Das Lied im Automaten von pandine ================================================================================ Kapitel 18: Eine Geschichte --------------------------- Feliff atmete schon seit einigen Metern schwerer. Es war ihm, als würde die Luft sich um ihn immer mehr zusammenziehen und vermengen, doch in seiner Lunge nahm sie wieder ihr normales Volumen an, sie breitete sich dort schlagartig aus. Er wusste, dass dies eine Machtdemonstration ihrerseits war, nichts Anderes. Doch er wurde das Gefühl nicht los, dass sie doch tatsächlich versuchte, ihn umzubringen. Eine lächerliche Vorstellung. Wirklich? Dann bin ich wohl nicht vollends informiert, säuselte eine Stimme hinter ihm. Nein, sie war nicht hinter ihm. Sie war überall, denn nun sah er sie auch. Die Schwärze, die schwärzer als die ihn umgebende Finsternis war. Faure Morin. „Guten Tag.“ Er bemühte sich um einen normalen Tonfall. Nichts sollte auf seine Atemlosigkeit hindeuten, von der sie ganz genau wusste, dass sie existierte. Sie schien ihn kurz zu mustern, eine Frage stand im Raum, doch sie fragte sie nicht. Nacht. Sie zog weiter ihre Kreise, während sie ihn mit einem Lächeln musterte. Ihre Gedanken verriet sie nicht. Und was willst du hier? Immerhin... bist du. Sie beendete ihren Satz, der so unvollkommen klang, nicht. „Ich habe eine Frage“, sagte er einem Impuls folgend. Besser, er brachte es schnell hinter sich, anstatt diplomatisch Zeit zu verschwenden. „Sie kennen Ihre Schwester?“ Ein spöttisches Lachen entfuhr dem Wesen, es hallte von allen Seiten wieder und wieder. Es schallte unheilvoll und demütigend, er sah immer noch nichts weiter als Schwärze, in der dieser Klang sowohl seinen Anfang als auch sein Echo fand. Genauso gut hätte er seine Augen schließen können, mehr hätte er nicht gesehen und hier galt auch nicht unbedingt das, was man sah. Das Nest ist zu groß für zwei, aber ja. „Wissen Sie, was sie vorhat?“ Er zeigte lieber zuerst sein Misstrauen ihrer Schwester gegenüber. „In letzter Zeit verhalten sich viele sehr komisch.“ Von den Elfen? Sie klang desinteressiert. Was interessieren die mich schon. Er spürte das Pulsieren von Dunkelheit um sich herum, als sie sich ein wenig näher an ihn gesellte. Er merkte es auch daran, dass ihre Stimme schmerzlich in seinem Kopf dröhnte. Aber nun zu dir... Was führt dich hierher? Sie machte nun deutlich, dass es ihr Revier war, dass er betreten hatte. „Ich hatte mir erhofft, dass Sie mir Informationen geben können. Sie wissen ja selbst, was passieren würde, wenn ich Ihre Schwester darum bäte.“ Er riss sich am Riemen, um nicht zusammenzuzucken, als ein kalter Hauch ihm über die Wange strich. Ein leichtes Leuchten erhellte die Dunkelheit für einen kurzen Augenblick. Ach, Schwesterlein..., seufzte die Schattengestalt auf einmal. Dann entfernte sie sich ruckartig, als würde sie etwas mit sich ziehen wollen. Doch er hatte es gesehen. „Da war doch jemand...?“ Er ging vorsichtig einen Schritt nach vorne, doch in der Schwärze kam man nicht weit. War Efarnia ein Meer aus Licht, in dem alles zu schillern schien, so war ihr Gegenstück ein See der Dunkelheit. Er konnte die Wesen nur erahnen, dessen Augen selbst schwarz wie ihre Umgebung waren. Er unterdrückte einen Seufzer, erneut. Er war umzingelt von Wesen, deren Umriss er oft nicht einmal sehen konnte. Dann rieb er sich seine Hände, dachte an Licht und wirkte einen kleinen Zauber. In Ainrafe würde er nur schwach wirken können, doch immerhin schaffte er es irgendwie. Eine winzige, flackernde Kugel aus dunkelstem Licht half ihm immens weiter, während er irgendeine Spur verfolgte. Irgendwo musste es doch einen Fleck Licht geben? Dann war sein Handlungsspielraum wesentlich größer. Und er könnte besser sehen. Und hatte