Natürliche Auslese von Erenya ================================================================================ Kapitel 1: Natürliche Auslese ----------------------------- Fest umklammerte er das Buch in seinem Arm, als er den Gang entlang lief und eine Tür nach der anderen hinter sich ließ. Er war wahrscheinlich der Einzige, der sich frei bewegen durfte, denn von den ganzen Probanden war er der Älteste. Seit Jahren war er nun schon in der Toue Inc. Als einer der ersten Jungs hatte er viele fähige Experimente- er wollte seine Leidensgenossen nicht Menschen nennen- dahin siechen sehen. Sie waren alle bei der Operation für diese unempfindlichen Augen gestorben. Am Anfang hatte er noch die anderen betrauert, nachdem er sich mit ihnen angefreundet hatte, doch mit der Zeit hatte er gelernt diesen Schmerz zu ertragen, indem er gar nicht erst auf die Idee kam eine Freundschaft aufzubauen. Zunehmend distanzierte er sich, überließ die Mitleidenden ihrem Schicksal und vergrub sich in den Büchern, um so viel wie möglich über die Welt da draußen zu lernen. „Lass mich los, du Psychopath!“ Er hielt in seinen Schritten inne und sah zu der Tür des Zimmers, aus dem die Schreie kamen. Zimmer 340. Wie immer. „Vorsicht... Dein Arm bricht sonst.“ Die Schreie aus dem Zimmer wurden lauter und schließlich verstummten sie unter einem Knacken, was ihm verriet, dass da drinnen mehr gebrochen wurde als nur der Arm. Leise seufzte er und wandte sich von dem Zimmer ab. Er wollte mit Objekt 666 nichts zu tun haben. Sein Name war Trip, er war jünger als er und hatte scheinbar Spaß daran, den anderen Insassen, die ihm zu nahe kamen, das größte Leid zuzufügen. Die Wissenschaftler waren schon am Verzweifeln, weil sie keine anderen Jungs in seine Nähe, geschweige denn in einem Zimmer mit ihm lassen konnte. Meist endete es in einem Blutbad, oder mit gebrochenen Rippen. Er ignorierte die Forscher, die panisch an ihm vorbei liefen, in die Richtung von Zimmer 340. Es ging ihn nichts an. Und es war ihm egal, was sie nun mit dem Jungen machten. Er wollte nur zurück in sein Zimmer, um sein Buch zu lesen, seinen Tee zu trinken und auf die nächsten Experimente zu warten. ***~~~*** Das Piepen der Maschinen hallte in seinen Ohren wider. Er versuchte sich auf seinen eigenen Monitor zu konzentrieren, der ruhig und gleichmäßig weiter piepte, als man ihm das Aufbaupräparat injizierte. „So, Virus-kun. Wir haben deine Dosis etwas erhöht. Halt es brav durch und der Schmerz geht schnell vorbei.“ Es war ihm egal, was der Wissenschaftler ihm sagte. Solange er nicht in Panik ausbrach, würde das Mittel nicht zu schnell durch seinen Blutkreislauf gejagt und zu seinem Herzen kommen. Je langsamer es dort ankam, desto kleiner waren die Dosen. Es war bereits die vierte Medikamentenerhöhung. Die Erste hätte ihm fast das Leben gekostet, doch dank seines starken Willens hatte er überlebt. Nun waren diese Dinge Routine geworden, genauso wie die panischen Schreie seiner Mitprobanden. Die hohen Frequenzen der Apparate störten ihn nicht mehr, wenn er sich auf seinen eigenen konzentrierte. Heute würden wohl wieder gut fünf bis zehn Kinder das Zeitliche segnen. Immerhin hatten sie es dann hinter sich. Virus holte tief Luft und schloss die Augen. Er lauschte dem monotonen Piepen seines Monitors, zählte bei jedem Piep ein Schäfchen, das über einen Zaun sprang, und schlief ein. Benommen ging Virus über den Gang zurück in sein Zimmer. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an sein Buch, auch wenn er wusste, dass es ihm nicht genug Halt geben würde. Dennoch, er zeigte nach außen hin keine Schwäche, keine Emotionen, nichts. „Oi... Du...