Die Nelke von pandine ================================================================================ Kapitel 3: Finale Heimkehr --------------------------  „Du willst wirklich nicht mitkommen?“ Julian sah Liang mit traurigem Blick an. Sie standen sich gegenüber, der Kleine blickte zum Großem auf. Es herrschte eine Atmosphäre der Trennung. Nachdem Thomas wieder fähig war zu reden, hatte er geredet. Er hatte Julian alles erzählt, die gesamte Wahrheit. Die Chilischote schien seiner Zunge Flügel und seinen Worten Wahrheit verliehen zu haben. Julian hatte sich entschieden. Er wollte wieder in sein Elternhaus heimkehren, wollte sehen, wie es seiner Mutter ging. Doch Liang kam nicht mit. „Nein, ich komme später vielleicht noch nach, okay?“, lächelte dieser, nicht minder traurig. Aus einem Impuls heraus umarmte er den kleinen Trauerkloß fest und innig. Unwillkürlich rannen beiden Tränen über die Wangen, als ihre Lippen ein letztes Mal für ein eine unbestimmt lange Zeit sich berührten. „Also heißt es wohl erst einmal Abschied nehmen“, seufzte Julian und kuschelte sich an Liangs Brust, atmete tief seinen warmen, vertrauten Duft ein. „Ja, aber ich habe noch ein Geschenk für dich.“ Er lächelte und zauberte aus den Tiefen seiner Jackentasche eine kleine, handliche Leinwand hervor. Zuerst konnte Julian das Motiv nicht sehen, aber als er es schließlich in den Händen hielt, lächelte er wohlig. Liang hatte ihm mit seiner unverwechselbaren, malerischen Handschrift eine rote Nelke gemalt. Stolz wie eine Rose erhob sie sich aus dem zart wirkenden Glasgefäß, der Hintergrund war in bizarr angeordneten Grün- und Gelbspritzern koloriert, verziert von weißen Sprenkeln, doch nichts schien den Blick von der erhabenen Blume in deren Mitte ablenken zu können. „Es war mal eine Rose, habe ich Recht?“, grinste Julian. Mit einem gespieltem Hauch der Verlegenheit kratzte der Maler sich den Kopf. „Tja...“ „Ich kenne dich ja.“ Der Beschenkte hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, als er dann auch schon fort ging. Er winkte ihm zu, der andere winkte zurück, während beide ihrer Wege gingen. Bis sie wieder zueinanderfinden würden. Julian wählte einen zivileren Weg als den, den er und Thomas auf ihrer Hinreise bestritten hatten. Thomas kam mit ihm mit, ganz in Schwarz gekleidet, aber mittlerweile mit sauberen Sachen und von Ruß befreit. Julian hatte sich dazu entschieden, ihn mitzunehmen, um Rechenschaft für ihn einzufordern. Beim Planen der Reiseroute hatte Liang ihm geholfen. Er war erstaunlich geschickt daran, das beste Angebot was Züge und Preise betraf herauszufinden und die kürzeste Route zusammenzustellen. Aber vielleicht war es auch nicht so verwunderlich, wenn er vor seiner Begegnung mit Julian und seiner Niederlassung bei ihm ständig durch die Welt gereist war. Unwillkürlich fragte Julian sich, ob Liang das vermisste. Die weite Welt sehen. Er persönlich war nie großartig herum gereist, wer weiß, vielleicht änderte sich das ja, wenn er die Sache mit Thomas und seiner Mutter geregelt hatte. Vielleicht konnte er dann mit Liang an seiner Seite die Welt endlich entdecken. Unbewusst hatte er angefangen, zu lächeln, während er die vorbeiziehenden Landschaften betrachtete. Thomas saß ihm direkt gegenüber im Zug und starrte nur argwöhnisch vor sich hin. Dadurch, dass er es verhindern wollte, ist es erst passiert! Es war wirklich dumm von ihm, zu glauben, dass Liang Julian umbringen würde. Nun würde er seiner Strafe entgegen sehen müssen. Innerhalb von wenigen, schweigsamen Tagen hatten sie schließlich Julians Elternhaus erreicht. Ein leiser Anflug von Wiedererkennen flammte in ihm aus, doch viel war es nicht. Er erinnerte sich nur an die Wärme der Frau, die seine Mutter war. Mehr nicht. Und genau zu eben dieser Frau wollte er nun. Entschlossen betrat er das Gelände und wünschte sich bis zu ihr durch. Die Diener gaben ihm bereitwillig Auskunft. Zügig stand er vor der Tür des Raumes, in der seine Mutter sein sollte. Doch die Tür war zu und ließ sich nicht öffnen. Nun stand er im Flur, weit und breit keiner zu sehen, der ihm den Schlüssel geben konnte. Gut, dann eben ohne Augenkontakt. „Mutter, seid Ihr noch am Leben oder tot?