er sich die Person eingebildet? Es war nur eine flüchtige Gestalt gewesen, in Dunkelheit gehüllt, aber doch stachen die Umrisse des Jungens mehr als nur deutlich hervor. Und kurz darauf hatte die Herrscherin über Ainrafe ihn auch mit sich genommen. Wer war dieser Junge bloß? Es schien, als würde es mehr als nur die momentan bekannten Figuren geben. Der Elf machte auf seiner Reise eine Pause. Er sah sich um, seine Augen schauten sorgvoll jeden Busch, jeden Baum an. Inkalak hatte bei seiner Suche bisher keinen Erfolg gehabt. Tagelang hatte er gesucht und geschaut, doch nichts hatte er gefunden. Er fragte sich, was mit ihnen passiert war. Ob es ihnen gut ging? Er hoffte es inbrünstig. Was es wohl gewesen war, dass die beiden aus dem Dorf vertrieben hatte? Er sah nachdenklich den Boden an. Er hatte keine Ahnung und alles, was er von seinem alten Freund zu hören bekommen hatte, klang nicht sehr gut. Dann rappelte er sich auf, um weiterzugehen. Das Elfendorf, aus das beide vermutlich stammten, war nicht mehr in weiter Ferne. Er erhob sich von dem Baumstamm der Lichtung, auf welcher er gesessen hatte, und machte sich reisefertig. Ein leises Knacksen ließ ihn kurz inne halten, doch er vermutete, dass es ein Tier gewesen war. Unbekümmert packte er weiter, als ein Schatten sich über ihn niederlegte. Die Halbelfe hatte dem Lichtwesen nachgesehen, als es nach dieser offensichtlichen Offenbarung einfach verschwunden war. Nun saß sie nahe eines Bachlaufes und dachte nach. Was war eigentlich geschehen? Und hatte sie es sich eingebildet, dass die Lichtgestalt noch ein wenig... heller geleuchtet hatte als sonst? Ob das wohl etwas zu bedeuten hatte? Sie seufzte frustriert. Färbte der reinblütige Elf etwa auf sie ab? Aber moment mal. Wie hieß er eigentlich gleich? Sie sah verwirrt das klare Wasser an, ihr Atem stockte. Wie hieß er gleich? Das Glitzern des Baches verwirrte sie auf einmal. Alles schien so unreal und gleichzeitig war es so nah, dass sie es anfassen konnte. Sich davon überzeugen konnte, dass es da war. Und wo war eigentlich das Monster? Hektisch blickte sie sich um, doch sie sah es nicht. Da war nur ein hell erleuchteter, von Licht durchflutener Wald. Nichts weiter als das Singen der Vögel und das Plätschern des glasklaren Wasserlaufes war zu hören. Wo war sie eigentlich? Verwirrt blickte sie sich um, blinzelte und schüttelte ungläubig den Kopf. Langsam verlor sie den Verstand, befürchtete sie. Wirklich? Das ist aber nicht gut, mein Kind. Sie erschrak erstaunlicherweise nicht, als das Lichtwesen sie ansprach. Das Leuchten hatte sie schon vorher gesehen, das war der Grund für die vermehrten Reflexionen auf dem Bach gewesen. „Sie sind wieder da?“ Es klang trocken und verängstigt. Sie räusperte sich. So einen Tonfall konnte sie unmöglich beibehalten. „Was machen Sie hier?“ Das klang schon selbstsicherer. Nirom Eruaf schien zu kichern. Nichts, nichts. Und du? Worüber hast du nachgedacht? Sie spürte, wie Wärme ihr näher rückte, doch empfand es als unangenehm und rückte unruhig auf ihrem Sitzplatz am Ufer herum. Oh, entschuldige. Sofort ließ die Wärme nach, ein Stich der Enttäuschung durchzuckte sie unwillkürlich. „Ich habe über nichts nachgedacht“, antwortete Alyne schließlich auf die Frage, die vom Licht persönlich gekommen war. „Es ist nichts Wichtiges gewesen.