“ Er wusste, dass er sich diese Stimme nicht eingebildet hatte. Und es war wirklich selten, dass ihn jemand ansprach. Fragend wandte er sich um und sah ihn: Den rothaarigen Psychopathen dieser Anstalt. Er sagte nichts weiter und starrte ihn einfach an. Dieser trotzige Blick, die Hände in den Hosentaschen der himmelblauen Shorts, diese abweisende Haltung. Ja, das war eindeutig Trip. Kurz keimte in Virus die Frage auf, was der Junge von ihm wollte, warum er ihn angesprochen hatte, doch genauso schnell wie sie keimte, verdarb die Saat auch wieder. Zumindest schwieg er, sagte nicht was er wollte, sondern starrte ihn einfach an. Es war sinnlos zu erwarten, dass der Jüngere irgendetwas sagen würde. Darauf warten würde er auch nicht, denn auf etwas zu hoffen, bedeutete nur sich auf jemanden einzulassen und sich ihm emotional zu nähern. Trip ignorierend, wandte er sich wieder von dem Jungen ab und ging weiter seines Weges. Doch er hörte die Schritte des Jüngeren, die ihm folgten. Er blieb zwar auf Abstand, doch schien er nicht vorzuhaben von Virus einfach abzulassen. ***~~~*** Zwei Monate waren vergangen und noch immer folgte Trip ihm auf Schritt und Tritt. Doch Virus hatte es akzeptiert. Er versuchte nicht einmal den Jungen zu vertreiben, der nun immer weniger in Schlägereien verwickelt war. Er imitierte Virus, der sich von allen distanzierte und sein eigenes Ding durchzog. Selbst in der Kantine nahm er dasselbe Essen und er hatte sich bei Virus einquartiert und schlief bei ihm. Trotz all dieser Dinge war Trip dennoch anders. Er schlief mit dem Blick zu Virus, während dieser ihm den Rücken zuwandte. Vom Essen verspeiste er zuerst das Dessert, denn scheinbar sprachen ihn Süßigkeiten mehr an. „Es wird leer hier.“ Es war mehr eine Feststellung für sich, als für Trip, doch dieser nickte, als er seinen Blick in der Kantine umherschweifen ließ. Es kamen keine Kinder mehr und jene die hier waren, überlebten die Experimente nicht. „Natürliche Auslese“, wisperte Virus und schnitt von seinem mageren Fleisch einen kleinen Bissen ab. Er hatte darüber in einem Buch gelesen. Die Stärkeren überlebten die Schwächeren. Das war Gang und Gebe in der Natur. Und solange er zu diesen Stärkeren gehörte, war ihm egal was aus den anderen wurde. „Da sind sie... Virus und Trip. Die beiden Roboter.“ Virus hatte gerade zu seinem Dessert greifen wollen, als eine Hand ihm zuvor kam. Emotionslos sah Virus zu dem Jungen auf, der sich vor seinen Augen den Kuchen reinstopfte. Er sagte nichts dazu und doch störte es ihn, dass ein Jüngerer seinen Kuchen aß. Einen Kuchen, den er nicht wiederbekommen würde. „Was ist los, Virus? Willst du dich rächen?“ Das Gelächter des Jungen, sein Name war wohl Enzym, hallte in Virus Ohren wieder. Er machte sich über ihn lustig, versuchte ihn zu demütigen, ihm eine Emotion zu entlocken. Und doch erhob sich Virus nur und ging, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Trip hatte alles mit angesehen und war fast schon fasziniert von Virus, der so ruhig geblieben war. Er hätte diesem Enzym seine Faust schmecken lassen. Doch er hatte Virus lange genug beobachtet um zu wissen, dass es einfach nicht sein Stil war. Und es würde auch nicht mehr sein Stil sein. Dennoch, er wollte sich für Virus rächen. Am Abend schlich er sich aus seinem Zimmer in die Küche, in der bereits der Kuchen für den nächsten Tag stand. Es war ein leichtes den Kuchen zu entführen und ihn zum Zimmer 234 zu schaffen. Leise öffnete Trip die Tür, schob den Kuchen rein und schaltete das Licht an. Müde blinzelte ihn Enzym an, der nicht mit diesem Überfall gerechnet hatte. Ruhig, ohne zu zeigen was in seinem Kopf vor sich ging, schloss Trip ab und schob den Kuchen näher zu Enzyms Bett. „Du magst doch Süßes“, flüsterte er leise, und lächelte Enzym an, der immer noch nicht verstand was der Junge wollte. Stoisch gelassen schnitt Trip ein großes Stück aus dem Kuchen und nahm es in seine kleinen Hände. „Hier, ich hab dir Kuchen mitgebracht.