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Okiya

Delinquent trifft Maiko
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Und es ist geschafft. Der Prolog meiner neuen Geschichte, „Okiya“. Die gesamte Idee stammt aus einem RPG, in dem ich die Rolle Jiros spiele. Noch immer ist es am Laufen und noch kein Ende ist absehbar. Also könnt ihr euch schon auf einige Kapitel gefasst machen.
Ich hoffe ihr findet Gefallen an der Idee und der Umsetzung.
Viel Spaß nun mit dem Prolog „Wenn die Kirschblüten fallen“. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe euch hat der Prolog gefallen. Hier ist nun das erste Kapitel. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Für all die, die noch keine 18 sind, gibt es hier auch die zensierte Version des achten Kapitels. Komplett anzeigen

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"Wenn die Kirschblüten fallen"

Nach einem Niesen wischte sich Jiro mit dem Hemdärmel die Nase ab, ehe er diesen nach oben rollte. Die schwarze Jacke seiner Uniform hatte er sich über die eine Schulter geworfen. Die Ledertasche mit dem Logo der Kyotoer Privatschule darauf, hing mit einem Träger auf seiner anderen Schulter. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, die Blätter der Kirschblüten wehten umher, es war angenehm warm und der Schulbeginn lag eigentlich bereits eine Woche zurück. Doch das interessierte ihn nicht allzu sehr. Ebenso interessierte es ihn auch nicht, dass er mit achtzehn noch einmal die Schulbank in einer Mittelschule drücken sollte. Eigentlich würde er bald neunzehn werden und war somit allemal viel zu alt. Doch wegen vieler ungünstigen Umstände, die zusammengekommen waren, hatte sein Vater beschlossen, ihn wieder auf die Mittelschule zu schicken. Denn von dieser hatte er schon vor ein paar Jahren nicht wirklich was mitbekommen. Ein Jahr hatte er sogar ganz gefehlt und aufholen, das hatte er nie können. Die teure Privatschule nahm den Jungen ohne Zögern auf. Immerhin zahlte sein Vater neben den Schulgebühren auch einige andere Dinge, die der Einrichtung Probleme bereiteten. Somit sah sich das Rektorat ohnehin gezwungen den Jungen aufzunehmen. Wer hatte auch nichts gegen einen kleinen Nebenverdienst?
 

Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass der Unterricht schon angefangen haben musste und das bereits seit zwei Stunden. Natürlich war dem entsprechend auch das Schultor* geschlossen. Doch es war nicht Jiros Art sofort aufzugeben. Er sollte hier zur Schule, also würde er auch gehen. Ein wenig lief er an der hohen Mauer entlang, bis er einige Bäume sah, die nicht ganz so schwer zu erklimmen waren, wie die Mauer selbst. Er kletterte auf ein Auto, das unter dem Baum geparkt war und zog sich von da an einem Ast nach oben. Von einem anderen Ast aus konnte er dann bequem auf die Mauer steigen. Keine Minute später stand er dann auch schon vor dem Schulgebäude, das er kurzerhand betrat. Nun zog er sich auch wieder seine Jacke an, knöpfte sie, wenn auch schräg, mit ein paar Knöpfen zu und ließ so den Blick auf ein paar Flecken zu, die auf seinem Hemd zu sehen waren und wohl vom Frühstück stammen mussten. Seine rotblonden, schulterlangen Haare, die sich farblich nicht sehr von seiner Hautfarbe unterschieden, waren offen und nur sein Pony zu einem kleinen Pälmchen nach hinten gebunden. Bei den Schuhfächern** stieg er aus seinen herunter getretenen Loafer und zog ein paar Schlappen an. Dann lief er die Treppen hoch zu den Räumen der Drittklässler. 3-B stand an dem Schild über der Tür. Das war dann wohl sein Klassenzimmer.
 

"Das ist der Grund, aus dem sich X zu Y so verhält als ob-", sagte der Lehrer gerade, wurde jedoch von der Tür unterbrochen. Er wandte sich um und riss für einen Moment die Augen auf. Wie sah dieser Junge aus? Er wusste, sie würden einen neuen Schüler bekommen und er wusste auch, aus welchem Haus er war... doch dieser Anblick schockierte ihn. Trotzdem durfte er nichts dagegen sagen. Die Schule hatte den Eltern dieses Jungen einiges zu verdanken. Er presste die Lippen zusammen, ehe er dann endlich seine Stimme erhob. „Kommen Sie bitte her und stellen sich vor“, sagte er. „Yo, mach' ich glatt“ Jiro grinste breit, kritzelte seinen Namen an die Tafel. Einige Schüler begannen zu tuscheln. Minamoto... Sora konnte kaum glauben, was da eben geschehen war. Dieser Junge war wohl der unordentlichste, den er je gesehen hatte. Flecken auf dem Hemd, dieses auch nur schlampig in die Hose gesteckt. Ein Bügeleisen hatte es wohl auch noch nie gesehen. Und das sollte ein Angehöriger der Familie Minamoto sein? Doch sein Name verriet noch mehr als das... Er war nicht nur ein Sohn, sondern auch der Träger des Familienerbes***.
 

„Ich bin Minamoto Jiro. Kommt mir nich' dumm, dann komm' ich euch nich' dumm“, sagte er mit grobem Dialekt und grinste noch immer, ging dann zu einem freien Platz, um sich dort zu setzen. Im Vorbeigehen musterte er einige Jungen und Mädchen. Alles an ihnen saß so perfekt. Die Haare der Jungen kurz geschoren, die der Mädchen lang. Hier und da waren die langen Haare zu straffen Pferdeschwänzen, Knoten oder Flechtzöpfen gebunden.

Jiro verdrehte die Augen und lehnte sich zurück. „Dann machen wir nun weiter mit dem Unterricht“, verkündete der Lehrer und führte die Stunde fort. Zumindest versuchte er das, doch durch Jiros Störung kam nun keiner mehr wirklich dazu. Schüler tauschten Blicke, sahen immer wieder zu Jiro. So auch Sora, dem es einfach unmöglich erschien, dass dieser Junge aus einer Adelsfamilie stammte.

Doch nicht nur die anderen Schüler waren es, die Jiro beobachteten. Er machte es ebenso, musterte jeden einzelnen der Schüler eingehend und prägte sich ihre Gesichter und die dazugehörigen Namen ein, die auf den kleinen Schildern an ihren Jacken hingen.
 

Als die Stunde endlich zu Ende war, rief er ein paar Mädchen zu sich und begann sie auszufragen. Immerhin wollte er ein wenig über die Klasse und seine Mitschüler erfahren. „Alle sind sehr ordentlich und brav. Jemanden wie dich, wirst du hier sicherlich nicht finden. Aber außer dir gibt es noch einen Neuen“, erklärte eines der Mädchen und deutete zu Sora. „Das ist Kobayashi Sora. Er ist letztes Jahr im Sommer zu uns gekommen. Hat mitten im Jahr einfach gewechselt. Spricht seltsam... interessiert sich für nichts und niemanden. Na ja, umgekehrt ist es auch nicht anders.“ Jiro hob eine Augenbraue, blickte zu dem Jungen. Kobayashi Sora...? Er war blass, wie die meisten hier, hatte ebenso kurze Haare, wie all die anderen Jungen und auch sonst war eigentlich nichts an ihm... Deshalb lächelte er das Mädchen nur an, strich ihm über die Wange, worauf es rot wurde und ließ sich alle Mädchen vorstellen.
 

Kurz bevor es zur nächsten Stunde klingelte, erhob sich Jiro von seinem Platz, ging zu Sora rüber und setzte sich auf seinen Tisch. „Yo, du bist Sora?“, fragte er. Sora runzelte die Stirn etwas. Wie kam er dazu ihn einfach mit dem Vornamen anzusprechen? „Kobayashi Sora“, antwortete er deshalb nur. Warum sprach er ihn überhaupt an? Vielleicht einfach nur, weil er auch neu war? „Kennste auch niemanden hier? Lass uns später in die Mensa gehen“, schlug Jiro vor, doch einer der Jungen kam heran. „Bleib weg von dem. Der ist komisch. Der gehört nicht zu uns. Schlechter Umgang. Der hat an einer Privatschule nichts verloren.“ „Hm...? Achso?“ Jiro nickte, rutschte von dem Tisch und wandte sich ab. Vorerst würde er sich von ihm fernhalten. Immerhin wollte er die Klasse im Rücken und beliebt sein. Und wenn sie Sora nicht leiden konnten, dann durfte er sich auch nicht mit ihm abgeben.

Sora war auf Grund dieser Reaktion doch ein wenig geknickt. Dennoch sagte er nichts, blickte nach draußen auf den Schulhof, der von einem Teppich aus rosa Blütenblättern bedeckt war. Wenn sie alle nur wüssten... Er würde alles tun, um seinen Traum zu erfüllen. Und wenn es hieß, keine Freunde zu haben, dann wäre das auch in Ordnung. Es war immerhin nur noch ein Jahr, bis er mit der Mittelschule fertig war.
 

Als es nach dem Unterricht zur Mittagspause klingelte, ging er mit den anderen in die Mensa. Doch wirklich einfinden konnte er sich dort nicht. Außer Schule, Arbeit und Lernen gab es wohl nichts. Deshalb packte er seine Sachen zusammen und ging aufs Dach. Früher waren dort die „coolen“ Jungs gewesen. Hier musste es doch auch jemanden geben, oder? Er öffnete die Tür und sah... nichts. Nichts und niemand war hier. //Wo bin ich hier nur gelandet?//, fragte er sich seufzend, als er plötzlich doch jemanden bemerkte. Unscheinbar und im Schatten versteckt saß dort Sora gegen die Wand des Treppenaufgangs gelehnt. Doch eben dieser schien nichts von Jiros Anwesenheit zu bemerken. Noch immer war er ins Essen, das aus einem selbstgemachten Bento bestand, vertieft.
 

Langsam ging der Ältere auf ihn zu. „Hey, Sora! 'n Bento? Machst's dir allein? Oder machts dir deine Ma?“, fragte er grinsend nach, ließ sich neben ihn sinken. Er musterte den Jungen kurz, sah die kalkweißen Hände. Kein Wunder, wenn er hier im Schatten saß. Er selbst war dagegen fast schon dunkelbraun. Sora zuckte zusammen, als er die Stimme hörte, nickte nur leicht zur Antwort. Irgendwie war es ja seine Mutter, die ihm das Bento machte. Aber dann wiederum... auch nicht. Er spürte den Blick auf seinen Händen, schob die etwas hochgezogenen Ärmel wieder weiter herunter. Gerne hätte der andere dazu etwas gesagt, aber er beließ es dabei. „Haste keine Freunde? Die anderen mögen dich nich' gut leiden, oder?“, fragte er stattdessen nach. „Nein, sie mögen mich nicht besonders“, antwortete Sora leise. „Ich weiß nicht, wieso... ich habe ihnen nie etwas getan. Aber ich mache mir deswegen keine Gedanken. Es ist das letzte Jahr und dann sehe ich sie sowieso nie wieder.“ Er lächelte ihn etwas an und aß wieder weiter. Jiro fiel auf, dass Sora anders sprach. Irgendwie... altmodischer? Konnte man das so nennen? Auf jeden Fall war es nicht der übliche Dialekt, den man in dieser Gegend kannte. Es klang förmlicher, etwas traditioneller...

"Aber auf der Oberschule wirste vielleicht auf ein paar Leute treffen. Meinste nich'? Dann biste die noch nich' los...", ging Jiro weiter darauf ein. "Sie meinten du würdest nich herpassen... aber ich seh' kein Problem mit dir. Siehst genauso langweilig aus wie die andren." Er schmunzelte leicht. "Hier hat man eben keine andre Wahl..." Ein Seufzen entwich ihm. „Solange sie mich in Ruhe lassen, ist es mir egal. Und... sie lassen mich hier momentan auch in Ruhe. Mehr möchte ich nicht“, sagte Sora nur und hob die Schultern. „Langweilig? Hm... vielleicht. Aber wie du schon sagst, hier hat man eben keine andere Wahl.“ Wenn er nur wüsste, wenn er auch nur eine Ahnung davon hatte, welchen Weg Sora für die Zukunft eingeschlagen hatte. Er würde ihn mit Sicherheit nicht mehr für langweilig halten. Oder... vielleicht gerade dann? Er war sich sicher, dass es viele Jugendliche gab, die sich seine Zukunft sehr langweilig vorstellten. Dabei war es das mit Sicherheit nicht. Er würde noch so viele interessante Dinge lernen und auf so viele verschiedene Menschen treffen. Konnte man das etwa wirklich als langweilig bezeichnen?
 

Doch Jiro riss ihn wieder aus seinen Gedanken. „Dann haste Glück. Andere werden nich' in Ruhe gelassen...“, meinte er nachdenklich. „Solche Schulen wie hier... da werden ständig welche fertig gemacht. Auch von den Lehrern.“ Erneut musterte er den Kleineren. „Werd' mal rein gehen...“ Damit wandte er sich ab, ging wieder in das Gebäude Bisher war hier ja alles ganz gut gelaufen. Und irgendwie... wollte er Sora näher kennenlernen. Denn so oberflächlich wie Jiro auf den ersten Blick vielleicht schien, ihm waren diese Kleinigkeiten, die Sora von den anderen unterschieden, nicht entgangen und er wollte herausfinden, was noch so an diesem Jungen dran war.
 

Im Sekretariat meldete er sich für den Fußballclub an. Er liebte Fußball, hatte wirklich ein Talent darin. Außerdem sah er es als große Chance, um aus seiner Familie auszubrechen. Irgendwann würden vielleicht Talentscouts auf ihn aufmerksam werden. Und dann... würde er in der Profiliga spielen. Zumindest war das sein Traum. Raus aus dieser Familie. Also würde er ab morgen den Fußballclub besuchen.
 

Doch dieser nächste Tag fing ebenfalls nicht ganz pünktlich an. Wieder platzte er mitten in der Stunde rein, bekam dieses Mal jedoch einen Eintrag ins Klassenbuch dafür. Nicht, dass es ihn wirklich kümmerte. Deshalb sah er auch keinen Grund darin irgendwas an seinem Verhalten zu ändern.

Kopfschüttelnd sah Sora zu Jiro, als dieser sich setzte und so völlig sorglos seine Beine hochlegte. Warum kam er immer zu spät? Er verstand es nicht wirklich. Ob er bei allem was er machte so unzuverlässig war? Er fragte sich auch, in welchen Club er sich hatte eintragen lassen. Er selbst besuchte den Tee-Club, um dort die Teezeremonie besser zu erlernen und auch mehr über die einzelnen Sorten Tee und die Keramiken zu erfahren.
 

„Füße runter, Minamoto!“, war plötzlich die Stimme des Lehrers zu hören. „Und wenn nich'?“, gab Jiro zur Antwort. Sora konnte kaum glaube, dass dieser Junge es auch noch herausforderte... „Dann wartest du vor der Tür!“ „Alles klar!“ Jiro lachte auf, schnappte seine Sachen und ging vor die Tür, lehnte sich dagegen. Die ganze Stunde lang beschäftigte er sich nur mit seinem Handy, schrieb ein paar Nachrichten oder war im Internet.
 

Zur nächsten Stunde kam Jiro wieder, redete mit den Mädchen und versuchte sie ein wenig zu umflirten, obwohl er kein Interesse an ihnen hatte. Aber so konnte man sich immerhin beliebt machen. Tatsächlich benahm er sich auch den Rest des Tages, bis zur Mittagspause, wirklich gut. Wie auch schon den Tag davor, zog es ihn auf das Dach, wo er erneut Sora antraf. „Yo, Sora, wieder alleine hier?", fragte er, musterte ihn und setzte sich neben ihn, zündete sich eine Zigarette an. "Muss mir mal 'nen besseren Namen überlegen. Hm... Sky. Das find ich gut" Er nickte, schmunzelte etwas. "Is' nu' mein Spitzname für dich: Sky" Er tätschelte ihm kurz auf dem Kopf herum, sah ihn dann an. „Ich... bevorzuge Sora, wenn es möglich ist“, sagte dieser jedoch leise und wich seiner Hand ein wenig aus, ehe er sich wieder seinem Bento zu wandte. „Es ist schön hier, wenn es ruhig ist. Ich mag den Lärm in der Mensa nicht. Deshalb bin ich alleine hier“, beantwortete er noch die Frage Jiros. „Sorry, dann werd' ich wieder reingehen. Im Weg sein wollte er nicht. Wenn Sora gerne seine Ruhe hatte, dann ließ er sie ihm. „Nein, du kannst-“, wollte Sora gerade widersprechen, doch der Ältere war schon gegangen. So hatte er es doch gar nicht gemeint... Er seufzte etwas, senkte den Blick.
 

Jiro machte sich nach der Pause auf den Weg zum Fußballclub. Auch wenn die anderen nicht wirklich gut waren, machte es ihm Spaß und er fühlte sich etwas ausgelasteter, sodass er, obwohl die anderen schon duschen gingen, noch immer auf dem Feld war und ein wenig spielte. Er war so vollkommen in seinem Element, dass er Sora gar nicht bemerkte, der im Schatten eines Kirschbaumes stand und ihn beobachtete. Erst als er aufhörte, zu einer Bank ging und sich den Schweiß abwischte, sah er den Jungen, lächelte ihm leicht zu. Verwirrt bemerkte Sora das Lächeln, sah sich kurz um, ob da noch jemand außer ihm war, konnte aber niemanden entdecken und lächelte deshalb fast schon schüchtern zurück. Jiro trank ein paar Schluck, winkte Sora dann zum Zaun heran, der das Spielfeld umgab. „Ich geh' schnell duschen. Warteste?“, frage er nach, „Oder musste schnell gehen? Sonst würd' ich dich zur Station begleiten.“ „Ich warte bei den Bäumen“, erklärte der Jüngere und verzog sich sofort wieder in den Schatten. Kopfschüttelnd sah Jiro ihm nach, schmunzelte jedoch etwas und ging dann duschen.
 

Er hatte wirklich gut gespielt, ging es Sora durch den Kopf. Er sah irgendwie... gut dabei aus. Aber so genau hatte er sich noch nie Sportler angesehen... Doch zu ihm passte es. Vermutlich war er deshalb auch so braun gebrannt, weil er oft spielte. Kein Wunder. Wenn er selbst im Hochsommer auf dem Feld stand, konnte man das ja auch nicht verhindern.

Geduldig wartete er nun, bis der Ältere zu ihm kam. Mit noch etwas feuchten Haaren lief Jiro auf ihn zu, lächelte etwas. „Danke fürs Warten...“ Er hob seine Hand, nahm vorsichtig ein Kirschblütenblatt von Soras Schulter. „Wenn die Kirschblüten fallen, ist's ein Zeichen, dass er Sommer kommt“, meinte er und Sora nickte nur etwas. So etwas aus seinem Mund zu hören, klang irgendwie... falsch. Doch er hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn Jiro stellte ihm eine Frage: „Wo wohnste eigentlich?“ „Gion“, antwortete Sora. „Is' bestimmt toll da. Bin da auch öfters unterwegs. Also in Kawaramachi... gibt da ja viel“, plauderte Jiro drauf los. „Wo wohnste da?“ „Eher Zentral... so... beim Hanami-dori****“ Das überraschte Jiro nun doch. So unscheinbar der Junge auch aussah, seine Eltern mussten wahnsinnig viel Geld haben. Immerhin konnte sich nicht jeder eben Mal was in dieser Gegend leisten. „Und, lebste schon immer da?“, fragte Jiro weiter nach. „Nein, wir sind hergezogen. Es... ist sehr schön bei Nacht“ „Wo haste vorher gewohnt? Deinem Dialekt nach zu urteilen auch schon in Kyoto, oder?“ Sora war nun wirklich beeindruckt. Ihm war sein Dialekt aufgefallen? Jiro wirkte gar nicht so, als würde er auf so etwas achten. „In... Kagoshima“, antwortete Sora lächelnd. „Aber so wie du sprichst... nie und nimmer kommste aus Kagoshima! Da sprechen die anders. Du klingst altmodisch. Wie'n alter Dialekt aus Kyoto... Na ja. Und was machste so? Kommst ja nicht oft raus, oder? Sport sicher nicht...“ Sora schmunzelte nun doch etwas. „Sport mache ich nicht, nein. Aber eigentlich mache ich schon sehr viel. Nur eben nichts, was draußen stattfindet“.
 

Jiro entging es nicht, dass er von seinem Dialekt ablenkte und auch sonst nichts weiter von sich preisgab. Doch er beließ es dabei, trennte sich an der Station von Sora und stieg in eine Limousine, die dort für ihn wartete. „Bis morgen!“, rief er ihm noch zu. Sora war ein wenig verwundert, dass Jiro nicht mit dem Bus oder der Bahn fuhr... aber vielleicht war es ja einfach normal so, wenn man viel Geld hatte. Und als Minamoto... hatte er das sicher. Aber er machte sich nicht mehr allzu viele Gedanken darum. In Gion stieg er aus dem Bus, lief zur Hanami-dori und betrat wenig später eine Okiya. „Tadaima“ „Okaerinasaimase*****, Sorakun“, antwortete die Okaasan****** und lächelte sanft.

"Ein blaues Auge"

Wie immer brach Jiro auch an diesem Abend auf, um nach Kawaramachi zu fahren. Dort traf er sich mit einigen, wie er es nannte, Freunden, betrank sich mit den Jungen und auch ein paar Mädchen. So war es kein Wunder, dass Jiro auch am nächsten Tag mal wieder zu spät kam. So hielt er es die ganze Woche, bekam jedoch von kaum einem Lehrer einen Eintrag. Immerhin wollte man es sich nicht mit dieser Familie verscherzen. So konnte er es sich einfach erlauben sich daneben zu benehmen.
 

Sora beobachtete das ganze eher argwöhnisch, doch hielt er sich vorerst zurück damit irgendwas zu sagen. Vielleicht hatte er seine Gründe? Wer wusste das schon? Im Gegensatz zu ihm musste er selbst ständig höchste Disziplin an den Tag legen. Doch sein wohlbehütetes Elternhaus half ihm dabei.

Zwar war Jiros Elternhaus ebenso wohl behütet, doch er war einfach nicht so diszipliniert, wie es seine Geschwister waren. Nur selten kümmerte er sich um das, was andere sagten. Viel lieber hatte er Spaß und zog mit seinen Freunden abends durch die Straßen. Auch an diesem Wochenende ging er mit ihnen trinken, ehe sie in Kawaramachi die Gassen entlangliefen.
 

Hätte Jiro gewusst, dass Sora an jenem Abend ebenfalls unterwegs war, hätte er sich vielleicht zurückgehalten. Doch so belästigte er mit den anderen zusammen eine junge Frau. Sora konnte kaum glauben, was er da sah. Diese Frau war aus seiner Nachbarschaft und wollte eindeutig nicht von den Jugendlichen angesprochen werden. Dass Jiro unter ihnen war, erkannte er erst, als er näher herangetreten war. „Hayashisan*, kommen Sie! Man erwartet Sie schon!“, sagte er sofort. Die Frau nickte und folgte ihm aus dieser misslichen Situation. Die Jungen sahen den beiden nur nach. Jiro hatte ihn nicht erkannt. Dies mochte wohl in erster Linie am Alkohol liegen, den er intus hatte. Doch ebenso hatte sich Sora auch gut getarnt. Durch die Arbeit trug er einen, wenn auch sehr schlichten, Kimono und eine Perücke, um wenigstens den Schein zu wahren eine Frau zu sein.
 

Dieser Vorfall hatte Jiro gründlich die Laune verdorben. Deshalb machte er sich lieber auf den Heimweg. Vielleicht hätte die ein oder andere Person sich nun besser verhalten, doch für Jiro änderte sich nichts. Auch in der kommenden Woche kam er die ersten zwei Tage zu spät, ging aber in der Mittagspause zu Sora aufs Dach. Während er Montags nur kurz nach ihm sah und sich sofort wieder zurückzog, sprach Sora ihn am Dienstag auf eben dieses Verhalten an, als der Ältere schon wieder abhauen wollte: „Warum... gehst du immer wieder? Du kommst immer nur ganz kurz und dann verschwindest du...“ „Willst doch deine Ruhe. Deshalb. Wollt' nur nach dir schauen, ob dich auch niemand hier ärgert. Aber wenn's niemand macht, kann ich ja wieder gehen...“, antwortete Jiro schulterzuckend, lächelte etwas. „Oder willste mich hier haben, Sky?“ Sora blinzelte leicht und sah ihn an, schüttelte dann den Kopf. „Bitte... nenn mich Sora. Such dir von mir aus einen anderen Namen für mich, aber nicht... Sky. Und... Ja, ich habe dich gerne hier. Als ich gesagt habe, dass ich die Ruhe hier mag, hieß das nicht, dass ich allein sein wollte. Die Lautstärke setzt mir nur sehr zu...“ „Also... Magstes wenn ich hier bin? Soll ich bleiben?“, hakte Jiro, wenn auch etwas unsicher nach. Immerhin war die Frage doch etwas seltsam. „Ich habe nichts dagegen, wenn du der einzige bist“, entgegnete Sora lächelnd und brachte so auch Jiro zu einem Lächeln, wenngleich es doch sehr abweisend wirkte. „Es is' schön hier. Aber... auch einsam, oder nich'?“ Sora zögerte, schüttelte dann aber den Kopf zur Antwort. „Die Ruhe ist angenehm. Unten ist es mir zu laut...“
 

Jiro hing ein wenig seinen Gedanken nach, musterte Sora immer wieder, ehe er abermals die Stimme erhob. „Du bist anders als die anderen, auch wenn du genauso spießig aussiehst“, stellte er fest, was Sora ein Schmunzeln entlockte. „Da hast du vielleicht Recht“, gab dieser zurück. „In welchem Club biste eigentlich?“ „Ich besuche den Tee-Club“, antwortete Sora weiter, „Und du... bist im Fußball-Club. Macht es dir Spaß?“ „Sonst würd' ich ja wohl kaum den Club besuchen“, sagte Jiro grinsend, verdrehte dann aber die Augen. Tee-Club... das war sicher schrecklich langweilig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es tatsächlich interessant wäre, jeden Tag über Tee zu sprechen. „Ich mag Fußball sehr... ich hab's immer gespielt, aber... inzwischen komm ich nich mehr so oft dazu wie früher... Ich hoff' ja irgendwie... dass irgendwann Talentscouts kommen und mich bei 'nem Spiel sehen. Dann... könnt ich in die Profi-Liga.“, sprach er nach einiger Zeit weiter und Sora hob eine Augenbraue. Er kam nicht mehr dazu? „Nimm dir doch einfach die Zeit, wenn dir so viel daran liegt?“, fragte er nach. Immerhin wäre Fußball besser, als Frauen zu belästigen. Er verstand ohnehin nicht, wie man das tun konnte. „Mal schaun“, gab Jiro nur schulterzuckend zurück, ehe er zur Tür ging. „Bis dann, Sky“ Er schmunzelte etwas, verließ das Dach. Natürlich sollte er etwas an seinem Leben ändern, doch das war leichter gesagt als getan. Er mochte seine Freunde... irgendwie. Zumindest vertrieben sie ihm die Zeit.
 

Ein paar Tage vergingen, in denen Jiro jedes Mal aufs Dach kam. Dann aber fehlte er wieder zwei Tage. Als er Freitags dann doch wieder kam, war er überraschend pünktlich, ging aber während des Unterrichts einfach aus dem Raum und beschäftigte sich mit seinem Handy. Er hatte einfach keine Lust auf nichts, was selbst Sora auffiel. Misstrauisch beobachtete er das Verhalten des anderen. Deshalb stand er nach der Stunde auf, trat an Jiro heran, der sich gerade zurück gelehnt und die Füße hochgelegt hatte. „Warum bist du hier, wenn du keine Lust darauf hast?“, fragte er mit gerunzelter Stirn. Schon beinahe beeindruckt sah Jiro zu dem Jungen auf. „Weil mein Alter es will“, antwortete er dann aber schlicht, „Glaubste ich bin freiwillig an 'ner Spießerschule?“ „Dann wechsle die Schule doch. Ich finde, du verschwendest deine Zeit hier, wenn du nichts tust und nur faul herum sitzt. Dadurch ändert sich nichts“, entgegnete Sora und spürte, wie wütend er wurde, wandte sich aber ab und ließ sich frustriert auf seinen Platz sinken. Warum mischte er sich überhaupt ein?

Jiro sah ihm nach, beobachtete ihn ein wenig. Noch nie hatte ihm jemand so die Stirn geboten. Sora war wirklich interessant. Es machte ihn neugierig, was noch in dem Jungen steckte. Wer konnte das schon wissen?
 

Mit großer Überraschung sah Sora am folgenden Montag dabei zu, wie Jiro pünktlich in die Schule kam und sich besser verhielt. War es etwa wegen ihm und dem, was er gesagt hatte? Aber die Vorstellung fand er irgendwie lächerlich. Wieso sollte auch jemand wie Jiro auf ihn hören und sich so etwas zu Herzen nehmen? Vielleicht war es einfach nur Zufall. Ansprechen würde er ihn darauf sicher nicht. Stattdessen zog er sich in der Pause auf das Dach zurück. Wenig später kam auch Jiro vorbei. Er zog sein Bento** heraus, das offensichtlich aus einem Supermarkt stammte, und ließ sich neben Sora nieder. „Morgen, Sky. Wie geht’s dir?“, fragte er nach, doch Sora passte das gar nicht. „Sora. Immer noch. Wenn du es nicht endlich verstehst, werde ich kein Wort mehr mit dir reden.“ Zum ersten Mal ging Jiro nun auf seine Wiederworte ein. „So nennt dich jeder. Ich bleib' bei Sky. Wenn du's nich' verstehst, is' das dein Pech“ Er zuckte nur mit den Schultern, wandte sich etwas ab. „Ich mag es eben nicht. Es hat keinen schönen Klang. Es ist zu hart.“ „Weil's dein Name is', klingt's nich' hart“, meinte Jiro jedoch nachdenklich. „Dass du's bist, der den Namen trägt, lässt ihn weich klingen. Das siehste nur nich', weil du dich selbst nich' sehn kannst“

Sora ignorierte diesen Widerspruch, seufzte nur leise und aß von seinem Bento, blickte dann zu Jiros. „Wieso hast du kein eigenes Bento? Das schmeckt doch nicht“, meinte er leise. „Is' doch mein eigenes Bento. Mein Alter hat's extra für mich kaufen lassen“, entgegnete Jiro nur, verkrampfte seine Hand leicht um die Stäbchen, senkte den Blick und aß weiter.
 

Sora fühlte sich irgendwie schlecht. Das wurde auch nicht besser, als Jiro sich zwar auch die folgenden Tage gut benahm, aber immer nur mit einem gekauften Bento auf dem Dach erschien. Zuerst sagte er nichts dazu, doch drei Tage später konnte er einfach nicht mehr anders. Er nahm Jiro das Bento weg, schob ihm sein eigenes hin. „Hier, iss das.“ Jiro jedoch blockte sofort ab. Er schüttelte den Kopf, nahm sein Bento wieder. „Deine Ma hat's für dich gemacht. Also iss es. Ich komm schon klar.“ „Iss es. Bitte. Es schmeckt besser als dieser Fraß.“ Erneut nahm Sora Jiro das Bento weg und erhob sich, eilte ins Treppenhaus, um es dort in den Müll zu werfen. Jiro ließ es einfach geschehen. Doch bei seinem abwartendem Blick, nachdem sich Sora wieder gesetzt hatte, stand er nun selbst auf. „Ich geh' in die Mensa“ Er wollte ihm einfach nichts weg essen. „Nein... Bleib hier und iss endlich. Stell dich doch nicht so an.“ Sora wollte nicht, dass Jiro ging, doch er würde ihn nicht zurückhalten. „Iss dein Essen, aber dreh's mir nich' an!“ Damit verließ der Ältere das Dach, ging zu den anderen in die Mensa, um, wie schon so oft, dort zu essen. Es war in Ordnung, nicht unbedingt lecker, aber immerhin müsste er nicht hungern.
 

Nach dem Essen lief er zur Sporthalle, hatte nun schließlich Fußball. Bei Sora hatte er jedoch nicht mehr vorbeigeschaut. Dafür lief dieser einige Zeit später am Fußballfeld entlang. Wie immer hielt er sich im Schatten, beobachtete von dort aus das Spiel. Die anderen zogen sich nach und nach zurück, bis nur noch Jiro auf dem Feld stand und mit sich selbst spielte. Fußball war wohl das Einzige, dem er wirklich enthusiastisch nachging. Langsam stoppte er jedoch, ging an den Spielfeldrand und nahm seine Wasserflasche, goss sich von dem Inhalt ein wenig über den Kopf. Obwohl es erst Ende April war, hatte es schon weit über 20°C.

Sora erkannte, wie gut und frei sich Jiro beim Spielen zu fühlen schien. Umso weniger verstand er, warum er sich so dagegen wehrte, Fußball mehr Platz in seinem Leben zu geben. Als er sah, wie sich Jiro Wasser über den Kopf goss, kam er zu ihm und reichte ihm ein Tuch. Etwas perplex blickte Jiro darauf, lächelte dann und nahm es an sich. „Danke...“, sagte er sanft, atmete noch immer schwer. „Biste eben vorbeigekommen oder haste länger zugesehen?“ „Ich habe... zugesehen. Ein bisschen. Vom Baum dort hinten aus“, gab Sora zurück und deutete in die Richtung. „Ah...“, machte Jiro nur und steckte das nasse Tuch ein. „Ich lass' es waschen und bring's dir morgen wieder...“, verkündete er, ehe er leicht schmunzelte. „Kannst Sonne wohl echt nich' ab, hm? Na ja, ich geh' dann mal duschen. Warteste?“ „Es hat nichts damit zu tun, dass ich die Sonne nicht mag. Es wäre... nur nicht gut“, gestand Sora leise, nickte dann. „Ich warte beim Baum.“ Jiro verdrehte etwas die Augen, ging dann aber duschen.
 