“ Damit ließ sich die Panik, die sie eben verspürt hatte, nicht erklären. Achso? Das Licht schien sich unschlüssig hin und her zu bewegen, sich nicht sicher, ob es schon so weit war, oder nicht. Aber diesen Zeitpunkt hatte bisher immer sie selbst bestimmt, es kam gar nicht auf die äußerlichen Faktoren an. Es schien die Halbelfe nach dem Gedankengang direkt anzusehen, ohne dass sie es merkte. Sie sah woanders hin, in das Gras, die Baumkronen. Nur nicht zu irgendeinem Punkt des hellen Leuchtens. Mein liebes Kind, ich muss dir etwas zeigen. Vertraust du mir? Sie war sich nicht sicher, was sie antworten sollte. Natürlich vertraute sie ihr nicht, es war ein übernatürliches Wesen! Wie konnte sie so jemandem trauen? Es war schlichtweg unmöglich. Doch die Wahrheit würde sie hier auch nicht weiterbringen. „Ja“, antwortete sie leichthin. Stellen wir die Frage anders. Die Lichtgestalt hatte eindeutig ihre Zweifel und Beweggründe der Antwort mitbekommen. Es konnte also tatsächlich Gedanken lesen? Glaubst du an mich? Bezweifelst du meine Existenz? Ein wenig überrumpelt von der Frage blickte Alyne auf den Boden. Sie kam ihr offensichtlich vor, die Antwort lag doch auf der Hand! „Nein, ich bezweifle Ihre Existenz nicht.“ Dann folge mir. Scheinbar zufrieden gestellt erhob sie sich, sofern man es bei einem formlosen Wesen aus Licht beobachten konnte, und flog langsam in eine Richtung. Alyne folgte ihr hastig, stolperte anfangs noch leicht, fand aber schnell zu ihrem selbstbewussten Gang zurück. Doch etwas fehlte. Sie spürte nicht das Gewicht von zumindest einem Schwert in ihrer Hand, dieses Gefühl des Fehlens machte ihr Angst. „Ähm... Wissen Sie, wo meine Sachen sind?“, fragte sie im Gefühl des Unwohlseins heraus. Natürlich. Ich werde sie dir gleich geben, habe nur einen Augenblick Geduld, mein liebes Kind. Das hier hat Vorrang. Was auch immer das war. Sie folgte ihr also blindlings, denn es war ja nicht so, dass sie etwas Besseres zu tun hatte. Im Grunde wusste sie nicht einmal, wo sie war, wohin sie ging und warum sie hier war. Wie sie hierhergelangt war, wusste sie noch. Doch auch da fehlte etwas, wie ihr auffiel, während sie durch einen unwirklich prächtigen Wald schritt. Inmitten der am Wegrand blühenden Blumen und der großen, schützenden Bäume erkundigte sie sich nach dem Monster. Es hatte ihr schließlich noch keine Antwort gegeben. Natürlich..., murmelte die Lichtgestalt mehr zu sich selbst als zu Alyne, nachdem sie sie gefragt hatte. Nirom Eruaf schien das Tempo sogar ein wenig zu beschleunigen, als würde sie so besser nachdenken können. „Was ist denn nun mit dem Monster?“, wiederholte die Halbelfe ihre Frage, ohne wirkliche Hoffnung auf eine klare Antwort. Es ist in Sicherheit. Auch das wirst du bestimmt bald wiedersehen, mein Kind. Doch wir sind nun bald da, pass auf, wohin du trittst. Wohin sie trat? Sie sah sie Boden. Dort war immer noch weiches Gras. Wieso sollte sie aufpassen, wohin sie trat? Du tust noch kleinen Tieren weh, fügte das Licht hinzu. Sofort ging Alyne langsamer und achtsamer vorwärts. Das Tempo verlangsamte sich dadurch zwar immens, doch immerhin hatte das Licht selbst es angeordnet. Doch wieso folgte sie eigentlich so einer albernen Anweisung wie ein kleines Kind, dem man alles erzählen musste? Als sie ihren Blick von dem Gras hob, um ihre Meinung deutlich zu machen, verschlug es ihr den Atem. Denn sie sah direkt auf den alten Stamm eines vermutlich jahrtausendenalten Baumes. Sein Stamm war, obwohl er vermutlich noch in weiter Ferne lag, dicker als jeder Stamm den sie zuvor erblickt hatte. Vermutlich war er sogar dicker als alle Stämme ihres Heimatdorfes aneinandergereiht. Gehalten wurde dieser mächtige Baum von riesigen Wurzeln, die vermutlich bis ganz tief unter die Erde ragten. Die Farbe der Rinde schien die jeder Holzbaumart zu sein, denn sie konnte kein eindeutiges Muster erkennen, was in der Ferne sowieso schwierig zu bewältigen war. Nahtlos gingen die Merkmale einer Buche in die einer Eiche hinein, es schienen Apfelbäume mit Ahornen zu verschmelzen. Es war erstaunlich, dass sie das aus dieser Entfernung sehen konnte. Doch das Beeindruckenste war die Krone