“ Es war das Lächeln des Teufels, das Enzym erblickte, als Trip ihm das cremige Stück gegen den Mund drückte. „Mach brav ah~“ Er hatte keine andere Wahl als den Mund zu öffnen, denn er wusste, wozu Trip fähig war. Er konnte ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, das Genick brechen. Und das wollte er nicht riskieren. Er hing an seinem Leben. Zitternd öffnete er den Mund und ließ sich den ersten Bissen hineinschieben. In Trips Augen sah er Zufriedenheit als er kaute und den Bissen runter schluckte. Doch erneut wurde ihm der Kuchen entgegen gehalten. Wieder biss er ab und kaute, doch anders als beim ersten Mal ließ Trip ihn nicht schlucken und drückte ihm erneut einen Bissen rein. In immer schnelleren Abständen machte der Junge mit dem feuerroten Haar das. Enzym kam nicht mehr dazu zu kauen oder zu schlucken. Sein Mund wurde immer voller und er bekam Angst, dass er an diesem Kuchen ersticken würde. „Du warst nicht sehr brav... Du hast den schönen Kuchen ausgespuckt. Dabei warst du beim Mittag doch so wild auf Virus' Süßspeise.“ Wie ein Häufchen Elend lag Enzym am Boden, gekrümmt in seinem Erbrochenen, dass aus nicht verdauten Kuchen bestand. Er lebte noch, atmete und das nur, weil Trip es nicht zu weit getrieben hatte. Erst die Worte des Teufels machten ihm klar, warum er das getan hatte und mehr denn je fürchtete er ihn. Trip hingegen genoss diese Macht. Er hatte sie mit „Liebe“ bekommen. Er hatte Enzym mit seiner „Liebe“ gebrochen. „Verzeih...“ Enzyms Stimme war nur noch ein Hauchen. Ein Flüstern, das kaum zu vernehmen war. Doch Trip reagierte nicht und sah ihm nur zu. „Du solltest den Kuchen auflecken. Es wäre Verschwendung, wenn er hier liegen bliebe. Außerdem bekommst du sonst Ärger von den Wärtern.“ Langsam bückte sich Trip und griff fest in Enzyms braunes Haar. Mit aller Macht zog er den Jungen hoch, sah ihm in die Tränen gefüllten Augen und seufzte. „Sei schön brav.“ Wieder lächelte der Teufel unschuldig, bevor er Enzym mit dem Kopf in den unverdauten Kuchen drückte. Enzym wehrte sich, schrie und wollte entkommen, doch Trip gab ihm keine Möglichkeit. Er unterwarf ihn sich mit süßer Gewalt. ***~~~*** Verwundert sah Virus zu Trip. Seine roten Haare hatten nun eine blonde Farbe angenommen und und selbst der Haarschnitt glich seinem eigenen. Nur durch seine Brille, die Virus brauchte, weil er eine kleine Sehschwäche hatte, unterschieden sie sich noch. Virus wusste nicht, was sich Trip dabei dachte, aber es war ihm egal. Der Jüngere konnte tun was er wollte und wenn er ihm nahe sein wollte, war es ihm nur recht. Imitation, so hatte er gelesen, war auch nur eine Art der Bewunderung. Und doch, das wusste er, würden die anderen Trip niemals für ihn halten. Sie waren einfach zu verschieden. „Sieht gut aus...“, meinte er ruhig, ehe er sich wieder abwandte und zum Forschungslabor lief. Er wollte seinem Vormund die Bücher zurückbringen, die er ihm geliehen hatte. Doch weit kam er nicht, denn vor der Tür blieb er stehen, mit dem Blick gen Boden gewandt. Unter dem Spalt zwischen Tür und Boden sickerte ein rotes, dickflüssiges Rinnsal. Das war seltsam. Aber noch seltsamer war, dass es ihn nicht abschreckte und er die Tür öffnete. Selbst jetzt, als er sah, was im Labor vor sich ging, spürte er nichts. Da lagen sie, die Forscher die sie immer behandelten. Ihre Kittel waren rot statt weiß und inmitten des Massakers stand Objekt 788. Auch Nitro genannt. In seiner Hand hielt er ein Messer, von dem Tropfen der roten Flüssigkeit gen Boden glitten. Virus verstand was dieses Bild bedeutete. „Trip...“ Ohne weitere Worte verstand Trip, was Virus von ihm verlangte. Langsam lief er auf Nitro zu, der sie erst jetzt bemerkte. Er lächelte die beiden unschuldig an, so als wollte er sagen, dass er das alles nur für sie getan hätte. Doch das Lächeln verstarb, als sich Trips Faust in seinen Magen grub und ihm das Bewusstsein nahm. ***~~~*** Ihm war kalt und etwas Nasses tropfte auf Nitro. Es war die Mischung, die ihn aus seiner Ohnmacht befreite, doch außer Dunkelheit sah er nichts. Er wusste nicht, wo er war, wer ihn hierher gebracht hatte und wozu. Er wusste nur, dass die Angst an seinem nackten Körper hoch kroch. Tropf, Tropf, Tropf... Bei jedem Tropfen zuckte sein durchgefrorener Körper zusammen. Es war still, bis auf dieses monotone Tropfen. Vorsichtig tasteten sich seine Hände vor. Er hatte nicht viel Bewegungsfreiraum, weswegen er wohl in der Embryohaltung lag. Die Wände waren aus Metall. Kalten Metall. Und von irgendwo tropfte etwas kaltes, flüssiges, von dem er hoffte, dass es Wasser war. „Hallo?