Wenig später kam er wieder und gesellte sich zu Sora. „Warum wär's besser weiß zu sein?“, hakte er nun doch weiter nach. „Es ist für mich einfach besser“, versuchte es Sora zu erklären. Er konnte Jiro unmöglich sagen, was der wahre Grund war. Jiro nahm es jedoch einfach so hin, fragte nicht weiter nach. „Is' vermutlich eh gesünder so... Ich wette, ich bekomm' irgendwann Schrumpelhaut“, stellte er grinsend fest. „Aber kümmert mich nich'. Läuft halt so, wenn man ständig draußen is'...“ „Ich... ich finde du siehst gut aus, wenn du braun bist“, sagte Sora und schluckte etwas, senkte den Blick leicht. Die Hautfarbe ließ Jiro irgendwie so jung und frech wirken. Es passte einfach zu ihm. „Achso? Na das nehm' ich dann mal als Kompliment“, meinte Jiro, strich sich durchs Haar. „Heut' werd' ich mit dem Bus fahren. Dachte mir, ich könnt' meinen Alten auch mal sitzen lassen.“ Sora blinzelte überrascht und sah zu Jiro auf, musste dann aber leicht lächeln und schüttelte den Kopf, ging weiter den Weg entlang. Genau das hatte er gedacht, als Jiro ihn zum ersten Mal zur Busstation begleitet hatte. „Bis wohin musst du denn fahren?“, fragte er nach, während sie auf den Bus warteten. „Shugakuin... is' also ein Stück“, antwortete Jiro und stieg dann mit Sora in den nächsten Bus, um sich dort zu setzen. „Muss auch noch umsteigen... Is' nett, dass du in Gion wohnst. Gibt sicher viel zu sehen...“ „Gion ist für viele mittlerweile nichts mehr Besonderes. Aber ich mag es dort sehr. Die Straßen und Gassen... all die Menschen, die dort wohnen... Sie machen Gion zu einem schönen Ort“, antwortete Sora lächelnd. „Bin gelegentlich in der Gegend. Mags sehr bei Nacht“, entgegnete auch Jiro, „Und was machste da so jeden Tag?“ Sora verbiss sich eine Bemerkung. Immerhin hatte er bereits gesehen, was Jiro so in Gion trieb. „Was man eben macht. Hausaufgaben und Essen. Manchmal gehe ich abends noch spazieren“ Spazieren war gut gesagt, immerhin ging Sora eher arbeiten. „Spazieren klingt toll. Vielleicht find' ich auch mal wieder Zeit für“ Sie fuhren ein wenig, schwiegen sich nun eher an.
 

An der nächsten Station stieg eine Frau mit Kinderwagen ein. Sofort machte Jiro platz für sie, damit sie sich setzen konnte. Jiro blickte auf das Baby runter, ging vor ihm in die Hocke. Sofort strahlte es, als Jiro begann Grimassen zu schneiden, und lachte. Sora beobachtete sein Verhalten. Wie konnte jemand so anders sein...? An jenem Abend, als er die Frau belästigt hatte, hatte er herum gepöbelt, war unfreundlich und... hier machte er bereitwillig Platz für eine Frau mit Kind?

Fast schon liebevoll lächelte Jiro das Mädchen in dem Kinderwagen an, ehe er sich langsam wieder erhob, seinen Blick abwandte. Sofort wich das Lächeln seiner ständigen, recht ausdruckslosen Miene. „Du solltest öfters so lächeln. Du siehst gut damit aus.“, stellte Sora fest, als er aussteigen musste. „Red keinen Mist“, antwortete Jiro, folgte ihm aus dem Bus. „Hast du nicht gesagt, du musst nach Shugakuin?“, fragte Sora verwirrt nach. Jiro zuckte mit den Schultern. „Ich denk', ich vergnüg' mich noch ein bisschen in der Gegend.“ Sora nickte nur. „Ich meine es ernst mit dem, was ich gesagt habe.“ „Gibt nich' viele Gründe. Deshalb spar' ich's mir. Meinen Alten wird’s auch stressen, dass ich abgehauen bin und mich nun nich' hab fahren lassen“ „Du solltest Gründe finden.“, antwortete Sora ernst. „Habe noch einen schönen Tag“ Er verbeugte sich, ging dann die Straße runter. „Bis morgen...“, entgegnete Jiro noch, wandte sich dann ab, um nach Kawaramachi zu laufen. Am nächsten Tag kam Jiro jedoch nicht in die Schule, was Sora doch einige Gedanken bereitete.
 

Sonntags lief Jiro wieder ein wenig in Gion herum, nachdem er mit seinen Freunden getrunken hatte. Noch immer konnte man sein blaues Auge sehen, doch normalerweise kümmerte es ihn nicht. Hätte er allerdings gewusst, dass er auch an diesem Abend auf Sora treffen würde, hätte es ihn sicher gestört. Dieser war gerade mit einer Geiko unterwegs zu einem Teehaus, trug einige ihrer Sachen. Am Eingang trennte er sich von ihr, sah Jiro, wie er ihm entgegenkam. Erschrocken ging er einige Schritte in den Schatten des Hauses zurück, als ihm sein Auge auffiel. Er hatte sich geprügelt... Das passte nur allzu gut zu ihm.

Es war auch nicht verwunderlich, dass Jiro Montags zu spät kam. Sein Auge war mit Make-up abgedeckt und niemand schien es zu bemerken. In der Mittagspause ging er aufs Dach, lächelte Sora schwach an. „Du hast ein blaues Auge. Und bevor du fragst, ich sehe so etwas. Du hast Make-up darauf, um alles abzudecken“, stellte Sora fest, während sich Jiro neben ihn sinken ließ. Er holte sein Bento aus dem Supermarkt heraus und blickte dann fast überrascht zu Sora. „Jap, hab ich. Kommt schon mal vor.“, gab er recht gelassen zurück. „Ich verstehe nicht, warum man sich prügeln muss. Was bringt das? Beweist man damit etwas? Fühlt man sich dadurch besser?“, fragte der Jüngere nach, blickte auf das Bento und hielt Jiro seine eigene Box hin, die jedoch abgelehnt wurde.

Jiro runzelte die Stirn etwas. Prügeln? Das dachte er von ihm? „Keine Ahnung“, gab er deshalb nur zurück. Zufriedenstellend war die Antwort nicht gerade, doch sagte Sora nicht dazu. Dass er allerdings sein Bento nicht annahm, verwunderte ihn ein wenig? Wieso wehrte er es jedes Mal ab? Höflich war das ja nicht gerade. Doch er aß nun einfach schweigend weiter.
 

„Ich... kann heut' nich' mit dir fahren. Komm nich' zum Feld...“, begann Jiro, als er fertig gegessen hatte und erhob sich, um das Dach zu verlassen. Verwirrt sah Sora ihm nach. Er sollte nicht zum Feld kommen? Die Tür zum Treppenhaus schloss sich und er senkte den Blick. Aber wenn er es denn so wollte... Er kam also nicht zum Feld, ging direkt zur Bushaltestelle, nachdem sein Club geendet hatte.

Jiro ließ sich danach nach Hause fahren, kam am nächsten Tag pünktlich zur Schule. Doch statt in der Mittagspause wieder zu Sora zu gehen, der sich nun doch etwas einsam vorkam, die Zeit mit Jiro irgendwie schon genossen hatte, aß er stattdessen mit den anderen in der Mensa. An einem Gespräch beteiligte er sich trotz allem nicht. Seine Gedanken waren bei Sora. Warum bot er ihm sein Bento an? Warum fühlte er sich nun schlecht ihn dort alleine zu lassen? Und warum mischte sich der Junge eigentlich ein...? Er seufzte etwas. Ein wenig hoffte er schon, dass Sora zum Feld kommen würde. Doch nach seiner Abfuhr bezweifelte er es ein wenig.
 

Natürlich spürte Sora, dass ihm Jiro auswich. Doch das hielt ihn nicht davon ab, am Nachmittag zum Spielfeld zu kommen. Aus der Ferne sah er ihm zu, stellte fest, wie gut der andere dabei aussah... Trotz dem Unscheinbaren Platz zwischen ein paar Bäumen, hatte Jiro ihn gesehen. Er sah das Winken, lächelte schwach und beobachtete ihn einfach weiter. Erst als Jiro sich an den Rand des Spielfelds sinken ließ, kam er näher. Heute hatte es fast 30°C und der Himmel war strahlend blau. Kein Wunder, dass Jiro so schwitzte und sich zur Abkühlung Wasser über den Kopf goss. Er blickte dann hoch in den Himmel und strich sich durch das feuchte Haar, ehe er seine Augen schloss. Erst, als er einen Schatten bemerkte, der sich über ihn legte, öffnete er die Augen wieder. Er sah Sora vor sich, wie er ihm ein Tuch hinhielt. Dankbar nahm er es entgegen. Sein anderes hatte er ihm nicht zurückgegeben. Es lag noch immer in seinem Zimmer auf dem Schreibtisch und wartete darauf mitgenommen zu werden. Aber jedes Mal sträubte sich irgendwas in Jiro dagegen.

„Du hast zwar schon eins... aber... das hier kannst du auch benutzen“, hörte er die Stimme des Jüngeren, trocknete sich nun ab. „Danke...“ Zaghaft lächelte er, rappelte sich auf. „Ich brings dir wieder...“, versprach er, wie auch schon das letzte Mal. „Keine Sorge... ich habe noch einige zu Hause...“, meinte Sora nur und hob die Schultern. „Warteste? Ich nehm' wieder den Bus...“, fragte Jiro, wenn auch etwas unsicher, nach. „Ich warte bei den Bäumen“, antwortete Sora, wandte sich ab und lief an seinen Beobachtungsposten zurück, während Jiro in der Halle duschen ging. Zehn Minuten später kam der Ältere wieder raus, ging mit ihm zur Bushaltestelle.
 

„Setz' dich...“, forderte Jiro Sora auf, als sie den Bus betreten hatten und nur noch ein Platz frei war. Er selbst blieb stehen, sah aus dem Fenster. „Danke...“, nuschelte der Kleinere, ließ sich auf den Platz sinken. In Gion stiegen sie beide aus, ehe sie sich dort trennten. Noch einmal blickte sich Sora zu ihm um, bog dann aber in seine Straße ein. Irgendwie hatte er das seltsame Gefühl, dass Jiro den morgigen Tage wieder nicht in der Schule anzutreffen wäre...

"Kumochan"

„Es gibt einige Aufgaben, die Sie übers Wochenende zu erledigen haben. Kobayashisan, sie haben doch einen guten Draht zu Minamotosan, nicht wahr? Könnten Sie ihm die Aufgaben womöglich vorbeibringen?“, fragte der Lehrer Sora, am Ende der letzten Stunde. Wie vermutet war der Junge nicht aufgetaucht. Zusätzlich zu einem Stapel mit Blättern, der aus den Hausaufgaben aller Fächer des Tages bestand, reichte er Sora außerdem einen Zettel mit Jiros Adresse. Eigentlich hatte er ja besseres zu tun, als zu Jiro zu fahren, doch er würde es wohl tun. Immerhin hatte der Lehrer ihn damit beauftragt.
 

Jiro war an diesem Morgen zwar aus dem Haus gegangen, doch hatte er sich nur ein wenig herumgetrieben, im Park Fußball gespielt und danach etwas getrunken. Gegen Nachmittag kehrte er nun nach Hause. Er hatte die Schule nicht besuchen wollen, so wie er aussah. Er hatte eine Schramme an der Wange und eine aufgeplatzte Lippe. Es setzte ihm zu und belastete ihn, doch würde er sicher nichts an seinem Verhalten ändern.
 

Es dauerte einige Zeit bis Sora am späten Nachmittag vor dem Anwesen der Minamotos stand. Beeindruckt betrachtete er das riesige Tor und das Gebäude, das dahinter in die Höhe ragte. Unsicher klingelte er und wenig später wurde das Tor von einer alten Frau im Kimono geöffnet. „Herzlich Willkommen. Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie sanft und musterte den Jungen, erkannte die Uniform. „Oh, Sie müssen ein Klassenkamerad des Erstgeborenen sein, nicht wahr? Folgen Sie mir doch bitte.“ Damit verbeugte sie sich tief, ging dem Jungen voraus zum Hauptgebäude und führte ihn dort in einen Empfangsraum. Fasziniert ging Sora ihr nach. Erstgeborener.. Eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus. Im Empfangsraum ließ er sich zögernd nieder, bekam wenig später von der Frau eine Tasse Tee gebracht. Nachdem sie den Raum abermals verlassen hatte, dauerte es nicht lang und Jiro betrat den Raum. Er trug einen Jogginganzug, hatte die Kapuze tief in sein Gesicht gezogen. „Hey“, meinte er nur, blieb etwas von ihm weggedreht, während er sich setzte. „Was gibt’s, Kumochan*?“ Eine leichte Röte kroch in Soras Wangen und er presste die Lippen aufeinander. Kumochan...? Dennoch lächelte er leicht. „Ich soll dir von... unserem Klassenlehrer Hausaufgaben bringen“, sagte er leise und holte die Sachen aus seiner Tasche. Jiro nahm die Blätter entgegen, sah sie kurz durch. „Danke... Gibt's sonst noch was Neues? Hab zu tun...“
 

Es war mehr als offensichtlich, dass er damit log, aber er wollte nicht wirklich, dass Sora sah, was mit ihm los war... Wobei... es würde ja ohnehin nur das Bild bestätigen, das Sora wohl sowieso schon von ihm hatte. Also drehte er sich mehr zu ihm, was Sora leicht zurück zucken ließ. Er hatte sich geprügelt. Natürlich. „Werd' vermutlich nächste Woche wiederkommen. Sonst gibt’s vielleicht doch noch Probleme mit den Fehltagen“ „Ja, ich hoffe, dass du nächste Woche wieder da bist“, antwortete Sora leise und schluckte. So wie es aussah wollte Jiro ihn loswerden. Also würde er auch gehen. „Erhole dich gut“, sagte er mit einem höflichen Lächeln und verbeugte sich, erhob sich dann und ging zur Tür.
 

Gerade als er sie öffnen wollte, wurde er allerdings von dem Älteren zurückgehalten. „Wart! Ich... muss dir noch deine Tücher geben!“, verkündete er, stand nun so weit bei ihm, dass Sora die Verletzungen nur noch besser sehen konnte. Dieser erschauderte, senkte den Blick. Warum tat er das? Warum musste man sich ständig prügeln? Doch er sagte nichts. Jiro war in vielen Dingen so undurchsichtig und unberechenbar. Also wartete er nur geduldig, bis Jiro wiederkam. Er nahm die Tücher entgegen, verbeugte sich abermals. „Vielen Dank“ „Tut mir leid, dass du sie nun erst bekommst“, entschuldigte sich Jiro, führte den Jüngeren nebenbei zur Haustür. „Das ist schon in Ordnung. Ich habe noch einige, deshalb ist es nicht von Belang für mich, wann ich sie wiederbekommen hätte“ „Trotzdem...“, meinte Jiro nur, während Sora in seine Loafer stieg. „Also dann... bis nächste Woche, Kumochan.“ Der Kleinere verabschiedete sich ebenfalls, ging aus dem Haus und verließ durch das Eingangstor das Grundstück, machte sich auf den Weg zu Haltestelle. Es verwirrte ihn ein wenig, dass Jiro ihn nun Kumochan nannte. Es war ihm lieber, als Sky genannt zu werden, aber... Trotzdem verstand er es nicht recht. Kurz wandte er sich noch einmal zu dem Haus um. Aus irgendeinem Grund nahm der Ältere viel zu viel Platz in seinem Leben ein...
 

Doch nicht nur Sora fühlte so. Auch Jiro war über den Verlauf der Dinge nicht wirklich begeistert. Sora griff so sehr in sein Leben ein. Er verstand nicht warum und auch nicht, warum er den Jungen überhaupt so sehr an sich heranließ. Genervt fuhr er sich durchs Haar. Er musste daran dringend etwas ändern. Um alles zu verdrängen, machte er sich am Wochenende wieder auf, durch die Straßen zu ziehen. Den Stapel mit Hausaufgaben hatte er nicht noch einmal in die Hand genommen. Dennoch kam er am Montag tatsächlich in die Schule und das sogar pünktlich. Die Wunden hatte er abgedeckt und so vor den Blicken anderer Geschützt.
 

In der Mittagspause saß Sora schon auf dem Dach, als sich die Tür quietschend öffnete und Jiro heraustrat. Er setzte sich schweigend zu dem Jüngeren und packte sein Bento aus, aß davon. Es dauerte einige Zeit, bis er dann doch die Stimme erhob. „Wie geht es dir?“, fragte er nach. „Tut mir leid, dass ich dich einfach weg geschickt hab. Hatt' noch zu tun... Wie war's Wochenende?“ Er wandte sich etwas ab, strich sich über die noch immer etwas geschwollene Unterlippe. „Schon in Ordnung. Ich wollte dich auch nicht stören oder so“, gab Sora zurück, verfolgte seine Bewegung mit gerunzelter Stirn. „Mein Wochenende war sehr schön“ Er musste daran denken, wie er von Unterricht zu Unterricht gerannt war, doch er mochte diesen Stress.
 

Jiro erwiderte nichts mehr, hing seinen Gedanken nach. Warum verbrachte er eigentlich so viel Zeit mit Sora? Er war ein langweiliges, stilles, graues Mäuschen... Kurz sah er zu Soras Bento, dann auf sein eigenes. Jeden Tag bekam er nur diesen Fraß mit... Ein selbstgemachtes Bento hatte er seit der ersten Klasse nicht mehr gehabt und auch damals war es nur von der Haushälterin gewesen. Dennoch aß er alles auf, ehe er sich erhob. „Werd' heut' abgeholt... brauchst also nich auf mich warten...“, meinte er leise, „Es sei denn, dich interessierts zuzuschauen“ Und schon verschwand er wieder im Schulgebäude.

Sora wollte noch etwas sagen, doch da war Jiro schon wieder vom Dach verschwunden. Leicht biss er sich auf die Unterlippe und aß sein Bento weiter. Er verstand ebenso wenig, warum er eigentlich ständig mit Jiro hier saß. Sie hatten nichts gemeinsam, außer der Tatsache, dass sie nun mal in dieselbe Klasse gingen. Ansonsten waren sie vollkommen unterschiedlich. Und doch... verstand er sich ja irgendwie mit ihm, auch wenn sie kaum Worte wechselten. Leise seufzte er über diese Gedanken, packte dann die leere Box zusammen und steckte sie ein, um ebenfalls das Dach zu verlassen.
 

Nach dem Tee Club lief Sora wie immer zum Feld. Auch wenn Jiro ihn irgendwie abgewiesen hatte, wollte er ihn sehen. Doch heute drehte sich der ältere nicht zu ihm um. Er ging konzentriert dem Spiel nach, ehe er zum Duschen in die Umkleide ging. Erst jetzt wandte sich Sora ab und machte sich auf den Heimweg. Ob Jiro morgen zum Unterricht kommen würde? Er war so undurchsichtig...

Tatsächlich kam Jiro jedoch am nächsten Tag pünktlich in die Schule. Er verbrachte den Mittag wie immer bei Sora auf dem Dach, beachtete ihn während dem Fußball aber nicht weiter. Das frustrierte Sora schon ein wenig. Was sollte das? Warum kam er erst, um mit ihm zu essen, sprach dann aber kein Wort und ignorierte ihn?
 

Als Jiro den folgenden Tag wieder zu spät kam und sich recht gehetzt auf seinen Platz sinken ließ, beunruhigte das Sora nur noch mehr. Es ging ihn nichts an, doch es verwirrte ihn. Er war doch sonst nicht so... Nun aber saß der Ältere auf seinem Stuhl, atmete schwer. Die Haare fielen ihm wirr ins Gesicht, das Hemd war noch schmuddeliger als sonst.

Sora konnte ja nichts von den Zuständen in seiner Familie wissen. Er hatte pünktlich kommen wollen, doch sein kleiner Bruder hatte ihn aufgehalten. Er war krank und so musste er sich eben um ihn kümmern. Sora würde er davon sicher nichts sagen. Deshalb ging er in der Mittagspause auch nicht aufs Dach, sondern flüchtete sich zu seinen anderen Mitschülern in die Mensa. Der kleine, blasse Junge würde mit Sicherheit nachfragen. Das wollte er nicht. Er mischte sich zu viel ein.
 

Ein wenig vermisste Sora schon die Zweisamkeit, die sie sonst dort auf dem Dach hatten, doch es verwunderte ihn nicht, dass Jiro nicht erschienen war. Er war sich etwas unsicher, ob er nun überhaupt noch zum Spielfeld gehen sollte. Aber er entschied sich dafür, stand wenige Stunden später zwischen ein paar Bäumen, um Jiro beim Fußball spielen zu beobachten. Ein wenig hoffte er, dass Jiro sich ihm vielleicht zuwandte, winkte oder lächelte, doch nichts dergleichen geschah. Jiro ignorierte ihn wieder. Leise seufzte er auf. Hatte er irgendwas falsch gemacht? Er blieb stehen, bis der Ältere in der Umkleide verschwunden war, machte sich gemächlichen Schrittes auf den Weg zur Bushaltestelle.
 

Als Jiro herauskam, war Sora bereits weg. Er hatte doch eigentlich noch kurz mit ihm reden wollen. Unruhig trat er von einem Bein aufs andere, ehe er ebenfalls zur Haltestelle eilte. Er sah Sora gerade in den Bus einsteigen, trat hinter ihn und schob ihm einen Zettel in die Hosentasche. „Melde dich...“, bat er leise, wandte sich dann ab und ging zu der Limousine, die am Schultor wartete.

So schnell, wie das geschehen war, konnte Sora kaum reagieren. Er spürte die Hand in seiner Hosentasche, hörte die Stimme, doch als er sich umdrehte, war Jiro schon weg. Langsam zog er den Zettel aus seiner Tasche und sah darauf die E-Mail Adresse des anderen. Er lächelte etwas, speicherte sie auf seinem Handy. Vielleicht hatte er ja doch nichts falsch gemacht...
 

Den ganzen Abend sah Jiro immer wieder auf sein Handy, doch es kam nichts. Was hatte er auch erwartet? Warum hoffte er überhaupt darauf? Er schüttelte den Kopf, seufzte tief und vergrub sein Gesicht im Kissen. Er verstand sich selbst kaum. Murrend schmiss er sein Handy zur Seite, nur um es wenig später in seine Tasche zu schieben und das Haus zu verlassen. Er fuhr nach Gion, traf sich mit ein paar anderen, um in einer Kneipe zu trinken. So bekam er auch nicht mit, wie Sora im erst spät am Abend schrieb. Er hätte Jiro am liebsten sofort eine Mail geschickt, doch leider nahm ihn die Arbeit wieder voll ein. Er musste einige Maiko und Geiko zur Arbeit begleiten und die Zimmer aufräumen. Erst gegen elf Uhr konnte er zum ersten Mal an diesem Abend durchatmen und sich bei Jiro melden: »Es tut mir leid, dass ich dir erst jetzt schreibe. Ich hatte viel zu tun. Danke, dass du mir deine Adresse gegeben hast. Sora«.
 

Das Handy vibrierte in Jiros Hosentasche, doch er schien dem keine Beachtung zu schenken. Zusammen mit seinen Freunden machte er Ärger, belästigte Leute. Sie waren gerade vor Soras Okiya, als eine Maiko das Haus verließ. Sie gaben dumme Kommentare ab, pfiffen und grölten herum, was auch der Jüngere in seinem Zimmer hörte. Er schob das Fenster auf, sah gerade noch, wie die Maiko zum Taxi hetzte und einstieg. Sein Blick fiel danach auf Jiro, der mit seinen Freunden dort stand, flüchtete, als Polizeisirenen zu hören waren. Irgendjemand hatte sie wohl gerufen.

Langsam schob Sora das Fenster wieder zu. Er hatte sicher wieder getrunken. Warum konnte er sich nicht benehmen? So konnte er doch nicht einfach mit anderen umgehen...
 

Trotz dieses Vorfalls kam Jiro am nächsten Morgen pünktlich zur Schule. Er war noch etwas müde und verkatert, doch bemühte er sich zumindest ein wenig. Sora sah nur kurz zu Jiro, wandte seinen Blick aus dem Fenster. Er war zum ersten Mal richtig sauer auf ihn. Wie konnte er so etwas nur tun? Dieses Mädchen hatte Angst und ihnen nichts getan. Trotzdem war er so unhöflich gewesen. Er schüttelte den Kopf angesichts dieser Erinnerung und schloss die Augen etwas. Es verwunderte ihn absolut nicht, dass Jiro sich zur dritten Stunde ins Krankenzimmer entlassen hatte. Immerhin war er ziemlich betrunken gewesen. Dort würde er seinen Rausch ausschlafen können.
 

Sora saß in der Mittagspause wie immer auf dem Dach, sah nicht mal richtig auf, als sich die Tür öffnete. Das verwirrte Jiro nun doch etwas. Er setzte sich langsam zu ihm. Am Morgen hatte er die Mail gelesen und nun wollte er ihm zumindest dafür danken. Er musterte ihn kurz. Sora wirkte so abweisend... Was war passiert? „Danke für die Mail...“, sagte er unsicher, packte sein Bento aus. Sora nickte nur knapp, konnte sich dann aber einfach nicht mehr zurückhalten. „Ich habe dich gestern Abend gesehen...“, gab er zurück und stocherte in seinem Bento herum. „Gestern Abend? Warste auch in der Spielhalle?“, fragte Jiro nach, runzelte etwas die Stirn. Er konnte sich nicht wirklich an mehr als an die Bar und die Spielhalle erinnern. Es schien so viel aus seinem Gedächtnis verschwunden zu sein. „Wusste nich', dass du an solche Orte gehst. Wirkst so brav“, fügte er nach kurzem Schweigen hinzu. Sora blickte auf, schüttelte den Kopf. „Nein... Nein, das meine ich auch nicht. Als du in Gion warst. Vor der Okiya. Da habe ich dich gesehen“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Vor der Okiya?“ Jiro schüttelte den Kopf. Das machte Sora nur noch wütender. Warum tat er so, als wäre das alles nie passiert? „Ich war einen trinken und dann in 'ner Spielhalle... Danach bin ich Heim“, erklärte sich Jiro weiter. Es war jedoch nicht das erste Mal, dass er sich nicht an den vorigen Abend erinnern konnte. „Und selbst wenn, is' es nun 'n Verbrechen in Gion zu sein?“
 

Sora sah ihn weiterhin an. Er wusste nicht, ob er das glauben sollte oder nicht. Es konnte gut sein, dass er ihn einfach nur anlog. „Nein, es ist kein Verbrechen. Solange du dabei niemanden belästigst. Wie zum Beispiel eine Maiko.“ Jiro funkelte ihn nun leicht an. „Was unterstellste mir da nun! Red' nich' so 'nen Unsinn. Ich hab' nie 'ne Maiko belästigt und werd's auch nie tun!“, knurrte er. „Für was hältste mich eigenlich?!“ Warum sagte Sora so etwas? Wieso beschuldigte er ihn solcher Dinge?

„Ich habe dich doch gesehen und gehört! Wie du dumme Kommentare zusammen mit deinen tollen Freunden abgegeben hast und wie du ihr hinterher gepfiffen hast. Du solltest aufhören zu trinken. Ich glaube, das tut dir nicht gut. Wenn du mir nicht glaubst, dann frag doch deine Freunde. Vielleicht können die sich noch daran erinnern!“ Soras Finger zitterten leicht. Er wollte sich nicht mit ihm streiten, aber er konnte das nicht einfach ignorieren. Jiro presste die Lippen zusammen, sagte jedoch nichts. Hatte er das wirklich getan? Seine Hand wanderte zu seiner Hosentasche und er zog sein Handy heraus, begann zu tippen. Es dauerte nicht lange und er bekam eine Antwort, steckte darauf hin sein Handy schweigend zurück in die Hose. Er wagte nicht Sora anzusehen, blickte nur zu Boden. Langsam erhob er sich, ließ all seine Sachen liegen und ging vom Dach.
 

»Warst ziemlich betrunken. Kein Wunder kannst du dich nicht erinnern. War echt lustig, aber die mussten ja die Polizei rufen« Jiro seufzte, während er noch einmal die Worte las. Warum hatte er das getan? Er war nicht so ein Mensch. Seufzend strich er sich durchs Haar, lief die Treppe runter und ging Richtung Mensa.

Sora hörte die Tür ins Schloss fallen. Verunsichert und etwas verwirrt blieb er jedoch zurück, räumte Jiros Sachen zusammen. Er hatte nicht so ausgesehen, als würde er noch einmal hier hoch kommen. Ob er es wirklich vergessen hatte? Aus seiner Mimik hatte er nichts lesen können. Er war so gleichgültig, fast kalt. Als wäre ihm alles egal... Aber dann hätte er doch nicht so reagiert, oder? Überhaupt passte sein Verhalten nur so selten zusammen...

"Das erste Mal im Karaoke"

Den Rest des Schultages tauchte Jiro nicht mehr auf. Alle Sachen hatte er einfach bei Sora gelassen und war in die Stadt gefahren. Nach einiger Zeit zückte er sein Handy und schrieb Sora eine E-Mail: »Ich wart' in Gion auf dich. Kannste mir meine Sachen mitbringen?«

Er fühlte sich nicht gerade wohl, so wie es jetzt war. Noch Schlimmer war es nur, weil Sora es auch noch mitbekommen hatte. Dabei hatte er solchen Respekt vor Maikos und Geikos... wie war es nur dazu gekommen, dass er nun eine belästigt hatte? Er verstand es einfach nicht.
 

Als Sora die Mail bekam, verdrehte er erst einmal die Augen, nahm dann aber die Sachen des Älteren mit und brachte sie nach der Schule auch nach Gion, wo Jiro bereits ungeduldig wartete. „Danke, Kumochan...“, sagte er lächelnd, während er die Tasche entgegen nahm. Sora verbeugte sich etwas, senkte dann aber den Blick. „Welche Okiya war's?“, fragte der Ältere nach, was ihn nun doch etwas verwirrte. „Ich will mich entschuldigen. Ich bin nich' so. Ich mach sowas nich'“, erklärte sich Jiro weiter, sah Sora ernst an. Er war entschlossen sich bei dem Mädchen zu entschuldigen.
 

„Ich...“ Sora sah ihn an, spürte wie sein Herz anfing zu klopfen. Natürlich war es seine Okiya... doch er wusste nicht, ob er das einfach tun konnte. Wenn Okaasan herauskam und ihn ansprach...? Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Er nickte etwas, führte ihn die Straße entlang. „Hier war es...“

Jiro folgte ihm, blieb dann vor der Okiya stehen und sah daran nach oben. Tief atmete er durch, ehe er sich wieder an den Kleineren wandte. „Du kannst... schon weitergehen... es wär' mir sonst echt peinlich“, meinte er leise. Sora nickte etwas und lächelte, verbeugte sich leicht. „Bis morgen...“, antwortete er und bog in die nächste Gasse ab, um dort zu warten bis Jiro gegangen war.
 

Dieser stand nun vor der Tür der Okiya, atmete tief durch, ehe er die Tür aufschob. Ein Klingeln war aus den Hinterräumen zu hören. „Ojamashimasu*“, rief er durch den Flur. Kurz darum kam eine kleine, alte Frau auf ihn zu. Sie trug ihre Haare traditionell hochgebunden und war in einen Kimono gekleidet. Überrascht sah sie auf den jungen Mann vor sich. Solchen Besuch gab es nur selten. „Ja bitte?“ Sie betrachtete ihn von oben bis unten und fragte sich ernsthaft, was er hier wollte. Abgesehen davon, dass diese Gegend überhaupt nicht zu ihm zu passen schien, war ihr so jemand noch nie begegnet. Hier gingen ausschließlich Leute ein und aus, die entweder mit dem Geiko-Gewerbe zu tun hatten, oder über einen dicken Geldbeutel verfügten. Doch ihr Blick blieb an dem Wappen der Schulkleidung hängen. Dieses Wappen... war das nicht Soras Schule?

Jiro sah die Frau an, dann an sich herunter. Seine Jacke war offen, sein Hemd schräg geknöpft und einige Flecken darauf. Seine Schuhe waren runtergetreten und schmutzig. Trotz seines „Standes“ wirkte er nun wirklich schäbig... Er spürte den Blick der Frau überdeutlich, schluckte schwer. Doch er überwand sich, erhob seine Stimme. „Guten Abend“, begann er unsicher. „Gestern... wurde hier... eine Maiko belästigt. Ich... ich würde gerne mit ihr reden. Ich war einer der Jungen und möchte mich dafür entschuldigen“ Er bemühte sich ausnahmsweise wirklich ordentlich zu sprechen, verbeugte sich tief vor der Frau.

Diese hörte ihm zu, hob dann leicht die Brauen. So war das also... er hatte gestern zusammen mit anderen Mameha belästigt. Doch sie rechnete es ihm hoch an, dass er hier her gekommen war, um sich persönlich zu entschuldigen. Anstand musste er also doch irgendwie haben. „Nun... ich schätze es sehr, wenn so junge Leute wie du genug Rückgrat besitzen, und sich Fehler eingestehen. Und noch mehr schätze ich es, wenn man sich für eben diese Fehler entschuldigt. Mameha war sehr verängstigt gestern. Ich werde es ihr ausrichten. Vielen Dank für dein Kommen“, sagte sie mit überraschend sanfter Stimme. Jiro hatte eher mit Wut gerechnet. Er verbeugte sich erneut. „Es tut mir wirklich sehr leid“, wiederholte er. „Ich werde... ihr nie wieder zu nahe kommen. Das verspreche ich. Und... ich werde auch den anderen sagen, dass sie sich zurückhalten sollen.“

„Ich danke dir. Du bist kein schlechter Mensch. Vielleicht brauchst du nur einen anderen Umgang“, erwiderte sie und blickte ihn an, verbeugte sich ebenfalls noch einmal, als er sich abwandte und das Gebäude verließ. Tief seufzte er. Er hatte es geschafft. Zwar hatte er sich absolut bloßgestellt, aber... er hatte sich entschuldigt.