des Baumes, die anders war, als sie jemals gesehen hatte. Die schillernde Vielfalt der Rinde schien sich in den Blättern wiederzuspiegeln. Sie konnte keine einheitlichen Blätter sehen, nicht einmal Muster. Dort waren kastanienähnliche Blätter an demselben Zweig wie Blätter, die eher dem Ahorn ähnelten. Und sie leuchteten in den Farben aller Jahreszeit. Es schien, als würde der Baum selbst ständig verschiedenste Jahreszeiten annehmen. Sie konnte beobachten, wie Blätter in kürzester Zeit aus ihren Knospen trieben, sich entfalteten, wuchsen, verwelkten und schließlich abfielen. Aber auch nur, weil die Äste des Baumes, welcher sich aus ihrer Sicht in der Mitte einer Lichtung befand, bis zu ihr hinstreckten. Zum eigentlichen Stamm vermutete sie einen Fußmarsch von mindestens einer halben Meile über die hervor ragenden Wurzeln des Baumes. „W-was ist das?“, fragte sie, ehe sie weiter gehen konnten, nachdem sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. „So etwas... habe ich noch nie gesehen.“ In ihrer Stimme lag ihr ganzes Staunen, ihre ganze stille Begeisterung, sie zitterte sogar ein wenig. Wieder schien das Licht zu kichern. Das befürchte ich auch, mein Kind. Es ist ein einzigartiges Naturschauspiel, nicht wahr? Doch komm, ich erzähle dir gleich alles. Nun folge mir erst einmal. Damit übernahm die Lichtgestalt wieder die Führung und schwebte vor. Alyne folgte ihr, aber nicht ohne den Kopf ständig in den Nacken zu legen, um die Ausläufer der Krone über sich zu bewundern. Sie bemerkte auch, dass die Äste gebogen aus der Höhe kamen. Ob der Baum einen trauerweidenähnlichen Aufbau hatte? Es schien ihr, als wäre das der Urbaum, doch irgendwie klang es auch unreal. Gleichzeitig erschien es ihr auch nur logisch, einen Baum, der fast alle Unterschiedlichkeiten von beinahe allen Bäumen in sich beherbergte, den Urbaum zu nennen. Sie machte sich jedoch nun geschickt an die Überwindung der durch die Wurzeln hügeligen Landschaft, als diese vor ihr aufragten. Das Lichtwesen flog einfach darüber hinweg, doch es schien Alyne, die sich voll und ganz auf ihr Weiterkommen konzentrierte und jedes Hindernis suchte, an dem sie wachsen konnte, zu beobachten. Unergründlich schweifte es in seinen Gedanken, während Minuten vergingen, die zu Stunden wurden. Es dauerte seine Weile, bis die Halbelfe die Wurzeln überwunden hatten, die teilweise bis zu mehr als dreimal so hoch waren wie sie selbst. Alyne wunderte sich selbst, wie sie diese eigentlich überwunden hatte, ganz klar war es ihr nicht wirklich. Und auch schien sie sich bei der Strecke verschätzt zu haben, denn es war kein halbe Meile, denn sie hinter sich gelassen hatte, sondern knapp eine ganze Meile. Aber ihr schien es prächtig zu gehen, als sie sich am Fuß des Baumes ausruhte. Tatsächlich war diese eine Wurzel jedoch so breit wie das halbe Dorf, aus dem sie stammte, ganz zu schweigen von dem Baum selbst. „Kann es wirklich diesen großen Baum geben, ohne dass die Elfen es wussten?“ Sie spürte nämlich trotz ihrer Halbblütigkeit deutlich eine pulsierende Magie. Natürlich konnte das alles nicht natürlichen Ursprungs sein. Doch wer sagte, dass Magie nicht natürlich war? Das ist, weil er in meinem Einflussbereich ist. Die Lichtgestalt ließ sich in der Nähe von Alyne nieder. Sollen wir reingehen? Sie schien auf den Stamm mit ihrem Kopf zu deuten, jedenfalls nahm die Halbelfe es so wahr. Doch sie kümmerte sich schon nicht mehr darum, dass sie eine Lichtgestalt vor sich hatte und keine normale Existenz. „Man kann da rein?“ Natürlich. Ein mütterliches Lächeln legte sich auf die Züge des Lichts. Willst du es mal von innen sehen? Alyne legte ihren Kopf erneut in den Nacken und sah den Stamm hoch, der schier ins Unendliche hinaufragte. Ihre Antwort war schon längst klar. „Ja.