Invictus von Lillithyen-Lejylana ================================================================================ Kapitel 4: Epilog ----------------- Mit gemischten Gefühlen sah der König von Ferelden der Kutsche nach, die in Richtung Sonne fuhr. Der große, orangeglühende Ball neigte sich der Erde zu, würde bald versinken. Er hatte Verständnis dafür, dass seine Königin morgen allein sein wollte. Die vergangenen zwei Jahre war sie ebenfalls um diese Zeit abgefahren. Sie war in guten Händen, Teagan würde ein Auge auf sie haben, einige fähige Männer begleiteten sie. Alistair wagte einen Blick in den Himmel, der sich langsam dunkel verfärbte. Ein atemberaubender Anblick, wie immer.   „Noch eine Kutsche, Majestät“, informierte ihn ein Stallknecht, der eben noch dafür gesorgt hatte, dass die Pferde richtig eingespannt waren, über das Offensichtliche. „Sieht wohl so aus, als ob wir noch Gäste bekämen, was?“ Alistair hob eine Hand. „Geh nur hinein und iss endlich etwas. Ich kümmere mich selbst darum.“ „Sehr wohl.“ Der Junge lächelte ihn an und verschwand. Zurück blieben ein König und einige Wachen, die um die Residenz herum postiert waren. Je näher die Kutsche kam – sie kam direkt von der gegenüberliegenden Straße – desto mehr glich sein Magen einem Steinklotz. Schweiß brach ihm aus, seine Handflächen wurden feucht. Sein Herz klopfte in der Kehle. Drei Jahre waren seit dem Sieg über den Erzdämon und seine Verderbnis vergangen, drei Jahre, in denen er hatte ein König sein müssen, der er nicht sein wollte, drei Jahre, in denen das Volk endlich wieder in Frieden leben konnte und dennoch war seine Reaktion bei dem Gedanken an die Graue Wächterin, die ihm zum Wohle aller das Herz gebrochen hatte, immer noch dieselbe. Er wusste nicht, ob es inzwischen ein wenig lächerlich wurde, doch es gab kaum einen Tag, an dem er nicht an sie dachte.   Die Kutsche kam vor ihm zum Stehen. Der Kutscher grüßte respektvoll vom Kutschbock aus und Alistair bedachte ihn mit einem knappen Lächeln. Etwas Dumpfes schlug von innen an den Verschlag und der König hob eine Augenbraue. Abermals rüttelte es. Wachsam griff Alistair von außen zum Griff, eine Hand hielt er in der Nähe seines umgegurteten Schwerts. Beim Versuch, die kleine Tür zu öffnen, bemerkte er, dass sie klemmte. Mit beiden Händen riss Alistair die Tür auf und konnte gerade noch zur Seite gehen, als etwas – vielmehr jemand – rückwärts herausfiel und ächzend auf der Erde liegen blieb.   Überrascht beugte sich Alistair über den blonden Elfen. „Geht es Euch gut?“ „Das müsstet Ihr noch mittlerweile gewohnt sein, oder, König Alistair? Dass sich die Leute bei Eurem Auftauchen sofort in den Staub werfen. Ich wollte nur höflich sein.“ Zevran verdrehte die Augen und klopfte behelfsmäßig seine Kleidung ab. „Ich rede schon ewig, dass wir eine neue Kutsche brauchen oder diese zumindest repariert werden muss, aber ich könnte genauso gut mit einer Wand sprechen, die würde wenigstens zuhören.“ Alistair wandte seinen Blick von dem Meuchelmörder, mit dessen Ankunft er nicht gerechnet hatte, ab, hinein in den Innenraum der Kutsche. Ihre Finger lagen bereits am Rahmen, der Kopf folgte nach. Rubinrotes Haar, das zu einem kunstvollen Zopf geflochten war, kam zum Vorschein, dann ein bleiches Gesicht mit schneegrauen Augen.   