wenn man sich mit uns anlegt!“ Hawke zuckte mit den Schultern. „Das heißt wohl 'ja'.“ Varric machte seine Armbrust bereit, die Magier sammelten ihr Mana und Fenris und Carver traten hervor. Der Elf beäugte die Banditen mit einem mörderischen Blick, die Lyriumzeichen, die sich über seine Haut schlängelten, begannen zu leuchten. Einige der Banditen erschraken, wichen zurück. „Beim Erbauer, was- ...?“ „Sterbt!“, rief Fenris und stürmte nach vorne, ehe einer der Banditen reagieren konnte. Einen Augenblick später hatte er den Oberkörper seines ersten Opfers mit bloßer Hand durchstoßen, umklammerte dessen Herz und zog es mit einen Ruck heraus. Die anderen Banditen schrien auf, sichtlich eingeschüchtert von der seltsamen Macht des Elfen. „Tötet das verdammte Klingenohr!“, befahl Rosch, hielt sich aber mit seiner Geliebten weiterhin im Hintergrund auf, machte keine Anstalten, selber zum Angriff überzugehen. Carver eilte an Fenris' Seite, kämpfte mit ihm an vordester Front. Varric legte indes seine Armbrust an, ließ einen Pfeilhagel über die Gegner niedersausen. Anders sammelte sein Mana, legte einen schützenden Zauber über den Zwerg und Carver. Fenris erfuhr nichts von dem Schutz, da der Elf schon des öfteren klar gemacht hatte, dass er nichts von der Magie der anderen wissen wollte. Nur Hawke und Sebastian hatte der Weißhaarige vor geraumer Zeit anvertraut, dass es ihm wegen seiner Lyriumzeichen Schmerzen bereitete, wenn Magie auf ihn angewandt wurden. >“Es war eine von Danarius' Methoden, mich zu disziplinieren“<, hatte er verraten. Hawke hielt seinen Stab vor sich, schloss die Augen, sammelte Energie. In Gedanken öffnete er die Tür zum Nichts, leihte sich etwas Magie daraus und befahl ihr, sich in Feuer zu wandeln. Einen Augenblick später rammte er den Stab gen Boden und eine Welle aus Flammen wurde auf die Banditen losgelassen. Da, wo Verbündete sich befanden, teilte sich das Feuer, damit nur die Gegner verletzt wurden. Einige der Räuber schrien, wälzten sich auf dem Boden – das Feuer war magischer Natur, Hawke konnte es so lange am Leben halten, wie er es wünschte. Jeder Versuch es zu löschen war also vergebens. Anders hielt kurz inne, ihm klappte der Mund auf. Manchmal war es für ihn noch kaum zu fassen, welche Macht Hawke besaß, obwohl er nicht einmal die Ausbildung eines Zirkels 'genossen' hatte. Auch Merrill tat ihr bestes, um der Gruppe im Kampf beizustehen und wandte dabei noch nicht einmal Blutmagie an, was Fenris, Anders und Hawke sehr begrüßten. Sie wirbelte mit dem Stab umher, wodurch sich Blitze formten, die sie dann zwei Gegnern entgegenschleuderte. Einer der Banditen hatte es an den Kriegern und Varric vorbeigeschafft, er stürzte sich auf Hawke, die Dolche bereits im Anschlag. Der Magier aber war flink, er rollte sich unter dem Angriff hinweg, drehte sich und schlug mit seinem Stab nach dem Banditen. Dieser wurde am Kopf getroffen und zurückgeworfen. Obwohl Hawke magiebegabt war und eigentlich auf den Fernkampf spezialisiert sein sollte, hatte er seine Defizite durch jahrelanges Training so gut es nur ging vermindert. Körperlich war er so fit wie jeder Krieger oder Schurke. Wenig später waren auch die letzten der Banditen besiegt – nur Rosch und die Frau waren noch übrig. Fenris und Carver waren sichtlich erschöpft, beide atmeten schwer und schwitzten. Der jüngere Hawke wischte sich über die Stirn. Den beiden letzten Banditen stand der Mund offen, die Augen hatten sie bis zum Anschlag geweitet. Sie standen in einer der Ecken des Raumes, hielten sich an der Hand. Sie waren sichtlich geschockt von der Stärke dieser Fremden; vor allem vor Fenris, Merrill und Hawke fürchteten sie sich. Die Gruppe trat an sie heran, die beiden Banditen wollten zurückweichen, standen aber bereits mit dem Rücken zur Wand. Die Frau presste die Lippen aufeinander. Ihre Augen glänzten. So kurz vor dem Tod schien sie die Nerven zu verlieren. Sie ließ sich auf die Knie fallen und Rosch tat es ihr gleich. Abwehrend hoben beide die Hände um zu zeigen, dass sie unbewaffnet waren. „Wir ergeben uns!