Auch Sora war froh darüber. Er war irgendwie stolz auf ihn. Als er sah, wie er die Straße verließ, ging er selbst zur Okiya und betrat sie.
 

Am nächsten Morgen kam Jiro wieder einmal zu spät in die Schule, ging zum Mittag wie immer auf das Dach, um nach Sora zu sehen. Er setzte sich zu ihm, lächelte schüchtern. „Danke, dass du mich dort hingebracht hast... Ich hab' mich entschuldigt...“ Diese Schüchternheit wirkte nun doch ungewohnt, war er doch sonst nicht so. Aber es war ihm ein wenig peinlich. Sora jedoch lächelte nur. „Das ist gut... das hast du wirklich gut gemacht... War die Okaasan böse auf dich?“ „Nein, nein... War sie nich'. Sie... fand's gut, dass ich persönlich vorbei gekommen bin“, antwortete Jiro. „Ich hatt' echt Angst, sie reißt mir den Kopf ab oder so...“ Er lachte, zog dann sein Bento heraus, um zu essen. „Aber sie war nett“ Er sah wieder kurz zu Sora, ehe er sich etwas Reis in den Mund schob. „Kommste heut' wieder an den Sportplatz?“ „Wenn du es möchtest, dann... ja.“

Jiro nickte leicht und aß schweigend von seinem Bento. Als er fertig war, schnappte er seine Tasche und verließ das Dach wieder. „Bis später“, rief er Sora noch zu, schloss dann die Tür hinter sich. Sora sah ihm etwas kopfschüttelnd nach. Er war so undurchsichtig...
 

Als am Nachmittag das Training anstand, sah sich Jiro sofort nach Sora, der wieder zwischen den Bäumen stand, um und lächelte ihm zu. Im Gegensatz zu sonst trug er heute ein langes Trikot, obwohl es schon ziemlich warm war. Das überraschte auch den Jüngeren, doch er machte sich keine Gedanken darum. Erst als sich Jiro am Rand niederließ, trat er heran und sah ein paar blaue Flecken, als sich der Ältere streckte. Leicht presste er die Lippen zusammen. Er hatte sich wieder geprügelt. Deshalb war er heute Morgen sicher auch zu spät gekommen. Er verstand es einfach nicht. Warum machte er so etwas? Spaß? Das konnte er sich nicht vorstellen. Wer hatte schon gerne Verletzungen? „Ich kann leider nich' mit dir fahren... Werd' abgeholt...“, sagte Jiro nachdem er seine Flasche Wasser ausgetrunken hatte. „Ist in Ordnung...“, gab Sora zurück und lächelte ihn leicht an. „Würd' lieber mit dir fahren und noch 'n bisschen durch Gion gehen...“, meinte er weiter, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Aber mein Alter wieder...“ Er schmunzelte und stand auf. „Bin gleich wieder da...“ Schon verschwand er und ging duschen. Sora sah ihm nachdenklich nach. Sein Vater...? Warum hielt er ihn davor zurück? Schon ein wenig seltsam. Er wartete jedoch auf Jiro, der kurze Zeit später wiederkam. „Ich begleit' dich noch zur Station...“ Während sie dort hin liefen, sah er immer wieder zu Sora, betrachtete ihn. Er war so weiß und zart, fast schon zerbrechlich. All seine Freunde waren eher so wie Jiro: braun gebrannt, groß, muskulös... Wie kam er nur mit diesem kleinen Jungen klar? Er verstand sich selbst nicht. Sie hatten doch nicht einmal gemeinsame Interessen. „Bis dann“, sagte er an der Station, klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Ja... bis Montag“, antwortete auch Sora, stieg in den nächsten Bus. Nachdenklich blickte er aus dem Fenster zu Jiro, der gerade in das große, schwarze Auto mit den getönten Scheiben einstieg. Das musste ein Vermögen gekostet haben, doch seine Familie hatte Unmengen an Geld. Das war ihm schon klar geworden, als er nur das Anwesen gesehen hatte. Doch ebenso wie Jiro war auch ihm noch immer schleierhaft, wieso sie sich verstanden. Sora mochte solche Leute nicht, denen alles egal zu sein schien...
 

Den folgenden Tag, einen Samstag, nutzte Jiro, um mit seinen Freunden zum Karaoke zu gehen. Sie liefen gerade durch Kawaramachi, als sie plötzlich Sora trafen. Sofort lief Jiro auf ihn zu, legte ihm seinen Arm um die Schulter. „Hey, Kumochan“, sagte er und lächelte leicht. „Was'n das für'n Pimpf?“, fragte einer seiner Freunde nach. „Sieht aus wie'n Streber“ „Kennste den etwa?“ „Jiji, dein Umgang is' echt schlecht!“, riefen nun auch die anderen durcheinander, bis einer vorschlug, ihn auch mitzunehmen. „Je mehr je besser oder so“ „Jo, komm mit, Kurzer“ Jiro lachte etwas. „Überfallt ihn doch nich' so. Was sagste? Lust auf Karaoke?“, fragte er nun selbst den Kleineren, der sich doch ziemlich überrannt fühlte. Diese „Freunde“ waren ihm sichtlich unsympathisch. Doch er wollte Jiro eigentlich auch nicht abweisen. Vorsichtig verbeugte er sich, was einigen Lachen entlockte. „H-Hallo...“, sagte er erst einmal nur, blickte zu Jiro auf. „Ich... ich müsste erst nach Hause und fragen, ob das in Ordnung ist...“, fügte er dann hinzu. „Isses weit von hier? Sonst warten wir. Kannst ja 'ne Mail schreiben“, gab Jiro zurück und wuschelte ihm leicht durch das kurze Haar. „Kannst doch auch mal Spaß haben“ Die anderen nickten, griffen ihn leicht. „Komm doch einfach mit. Deine Eltern sollen sich mal nich' so anstellen“ „Stresst ihn doch nich' so!“, verteidigte ihn Jiro, worüber Sora sichtlich erleichtert war. Er löste sich aus dem Griff der anderen. „Ich... schreibe dir eine E-Mail, ja?“ Schnell wandte er sich ab und ging die Straße eilig nach Gion. „So ein Mamakind...“, meinte einer und Jiro seufzte. „Lasst ihn doch. Der is' noch viel jünger als ihr“
 

Sora wusste, dass heute eigentlich noch Lehrstunde im Schminken anstand... aber er wollte. Auch wenn ihm Jiros Freunde nicht gerade wie wirkliche Freunde erschienen. Sie waren grob und unhöflich... Aber vielleicht lernte er sie ja besser kennen und sie waren doch anders? Unsicher betrat er die Okiya, wo ihm seine Okaasan, Haruko, die Einkäufe abnahm. „Dann bist du jetzt erst einmal entlassen. Mameko wird aber später zu dir kommen, das weißt du ja.“ Sora zögerte, überwand sich dann aber. „Ich... also ich wollte fragen, ob ich es verschieben darf? Ich... ein... ein Freund wartet und wollte mich mit zum Karaoke nehmen...“, sagte er leise und sah sie unsicher an. „Ich weiß, dass jede Stunde sehr wichtig ist, aber ich würde so gerne...“ Haruko seufzte leise, sah ihn kritisch an. „Karaoke? Du solltest die Stunde nehmen“, sagte sie erst einmal kritisch, nickte dann aber. „Ich muss sagen, dass du gute Fortschritte gemacht hast. Ich werde Mameko Bescheid geben, dass wir deine Stunde verschieben. Aber du kennst die Regeln. Kein Alkohol, nicht rauchen, nichts, was die Okiya in Verruf bringen könnte“ Ernst blickte sie ihn an, lächelte dann aber. „Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Viel Spaß.“ Hätte sie gewusst, dass Sora mit solchen Leuten ins Karaoke gehen würde, hätte sie womöglich anders reagiert. „Vielen Dank! Ich verspreche dir, nichts davon wird passieren. Bis... bis später!“, rief er glücklich und mit roten Wangen, verbeugte sich tief. Er reichte der Frau die Tüte mit Einkäufen, die er zuvor noch erledigt hatte und rannte dann geradezu aus der Okiya und aus dem Viertel, um zurück zu Jiro zu kommen.
 

Die anderen wurden bereits ungeduldig. Doch als sie Sora zurückkommen sagen, nahmen sie ihn in ihre Mitte. Das verschreckte Sora ein wenig und er hielt sich mehr an Jiro. „Kommste also mit, Kurzer?“ „Wie heißte eigentlich?“, fragten sie nach. „Sora heißt er“, gab Jiro für ihn zurück. Sie liefen die Straße entlang, bogen in eine Gasse und folgten ihr, bis zu einem Karaokeclub. Sie nahmen sich ein Zimmer, in dem Jiro den Jungen sofort neben sich zog. Einer seiner Freunde bestellte inzwischen allerhand alkoholische Getränke und auf Jiros Wunsch auch Soda, damit Sora etwas trinken konnte. Die anderen packten ihre Zigaretten aus und hielten auch dem Kleineren eine hin. Dieser sah irritiert darauf, schüttelte etwas den Kopf. „Nein... ich... ich rauche nicht“, sagte er leise und verunsichert. „Natürlich rauchste nich'“, meinte einer und verdrehte die Augen. „Der darf doch auch nich'“, erwiderte Jiro. „Wie alt isser denn?“ 15? 16?“, fragte einer nach. „Is ja noch ein Kleinkind“, antwortete nun ein anderer. „Kannste überhaupt schon lesen?“ „Vermutlich kann er mehr Kanji als du, Idiot“, erwiderte Jiro und gab dem, der gerade gesprochen hatte, einen Schlag gegen die Schulter. Die anderen lachten.
 

„Willste den Anfang machen?“ Jiro reichte Sora das Tablet, das Sora sofort an sich nahm, um nach einem Lied zu schauen. Dabei hing er auch seinen Gedanken nach. Jiros Freunde waren unfreundlich und ungehobelt. Mehr nicht. Warum hatte er mit ihnen zu tun? Kurz sah er auf, als das Bier herein gebracht kam und der Ältere sich sofort eine Dose nahm. Mit zusammengepressten Lippen sah er darauf, wandte sich aber wieder dem Tablet zu, wählte ein Lied. Jiro reichte ihm das Mikro, trank von seinem Bier, das er in der einen Hand hielt und nahm folgend einen Zug der Zigarette in seiner anderen Hand.

Tief atmete Sora durch, verzog den Mund etwas bei dem Qualm. Nun gut... dann würde er mal singen. Die anderen wurden tatsächlich ruhiger und applaudierten am Ende sogar. Jiro legte vorsichtig seinen Arm um Soras Taille, strich seine Seite entlang. „Du bist gar nich' schlecht...“, meinte er grinsend. „Danke“, gab Sora mit roten Wangen zurück. „Du bist dran, Jiji“, rief Tora, der Älteste der Jungen und warf Jiro ein Mikro zu. Sofort begann dieser zu singen. Er war wirklich gut darin, lehnte sich mehr an Sora. Leicht schluckte dieser, spürte den anderen mehr an sich. Es hatte ihn nie jemand so gehalten, weshalb er nun doch etwas überfordert war. Doch er ließ es geschehen, hörte Jiro zu. Seine Stimme hörte sich gut an.
 

Je mehr Zeit verging, desto mehr Alkohol wurde bestellt. Jiro berührte Sora immer wieder, strich über seine Schulter oder seinen Rücken, wuschelte ihm gelegentlich durchs Haar. Immer wieder ging dabei ein Schaudern durch Soras Körper. Er konnte nicht sagen, ob es sich gut anfühlen sollte oder nicht. Es war eine völlig neue Erfahrung für ihn. „Dosendrehen! Wahrheit oder Pflicht!“, verkündete Tora plötzlich und ein anderer nahm eine Dose, drehte diese. Innerlich stöhnte Sora auf, als sie natürlich bei ihm zum Halten kam. „Was wählste?“, fragte Jiro und blickte zu ihm. „Uhm... Wahrheit?“ Die anderen tuschelten, sahen dann zu ihm. „An was denkste, wenn dus dir selbst machst?“, fragte dann einer und sah ihn an. Ein paar kicherten und auch Jiro verbiss sich ein Lachen. Sora jedoch sah fassungslos in die Runde und wurde hochrot. Was sollte er da bitte antworten? „Ich... das... ich mache das nicht...“, murmelte er nur und wandte den Blick beschämt ab. Nun begann auch Jiro zu lachen. „Junge, du bist 16! Haste nie an dir rumgespielt?“, fragte einer. Wie konnte jemand so drauf sein. Für die anderen war das unbegreiflich. Jiro jedoch sah schon fast nachdenklich auf Sora runter. Ob er überhaupt schon irgendwie in Berührung mit anderen Menschen gekommen war? Mädchen? Nein... so ein Unsinn. Er wirkte dafür viel zu naiv... Leise seufzte er, ließ jedoch nicht von ihm ab, hielt ihn sanft an sich gedrückt.
 

„Sollteste dringend ausprobieren“, legte einer Sora nahe. Sora war das alles so unbeschreiblich peinlich. Das Lachen, das Nachfragen. So oder so war es ihm doch nicht erlaubt, eine Beziehung nebenbei zu führen. Er hatte auch gar keine Zeit dafür. Schweigend griff er die Dose und drehte sie. „Wahrheit oder Pflicht?“, fragte er leise. „Pflicht“, antwortete Jiro sofort. „Du nimmst immer nur Pflicht!“, widersprach einer der anderen. Er hatte Recht. Jiro wollte nie Wahrheit wählen. Lieber machte er sich zum Affen, als irgendwas über sich preiszugeben. Das überraschte Sora nicht. Jiro erschien ihm so, als ob er versuchte, viel über sich vor anderen zu verstecken. „Eigentlich müssteste verpflichtet werden Wahrheit zu nehmen!“ „Ruhe jetzt. Der Kleine is' dran“, wehrte sich Jiro und sah zu dem Jungen neben sich. Die anderen hofften natürlich auf etwas Dummes und Erniedrigendes oder auf etwas ganz tief unter der Gürtellinie. Deshalb beugte sich einer zu Sora, flüsterte ihm was ins Ohr. Dieser wurde hochrot, nickte dann aber schwach. „Zieh... deine Hose aus und... dann... musst du den Gang einmal rauf und runter rennen...“, nuschelte er kaum hörbar. Oh Gott, war das peinlich. Dass Jiro sofort akzeptierte, machte das nicht besser. Erschrocken sah er zu ihm und wollte ihn zurückhalten. Doch da stand der Ältere schon auf, zog die Hose runter und präsentierte seine Shorts mit Kätzchen darauf. Jolend rannte er auf den Gang, während ihn die anderen beobachteten und vor Lachen in Tränen ausbrachen. Sora traute sich kaum hinzusehen. Als ein Angestellter alle wieder in das Zimmer scheuchte, atmete er erleichtert auf. „Zufrieden?“, fragte Jiro nach und lachte, als Sora nur wieder rot wurde, jedoch leicht nickte. Er stieg in seine Hose, ließ sich wieder neben den Kleineren sinken.
 

Auch die anderen erledigten ihre Aufgaben oder begannen über sich zu plaudern, wenn sie Wahrheit gewählt hatten. Dabei sankt das Niveau merklich, da inzwischen mehr Alkohol geflossen war. Die Luft füllte sich zunehmend mit dem Rauch der Zigaretten. Irgendwann kam es dann so weit, dass sich einige zu küssen hatten und einer auf dem Tisch stand, strippte. Sora war das alles eher unangenehm. Der Rauch setzte sich in seiner Kleidung fest und er bekam Kopfschmerzen durch das alles. Sicher würde auch Haruko denken, er habe selbst geraucht und getrunken... Tief seufzte er auf, als die Dose wieder vor ihm landete. Noch bevor sich Sora für Wahrheit oder Pflicht entschieden hatte, rief einer: „Lapdance! Auf Jiros Schoß!“ Leicht schluckte Jiro. Bei ihm? Doch er schmunzelte nur, sah zu Sora. „Vermutlich weißte nich' mal was das is, oder?“ Die anderen prusteten vor Lachen. „Doch! Ich... ich weiß... was es ist...“, murmelte Sora ergeben, stimmte somit zu. Das überraschte den Älteren nun doch. Er würde es tatsächlich tun? Ein Schaudern ging durch Jiros Körper. Er war angetrunken, hatte schon länger keinen Sex mehr gehabt und seine Freunde wussten nicht, dass er schwul war. Er war der Sache ja nicht einmal abgeneigt, doch wie würde Sora wohl reagieren, wenn womöglich -er- auf ihn reagierte? Doch er durfte sich nichts anmerken lassen, würde es also einfach so hinnehmen. Sora war ohnehin nicht sein Typ. Er stand nicht auf kleine, dürre Schwächlinge. „Na dann mach mal“, forderte ihn auf.
 

Mit zitternden Knien ließ sich Sora auf Jiros Schoß sinken, traute sich nicht, ihn anzusehen. Seine Wangen waren glühend rot und er schämte sich so schrecklich. „Ich kann das nicht...“, hauchte er kaum hörbar. Jiro schmunzelte etwas, als er das hörte. „Nun mach schon...“, antwortete er und die anderen begannen zu lachen. Vorsichtig legte der Ältere seine Hände an Soras Hüfte. „Du musst dich nur bewegen...“ Verzweifelt sah Sora ihn an, nickte dann jedoch und begann sich langsam auf ihm zu bewegen. Gepeinigt schloss er die Augen, er konnte das kaum ertragen. Dem Älteren dagegen gefiel es... beinahe zu sehr. Er lehnte sich mehr zurück, betrachtete den Jungen, als dieser mehr an ihn heran rutschte. Das war nicht gut. Tief atmete er ein, als er das deutliche Reiben in seinem Schritt fühlte, krallte seine Finger mehr in Soras Hüfte und blickte zur Seite. Dies ließ den Kleineren leicht zusammenzucken, bis der dann schließlich spürte, wie sich etwas in Jiros Hose regte. Ihm war klar, was bei ihm gerade passiert war, konnte jedoch auch nicht einfach von ihm runtergehen. Die anderen würden es womöglich sehen.
 

Überrascht stellte Jiro fest, dass Sora nun nicht einfach flüchtete, sondern sitzen blieb. Er sah entschuldigend zu ihm, überlegte, wie sie aus dieser Situation herauskommen sollten. Doch einer von Jiros Freunden nahm das alles in die Hand. Er drückte Sora näher an Jiro heran, woraufhin sich dieser sofort an dem Älteren festhielt. „Ausziehen!“, riefen alle durcheinander und Jiro zwang sich zu einem Lachen. „Überfordert ihn nich' so“, entgegnete er, hob Sora nun von seinem Schoß und schlug die Beine übereinander, sodass niemand etwas von seinem Problem mitbekam. Erleichtert ließ sich Sora zurück sinken, atmete tief durch und schloss die Augen kurz. Dieser Tag war eindeutig zu viel für ihn. Stumm drehte er die Dose. In den nächsten Runden waren die beiden zum Glück nicht mehr wirklich involviert. Außerdem wurde es langsam immer später und sie alle brachen auf. Jiro übernahm die Kosten, verließ das Gebäude mit Sora und lief mit ihm Richtung Gion. Tief atmete er die frische Luft ein, traute sich jedoch nicht zu Sora zu sehen, der ebenfalls zu Boden blickte. Stumm vergrub er seine Hände in den Hosentaschen, stolperte etwas vor sich hin, da ihm der Alkohol doch zusetzte. Das besorgte Sora allerdings. Er blickte zu Jiro auf, griff leicht nach seinem Arm. „Du solltest... nicht so viel trinken... das ist nicht gut“, sagte er leise. „Weiß ich“, gab Jiro schulterzuckend zurück. „Tut mir leid wegen vorhin... war der Alkohol...“ Sora würde vermutlich selbst wissen, dass es nicht -nur- am Alkohol gelegen haben konnte, aber ihm fiel nichts besseres ein. „Schon in Ordnung...“ Er ging mit ihm weiter, dachte über die Situation nach, nahm es dann aber so hin. Jiro hatte sicher Recht...

„Wir sehen uns am Montag...“, sagte Jiro nach einiger Zeit mit einem eher gezwungenen Lächeln. Doch Sora akzeptierte es. Es war seltsam gewesen, das alles. Er verbeugte sich vor Jiro, verabschiedete sich ebenfalls und sah ihm dann nach, ehe er selbst nach Gion einbog. Es war schon spät, als er die Okiya betrat. Schnell eilte er in sein Zimmer, nahm frische Kleidung und ging sich duschen. Er stank sicher schrecklich. Wenn das Haruko erfahren würde...

"Angemessenes Verhalten"

Am folgenden Montag kam Jiro ausnahmsweise mal wieder pünktlich in die Schule. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, sah zu Sora und lächelte zaghaft, ehe er sich zu seinem Hintermann umdrehte und mit ihm sprach. So musste er nicht nicht mit ihm befassen. Er hatte seit dem Vorfall beim Karaoke schon genug über ihn nachgedacht, während Sora ihn schon wieder vergessen hatte. Für ihn gab es keine besondere Bedeutung dahinter. Warum sollte er also zu viel darüber nachdenken? Doch dafür hingen seine Gedanken ständig bei Jiro selbst, was ihn ziemlich nervte.

In der Mittagspause verließ Sora wie immer sehr schnell das Klassenzimmer und zog sich auf das Dach zurück. Gerade aß er von seinem Bento, als sich plötzlich dir Tür öffnete und Jiro zu ihm kam. „Hallo, hatteste noch 'n schönes Wochenende?“, fragte er nach und ließ sich neben den Kleineren sinken. „Ja... vielen Dank dafür“, gab Sora leise zurück und verbeugte sich etwas, ehe er fortfuhr: „Es hat mir sehr gefallen. Auch wenn deine Freunde ein wenig... laut waren... Aber das war schon in Ordnung.“ Jiro schmunzelte etwas und nickte. „Sie sind 'n bisschen speziell... Aber ich mag sie. Sie sind halt älter... Älter noch als ich“ Er zuckte mit den Schultern, während er sein Bento auspacke, das wie immer gekauft war, stocherte dann im trockenen Reis herum. „War schön, dass du mitgekommen bist“ „Wie... wie alt bist du? Und wie alt sind sie?“, fragte Sora unsicher nach, wusste er doch nicht, ob es okay war das nachzufragen. „Der Älteste is' vierundzwanzig... ich bin der Jüngste und bin achtzehn...“, antwortete Jiro jedoch, blickte dann kurz auf das Bento Soras, das dieser ihm hin schob. „Bitte... probiere von meinem“, bat er vorsichtig, doch der Ältere schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht annehmen. Leicht senkte Sora daraufhin den Blick, aß selbst weiter. Er wollte ihm gerne davon abgeben... ihm war klar, dass er es nicht einfach so hergeben sollte, aber es war doch streng gesehen nicht von seiner echten Mutter, auch wenn ihm Haruko sehr wichtig war.
 

„Kommste später wieder ans Spielfeld?“, fragte Jiro nach einiger Zeit des Schweigens und packte sein nicht einmal halb gegessenes Bento zusammen, um die Packung in den Müll zu werfen. „Ja... ja, werde ich...“, antwortete Sora und sah Jiro nach, als dieser das Dach verließ, an der Tür noch einmal stehen blieb. Natürlich würde er das Bento wegwerfen... Eigentlich machte man so etwas nicht, aber es war ja nichts Persönliches, also wäre es nicht so schlimm, oder? Normalerweise war Jiro immer sofort gegangen, doch nun stand er da und... lächelte ihm zu. Es war ein aufrichtiges Lächeln... So kannte er ihn gar nicht.
 

Auf dem Fußballplatz hielt der Ältere sofort nach Sora Ausschau. Noch immer trug er sein langes Trikot, um sich vor den Blicken anderer zu schützen. Als er ihn endlich sah, wandte er sich jedoch sofort wieder ab, konzentrierte sich nur noch auf das Spiel. Er wollte ein wenig prahlen, was Sora doch amüsierte. Er spielte anders als sonst, doch er war wirklich gut. Die anderen verabschiedeten sich nach und nach, bis Jiro alleine auf dem Feld stand und spielte. Langsam trat der jüngere näher, blieb an dem Zaun stehen, der das Spielfeld abgrenzte. Jiro kam ebenfalls weiter zu ihm, griff sich bei der Bank eine Flasche Wasser und goss sie sich über den Kopf. „Warteste?“, fragte er den Kleineren, der leicht nickte. „Da hinten... im Schatten“ Und schon zog er sich zwischen die Bäume zurück. Kopfschüttelnd sah Jiro ihm nach, ging dann in die Umkleide, um zu duschen und sich wieder seine Uniform anzuziehen.
 

Als Jiro wieder zu Sora trat, klopfte er ihm sanft mit der flachen Hand auf die Schulter. „Haste noch Zeit oder musste gleich heim?“, fragte er nach und musterte den Kleineren. „Würd' gerne mit dir ins Karaoke. Ohne die anderen“ Überrascht sah Sora ihn an. Er wollte noch einmal ins Karaoke? Leicht sah er auf sein Handy und wägte die Zeit ab, wobei Jiros Herz raste. Er verstand nicht warum, hatte er doch auch sonst keine Probleme mit so etwas. Doch als Sora ihm dann antwortete, machte sein Herz einen Sprung. „Ja... ja, gerne“, sagte er lächelnd. Er würde noch Zeit haben, bis er eine andere Maiko zur Arbeit begleiten musste.

„Okay, dann komm!“ Jiro ging ihm voraus zur Bushaltestelle und ließ seinen Chauffeur, wie so oft, einfach stehen. Sora sah noch, wie dieser die Arme empört hob, ehe sie beide in den ankommenden Bus stiegen. Vorsichtig wurde er von dem Älteren auf einen Platz geschoben. „Was machen eigentlich deine Eltern?“, fragte Jiro nach. „Deine Ma hat viel Zeit für dich, oder? Wenn sie dir immer 'n Bento macht“ Unsicher sah Sora ihn an. „Meine Mutter arbeitet... gegen Nachmittag und mein Vater in einer Firma.“ „Ah...“, machte Jiro nur. Er war nicht uninteressiert, doch fiel ihm nichts Besseres ein. An sich war er nicht gut darin zu reden, irgendwas zu sagen, was nicht dämlich klang. Er strich sich durchs Haar, schluckte und seine Gedanken schweiften ab. „Ich... ich weiß nicht, ob ich morgen komm“, meinte er leise. „Mal schauen ob mir danach is'...“ Sora verstand es nicht wirklich. Mal kam Jiro, mal nicht... was sollte das? Doch er würde es einfach hinnehmen. Er konnte nicht erwarten, dass er sich an Regeln hielt. Er war nicht so ein Mensch... „In Ordnung...“
 

Einige Zeit verging, die Jiro damit verbrachte, aus dem Fenster zu sehen. Ziemlich gleichgültig sah er auf die vorbeiziehenden Häuser, merkte dabei nicht, wie Sora ihn beobachtete und sich selbst so seine Gedanken machte. Erst als die Station aufgerufen wurde wandte sich Jiro von dem Fenster ab und lächelte Sora schwach zu, griff ihn am Handgelenk, um ihn hinter sich her aus dem Bus zu ziehen. Wenig später kamen sie an und ihnen wurde ein Zimmer zugewiesen. Dort ließ sich Jiro auf die Eckcouch sinken und lehnte sich zurück. Eher unsicher setzte sich Sora neben ihn und nahm das Tablet zu sich. „Willst du anfangen?“, fragte er Jiro und hielt es ihm hin. „Warum nich'...“ Der Junge mit den rotbraunen Haaren ging die Lieder durch und wählte dann eines aus, begann zu singen. Er wusste, er konnte es, also würde er es auch zeigen. Aufmerksam hörte ihm Sora dabei zu, während er sich selbst ein Lied aussuchte. Etwas abgelenkt wurde er jedoch, als Jiros Hand plötzlich auf seinem Bein lag. Er blickte darauf, schob sie jedoch nicht weg. Es fühlte sich nicht negativ an, war eher ein wenig seltsam... doch er genoss es irgendwie. Auch die Tatsache, dass seine Hand ihn sanft zu streicheln begann, war nicht unangenehm und nicht aufdringlich. Er erschauderte ein wenig, schmiegte sich ein wenig an Jiro. Dieser lächelte dabei leicht, sah einen Moment zu dem Kleineren. Er hatte so lang kein Interesse mehr an jemandem gehabt und auch Sora war doch uninteressant, oder nicht? Er war kaum sein Typ... doch irgendwas zog ihn an.
 

„Es is' schön hier mit dir...“, raunte Jiro dem Schwarzhaarigen leise ins Ohr, als das Lied zu Ende war und reichte ihm das Mikro. Fast schon übereilt riss Sora das Mikro an sich, sah mit roten Wangen zu ihm auf. Irgendwie war er hier so anders... Es war schwer das nachzuvollziehen. Er schluckte schwer, begann dann aber zu singen, wobei Jiro langsam seine Hand von seinem Bein nahm. „Singst gut“, stellte der Ältere nach dem Lied fest, wuschelte Sora ein wenig durchs Haar, was diesen erröten ließ. Jiro nahm das Tablet folgend wieder an sich und ging die Lieder durch, wählte eines für Sora, dann für sich. „Sing nochmal“, forderte er den anderen auf, der leicht nickte und wieder zu singen begann. Jiro beobachtete ihn dabei, musterte ihn eingehend. Irgendwas an ihm zog ihn an. Was war nur los mit ihm? Dieser Blick entging Sora nicht und er senkte nach dem Lied das Mikro, reichte es Jiro. „Alles in Ordnung...?“, fragte er nach und der Ältere nickte nur, wandte sich etwas ab. Er nahm das Mikro und begann zu singen, wollte sich reinhängen so gut er konnte. Ein wenig mochte er es ja anzugeben und Eindruck zu schinden. Vorsichtig legte er nebenbei einen Arm um Soras Schulter, zog ihn mehr zu sich. Widerstandslos ging Sora darauf ein, war begeistert von Jiros Gesang. „Du... du kannst das toll! Ich mag es.“ „Nur wenn ich's für dich sing“, antwortete der Ältere nur, löste sich und ging zu der Gegensprechanlage, um in der Lobby anzurufen und Getränke zu bestellen. „F-für mich...?“, murmelte Sora derweil eher zu sich, senkte den Blick. Er war ganz froh, dass Jiro nun aufgestanden war und sich mit anderem beschäftigte. Das löste die aufgekommene Anspannung.
 

„Gehste eigentlich öfter ins Karaoke?“, hörte er kurz darauf wieder die Stimme des anderen an sich gerichtet. „Nein... nein, nicht mehr, seit ich hier wohne...“, antwortete der Kleinere. „Dann lass uns öfters gehen. Würd' mich freuen. Ich möcht' auch mal nich' nur mit den anderen rumhängen. Oder wir gehen nochmal alle zusammen weg. Was hältste von?“, überrannte ihn Jiro schon fast. „Ich... aber... nur wenn sie nicht mehr so viel trinken...“, murmelte Sora und sah auf den Boden. Es war ihm unangenehm gewesen, dass sie alle so betrunken gewesen waren. „Na ja, sie trinken halt. Sind eben schon älter“, gab er lachend zurück, klopfte ihm auf die Schulter. „Haste am Wochenende Zeit? Könnten was mit ihnen unternehmen. Oder keine Lust?“ Fragend sah er ihn an. Sora blinzelte, nickte dann. „Ich muss erst Okaa-san fragen, ob das... denn geht“, sagte er leise. „Aber ich würde gerne mit dir... also mit euch weggehen...“ Wieder zog er das Tablet zu sich, als es plötzlich klopfte und eine Mitarbeiterin das Trinken hereinbrachte. Er bedankte sich und nippte an der Melonsoda. Auch Jiro nahm ein paar Schluck, ehe er weitersprach. „Du hast 'ne strenge Ma, oder?“, fragte er nach, musterte ihn. „Dass du sie immer nach allem fragen musst....“ Er lehnte sich mehr zurück, lächelte dann aber. „Ich hoff', sie lässt dich mit uns weg. Solltest ihr vielleicht besser nich' sagen was wir so treiben.“ „Sie ist nicht unbedingt streng... Ich habe nur sehr viele Aufgaben zu Hause“, entgegnete Sora, lächelte leicht bei dem Gedanken daran. Seine Okaa-san, Haruko, war sehr nett und aufmerksam ihm gegenüber, doch er verstand, warum sie manchmal streng war. Immerhin ging es um seinen Traum, seine Zukunft und die Arbeit. „Wo geht ihr hin?“, fragte er sicherheitshalber nun doch nach. „Die anderen meinten, sie wollten ein bisschen Fusel kaufen und in den Park... trinken gehen“, antwortete Jiro. Leicht presste der Kleinere die Lippen aufeinander. „Ich... ich weiß nicht... ob das so gut ist, wenn wir das tun...“, murmelte er. „Musst ja nix trinken. Nur ein bisschen rumhängen. Vielleicht noch in 'nen Club gehen. Sie meinten sie würden Mädchen mitbringen. Vielleicht is' ja für dich eine dabei“ Jiro lachte etwas. „Wir können auch gehen, wann immer du magst.“ „Mädchen... hm...“ Sora runzelte die Stirn, nickte aber leicht. Er hatte nie Interesse an Mädchen gehabt, aber auch nie mit ihnen zu tun gehabt, seit dem Kindergarten. Manchmal fühlte er sich ein wenig überfordert, wenn er hörte, wie sie kicherten und tratschten, über Kleidung und Schminke sprachen. Das war nicht seine Welt, auch wenn er sich selbst viel mit Kleidung und Schminke auseinandersetzen musste. Immerhin musste er sich mit Kimonos auskennen und auch wissen, welches Make up Maikos trugen.