Der König vermutete, sein Herz würde jede Sekunde explodieren. Aber wenigstens hatte er sie im Angesicht seines Todes noch einmal gesehen.   Sie streckte die Hand nach ihm aus und Alistair besann sich seiner Manieren. Er half ihr aus der Kutsche, ihre Finger krallten sich fest in seine Hand, mit der freien Hand sammelte sie den Rock ihres Gewandes zusammen. Sein Mund wurde trocken, das Atmen fiel ihm schwer. Ihr Kleid war blutrot, goldene und schwarze Stickereien zogen sich über Rock und Mieder. Ihre Augen glänzten, ihr Mund lächelte. „Alistair“, begrüßte Aphrael ihn, ohne irgendeinen Titel zu benutzen. Er grinste, packte sie an der Taille und wirbelte sie herum. Sie lachte schreiend, strampelte, damit er sie wieder auf die Erde ließ und umarmte ihn. „Es tut so gut, Euch zu sehen.“ Am liebsten hätte er sie festgehalten und sie geküsst. Er würde es nicht tun, nicht in Gegenwart von Zevran, nicht im Blickfeld seiner Wachen. „Graue Wächterin“, erwiderte er feierlich. Zevran räusperte sich übertrieben laut. „Haben wir nicht etwas vergessen?“ Alistair grinste ihn spöttisch an. „Wollt Ihr auch durch die Luft fliegen? Ich habe neue Stiefel, ich würde sie gern an Eurem Hinterteil ausprobieren.“ Der Elf lachte laut auf. „Beim Erbauer, unser König ist schlagfertig geworden.“ Er zwinkerte Aphrael zu. „Eigentlich meinte ich dich.“   Die vertraute Ansprache war eine Ohrfeige für Alistair, doch er schob den Gedanken schnell beiseite. Er hatte Zevran Aphraels Leben unter Flüchen, Drohungen und Betteln anvertraut, sie waren schon damals gut miteinander ausgekommen. Es war nur verständlich, dass sie lange Reisen und viele Feinde noch enger aneinandergeschweißt hatten. „Alistair?“ Aphrael ging zurück zur Kutsche. „Ich möchte dir gern jemanden vorstellen.“ Ihre Hände zielten ins Innere der Kutsche. Einen Herzschlag später tippelten kleine Füße die schmale Treppe herunter. Hände klammerten sich um Aphraels Finger.   Jetzt war es ein höllischer Tritt in den Bauch. Alistair starrte auf den Jungen, der ihn mit großen, braunen Augen unter seinen langen roten Haaren heraus ansah. Spitze Ohren ragten zwischen den wilden Strähnen heraus. Aphrael legte schützend ihre Hände auf die Schultern des Kindes. „Das ist Duncan. Liebling, sag hallo. Das ist Alistair.“ „Der König von Ferelden“, ergänzte Zevran und klopfte gegen die Kutschwand. „Hey, Schnarchnase, wir sind da!“ Etwas grunzte, dann wackelte die ganze Kutsche und Taref sprang heraus. Er war so schnell an Alistair hochgesprungen, dass jener große Mühe hatte, sein Gleichgewicht zu halten. Unter lautem Gebell wurde die Begrüßung abgeschlossen und Taref bezog Stellung nehmen dem Kleinkind, das immer noch an Aphraels Hand hing. Der Junge klopfte dem Hund gegen die Seite, seine kleinen Finger glitten über das kurze Fell.   Alistair schluckte und versuchte, seine Sprache wiederzufinden. Dieses Kind konnte kaum älter als zwei Jahre sein. Das Rot von Aphraels Haar war einzigartig, der Junge konnte nur ihr Sohn sein. „Ich… lasst mich Euch Eure Zimmer zeigen. Ich hatte nicht damit gerechnet, drei Gäste empfangen zu dürfen.“ Taref bellte protestierend und Alistair hob abwehrend die Hand. „Vier, ich bitte um Verzeihung.“ „Tut mir leid, aber… sie wollten mich nicht allein gehen lassen.“ Aphrael bedachte Zevran mit einem ärgerlichen Blick, den er mit einem üblichen anzüglichen Grinsen hinnahm. „Obwohl ich als Graue Wächterin gut auf mich aufpassen kann.