“, versicherte die Frau panisch, „Bitte, verschont uns!“ Sie versuchte ein Wimmern zu unterdrücken. Merrill schien sofort Mitleid zu haben, aber Fenris schnaubte nur, bedachte die Banditen mit einem abfälligen Blick. „Nein. Sie müssen sterben“, sagte er zu Hawke. „Aber... sie ergeben sich“, warf die Elfe ein. „Glaubt Ihr, ihre Opfer haben von ihnen Gnade erfahren, wenn sie sich ergeben haben?“ Anders trat vor, nickte, wenngleich es ihm zuwider war, dass er dem Elfen zustimmen musste. „Denkt daran, was Aveline uns erzählt hat. Diese Banditengruppe hat die Dunkelstadt in Angst und Schrecken versetzt. Sie haben die Leute ausgeraubt, Kinder an Sklavenhändler ausgeliefert und Frauen verschleppt und vergewaltigt.“ Hawke verschränkte die Arme. „Varric, was denkt Ihr?“ „Ich denke, dass sie sich vor Angst in die Hosen machen, Hawke. Sie ergeben sich.“ Fenris warf die Arme in die Luft, wütend. „Sicher, lassen wir sie laufen, damit sie morgen weiter morden und rauben können!“ Hawke seufzte, dachte kurz nach. „Gut, ich will mir von keinem nachsagen lassen, dass ich nicht fair wäre. Stimmen wir ab. Fenris?“ „Keine Gnade.“ „Anders?“ „Ich finde auch, dass wir sie nicht davonkommen lassen sollten“, gab der Heiler zu Verstehen. „Gänseblümchen und ich sind der gleichen Meinung“, sagte Varric, „wir sollten sie laufen lassen.“ „Drei zu zwei“, verkündete Hawke und wandte sich an die beiden letzten überlebenden Banditen, „Ihr könnt gehen.“ „Stopp!“, meldete sich eine wütende Stimme. Es war Carver. „Du hast meine Stimme ausgelassen.“ Hawke hob eine Augenbraue. „Deine Meinung dazu will ich erst gar nicht hören.“ Varric presste die Lippen aufeinander, schluckte schwer. Er spürte förmlich, wie sich ein großer Streit an sie heranschlich. Am liebsten würde er schnell weglaufen, denn das würde ganz bestimmt gleich unangenehm werden. Carver sah seinen Bruder wütend an. „Was?! Du redest von Fairness, dabei machst du genau das Gegenteil!“ „Ach ja?“, Hawke verschränkte die Arme, verlagerte sein Gewicht auf sein linkes Bein, „nun gut, nur zu: Was denkst du?“ „Ich denke auch, dass wir sie nicht einfach gehen lassen sollten.“ „Schön, was sollen wir dann mit ihnen machen?“ Carver schnaubte verärgert. „Wir müssen sie töten!“ Einen Augenblick lang war es still. Hawke war sichtlich getroffen davon, dass sein kleiner Bruder sich so skrupellos gab. Bei Fenris und Anders war es etwas anderes, denn beide Männer hatten in ihrem Leben schon viel Schreckliches erlebt aber Carver... Carver war sein kleiner Bruder. Hawke presste die Lippen aufeinander, holte sein Messer hervor, das er in seinem Stiefel versteckt hatte und drückte es dem Schwarzhaarigen in die Hand. „Na dann los“, wies er an, „bring' sie um.“ Carver zögerte. Rosch und seine Freundin blickten zu ihm auf, Todesangst in beider Augen. Die Frau weinte leise. „Was ist jetzt?“, fragte Hawke, „worauf wartest du?