Dennoch stimmte Sora, wenn auch zögerlich zu. Vielleicht hatte Jiro ja Recht und er würde ein Mädchen finden? Noch ahnte er ja nicht, wer da bei dem Treffen so auftauchen würde...
 

Wie Jiro bereits angekündigt hatte, kam er am nächsten Tag nicht in die Schule. Stattdessen war er in Kawaramachi und Gion unterwegs und hatte schon am frühen Morgen getrunken. Mit anderen aus seinem Freundeskreis saß er zwischen ein paar Bäumen in der ruhigen Tempelanlage in Gion am Boden und sie alberten herum, waren laut, was am späten Nachmittag auch Sora mitbekam. Er hatte gehofft, der Ältere würde doch noch zur Schule kommen. Nun war er aber auf dem Heimweg, wollte kurz zuvor noch beten und hörte so die Jugendlichen. Langsam ging er in die Richtung, aus der das Gelächter kam, erblickte dort Jiro mit seinen Freunden. „Hey, Jiji, schau mal! Der Kleine is da!“, rief der Älteste von ihnen, Tora, plötzlich. Langsam wandte sich der Angesprochene um, stand auf und kam auf den Kleineren zu. „Hey, Kumochan!“ Er legte ihm seinen Arm um die Schulter, grinste etwas. Nun, da er betrunken war, störte es ihn nicht wirklich, dass Sora sein blaues Auge sah. Sein Verhalten und auch der Geruch nach Alkohol ließen Sora jedoch zurückweichen. „Hast du nichts besseres zu tun, als den Tag zu vergeuden, indem du an einem solchen Ort sitzt und ihn damit besudelst, dass du unnötig Alkohol in dich kippst?“, fragte er bissig nach und runzelte die Stirn. Sein blaues Auge war ihm nicht entgangen. Warum musste er sich ständig schlagen? „Was siehste alles so ernst?“ Jiro grinste nur, tätschelte Sora den Kopf. „Lach doch mal! So kann ich ja nich' in die Schule. Also bleib ich hier“ Mit einem Mal wandte er sich wieder ab. Natürlich sah es so aus, als würde er sich besaufen und deshalb prügeln. Sora konnte ja nicht wissen, wie es wirklich war. „Ich kann über so etwas nicht lachen!“, schnaubte der Kleinere und sah ihn enttäuscht an. „Das hier ist ein Tempel... etwas Heiliges. Man setzt sich nicht hier hin und trinkt!“ Er umfasste seine Tasche fester mit den Fingern. Es verletzte ihn, Jiro so zu sehen und seine Worte verletzten ihn nur noch mehr. „Was soll'n hier dran heilig sein? Es gibt keine Götter, die irgendwas toller oder heiliger machen. Oder so 'ne Scheiße, wie für sein Glück zu beten! Das is' alles Schwachsinn. Glaubste echt, da is' irgendwas, was dich gesund macht, wenn du krank bist? Wenn's sowas gäbe, wär nich' so viel Dreck in der Welt!“ Er schüttelte den Kopf, seufzte tief. „'n dummer Tempel kann mir das Leben nich' zurechtbiegen, egal ob ich hier saufe oder nich'“, sagte er aufgebracht und Sora funkelte ihn an. „Dann respektiere zumindest die anderen, die hier ihre Ruhe finden und beten möchten“, antwortete er und senkte langsam den Blick. „Dein Verhalten... das bist nicht du. Du bist immer so, wenn du Alkohol getrunken hast. Dann bist du immer so aggressiv“, murmelte er leise, schluckte schwer. „Du hast keine Ahnung wie ich bin oder wer ich bin!“, gab Jiro sofort zurück, stieß ihn etwas nach hinten. „Dass ich aggressiv bin, is' deine Schuld, wenn du mir versucht was vorzuschreiben“ Er funkelte den Kleineren an, ballte seine Hände.
 

Sora verstand gar nichts... er hatte ein schönes Zuhause, eine liebende Familie... und er selbst? „So, und also du so mit der Maiko umgegangen bist, warst du nicht aggressiv? War das normales, angemessenes Verhalten?“ „Ich... ich hab' keine andere Wahl, als zu trinken... So kann ich mich betäuben...“, entgegnete Jiro leise. Natürlich war das nicht angemessen gewesen, das wusste er doch selbst... „Ich will jetzt beten. Lass mich das tun...“, sagte Sora wieder leise und Jiro wandte sich ab. „Mach was du willst!“, zischte er, ging zu den anderen zurück. Er bemerkte gar nicht, wie sehr er Sora mit alledem aus der Fassung brachte. Langsam lief dieser den Weg entlang, bis er die Jugendlichen nicht mehr hörte und ihn die Stille übermannte. Er trat vor einen Schrein im Inneren des Tempels, warf ein paar Münzen in den Opferstock, klatschte und presste die Handflächen aufeinander, schloss die Augen. Wirklich konzentrieren konnte er sich jedoch nicht. Jiro war viel zu präsent in seinen Gedanken.
 

Jiro trank indessen mit den anderen ein wenig weiter, zog nicht viel später mit ihnen durch die Hauptstraße, wo sie herum pöbelten. Er selbst hielt sich jedoch weiter im Hintergrund. Eigentlich wollte er bei so etwas nicht mitmachen, ging wenig später nach Hause. Nachdenklich stand er an der Haltestelle, stieg in den ankommenden Bus und blickte einige Zeit aus dem Fenster. Die Lichter draußen leuchteten bereits, der Himmel war dunkel. In der Nähe seines Hauses stieg er aus, zog sein Handy heraus, blickte darauf. »Misch dich nich' in mein Leben ein. Halt' dich fern von mir.« Mehr als das schrieb er nicht, schickte die E-Mail ab.
 

Sora verabschiedete sich gerade von einer Geiko, die er zu einem Teehaus gebracht hatte, und ging zur Okiya zurück, als sein Handy vibrierte. Er zog es aus seinem Obi*, klickte die Mail an. Bei dem Geschriebenen hatte er das Gefühl, jemand hätte ihm einen Schlag verpasst. Er schluckte und senkte den Blick, schloss das Handy wieder und schob es zurück. Tief atmete er durch. Er würde es akzeptieren.

"Hätt'ste meinen Blick erwidert"

Nach dem gestrigen Tag ging Jiro nicht in die Schule. Er hatte einen schrecklichen Kater, wollte sich nicht aus dem Bett bewegen. Sein Kopf schmerzte und ihm war übel. Er erinnerte sich noch, was Tags zuvor passiert war, fühlte sich deshalb noch schlechter. Am Wochenende hatten er und Sora weggehen wollen, doch nach dieser Mail glaubte er nicht mehr wirklich daran.

Sora war durch sein Nichterscheinen ein wenig besorgt. Er blickte in der Schule auf den leeren Platz. Vielleicht war es besser so, wenn sie nicht weggehen würden. Er musste sich auf seine Arbeit und seine Prüfung konzentrieren... Trotzdem dachte er an Jiro. Das wurde auch nicht besser, als er am Donnerstag ebenso fehlte.
 

Erst einen Tag später kam Jiro wieder in die Schule, was Sora sichtlich überraschte. Aber er sagte nichts. Jiro wollte nicht, dass er sich noch einmal mit ihm abgab. Also würde er es auch nicht tun. Doch das blaue Auge, das noch dunkler war, als noch zwei Tage zuvor, beunruhigte ihn. Da der Ältere ihn jedoch ignorierte, tat er es ihm gleich, lief dann zur Mittagspause auf das Dach, nur um dort appetitlos in seinem Bento herumzustochern. Er seufzte tief und sah in den Himmel, als er plötzlich die Tür quietschen hörte. Erschrocken sah er in die Richtung und erblickte Jiro. Dieser schien völlig steif zu sein. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und seine Lippen glichen nur einer dünnen Linie. Es herrschte einen Moment Schweigen, bis er die Stimme langsam erhob. „Kumochan...“, begann er leise, „Seh'n wir uns am Wochenende?“, fragte er nach, ließ sich unsicher und mit etwas Entfernung neben den Kleineren sinken. Nebenbei holte er ein Reisbällchen aus seiner Tasche, öffnete die Verpackung. „Du hast geschrieben, ich soll mich von dir fernhalten. Warum... willst du mich dann noch sehen...?“, hakte Sora misstrauisch nach, blickte auf das Reisbällchen und sein eigenes Bento. „Da is' niemand außer dir“, antwortete Jiro leise. Er ließ die Hand mit seinem Essen sinken, strich sich mit der anderen Hand die Haare ins Gesicht. „Wär' schade, wenn du auch nich' mehr wärst“ „Ich habe keinen Grund zu gehen“, antwortete Sora, schob ihm bittend sein Bento hin. „Is' deins. Ich ess' dir nichts weg.“ Sora seufzte leise, nahm das Bento zurück. Ob er eines essen würde, das er ihm mitbrachte? Über seinen Gedanken bekam er gar nicht mit, wie Jiro etwas näher rutschte. Erst bei seiner Entschuldigung sah er auf. „Tut mir leid... wegen gestern... Kumochan“ Doch Sora nickte nur, sah etwas zu Boden. „Es ist in Ordnung“ „Nein... nein, is' es nich'“ Jiro schüttelte den Kopf, zog die Beine näher heran. „Für dich is' es einfach zu sagen, ich soll nich' trinken, aber... für mich is' es nich' so leicht. Du hast 'ne tolle Ma, die dir dein Bento macht... du gehst nach Hause und hast da deine Familie. Ich beneid' dich....“ Es war wohl das erste Mal, dass er etwas Persönliches aus sich herausließ.

Leicht betrachtete ihn Sora dabei. Es war doch etwas seltsam diese Worte zu hören... „Du findest aber keine Erlösung darin, dass du trinkst. Du solltest etwas anderes tun. Fußball spielen oder so. Du magst es doch. Ich sehe es dir an. Du bist immer der Letzte, der das Spielfeld verlässt...“, versuchte er es ein wenig hilflos. „Fußball lässt mich nich' vergessen... ich kann damit nich' ausblenden. Ich mag's. Aber es reicht nich'.“ Tief seufzte er. „Am Wochenende... da seh'n wir uns, oder?“ „Am Wochenende? Wenn... du noch möchtest, dann ja“, gab Sora zur Antwort und senkte den Blick. Er hatte Haruko, seine Okaa-san, extra gebeten den Schminkunterricht zu verschieben, damit er Jiro sehen konnte. „Ja, ich möchte...“ Jiro senkte den Blick ebenfalls wieder, legte seine Hand unsicher auf die des Jüngeren. „Ich... ich möcht' dich seh'n. Außerhalb der Schule...“ Etwas verwirrt sah Sora ihn an. „Außer-... außerhalb... ja... natürlich. Warum nicht?“, murmelte er, lächelte sanft. Die Hand verschwand von seiner eigenen. Dafür spürte er nun Jiros Stirn, die gegen seine Schläfe gelehnt war. „Wirst du zum Feld kommen?“, fragte der Ältere leise nach, wobei Sora leicht erschauderte. Er war ihm so nahe... warum? Doch er nickte schwach. „Ich werde da sein...“, antwortete er ebenso leise. Kaum waren diese Worte gesprochen, entfernte sich Jiro, schulterte seine Tasche und streckte sich, wobei einige Prellungen sichtbar wurden. Sora verengte die Augen, als er diese sah. Er hatte sich schon wieder geprügelt. Kein Wunder, wenn er sich ständig so betrank. Doch er sagte nichts, blickte dem anderen nur nach, als er das Dach verließ.
 

Jiro stand noch immer alleine auf dem Feld, während die anderen schon weg waren, und spielte Fußball, wobei ihn Sora aus dem Schatten der Bäume heraus beobachtete. Als er fertig war, trat er etwas an den Rand und der Kleinere kam ihm entgegen. „Geh'n wir zusammen?“, fragte er nach und Sora lächelte. „Sehr gerne...“ Er wartete geduldig, bis Jiro fertig war mit Duschen und wieder zu ihm kam. „Ich bring' dich zur Bushaltestelle. Ich werd' abgeholt...“, erklärte der Ältere etwas unsicher. Vorsichtig nickte Sora. „Danke...“, sagte er und ging mit dem anderen vom Schulgelände. „Am Wochenende... willst du noch immer mit den anderen und mir weggehen?“, fragte er nach, als sie an der Station standen und auf Soras Bus warteten. „Natürlich. Sonst hätt' ich dich nich' gefragt“ Jiro sah ihn kurz an, wandte sich aber schnell wieder ab. „Ich würd' mich freu'n, wenn du dabei bist...“, meinte er, tätschelte dem Kleineren den Kopf, ließ seine Hand zu seiner Schulter gleiten. „Wär' schön mit dir... Auch jetzt würd' ich lieber mit dir nach Gion fahren“ „Dann komme ich mit...“ Sora sah ihn lächelnd an, wandte sich dann um in Richtung Schultor, wo der Chauffeur genervt wartete. „Du solltest ihn nicht stehen lassen...“ „Mag sein...“, antwortete Jiro nur schulterzuckend. Näher wollte er nicht darauf eingehen. „Wo... wo soll ich hinkommen? Am Samstag...“ Jiro erklärte ihm den Weg zum Park, in dem sie sich alle trafen. „Sei so um fünf oder so da. Bis morgen.“, ergänzte er und wandte sich ab, ging zu der Limousine, die vor dem Schultor stand. Irgendwie war er wirklich aufgeregt...
 

Am späten Nachmittag des nächsten Tages brach Jiro von Zuhause auf. Ausnahmsweise trug er mal keine Uniform, sondern seine normale Kleidung. Er betrat den Park, in dem nur ein paar andere warteten. Sora war noch nicht da. Kein Wunder... immerhin war er selbst viel zu früh. Immer mehr gesellten sich jedoch zu dem kleinen Grüppchen, bis auch Sora auf es zu trat. „Hey, Jiji. Da is' der Kleine!“, rief einer und Jiro wandte sich um, lächelte Sora zu und erhob sich. „Du bist gekommen...“, stellte er fest und legte seinen Arm um seine Schulter. Er führte ihn zu den anderen, setzte sich mit ihm, als auch schon aus der Ferne Kichern und Gegröle von ein paar Mädchen näher kam. „Wo hast'n die aufgegriffen, Mako?“, fragte einer und der angesprochene lachte nur, gab einem der Mädchen einen Klaps auf ihren Po. Schockiert sah Sora die Mädchen an. Sie waren dunkelbraun gebrannt, die Haare blondiert und toupiert. Ihre langen Fingernägel sahen aus wie Waffen... Das Makeup war dunkel und dick, die Kleidung bestand aus kurzen Röcken und hautengen Tops mit tiefem Ausschnitt. Als sich die Mädchen setzten, konnte man unter ihre Röcke schauen, doch interessierte es die beiden nicht. Schnell nahmen sie ihre Spiegel zur Hand, um Makeup und Haare zu kontrollieren. „Is' nich' so dein Geschmack, oder?“, fragte Jiro Sora, der die beiden noch immer anstarrte. Er war sichtlich überfordert damit. Sie waren so künstlich... das kannte er nicht. „Nein... absolut nicht“, antwortete er leise. Jiro lachte, klopfte ihm auf die Schulter.
 

Tora, der Älteste der Gruppe, stellte eine Tasche auf den Boden, in der Mitte des Kreises, den die anderen bildeten. Sofort griff Jiro nach einer Flasche Soda daraus. „Hier, trinkst ja keinen Alkohol“ „Was? Der Kleine trinkt nich'? Der ist ja voll süß! Wie alt isser denn?“, fragte eines der Mädchen. Ein anderes gesellte sich ebenfalls dazu und sie nahmen Sora zwischen sich, strich über seine Wangen, wobei die langen Nägel wohl ziemlich bedrohlich wirken mussten. „Wie heißt du denn, Kleiner? Ich bin Piku, das ist Ponku“, stellte sie eines der Mädchen vor. Sora gefiel diese Situation nun gar nicht. „Sora...“, sagte er kleinlaut, als zum Glück auch schon Jiro eingriff. „Okay, Mädels, das reicht. Er is' doch gerade mal sechzehn“ „Was? Sechzehn? Wie süß!“, sagten die beiden nur, ließen sich aber abwimmeln. Nun hielt Jiro Sora mehr bei sich. Das war wohl sicherer für ihn. Sora war dankbar dafür, krallte eine Hand leicht in seinen Ärmel. Doch wohl fühlte er sich trotz allem nicht. Kein Wunder. Da waren diese Mädchen, die anderen die laut waren und Alkohol tranken und auch Jiro, der an seiner Flasche hin.
 

So konnte es nicht allzu lange dauern, bis Tora verkündete, dass sie nun alle Flaschendrehen spielen würden. Mako, der Junge, der Piku und Ponku mitgebracht hatte, nahm die Flasche und drehte sie. Es folgten allerlei Peinlichkeiten, bis auch Jiro an der Reihe war. „Pflicht“, antwortete er sofort, was die anderen wieder zum Nörgeln brachte. „Nimm doch mal Wahrheit!“, meckerten sie, doch Jiro verschränkte die Arme vor der Brust. „Könnt ihr vergessen.“, gab er zurück. Er würde sich hüten Wahrheit zu nehmen. „Dann strip doch mal für uns!“ Die Mädchen lachten und klatschten. „Ausziehen!“ „Das will doch niemand sehen, meine Hühnerbrust“, wehrte sich Jiro, doch Piku kam zu ihm, setzte sich auf seinen Schoß, strich über seine Brust. Sora, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte und zum Glück noch nicht gedreht worden war, blickte kurz zu den beiden, wandte sich dann aber schnell ab. Dabei sah man nicht zu. Zumindest war das seine Ansicht.

Langsam öffnete Piku Jiros Hemd, strich es zur Seite und ließ ihre Finger über die gebräunte Haut gleiten. „Von wegen Hühnerbrust“, murmelte sie und küsste seinen Hals entlang. Leicht zitterten Jiros Finger dabei, doch es würde wohl niemand mitbekommen. Dafür waren sie schon zu betrunken. Er legte sein Hemd zur Seite und präsentierte so seinen muskulösen Oberkörper, der jedoch von einigen blauen Flecken übersehen war. Besonders seinen Rücken schien es erwischt zu haben, denn auf der brauen Haut trugen sich ein paar feine, helle Narben ab. Diese fielen auch Sora auf, als er sich nun doch traute zu ihm zu schauen. Er schien einiges mitzumachen... Kein Wunder. Er prügelte sich ja dauernd mit anderen. Das tat doch weh. Warum machte man so etwas freiwillig? Besonders, wenn Narben zurückblieben. „Du siehst so heiß aus, Jiji“, säuselte das Mädchen, das noch immer an Jiro klebte, nun aber von seinem Schoß geschoben wurde. Immerhin musste Jiro ja drehen. Die Flasche blieb nun vor Sora stehen, der mit großen Augen darauf sah. „Na, Wahrheit oder Pflicht?“, fragte Jiro nach. „W-was? Ich... oh“ Unsicher blickte der Kleinere ihn an. Hoffentlich würde er sich nichts allzu Schlimmes überlegen. „Wahrheit?“ Jiro dachte einen Moment nach, strich sich durchs Haar und musterte ihn. „Hatteste schon 'ne Freundin?“, fragte er dann. Es war reichlich unkreativ, aber besser so, als wenn er in Verlegenheit gebracht wurde. „Nein... bisher nicht...“, nuschelte Sora zur Antwort und die anderen begannen zu lachen. Ebenso auch Jiro. Er war noch so unschuldig. In seinem Alter war er schon ganz anders gewesen. Sora wurde rot, drehte dann die Flasche. Jedoch musste er sich glücklicherweise nicht weiter beteiligen. Die anderen übernahmen die Aufgabenstellung, wäre Sora doch eh nichts eingefallen, was weit genug unter der Gürtellinie war. Er orientierte sich wieder mehr an Jiro, der, unbemerkt von den anderen, seinen Arm vorsichtig um seine Hüfte gelegt hatte.
 

„Gib einem von uns 'nen Blowjob!“, verkündete Tora, als Piku mit Pflicht dran war. „Was is' das für'n eigennütziger Scheiß?“, fragte sie bissig nach. Sora starrte Tora an. Er war ihm mit Abstand am unsympathischsten. Und diese Aufgabenstellung bestätigte das ganze nur nochmal. „Blowjob! Blowjob!“, riefen die anderen jungen Männer jedoch nun auch. „Jaja, is' ja gut. Ich darf mir aussuchen bei wem, ja?“, fragte Piku nochmal nach, blickte dann zu Jiro rüber. Dieser seufzte leise. Wieso er? Das passte ihm nun so gar nicht... Doch er wollte es den anderen nicht versauen. „Dafür bin ich noch nich betrunken genug!“ Ein anderer warf ihm ein kleines Schnapsfläschchen zu, das er auffing und austrank, ehe er sich erhob. Soras Herz schlug ihm bis zum Hals, als Jiro tatsächlich mit dem Mädchen ein wenig von der Gruppe wegging. Er kniff die Augen zu, blickte dann aber doch wieder rüber und sah, wie Piku Jiros Hose öffnete. Die anderen grölten herum, lachten und jubelten.
 

Ein wenig war Jiro schon unwohl dabei, als er das Mädchen vor sich knien sah und wenig später seinen Mund fühlte. Sofort wandte er sich ab, blickte zu den anderen rüber, bis er an Sora hängen blieb. Dieser war von den anderen abgelenkt, die weiter gedreht hatten und nun Sora bedrängten. „Wahrheit? Pflicht?“, fragten sie und Sora schluckte schwer, sah auf die Flasche. „Wahrheit...“, sagte er, wie auch schon zuvor. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Was war das für ein Gefühl? Er hob seinen Blick, begegnete Jiros Augen, die ihn fast zu durchbohren schienen. Sofort wurde er rot, wandte sich Mako zu, der neben ihm saß und sich eine Frage zu überlegen schien. „Haste schon mal jemanden geküsst?“, fragte er und Ponku mischte sich ein: „Sonst steh' ich dir gerne zur Verfügung.“ „Ich... nein... habe ich nicht“, murmelte Sora und wurde nur noch röter, drehte schnell die Flasche. Doch langsam sah er wieder zu Jiro auf, der dort noch immer stand, ihm zugewandt. Wie konnte er das tun? Wo er in dieser Situation war... Oben ohne und die Hose offen... dieses Mädchen davor... Er schluckte, beobachtete die anderen nun wieder. Es war so peinlich...
 

Sora bekam gar nicht mit, wie Jiro nach einiger Zeit, zusammen mit Piku, wieder zu ihnen kam. Erst als er seine Hand auf seiner Schulter fühlte, blickte er auf. „O-Oh...“, entkam es ihm, was Jiro zum Lachen brachte. Er setzte sich an seine Seite, zog Sora leicht zu sich. Dieser schmiegte sich ein wenig an den Größeren. Hier fühlte er sich sicherer und konnte die anderen ignorieren. „Danke“, raunte Jiro in sein Ohr, was Sora doch ein wenig verwirrte. Wofür bedankte er sich? Doch er kam gar nicht dazu nachzufragen, denn Jiro sprach schon weiter. „Es wird spät... sollen wir gehen? Du musst sicher bald nach Hause...“ „J-ja... bitte...“, antwortete der Kleinere, wurde dann auch schon von Jiro losgelassen, der sein Hemd nahm und sich anzog. „Komm Kleiner“, sagte er nun lauter, griff sein Handgelenk und zog den Jungen auf die Beine. „Wir geh'n dann. Der Kleine soll ja keine Haue von Mami kriegen“, verkündete er lauter. Die anderen lachten, verabschiedeten sich aber von ihnen und sie machten sich auf den Weg. Noch immer hielt Jiro seine Handgelenk, ließ es aber los, um seine Hand zu halten. „Du hast weggesehen...“, stellte er fest, worauf Sora leicht zusammenzuckte. „Ich... ich... ja... es war peinlich...“, gestand er und wurde bei der Erinnerung daran rot. Langsam sah er zu ihren Händen, lächelte leicht. Es fühlte sich gut an... „Schade... hätt'ste meinen Blick erwidert... wär' ich sicher noch schneller gekommen...“, hörte er plötzlich die Stimme des Älteren. Er schob es auf den Alkohol, doch er beschleunigte seine Schritte vor Nervosität. Warum hatte Jiro das jetzt gesagt? Wie sollte er reagieren? „Hey, warum so eilig?“, fragte Jiro jedoch, zog ihn etwas zurück und strich ihm durchs Haar. „Du bist süß...“ Er lächelte, wandte sich aber dann ab. „Wir... wir sollten gehen...“ Dieses Verhalten brachte Sora nur noch mehr durcheinander. Er hatte das Gefühl seine Beine würden unter ihm weg knicken. Weiterhin spürte er Jiro eng bei sich, bis sie am Tor von Gion angekommen waren. Sanft sah der Ältere zu ihm runter. „Gute Nacht, Kumochan...“, hörte er die leisen Worte, ehe Jiro den Schwarzhaarigen eng an sich zog und sein Gesicht an seinem Hals vergrub. „Danke für's Mitkommen... war schön mit dir“, wisperte er, legte dann die Lippen an sein Ohr. „Ich hoffe... dass du mir bei zu siehst... nächstes Mal.“
 

Diese Nähe irritierte Sora nur noch mehr, aber es fühlte sich nicht schlecht an. Er erschauderte ein wenig, wurde rot und sagte nichts mehr, was Jiro schmunzeln ließ. „Is' schon okay so... Geh' nach Hause, hm?“ Schon wandte er sich ab, ging nun selbst zur Bushaltestelle, wobei er gelegentlich das Gleichgewicht verlor, was Sora etwas besorgt mitansah, als er dem Älteren hinterher blickte. Doch auch er machte sich auf den Heimweg. Warum war er so zu ihm? Und immer nur dann, wenn er ziemlich viel Alkohol intus hatte? Diese ständigen Anspielungen... die Berührungen... Verwirrt schüttelte er den Kopf, betrat bald darauf die Okiya und ging auf sein Zimmer.

"Er ist nicht wie die anderen"

Nach dem vergangenen Wochenende kam Jiro pünktlich in die Schule, betrat das Klassenzimmer und schenkte Sora ein leichtes Lächeln, was dieser sofort erwiderte. Bis zur Mittagspause herrschte zwischen den beiden wie immer Stille. Als Sora nach dem Klingeln aufs Dach ging, folgte Jiro ihm wenig später und ließ sich ihm gegenüber auf den Boden sinken. „Hey, hatteste noch 'n schönes Wochenende?“, fragte er nach, zog sein Supermarkt-Bento aus der Tasche und öffnete es. „Hoffe dir hat's Spaß gemacht“ Er selbst konnte sich nicht mehr an viel erinnern, doch ein paar Dinge waren immerhin hängen geblieben. „Ja... es... es war nett. Also abgesehen von den seltsamen Mädchen. Vielen Dank“, antwortete Sora leise und verbeugte sich etwas. Nachdenklich sah er auf Jiros Bento, presste die Lippen zusammen. „Sie sind halt 'n bisschen speziell... Die anderen steh'n auf solche Mädchen...“, meinte Jiro und aß ein paar Bissen. „Was is' dein Typ?“, fragte er jedoch weiter nach, ließ sein Essen stehen und rutschte neben Sora, lehnte sich leicht an den Kleineren. Etwas verwirrt hörte Sora die Frage und spürte Jiro auch sofort eng bei sich. Doch er wehrte sich nicht, fühlte er sich doch irgendwie langsam wohl in seiner Nähe. „Ich... ich hab' keine Ahnung...“, murmelte er schließlich. Was sollte er auch sonst antworten? Er hatte sich nie wirklich Gedanken um Mädchen gemacht. Immerhin hatte er so viel mit der Arbeit zu tun.
 

„Aber du musst doch wissen, was für Mädchen du magst...“, gab Jiro zurück, strich ihm über den Kopf. Langsam glitt seine Hand jedoch tiefer und er ließ sie im Nacken liegen, was Sora erschaudern ließ. „Liebe, brave Mädchen... süß, mit Rüschen... solche Mädchen würden zu dir passen, denk' ich“, meinte er nachdenklich. Doch Sora schüttelte den Kopf. „Nein... ich glaube nicht so“ „Was dann?“, fragte Jiro weiter und seine Hand waderte zu seiner Schulter, sodass er nun den Arm um den Kleineren gelegt hatte. „Vielleicht... jungenhafter? Sportlich?“ Erneut schüttelte Sora den Kopf. „Nein... so etwas mag ich nicht“ „Was dann?“, wiederholte der Ältere, lehnte seine Stirn leicht gegen Soras Schläfe. Er war schon ein wenig verwundert, wie viel Nähe der Kleinere zuließ. „Was für einen Typ magst du sonst?“ Er atmete seinen Geruch tief ein, genoss die Nähe zu ihm. „Ich... ich weiß nicht... Gar keinen, schätze ich“, entgegnete Sora unsicher und schluckte etwas, hielt sich jedoch weiter bei Jiro und entspannte sich. „Aber irgendwas musst du doch mögen?“ Sanft ließ Jiro seine Finger Soras Arm entlanggleiten. „Keine Ahnung...“, murmelte der Kleinere, öffnete nun aber seinerseits den Mund für eine Frage. „Was machst du da?“ Jiro presste die Lippen zusammen, suchte fieberhaft nach einer Antwort. Letzten Endes entschied er sich aber dafür, einfach zu schweigen. Alles andere hätte wohl dumm geklungen. Sora hörte keine Antwort, doch es störte ihn nicht. Er wollte nur hier so mit ihm sitzen bleiben. Das allerdings geschah nicht, denn Jiro zog seine Hand zurück, schob sich noch etwas Reis von seinem Bento in den Mund und schulterte dann seine Tasche, was Sora überrascht aufblicken ließ. Den Rest des Essens warf er in den Müll, als er das Dach verließ. Er kam ihm viel zu nahe... Etwas unsicher sah Sora auf die Tür, die sich geschlossen hatte. Gedankenverloren seufzte er. Jiro brachte ihn so durcheinander und er wusste einfach nicht, wie er damit umgehen sollte.
 

Ob Sora kommen würde?, fragte sich Jiro der auf dem Fußballfeld stand und ein wenig kickte. Die anderen verabschiedeten sich bereits und er schoss selbst ein wenig vor sich hin, als er plötzlich den Kleineren unter dem Baum sah. Leicht lächelte er ihm zu, wandte sich aber schnell wieder ab. Erst als er sich auf die Bank am Rand sinken ließ, kam Sora näher. „Warteste auf mich? Ich begleit' dich zur Bushaltestelle...“ Er selbst würde wohl abgeholt werden – wie jeden Tag. „Ja... ich warte bei den Bäumen“, gab Sora zurück, während Jiro nun duschen ging. Geduldig wartete Sora im Schatten auf den Älteren, lehnte sich gegen einen Baum und sah in den strahlend blauen Himmel. Es würde wohl ein früher Sommer werden, so warm wie es nun schon war. Dabei war es gerade mal Anfang Mai. Und bis zu seiner Prüfung wäre es noch etwa ein Monat... Tief seufzte er und versank in seinen Gedanken darüber. Er machte sich Sorgen, hatte irgendwie Angst. Angst davor, nicht gut genug zu sein, durchzufallen...
 

„Was schauste so traurig?“ Sora zuckte zusammen, wandte sich um. Jiro stand vor ihm und packte ihn auch schon am Handgelenk. „Lächle lieber. Steht dir besser“ Der Kleinere nickte nur leicht, lief neben Jiro her. „Danke...“, murmelte er leise. „Hm? Wofür?“ „Dass du mich zum Bus bringst“ Leise lachte der Rotblonde, schüttelte den Kopf. Doch er sagte nichts mehr, begleitete ihn, wie versprochen, zur Busstation. „Komm gut nach Hause, Prinzessin“ Noch einmal strich er ihm über den Kopf und wandte sich dann ab, ging zur Limousine und stieg ein. Verwirrt starrte Sora ihm hinterher und hätte fast den Bus deshalb verpasst. Er wurde hochrot, richtete nervös seine Jacke, ehe er in den Bus stieg und sich auf einen Platz sinken ließ. „Prinzessin...“, wiederholte er leise zu sich, als er auch schon eine Vibration in der Hosentasche spürte. Er zog sein Handy heraus, auf dem eine Mail von Jiro war. »Möchtest du am Wochenende zu mir kommen?«, stand dort und er lächelte leicht. »Sehr gerne«, schrieb er zurück. Jiro strahlte, als er die Antwort sah. Er würde kommen... »Hoffe deine Eltern lassen dich zu so 'nem Kerl wie mich. Könnt' doch schlechten Einfluss haben« Sora blickte nachdenklich auf die Worte, die Jiro ihm geschrieben hatte. Er hatte Recht... Doch er musste es versuchen.

In der Okiya angekommen fragte er seine Okaa-san, Haruko, deshalb nach dem Wochenende. „Glaubst du nicht, ich habe nicht gemerkt, wie deine Kleidung nach Rauch und Alkohol gerochen hat? Jedes Mal ist es so, wenn du mit deinen neuen Freunden unterwegs bist. Ist dieser Junge einer von ihnen?“, fragte sie Streng nach. Sora wich etwas zurück. „N-Nein! Also... doch, aber er ist ganz anders als die anderen. Bitte... ich... er ist wirklich nett“, entgegnete er leise, senkte den Blick. Sein Herz schlug wie verrückt. Natürlich hätte er lügen können, doch er wollte es nicht. „Also ist er einer von ihnen? Dann wirst du dort nicht hingehen. Ich möchte überhaupt nicht mehr, dass du dich mit einem von ihnen triffst!“, zischte die Frau, funkelte den Jungen an. „Sie färben mit ihrem Verhalten noch auf dich ab! Das ist mein letztes Wort.“ „Okaa-san! Bitte!“, verzweifelt sah Sora sie an. „Er ist nicht wie die anderen. Er ist ganz anders! Nett und höflich und aufmerksam und... es würde niemals auf mich abfärben. Das weißt du! Es ist mein größter Traum. Ich würde ihn niemals vergessen! Bitte... bitte, ich möchte ihn so gerne besuchen...“ „Nein! Ruhe jetzt. Geh auf dein Zimmer!“, antwortete sie und sah den Jungen mit einem Blick an, der keine Wiederworte duldete. Dann wandte sie sich ab und ging ihren Aufgaben nach. Sie konnte hier niemanden gebrauchen, der nicht folgte. Sora sah ihr frustriert nach, ging aber dann auf sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er wollte Jiro sehen... »Es tut mir leid... Sie hat es nicht erlaubt...«, schrieb er ihm, wollte ihm jedoch erst einmal nicht sagen, dass sie nicht wollte, dass sie sich überhaupt noch einmal sahen.
 