“ Leise versuchte er auf sich aufmerksam zu machen, doch wenn die Metallwände dick genug waren, würde man ihn nicht hören. „HALLO!“ Lauter schrie er, klopfte gegen die Wände. Doch niemand hörte ihn, oder wollte ihn hören. Panik stieg in ihm hoch. Er erinnerte sich nur noch daran, dass er ihre Peiniger ausgeschaltet hatte. Trip und Virus hatten ihn dabei erwischt. Danach war alles dunkel, wie sein Gefängnis. Schneller, heftiger, panischer schlug er gegen Metallwände. Der Hall wurde unangenehm in seinen Ohren, doch er wollte, dass man ihn hörte. Dass man ihn befreite. Er wollte raus. Doch es war vergebens. Nur das Wasser wurde kälter, tropfte schmerzhaft auf seine nackte Haut, schien sich mit jeder Sekunde tiefer in ihn hineinzufressen und seine Angst zu verstärken. Er wusste, dass er auf die Gnade der Person angewiesen war, die ihn hier eingesperrt hatte. Niemand außer dieser Person würde ihn befreien. Er war von der Gnade dieser einen Person abhängig. Raus... Raus... Er musste hier raus. Raus... Raus... Tropf, Tropf, Tropf... Raus... Nitro hatte sich etwas beruhigt, doch er zitterte, wimmerte. Er wusste nicht, wie spät es war. Wie lange er schon hier drin lag. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Vorsichtig versuchte er sich zu drehen. Er spürte wie etwas in seinen Ellenbogen schnitt und erschrak. Es schmerzte, doch er ignorierte es und tastete mit der anderen Hand in die Richtung seines Ellenbogens. Und schließlich spürte er einen Gegenstand der ihm zuvor verborgen geblieben war. Vorsichtig tastete er an dessen Konturen entlang bis er wusste was es war. Ein Skalpell. Mit ihm lag ein einzelnes Skalpell in diesem Metallgefängnis. War es eine Botschaft seines Peinigers? Wollte er ihm damit sagen, dass er nicht mehr hier raus kam, sich aber einen schnellen Tod beschaffen konnte? Verzweifelt umklammerte er den Griff des Skalpells. Er dachte nach. Sollte er es tun? Was, wenn das nur eine Falle war. Wenn sein Peiniger das von ihm erwartete? Kurz dachte er nach. Was sollte er tun? Tief holte Nitro Luft. Er wollte noch etwas warten. Zehn Tropfen der Flüssigkeit, die so auf der Haut brannte. Vielleicht auch 30 oder mehr. Er würde warten. Mit Sicherheit würde man ihn raus holen. Wie spät war es eigentlich? Tropf, Tropf, Tropf... Ja, er würde hier herauskommen. Garantiert. Ob es Nacht war? Nein, er war noch nicht müde. Er hatte aber Hunger. Also war es wohl Mittag. Tropf, Tropf, Tropf... Sicher war das nur eine neue Strafe der Wissenschaftler. Tropf, Tropf, Tropf... „Hallo?“ Einen Versuch war es wert. Tropf, Tropf, Tropf... Es tat weh... Sein Ellenbogen und diese Flüssigkeit auf seiner Haut brannten. War das Säure? Er spürte plötzlich, wie seine Haut sich von seinem Körper schälte. Tropf, Tropf, Tropf... Dieser Schmerz... Dieser unbeschreibliche Schmerz. Wann holte man ihn hier raus. Er wollte hier raus. Tropf, Tropf, Tropf... Raus, er wollte raus! Es war drei Tage her, seit Virus Nitro in die Metallkiste gesteckt hatte. Seine Schreie und das Klopfen hatten nachgelassen, weswegen er davon ausging, dass dieser sich endlich beruhigt hatte. Beruhigen, das war das wichtigste, was man tun sollte, wenn ein Objekt durchdrehte. Ruhig öffnete er den Deckel der Metallkiste. Ein süßlicher Duft geronnen Blutes stieg ihm in die Nase. Verwundert hob sich eine Augenbraue. Doch kaum, dass er Nitros Körper sah, wunderte ihn dieser Geruch nicht mehr. Er sah das Skalpell in der Haut Nitros und fragte sich, wie dieses Ding in der Kiste gelandet war. Nachdenklich schob er sich die Brille hoch und ließ das Vorgehen von vor drei Tagen Revue passieren. Und schließlich fiel ihm ein, dass er dieses Skalpell, das seinem Vormund gehört hatte, aus Versehen in die Kiste fallen gelassen hatte, bevor diese von ihm versiegelt worden war. „Natürliche Auslese...