“ Carver warf das Messer zu Boden und verließ den Raum dann mit gesenkten Kopf. Als der junge Krieger verschwunden war, ließ er eine Stille zurück, die mehrere Augenblicke lang anhielt. Die beiden Banditen saßen immer noch auf dem Boden, bangten um ihr Leben. Fenris, Anders, Merrill und Varric sagten kein Wort, wussten nicht so recht, was sie tun sollten und Hawke starrte auf sein Messer, das auf dem Boden lag. Er war so wütend. So unglaublich wütend. Aber nicht unbedingt auf Carver, sondern viel mehr auf sich selbst. Es war seine Schuld, dass sich sein Bruder so verändert hatte. Er hatte ihn in diese Stadt gebracht, er hatte ihn auf Athenrils Aufträge mitgenommen, hatte zugelassen, dass er tötete. Das Leben, in Armut und Hunger, das sie führten, hatte Carver abstumpfen lassen. Es hatte ihn noch wütender werden lassen. Plötzlich spürte Hawke eine Hand auf seiner Schulter. Es war Anders. Der Heiler sagte nichts, doch das musste er auch nicht. Allein seine Anteilnahme genügte Hawke. Auch Merrill trat an ihn heran, sah ihn aus großen Augen heraus an. „Ihr vertragt Euch bestimmt wieder“, sagte sie und versuchte optimistisch zu klingen, doch es wollte ihr nicht so ganz gelingen. Der Braunhaarige nickte abwesend. „Lasst uns gehen.“ Die Gruppe verließ das Versteck. Ließ zwei wimmernde Banditen und einen Berg von Leichen zurück. Varric bot an, gleich die Kaserne aufzusuchen und sich dort die versprochene Belohnung von Aveline abzuholen. Merrill begleitete den Zwerg, Anders kehrte in seine Klinik in der Dunkelstadt zurück, wo ihn noch viel Arbeit erwartete und Fenris meinte, er würde in die Oberstadt zurückkehren, noch sichtlich unglücklich darüber, dass sie Rosch und seine Freundin tatsächlich verschont hatten. Hawke machte sich auf den Weg nach Hause, wo ihn ein genervter Gamlen, eine besorgte Leandra und wohl auch ein beleidigter Carver erwarten würden. Wunderbare Aussichten also. Er verließ die Dunkelstadt, betrat den Basar in der Unterstadt und durchquerte diesen, sodass er zu den Wohnvierteln gelangte. Er stieg die Stufen zu Gamlens Haus nach oben und ehe er die Tür öffnete, atmete er tief ein und aus. Wie schon erwartet hatte sein Onkel für ihn natürlich keine freundliche Begrüßung parat, sondern viel mehr eine Triade an Nörgeleien, weil er zum wiederholten Male Briefe für Hawke annehmen hatte müssen, obwohl er doch, wie er selber immer zu sagen pflegte, nicht sein Diener war. Leandra kam gerade aus der Küche und als sie ihren Sohn sah, fiel sie ihm um den Hals, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft auf die Stirn. „Rhys“, sagte sie, nahm dessen Gesicht in beide Hände und untersuchte es auf Verletzungen, „geht es dir gut?“ Ihr Sohn nickte, versicherte sie, dass alles in Ordnung sei und dass der Auftrag, den sie verfolgt hatten, gut ausgegangen sei. „Da bin ich aber froh“, meinte sie dann und wies ihren Sohn mit einer Handbewegung an, sich an den Tisch zu setzen, „Ich habe gekocht. Komm, du musst bestimmt Hunger haben.“ Sie verschwand in der Küche und kam einen Augenblick später mit einem Eintopf zurück, den sie vor ihren Sohn auf den Tisch stellte. „Carver hat schon gegessen“, verriet sie und setzte sich Hawke gegenüber, beobachtete diesen beim Essen. „... Was?“ „Ihr habt euch wieder gestritten, nicht wahr?“ Der Magier erwiderte zunächst nichts, seufzte dann aber und nickte. „Tut mir Leid, Mutter.“ Sie sah ihren Sohn besorgt an. „Seit wir in Kirkwall sind, ist das ja schon zur Gewohnheit geworden, nicht wahr?