Kaum klingelte das Handy, sah Jiro darauf, las die Nachricht. Seine Hände zitterten etwas. Er hatte es kaputt gemacht... Es war eine Ausrede von Sora, dessen war er sich sicher. Seufzend ließ er sein Handy sinken. Natürlich war er genervt von ihm... vielleicht auch noch viel mehr. Wie konnte es auch anders sein? Er fühlte sich mit Sicherheit bedrängt und wollte nicht in Gefahr laufen, noch einmal in eine solche Situation zu kommen.

Hätte Sora um Jiros Gedanken gewusst, hätte er ihm womöglich sofort geschrieben, doch nun nahm der die Stille zwischen ihnen einfach hin und begann, sich für die Arbeit fertig zu machen.
 

Am nächsten Tag kam Jiro nicht zur Schule, was Sora wirklich besorgte, doch er hatte oft gefehlt... Also sollte es ihn nicht beunruhigen. Als er aber auch die nächsten Tage nicht kam, wurde er zunehmend unsicher. War es seine Schuld? Inzwischen war es Samstag und er hielt es einfach nicht aus. Er nahm sein Handy und schrieb dem Älteren. »Ich hoffe, es geht dir gut. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht da warst.« Jiro blickte auf das Handy. Wieso schrieb er ihm nun? Was sollte das? Es dauerte lange, bis er ihm antwortete. Doch dann schrieb er schließlich zurück. »Alles okay.« Sora spürte, dass wohl nichts okay war. Er war wütend auf ihn. Oder verletzt. Oder irgendwas. Aber okay war sicher nichts. »Ich würde dich so gerne treffen.« Leise seufzte Jiro aufgrund dieser Antwort. »Willst du das wirklich?« Das erschrak Sora nun doch. Dachte er etwa, er wollt einfach von ihm fern bleiben? »Ja, natürlich. Ich bin gerne bei dir. Ich habe Okaa-san darum gebeten, aber sie wollte es nicht. Tut mir leid...« Unsicher sah Jiro auf die Worte, zögerte, ehe er ihn anrief. Als Sora endlich abhob, sagte er jeodch nichts. Er wollte... ja, was wollte er eigentlich? Das wusste er selbst nicht so genau. „Jiro-san...?“, fragte Sora leise nach. Jiro... war es denn okay, ihn so zu nennen? Bei dem Schweigen, das einige Zeit folgte, wurde er immer unsicherer. „Hat... sie's wirklich verboten?“, hörte er endlich seine Stimme. „Oder wollteste... nur nich' herkommen? Sei ehrlich bitte... Das is' schon okay. Ich will nur wissen wie's is'“ Leise seufzte der Ältere, sah auf das Bett vor sich. „Nein, so etwas darfst du nicht denken!“, gab Sora fast schon panisch zurück. „Sie hat es wirklich verboten. Denk so etwas nicht! Bitte!“ „Ich... möcht'... dich bei mir haben...“, gestand Jiro leise, strich sich die langen Haare aus dem Gesicht. „Ich will...“ Er verstummte. Er konnte ihm nicht noch näher treten, ihn verschrecken, ihn womöglich sogar ekeln. Leicht errötete Sora bei den Worten. „Was willst du?“, fragte er leise nach. „Ich will... dich halten...“ Jiro schluckte schwer. „Ich will dich umarmen...“ Er wurde immer leiser, hatte so Angst vor seiner Reaktion. Würde er es überhaupt verstehen? Das Schweigen Soras machte es nicht unbedingt besser, doch dieser wusste einfach nicht, was er dazu sagen sollte. „Ich... warum...?“, entgegnete er leise und vorsichtig. Er konnte nicht wirklich nachvollziehen, warum Jiro so dachte, warum er es wollte, welche Bedeutung es überhaupt für ihn hatte. Doch diese Frage überforderte den Älteren ein wenig. Es war schwer das alles in Worte zu fassen. „Deine Nähe... fühlt sich gut an...“, entgegnete er vorsichtig. „Ich hatt' gehofft... du könntest nun hier sein... Aber vermutlich is' es besser so“ Sora erschauderte etwas, lächelte jedoch ein wenig. „Es tut mir leid... bitte komme am Montag wieder. Ich möchte dich sehen“ „Ich weiß noch nich', ob ich komm'. Ich hab' ein bisschen was abbekommen“, gestand Jiro leise, ehe er auflegte. Doch er würde kommen. Er wollte bei Sora sein, in seiner Nähe sein. Er wollte mit ihm auf dem Dach sitzen und mit ihm reden.
 

Sora senkte bei seinen Worten den Blick. Er legte das Handy beiseite. Abbekommen...? Hatte er sich wieder geprügelt? Hatte er nichts besseres zu tun gehabt, als sich wieder zu betrinken und mit seinen Freunden andere zu belästigen? Kein Wunder bekam Jiro da öfters was ab. Seufzend schüttelte er den Kopf. Haruko würde toben, wenn sie herausfinden würde, dass er sich weiter mit Jiro abgab.
 

Als am Montag die Schule begann, saß Jiro tatsächlich auf seinem Platz. Er hatte eine Schramme an der Stirn und einen Verband ums Handgelenk. Sonst sah er fit aus. Aber es beunruhigte Sora dennoch. Sie wechselten kein einziges Wort, bis sie sich beide endlich auf dem Dach trafen. Jiro setzte sich zu dem Jüngeren, legte ihm seinen Arm um die Schulter. „Ich hab's doch noch her geschafft“, stellte er grinsend fest, zog nebenbei mir seiner freien Hand sein Bento aus der Tasche. Leicht nickte Sora und lächelte, lehnte sich ein wenig an ihn. „Ja...“, sagte er nur leise. „Was haste gemacht? Am Wochenende mein' ich. Hat dich deine Ma zu irgendwas verdonnert?“ Jiro schmunzelte etwas, lehnte seinen Kopf gegen Soras. „Ich musste ihr bei vielen Dingen helfen. Sie ist sehr beschäftigt und arbeitet viel... ich unterstütze sie dabei“, erklärte der Jüngere, lehnte sich vorsichtig an Jiro und genoss seine Nähe. „Is' sicher nervig“, antwortete dieser und strich über seine Schulter. „Danke... dass du mich hier sein lässt...“, sagte er leise. Sora lachte leise. „Du störst nicht. Ich habe dich gerne hier“, entgegnete er. „Ja?“, erwiderte Jiro überrascht. „Dabei bin ich sicher kein guter Umgang für dich...“ Er grinste etwas, betrachtete Sora. „Ich bin mir sicher... du bist ein besserer Umgang für mich, als deine anderen Freunde...“, sagte Sora leise, blickte ihn mit leicht roten Wangen an. „Mag sein“, gab Jiro nun abweisend zurück, rutschte ein wenig weg und aß nur noch von seinem Bento. Sora wusste ja nichts von ihm und seinem Leben...
 

Ein wenig bedrückt sah Sora auf Jiro, der zurückwich und auch seinen Arm von seiner Schulter nahm. Leise seufzte er, blickte auf sein Bento. Er war wieder so anders... so anders, als beim letzten Mal, als sie sich getroffen hatten. Er verstand einfach nicht, was in dem anderen vor sich ging....

„Nach der Schule... haste was zu tun?“, fragte Jiro nach einiger Zeit leise nach. Er zog seine Beine mehr an seinen Körper, griff dann Soras Hand, hielt sie leicht fest. „Bis jetzt nich nicht. Warum?“, antwortete Sora, sah zu ihm und drückte leicht seine Hand. Diese Berührungen fühlten sich immer so gut an... „Dann lass uns durch die Straßen ziehen...“, schlug der Ältere vor, sah zu ihren Händen, ehe er in Soras Augen blickte. Langsam und vorsichtig hob er seine andere Hand, strich leicht über seine Wange. „D-durch die Straßen ziehen? Aber... was genau heißt das?“ Unsicher sah der Kleinere auf, schmiegte sich zögerlich in seine Hand und wurde rot. Doch der Moment hielt nicht lange, denn die Hand entfernte sich schon wieder. „Herumlaufen... shoppen... in Gamecenter gehen... sowas halt...“, gab Jiro zurück. „Ich... ich war noch nie in einem Gamecenter...“, gestand Sora, nickte aber. Er sah seiner Hand hinterher, seufzte innerlich. „Ich würde sehr gerne... mit dir dort hingehen...“ Er war nun schon aufgeregt, nervös. Er war noch nie jemand gewesen, der um die Häuser zog und er fand es immer ganz schrecklich, wenn er es bei anderen mitbekam... „Wir können Pricla* machen gehen“, meinte Jiro und aß von seinem Bento. Sie konnten Zeit verbringen... „Ja, sehr gerne!“, entgegnete Sora nun doch etwas enthusiastischer und nickte. Nun konnte er es kaum noch abwarten. „Dann bis später“ Jiro erhob sich, nahm seine Sachen und schmiss sein Bento weg. An der Tür wandte er sich nochmal um, sah Sora kurz an. Er lächelte liebevoll und zärtlich, verschwand dann aber. Als Sora dieses Lächeln sah, wurde er schlagartig rot, war froh, dass Jiro das allerdings nicht mehr sah. Während des Tee-Clubs konnte er sich kaum konzentrieren, musste die ganze Zeit an Jiro denken.
 

Als Sora endlich zum Spielfeld kam, wartete Jiro bereits, saß auf einer Bank, während ein paar andere noch spielten. Als er den Jüngeren sah, stand er sofort auf und kam auf ihn zu. Etwas verwirrt war Sora schon. Immerhin war Jiro sonst der letzte, der das Feld verließ. Doch er sagte nichts dazu, ließ nur zu, dass er seinen Arm um seine Schulter legte. Leicht lächelte er, ging neben ihm her. „Aber nicht zu lange... wegen den Hausaufgaben und so...“, murmelte er schüchtern. „Ja, ja... keine Sorge“, gab Jiro nur zurück. Am Schultor ließ er seinen Chauffeur zurück, ging mit Sora zur Bushaltestelle. Als sie nach einiger Zeit endlich einstiegen, schob Jiro den Jüngeren zu einem Sitz. Unsicher ließ dieser sich auf den freien Platz sinken, sah aber zu Jiro auf. „Willst du dich nicht eher setzen?“, fragte er nach. „Ich saß die letzten zwei Stunden. Brauch' nich' noch länger sitzen...“, antwortete er, sah sich etwas um. Ein paar Plätze weiter war eine junge Frau mit einem Baby auf dem Schoß. Er lächelte dem Baby leicht zu, ehe er den Blick wieder abwandte und sein Ausdruck abweisender wurde. Sora verfolgte das aufmerksam, wurde etwas bedrückt. Warum war er so anders...? Jeden Tag entdeckte er eine andere Seite, aber nie zeigte er sich, wie er wirklich war. „Was macht ihr eigentlich so? Im Tee-Club meine ich...“, fragte Jiro nach einiger Zeit. „Nicht... viel. Wir unterhalten uns über Tee, bereiten ihn zu... Wir lernen, wie die Teezeremonie richtig geht und so...“, antwortete Sora und hob die Schultern. „Klingt nicht sonderlich spannend“, gab Jiro ehrlich zurück. Über Tee reden, jeden Tag, für eine so lange Zeit... Das wäre nichts für ihn. Es war doch nur Tee. Sie beide waren einfach so unterschiedlich... „Für andere scheint es langweilig zu sein, aber... Vielleicht ist es mir auch nützlich? Später mal....“ Jiro nahm es so hin, ehe er ihn am Handgelenk griff, als der Bus wieder hielt. „Komm, wir sind da“, verkündete er und zog Sora mit sich. Nach einem kurzen Fußmarsch betraten sie ein riesiges Gebäude mit etlichen Reklameschildern an der Front. Von innen drang eine Mischung aus Musik und Geschreie nach draußen. „Da wären wir“, meinte der Rotblonde kurz angebunden. Sora war überwältigt von der Lautstärke und den ganzen bunten Lichtern. Er fühlte sich ein wenig überfordert, hielt sich deshalb mehr an Jiro. Dieser führte ihn zu den Automaten. „Wo sollen wir reingehen? Pastell? Glubschaugen?“ Sora kicherte etwas. „Pastell ist gut, denke ich“, antwortete er und folgte Jiro zu einem Automaten. Als sie diesen betreten hatten, zog Jiro den Vorhang der Kabine zu und warf Geld ein. Dann drückte er auf dem Bildschirm herum, ehe er seine Arme von hinten um Soras Hüfte legte, ihn leicht an sich drückte. Sora errötete, schmiegte sich jedoch an Jiro. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde ihm aus der Brust springen. Was war nur los mit ihm? Dass Jiro ihm auf jedem Foto noch näher zu kommen schien, machte die Sache nicht besser. Er fühlte seinen Atem im Nacken und seine Finger, die sich in seine Uniform krallten. Doch so plötzlich die Nähe auch gekommen war, so plötzlich war sie auch wieder weg. Jiro nahm seine Tasche und ging mit Sora zu dem Eck, wo sie die Fotos bearbeiten konnten. Während er an den Bildern herummalte und -schrieb, schien er völlig in seinem Element. Auf einem Bild, in dem Sora seiner Meinung nach besonders hübsch aussah, stempelte er ein Herzchen dazu, als die Zeit dann auch schon herum war. „Fertig“, verkündete er. Sora hatte die ganze Zeit eher nur zugesehen, lief aber nun aufgeregt zur Druckausgabe, hibbelte etwas herum. Als sie endlich aus dem Schlitz fielen, nahm er sie und strahlte. „Sie sehen toll aus!“ Jiro sah ihm über die Schulter und nickte, brach den Bogen in der Mitte auseinander und gab Sora eine Hälfte, während er selbst die andere Hälfte einsteckte. „Danke, Kurzer“, sagte er sanft, strich ihm über den Kopf, ehe er ihn wieder am Handgelenk griff.
 

„Sollen wir essen gehen? Oder bekommste was daheim?“, fragte der Ältere nach. Sora folgte ihm aus dem Gamecenter, nickte dann aber. „Wir können was essen gehen. Wir essen erst gegen acht Uhr. Das dauert ja noch ein wenig.“ Jiro sah sich um, ging dann mit Sora die Straße entlang, betrat mit ihm wenig später ein kleines, aber recht teuer aussehendes Restaurant. Ein Kellner brachte sie zu einem Tisch und reichte den beiden die Speisekarte. „Bestell dir was du willst, ich übernehm's“, erklärte Jiro, ging seine Karte durch. Sora war das ganze etwas unwohl. Als er die Preise der Gerichte sah, wurde es nicht besser. „Das ist so teuer...“, wisperte er und schluckte schwer. „Und?“ Jiro blinzelte verwirrt. „Wieso machste dir Sorgen drum?“ Immerhin mussten Soras Eltern wahnsinnig viel Geld haben, wenn sie in Gion wohnten. Da wäre Teures doch an der Tagesordnung. „Ich... ich will nicht, dass du das alles bezahlst...“, erwiderte Sora leise und blickte ihn an. Natürlich dachte Jiro, dass er genauso reich wäre. Dabei war es das Gegenteil. Mit seiner Ausbildung hatte er sich in Schulden gestürzt, die er nur langsam abarbeiten würde.
 

„Is' nich' so, dass ich kein Geld hab'“, antwortete Jiro schulterzuckend. Immerhin war sein Urgroßvater ein adeliger Samurai gewesen. Sora war klar, dass der Ältere wohl mehr als genug Geld hatte. Immerhin hatte er in Geschichte gut aufgepasst. Sein eigener Name im Vergleich dazu war wahrscheinlich nicht einmal einen Pfifferling wert. Er schwieg deshalb nun lieber und sah die Speisekarte durch, sodass sie wenig später bestellen konnten. Als der Kellner wieder weg war, griff Jiro Soras Hand, strich darüber. „Es is' wie bei 'nem Date“, stellte er grinsend fest, wandte sich dann ab und sah sich ein wenig um. „Ein... ein Date?“, murmelte Sora mehr zu sich und wurde rot, hielt aber Jiros Hand weiter fest. Er hatte Recht... sie waren zu zweit und sie aßen in einem gehobeneren Restaurant... Aber es fühlte sich nicht falsch an. Bei der Röte auf Soras Wangen, lachte Jiro. „Nimm meine Worte nich' so ernst, Kumochan“ Er grinste, lehnte sich zurück und ließ dabei auch die Hand des anderen los. Ein Date... mit ihm? Warum nur hatte er solches Interesse?

Sora wurde dafür nur noch röter, senkte ertappt den Blick. Innerlich schlug er sich für seine Dummheit. Was dachte er denn da auch? Wieso sollte es so sein? Jiro war jemand der Mädchen mochte. Natürlich. Und Sora... er mochte weder Mädchen, noch Jungen. Er mochte nur Jiro... als guten Freund. Erneut lachte Jiro auf, griff nach Soras Hand und lächelte ihn liebevoll an. Es war ein seltenes, ehrliches Lächeln, das er sonst höchstens für kleine Kinder in Kinderwägen aufbrachte. Leicht erschauderte Sora, als er dieses offene Lächeln sah. Das war es, was er wollte. Dieses Lächeln, das Jiro auch im Bus bei dem Kind gehabt hatte... Doch der Kellner, der das Essen brachte, sorgte dafür, dass Jiro sein Lächeln wieder verlor. Er wandte sich von Sora ab, begann zu essen. Seufzend schob er sich einen Happen in den Mund. Etwas bedrückt senkte Sora daraufhin ebenfalls den Blick und aß.
 

„Am Wochenende... Magste zu mir kommen?“, fragte der Rotblonde nach einiger Zeit nach. „Ich... ich würde gerne!“, erwiderte Sora sofort. „Aber...“ „Du kannst deiner Ma ja sagen, dass du jemanden von der Schule triffst“, unterbrach ihn Jiro, „Sind doch alles vorbildliche Spießer. Und außerdem...“ Er schmunzelte etwas. „Lügst du sie damit ja nicht an“ „Ich... ja, aber... ich kann nicht... Ich kann sie doch nicht belügen“, murmelte Sora und schluckte. „Wo lügste denn? Ich bin 'n Kerl von deiner Schule. Genau das sagste ihr“, gab Jiro schulterzuckend zurück. „Immerhin erzählste ihr dann die Wahrheit“ „Ich habe nur Angst, dass sie es herausfindet... und mir endgültig alles verbietet“, gab Sora zu und seufzte nun leise, legte den Kopf schief. „Ich werde es irgendwie hinbekommen. Versprochen.“ „Ich... würd' mich freuen, wenn's klappt...“, entgegnete Jiro und lächelte.
 

Nach und nach leerten sich die Teller der beiden. Immer wieder blickte Jiro zu Sora. Was zog ihn nur an dem Jungen so an? Er verstand es nicht... „Wenn du... bei mir bist, lass ich dich nich' mehr gehen...“ Mit großen Augen sah Sora ihn an, wurde wieder rot. „N-nicht? Ich... k-kannst du mich denn überhaupt... so lange ertragen?“ „Ich bin mir sicher, ich kann's...“ Jiro lächelte nur, griff abermals Soras Hand und drückte sie. „Ich will... dich halten. Zeit mit dir haben... Ungestört.“ „J-ja...“, mehr brachte der Jüngere nicht raus. Er hatte das Gefühl, das alles war nur ein Traum. Jiro sagte so etwas wirklich? Er meinte es ernst?

Doch gerade diese Reaktion verwirrte nun auch Jiro. Sora schien so irritiert. Hatte er es verstanden? Würde er sich nun abwenden? Oder stand er auf dem Schlauch? Sollte er es ihm sagen? Er war so hin und her gerissen. Er war sich eigentlich sicher, ihm vertrauen zu können... Aber was, wenn nicht? Dennoch überwand er sich, atmete tief durch. „Kumochan... Verstehste, was ich mit sagen will?“, fragte er nach. Leicht zuckte Sora zusammen, blinzelte leicht und nickte dann schwach. „J-Ja. Ich verstehe“, wisperte er kaum hörbar. Eingehend musterte Jiro ihn, nickte dann und senkte den Blick. Hatte er es wirklich verstanden? Er war sich nicht sicher... Vorsichtig drückte er seine Hand.
 

„Sollen wir... gehen?“, fragte der Kleinere unsicher und Jiro nickte. Er ließ seine Hand los und nahm sich den Zettel mit den notierten Gerichten. Damit ging er zur Kasse vor, um zu zahlen. Als er fertig war, wandte er sich wieder Sora zu, griff seine Hand und verließ mit ihm das Restaurant. Kurz sah er zu ihm, lächelte wieder so sanft wie zuvor. Fast schon zufrieden blickte Sora auf ihre Hände. Es war ein so gutes Gefühl... und als er zu Jiro aufsah, schenkte dieser ihm wieder dieses Lächeln, das er so mochte. Zu Fuß gingen sie nun wieder nach Gion zurück, was zwar viel länger dauerte, als mit dem Bus, aber gerade diese Zweisamkeit, die sie so hatten, genoss Jiro sehr. Bei dem großen Tor hielt er jedoch an. „Da wären wir“, verkündete er. „Dann... bis... in der Schule“ Er würde keinen Tag nennen. Immerhin konnte er nicht versprechen morgen zu kommen. Sora spürte dieses Zögern, sagte jedoch nichts dazu und nickte. „Bis dann...“ Er wandte sich gerade um, um durch das Tor zu gehen, als er zurückgezogen wurde. Überrascht fand er sich in Jiros Armen wieder, hatte das Gesicht leicht gegen seine Brust gedrückt. „Ich mochte es sehr mir dir...“, wisperte der Ältere, ließ Sora dann aber los und wandte sich ab, ging zur Haltestelle. Sora schluckte schwer, blieb noch kurz stehen und versuchte seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Dann aber eilte er nach Hause, betrat die Okiya und zog sich auf sein Zimmer zurück.

"Nimm mir das nich' weg"

Wie schon erwartet tauchte Jiro am nächsten Morgen nicht in der Schule auf. Dieses Verhalten setzte sich auch die folgenden Tage fort, bis der Lehrer Mittwochs zu Sora kam und ihn bat, die Hausaufgaben dieser Woche dem Älteren zu bringen. Sora willigte ein und machte sich am Mittag auf den Weg zu Jiro. Es war eine längere Fahrt und er verstand nicht recht, warum er nicht auf eine Schule ging, die näher bei ihm lag, doch da gab es wohl Gründe.

Endlich am Tor des großen Anwesens angekommen klingelte er und wenig später kam die Haushälterin, um ihm zu öffnen. „Ich würde gerne mit Jiro-san sprechen“, sagte Sora höflich und wurde folgend in den Empfangsraum geführt. „Bitte gedulden Sie sich einen Moment“, entschuldigte sich die Frau und verließ das Zimmer, um nicht viel später zurück zu kommen. „Der Erstgeborene kann Sie leider nicht in Empfang nehmen. Kann ich ihm etwas ausrichten?“ Tief verbeugte sich die Frau, ehe sie Sora abwartend ansah. „Nein... ich... ich wollte...“ Er runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf. „Ich bringe ihm nur die Hausaufgaben. Entschuldigen Sie die Umstände“ Damit reichte Sora ihr den Stapel Blätter. „Vielen Dank für Ihre Mühe. Zur nächsten Woche wird der Erstgeborene sicher wieder fit sein.“ Sie sah Sora dabei nicht an, wirkte unehrlich, was dem Jüngeren nicht entging. Jiro war mit Sicherheit nicht krank... Aber warum dann das ganze?
 

Nachdem Sora gegangen war, schrieb ihm Jiro eine Mail. »Danke für die Sachen. Tut mir leid, dass ich dich nich' sehen konnte. Bis zum Wochenende wird’s wieder okay sein. Kommste...?« »Ich wünsche dir gute Besserung. Ich hoffe, ich sehe dich bald wieder. Ich werde mit Okaa-san reden und dir dann Bescheid geben«, schrieb Sora zurück. Ja, da war noch diese Sache... er musste Haruko belügen. Doch Jiro war wirklich erleichtert über die Mail, die er erhalten hatte. »Ich freu' mich drauf... ich würd' dich eigentlich schon vorher sehen, aber... mich hat's ziemlich erwischt...« Das hatte es tatsächlich, wenn auch auf eine andere Art, als Sora nun wohl vermuten würde. »Keine Sorge. Werde erst einmal wieder gesund. Ich freue mich.« Leichte Röte überzog Soras Wangen, als er die E-Mail abschickte, doch es kam auch erst einmal keine Antwort mehr. In aller Ruhe machte er sich auf den Weg nach Hause, setzte sich an die Schulaufgaben und begann später mit den Vorbereitungen für die anderen Maikos und Geikos im Haus.
 

Erst so viele Stunden später brachte es Jiro über sich, dem Jüngeren wieder zu antworten. »Ich bin nicht krank«, schrieb er ihm, war sich dennoch nicht sicher, ob er ihm wirklich vertrauen konnte. Aber er wollte nicht unehrlich sein. Überrascht blickte Sora auf die Worte. »Du bist nicht krank? Was ist dann los? Wolltest du mich nicht sehen?« Er schluckte leicht, senkte den Blick. Er konnte Jiro einfach nicht verstehen. Wieso war er so seltsam? »Doch, gerne. Ich hatt' überlegt dich zu sehen, aber... wollt' dich nich' beunruhigen oder so...«, antwortete der Ältere wieder. Seufzend strich er über seine Wange, die leicht geschwollen war. Nein, so konnte er Sora mit Sicherheit nicht sehen. Seine Nachricht machte es allerdings nicht besser: »Das tust du nur, wenn du mich fern hältst und mir nicht sagst, warum« Wieder dauerte es lange, bis Jiro sich überwand ihm zu schreiben. Dann aber schickte er ein Foto von seinem Gesicht mit. Das Licht war nicht gut, doch es würde reichen sich zu erklären. Es zeigte auch prompt Wirkung, denn Sora zuckte zusammen, keuchte erschrocken auf, als er die Verletzungen sah. »Was ist passiert? Wie? Warum?« »Hab' mich geprügelt«, hielt Jiro auch weiterhin diese Lüge aufrecht. Nun ja, streng gesehen war es ja nicht einmal eine Lüge... aber so wäre es am Besten. »Und warum bleibst du zu Hause?« Unsicher sah Sora auf die Mail, ehe er sie abschickte. Was sollte Jiro darauf antworten? Sollte er ehrlich sein? Sollte er überhaupt antworten? Doch er entschied sich dafür. »Nich' nur mein Gesicht hat was abbekommen. Tu mich grad 'n bisschen schwer mit Herumlaufen« Leicht biss sich Sora auf die Unterlippe. Warum machte er das auch? »Tut mir leid. Ich war unfreundlich zu dir.« »Passt.«, gab Jiro nur zurück und es herrschte wieder Stille.
 

Eine weitere Stunde später erreichte Sora eine weitere E-Mail: »Is' nich' so, dass ich Spaß dran hab'« Sora hatte nicht mehr damit gerechnet noch was von ihm zu hören. Doch nun blinzelte er verwirrt. »Warum dann das Ganze?« Nun antwortete Jiro jedoch nicht mehr. Er ignorierte die Frage, wartete einfach ab, ob Sora weiter schreiben würde. Tatsächlich folgte eine viertel Stunde später wieder eine Mail. »Willst du mir nicht antworten?« So einfach würde Sora ihn nicht gehen lassen. Er wollte endlich mehr wissen. Der Ältere jedoch war sich nicht sicher. Er suchte nach den richtigen Worten, bis er schließlich eine Antwort verfasste. »Wenn man provoziert... bekommt man was man verdient dafür«, versuchte er es. »Wen hast du provoziert?«, hakte Sora weiter nach. »Was interessiert dich das? War halt so 'n Kerl, gegen den ich keine Chance hatte« Das war ja nicht einmal so unaufrichtig. »Ich mache mir Sorgen.«, schrieb Sora nun wieder, legte sein Handy kurz weg. Er musste sich endlich herrichte. Allzu viel Zeit hatte er nicht mehr, bis er mit den anderen los musste.

Jiro lächelte leicht. Sorgen? Um ihn...? »Es is' alles okay. Mach dir keine Gedanken...« Er war einfach nicht gut darin zu sagen, was er dachte. Nicht, wenn es um solche persönlichen Gefühle ging. »Aber die mache ich mir. Du sagst immer, wann du nicht kommen wirst und dann fehlst du tatsächlich. Ich würde gerne wissen, warum du dir da immer so sicher bist.« Sora wollte ihm doch nur helfen. Wieso sah das der andere nicht? »Weil ich weiß, wann ich Unsinn mache. Und dann gibt’s eben Ärger für«, entgegnete Jiro. Er wollte ihn eigentlich nicht weiter in sein Leben lassen. Gleichzeitig sehnte er sich aber auch nach jemandem, mit dem er all seine Gedanken, seinen Frust, seine Ängste teilen konnte.
 

Missmutig knurrte Sora leise, bekam dafür einen verwirrten Blick einer anderen Maiko. Leise entschuldigte er sich, sah wieder auf sein Handy. Jiro suchte immer Ausflüchte. »Dann hör doch auf mit dem Unsinn«. Jiro zögerte. Für Sora war das leicht zu sagen... »Dann kann ich dich nach der Schule nich' mehr begleiten. Dabei will ich Zeit mit dir verbringen... Nimm mir das nich' weg...« Er fand sich selbst schon lächerlich dabei, doch die Worte erzielten ihre Wirkung. Sora wurde rot, schluckte etwas. Er verstand das alles noch immer nicht so richtig, aber... »Tut mir leid. Ich will es dir nicht wegnehmen«, antwortete er und spürte, wie schnell sein Herz schlug. »Dann wird’s weiterhin so sein. Aber das is' in Ordnung. Ich nehm's für dich hin...« Hoffentlich verstand Sora das alles. Er war doch noch so jung und irgendwie naiv...

Sora wurde nur noch röter, schloss kurz die Augen. Diese Worte machten ihn verrückte. Sie verwirrten ihn so sehr und gleichzeitig gaben sie ihm so schöne Gefühle. »Danke...« Mehr konnte er nicht schreiben. Das alles war so falsch, das wusste er. Im Sommer würde seine Ausbildung richtig beginnen und er würde dann kaum noch Zeit für Jiro haben. Wie sollte er ihm das erklären? Die folgenden Worte machten das alles auch nicht besser. »Hab' noch 'nen schönen Abend. Ich denk' an dich...« Leicht lächelte Sora, versuchte sich nun wieder auf die Arbeit zu konzentrieren, was ihm aber wahnsinnig schwer fiel. Bei dem Gedanken an das nahende Wochenende war er so aufgeregt. Aber er musste erst noch mit Haruko reden.
 

Als es Freitag wurde, trudelte endlich eine neue Mail bei Sora ein. »Wie sieht's mit morgen aus?«, fragte Jiro nach. Hoffentlich würde Sora kommen. Lächelnd blickte der Jüngere auf die Mail. »Wann soll ich da sein? Okaa-san ist einverstanden« Noch immer fühlte er sich schlecht deswegen... er hatte gesagt, er würde zu einem Klassenkameraden gehen, was zwar stimmte, aber... wüsste sie, dass es Jiro war, hätte sie wohl ganz anders reagiert. »Komm wann du willst. Schreib mir nur vorher, damit ich Bescheid weiß«, gab Jiro zurück und blickte sich um. Er musste aufräumen! Aufgeregt brachte er seine Sachen im Schrank unter, schob mit einem Arm sämtliche Sachen vom Tisch in eine Schublade und drückte sie zu. Dass einige Blätter Papier herausschauten, störte ihn nicht. Er kickte noch ein paar Dinge unters Bett, nickte dann zufrieden. So konnte es bleiben.
 

Am Samstag war Jiro nur noch aufgeregter. Er stylte sich schon fast übertrieben lang, brachte noch einmal sein Zimmer in Ordnung und blickte dann immer wieder auf sein Handy. Sora würde bald kommen... er hätte ihn endlich bei sich. Ungestört... Bei einem weiteren Blick in den Spiegel zögerte er jedoch. Er nahm sich sein Makeup und deckte die noch immer sichtbaren Schwellungen ab. Er wollte dem Kleineren keine unnötigen Sorgen bereiten...

Sora war bereits im Bus, tippte nun auf seinem Handy herum. »Bald bin ich da. Noch eine halbe Stunde etwa« Die Antwort ließ nur ein paar Sekunden auf sich warten: »♥« Mehr schrieb Jiro nicht. Es sagte wohl schon genug aus. Doch Sora würde das wohl nicht wirklich verstehen, nahm er an. Und wenn, konnte er ja noch immer umkehren. Das machte er allerdings nicht. Der Jüngere wurde nur hochrot, steckte schnell das Handy weg. Er machte ihn so verlegen mit diesen Dingen... Als der Bus endlich hielt, stieg er schon fast übereilt aus und Jiro stand ihm gegenüber. Er lächelte den Kleineren an, griff seine Hand. „Komm mit...“, sagte er sanft, führte ihn die Straße runter. „Es is' schön, dass du gekommen bist...“ Sanft strich er mit dem Daumen über Soras Handrücken. „Ich freue mich, bei dir zu sein“, antwortete Sora und sah Jiro aufmerksam an. Er hatte sich geschminkt, das war offensichtlich. Doch vorerst würde er nichts dazu sagen. Er wollte ihn ja auch nicht in Verlegenheit bringen oder ihn wütend machen.
 