“, flüsterte er leise, stellte das Wasser am Waschbecken ab, so dass auch kein Tropfen mehr in den Sarg fiel. ***~~~*** Sie hatten als Einzige überlebt. Trip und er hatten die Auslese überstanden und waren von Toue dazu bestimmt, die neuen Augen zu erhalten. Gestern war ihre Operation gewesen und noch ruhte der Verband an seinem Kopf. Doch Virus war ruhig und gelassen, denn er hatte die Operation überlebt, weswegen er auch das Endergebnis nicht mehr fürchten musste. „So, heute ist es soweit.“ Er hörte laut und deutlich die Schritte des Arztes. Seine Stimme klang zufrieden, was ihm signalisierte, dass wohl alles gut gelaufen war. „Dann wollen wir euch mal die Verbände abnehmen.“ Euch? Virus wurde hellhörig. Hieß das, Trip hatte auch überlebt? Seltsam, irgendwie freute ihn diese Nachricht, auch wenn er sich das nicht erklären konnte. Das Rascheln des Verbandszeug verriet ihm, dass die Schwestern wohl bereits begonnen hatten sein Gesicht von Mull und allen Störenden zu befreien. Es fühlte sich gut an, immer weniger von den Verbandsschichten zu tragen, bis er schließlich die Luft an der Haut seines Gesichts spürte. Es schmerzte, als er die Augen öffnete und das grelle Licht ihn blendete. Doch er wollte sich davon nicht beirren lassen, und sah zu dem Bett neben sich, in dem wirklich Trip saß, dessen Blick ihn traf. Seine Augenfarbe war anders, wahrscheinlich lag es an den neuen Augen. Aber noch immer erkannte er den Trip, der ihm seit Jahren folgte und den die Auslese nicht dahin gerafft hatte. Schwach erhob sich Virus aus dem Bett und lief zu Trip, der ihn einfach schweigend mit diesen eisblauen Augen ansah. „Seid ihr Zwillinge?“ Die Verwunderung der Schwester war deutlich zu hören. Wahrscheinlich sahen sie sich mit ihren neuen Augen wirklich noch ähnlicher. Doch sie beide wussten, dass sie anders waren. Verschieden. „Wir sind keine Brüder.“ Synchron und als hätten sie diesen Satz jahrelang einstudiert, sprachen sie ihn aus. Die Jungs sahen sich an, wahrscheinlich weil sie selbst verwundert darüber waren, wie synchron sie waren. Nein, sie waren keine Brüder. Sie waren auch keine Freunde. Sie waren einfach eine Einheit geworden. Dessen war sich auch Virus bewusst, weswegen er seine Hand hob und sanft durch das Haar seiner anderen Hälfte fuhr. „Lass uns Kuchen essen gehen“, wisperte Virus, wich etwas zurück vom Bett und wartete bis Trip sich erhob. Wie von selbst nahm er seine Hand und ging an dem Arzt und den Schwestern vorbei um mit Trip in die Mensa zu gehen. Kapitel 2: Symbiose ------------------- Sein Blick war ernst, als er in das schlafende Gesicht seiner besseren Hälfte sah. So viele Menschen behaupteten, dass sie einander ähnlich sahen, doch er erkannte keine einzige Ähnlichkeit. Zwar war ihm bewusst, dass ihre Augen dasselbe eisige Blau hatten und die Haare auf dieselbe Weise, lediglich die Richtung in die ihrer Frisur in eine andere wies, identisch waren, aber sie waren unterschiedlich. Vielleicht so unterschiedlich, dass sie zusammen eine Einheit, einen vollkommenen Menschen ergaben. Wann hatte er eigentlich angefangen zu Trip gewandt zu schlafen? Warum tat er das? Früher war alles anders gewesen. Er hatte sich ihm mit dem Rücken zugewandt... damals, als sie noch Kinder in dem Labor gewesen waren. Doch seit ihrer Operation... Was war da nur gewesen? Er hatte diese Erleichterung gespürt, als Trip erwacht war. Als er ihn gesehen hatte, mit dem Wissen, dass der andere Teil von ihm noch lebte. Jetzt war dieser andere Teil so selbstverständlich, so vertraut, dass er sich ihm sogar mit dem Gesicht zu wandte, als hätte er ihn akzeptiert. Hatte er ihn akzeptiert? Virus war sich da nicht ganz sicher. „Hersha...