“ „Natürlich, aber du hast drei Männer, die dich beschützen. Gib uns nicht das Gefühl, nur nutzlose Dekoration zu sein.“ Zevran nahm Duncan auf den Arm und Alistair suchte in ihren Gesichtern unweigerlich nach Gemeinsamkeiten. War Zevran der Vater? Gab es jemand anderen? Oder… Alistair dachte an die Nächte zurück, in denen er mit der Magierin das Lager geteilt hatte. Obwohl die Chancen sehr schlecht standen, dass Graue Wächter Nachwuchs zeugten, so war es nicht unmöglich. Erst Morrigan, dann Aphrael? Der Gedanke hinterließ einen schrecklich bitteren Geschmack auf seiner Zunge. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um. Aphrael hatte nicht lange bleiben wollen, als sie sich zu diesem Besuch hatte überreden lassen, doch Alistair hatte sie überzeugen können, wenigstens eine Nacht zu bleiben. Nur eine einzige Nacht nach mehr als drei Jahren, mehr wollte er nicht. Jetzt wurden seine Pläne durch Zevran (wieder einmal) und das Kind durcheinander gebracht.   Der König übersah die Pracht seiner Unterkunft gern, seine Besucher jedoch nicht. Es überraschte ihn, wie geduldig Zevran mit dem Jungen war, ihm einige Dinge erklärte oder ihn andere einfach angreifen ließ. Aphrael blieb stumm, ihre Augen glitten umher, immer wieder über Duncan, oft über ihn selbst, wie Alistair bemerkte. Er führte sie nach oben und bat eine Zofe, dafür zu sorgen, dass Duncan einen Schlafplatz und einige Spielsachen und Taref eine ordentliche Verpflegung bekam. „Nun, geizig seid Ihr schon mal nicht geworden.“ Zevran stieß Alistair mit dem Ellenbogen an und ließ Duncan auf das breite Himmelbett fallen. Der Junge jauchzte und streckte die Arme nach ihm aus, damit er ein weiteres Mal in die Kissen plumpsen konnte. Taref stemmte sich auf die Hinterläufe und beobachtete den Jungen mit heraushängender Zunge wachsam.   Das Bild war auf eine gewisse Weise morbid, befand Alistair, letztendlich gewann jedoch die Freude, Aphrael - und Zevran - zu sehen, überhand. Ihm war nicht entgangen, dass beide großzügig bewaffnet waren, doch das war eine Angewohnheit, die er selbst nie abgelegt hatte. „Es ist wunderschön“, urteilte Aphrael mit sanfter Stimme, berührte sacht seinen Unterarm. „Danke für die Einladung.“ „Ich glaube, es war wohl eher ein Befehl. Drei Jahre habt Ihr mich warten lassen.“ Anklagend, aber mit einem Lächeln, wandte sich Alistair der Elfe zu. Sie war so schön wie eh und je. Eine Narbe zog sich inzwischen quer über ihre linke Wange. Seine Fingerspitzen kribbelten. „Ich freue mich, Euch zu sehen.“ Zevran achtete darauf, dass Duncan nicht aus dem Bett fiel (wobei auch Taref dieser Aufgabe durchaus gewachsen war), neigte jedoch das Gesicht soweit, dass er Alistair einen kurzen Blick zukommen lassen konnte. „Können wir uns irgendwo noch ein wenig unterhalten? Duncan sollte eigentlich langsam ins Bett… er hat während der Fahrt kein Auge zugetan.“ „Ich bleibe bei ihm“, sagte Zevran, als wäre es selbstverständlich für ihn, auf ein kleines Kind aufzupassen, „geht ihr nur.“ „Danke.“ Aphrael lächelte, küsste Duncan auf die Stirn und wünschte ihm eine gute Nacht. Taref bekam einen kurzen Klaps auf die Flanke, den er mit einem leisen Grunzen quittierte. Spätestens, als Duncan ihren Kuss feucht auf ihrer Wange erwiderte und „Nacht, Mami“, sagte, wusste Alistair, dass er richtig gelegen hatte. „Wir könnten in den Pavillon gehen. Die Nächte sind nicht mehr so kalt“, schlug er vor, damit sich der Kloß, der sich in seinem Hals bildete, nicht erst verfestigte. „Wunderbar.