Endlich bei Jiros Zuhause angekommen, lösten sich ihre Hände und Jiro öffnete die Tür. Sie stiegen aus ihren Schuhen und der Ältere ging Sora voran zu seinem Zimmer. So groß, wie alles andere war, Jiros Zimmer war es nicht. Das überraschte Sora nun doch. Vorsichtig ging er hinein. Es war gerade mal Platz für einen Schreibtisch, ein Bett, einen Einbauschrank und einen kleinen Tisch am Boden. „Is' ein wenig eng, aber geht schon“, meinte Jiro, schloss die Tür hinter ihnen und ließ sich auf ein Sitzkissen an den niedrigen Tisch am Boden sinken. Darauf stand eine Thermoskanne mit Tee, sowie zwei Tassen. „Setz dich...“, meinte er lächelnd, deutete auf ein anderes Kissen und schenkte dann dem Jüngeren Tee ein. „Oh, es ist schon in Ordnung...“, antwortete Sora leise und verbeugte sich leicht, als er ihm einschenkte. „Danke... und... danke, dass ich zu dir kommen durfte.“ „Es is' nur Eigennutz“, gab Jiro schulterzuckend zurück. Vorsichtig griff er die Hand des Jüngeren. „Magste nich' näher herkommen?“, fragte er zögerlich und Sora nickte, rutschte näher zu ihm. „Eigennutz?“, fragte er nach, wenn auch sehr kleinlaut. „Weil ich dich bei mir wollt'“, antwortete Jiro, was dazu führte, dass Sora nur wieder rot anlief. Dass er sich plötzlich in Jiros Armen wiederfand, mache die ganze Sache nicht besser. Doch er krallte seine Finger vorsichtig in sein Oberteil, schloss die Augen. Es tat gut, so nah bei ihm zu sein. Und auch Jiro genoss die Nähe, atmete seinen Geruch ein. „Du... glaubst gar nich', was es für mich heißt, dass du hier bist...“, wisperte er. Er konnte nicht mehr sagen als das, nicht mehr tun, dabei wollte er so viel mehr. Leicht sah Sora auf, schmiegte dann aber sein Gesicht gegen Jiros Brust und lauschte seinem Herzen. Sein eigenes klopfte wieder so wahnsinnig schnell... er hatte Angst, dass Jiro es hören würde, so laut kam es ihm vor.
 

„Wie lang... wirste bleiben?“, fragte der Ältere nach einiger Zeit, schob Sora etwas Weg und lehnte seine Stirn gegen die seines Gegenübers. Mit großen Augen blickte der Jüngere ihn an, bekam eine Gänsehaut bei der Nähe. „Ich... weiß nicht... heute Abend irgendwann... muss ich wieder zurück.“ „Okay...“ Jiro fühlte den Atem des anderen auf seinen Lippen, überwand jedoch die Entfernung nicht. Er wollte nicht weitergehen, behielt die Distanz aufrecht. „Du hast dich... wieder geschminkt...“, hörte er auf einmal die Stimme des Kleineren, fühlte dessen Hand auf seiner Wange und schmiegte sich leicht hinein. „Ich will... dich nich' beunruhigen... Es sieht besser aus, als noch vor ein paar Tagen...“ „Das tust du doch nicht. Bitte... Versteck dich nicht...“, wisperte Sora und Jiro stand langsam auf. „Ich komm gleich wieder...“ Leicht lächelte er, verließ das Zimmer und ging sich abschminken. Wenig später kam er zurück und die Blutergüsse waren nun sichtbar, wenngleich sie schon begonnen hatten abzuheilen. Er setzte sich wieder zu Sora, hielt den Blick gesenkt. „Ich will Zeit mit dir verbringen... deshalb passiert es. Aber... das is' okay.“, sagte er leise und Sora sah ihn erschrocken an. „Nein... ich... ich will nicht, dass so etwas wegen mir passiert“, entgegnete er, strich erneut über seine Wange. Diesmal war er jedoch etwas vorsichtiger, wollte ihm nicht weh tun. „Es is' meine Entscheidung. Ich will's so. Es is' schön mit dir unterwegs zu sein... Deshalb.“, gab Jiro lächelnd zurück und genoss die sanfte Berührung. „Aber... wegen mir passiert so etwas. Das möchte ich nicht...“, wiederholte Sora, doch Jiro schüttelte den Kopf. „Ich will's aber so.“, entgegnete er und lehnte seine Stirn wieder gegen die Soras. „Vertrau mir...“, raunte er ihm zu. Diese Spannung zwischen ihnen ließ ihn erschaudern. Unsicher sah der Kleinere ihn an, lehnte sich mit den Händen leicht auf Jiros Beine. „Ich vertraue dir“, antwortete er, was Jiro ein Lächeln entlockte. Sora wurde rot, als er es sah. Es war wieder jenes liebevolle Lächeln, das er sonst kaum aufbrachte. Überrascht hielt er sich an dem Älteren fest, als dieser ihn an sich zog. „Ich hab dich gern' hier“, hörte er seine Stimme an seinem Ohr. „J-ja? Wirklich?“, fragte Sora leise und blickte ihn an. „Ja, sehr...“, gab Jiro zurück, löste sich nun aber wieder.
 

Sora fühlte sich seltsam, als diese Nähe einfach Verschwand. „Haste Hunger? Die Putze kann was bringen“, sagte der Rotblonde und Sora nickte leicht. „Ich... ein wenig. Aber nenne sie bitte nicht so. Sie ist sehr nett“, antwortete er. Leise hmpf-te Jiro auf diese Bemerkung hin, doch er widersprach nicht, stand stattdessen nur auf und ging zur Tür, an der eine Gegensprechanlage hing. Er hob ab und rieb damit in der Küche an, bestellte für Sora etwas zu essen und legte wieder auf. „Wird gleich gebracht“, verkündete er und setzte sich abermals zu Sora, um seine Hand zu halten. „Danke, willst du denn nichts?“, fragte dieser jedoch nach. „Ich schnapp' mir was von dir“, gestand Jiro nun grinsend, legte seine Arme um seine Hüfte und zog ihn eng an sich. „Sora... ich muss mit dir reden“, begann er überraschend ernst. „Verstehste... warum ich dich hier haben möcht'?“ Zögerlich nickte Sora, wenn auch unsicher und etwas verwirrt. „Ja... ich... Ich denke schon.“, wisperte er und hielt sich etwas an Jiro fest. Leicht strich ihm dieser über die Wange. „Ich hoffe, dass du es tust. Wenn dir das alles zu viel is' dann geh...“ „Ich will nicht gehen! Ich möchte hier bleiben!“, gab Sora nun energisch zurück, schlang die Arme um Jiro und vergrub sein Gesicht an seinem Hals. Leicht lächelte Jiro darauf, wollte ihm gerade etwas näher kommen, als es klopfte. Sofort löste er sich und öffnete die Tür, um das Tablett mit Essen entgegenzunehmen. Er schloss die Tür wieder und stellte das Essen auf den Tisch. „Hier... bedien dich.“ „Vielen Dank“, erwiderte Sora und begann zu essen.
 

„Wieso sprichste eigentlich so förmlich?“, fragte Jiro nach, griff sich ebenfalls ein Paar Stäbchen und nahm sich ein wenig von dem Essen. „Das is' doch irgendwie altmodisch...“ „Es ist... mein Dialekt“, wich Sora aus. Inzwischen konnte er die Sprache der Maikos und Geikos perfekt und war auch sehr stolz darauf. „Du bist nich von hier. Warum sollteste sprechen wie alte Frauen aus Gion?“, versuchte es Jiro weiter. Er wollte nicht aufdringlich sein... Es interessierte ihn nur. „Du... musst nich' antworten, wenn's irgendwie zu persönlich is'“ „Nein, nein. Das ist schon in Ordnung“, antwortete Sora lächelnd. „Ich muss es lernen. Ich habe es Okaa-san versprochen.“ Jiro musterte ihn, nickte dann aber nur. Sora machte ein solches Geheimnis aus seinem Privatleben... Er ließ nie etwas von sich heraus.

Aber was blieb dem Kleineren auch übrig? Er konnte es ihm nicht sagen, woraus sein Privatleben bestand. Irgendwie hatte er Angst vor seiner Reaktion und er wusste auch nicht, ob es ihm nicht im Weg stehen würde. Vielleicht konnte er es ihm irgendwann sagen, wenn er die Prüfung bestanden hatte und Maiko war. Nachdenklich sah er auf das Essen, wobei er eingehend beobachtet wurde. Schüchtern lächelte er Jiro zu, hielt ihm dann etwas mit den Stäbchen hin. „Willst du?“, fragte er leise und der Ältere nickte, nahm den Bissen. „Danke...“ Er sah Sora unentwegt an, beugte sich zu ihm und lehnte seine Stirn gegen die des Jüngeren. Schüchtern senkte dieser den Blick, konnte ihm einfach nicht standhalten. Er legte vorsichtig eine Hand auf Jiros Schenkel, strich leicht darüber. Das brachte Jiro allerdings wieder dazu sich zu lösen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Sora leise nach. „Ja... alles okay. Nur schwer, wenn du hier bist und...“ Jiro seufzte tief, griff wieder Soras Hand und strich sie entlang. „Warum? Was ist los?“, fragte dieser weiter. „Ich will dich halten... ich... ich weiß aber nich' mal, warum du hier bist...“ Überrascht sah Sora ihn an. „Warum solltest du nicht?“, fragte er und lächelte schüchtern. „Ich bin hier, weil ich bei dir-“ Doch er kam nicht weiter, denn Jiro überwand sich nun endlich, zog den Kleineren auf seinen Schoß und küsste ihn zärtlich. Seine Finger krallten sich leicht in den Stoff seines Oberteils, eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus. Doch Sora ging es nicht anders. Im ersten Moment war er verwirrt, wusste nicht wirklich, was da passierte. Dann aber schloss er die Augen, schmiegte sich mehr an Jiro und spielte an seinem Hemdkragen herum.
 

Es dauerte nicht lange, bis Jiro abermals den Rückzug antrat. „Es tut mir leid... Du... du kannst gehen... wenn du nich' mehr hier sein willst“, murmelte er und wandte sich ein wenig ab. „Nein, schicke mich bitte nicht weg. Ich will nicht gehen. Ich will bei dir bleiben!“, antwortete Sora sofort, hielt seine Hände fest. Überrascht blickte Jiro ihn an, lächelte dann leicht. „Ich schick dich nich' weg. Ich sag' nur, dass du gehen kannst, wenn du willst“ „Das will ich aber nicht. Ich möchte bleiben!“ Ernst sah er dem Älteren in die Augen, was diesen doch etwas erleichterte. „Dann bleib...“, sagte er sanft und legte seine Arme wieder um Sora. „Danke...“, flüsterte er ihm ins Ohr. Sora erschauderte etwas, wurde rot. „Ich weiß gar nicht so richtig, was ich machen soll“, nuschelte er, „ich meine... ich... ich habe so etwas noch nie gemacht“ Das brachte Jiro nun doch etwas zum Lachen. „Du kannst gar nichts falsch machen. Keine Sorge. Sei einfach du selbst“, erwiderte er und legte eine Hand auf Soras Wange, ehe er einen Finger über seine Lippen gleiten ließ. „Darf ich?“, fragte er nach und Sora nickte vorsichtig. Liebevoll küsste Jiro ihn erneut, genoss diese Innigkeit zwischen ihnen. Es war alles nicht viel, was sie machten, doch gab es ihm so schöne Gefühle. Sora war wahnsinnig aufgeregt. Seine Hände zitterten etwas und er musste sich konzentrieren, um ruhig zu bleiben. Merklich wurde er jedoch ruhiger und entspannte sich etwas in Jiros Armen. Dennoch schlug ihm sein Herz auch weiterhin bis zum Hals.
 

Als sie sich lösten, schmiegte Sora seinen Kopf gegen Jiros Brust und genoss das Streicheln des Größeren. Er war so zärtlich. So hätte er ihn nie eingeschätzt, wo er doch ständig trank und sich mit anderen schlug. Unsicher sah er auf, küsste ihn nun von sich aus, wenn auch sehr unsicher. Denn kurz darauf löste er sich schon wieder. „Nich' so schüchtern“ „Es ist mir... so völlig neu“, wisperte Sora etwas hilflos, erwiderte jedoch den Kuss, den Jiro wieder aufnahm. Er fühlte seine Zunge, öffnete den Mund einen Spalt und überließ dem Älteren alle Führung, die jedoch nicht von langer Dauer war. Dieses Gefühl war für ihn so intensiv. „Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte Sora nach, doch Jiro schüttelte nur den Kopf. „Haste nich'. Hast alles richtig gemacht. Fast zu richtig“, gab er zurück, wurde etwas rot und räusperte sich. Sora verstand nicht wirklich was er meinte, blickte ihn fragend an, was nur zu einem kurzen Auflachen von Jiro führte. Er tätschelte dem Kleineren sanft den Kopf, erklärte sich aber nicht weiter. Sora zog eine leichte Schnute. Warum lachte Jiro? Er fühlte einen Kuss an seiner Stirn, lehnte sich nun einfach gegen ihn und beschloss, nicht weiter nachzufragen.
 

Jiro betrachtete ihn aufmerksam, strich ihm immer wieder über den Kopf. Es gab so viele Dinge an Sora, die er nicht verstand. Warum passte er so auf, dass er nicht braun wurde? Warum war ihm das nicht einfach egal? Warum hatte er sich diese Sprache angeeignet? Wieso erzählte er einfach gar nichts über sich? Irgendwie musste er das alles noch aus ihm herausbekommen.

Doch auch Sora ging es nicht anders. Jiro war anderen gegenüber so frech und ruppig... Er war ungehalten, fast aggressiv... und dann wieder so aufmerksam und fürsorglich. Das alles passte irgendwie nicht recht für ihn zusammen. Und dann war da noch dieses riesige Haus... und dieses kleine Zimmer, das Jiro sein Eigen nannte. Hier wäre doch sicher viel mehr platz. Warum also? Und was wollte er eigentlich von diesen „Freunden“, die er hatte? Er hatte bei den Treffen nicht sonderlich interessiert an ihnen gewirkt, teilweise eher genervt... Leise seufzte er. Er traute sich nicht recht zu fragen, aber sonst würde er wohl nie etwas erfahren.
 

„Deine Familie... wie... wie ist die so?“, überwand sich Sora nach einiger Zeit. Jiro runzelte die Stirn, sah ihn misstrauisch an. Wieso fragte er so etwas? „Na ja, altmodisch...“, meinte er. „Vater ist recht streng...“ Das klang schon irgendwie lächerlich, wenn man bedachte, was Jiro so in seiner Freizeit trieb und wie er aussah, mit den gefärbten Haaren. Sora verwirrte das sichtlich. Jiro machte was er wollte und dann sprach er von Strenge? Doch er hielt sich nun erst einmal nicht daran auf. „Und deine Mutter?“, fragte er stattdessen weiter und legte vorsichtig einen Arm um Jiro. „Sie's nich' ganz so drauf. Aber früher war sie doch manchmal streng. Ich seh' sie aber ohnehin kaum. Ihr Zimmer is' in 'nem anderen Teil des Hauses. Vater seh' ich häufiger“ Verdutzt sah Sora ihn an. „In einem anderen Teil...?“ Er runzelte die Stirn, setzte sich mehr auf. „Warum... ist ihr Zimmer in einem anderen Teil des Hauses?“ Lebten seine Eltern nicht zusammen? Es war verständlich, dass man sich nicht so häufig sah, wenn das Gebäude so groß war, aber diese Aussage verwirrte ihn. „Auf diesem Flur sind nur meine Brüder, mein Vater und ich. Meine Schwestern und meine Mutter sind auf der anderen Seite des Hauses.“, erklärte Jiro. „Meine Großeltern wohnen zwar auch hier, aber im Südgebäude, nicht auf den Fluren hier.“ „W-was? Aber... schlafen deine Eltern nicht zusammen? Also... ich... ich meine in einem Bett?“ Etwas überfordert sah Sora ihn an, verstand er diese Art der Familienkonstellation doch nicht wirklich. Seine Eltern hatten ein gemeinsames Zimmer und ein gemeinsames Bett. „Nein, sie sind da nun mal etwas altmodisch. Sie interessieren sich auch nich' füreinander, denk' ich. Vaters Geliebte wohnt aber auch auf dem Frauenflur.“, antwortete Jiro und verzog die Lippen zu einem verbissenen Grinsen. Erschrocken blickte Sora zu ihm auf und er verstand mit einem Mal, warum Jiro so war, wie er war. Es wunderte ihn auch nicht wirklich bei einer solchen Familie. Der Vater als Oberhaupt mit einer Ehefrau, die nicht mehr war als das und einer Geliebten, die im gleichen Haus wohnte. Es musste schlimm für ihn sein... „Schau nich' so. So is' er nun mal“, gab Jiro gelassen zurück und sah zur Seite. „Meine Großeltern wurden einander versprochen, bei meinen Eltern war's genauso... Meine Mutter hat das Haus bezogen und war kurz drauf schwanger, wie sichs gehört. Nach mir kamen meine Schwestern, dann meine zwei Brüder. Man sieht sich nich' so häufig. Essen gibt’s auch getrennt. Nur zu Familienfeiern oder so sind mal alle zusammen.“
 

Betroffen senkte Sora nach dieser Ausführung den Blick. Das war etwas, was er sich niemals vorstellen konnte und auch wollte. Seine Eltern waren glücklich miteinander und der Gedanke daran, dass es bei Jiros Eltern nicht so war und seine Mutter lediglich dafür gedient hatte, um Kinder in die Welt zu setzen, machte ihn irgendwie traurig. „Tut mir leid“ „Ach was, braucht's nich'. Kenn's ja nich' anders...“, gab Jiro zurück und zuckte mit den Schultern. Er tat das alles ab, als würde es ihn nicht interessieren, doch tatsächlich belastete es ihn sehr. Er würde all diesen Reichtum, den er hatte, darum geben, ein liebendes Elternhaus zu haben. Doch weder seine Eltern liebten sich, noch schien es so, als würden ihnen ihre Kinder irgendwas bedeuten. Gerade wollte er noch etwas sagen, doch da klopfte es schon zaghaft und die Tür öffnete sich. „Tut mir leid... wenn ich störe“, sagte der Junge, der in der Tür stand. Er war schmächtig und wesentlich blasser als Jiro. Auf der Nase trug er eine Brille und die Haare waren artig kurz geschoren. Dennoch sah man die Ähnlichkeit der Brüder. Dass sie jedoch sonst kaum Gemeinsamkeiten hatten, wurde offensichtlich, als Jiros Bruder, Kenji, rot anlief. „Aniki... kannst du mir... bei den Hausaufgaben helfen? Wenn... wenn du Zeit hast?“ Jiro lächelte liebevoll und nickte. „Ich komm' gleich zu dir. Mach' inzwischen was anderes, ja?“ „Vielen Dank...“ Der Junge verbeugte sich etwas, verließ dann wieder das Zimmer. „Er spricht so vorbildlich und höflich, obwohl er viel jünger ist“, stellte Sora schmunzelnd fest. Jiro lachte leise. Es wunderte ihn immer wieder, dass seine Geschwister so viel besser erzogen waren, als er selbst. „Du kannst gerne zu ihm gehen. Ich warte einfach hier“ Leicht nickte der Ältere. „Danke, bin gleich wieder da“ Er strich Sora noch einmal über die Wange, verließ dann das Zimmer, um zu seinem Bruder zu gehen.
 

Es zog sich etwas hin, bis Jiro wiederkam. Indessen setzte sich Sora auf das weiche Bett und wartete, sah sich um. Der Raum war nicht sehr groß, noch dazu etwas voll gestellt, aber er war gemütlich und hatte eine warme Ausstrahlung. Leicht lächelte er über diesen Gedanken, sah auf, als sich die Tür wieder öffnete. Jiro trat ein und strich sich fast schon schüchtern durchs Haar. „Er ist so lieb...“, murmelte er, wurde ein wenig rot. Sora nickte etwas. Jiro lag so viel an dem Kleinen, das war offensichtlich. Doch es schien so, als wäre es ihm peinlich. „Wie sieht's bei dir daheim aus?“, fragte er deshalb wohl schnell nach, wollte von sich ablenken. „Bei mir...?“ Sora sah ihn etwas verwirrt an, dachte dann nach. Sollte er von seinem Elternhaus erzählen oder doch lieber von dem Zuhause in Gion? „Es ist ein normales Einfamilienhaus... und... ja... meine Eltern haben ein Schlafzimmer und ich habe ein Zimmer. Es gibt noch ein Büro und ein Wohnzimmer... Das Haus ist nicht besonders groß, aber es ist sehr gemütlich“, berichtete er dann von dem Haus in seiner Heimatstadt. „Das klingt sehr schön...“, antwortete Jiro und ließ sich neben Sora sinken, nahm abermals seine Hand. Sora sah darauf, rutschte mehr zu dem Älteren und spürte ein paar Küsse an seinem Hals, ehe er Jiros Stimme hörte. „Niemand sonst darf von uns wissen. Bei meinen Geschwistern is' es okay, aber Vater würde durchdrehen... Immerhin bin ich schon verlobt... da kann ich doch nich'... und dann noch mit 'nem Kerl. Blah, blah, blah...“ Diese Worte trafen Sora ziemlich unvorbereitet wie ein Schlag ins Gesicht. „Du bist verlobt?“, fragte er sofort nach, „Warum hast du mir nichts davon gesagt?!“ Irgendwie tat es ihm weh. „Ich... hielt's nich' für wichtig.“, gab Jiro schulterzuckend zurück. „Die Olle bedeutet mir eh nichts.“ „Aber... was ist mit ihr? Was ist, wenn sie Gefühle für dich hat?“, murmelte Sora unsicher. „Sie kennt mich doch gar nich'. Wir haben uns erst einmal gesehen und das is' Jahre her! Ich weiß nich' mal, wie sie nun aussieht. Damals war sie nich' sonderlich hübsch. Na ja, also ich kann das auch nich' wirklich einschätzen, aber...“ „Magst du denn... keine Mädchen?“, traute sich Sora nun doch zu fragen. „Nein, natürlich nich'. Was soll ich mit 'nem Mädchen?“ Jiro schüttelte den Kopf und lachte. „Sonst hätt' ich dich nich' bei mir...“

Sora wurde etwas rot und setzte sich besser hin. Auf einmal schossen ihm tausend Fragen durch den Kopf. „Ich... darf... ich dich... Dinge fragen?“ Jiro lächelte sanft, nickte etwas. „Natürlich, frag nur...“ „Ich... habe keine Erfahrung... in nichts. Und ich will wissen, wie das ist“, hauchte der Kleinere und traute sich nun nicht mehr den anderen anzusehen. Das war so peinlich. „Schon okay, jeder fängt ohne Erfahrung an.“, gab Jiro zurück, strich über seine Hand. „Was genau willste denn wissen?“ Sora schluckte und atmete tief durch. „Alles... der... der Sex, wie ist das?“, nuschelte er schüchtern. „Wie? Meinst du, wie das funktioniert?“, fragend blickte Jiro ihn an, nickte dann aber verständnisvoll. Sanft legte er eine Hand auf Soras Rückseite, was diesen leise auffiepen ließ. „Hier steckt man ihn rein“, erklärte er und schmunzelte. „Ich kann dir leider nich' sagen, wie's is', wenn man unten liegt. Ich lass da niemanden dran.“ „Aber... das... das geht doch nicht...“, widersprach der Kleinere leise, was Jiro nur noch dazu anstachelte, ihn ein wenig zu ärgern. Er beugte sich zu Sora, legte seine Lippen sanft an sein Ohr. „Und es fühlt sich wahnsinnig gut an... Vielleicht kommste irgendwann in den Genuss es zu probieren?“ Ein Schaudern ging durch Soras Körper und er biss sich auf die Unterlippe. „Da... da ist es dreckig“, entgegnete er nur. „Kumochan...“, begann Jiro daraufhin leise. „Man wäscht sich. Dann ist's ziemlich sauber.“ Sanft strich er dem Kleineren über die Wange. „W-waschen? Wie denn?“, fragte dieser leise weiter, schmiegte sich in seine Hand. „Mit Wasser, Dummchen. Dann fühlt sich das auch echt gut an. Zumindest haben das die gesagt, mit denen ich Sex hatte.“ „Mit Wasser... uhm... ja. D-du... hattest schon Sex? Mit... Männern?“ Sora sah ihn an, bekam eine leichte Gänsehaut. „Ja, klar. Mit ein paar schon. Ist nich' wirklich was Besonderes. Bin ja älter als du. Ich denk' in meinem Alter ist's normal.“ „Uhm... ja, wahrscheinlich.“ Auf einmal fühlte sich Sora wie ein Verlierer. Jiro hatte so viel Erfahrung und er selbst... er hatte gar keine Ahnung wie das alles so ablief.
 

„Möchteste noch etwas wissen?“, fragte Jiro nach. „Ich kann's dir natürlich auch zeigen... wie manches funktioniert.“ Leicht grinste er und Sora blickte ihn nur verwirrt an. „Was meinst du?“, entgegnete Sora. Er wollte nicht neugierig sein, aber all das interessierte ihn. Jiro lachte auf, strich über seine Seite, dann zu seinen Beinen. Ihm war bewusst in was für eine Lage er sich brachte, doch er wollte ihn ein wenig ärgern. Mit roten Wangen blickte Sora auf die Hand, die auf seinen Beinen lag und sah mit roten Wangen auf. Er mochte dieses Gefühl, das Jiro bei ihm auslöste. Deshalb wehrte er ihn auch nicht ab, als Jiros Finger unter sein Shirt glitten und seine Haut berührten. Er spürte nur, wie sich von dort aus Wärme durch seinen Körper zog. Leicht krallte er sich an den Größeren, wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. „J-jiro...“, wisperte er leise, atmete hörbar ein. Er fühlte den Blick des Älteren auf sich, ließ sich dann unsicher nach hinten drücken. Mit roten Wangen sah er auf, erschauderte, als sich Jiro über ihn kniete. Er fühlte seine Lippen auf den eigenen, erwiderte den Kuss sofort, strich vorsichtig durch das lange Haar des anderen. Er mochte es irgendwie... Doch der Kuss wurde schnell wieder unterbrochen. „So ungefähr läuft's ab... zumindest am Anfang“, meinte Jiro mit einem Grinsen. „Was danach kommt... hab' ich dir ja schon gesagt.“ Sora nickte etwas, griff leicht nach Jiros Armen, strich sie entlang. Er war ihm so nah...

Unsicher ließ sich Jiro etwas näher ziehen, spürte seine Wärme. Er legte seine Hände auf seine Brust, strich darüber und bemerkte, wie jung der andere körperlich noch war. Drei Jahre machten nun mal viel aus. Mit sechzehn hatte er selbst ja auch noch anders ausgesehen. Sanft küsste er ihn wieder, was Sora sofort erwiderte. Doch hier stoppte er wieder, wollte nicht zu weit gehen. Er ging von ihm runter, doch sein Herz klopfte wie verrückt. Soras Blicke und Reaktionen... er mochte es sehr. Doch die folgende Stille war so erdrückend. Er wandte sich ein wenig ab, wusste nicht recht, was er sagen oder tun sollte. Sora fasste das jedoch falsch auf, hatte Angst, dass er wütend war. „Ich... soll... ich gehen?“, fragte er leise. „W-was? Nein... Ich... bleib, bitte.“, antwortete der Ältere sofort. „Du bist... so komisch“, versuchte es Sora weiter. Immerhin schien Jiro ganz verändert. „Mir ist's nur peinlich. Du bist bloß ein graues Mäuschen... und trotzdem...“ Der Ältere hob seine Hand, legte sie auf Soras Wange. „Trotzdem löste so viel in mir aus...“ Auch wenn diesem die Bezeichnung nicht wirklich gefiel, die Worte darauf umso mehr. Er wurde rot, lehnte sich wieder leicht an Jiro, der ihn erneut sanft küsste. „Bleib.“, wisperte er und zog den Kleineren auf seinen Schoß. Leicht nickte dieser, schmiegte sich an Jiro.
 

Diese Veränderung der Dinge... Sora hätte nie gedacht, dass so etwas passieren würde. Dass er hier mit Jiro sitzen würde und in seinen Armen liegen. Doch nicht nur ihm machte diese Veränderung Sorgen. Auch Jiro wusste nicht recht, wie er damit umgehen sollte. „Deine Eltern... sie sind sicher nich' begeistert, wenn sie wissen, dass...“ Soras Mutter hatte ja ohnehin anscheinend schon was gegen ihn. Und würde sie herausfinden, dass Sora bei ihm war und sie sich so nahe kommen. „Es ist mir egal. Ich mag dich. Und das ist mir das Wichtigste“, antwortete der Kleinere ehrlich. Und wenn er Haruko dafür ständig anlügen musste, das wäre ihm egal. „Danke...“, antwortete Jiro leise, betrachtete ihm und strich Sora durch das kurze Haar, das jedoch ein wenig gewachsen war. Bald würde er es wohl abschneiden müssen, wenn er keine Probleme mit der Schule bekommen wollte. „Frag mich wie du aussehen würdest, wenn deine Haare noch länger wären“, meinte er nachdenklich. „Eh...?“ Sora blinzelte verwirrt, lächelte dann aber. Er wollte bei ihm bleiben. Es störte ihn zwar, dass er eine Verlobte hatte, doch wenn Jiro die Wahrheit sagte und er nicht an ihr interessiert war... Eigentlich sollte er sich schlecht fühlen, weil er einen Jungen mochte, aber bei Jiro ging es einfach nicht anders.
 

„Wird sich... was ändern...? Zwischen uns mein' ich. Wenn du wieder nach Hause gegangen bist... Wird's morgen anders sein?“, fragte Jiro leise nach, legte seine Hände an Soras Wangen. Dieser schüttelte verwirrt den Kopf. „Nein... natürlich nicht. Wieso fragst du so etwas?“ „ah...“, machte Jiro nur, senkte den Blick etwas. Natürlich. Was hatte er auch gehofft? Dass zwischen ihm und Sora nun mehr war? So etwas Absurdes... Dennoch lächelte er. „Da bin ich froh“ Doch Sora spürte, dass er nicht ganz so froh war. „Du... du meinst etwas anderes, oder? Bitte... was meinst du. Sag es mir.“ Vorsichtig griff er seine Hand, drückte sie leicht. „Is' schon okay so...“, gab Jiro kopfschüttelnd zurück und vergrub sein Gesicht an seinem Hals. „Dann lass es mich genießen... mit dir... bevor's wieder so wird wie immer...“ „Nein... Jiro-san... es... war mein Fehler. Ich habe es missverstanden“, entgegnete Sora und strich durch Jiros Haar. „Natürlich wird es nicht sein wie vorher.“ „Is' das wirklich okay für dich? Ich mein', du hast doch keine Erfahrung und weißt nichts von all diesen Dingen“, meinte Jiro leise, löste sich ein wenig und sah dem kleineren in die Augen. „Vielleicht sollteste dir lieber 'n nettes Mädchen suchen... Und nich' 'nen Kerl wie mich“ „Ich will kein Mädchen. Ich... will... dich und es ist in Ordnung für mich, dass du... so bist. Es ist schön mit dir“, wisperte Sora kleinlaut. Leicht erschauderte der Ältere bei den Worten und wurde etwas rot. „Das freut mich... ich hab' mir schon Sorgen gemacht, dass ich... dich zu sehr bedräng' oder so...“ „Das tust du nicht. Du bedrängst mich nicht.“ Jiro lächelte, küsste ihn wieder sanft, was dem Kleineren ein leises Seufzen entlockte. All diese Gefühle waren so viel für ihn. Doch er war unsicher, ob er alles richtig machte. Jiro allerdings war gerade diese Unsicherheit sehr sympathisch. Es fühlte sich gut an, dieses Zögern, dieses Scham. Sanft kraulte er Soras Nacken, woraufhin dieser seine Finger etwas in Jiros Hemd krallte, ein wenig daran zog, wenn auch eher unbewusst. Am liebsten wäre Jiro nun weiter gegangen, doch sie hatten sich eine unsichtbare Grenze gesetzt. Er durfte nicht weitergehen... Aber ausreizen konnte er diese Grenze doch ein wenig. Vorsichtig schob er seine Hände unter das Shirt des Kleineren, strich zu seiner Brust hoch und genoss die weiche Haut. Als er wie aus Versehen eine Brustwarze streifte, entwich Sora ein leises Wimmern, krallte sich noch mehr an Jiro und löste sich von seinen Lippen. Mit roten Wangen sah er den Älteren an, der eine Gänsehaut bei dem Blick bekam. Und diese Laute... Doch er zog seine Hände zurück. Bis hier hin und nicht weiter. Leicht lächelte er, küsste Soras Stirn. „Du bist echt niedlich irgendwie“, wisperte er, woraufhin Sora nur den Kopf schüttelte, sein Gesicht an seiner Brust versteckte.
 

Zu gerne hätten die beiden noch mehr Zeit miteinander verbracht, doch Jiros Blick fiel auf eine Uhr. „Es wird langsam spät...“, meinte er leise. „Ja... ich weiß. Ich muss gehen, aber... Ich will nicht...“, entgegnete Sora und blickte zu Jiro auf. „Ich hätt' dich auch gern' noch länger hier“ Sora nickte, rutschte aber nun von seinem Schoß. Er hatte heute Abend noch so viel zu tun. Schminkunterricht, Fächertanz, die anderen zur Arbeit begleiten... „Ich begleit' dich noch zur Haltestelle, okay?“ „Danke, Jiro-san...“ Leise lachte der Ältere. „Nich' so förmlich. Jiro reicht völlig“, sagte er lächelnd. Sora errötete etwas und nickte. „Danke Jiro...“, wiederholte er.