“, murmelte er leise und erhob sich von seinem Liegeplatz. Er wollte das Frühstück machen, schließlich sollte Trip auch was Ordentliches essen, nicht immer nur den Süßkram, den er ihm einfach nicht abgewöhnen konnte. Die Forscher hatten es versucht, und bereut. Er hatte es versucht, ihn aber immerhin erfolgreich dazu erzogen, dass er fragte, ob er die Kekse aus Virus privaten Vorratsschrank, oder der Küche nehmen durfte. Warum hatte er eigentlich einen Vorratsschrank mit Keksen? Wann hatte er gelernt, was für Kekse er mochte? Warum kaufte er immer Trips Lieblingskekse? Fragen über Fragen suchten ihn an diesem Morgen heim. Dabei hatten die Urlaub und den wollte er in ihrer Villa in Italien genießen. Fernab von Toue und seiner Überwachung. Hier waren sie einfach Virus und Trip, zwei Männer, von denen einer, nämlich er, fließend italienisch sprach und der Andere es beherrschte sie vor der Cosa Nostra zu beschützen. Die Cosa Nostra. Ein Lächeln schlich sich auf Virus Gesicht. Ja, sie fürchteten sie und diese Furcht war der Grund, warum sie nicht einmal im Urlaub ein sicheres Leben hatten. Aber die natürliche Auslese stand aktuell noch auf ihrer Seite. Nicht sie würden aus ihrer Umgebung ausgesondert werden, sondern die Schwachen. Sie beide waren stark, denn zusammen, waren sie der perfekte Mensch, der perfekte Sadist mit unmenschlicher Skrupellosigkeit. Nein, Skrupel die hatten sie nicht. Zwar kannte Virus die Bedeutung dieses Wortes, aber er hatte es aus ihrem Handlungswortschatz verbannt, denn diese Welt, die Natur selbst, kannte keine Skrupel. Sie schützte nur, was sich erfolgreich gegen sie zur Wehr setzte. Menschen wie Trip und Ihn. Aber waren sie noch Menschen? Ohne Emotionen sah Virus zu Hersha, die sich an seinen Körper hinauf schlängelte. Er spürte ihre kalte, künstliche Schlangenhaut. Ein Gefühl, dass ihm wohl suggerieren sollte, dass Hersha echt war, nicht nur eine Maschine, die nach einem Ebenbild gebaut war. Nimm das... Trips Worte hallten in seinem Kopf wider. Er hatte für ihn Hersha als Allmate bestimmt. So wie er Berta für Trip gewählt hatte. Oder... hatten sie einander so gut erzogen, so gut kennengelernt, dass sie bereits wussten, was der andere im tiefsten, unbewussten Inneren wollte? Auch wenn Virus es nie für möglich gehalten hatte, Hersha passte zu ihm. Listig wie eine Schlange, windig wie einem verschwörerisch und zerstörerisch, dass war er. Immerhin gab es auch in der religiösen Bibel, er hatte dieses grausige Buch, das er persönlich ins Genre Horror einordnete, aus lauter Langeweile gelesen, die Schlange, die Eva dazu verführt hatte, von der Erkenntnis zu kosten. Diese diabolische Schlange. Sie hatte Eva mit psychischen Spielchen manipuliert, so wie Virus alle um ihn herum manipulierte. Außer Trip. Nein, Trip konnte er nicht mehr manipulieren. Trip tat stumm was er von ihm forderte, ohne Fragen zu stellen, ohne darüber nachzudenken, so als ob er bereits wusste, dass es richtig war. Ohne Emotionen betrachtete Virus seinen Körper in dem beschlagenden Spiegel, den er vor wenigen Minuten frei nutzloser Weise freigemacht hatte. Er konnte gerade so die Konturen seiner Muskelpartituren an Armen und Beinen erahnen, ebenso wie Hershas Körper, der immer noch um ihn geschlungen war. Sie liebte es zu klettern, seine Hersha. Oder war sie doch ein Er? Nein. Er hatte entschieden das Hersha eine Sie war und mit Sicherheit war es seinem Allmate egal, welchem Geschlecht es angehörte, solange Virus auf die Illusion eines lebenden, ausgestorbenen Tieres hereinfiel und es nicht als ES bezeichnete. Das war sie lange genug gewesen, genau wie Trip. Trip war nur ein ES gewesen, eine Existenz, von der er nicht geahnt hatte, wie lange sie leben würde. Dennoch er hatte überlebt, er hatte sogar Virus Verhalten fast vollständig adaptiert, aß brav sein Gemüse, allerdings nur in Virus Gegenwart. Sein Verhalten war so anders, als wäre Virus die Medizin, die die Ärzte dem jungen Trip verabreicht hatten, um ihn ruhig zu stellen. Er hatte viele davon bekommen, eine lange Zeit. Virus erinnerte sich noch daran, wie ihn Trip apathisch beobachtet hatte. Es war ihm eine lange Zeit unheimlich gewesen, doch er hatte nie etwas gesagt, er hatte es einfach akzeptiert, denn es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass man er es gesehen hätte. So viele apathische, gebrochene Gestalten waren ihm begegnet. So viele nur einmal, doch Trip... War immer gegenwärtig gewesen. „Oi...