“ Die Elfe hakte sich bei ihm unter und sie durchquerten das große Entree der königlichen Residenz. Auf halbem Weg hörten sie Zevrans Stimme rufen: „Oh, Alistair? Habt Ihr eine Minute für mich? Nur um der alten Zeiten willen.“ Aphrael knuffte ihn in die Seite. „Ich werde warten. Wo muss ich hin?“   Alistair erklärte ihr den Weg - er war leicht zu merken - und wartete, bis die Wächterin aus seinem Blickfeld verschwunden war, ehe er sich dem Meuchelmörder zuwandte. „Wie kann ich Euch helfen?“ „Es ist schon eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“ Zevran lächelte nichtssagend und das beunruhigte den König von Ferelden. „Wir haben viel zusammen durchgestanden. Eine Verderbnis aufgehalten. Einen Erzdämon besiegt. Gelacht, gefeiert, getrauert.“ „Kommt zur Sache, Zevran. Zeit ist auch heute noch kostbar.“ Alistair verschränkte die Arme vor der Brust. Der Elf verbeugte sich spöttisch. „Wegen dieser alten Zeiten möchte ich Euch warnen. Ihr seid im Begriff, mit meiner Ehefrau zu sprechen, Majestät. Wenn sie auch nur eine Träne wegen Euch vergießt, wird Ferelden einen neuen König brauchen. Ich hatte genug damit zu tun, all die anderen Tränen zu trocknen, die sie wegen Euch bereits verschenkt hatte. Jedem anderen Mann hätte ich einfach meinen Dolch ins Herz gerammt, aber bei Euch mache ich eine Ausnahme.“ Seine Mundwinkel bogen sich zu einem eisigen Grinsen. Alistair zählte langsam bis zehn, um Zevran nicht sofort bewusstlos zu schlagen, obwohl er sich nicht sicher war, in der Zwischenzeit möglicherweise eine Klinge zwischen den Rippen stecken zu haben. „Ihr habt sie schon damals geliebt, oder?“ „Schuldig im Sinne der Anklage.“ Zevran hob die Schultern. „Weiß sie das?“ „Natürlich.“ Alistair atmete scharf aus. „Um der alten Zeiten willen will ich Euch bitten, gut auf sie Acht zu geben. Sie zu beschützen. Und ihr Herz nicht zu brechen. Wenn ich Euch nicht kennen würde, wäre es ein königlicher Befehl.“ Zevran salutierte grinsend. „Selbstverständlich, König Alistair von den Grauen Wächtern.“ Sein Grinsen erlosch. „Ihr wisst, dass sie nirgendwo besser aufgehoben sein könnte als bei mir.“ „Das ist fraglich“, erwiderte Alistair und drehte einem Assassinen, seinen Instinkten zum Trotz, den Rücken zu. Er wollte Aphrael nicht länger warten lassen. Auf dem Weg nach draußen gestand er sich ein, dass Zevran Recht hatte. Und sicherlich wusste der Elf darum. Ein frustrierender Gedanke.   Die Wächterin stand in dem weißen Pavillon, die Hände an der Brüstung abgestützt, und genoss die Abendluft. Die Kerzen hier waren bereits entzündet worden, einige Sitzmöglichkeit und Kissen standen und lagen verstreut herum. Alistair war selten hier. Dies war ein Ort, den Liebende aufsuchten. „Zevran, ja?“, sprach er das Erste aus, das ihm durch den Kopf ging. Sie drehte sich nicht einmal zu ihm um, ihr leises Lachen jagte ein Kribbeln durch seine Magengrube. „Ich wusste, dass er nicht lange damit hinter dem Berg hält.“ „Liebst du ihn?“ „Ob ich ihn liebe?“ Aphrael sah ihn an, als er neben sie trat. „Ja, das tue ich. Ich habe angefangen, ihn zu lieben, weil er Duncan wie seinen eigenen Sohn behandelt.