Nächtliche Blüten von Lianait (16. Türchen 2013) ================================================================================ Nächtliche Blüten ----------------- Ich hasse Rosen. Und das noch nicht einmal so grundlos, wie manche Leute beispielsweise eine Band nicht mochten, weil ein Freund die Band auch nicht mochte, obwohl sie eigentlich Musik spielten, die dem eigenen Geschmack entsprach. Meine Abneigung gegen Rosen hat auch triftigere Gründe, als beispielsweise ihre potenziell schmerzhaften Dornen oder ihr pompöses Äußeres. Mit der Blume verband ich zu unangenehme Erinnerungen, sodass mir schon bei ihrem Geruch leicht flau im Magen wurde und mir bei ihrem Anblick ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief. Doch nun saß ich hier mit meiner Rosenverachtung und bemühte mich darum, keine dieser negativen Emotionen auf meinem Gesicht zu zeigen, als mir Douglas, mein Date, einen Strauß Rosen überreichte. Andere Frauen freuten sich schließlich, wenn ihnen gutaussehende Männer Blumen überreichten, oder? Als ich also mit größtem innerlichen Widerstreben die Rosen annahm und ihr nahezu abstoßend aufdringlicher Geruch in meine Nase drang, zwang ich mich zu einem falschen Lächeln. Dem besten und aufrichtigsten, zu dem ich in der Lage war. Doch scheinbar war es nicht überzeugend genug, denn Douglas‘ vorher so selbstsicheres und strahlendes Lächeln geriet ins Wanken. „Stimmt etwas nicht, Nora?“, fragte er mit einem nahezu besorgten Ausdruck auf dem Gesicht. Ich senkte den Blick, weil ich ihm auf einmal nicht mehr in die Augen sehen konnte. Ein Fehler. Denn jetzt blickte ich auf die grauenvollen Blumen in meinen Händen. Gezwungen schloss ich also einen Moment lang die Augen. Es war ja nicht Douglas‘ Schuld; er wollte mir schließlich nur eine Freude machen. Er hatte ja nicht wissen können, dass Rosen eine negative Bedeutung für mich hatten. „Nora…? …Ja-“ Um ihm nicht noch mehr Sorgen zu bereiten, aber auch um ihn davon abzuhalten, den anderen Namen nicht auch noch zu sagen und somit die Stimmung vollends im Boden versinken zu lassen, öffnete ich rasch wieder die Augen. „Nein, es ist nichts. Nur etwas, an das ich mich erinnert habe. Beinahe wie ein Déjà-vu, nichts weiter.“ Eine Emotion, die ich nicht deuten konnte, glitt über sein Gesicht, doch war im nächsten Augenblick auch schon wieder verschwunden. Ich lächelte erneut und gab mir noch mehr Mühe damit. Um meine Aussage zu bekräftigen, nahm ich eine meiner Hände vom Blumenstrauß und griff nach seiner. Ich verschlang meine Finger mit seinen und drückte seine Hand leicht. Sie fühlte sich trocken und warm an diesem kalten Abend an. „Komm, lass uns gehen.“ Von der festen Absicht getrieben, dieses Date nicht durch dämliche Erinnerungen den Bach heruntergehen zu lassen, zog ich ihn mit mir. Douglas schien zunächst ein wenig verwirrt, doch folgte mir schließlich den Schnee bedeckten Gehweg hinunter. ~ ~ ~ An meinem Schreibtisch sitzend starrte ich auf meinen Bildschirm, ohne wirklich etwas von dem zu sehen, was dort geschrieben stand, während die ganze Redaktion noch in hellem Aufruhr wegen der letzten Polizeipressekonferenz war. Mein Date mit Douglas gestern war doch noch zu retten gewesen. Oder zumindest kein Fiasko gewesen. Auch wenn ich mich um seine Aufmerksamkeit bemüht hatte, mehr als sonst, war ich paradoxer Weise selbst nicht ganz bei der Sache gewesen. Im Nachhinein glaube ich, dass auch er nicht vollständig geistig anwesend gewesen war. Aber vielleicht hatte ich mir das auch nur eingebildet? Ich rieb mir mit Zeigefinger und Daumen die Augen und konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Es