“, Virus ignorierte das unzufriedene Murren seines anderen Ichs, das hinter ihm aufgetaucht war und sich mit einem Arm an der Tür des Bades lehnte. Virus wusste, was dieser Laut bedeuten sollte. Die Kälte wegen Virus fehlender Körperwärme hatte den jüngeren Part seiner Persönlichkeit geweckt. Wie unschön von ihm. „Guten Morgen.“ Es waren zwei ruhige Worte die er ausgesprochen hatte, als er Hersha ihr Zeichen gegeben hatte, sich von seinem Körper zu lösen. Er wollte sich anziehen. Das weiße Hemd lag schon auf dem Platz, auf dem er immer seine Sachen ablegte. Er musste vorher nur noch die Haare gelen. „Morgen...“, kam es von Trip missmutig zurück. Er war heute nicht gut gelaunt. Für viele wäre das eine unerkannte Tatsache gewesen, aber nicht für Virus. Unter der ganzen Monotonie von Trips Stimme erkannte er jede noch so kleine, eigentlich nicht mehr vorhandene Emotion. „Du erkältest dich noch...“, knurrte Trip, der auf Virus zugelaufen kam und seine Arme um den anderen schlang. Er spürte die Feuchtigkeit des Wassers, dass bis vor wenigen Minuten noch von dem Körper seiner klugen Hälfte geperlt war. Er war kalt, nicht mehr warm, wenn er es denn jemals gewesen war. Virus konnte sich nicht einmal mehr erinnern, ob er an irgendeiner Stelle dieses unnötig antrainierten Körpers jemals warmes Wasser gespürt hatte. „Du sollst nicht immer kalt duschen...“, wisperte Trip ihm ins Ohr, lies seine Hände über Virus nackten Körper gleiten. Virus spürte jede einzelne Berührung seines anderen Ichs und wusste, wonach ihm war, was er brauchte, was die Natur ihm gerade auferlegte. War er deswegen so mies gelaunt? Weil Virus heute mal nicht dasselbe Bedürfnis wie er teilte? Nein. Das war es nicht. Da war etwas anderes. „Du bist einfach aufgestanden...“ Das war es also. Wie ein kleiner Junge schmollte Trip, was Virus nur dank des Spiegels sah, vor dem sie standen. Er spürte nicht nur, wie Trips Hände in tiefere Regionen vordrangen, er sah es auch und Trip hielt ihn fest genug umklammert, um ihn an einer Flucht zu hindern. Anteilnahmlos beobachtete Virus das Verhalten des Jüngeren, ließ ihn gewährend, ohne etwas zu sagen, oder überhaupt nur einen Laut von sich zu geben. „Das gehört bestraft, Virus. Deswegen gibt es heute zum Frühstück Schoko-Pancakes.“ Angewidert verzog Virus das Gesicht, als er hörte, was dank seinem Vergehen auf dem Frühstücksplan stand. Süße Speisen am frühen Morgen waren das schlimmste was er sich vorstellen konnte und doch würde er Trip diesen Wunsch nicht abschlagen. Ein Blitz durchfuhr ihn, als Trip sein Glied berührt und es sanft, aber doch auf seine bestimmende Art und Weise zu massieren begann. Sein Griff war fest, fast schon unbarmherzig und doch brachte es Virus auf Touren. Es weckte ein Verlangen in ihm, das er vor wenige Sekunden nicht empfunden hatte. „Wenn ich mich recht erinnere... bist du gestern Abend nicht gekommen.“ Es war einer dieser Momente, in denen Trip wieder dafür sorgen wollte, dass sie quitt waren, einander ebenbürtig. Das wusste Virus, denn es war nicht das erste Mal, das Trip etwas nachholen wollte, was er als Versäumnis sah. Für ihn war es ein Versäumnis, wenn Virus bei ihren gemeinsamen Nächsten nicht zu seinem Höhepunkt kam. Virus war sich dessen bewusst, und obwohl er geistig nicht das Bedürfnis verspürte sich von Trip erneut in Ekstase bringen zu lassen, ließ er ihn gewähren und gab der Erregung seines Körpers nach, die nur zu deutlich wurde. Wenn Trip quitt sein wollte, dann würden sie in wenigen Minuten wieder quitt sein. Schweigend löste Virus Trips Hand von seinem erregten Glied, drehte sich zu ihm um und drückte den Größeren Teil seiner Selbst gegen das kühle Glas der Duschwand. Wann war Trip eigentlich so in die Höhe geschossen? Virus wusste es nicht mehr. Er erinnerte sich aber nur gut daran, wie klein ihm der Andere bei ihrer ersten Begegnung erschienen war und nun überragte er ihn um drei Zentimeter. Drei Zentimeter auf die Trip so stolz war, als wären es zwanzig. Sein