“ Seine Finger krampften sich um das Geländer. „Heißt das… er…“ Sie lächelte schmerzlich. „Spielt das denn eine Rolle?“ „Für mich schon.“ Seine Augen blitzten. „Erst rennt Morrigan mit meinem Kind davon, und dann-“ Ihr Zeigefinger landete auf seinen Lippen. „Ehrlich gesagt, Alistair, weiß ich es nicht. Vielleicht wird es sich zeigen, wenn er älter wird, doch momentan… kann ich es nicht genau sagen.“ Er ächzte. „Das war nicht die Antwort, die ich haben wollte.“ „Tut mir leid, aber das ist die Wahrheit.“ Ihre Fingerspitzen glitten von seinem Mund über seine Wange. „Wie geht es Anora?“ „Gut, denke ich. Morgen ist der Todestag von Loghain. Um die Zeit ist sie nie hier.“ Alistair fuhr sich über die Haare. „Sie wird nach wie vor vom Volk geschätzt. Sie ist eine gute Königin. Eine kluge.“ Aphrael lächelte. „Das ist sie. Plant ihr… Nachwuchs?“ „Ein Thronfolger muss her, ja, aber… bisher war alles ergebnislos. Wir haben getrennte Schlafzimmer. Es ist nicht das gleiche wie mit dir.“   Ihre Arme landeten um seinen Hals, ihre Lippen pressten sich gegen die seinen. Alistair zog sie enger in seine Umarmung, erwiderte den Kuss hungernd. Unruhig glitten seine Hände über ihren Leib, tasteten, erforschten. Er hatte keine Vorstellungen gehabt, wie sehr er wie in Wahrheit vermisst hatte.   „Alistair“, hielt sie ihn davon ab, ihre Röcke noch höher zu ziehen, „warte.“ Widerwillig öffnete er die Augen, suchte in ihrem Gesicht nach dem Grund für ihr Zögern. Sie lächelte immer noch, dieses Mal jedoch angestrengter. „Alistair, nicht hier. Du bist der König. Ich bin eine verheiratete Frau. Was glaubst du, passiert, wenn sie uns dabei erwischen?“ Er brummte, um sein Missfallen auszudrücken, ließ ihr dann endlich genug Platz, um sich wieder ein wenig zu richten. „Du trägst keinen Ring.“ „Zev und ich haben auf Ringe verzichtet. Er hat mir das hier geschenkt.“ Sie zeigte auf ihr rechtes Ohr. Daran befestigt war ein hübscher goldener Ohrring. Sie trug nur diesen einen.   „Bist du glücklich mit ihm?“ „Im Rahmen meiner Möglichkeiten, ja.“ Die Elfe strich sein Wams glatt. „Nicht glücklich genug, als dass ich die Nacht bei ihm schlafen will, wenn ich auch in dein Bett darf. Glücklich genug, um deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben.“ „In meinem Bett ist genug Platz für dich“, entgegnete Alistair. Allein der Gedanke, sie endlich eine Nacht wieder im Arm zu halten, reichte aus, um sein Innerstes vibrieren zu lassen. Er wusste jetzt schon, dass der Abschied grässlich werden würde. Sie würde gehen, bevor Anora zurückkam, doch die Königin wusste, dass Aphrael hier war, dass sie auch in seinem Bett liegen würde. Er hatte Anora damals auf Drängen Eamons hin geheiratet. Rein logisch betrachtet war es ein kluger Schachzug, emotional jedoch… er hatte schmerzvoll erfahren, was es für die Psyche bedeutete, ein Grauer Wächter zu sein. Da waren Monster noch das kleinere Problem.   „Ich werde kurz mit Zevran sprechen“, sagte Aphrael ruhig, die Hand immer noch an seiner Brust, „warte am besten hier auf mich, hier finde ich dich wenigstens.“ Alistair stahl ihr einen weiteren Kuss. „Du willst ihm sagen, dass du…“ „Er wird es wissen. Er weiß es jetzt schon. Was dieses Thema angeht, so macht ihm keiner etwas vor. Als wir beschlossen haben… zu heiraten, haben wir lange darüber gesprochen. Alistair, er weiß, dass ich ihn auf meine Art liebe, aber er weiß auch, dass du… mir mehr bedeutest.