war alles die Schuld der Rosen! Wie bereits gesagt hatte meine Abneigung den Blumen gegenüber einen reellen Hintergrund. Heute arbeitete ich als Editorin bei einer Tageszeitung, doch das war nicht der Beruf, auf den ich es eigentlich angelegt hatte. Ursprünglich war ich Reporterin gewesen und hatte selbst Berichte nach bestem Wissen und Gewissen verfasst, nachdem ich fundiert und tiefgreifend an den ungewöhnlichsten Orten recherchiert hatte und nicht nur in verstauben Bibliotheken. Meine Publikationen hatten sich um True Crime-Bereich befunden und ich hatte sogar so etwas wie eine Fangemeinde mit wirklicher Fanpost. Auch heute muss ich noch zugeben, dass ich diese Briefe und E-Mails von vollkommen fremden Menschen, die von meiner Arbeit begeistert waren, als sehr schmeichelhaft empfunden hatte. Mit einem meiner Leser, ‚Dunstan‘, hatte ich sogar sehr häufig Kontakt, einen richtigen Austausch. Über Briefe und E-Mails. Bis… Nun ja. Er hatte jeden meiner Texte gelesen, selbst die ganz frühen, noch so richtig schlechten. Wir hatten uns anfangs lediglich über die von mir behandelten Fälle unterhalten, da er immer wieder fundierte und keineswegs oberflächliche Fragen gestellt hatte – auf eine Gegenfrage hatte er zugeben auch True Crime-Autor werden zu wollen. Doch irgendwann waren unsere Gespräche tiefgehender, privater geworden. Doch es hatte mich keineswegs gestört, einen solchen Kontakt mich jemandem zu haben, dem ich persönlich noch nie begegnet war, denn ich hatte ‚Dunstan‘gemocht. Er mich offenkundig auch. Sehr sogar. In seinen Briefen und E-Mails fanden sich zunehmend neben schönen Worten vermehrt Rosen. In Chats als Smiley, in E-Mails als Bildanhang und in Briefen in Form von Blütenblättern. Immer waren es rote Rosen gewesen. Rote Rosen, die allgemeinhin ‚Liebe‘ symbolisierten. Anfangs war ich dem gar nicht so abgeneigt gewesen, einen Verehrer zu haben. Bis es jedoch langsam aber stetig zu viel wurde. Viel zu viel. Seine E-Mails waren besitzergreifender geworden und hatten bald auch Informationen beinhaltet, die ich ihm gar nicht mitgeteilt hatte und er demnach gar nicht hatte wissen können. Oder sollen. Irgendwann hatte eine rote Rose vor meinem Apartment gelegen. Ohne Nachricht, doch ich hatte gewusst, von wem sie war, denn die E-Mail, die mich beim Einschalten meines Laptops erwartet hatte, war von ‚Dunstan‘ gewesen und hatte lediglich „Gefällt sie dir?“ gelautet. Da hatte ich das Blinken meiner eingeschalteten Webcam bemerkt. Die ich selbst nicht eingeschaltet hatte. „Gefällt dir die Rose, Jane?“, war die Nachricht gewesen, die augenblicklich in einem nicht von mir geöffneten Chatfenster aufgeleuchtet war. Jetzt fühlte ich immer noch den Schauer, der mir bei dieser Erkenntnis über den Rücken lief, dass er mich beobachtete. Ich war ganz und gar nicht mehr geschmeichelt gewesen. Daraufhin hatte ich jedes Mal, wenn ich das Haus verlassen hatte und wieder zurückgekehrt war, Rosenblüten vor meiner Haustür vorgefunden. Rote Rosenblüten. Irgendwann hatte ich seine E-Mails nicht mehr geöffnet, doch seine Briefe hatten immer noch meinen Briefkasten überfüllt. Sie enthielten keine handgeschriebenen Briefe mehr, sondern Fotos. Fotos von mir. Fotos von mir, wann immer ich nicht in meiner Wohnung gewesen war. Und Rosenblüten. Verfluchte, rote Rosenblüten. Der Geruch, nein, Gestank war in meine gesamte Wohnung gesickert. Ich war mehrfach umgezogen, doch nichts hatte geholfen; die Briefe, Rosen und Fotos waren immer wieder aufs Neue eingetroffen. ‚Dunstan‘ war mein Stalker geworden. Oder schon immer gewesen. Als einer der Briefe schließlich eine blonde