Als sie an der Haltestelle standen und der Bus kam, küsste Jiro sanft Soras Wange. „Es war sehr schön mit dir... pass' auf dich auf...“ Damit wandte er sich ab und machte sich auf den Heimweg, während Sora in den Bus stieg, Jiro noch aus dem Fenster zuwinkte. „Bis Montag... Jiro...“, wisperte er zu sich selbst. Dieser Tag hatte so plötzlich so vieles verändert.

"Schlechter Umgang"

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

"Schlechter Umgang" (Zensierte Version)

Am Montag ging Jiro brav in die Schule. Er wollte Sora sehen. Für ihn war das wohl der einzige Grund überhaupt hier her zu kommen. Als er am Mittag auf das Dach kam, sah er ihn fast schon schüchtern an, setzte sich zu ihm und strich über seine Wange. „Wie war's Wochenende noch so?“, fragte er nach und packte nebenbei sein Bento aus. „Es... es war okay“, antwortete der Kleinere leise, warf einen Blick auf Jiros Essen. Er hatte so viel besseres verdient, als trockenes Fertigessen aus einer Plastikschachtel. „Warteste später wieder? Ich bring' dich zur Bushaltestelle“, meinte Jiro weiter, beugte sich zu Sora und küsste seine Stirn. Leicht errötete dieser und nickte etwas. „Ja, ich warte später...“ Er wollte einfach so viel Zeit wie nur möglich mit ihm verbringen.
 

Fertig mit dem Bento, stand Jiro auf, sah noch einmal kurz zu Sora, ehe er vom Dach ging. Es tat ihm gut, Sora immer wieder zu sehen, selbst wenn sie kaum ein Wort miteinander sprachen. Die Tage zogen vorbei und es wurde jeden einzelnen immer wärmer. Es war nun bereits Anfang Juni und Jiro konnte kaum glauben, dass er es wirklich so lange an dieser Schule ausgehalten hatte. Es war nur Sora zu verdanken. Eigentlich hatte er ihn auch an diesem Wochenende sehen wollen, doch Sora musste absagen, da Haruko es ihm verboten hatte. Er sollte lieber üben, wenn er eine gute Maiko werden wollte. Aber es war nur verständlich, dass der Junge stark eingebunden wurde. Immerhin standen die Prüfungen bevor. Sora war ein wenig hin und her gerissen. Einerseits wollte er seinen Traum verwirklichen. Andererseits wollte er auch Jiro sehen. Selbst unter der Woche ließ sie ihn nicht mehr weg, was ihn wahnsinnig machte. Er wollte wenigstens nach der Schule noch ein wenig Zeit mit dem Älteren verbringen, doch Haruko bestand darauf, dass Sora gleich nach den Clubaktivitäten zurück zur Okiya kam. Jedes Mal sah Sora Jiros enttäuschtes Gesicht und es tat ihm irgendwie weh. Deshalb beschloss er Haruko erneut anzulügen und teilte Jiro das auch am Dienstag darauf mit.
 

„Dieses Wochenende geht’s wieder nich', oder?“, fragte Jiro nach. „Außerdem sind bald Ferien....“ „Doch. Am... am Samstag. Da kann ich“, antwortete Sora sofort, was den Älteren überrascht aufblicken ließ. „Kumochan... Endlich!“ Er zog den Schwarzhaarigen an sich und küsste ihn zärtlich. Leicht krallte er sich an ihn, vergrub sein Gesicht an seinem kurzen Haar. Es roch so gut, wie alles an Sora. Leise Lachte dieser über den Gefühlsausbruch, genoss es jedoch Jiro so bei sich zu fühlen. „Dein... dein Bento... wirf es weg“, bat er leise, während Jiro ihn langsam los ließ. „Wegwerfen? Aber ich hab' Hunger, Kleiner... Da kann ich's doch nich' einfach wegschmeißen. Und fang' bloß nich' wieder mit deinem an. Davon ess' ich nich'“, entgegnete er. „Ich... nein, ich habe...“ Sora linste zu seiner Tasche und öffnete sie, holte vorsichtig eine penibel verpackte Bento-Box hervor und hielt sie Jiro hin. „Hier... das ist für dich“ Jiro starrte die Box an, dann Sora und wieder die Box, ehe er schlagartig errötete. Schnell nahm er sie, wandte sich etwas ab und nuschelte ein leises „Danke“. Er hatte noch nie so etwas bekommen. Umso peinlicher war es ihm... Als er das Bento öffnete, begann er zu strahlen. „Das... das sieht so gut aus!“, sagte er und sah mit glänzenden Augen kurz zu Sora, probierte dann. „Voll lecker!“, rief er und Sora wurde nun ebenfalls rot, lächelte schüchtern. „Freut mich sehr...“, antwortete er und beobachtete Jiro. Er war so süß, wie er sich darüber freute.
 

Genüsslich aß Jiro das Bento leer, reichte Sora dann die Dose, die dieser entgegennahm und einpackte. Er spürte jedoch den Blick des Älteren auf sich, errötete etwas. „Was... was ist?“, fragte er unsicher nach, doch Jiro lachte nur, küsste ihn auf die Wange. „Danke, Kumochan...“ Waren sie damit nun einen Schritt weiter gegangen? Der Ältere war sich nicht sicher. Man machte ja schließlich nicht für jeden eben mal ein Bento oder? Es verwirrte ihn schon ein wenig. Doch er versuchte nicht weiter darüber nachzudenken. „Am Wochenende... will ich dir mehr zeigen. Is' das okay?“, fragte er nach. Sora verknotete die Finger miteinander, sah ihn mit großen Augen an. „Was... meinst du damit?“, fragte er, was Jiro schmunzeln ließ. „Dann stopp' ich nich' mehr“, antwortete er, ließ eine Hand über sein Bein streichen. „Oh...“, machte Sora leise, wurde wieder rot und senkte den Blick. Es war ihm so peinlich und dass ihm sein Herz bis zum Hals schlug, machte die Sache nicht besser. „Keine Angst. Ich mach nichts, was du nich' auch willst“, sprach Jiro ihm behutsam zu, lächelte ihn an und küsste seine Schläfe. „Ich weiß...“, gab Sora zurück, lächelte nun ebenfalls und lehnte sich ein wenig an den Größeren, was diesen zufrieden auf ihn herunterblicken ließ.
 

„Ich geh dann mal... bis später“, verkündete Jiro nach einiger Zeit, erhob sich und wandte sich ab, um vom Dach zu verschwinden. Sora sah ihm nur nach und seufzte leise. Er hatte irgendwie gehofft, er würde jetzt bis zum Ende der Pause bei ihm sein... Aber dem war nicht so, was ihn doch ein wenig enttäuschte. Alleine wartete er das Klingeln ab, machte sich auf den Weg zum Tee-Club. Als er später nach draußen zum Feld kam, war Jiro noch immer mit zwei anderen am Spielen. Leicht lächelte dieser Sora zu, ging langsam vom Platz und nahm sich sein Handtuch. Sora kam näher heran und lächelte nun ebenfalls etwas. „Du bist immer so weit weg...“ „Tut mir leid... ich... ich will nicht in die Sonne. Sie ist schon so stark“, erwiderte der Kleinere leise und schluckte. „Ich weiß doch...“, meinte Jiro und senkte den Blick, wandte sich dann ab, um duschen zu gehen. Als er danach wiederkam, stand Sora erneut im Schatten der Bäume, verließ nun jedoch das Schuldgelände mit dem Älteren. Gemeinsam liefen sie zur Bushaltestelle, doch nach einer kurzen Verabschiedung trennten sich ihre wege, denn Jiro fuhr wieder mit der Limousine heim.
 

Die ganze Woche war er in der Schule schrecklich aufgeregt. Bald wäre endlich Samstag und Sora würde zu ihm kommen. Während der Tage machte er noch eine Besorgung, sodass am Tag von Soras Ankunft ein kleine, sehr unordentlich verpacktes Päckchen auf seinem Tisch lag. Seufzend drehte Jiro es hin und her. Er war einfach nicht gut in solchen Dingen. Aber vielleicht würde es Sora ja trotzdem gefallen. Sein Blick wanderte zur Uhr, ehe er sich auf den Weg machte, Sora an der Haltestelle abzuholen. Kaum war dieser aus dem Bus gestiegen, lächelte Jiro und nahm ihn bei der Hand. „Hallo, Kleiner...“, sagte er leise und küsste seine Stirn. Zwar hielt er ihn längere Zeit weiter an der Hand, doch als sie in der Nähe des Anwesens ankamen, lösten sie die Hände. Niemand sollte es mitbekommen. Es wäre zu gefährlich. Doch schon dieser kurze Kontakt reichte Sora. Er sah glücklich zu Jiro auf, lief neben ihm her. Erst als sie in seinem Zimmer waren, fiel die Anspannung ein wenig von ihm. Nun würde sie keiner mehr sehen... Er schloss die Tür und sah sich in Jiros Zimmer um, bemerkte das Päckchen auf dem Tisch. „Uhm...?“ „Oh, das... das is' für dich... damit du nich' immer von so weit weg zusehen musst“, erklärte Jiro und setzte sich. Sora folgte ihm, ließ sich neben ihn sinken. „Damit ich...?“ Verwirrt blinzelte er, nahm jedoch das Geschenk und öffnete es.
 

„Ein... ein Schirm!“, stellte Sora mit strahlenden Augen fest. „Danke! Der sieht toll aus. Vielen Dank!“ Übermütig schlang er die Arme um Jiro, der ihn überrascht an sich drückte. „Ich wusst' nich' genau, welcher dir gefällt, aber ich dacht', das könnt' passen...“ Sofort nickte Sora, vergrub sein Gesicht in seiner Halsbeuge. „Ja, er gefällt mir sehr!“, hauchte er und krallte eine Hand vorsichtig in Jiros Oberteil. Sanft streichelte der Ältere Soras Rücken. „Es is' schön, dass du endlich wieder Zeit hast...“ „Es tut mir leid, dass ich immer absagen musste, aber ich... in nächster Zeit werde ich auch wieder viel arbeiten müssen“, entschuldigte sich Sora leise, schloss die Augen leicht. „Is' schon okay...“, erwiderte Jiro stirnrunzelnd. //Arbeiten...? Seit wann hat er 'nen Job?//, dachte er bei sich und blickte auf Sora hinunter. Er wollte gerne nachfragen, andererseits wollte er lieber warten, bis Sora selbst mehr dazu sagte. Also beließ er es dabei, legte eine Hand unter das Kinn des Kleineren und hob seinen Kopf an, küsste ihn sanft. Vorsichtig erwiderte Sora den Kuss, strich Jiro zärtlich durchs Haar, ehe er sich wieder löste. „Ich werde versuchen mehr Zeit für dich zu finden“, sagte er nun leise, was Jiro dann doch lächeln ließ. „Hauptsache ich hab' ab und zu was von dir... Seh' ich dich eigentlich in den Ferien?“, fragte er nach. „Ja, aber... es kann sein, dass es dann immer sehr kurzfristig ist. Ich hoffe, das ist in Ordnung?“ Jiro nickte leicht, kraulte den Nacken Soras, woraufhin dieser leise und entspannt seufzte, sich mehr an den Größeren lehnte. Endlich war er wieder bei ihm. Und es half ihm einmal abzuschalten, denn schon bald waren die Maiko-Prüfungen. Nur eine Woche blieb ihm noch zu lernen. Leicht lächelte er, als er Jiros Finger auf seinen Beinen fühlte, die ihn sanft streichelten.
 

„Ich bin... so gerne bei dir...“, wisperte Sora leise, während Jiro seine Finger unter sein Shirt schob und sanft über seine Brust strich. Dort verweilten sie jedoch nicht lange, glitten zu seinem Rücken und krallten sich dort für einen Moment hinein. Leicht erschauderte der Kleinere, drückte sich jedoch den Fingern entgegen. „Ich auch bei dir, Kumochan...“, antwortete Jiro lächelnd, berührte abermals Soras Brust, beließ es jedoch nicht dabei. Er hatte dem Kleineren versprochen, ihm mehr zu zeigen. Und daran wollte er sich halten. Es dauerte nicht lange, bis sich Sora schwer atmend auf dem Bett wand. Es war ihm peinlich, dass Jiro all das von ihm sehen konnte, doch er kam nicht umhin es doch zu genießen.
 

Letzten Endes lag er mit zitternden Beinen auf dem Bett. Viel zu überwältigt war er von diesem Gefühl, als Jiro ihn an sich zog, um ihn liebevoll zu küssen. Sora erwiderte den Kuss erschöpft, vergrub dann sein Gesicht an seinem Hals. Leicht krallte er seine Finger in Jiros Shirt, wurde jedoch merklich ruhiger. „War's das erste Mal für dich? Oder... haste schon mal mit der Hand...?“, fragte der Ältere leise nach. Sora schüttelte leicht den Kopf. Es war ihm irgendwie peinlich zu antworten. Er hatte so etwas noch nie getan. Er hatte nie das Verlangen danach gehabt... und nun hatte Jiro.... „Vielleicht ja von jetzt an“, raunte dieser ihm zu. „Und du wirst jedes Mal dran denken, dass es meine Hand is'...“ So sanft und vorsichtig er mit Sora auch umgegangen war, kam nun seine anrüchigere Seite raus. Dass er Sora damit nur noch mehr beschämte, machte ihm dabei besonders viel Spaß. Dieser schlug ihm leicht gegen die Brust, lächelte aber etwas. Als ob er Zeit dafür hätte, wenn er ständig arbeitete. „Es... es hat sich toll angefühlt, dich zu berühren...“, meinte Jiro leise, woraufhin Sora lächelte, ihm durch das rotblonde Haar strich. „Ich bin so gerne bei dir...“, gab er zurück und atmete seinen Geruch ein.
 

Die beiden genossen die Zweisamkeit, die sie endlich hatten. Doch Sora fühlte sich schuldig, dass es nicht öfters vorkam. „Es tut mir leid, dass ich nicht zu dir konnte...“, sagte er nach einiger Zeit, doch Jiro sah ihn sanft an. „Das is' schon okay. Hattest andres zu tun und... deine Eltern sind eben streng und lassen mich nich' zu so 'nem schlechten Umgang“ Leicht schmunzelte er. „Du bist kein schlechter Umgang! Sag das nicht“, protestierte Sora und schlug erneut etwas gegen seine Brust, krallte sich aber wieder an ihn. „Is' doch so...“, gab Jiro zurück, griff eine seiner Hände und hauchte einen Kuss darauf. „Kumochan...“, wisperte er. Er mochte den Namen so. Und er passte perfekt zu Sora. „Warum... nennst du mich eigentlich so?“, fragte Sora jedoch unsicher nach. Er hatte von Anfang an nicht verstanden, warum Jiro unbedingt einen Spitznamen für ihn haben wollte. „Ich weiß nich'. Passt eben zu dir. Weiß wie ein Wölkchen“, antwortete der Ältere, „Gefällt er dir nich'?“ Sofort schüttelte Sora den Kopf. „Ich mag ihn! Mehr... mehr als Sky. Ich mag den Klang... Wenn du es sagst...“ „Hm...? So? Dann bleib' ich dabei, Kumochan...“, erwiderte Jiro und küsste Sora liebevoll. Er konnte nicht anders. Am liebsten wollte er ihn die ganze Zeit küssen, berühren, halten. Er ließ sich mit ihm nach hinten sinken, zog Sora, ohne den Kuss zu lösen, über sich. Sanft glitten seine Finger unter sein Shirt. Leicht erschauderte Sora dabei, bekam eine Gänsehaut. Er verstand nicht, wie Jiro mit so kleinen Berührungen so viel in ihm auslösen konnte.
 

„Ich wünschte... wir könnten das alles... offener zeigen. Aber es darf niemand mitbekommen. Niemand weiß, dass ich...“ Jiro brach ab und seufzte leise, ließ seien Finger zu Soras Taille gleiten. „Das ist in Ordnung. Solange wir wenigstens auf dem Dach für uns sind, ist das okay. Mehr will ich nicht“, entgegnete Sora lächelnd und ließ sich von dem Älteren durchs Haar streichen. „Is' nich' leicht... das vor allen geheim zu halten...“, murmelte dieser. Tatsächlich war es bei seinen Freunden, wie er sie nannte, besonders schwer. Ständig musste er sich von Mädchen anmachen lassen, sie küssen und anfassen, nur um das Bild zu wahren. Auch jetzt würde er nicht damit aufhören können, auch wenn es Sora verletzen würde. „Ich weiß... ich kann es mir vorstellen“, sagte Sora leise und strich vorsichtig über Jiros Brust. Er wusste, was da so ablief, wenn Jiro mit seinen Freunden unterwegs war. Immerhin hatte er das selbst schon mitbekommen. Und er würde es akzeptieren, wenn Jiro mit diesem Verhalten weitermachte – solange er es selbst nicht mitansehen musste.
 

Liebevoll hielt Jiro ihn fest, schloss die Augen und streichelte Sora sanft. „Es is' schön... dass du hier bist...“, sagte er leise und Sora nickte etwas. „Ja... ich komme gerne zu dir...“, antwortete er, genoss die zärtlichen Berührungen des Älteren. „Mochtst du's? Als ich dich angefasst hab'?“ Sora wurde schlagartig rot. Wie konnte er das nun einfach so fragen? „Hast du das nicht bemerkt?“, nuschelte er verlegen als Antwort, sah Jiro jedoch nicht an. „Natürlich, aber ich will's hören“, meinte der Ältere grinsend, lachte dann etwas. Leicht pikiert runzelte Sora die Stirn, atmete tief durch. „Ich mochte es“, wisperte er schließlich und wurde sofort von Jiro an diesen gedrückt, fühlte abermals seine Lippen auf den eigenen.
 

„Was wirste eigentlich in den Ferien so machen? Arbeiten?“, fragte der Rotblonde nach einiger Zeit nach. Leicht nickte Sora. „Ja, ich... ich werde aber auch Zeit für dich haben. Versprochen“ Jiro lächelte etwas, strich über seine Wange. „Wo arbeiteste eigentlich?“ Nun war ja der beste Moment, um nachzufragen. Sora überlegte kurz. Was sollte er antworten? Er konnte ihm die Wahrheit nicht sagen. „In... einem Restaurant“, antwortete er schließlich. Jiro fiel das Zögern auf, doch er nahm es so hin, wenngleich er das Gefühl hatte, dass Sora unehrlich war. Vielleicht würde er ja irgendwann die Wahrheit erfahren. „Is' sicher öfters recht stressig, oder?“, meinte er daraufhin. „Ja... es... es geht, aber ich nehme mir Zeit für dich. Leise bedankte sich der Ältere, ließ seine Finger durch Soras Haar gleiten und küsste ihn wieder.
 

Ein ziemlich schlechtes Gewissen machte sich in Sora breit, als er am Abend auf dem Weg nach Hause war. Er hatte ihn angelogen. Er hatte ihn einfach angelogen und er fühlte sich schrecklich dabei. Dass dies nur der erste Baustein in einem großen Netz aus Lügen werden würde, konnte er nun jedoch noch nicht ahnen...

"Guten Abend, Schönheit"

Die nächsten Tage gingen schnell vorbei und obwohl Sora ebenso gerne nach der Schule noch mit Jiro unterwegs gewesen wäre, musste er ihn jedes Mal vertrösten. Immerhin stand am Samstag die Prüfung bevor und er war froh, wenn er nach der Schule schnellstmöglich noch üben konnte, damit er noch vor zwölf Uhr ins Bett gehen konnte. Als der Samstag endlich anbrach, war er schrecklich aufgeregt, hatte Angst, alles falsch zu machen. Sein Herz raste die ganze Zeit wie verrückt und als die Prüfung vorbei war, konnte er es kaum glauben, dass er bestanden hatte. Ab sofort wäre er eine Maiko. Er war so erleichtert. Endlich hatte er es geschafft. Dieses Hochgefühl verschwand über das Wochenende nicht. Erst als er am Montag in der Schule auf seinem Platz saß, sank seine Laune etwas, da, wie es nun mal gelegentlich der Fall war, wieder Kommentare fielen. „Sind Kobayashis Haare nicht lang geworden?“, sagte ein Mädchen laut. „Ja, wenn er sie nicht schneidet, hat er längere als du“, erwiderte ein Junge und grinste das Mädchen an. Sie beide lachten und Sora senkte den Blick. Seine Haare wuchsen immer so schnell... und über all die Vorkommnisse der letzten Wochen, waren sie immerhin schon einige Zentimeter lang.
 

Das Mädchen ging nun auch zu Jiro, der nur gelangweilt aus dem Fenster sah. „Minamoto-kun? Sieht er nicht bald aus wie ein Mädchen?“, säuselte es, was den Älteren aufblicken ließ. Er lachte aufgesetzt und nickte. „Aber nich' so süß wie du“, antwortete er, strich dem Mädchen etwas durchs Haar. Sora verfolgte das, wandte sich bedrückt ab. Ihm war klar, dass Jiro das machen musste, um sie beide zu schützen, aber dennoch verletzte es ihn.
 

Am Mittag kam Jiro aufs Dach, hielt den Blick schuldbewusst gesenkt und setzte sich schweigend zu Sora. Er brachte kein Wort heraus, traute sich irgendwie nicht. So sah er nur unsicher Sora dabei zu wie dieser von seinem Bento aß. „Es ist in Ordnung“, meinte er jedoch und das war es für ihn auch. Lächelnd sah er zu dem Rotblonden, holte ein Bento für ihn aus der Tasche und reichte es ihm. Erst wollte er es nicht annehmen, hatte er Sora doch weh getan. Dann aber nahm er es doch. „Ich... ich mag die Haare an dir. Siehst nich' mehr so spießig aus“, sagte er ehrlich, blickte nur zaghaft zu Sora, der jedoch nur lächelte. „Danke...“, wisperte er mit roten Wangen. „Jetzt iss“ Kurz zögerte Jiro noch, nickte etwas und begann zu essen. Soras Bentos schmeckten immer so gut. „Das is' voll lecker!“, verkündete er, drückte Sora einen Kuss auf die Wange. „Du kannst das echt toll. Wo haste kochen gelernt? Bei deiner Ma?“, fragte er nach und Sora nickte etwas. „Ich habe ihr immer gerne in der Küche geholfen, als ich klein war. Jetzt geht das natürlich nicht mehr so oft... wegen der Schule und so“, gab der Kleinere zurück. Es freute ihn, wenn er Jiro jedes Mal damit so glücklich machen konnte. Immer lächelte er, hatte dieses Strahlen in seinen Augen.
 

Freitag nach der Schule konnte Sora den Älteren auch endlich wieder begleiten und mit ihm noch in ein Gamecenter gehen. Die ganze Woche hatte Jiro gebettelt und er war froh gewesen nun endlich zugesagt haben zu können. Als sie die Halle betraten, dröhnte ihnen wieder dieser ohrenbetäubende Lärm entgegen, doch beim Pricla-Corner war es ein wenig ruhiger, wenn auch nicht viel, doch das Dröhnen der Automaten drang nicht so sehr durch. „Wo sollen wir reingehen?“, fragte Jiro nach und Sora deutete zu einem, der die Augen nicht ganz so sehr vergrößerte. „Hier?“ Leicht nickte der Ältere, betrat mit Sora die Kabine. Das letzte Mal war er dem Kleineren bereits näher gekommen, doch dieses Mal war er noch wesentlich inniger. Er schob seine Hände sanft unter sein Hemd, strich über seinen Bauch und küsste Sora zärtlich, hielt ihn eng bei sich. Leicht erschauderte dieser jedes Mal, genoss es jedoch, von ihm so berührt zu werden. Er war so sanft, so vorsichtig.

Als die Fotos gemacht waren, strich Jiro noch einmal über seine Seite, legte seine Lippen an Soras Ohr. „Du siehst so niedlich aus, wenn deine Uniform unordentlich sitzt...“, wisperte er, steckte ihm jedoch wieder sein Hemd in die Hose. Sora erschauderte bei diesen Worten, wurde schlagartig rot und hielt sich etwas an Jiro fest. Er nahm die Fotos entgegen, die Jiro ihm reichte, blickte glücklich darauf. „Die... die sehen toll aus“, sagte er schüchtern, steckte sie ein.
 

„Ich bring' dich noch bis zum Tor, okay?“, fragte Jiro nach, während sie die Spielhalle verließen und darauf die große Straße entlanggingen. Zaghaft nickte Sora. Er wollte nicht gehen, doch Zuhause warteten seine Hausaufgaben und seine Arbeit. Heute Abend hatte er einen Termin mit der Maiko, die zu seiner Schwester ernannt worden war: Mamehana. Er freute sich darauf, doch gleichzeitig verbrachte er so gerne Zeit mit dem Älteren. Er seufzte etwas, sah auf den Fluss, den sie auf der Brücke überquerten. Er mochte es hier, er mochte die Atmosphäre, die einen Überkam, wenn man auf dieser Seite des Kamogawa war. Am großen Tor vor dem Geisha-Viertel angekommen, mussten sie sich jedoch trennen. „Bis Montag dann...“, sagte Jiro kurz angebunden, wandte sich ab. „Ja... bis... bis Montag!“, antwortete Sora sofort. Er hätte ihn zum Abschied gerne umarmt, aber hier war es einfach nicht möglich. Langsam wandte er sich ebenfalls ab, als Jiro zwischen den Passanten verschwunden war und machte sich auf den Heimweg.
 

Wenig motiviert machte sich Sora daran, die Hausaufgaben zu erledigen. Doch er musste sich beeilen, brauchte er doch einige Zeit, um sich zu schminken und anzuziehen. Danach aß er noch etwas, ehe er sich für den Abend vorbereitete, das Makeup auftrug, die Perücke aufsetzte und folgend angezogen wurde.

Tief atmete er durch, schlüpfte in seine Okobo* und sah noch einmal zu Mamehana, die ihm zulächelte. „Keine Angst“, sagte sie und die Tür wurde von Haruko aufgeschoben. „Kommt gesund wieder“, sagte sie lächelnd. Die beiden Maikos verbeugten sich. „Das werden wir, Okaa-san“, antworteten sie und Mametsuki verließ nach Mamehana das Gebäude. Es war bereits dunkel. Das trübe Licht der Laternen spiegelte sich auf ihren weißen Gesichtern. Die Luft war schrecklich warm und feucht, doch Sora war so aufgeregt, dass er diesen Umstand kaum bemerkte.
 

Jiro, der den Nachmittag in Kawaramachi verbracht hatte, war mit Einbruch der Dunkelheit zurück nach Gion gekommen, um sich das Viertel am Abend anzusehen. Nun zog er durch die Seitenstraßen, kam gerade an jener Okiya vorbei, deren Maiko er belästigt hatte. In diesem Moment wurde sie von einer Maiko verlassen. Kurz blieb er stehen, wollte gerade weitergehen, als er auch die zweite Maiko bemerkte. Er blickte in dieses weiße, perfekte Gesicht, betrachtete den eleganten, jedoch verspielten Kimono, den sie trug. Langsam zog er sein Handy, folgte ihr mit dem Blick, als sie an ihm vorbeiging und machte ein Foto, ehe die Maikos hinter der nächsten Ecke verschwanden. Seine Finger zitterten leicht, als er sein Handy zurücksteckte. Sie war so hübsch gewesen. Er verstand gar nicht, was mit ihm los war. Er atmete tief durch, folgte den Maikos dann mit einiger Entfernung. Doch er wollte nicht zu sehr auffallen, wandte sich also ab und machte sich auf den Heimweg. Im Bus blickte er immer wieder auf das Foto, das sich auf seinem Handy befand.
 

Diese Maiko war auch der Grund, aus dem sich Jiro auch am nächsten Abend in Gion herumtrieb. Er wollte sie noch einmal sehen. Hoffentlich hätte sie auch heute zu tun. Schon oft hatte er in diesem oder anderen Stadtteilen Maikos und Geikos gesehen, doch sie noch nie. Und auch nie eine Maiko, die er... interessant fand. Doch dieses junge Ding... Er hatte keine Ahnung von der ganzen Gesellschaft, konnte immerhin Maiko von Geiko unterscheiden, aber das war's dann auch schon. Vielleicht sollte er sich mehr mit ihnen befassen? Doch für was denn? Er schüttelte den Kopf. So ein Unsinn.

Zwischen ein paar Fotografen und anderen Passanten blieb er vor der Okiya stehen, als sich wenig später die Tür öffnete. Sora trat als Maiko Mametsuki heraus und hielt den Blick etwas gesenkt, versuchte die Fotografen und Touristen auszublenden. Mit trippelnden Schritten lief er die Straße entlang, weiter zu einem Teehaus. Jiro folgte der zarten Gestalt ein wenig. Zu gerne hätte er nach einem Foto gefragt, doch wie sprach man eine Maiko an? Verwirrt schüttelte er den Kopf und begab sich zur nächsten Haltestelle. Das alles war doch Schwachsinn.
 

Als Sora am Montag Mittag auf dem Dach saß, öffnete sich die Tür und Jiro trat nach draußen. „Ich kann nich' lang bleiben. Ich... ich muss... in die Bibliothek. Muss 'n Buch suchen“, erklärte dieser aufgeregt, setzte sich zu Sora, küsste seine Wange und stürzte sich dann schon fast auf das Bento, das der Kleinere ihm hinschob. Sora war schon ein wenig verwirrt über dieses Verhalten. Er hatte noch nie ein Buch in Jiros Händen gesehen. Leicht runzelte er die Stirn, bemerkte jedoch, dass Jiro wieder sein Gesicht überschminkt hatte. Ein leichtes Seufzen entfuhr ihm. Schon wieder. „Was für ein Buch willst du dir denn holen?“, fragte er nach, lächelte etwas, als er sah, wie Jiros Augen beim Anblick des Bentos strahlten. „Eines... über... das Geiko-Gewerbe“ Sora verschluckte sich fast an seinem Bissen Reis. Doch er sagte nichts dazu, sprach Jiro ohnehin weiter: „Wie war's Wochenende?“ „Es war anstrengend... aber schön“, antwortete Sora leise, „Und deines? Was hast du gemacht?“ „Ich war in Gion unterwegs. Is' so schön am Abend.“ Erneut musste der Kleinere schlucken. Hoffentlich hatte Jiro ihn nirgends gesehen... doch er machte nicht den Eindruck. „Ja, ja, es ist wirklich schön. Ich liebe dieses Viertel“, erwiderte er deshalb.
 

„Kennste dich eigentlich mit Geikos aus?“, fragte Jiro nach einiger Zeit. „Ich... ja, ich denke schon. Kommt darauf an, was du wissen möchtest“, gab Sora zurück, blickte den Älteren abwartend an. „Wie alt sind Maikos, wenn sie anfangen? Und wie lang geht die Ausbildung? Kann man... seh'n wie weit sie sind?“ Jiro sah Sora dabei nicht an, blickte auf sein Bento. Irgendwie war es ihm peinlich, doch er verstand nicht so recht warum eigentlich. Sora war nun ernsthaft überrascht und auch etwas irritiert. Wieso fragte er so etwas? „Ich glaube sie fangen mit dem Ende der Mittelschule an, manchmal auch etwas früher. Also so fünfzehn oder sechzehn. Die Ausbildung geht vier Jahre. Man sieht es am Kragen, wie weit sie sind. Er wird immer weißer. Und ganz am Anfang sind die Lippen auch noch nicht voll ausgemalt.“, erklärte Sora, wobei ihm Jiro aufmerksam zuhörte. Er war begeistert, wie gut sich Sora damit auskannte. //Dann ist sie also am Anfang...//, sagte er zu sich selbst und nickte. „Danke“, sagte er lächelnd, strich über Soras Wange. „Das Muster im Nacken, warum haben die das?“, fragte er dann weiter, was Sora rot anlaufen ließ. „Das... ich... ich weiß nicht“, log er, „Das... musst du selbst nachlesen“ Jiro nickte nur, dachte nach. Irgendwie hatte er ein seltsames Gefühl dabei bekommen, als er den Nacken gesehen hatte. Außerdem war er so freizügig gewesen... „Aber willst du sonst noch etwas wissen?“, fragte Sora nach, doch Jiro verneinte. „Danke, das war's erst mal... Ich werd' jetzt ein Buch suchen gehen. Da steht sicher was drin...“ Irgendwie war es ihm unangenehm weiter nachzufragen. „Okay... dann... bis später, ja?“ Jiro nickte nur, schob sich die letzten Bissen des Bentos in den Mund, nahm seine Sachen und eilte vom Dach. Es war ihm peinlich, was Sora kein bisschen verstand. Warum schämte er sich? Dafür gab es doch keinen Grund...
 

Mit einigen Büchern in seiner Tasche fand sich Jiro wenig später auf dem Sportplatz ein. Er hatte schließlich Training. Ob Sora kommen würde? Er hatte ja nur so wenig mit ihm gesprochen... Leise seufzte er, bemühte sich jedoch beim Spielen. Tatsächlich traf auch Sora nach einiger Zeit ein, trat mit aufgeklapptem Schirm an den Sportplatz und beobachtete Jiro von seinem Platz hinter dem Zaun. Er mochte es, ihm zuzusehen. Als Jiro ihn bemerkte, lächelte er ihm zu und kam nach einiger Zeit zu ihm an den Zaun, atmete schwer. „Du siehst aus wie'n Mädchen, wenn du hier so mit dem Schirm stehst“, meinte er grinsend, was Sora rot anlaufen ließ. „Du hast ihn mir geschenkt... ich kann auch... unter dem Baum warten“, erwiderte er schüchtern, doch der Ältere schüttelte den Kopf. „Ich mag's.“, gab er zurück, „Ich... werd' duschen geh'n. Dann bring ich dich...“ Kurz zögerte er, ehe er weitersprach. „Ich begleit' dich nach Gion. Ich will mich da ein bisschen... umschauen.“ Mehr würde er lieber nicht sagen. „Nach Gion? Oh, ja...“ Sora schluckte leicht. Würde Jiro weiter gehen, als nur bis zum Tor, könnte das gefährlich werden. Hoffentlich würde er ihn nicht nach Hause bringen wollen...
 