“, fragte er mit auf einmal brüchiger Stimme. Er verfluchte sich innerlich für seine Anrede. Sie war doch seine Mutter, wieso also siezte er sie? Er nahm seine tiefe Unsicherheit war. „Ich habe doch eben gegessen und bin satt“, kam es von einer freundlichen, warmen, vertrauten Stimme. Sie kam ihm bekannt vor, sie war ihm so vertraut. Er war beinahe davor, in Tränen auszubrechen. „Nein, ich bin es. Ich bin Euer-“ Er unterbrach sich und biss sich auf seine Lippe, schluckte und atmete tief ein. „Ich bin dein Sohn. Ich bin am Leben und nicht tot, ich werde dich bald daraus holen, okay?“ Es kam keine Antwort, doch füllten leise Schluchzer die Distanz zwischen den beiden Herzen. „Habe ich dich richtig verstanden?“, fragte der Mann, der Julian so unheimlich fremd erschien und doch sein Vater sein sollte, nachdem er, ohne es zu wissen, mit nachdenklicher Miene seinem verlorenem Sohn zugehört hatte. „Du willst als Jäger bei uns anfangen?“ Julian nickte, bereute seine idiotische Idee aber auch schon. „Ja, also, wenn du gut ausgebildet bist, soll mein Wort das letzte sein, dass dich daran hindert, aber es gibt ein Problem: Hier in dieser Gegend ist zu keiner Zeit Wild herumgelaufen. Du wirst nichts haben, dass du schießen könntest“, widersprach sein nichtsahnender Vater dem Vorhaben von Julian. „Das ist kein Problem, vor mir konnte sich noch kein Wild verstecken“, lächelte dieser aufmunternd, aber auch leicht verkrampft. „Na gut, dann versuch dein Glück“, meinte sein Vater dann. War da eine Spur von Herausforderung in seiner Stimme? „Geh und verrichte deine Arbeit.“ Das tat Julian auch. Doch Thomas musste ihm helfen, heimlich natürlich. Bald standen sie in einer versteckten Nische des weitreichenden Waldes, der Julian vertrauter war als sein Elternhaus, und Julian fing an, sich ganz stark und krampfhaft Wild herbei zu wünschen. Sein Wunsch musste weit, weit reichen, damit irgendein Hirsch oder was auch immer seinen Wunsch erhörte. Und tatsächlich, als Julian schon die Schweißperlen den Nacken hinunterliefen, kam hier und da ein Hirsch, ein Reh, zwei Kaninchen und allerlei andere Tiere. Ein präziser Schuss nach dem anderem ertönte von Thomas, der diesen Tieren einen schmerzlosen Tod bereitete. Keines der Tiere schreckte zurück, Julian hatte nun doch ein wenig Mitleid mit ihnen, aber... Es ging nicht anders. So war das Gesetz der Natur nun einmal und er hoffte sehnlichst, dass keine Eltern hierher gelaufen waren. Er würde später, wenn alles geklärt ist, nach Waisen im Wald Ausschau halten. Mit Liang. Allein der Gedanke an ihn füllte Julians Bauch mit einem angenehmen Kribbeln. Wann würde er ihn wohl wiedersehen? Wann wieder seinen Geruch riechen? Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte Julian auf, sich noch mehr Wild herbeizuwünschen. „Das müsste reichen, oder?“ Er schaute den Haufen nur aus den Augenwinkeln an. Ein wenig schauderte ihn der Anblick von Blut doch. Und es war so viel. „Ja“, antwortete Thomas einsilbig. Er betrachtete den Haufen seinerseits mit großer Bewunderung und, wenn Julian sich nicht irrte, Begeisterung. Sein Jagdgeschick war nicht zu unterschätzen. „Also, ich rufe Va...