Locke enthalten und ich eine kahle Stelle in meinem Nacken und ungewöhnliche Kratzer an meiner Haustür vorgefunden hatte, war die Polizei schließlich aktiver geworden. Wie sich schließlich herausgestellt hatte, hatte es nie einen ‚Dunstan‘ gegeben und seine Adresse war keine Wohnung, sondern eine Postabholstation gewesen. E-Mail-Accounts waren nicht mehr aktuell und die IP-Adresse nicht zurückverfolgbar. Seine gesamte Identität war gefälscht gewesen. Und ‚Dunstan‘ war unauffindbar geworden, da wir nie persönlichen Kontakt wie ein Telefonat gehabt hatten, obwohl er mir nach wie vor immer noch Rosen schickte. Deswegen hasse ich Rosen. Nein. ‚Hassen‘ ist vielleicht das falsche Wort. Vielmehr habe ich Angst bei ihrem Anblick. Angst vor dem, was ich mit ihnen verbinde. Verfolgung. Unwohlsein an eigentlich sicheren Orten. Ständige Beobachtung. Schlichtweg Angst. Mit der Hilfe der Polizei und der Bestärkung meiner Eltern hatte ich schließlich Boston verlassen und war nach Chicago gezogen. Gerade als eine Mordserie an blonden Frauen Boston erschütterte. Um sicher zu gehen hatte ich mir noch die Haare braun gefärbt, den Mädchennamen meiner Großmutter angenommen und verwendete nur noch den alternativen Vornamen, den meine Eltern mir bei meiner Geburt zuerst hatten geben wollen, ‚Nora‘. Ich arbeitete nicht mehr als True Crime-Autorin, obwohl es einst meine Passion gewesen war, sondern als Editorin bei einer Tageszeitung. Mein Laptop hatte keine funktionierende Webcam, die noch dazu abgeklebt war, nur meine Mutter kannte meine Telefonnummern und E-Mail-Adresse und über sie hatte ich Kontakt zu meinem Vater. Nie nahm ich jemanden zu mir mit nach Hause. Was jedoch nie ein zu großes Problem gewesen war, denn bis Douglas war ich seit dem Umzug vor zwei Jahren mit keinem Mann mehr ausgegangen und hielt Kollegen und neue ‚Freunde‘ immer noch auf Abstand. Douglas war auch nur eine Ausnahme, weil wir uns bereits aus der High School kannten und wir uns zufällig hier in Chicago in einem Starbucks über den Weg gelaufen waren. Doch er hatte mich auch nach fünf Jahren seit dem letzten Klassentreffen mit dunkel gefärbten Haaren wieder erkannt. Er hatte zugegeben, dass er mich in der High School bereits gemocht, aber nie den Mut gehabt hatte, mich anzusprechen. Die Welt war furchterregend klein, wie mir bewusst geworden war, und eigentlich hatte ich auch ihn abwimmeln wollen, doch er war hartnäckig geblieben. Auf Entzug von menschlichem Kontakt hatte ich schließlich nachgegeben, aber auch nur, weil ich ihn von vorher kannte. Auch nach drei Monaten des Ausgehens kannte er noch immer nicht meine Adresse. Oder Vorgeschichte. Und nannte mich, ohne mir irgendwelche Fragen zu stellen, bei dem anderen Namen, den ich nun verwendete. Als er mir jedoch gestern Abend die Rosen überreichte, während sich in der Redaktion sich gerade alles um diese neue Mordserie drehte und ein Kopf noch nicht abgeschaltet hatte… war alles erneut hochgekommen. Zu viele Erinnerungsanreize auf einmal. Ich rieb mir wieder die Augen bei dem Gedanken daran. Kopfschmerzen wollten sich bereits dahinter ausbreiten. „…ra? Nora?!“ Ein Klopfen ertönte und als ich aufsah und meine Kollegin Beth mit gerunzelter Stirn in der Tür stehen sah, ereilte mich der Verdacht, dass sie mich nicht zum ersten Mal angesprochen hatte. „Entschuldige…“, sagte ich, „ich war… geistig abwesend.“ „Hab ich gemerkt“, entgegnete sie, doch schien nicht wirklich verärgert zu sein. Das war einer der Grunde, weshalb ich sie mochte. „Was haben sie bei der Pressekonferenz gesagt?