Als sie an der Bushaltestelle standen, lehnte sich Jiro gegen einen der Pfosten der Überdachung, blickte Richtung Schultor. Der Chauffeur stand dort mit finsterem Blick neben der Limousine, stieg dann aber ein und fuhr davon. Leise seufzte Jiro, wandte sich Sora zu. „Nervt, dass es immer so lang is' von Gion nach Hause... aber ich nehm's in Kauf. Gion is' echt schön“ Sora nickte etwas, stieg wenig später mit Jiro in den Bus und setzte sich. Er freute sich, dass er noch etwas mehr Zeit mit dem Älteren verbringen konnte, der allerdings nicht ganz so begeistert aussah. Er wusste immerhin, was ihm blühte, wenn er nach Hause kam. Dafür, dass er sich mal wieder irgendwo herumtrieb und nicht direkt nach der Schule nach Hause fuhr. Dennoch zwang er sich ein Lächeln auf die Lippen. „Soll ich dich nach Hause bringen? Oder... is' vielleicht besser, wenn deine Ma mich nich' sieht. Sonst gibt’s noch Ärger. Seh' nich' aus wie guter Umgang“. Sora griff seine Hand, hielt sie fest. „Bitte... Sag das nicht immer. Du bist ein guter Umgang... aber... es... es wäre vielleicht trotzdem besser, wenn ich vorgehe...“ Jiro seufzte leise, sah ihn sanft an und strich über seinen Handrücken. Sora war so lieb...
 

Als sie ausgestiegen waren, brachte Jiro ihn noch bis zum Tor des Geisha-Viertels. „Dann sehen wir uns morgen... vermutlich nicht. Mal schauen“, sagte Jiro leise, wandte sich ab. Am liebsten hätte Sora ihn nochmal berührt. Auch seine Worte beunruhigten ihn, doch er ging die Straße runter, verschwand irgendwann in einer Gasse. Jiro sah ihm nach, trieb sich noch ein wenig in Kawaramachi herum, ehe er gegen Abend zurück ging, die Okiya aufsuchte. In der Nähe wartete er, zog ein Buch aus seiner Tasche und begann zu lesen. Er wollte mehr über diese Welt lernen. Je länger er dort stand, desto aufgeregter wurde er, fühlte sich jedoch gleichzeitig wirklich schlecht. Er mochte doch Sora...
 

Nach den Hausaufgaben bereitete sich Sora auf den Abend vor. Er setzte sich die Perücke auf, schminkte sich und wurde angezogen. Mittlerweile war es schon ziemlich warm und stickig. In dem schweren Kimono herumzulaufen war ziemlich anstrengend bei diesen Temperaturen, doch er musste sich daran gewöhnen. Wenig später verließ er die Okiya. Als sich die Tür öffnete, sah Jiro sofort auf und packte sein Buch weg, beobachtete die Maiko. Er musste unbedingt herausfinden, wie sie hieß. Langsam ging er ihr nach, zog sein Handy und machte ein Foto von ihrem Nacken, erschauderte dabei etwas. Unsicher ging er ihr hinterher. Zuerst achtete Sora nicht wirklich darauf. Er hörte das Klicken, als Fotos von ihm gemacht wurden. Als er mehr durch die kleineren Gassen ging, wurde er jedoch aufmerksam. Da folgte ihm doch jemand...

Sora drehte sich um und erstarrte. Das war Jiro. Was, wenn er ihn erkannte? Er senkte kurz den Blick. Sein Herz fing an zu klopfen und er zitterte etwas, ehe er sich leicht verbeugte. „Wenn Sie ein Foto wünschen, dann fragen Sie mich bitte. Ich mag es nicht so sehr verfolgt zu werden“. Jiro zuckte leicht zusammen, als er der Maiko gegenüberstand. Sie war so hübsch. Schnell verbeugte er sich ebenfalls. „T-Tut mir leid... ich...“ Er wusste gar nicht, was er sagen sollte. Nicht, weil sie ihn auf 'frischer Tat ertappt' hatte, sondern weil er einfach so fasziniert von ihr war. Doch er überwand die Unsicherheit. „Wusst' nich' wie ich dich ansprech'n sollt'. Wollt' dich nich' belästigen oder so“, antwortete er mit seinem üblichen Dialekt. Das erleichterte Sora ziemlich. Er hatte ihn nicht erkannt. Erneut verbeugte er sich. „Sie haben mich nicht belästigt. Ich will es Sie nur wissen lassen... und Sie können mich so ansprechen, wie Sie es bei jedem anderen Menschen machen“, sagte sie lächelnd. Jiro war so aufmerksam und höflich, wenn er sich ein wenig bemühte... Offen lächelte dieser zurück. „Ich werd's mir für's nächste Mal merken, wenn mir nich' wieder die Stimme wegbleibt, weil so 'ne Schönheit vor mir steht“, erwiderte er schon fast flirtend. „Hab' noch 'nen schönen Abend“ Es folgte eine weitere Verbeugung und Jiro wandte sich ab, machte sich auf den Heimweg. Kopfschüttelnd sah Sora ihm nach, ehe er ebenfalls weiterging. Deshalb wollte er also so viel wissen. Er hatte angefangen sich für Maikos zu interessieren, nachdem er öfters hier gewesen war.
 

Ein wenig überrascht war Sora jedoch schon, als Jiro am nächsten Tag nicht in der Schule war, am Abend aber wieder vor der Okiya stand. Er blickte ihn kurz an, wandte sich aber gleich wieder ab und lief die Straße runter. Eine Maiko war nicht diejenige, die das Wort ergriff und daran hielt er sich auch. Doch er hörte die Schritte, die ihm folgten, ehe er Jiro neben sich erblickte. „Guten Abend, Schönheit“, sagte dieser höflich. „Wie lang biste schon Maiko?“ Leicht verbeugte sich Sora. „Etwa zwei Wochen“, antwortete er und lächelte etwas. Er bemerkte die Touristen um sie herum, hörte wieder das Klicken der Kameras. Ein wenig störte ihn das doch... „So kurz erst... Wirste morgen auch unterwegs sein?“, fragte Jiro weiter nach. „Ja, das werde ich“, gab Sora zurück. Er war noch immer etwas unsicher darüber, ob der Ältere ihn nicht doch erkannte. „Dann werd' ich morgen wieder herkommen“, meinte er nachdenklich, zog dann sein Handy. „Darf ich?“, fragte er, doch er wartete nicht mal ab, sondern machte einfach ein Foto von der Maiko neben ihm. Sora überraschte das schon. Er würde morgen wieder zu ihm kommen...? Er hörte das Klicken des Handys, verbeugte sich, als sich Jiro verabschiedete und blickte ihm nach.

"Sag nicht immer solche Dinge!"

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

"Sag nicht immer solche Dinge!" (Zensierte Version)

Die nächsten zwei Tage kam Jiro in die Schule, doch statt beim Unterricht aufzupassen, las er die ganze Zeit weiter in einem Buch herum. Den gestrigen Tag hatte er sich nicht einmal auf dem Dach blicken lassen, da er die ganze Zeit in der Bibliothek verbracht hatte, was Sora jedoch eher amüsiert hatte, als wirklich gestört. Als der Ältere heute aber zu ihm kam und sich mit schuldbewusstem Blick neben ihn setzte, lächelte er nur. „Tut mir leid, dass ich gestern nich' da war... Ich...“ Jiro fragte sich, warum er sich nun rechtfertigte. Das hatte er doch auch sonst nie getan. Aber irgendwie fühlte er sich Sora gegenüber schuldig. „Mir is' was dazwischengekommen“ „Ist schon in Ordnung...“, erwiderte Sora und reichte ihm sein Bento. Es war das erste Mal, dass er Jiro derart vertieft in etwas sah. Sonst wirkte er bei allem immer recht gleichgültig, wenn nicht sogar gelangweilt. Überrascht sah er auf, als er Jiros Hand auf seiner Wange spürte, wurde beim darauf folgenden Kuss etwas rot. „Ich werd' dich heut' wieder nach Gion begleiten. Muss noch was... besorgen. Vielleicht kannste mir helfen? Ich such' 'nen Schmuckladen... oder sowas. Wo's traditionelle Sachen gibt. Was Ordentliches. Nich' so'n Touristenscheiß“, begann Jiro langsam. „Aus... echtem Gold oder Silber. Halt was Anständiges“ Leicht runzelte Sora die Stirn, nickte dann aber. „Oh... ja... ich denke, ich kann dir da helfen“ Warum wollte Jiro dahin? Das war komisch... aber das Interesse, das er nun an der Geiko-Gesellschaft zeigte, hielt ihn zumindest davon ab, irgendwelche dummen Sachen zu tun. Ihm war sehr wohl aufgefallen, dass er wohl seitdem nicht mehr trinken gewesen war und das erleichterte ihn.
 

Nachdenklich stocherte Jiro in seinem Essen herum, schob sich immer wieder ein paar Bissen in den Mund. „Ich würd' gern mehr Zeit mit dir verbringen... Kannste nich' mal wieder am Wochenende?“, fragte er vorsichtig nach. Er wusste, Soras Mutter schien noch immer schlecht auf ihn zu sprechen. Sora ging kurz in Gedanken seinen Terminplan durch, sah Jiro dann lächelnd an. „Ja, ich habe mittags Zeit, wenn das in Ordnung ist“ „Ja... ja, natürlich. Das is' voll okay!“, erwiderte der Größere sofort, aß sein Bento leer und packte die Box zusammen. Sonst war er immer gleich nach dem Essen aufgestanden, doch heute blieb er zum ersten Mal länger bei Sora. Vorsichtig zog er ihn an sich, legte von hinten seine Arme um ihn und stützte seinen Kopf auf seiner Schulter ab. Eigentlich hatte Sora die Bentoboxen einpacken wollen, doch schon fand er sich in Jiros Armen wieder. Er fühlte seine Lippen an seinem Ohr, seinen warmen Atem daran. „Es is' schön mir dir...“, raunte ihm Jiro zu. Ein Schaudern ging durch Soras Körper und er presste sich leicht an den Älteren, sagte jedoch nichts. Plötzlich fühlte er Finger, die sein Hemd aus seiner Hose wühlten, ehe sie darunter glitten. Er bekam eine Gänsehaut, entspannte sich jedoch und schloss die Augen etwas. Jiros Berührungen waren immer so vorsichtig...
 

Zärtlich glitten Jiros Lippen über Soras Nacken. Er küsste die weiche Haut entlang, knabberte vorsichtig daran, worauf Sora seinen Kopf etwas nach vorne neigte, um ihm mehr Platz zu lassen. Kurz glitt der Blick des Älteren zur Tür. Hier war noch nie jemand hoch gekommen, seit sie hier jeden Tag gemeinsam verbrachten... Ob Sora es überhaupt zulassen würde? Doch er wollte es ausprobieren. Seine Finger auf seinem Bauch wanderten höher, strichen über seine Brustwarzen, kniffen leicht hinein. „Ich kann das Wochenende kaum erwarten...“, wisperte er ihm ins Ohr. Leicht zuckte Sora zusammen, griff nach Jiros Händen, als ihm klar wurde, was er vorhatte. „N-nicht... wenn jemand kommt...“, wehrte er ihn ein wenig kläglich ab, sah mit roten Wangen zu ihm auf. „Hier is' nie jemand außer uns hochgekommen...“, erwiderte Jiro sofort, löste seine Hände von Soras und berührte ihn weiter. „Vertrau mir... Ich würd's nich' zulassen, dass dich jemand so sieht...“ Langsam nickte Sora, zog krallte sich etwas in Jiros Ärmel, als er abermals seine Finger an seinem Bauch spürte, die leicht darüberkratzten. Immer tiefer wanderten seine Hände, öffneten die Hose des Jüngeren.
 

Etwas aufgeregt war Sora schon, aber Jiros Finger zu spüren, fühlte sich immer so gut an. „Mir... ist warm...“, wisperte er, was Jiro schmunzeln ließ. Er zog seine Hand zurück, zog ihm die Jacke aus, die er trug und knöpfte sein Hemd auf. „Besser?“, fragte er leise, ehe er wieder in seine Hose glitt. Sora runzelte die Stirn, nickte jedoch leicht. Doch dieser löste sich abermals von ihm, zog seine eigene Jacke aus und legte sie hinter Sora auf den Boden, drückte den Jüngeren dann vorsichtig darauf. Dass die Jacke nun schmutzig werden würde, störte ihn nicht. Hauptsache Sora musste nicht selbst auf dem schmutzigen Boden liegen. Leicht setzte sich Sora auf, wollte widersprechen, doch Jiro schüttelte den Kopf, drückte ihn zurück. „Entspann dich, Kumochan...“, raunte er ihm zu und kniete sich zwischen seine Beine.
 

Ein kühler Wind strich über Soras nackten Oberkörper, als der letzte Knopf seines Hemdes geöffnet wurde und seine Brust und seinen Bauch freigab. Er blickte mit glasigen Augen zu Jiro auf, atmete schwerer und keuchte leise. Alles war so heiß... diese Hitze breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Dieser Blick, den Jiro ihm schenkte, machte das alles nicht besser. Er schämte sich, so entblößt vor ihm zu liegen, doch gleichzeitig fühlte es sich so gut an...
 

Soras Finger krallten sich tief in Jiros Rücken, ehe er in sich zusammensank. „Siehste? Niemand is' gekommen... außer dir natürlich“, meinte Jiro schmunzelnd, knöpfte Sora das Hemd zu. „Kscht“, machte der Jüngere, gab ihm einem Klaps. „Sag so etwas nicht“, murrte er, ließ sich aber brav anziehen. „Warum nich'? Ich mag's wie du stöhnst... wie du zuckst, wenn du kommst... Ich kann mir kaum vorstellen, wie sich's anfühlt, wenn ich...“ Jiro beugte sich zu Soras Ohr, knabberte daran, „mit dir schlafe... du bist sicher so heiß und eng, dass es sich anfühlt, als würd's in dir brennen...“ Grinsend wuschelte er Sora durchs Haar, nahm seine Sachen und tat so als wäre nichts gewesen. „Ich geh dann mal“, sagte er und zog dem noch immer etwas perplexen Sora an der Wange. Doch in diesem Moment reagierte er wider, schlug nach Jiro und zog ihm am Ärmel. Was er sich immer herausnahm! „Sag nicht immer solche Dinge! Das ist peinlich!“, wehrte er sich und spürte Hitze in seinem Gesicht. Jiro jedoch lachte nur, wandte sich ab und ging vom Dach, ließ Sora zurück, der ebenfalls schnell seine Sachen nahm und dabei versuchte seinen Puls wieder herunterzufahren. Danach machte er sich auf den Weg zum Tee-Club, kam dort nur mit Mühe auf andere Gedanken.
 

Indessen ging Jiro aufs Feld. Doch seine Verfassung war nicht gut. Er bekam kaum den Ball, traf nicht einmal das Tor. Als er Sora gegen Ende am Zaun sah, versuchte er sich etwas mehr zu bemühen, doch es wurde nichts, was den Jüngeren ein wenig besorgte. Doch er sagte nichts, blickte nur unter dem Schirm hervor zu ihm. Als das Spiel zu Ende war, trank der Ältere ein paar Schluck, strich sich über den Oberkörper. Er krallte seine Finger etwas in seine Brust, atmete tief durch, doch fiel es ihm schwer. Besorgt beobachtete Sora das und blickte ihm nach, als er zu den Duschen ging. Was hatte er...? Vorhin schien doch noch alles okay... Oder hatte er ihm da nur wieder etwas vorgespielt? Leicht biss er sich auf die Lippen.

Als Jiro endlich wiederkam, musterte dieser den Jüngeren, sah ihn stirnrunzelnd an. „Was is' los?“, fragte er nach. Immerhin schien der andere fast weggetreten. Vorsichtig legte er eine Hand auf seine Schulter. „Is' was passiert?“ „Es... war wegen mir, oder?“, fragte Sora nun leise nach und deutete auf seine Brust. „Ich will doch nicht, dass dir irgendwas passiert...“ Jiro winkte ab, nahm ihn an der Hand und ging mit Sora zur Bushaltestelle. „Denk nich' drüber nach. Ich hab' mir nur was gezerrt“, log er. „Ich hoff' es is' nich' schlimm, wenn du mit mir gesehen wirst... Ich mein' wegen deinen Eltern...“ Jiros Antwort verärgerte ihn. Er log ihn an, das wusste er. „Meine Mutter Arbeitet jetzt. Und der Laden ist nicht in Gion, sondern in einem anderen Viertel. Von daher ist das in Ordnung.“ Sora hatte bewusst einen anderen Laden gewählt. Natürlich waren die Sachen in Gion ebenso wunderschön, doch kannte man ihn dort. Deshalb wäre Miyagawacho* die bessere Wahl. Leicht presste Jiro die Lippen zusammen. Er war sauer auf ihn, das merkte er. Als sie im Bus saßen, griff er vorsichtig seine Hand, drückte sie etwas. „Ich will nich'... dass du bei dir die Schuld suchst. Es is' meine Entscheidung. Du hast damit nichts zu tun, Kumochan...“, sagte er sanft. „Ich will nich', dass du dir deshalb Sorgen machst. Ich bin selbst für verantwortlich“ Leise seufzte der Jüngere, schüttelte den Kopf. „Ich... ich bin der Grund dafür, dass so etwas passiert. Glaubst du das weiß ich nicht? Ich will das nicht... ich...“ Hilflos sah er zu ihm auf. Er wollte nur, dass Jiro keine Probleme hatte. „Is' schon vorher passiert. Auch an der anderen Schule. Weil ich keine Lust hatte mit... wenn... ich...“ Er brach ab. Wie sollte Jiro das formulieren, ohne genau zu sagen, woher die Wunden jedes Mal stammten? „Wenn ich... mich herumgetrieben habe. Da... passiert sowas halt“, versuchte er es. „Das hat nix mit dir zu tun. Ich würd's auch abbekommen, wenn du nich' wärst. Immerhin würd' ich mich trotzdem rumtreiben und Unsinn machen“ Unsicher sah Sora ihn an. Er bemerkte sehr wohl, dass Jiro mal wieder herumredete, doch er sagte nichts. Er hatte noch am wenigsten das Recht dazu. Immerhin verschwieg er ihm auch eine große Sache. Er nickte nur leicht und drückte seine Hand etwas, ehe er mit ihm ausstieg.
 

„Gibt's denn in Gion nichts? Ich mein' da sind doch viel mehr Okiyas, oder?“, fragte Jiro nach, während sie in das Viertel liefen. „Hier ist es für uns sicherer... Wenn... Okaasan uns sehen würde... Wäre sie nicht begeistert“, redete er sich raus. Jiro nickte nur. Sora hatte Recht. So war es besser. Sie liefen durch ein paar Gassen, bis sie vor einem Laden standen und diesen betraten. Noch nie hatte sich der Ältere so fehl am Platz gefühlt wie jetzt. Nicht nur, dass hier wohl eher selten Männer hinkamen, man konnte ihm nur zu gut ansehen, was er so in seiner Freizeit trieb. Seine Jacke war schmutzig, ebenso sein Hemd und ordentlich geknöpft waren die Sachen auch nicht. Eine junges Mädchen, das offensichtlich Shikomi** war, tuschelte mit einer älteren Frau im Kimono und die Verkäuferin hinter der Kasse verzog das Gesicht etwas. Sie musterte die beiden abschätzend. Was sollten sie schon kaufen? Pikiert wandte sie sich erst ab, ging dann aber doch auf die beiden zu und lächelte aufgesetzt. „Herzlich Willkommen. Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie nach. „Ich such' 'ne Haarspange... oder sowas“, antwortete Jiro, der keine Ahnung hatte, wie man das nannte, was er eigentlich wollte. „Irgendwas Hübsches für'n Sommer. Mit viel Klimperzeug und Blumen dran“ Er versuchte erst gar nicht höflicher zu sprechen oder sich irgendwie Mühe zu geben. Immerhin war die Frau auch nicht gerade nett. Sie nickte, führte ihn zu ein paar Spangen aus Kunststoff. „Ich will was Anständiges.“, schnaubte Jiro sofort. „Aus Seide und Silber oder Gold. Extravagant soll's sein. Drehnse mir nich' so 'nen Scheiß an...!“ Er sah die Frau mit funkelnden Augen an. Sie zeigte ihm noch ein paar Stücke, von denen Jiro jedoch auch weiterhin nicht begeistert war. Nicht, dass sie nicht gut aussahen, aber sie waren einfach nicht das, was er sich vorgestellt hatte. „Wir machen auch Aufträge nach Wunsch...“, begann die Frau, als sie bemerkte, dass Jiro auch jetzt nichts fand. „Klingt besser“, erwiderte Jiro, folgte der Frau zur Theke und bekam einen Katalog, blätterte ihn durch, bis er etwas ausgesucht hatte. Sofort notierte die Frau seine Wünsche. Sora war merklich überrascht, was Jiro für einen guten Geschmack hatte. Er verfolgte alles mit, lächelte ihm leicht zu. Jiro erwiderte das Lächeln, musterte dann wieder die Frau. „Es wird ein paar Tage dauern...“, meinte sie nach einem kurzen Blick auf ihre Notizen. „Is' zu langsam. Ich will's heut' noch.“, entgegnete Jiro. „Das wird einen Aufpreis geben...“ „Stört nich'. Wann kann ich's abholen?“ „In zwei bis drei Stunden“ „Zwei wären mir lieber“ Die Frau notierte die zusätzlichen Kosten. „Auf welchen Namen geht die Bestellung?“, fragte sie nach, blickte ihn an. „Minamoto“, erwiderte Jiro. „Ja... ja, natürlich!“ Tief verbeugte sich die Verkäuferin. „Ich werde es sofort in Auftrag geben!“ Sie rannte in die Hinterräume und ihre schallende Stimme, die die Angestellten anwies sich zu beeilen, war noch bis in den Verkaufsraum zu hören. Als sie zurückkam, verbeugte sie sich erneut. „Wünschen Sie hier zu warten? Wir haben einen sehr schönen Teeraum...“, sagte sie freundlich, doch Jiro lachte nur. „Ne, ich verbring' hier sicher nich' noch 'ne Minute länger“, erwiderte er, zahlte die erste Hälfte der Kosten und ging folgend mit Sora aus dem Gebäude. Kopfschüttelnd sah er zu Sora, der nur aufmunternd lächelte. „Sie war wirklich unfreundlich... Aber... sie kennt deinen Namen und sie weiß, dass sie sich bemühen muss“, meinte er. „Ich hoff' es sieht auch gut aus, was ich da zusammengesucht hab'...“, erwiderte Jiro nachdenklich. Es wunderte ihn ein wenig, dass Sora bis jetzt noch nicht nachgefragt hatte, für was er den Schmuck eigentlich kaufte, doch er nahm es einfach mal als Diskretion des Jüngeren hin. Wie hätte er es auch erklären sollen? Er seufzte etwas. „Und was mach' ich jetzt noch die ganze Zeit?“ „Keine Sorge. Ich fand es sehr schön. Alles passt gut zusammen, denke ich... Wir könnten noch in ein Café gehen, wenn du möchtest.“, schlug Sora vor und Jiro nickte.
 

Einige Zeit später saßen sie gemeinsam in einem Café zusammen, aßen von ihrem Kuchen. „Ich hass' es, nur dann anerkannt zu werden, wenn die Leute meinen Namen kennen“, murmelte er etwas enttäuscht zwischen zwei Happen. Sora war der einzige in ihrer Klasse, der sich normal benahm und sich von Anfang an nicht aus seinem Namen gemacht hatte. Das schätzte er. „In solchen Läden funktioniert es wohl meistens nur so...“, erwiderte Sora. Bei ihm war es nicht anders gewesen, als er als Shikomi einkaufen gehen musste. Er wurde ebenso behandelt, bis er klar gemacht hatte, zu welcher Okiya er gehörte. Vorsichtig griff er Jiros Hand, strich über seinen Handrücken. „Das nächste Mal sag' ich's gleich... dann behandelt man mich nich', als wär' ich beschränkt...“, nuschelte Jiro und seufzte leise. „In diese Läden kommen oft Touristen. Denen ist es wohl egal, ob es gut gemacht ist. Hauptsache sie haben etwas...“, entgegnete Sora. Er konnte sich schon irgendwie denken, dass es für ihn sein würde. Was sollte Jiro auch sonst damit. Gut, er hatte Geschwister, aber der Haarschmuck war doch etwas zu auffällig. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er gab sich solche Mühe... doch irgendwie hoffte er, dass er ihm selbst, nicht als Maiko, auch mal etwas Schönes schenken würde. Vielleicht zu seinem Geburtstag? Doch bis dahin war es noch einige Zeit.

„Warst du schon öfters hier? Schmeckt sehr gut“, meinte Jiro und blickte zu ihm. Sora nickte und lächelte. „Ja, ich komme sehr gerne hier her. Die Leute sind auch nett. Ich mag es hier“, antwortete er und hielt seine Hand fest. Aber die Uhr behielt er dennoch im Blick. Er musste aufpassen wegen der Zeit... immerhin musste er rechtzeitig zu Hause sein, um noch Hausaufgaben zu machen und sich für den Abend herzurichten.
 

Als sie später gingen, zahlte Jiro, verabschiedete sich von Sora und machte sich auf den Weg zurück nach Miyagawacho. Es war schon dunkel, als er in Gion angehetzt kam. Hoffentlich war sie noch nicht weg. Er sah auf die Uhr, seufzte leise. Dabei hatte er doch versprochen, ihr heute etwas zu bringen. Als auch nach einer Stunde niemand herauskam, ließ er sich bei einer Laterne zu Boden sinken, holte ein Buch heraus und begann zu lesen. Irgendwann würde sie ja zurückkommen. Dabei bemerkte er gar nicht, wie sich die Tür öffnete und Haruko herauskam. Sie runzelte die Stirn, als sie den jungen Mann am Boden saß. Das war doch... „Was machen Sie hier?“, fragte sie nach und Jiro fuhr zusammen, steckte schnell das Buch weg. Höflich verbeugte er sich, erhob sich dann. „Ich... ich wollte... für... 'ne Maiko... etwas abgeben. Ich hatt's ihr persönlich geben wollen, aber sie war wohl schon weg...“ Schnell zog er das Täschchen aus Papier aus seiner Tasche, das nun ziemlich zerknickt war. Er hatte es nicht so mit der Ordentlichkeit. Deshalb nahm er die Schatulle aus der Tasche, steckte das Papier zurück und öffnete sie, hielt sie Haruko hin. „Können Sie mir sagen... wann sie zurückkommt?“, fragte er nach und klappte die Schatulle wieder zu. Überrascht warf die Frau einen Blick auf den Haarschmuck. Das musste ein Vermögen gekostet haben... Wer war dieser Junge nur, den sie doch eher unter schlechten Umständen hatte kennengelernt? Wie konnte er sich mit diesem Aussehen so etwas leisten? Doch sie wollte keine Vorurteile haben. „Nun, es kommt darauf an, welche Maiko du meinst. Wir haben zur Zeit mehrere“, meinte sie lächelnd. Jiro senkte den Blick. „Oh... ja... Natürlich... ich... ich weiß nich' wie sie heißt“, sagte er unsicher, zog dann aber sein Handy raus und zeigte der Frau ein Bild. „Das is' sie. Sie's 'ne Neue. Sie meinte sie hätt' erst vor kurzem die Prüfung gemacht und... das wollt' ich ihr dafür schenken“ Haruko sah auf das Foto, schmunzelte. „Ah, du meinst also Mametsuki? Ja, sie ist noch nicht lange Maiko“, sagte sie schließlich. „Keine Sorge, Mametsuki ist noch nicht weg. Es dauert nicht mehr lange. Um neun Uhr muss sie bei einem Kunden sein“ //Mametsuki also...//, dachte Jiro bei sich. „Okay... vielen Dank. Dann werd' ich hier weiter warten... oder... soll ich gehen?“, fragte er unsicher nach. Vielleicht empfand die Frau es auch als störend, wenn er hier herumlungerte. „Ich... will ihr auch nur das geben und dann werd' ich gehen. Ich will sie nich' belästigen oder so“ Die Frau musste sicher sonst was denken. Erst pöbelte er hier mit seinen Freunden und nun kam er mit diesem Haarschmuck an. Abschätzend betrachtete Haruko den Jungen. Wenn sie ihn hier stehen lassen würde, konnte das natürlich für andere störend sein... allerdings würde sie ihn auch in Verlegenheit bringen, wenn sie ihn wegschickte. Immerhin schenkte man einer Maiko nicht eben mal 'einfach so' ein so wertvolles Stück. „Du kannst bleiben“, beschloss sie schließlich.

„Vielen Dank! Vielen vielen Dank!“, erwiderte Jiro sofort. Er war so schrecklich nervös. Was, wenn ihr der Haarschmuck nicht gefiel? Haruko verbeugte sich leicht, sah zu der Schatulle, die der junge Mann so umklammert hielt. „Ich bin mir sicher, sie wird sich sehr darüber freuen“, sagte sie leise, ehe sie die Okiya wieder betrat und die Tür hinter sich zuschob.
 

Es dauerte einige Zeit, bis ein Taxi vorfuhr und sich damit auch einige Leute versammelten. Anschließend öffnete sich die Tür abermals und die Maiko, auf die Jiro die ganze Zeit gewartet hatte, trat heraus. Ein paar Leute machten Fotos und es kostete Jiro etwas Mühe und Überwindung, sich zwischen den Menschen hindurchzuschlängeln. Mit zitternden Händen trat er vor die Maiko, gerade, als sie in das Taxi streigen wollte. „Hier, bitteschön“, sagte er sanft. Sie sah wieder so schrecklich hübsch aus. „Das is' als Geschenk für dein Debüt. Is'n bisschen spät, aber...“ Er zuckte mit den Schultern, senkte den Blick. Sora nahm die Schatulle entgegen und sein Herz begann höher zu schlagen. „Ich... danke Ihnen. Das ist so großzügig...“, sagte er höflich, verbeugte sich tief, lächelte dann. „Ich hoff' ich kann dich mal damit sehen“, fügte Jiro schüchtern hinzu, wandte sich ab und verschwand zwischen den Leuten. Er wollte Mametsuki nicht noch länger aufhalten.
 

Erst im Taxi öffnete Sora die Schatulle und sah sich den Haarschmuck an. Er war perfekt für den Sommer. Einige kleine Fächer waren daran, auf denen violette Motive aufgestickt und aufgenäht waren. Ein paar Silberornamente hingen außerdem daran. Ein kleiner Schmetterling war auch zu sehen. Fasziniert strich er darüber. Ab morgen würde er ohnehin Kanzashi*** mit sommerlichem Motiv tragen und das hier war perfekt. Vielleicht würde es Haruko ja erlauben.


Nachwort zu diesem Kapitel:
*In Japan werden an vielen Schulen die Tore geschlossen, sobald der Unterricht beginnt. Wer also zu spät kommt, kann nicht mehr rein.
**An japanischen Schulen zieht man die Schuhe aus, stellt sie in ein dafür vorgesehenes Fach und läuft dann mit Pantoffeln durch das Gebäude.
***Der Name Jiro lässt sich mit den Schriftzeichen 治und 郎 schreiben, was „regierender Sohn“ bedeutet.
****Hanami-dori ist die wohl berühmteste „Geisha-Straße“ Japans. Dort gibt es etliche Okiyas (Geisha-Häuser)
*****Tadaima = „Ich bin wieder zu Hause“, Okaerinasaimase = höflichste Form für „Willkommen zurück“
******Die Besitzerin einer Okiya (Geisha-Haus) wird Okaasan, also Mutter, genannt. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*-san ist ein höfliches Namenssuffix, etwa wie „Herr“ oder „Frau“
**Bento ist eine Vesperbox, die, wenn sie selbst gefüllt ist, meist aus den Resten vom Vortag, wie Reis, Eingelegtem, Fleisch und Gemüse besteht. In Supermärkten kann man diese ebenfalls für Unterwegs kaufen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Kumochan: Wölkchen Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Ojamashimasu = „Entschuldigen sie die Störung“ (wörtl. „Ich werde zur Belästigung“) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Obi = Gürtel, der um die Taille gebunden wird, um den Kimono geschlossen zu halten. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Pricla = Kleine Fotos, die man verzieren kann Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Okobo: Schuhe mit hohem Plateau aus Holz. Im Inneren befinden sich Glöckchen. Sie werden, ähnlich wie Flip-Flops bei uns, von zwei Stoffstreifen zwischen den Zehen gehalten. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Miyagawacho – Eines von vier Geiko-Vierteln in Kyoto: Gion, Miyagawacho, Pontocho und Kamishichiken
**Shikomi – Mädchen, die gerade in Ausbildung zur Maiko sind
***Kanzashi – Haarschmuck, den Maikos und Geikos tragen. Sie sind auf die Jahreszeit abgestimmt. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Morphia
2014-06-14T11:14:51+00:00 14.06.2014 13:14
Ich mag es, dass du dir bei den intimen Situationen mehr zeit lässt alles gefühlvoll zu beschreiben. Ist sehr süß und romantisch. *o*
Von:  Morphia
2014-06-14T11:10:29+00:00 14.06.2014 13:10
Oh Gott, ist das schön geschrieben. *o*
Du hast einen tollen schreibstil. Die Story ist interessant und die Situation schön verzwickt. sehr spannend. ^.^ weiter so!
Von:  tenshi_90
2014-06-13T05:35:14+00:00 13.06.2014 07:35
ich bin mal gespannt, wann jiro herausfindet, dass sora diese wunderschöne Maiko ist :)


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