“ „Das hat sich also nicht geändert?“, wollte er wissen, bemerkte nicht einmal, dass er sie schon wieder in seine Arme gezogen hatte. „Nein, hat es nicht. Wie sagtest du? Unbezwingbar?“ „Ja.“ Seine Mundwinkel verzogen sich nach oben. „Das ist meine Liebe immer noch. Wird sie immer sein.“ Die Elfe stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sacht. „Lass mir nur ein paar Minuten mit Zevran. Duncan schläft bestimmt auch noch nicht.“ „Wann hast du gemerkt, dass du ein Kind erwartest?“ Sie hob die Schultern. „Erst nach deiner Krönung. Es war alles so viel, wir sind kaum zur Ruhe gekommen. Ich glaube, Zev hat es eher gewusst als ich.“ Auf seinen irritierten Blick hin lachte sie. „Er ist in einem Bordell aufgewachsen, weißt du noch? Was Schwangerschaften angeht, kennt er sich ganz gut aus.“ „Weshalb hast du ihn Duncan genannt?“ „Weil…“ Ihr Gesicht wurde ernst, in ihren Augen flackerte es. Sie tastete nach der Pavillonbrüstung und machte einen Schritt von ihm weg. „Ich dachte, falls es dein Sohn ist, würde dir der Name sicher gefallen.“ „Du hast Recht“, stimmte Alistair ihr zu, „dieser Name ist eine gute Wahl.“ „Ich kannte Duncan nicht so gut wie du. Nicht so lang. Aber ich weiß, dass er ein Vorbild für alle Grauen Wächter war. Für uns alle ist.“ „Was ist mit deiner Blutmagie? Wie kommst du zurecht?“ „Überraschend gut. Manchmal kocht alles unkontrolliert hoch, aber… Duncan und Zevran haben einen Sinn dafür entwickelt. Das klingt lächerlich, doch sie wissen es einfach. Sie schaffen es, mich zu beruhigen. Oder bringen sich rechtzeitig in Sicherheit. Taref ist auch eine große Hilfe.“ „Und was ist mit Duncan? Wird er auch ein …Maleficar?“ „Ich weiß es nicht.“ Sie seufzte mit geschlossenen Augen. „Ich befürchte es. Unser Erbe ist scheinbar nicht aufzuhalten.“ „Wirst du ihn in den Zirkel der Magi geben?“ Der Turm war mühsam wieder aufgebaut worden. Cullen hatte inzwischen den Vorstand angetreten – und war ein eiserner Herrscher über die Magier und Magierinnen. „Nein. Auf keinen Fall. Ich werde ihm beibringen, was er wissen muss. Die Blutmagie ist die mächtigste Magie, die uns bekannt ist. Er wird sich schützen können, so wie ich mich schützen kann. Wie Taramar es konnte.“ Ihr Ton duldete keinen Widerspruch, dennoch wagte Alistair es: „Hast du vergessen, was mit Connor geschehen ist? Isolde wollte ihren Sohn nicht an die Magier verlieren… sie sind schrecklich dafür bestraft worden.“ Sie schnaubte. „Es gibt einen Unterschied zwischen magischen und nicht magischen Eltern. Mein Sohn wird weder von den Templern kontrolliert noch zu einem Besänftigten gemacht, wenn sein Erbe durchbricht.“ Aphrael raffte ihre Röcke. „Sehen wir uns gleich?“ Alistair nickte. Ihr Duft stieg ihm in die Nase, als sie nah an ihm vorbeiging. Er sah die Blutrunen auf ihrer Haut, sie pulsierten sacht. Doch anstatt sie gehen zu lassen, hielt er sie zurück: „Was glaubst du, wird die Zukunft bringen?“   Die Elfe erstarrte, drehte sich langsam zu ihm herum. „Worauf spielst du an?“ Der König von Ferelden zuckte mit den Schultern. „Auf alles. Wie geht es mir uns weiter? Den Grauen Wächtern? Glaubst du, es wird endlich Frieden geben?