“ Sie seufzte resigniert. Schon früher, als sie noch in Lothering gelebt hatten, hatte es immer Probleme zwischen Carver und Rhys gegeben, doch in letzter Zeit war es noch schlimmer geworden. Ihre beiden Söhne waren mittlerweile kaum noch im Stande, ein normales Wort miteinander zu wechseln. Als Mutter wusste sie leider wirklich nicht, was sie dagegen unternehmen konnte. Vermutlich nichts. Leider. „Das ist ein sehr guter Eintopf“, lobte Hawke und aß eifrig weiter. Leandra lächelte müde, gab ein leises 'Danke' von sich. Als der Magier fertig war, räumte er das Geschirr in die Küche, wusch es ab und gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange, um sich für das Essen zu bedanken. „Wo ist Carver?“ „In eurem Zimmer“, antwortete Leandra und schien sich zu freuen, dass ihr Sohn wohl einen Versuch unternehmen würde, sich mit seinem Bruder wieder zu vertragen. Hawke machte sich nicht die Umstände, erst zu klopfen, sondern betrat das Zimmer, das er sich mit seinem Bruder und seinem Onkel teilen musste, ohne Umschweife. Er fand Carver auf seinem Heubett sitzend vor; er war gerade dabei, sein Schwert zu reinigen. Der Jüngere sah nicht auf, tat so, als würde er seinen Bruder nicht bemerken. Der Magier stellte sich vor Carver, sah auf diesen herab. „Es war leichtsinnig von dir, einfach abzuhauen“, merkte er an. Sein Bruder erwiderte nichts. „Du hättest auf weitere Banditen stoßen können.“ Immer noch nichts. Hawke seufzte. Er setzte sich auf sein eigenes Bett, das neben dem von Carver stand. Für einen Moment sagte keiner der beiden Männer etwas. Dann sprach der Ältere weiter. „Du hättest auch in der Dunkelstadt von anderen Banditen angegriffen werden können.“ Carver sah endlich auf, sichtlich frustriert und wütend. „Ich bin kein Kind, ich weiß mich zu verteidigen.“ „Gegen eine ganze Gruppe?“ „Wenn es nötig ist.“ Hawke schnaubte, verschränkte die Arme. „... Warum hast du mir das Messer gegeben?“ „Damit du den Unterschied siehst.“ „Welchen Unterschied?“ „Es ist etwas anderes, im Kampf zu töten, als jemanden zum Tode zu verurteilen, der sich bereits ergeben hat – diesen Unterschied.“ Es folgte abermals eine kurze Stille. Carver überkam die Erkenntnis, doch würde er seinem Bruder nicht die Genugtuung geben, sich einsichtig zu zeigen. Er fühlte sich noch immer ungerecht behandelt und das nicht nur an diesem Tag, bei diesem Auftrag, sondern immer. Sein Bruder behandelte ihn immer wie ein Kind. Ein Kind, das außer Stande war, für sich selbst zu sorgen. Carver sah seinen Bruder an, in seinen Augen spiegelte sich Abneigung und Wut. „Hör endlich auf, für mich sorgen zu wollen.“ „Nein, niemals.“ „Verstehst du es nicht? Ich brauche dich nicht, ich kann für mich selbst sorgen.“ Hawke lachte auf. „Ha, wenn ich nicht ständig deinen Hintern retten würde, würdest du schon längst tot in irgendeiner Gasse liegen.“ „Bethany wolltest du auch immer beschützen – und wohin hat sie das gebracht?“ Carver stockte. Die Worte waren aus seinem Mund gekommen, ehe er darüber nachgedacht hatte. Er bereute sofort, was er da gesagt hatte, doch konnte er es nicht mehr zurücknehmen. Er sah auf, blickte in die bernsteinfarbenen Augen seines Bruders. Dieser sah ihn mit einem Blick an, den Carver bis jetzt noch nie bei ihm gesehen hatte. Hawkes Augen wirkten dunkler als sonst, an seinen Schläfen traten blaue Adern hervor, seine Lippen waren aufeinander gepresst. Plötzlich sprang der Magier auf, hechtete nach vorne. Er packte Carver an seinem Hemd, riss ihn herum und warf ihn zu Boden. „Du undankbarer-!!“ „Rhys!!“ Hawke wirbelte herum. Seine Mutter stand in der Tür, sah ihn geschockt an, hatte die Hände über ihren Mund gelegt. Der Magier schluckte schwer, ließ von Carver ab, den er mit beiden Händen gen Boden gedrückt hatte. Er ging an seiner Mutter mit gesenktem Kopf vorbei und verließ das Haus. Seine Familie sollte ihn bis zum nächsten Morgen nicht mehr sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)