“, Julian stockte, zwang sich aber, weiterzureden, „...ter an, damit er das hier abholen kann.“ Schnell hatte er die Nummer in sein Handy eingetippt. Der Mann am anderem Ende der Leitung hob auch relativ schnell ab. „Ja, Marcel Mair am Apparat?“, ertönte die Begrüßungsphrase. „Hallo, hier ist Julian. Wi-Ich habe eine Menge Wild erlegen können, es wäre nett von Ihnen“, er schluckte das Fremdartige herunter, „wenn sie es abholen kommen könnten.“ „Was? So schnell?“ Er hörte deutlich die Ungläubigkeit und konnte sich seinen passenden Gesichtsausdruck leicht vorstellen. „Ja, es war ein Kinderspiel“, log Julian, während er sich mit seinem T-Shirtsaum die Schweißtropfen von der Stirn abtupfte. „Scheint so. Ich lasse jemanden schicken, wo bist du gerade?“ „Im Wald, ich denke ungefähr in der Nordhälfte, dort bei der großen Eiche mit dem rotem Vogelhaus“, beschrieb er die Lichtung, auf der sie gerade waren. „Okay, es kommt sofort jemand.“ „Ich warte.“ Das Tuten erklang als Zeichen, dass der Gesprächspartner aufgelegt hatte. Der Mitarbeiter, der das Wild und Julian – Thomas musste sich im Wald versteckt halten – abholte, staunte nicht schlecht, als er den beachtlichen Haufen ansah und auf eine von zwei kleinen, stämmigen Ponys gezogene Kutsche, an die er ein paar Anhänger gehängt hatte, damit das Fleisch transportieren konnte. Er lobte Julian während der Kutschfahrt in den Himmel, er war sichtlich begeistert. Julian hingegen lächelte nur milde, zu müde und auch immer noch mit Ekel und Schrecken beim Anblick der bald vom Regen fortgespülte Blutspur, die sie hinter sich zogen. „Du hast gute Arbeit geleistet. Heute wird mit einem Festmahl gefeiert!“, lobte auch sein Vater ihn in höchsten Tönen. Er klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Du sollst heute neben mir sitzen, Bursche!“ „Ach was, ich bin doch nur ein schlechter Jäger, mir gebührt so eine Ehre nicht“, wies Julian ihn ab, doch lange konnte er seinen Widerstand nicht halten, denn sein Vater bestand fest darauf und ließ sich nicht davon abbringen. Beim abendlichem Essen fand er sich nun neben seinem Vater wieder, ein wenig unangenehm war es ihm schon. Außer den beiden saß auch noch die halbe, wenn nicht sogar die ganze Dienerschaft zu Tisch, doch richtig herausstechen tat niemand. Sie wirkten alle irgendwie... gleich, auch wenn Julian sich größte Mühe gab, sich all ihre Namen zu merken. Nur ein Zwillingspaar fiel ihm nach einer Weile auf, zwei Frauen, die ihm merkwürdig vertraut vorkamen. Aus irgendeinem Grund fing er an, an seine Mutter zu denken. Schnell rührte sich der Wunsch in ihm, dass irgendeiner, dem Vater zuhörte, von ihr zu reden anfing. „Das Essen ist wirklich exzellent. Ich frage mich ja, wie es Eurer Ehefrau geht. Ob sie wohl noch lebt oder schon unter den Sternen weilt?“, fing dann tatsächlich der Verwalter des Anwesens an. Sofort verzog sich das Gesicht des Hausherren zu einer Grimasse. „Das kann mir egal sein, sie war es doch, die den kleinen Jungen verloren hat.“ Seine Augen waren voll Trauer, als er daran erinnert wurde, doch Liebe hatte er für sie keine mehr. „Gnädiger Vater, sie ist noch am Leben und ich bin ihr Sohn. Dein Sohn“, erhob sich Julian nun, er konnte es nicht länger ertragen, „Es war nicht Mutter, die mich verloren hatte. Der alte Koch Thomas hatte mich mit einer List geraubt!“ Julian machte eine Pause, in der er den Wunsch formte, dass Thomas, der inzwischen wieder schwarz von Ruß war, hineinkommen würde und so viel Chili essen würde, dass sein Rachen höllisch brannte. Das geschah kurze Zeit später auch, er war nicht weit entfernt gewesen und irgendeiner der Köche hatte ein besonders scharfes Gericht gezaubert, welches als Chiliersatz herhalten musste. „Das ist der, der dich in diese Trauer geführt hat!