“ Ich nahm einfach mal an, dass sie deswegen mit mir hatte sprechen wollen. Schließlich war es das Thema in der Redaktion. „Nicht viel. Nur, dass es bereits die vierte Frau ist, die er getötet hat. Alle brünett und alle wurden erstochen. Natürlich ist die öffentlich publizierte Warnung bereits auf allen Kanälen zu sehen“, antwortete sie mir. Mir lief ungewollt ein Schauer über den Rücken und meine Kehle schnürte sich zu. Alles erinnerte mich gerade wieder an Boston, mit dem einzigen Unterschied, dass die Opfer dieses Mal brünett statt blond waren. Ich redete mir ein, dass alles in Ordnung war, da ich ja nicht wirklich brünett, sondern nur gefärbt war. Es funktionierte nicht. „Aber deswegen bin ich gar nicht hier. Sondern wegen etwas wesentlich Erfreulicherem.“ Ein verschwörerisches Grinsen breitete sich auf ihren Zügen aus. Ich runzelte jedoch nur verwundert die Stirn und sie fuhr weiterhin grinsend fort. „Das hier wurde für dich am Empfang abgegeben.“ Zuvor von der Tür verdeckt holte Beth ein Bouquet hervor und reichte es mir. Ein weißes Rosenbouquet. „Du hast einen Ver~ehr~er~!“, sang sie beinahe, als ich nach einem Schlucken die Karte aus den abscheulich riechenden Blumen zog. Wenn es für dich in Ordnung ist, würde ich nun gerne den Teil überspringen, in dem ich dir hinterherjage. - D Verwirrt starrte ich auf die Karte. War Douglas vielleicht doch verärgert wegen meiner Reaktion gestern gewesen? Immerhin stimmte es, dass er mir mehr nachjagte, als ich ihm. So langsam sollte ich vielleicht ein klärendes Gespräch mit ihm haben; schließlich war er in den letzten Monaten nichts anderes als geduldig mit mir und meinem für ihn wahrscheinlich mehr als seltsamen Verhalten gewesen. Und er hatte sogar dazu gelernt und mir weiße, statt roter Rosen geschickt. Diesen Beschluss gefasst, nickte ich. „Und? Wer ist es? Wer ist es?“, wollte Beth neugierig und zugleich freudig aufgeregt wissen. Trotz des verstörenden Geruchs in der Nase, musste ich ihr ein Lächeln schenken. „Ein alter Schulfreund, dem ich vor einiger Zeit wiederbegegnet bin und mit dem ich zur Zeit ausgehe“, erklärte ich ihr und wedelte mit der Karte. „Ich glaube, er ist ein bisschen, naja, nicht direkt sauer auf mich, aber sowas ähnliches und will sich jedoch gleichzeitig auch nicht mit mir streiten. Die Blumen sind so etwas wie eine Entschuldigung dafür. Er ist diese Art von Mensch, die sich für Dinge entschuldigt, für die sie nicht einmal wirklich etwas kann.“ „Oh~ Er klingt nett. Er hat nicht zufällig einen gutaussehenden Bruder, der noch zu haben ist?“ Ich musste laut lachen, aber sie mit der Tatsache enttäuschen, dass Douglas leider ein Einzelkind war. ~ ~ ~ Es war bereits sehr spät, als ich an diesem Abend die Redaktion verließ. Ich war sehr unkonzentriert gewesen und hatte viel zu lange für meine Arbeit gebraucht. Der Rosenduft war natürlich auch nicht hilfreich gewesen. Der Eisschnee knirschte laut unter meinen Stiefeln, als ich von meinem Wagen zu meiner Wohnung ging. Doch ich stockte, als meine Wohnungstür in Sichtweite kam. Irgendetwas lag davor auf der Fußmatte… Als ich es erkannte, was es war, gefror mir das Blut regelrecht in den Adern. Eine weiße Rose. Eine weiße Rose lag vor meiner Haustür. Doch was die aufkommende Panik noch viel schlimmer machte, war nicht das Zuschnüren meiner Kehle oder das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren. Nein, es war die direkt an meinem Ohr ertönende, nur zu bekannte Männerstimme und die gesprochenen Worte, die den fremden Atem auf meiner Haut begleiteten. „Gefällt sie dir?“ Die Stimme, die ich erst gestern zuletzt gehört hatte. „Gefällt dir die Rose, Jane?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)