“ Ihre hellen Augen verdunkelten sich. „Es wird niemals Frieden geben. Frieden muss jedes Mal erkämpft werden und er ist teuer. Er wird mit Blut bezahlt. Was die Grauen Wächter angeht – ich werde mich demnächst wieder um sie kümmern. Ich hatte mich die letzte Zeit wegen Duncan zurückgehalten. Ich wollte wenigstens ein paar Jahre Mutter sein. Wir wissen nicht, wann das Ende kommt, wir wissen nur, dass es kommt. Nicht in einigen Jahrzehnten. Es könnte hinter jeder Ecke lauern. Heute. Morgen. In fünf Jahren.“ „Und was wird aus uns? Wie sieht unsere Zukunft aus? Immer wieder verstohlene, heimliche Treffen aller drei Jahre?“ Aphrael neigte den Kopf. „Es wird diese Treffen nicht mehr geben, Alistair.“   Er spürte, wie sämtliches Blut aus seinem Kopf wich. „Du willst…“ „Du brauchst einen legitimen Erben. Falls Duncan dein Sohn ist, so hat er keinen Anspruch auf den Thron. Er wächst als Duncan Arainai auf, vielleicht wird er ein Grauer Wächter. Aber keinesfalls wird er irgendetwas mit dem Königshaus Theirin zu tun haben. Du hast womöglich schon ein Kind an Morrigan verloren, du solltest dich gar nicht erst an Duncan gewöhnen.“ „Weshalb bist du dann gekommen? Um mir ein zweites Mal das Herz zu brechen?“ Alistair zwang sich zu einem Lächeln. Es wurde bitter, er konnte kaum den Mund bewegen. „Ich gratuliere, das hast du geschafft.“   „Was hast du erwartet?“ Sie sah ihn aufrichtig an, seine starke, unbesiegbare Graue Wächterin. „Ich liebe dich, Alistair. Ich liebe dich so sehr, dass ich für diese Liebe weder meine Familie oder die Zukunft von Ferelden aufs Spiel setzen werde.“ „Ist es das nicht wert?“ Alistair fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Alles tat ihm weh. Er hatte gedacht, er kam mit dem Schmerz inzwischen viel besser zurecht. Er hatte sich geirrt. „Doch, das wäre es.“ Ihre Hände umfassten sein Gesicht. „Aber wenn wir nicht stark sind, mein Liebster, wer wäre es dann? Wenn jeder Grauer Wächter so entscheiden würde, wer würde die Menschen beschützen?“ „Ich…“ Dass in ihren Worten nur Wahrheit lag, machte es weder leichter noch weniger schmerzvoll. „Ich liebe dich.“ „Das weiß ich und es macht alles ein wenig erträglicher.“ Ihre Lippen glitten sacht über seine Stirn. „Dann trefft die Entscheidung, die eines Königs würdig ist, Majestät. Die Euer Volk beschützen wird.“ „Die Graue Wächterin, die nicht einmal von der Liebe bezwungen werden kann“, lachte er, doch seine Stimme klang brüchig, „wird immer an meinem Hof willkommen sein. Ich werde den Grauen Wächtern jedwede Unterstützung zukommen lassen, die sie benötigen.“ „Ich danke Euch.“ Als er aufsah, glitzerte es verdächtig in Aphraels Augen. „Und ständig behauptet irgendwer, die Liebe sei unbesiegbar.“ Alistair nahm ihre Hände, führte sie an seinen Mund. „Dabei ist sie die mit Abstand wohl eigensinnigste Lehrerin.“ „Liebe, Alistair, ist für diejenigen, die frei sind.“ Aphrael löste sich von ihm. „Vielleicht sind wir das eines Tages. Oder in einem anderen Leben.“   Stumm sah der König von Ferelden der Elfe hinterher, wie sie zurück in die Residenz eilte, zu ihrem Ehemann, zu ihrem Sohn. Er lehnte sich gegen eine Säule des Pavillons, die Arme vor der Brust verschränkt, als könne er so die Kälte vertreiben, die sich in seinen Knochen festgesetzt hatte. Vielleicht in einem anderen Leben.   E N D E Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)