“, rief Julian laut und zeigte auf den alten Koch. Bald erklangen die Klagelaute von Thomas, doch hörte er nicht eher auf zu essen, als Julian wieder seine Stimme erhob: „Und nun sollt ihr ihn sehen, wie er ohne Ruß ist!“ Man brachte ihm einen großen Wassereimer, in dem er sich baden konnte. Sobald der König das Gesicht seines ehemaligen Kochs erblickte und verstand, rührte sich Wut in ihm. „Er war es also! Sperrt ihn in einen finsteren Raum und lasst ihn nie wieder das Tageslicht erblicken!“ Ohne die Hilfe von biologischen Botenstoffen folgten augenblicklich die Diener, die Thomas am nächstem waren, dem Befehl ihres Herrn. „Vater“, Julian konnte es nun ohne Zögern aussprechen, „möchtest du auch denjenigen sehen, der mir die ganzen letzten Jahre zur Seite stand?“ Sein Vater holte erst einmal tief Luft, versuchte, seinen auf brodelnden Zorn zu zügeln, ehe er antwortete: „Gerne.“ „Hier, sieh mal, das hat er mir gemalt“, sagte Julian dann doch zuerst und zog das Bild, das sein liebster Künstler ihm gemalt hatte, aus seiner Jacke und reichte es seinem Vater. Staunend strich dieser über das Bild, betrachtete die Farben und das Motiv, welches er so noch nie erblickt hatte. Während er in Staunen versunken war, rief Julian Liang an. Nach einmaligem Klingen nahm Liang ab. „Julian?“ Zuerst stockte Julian. Es war so schön, seine Stimme zu hören, auch wenn sie ein wenig verzerrt klang. „Ja, ich bin es. Kannst du zu mir kommen?“ Julian hatte das Gefühl, dass seine Stimme zitterte, auch wenn es nicht der Fall war. Wieso war er so aufgeregt, nervös? „Klar. Ich bin auch so schon auf dem Weg zu dir, ich wollte dich sehen.“ Julian stellte sich das Lächeln vor, das ihm mit Hilfe der Stimme übertragen wurde. „Ich dich auch.“ „Ich dich mehr.“ Erstaunt drehte Julian seinen Kopf Richtung Eingang, in dem Liang grinsend stand und seine Arme ausbreitete. Der Jüngere vergaß all seine Manieren und Bedenken, lief einfach los und warf sich seinem Geliebtem in die Arme. Er weinte, als er dessen Geruch tief einatmete, sich von ihm über den Kopf streicheln ließ und sich an seine Brust klammerte. „Alles ist gut, du musst doch nicht weinen.“ Da ertönte ein Räuspern von Julians Vater. Peinlich berührt lösten sich die Verliebten so weit voneinander, dass sie dem Erwachsenen am anderem Ende des Raumes in das Gesicht sehen konnten. „Julian, magst du mir den jungen Herrn nicht vorstellen?“ „Ä-ähm... Das ist Liang Shen, mein... F-f-f-reund“, antwortete Julian, während er beim letzten Wort sich doch noch dazu entschied, sein Gesicht an Liangs Brust zu vergraben. So bekam er auch nicht die hochgezogene Augenbraue seines Vaters, Marcel, mit und dieser konnte das glühende Gesicht seines Sohnes nur erahnen. „Aha...“, sagte dieser ausgedehnt und nahm den Freund seines Sohnes näher in Augenschein. Er hätte nie erwartet, seinen Sohn wiederzusehen und selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er es sich nicht ausmalen können. Nun, wo dieser aber leibhaftig vor ihm stand erwartete ihn gleich die nächste Hürde: Sein Sohn war schwul. Was war in den letzten Jahren bloß passiert? Der älterere Herr seufzte. Er würde sich wohl damit vereinbaren müssen, schließlich wollte er seinen Sohn, den er eben erst wiedergefunden hatte, nicht erneut verlieren. Und, zugegebenermaßen, dieser Liang sah auch nicht sooo schlecht aus. „Also... Willkommen in der Familie, Liang Mair“, scherzte Marcel halb im Ernst, halb zum Spaß. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)