kleiner Trip hatte sich entwickelt, war kräftiger, muskulöser geworden, was er immer wieder mit Faszination feststellte, wenn seine Finger über die einzelnen Muskelpartituren fuhren. Körperlich, war Trip ihm definitiv überlegen, was sich in kleinen Raufereien immer wieder zeigte. Dafür war Trips Geist nicht erwachsen genug. Er war immer noch ein Kind das Führung brauchte, dass sich nach Liebe sehnte, und gerne verspielt seine Umgebung erkundete. Dennoch war Trip gefährlich, für jeden, außer für ihn, denn er war die Führung, die Trip wohlwollend akzeptierte, selbst jetzt in einem Moment, in dem Virus den jüngeren dominierte. Virus machte sich keine Sorgen, wenn er mit seinen Händen über Trips nackten Körper strich, zu Regionen die anderen das Leben kosteten. Sanft drückte und stimulierte Virus diesen einen Punkt, zwischen Hodensack und Anus. Er hatte einst einmal gelesen, dass es dieser Punkt war, mit dem man von außerhalb die Prostata, die nur so groß wie eine Kastanie war, stimulieren konnte. Er wollte das Trip zu Wachs in seinen Händen wurde, sich nur ihm hingab und nicht daran dachte, dass es auch nur eine andere Person geben konnte, die ihm soviel Liebe geben konnte. Nicht einmal Sei, den Trip seit diverser Zeit so anders ansah, würde ihm das geben können. Sei war unfähig dazu, emotionslos, kalt. Ein lebender Toter. Er, Virus, lebte aber in vollen Zügen und besaß das Wissen, wie er den menschlichen Körper manipulieren musste, damit Trip bereit für ihn war. Der heiße Atem Trips drang zu seinem Ohr. Gefolgt von einem kaum hörbaren Seufzen, dass Virus zeigte, dass sein Tun richtig war. Wie der kleine Junge, der Trip aus seiner Erinnerung heraus noch war, klammerte sich Trip mit dem Rücken nach Halt flehend an die kühlende Wand der Dusche. Virus musste sich eingestehen, dass er diesen Anblick genoss. Machte ihn das Pädophil? Wie alt war Trip noch mal gewesen als sie einander begegnet waren? Unwichtig. So schnell hatte er diesen Gedanken als nicht wichtig, nicht relevant angetan. Sie waren beide volljährig. Trip war kein Kind mehr und sie würden auch nie wieder in die Zeit zurückkehren, in denen sie Kinder waren. Nie wieder. Sie waren Männer die einander ebenbürtig waren, die einander folgten, die ihre Bedürfnisse stillten, damit sie eine gute, funktionierende Einheit waren. Es war im Prinzip nur Selbstbefriedigung, damit sie konzentriert blieben, stark und standhaft, wenn sie im Old District, nach ihrem Urlaub, wieder auf Aoba trafen. Wie viel Beherrschung es sie beide doch kostete, ihren Star nicht zu reißen, ihn mit Haut und Haar zu verschlingen und zu brechen. Wie lange würde er wohl durchhalten? Lange. Da war sich Virus sicher. Aoba war ein wildes Spielzeug. Stark, Willensstark und geprägt durch diese andere Persönlichkeit, seit dieser einen Sache. Wenn dieses alte Ich hervor trat, war es eine spannende Angelegenheit. Eine Frage, wer wen brechen würde. Ein Interessantes Phänomen. „Ich werde dich brechen...“, murmelte Virus Gedankenverloren, seinen Trip immer noch verwöhnend, als wäre er sein Idol Aoba. Trip wusste das, er spürte es anhand der Tatsache, dass Virus auf äußerliche Stimulierungen verzichtete und zwei seiner Finger in ihn versenkte. Er wusste, dass Virus nicht ihn brechen wollte und dennoch... „Dann mach das“, keuchte er leise und heiß in Virus Ohr. „Wenn du mich brichst, mach ich das auch mit dir.“ Sie beide waren eine Einheit. Eine Person, ein Wesen, das von alle nur als Trip und Virus wahrgenommen wurden. Sie waren nicht zwei Personen. Sie waren ein Individuum, der perfekte Mensch, der perfekte Krieger und Folterknecht, der nur sich selbst brauchte um zufrieden zu sein. Virus drang in sich ein, ließ sich auf diesen Trip ein, der ihn in seiner Fantasiewelt spürte, in der er als Einheit Aoba zum wimmern und brachte und ihn Stück für Stück brach. In dieser Welt gab es nur einen Aoba, der von einem fiebrigen Virus befallen und auf einen schmerzhaften Trip gebracht wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)