“ Dann folge mir. Unbeirrt flog das Lichtwesen direkt in den Baumstamm hinein und verschwand dort drin. Unschlüssig blieb Alyne vor dem Stamm des alten Baumes stehen. Sie legte eine Hand auf die Rinde, sie fühlte sich rau und trocken unter ihrer Hand an, aber auch ein wenig warm. Als sie ein wenig Druck ausübte, stellte sie mit Verwunderung fest, dass ihre Hand in der Rinde verschwand. Sie unterdrückte den Impuls, die Hand aus dem Baum zu ziehen. Sie schluckte ihre Angst hinunter und atmete tief durch. Dann ging sie entschlossen in den Baum hinein. Und es klappte. Ein warmes Gefühl erfüllte ihren Körper, als sie in den Baum eintrat. Es war wohlig warm und hüllte sie ganz und gar ein, als würde sie in tausende von weichen Decken fallen. Sie hatte unbewusst die Augen geschlossen, doch sie wagte es kaum, diese wieder zu öffnen. Sie befürchtete ein wenig, dass dies das Gefühl war, das man hatte, wenn man starb. Es war zu warm und zu angenehm. War es wirklich das Gefühl, das man hatte, wenn man einen Baum betrat? Nein, keine Sorge. Die Stimme des Lichtswesens ließ sie aufhorchen. Sie schien amüsiert über ihre albernen Gedanken zu sein. Beschämt riss Alyne ihre Augen wieder auf und fand sich in einem Meer aus Lichtern wieder, die alle um einen Punkt in kreisförmigen Bahnen schwebten. Und in deren Mitte war ebenfalls ein Licht. „Was... ist das?“ Nicht wissend, was sie tun sollte, blieb sie regungslos auf der Stelle stehen und beobachtete das faszinierende Lichtspiel von ihrem Platz am äußersten Punkt aus. Die Lichter leuchteten alle in warmen, wechselnden Farben und hüllten das Innere des scheinbar hohlen Stammes in ein warmes Licht. In ihrer Mitte jedoch glimmte es eher. Knapp über dem Boden hing die Ursache dieses Glimmens, gehalten von einem nicht sehr vertrauenserweckenden dünnen Ast. Komm näher, dann kannst du es besser sehen, schlug ihr Nirom Eruaf vor. Zögernd leistete sie dem Vorschlag Folge, doch ihre Schritte über die unebene Erde, welcher erstaunlicherweise den Boden bildetete, waren mit Skepsis und Vorsicht verbunden. Die Lichtgestalt jedoch schwebte unbeirrt zu dem Leuchten hin. Als sie dort angekommen war, wartete sie scheinbar neben dem Zentrum des Stammes auf die Halbelfe, welche ihre Schritte nun beschleunigte. Dennoch war der Stamm nicht gerade unbreit. Er war vielleicht anderthalb mal so groß wie ihr Dorf es gewesen war, und das war kein kleines gewesen. „Wer ist das?“, wiederholte sie die Frage in abgeänderter Form, als sie vor dem Leuchten stand. Denn nun konnte sie die schemenhaften Umrisse eines Mädchens sehen, welches scheinbar in einer durchsichtigen Frucht eingeschlossen war. Die Schale an sich war schmucklos, und auch das Mädchen war noch ein Kind, dementsprechend auch die Größe der Frucht. Das Mädchen schien in einer Art von Flüssigkeit zu schweben, die Augen geschlossen, die Arme um die Knie gelegt. Ihre weich wirkenden, goldig glänzenden Haare verdeckten den Körper des Mädchens vollkommen. Nur ein friedlich schlafendes Gesicht war zu sehen, zart und fein geschnitten mit langen, gold glitzernden Wimpern. Das kann ich dir sagen, aber erst einmal musst du mir zuhören. Alyne nickte ohne zu Zögern. Was hatte es mit dem Mädchen auf sich? Um dir alles zu erklären, muss ich sehr weit ausholen. Bist du geduldig genug, sie am Stück zu hören? „Ich weiß es nicht“, gab sie zu. Sie war einerseits jemand, der Geschichten gerne zuhörte, doch andererseits kam es oft auch auf die Länge an. Oder die Art, wie sie erzählt wurde. Okay, ich versuche, es so kurz wie möglich zu halten. Dann schien sie so etwas wie durchzuatmen, aber man hörte nichts, es kam der Halbelfe nur so war. Und irrte sie sich oder spürte sie einen liebevollen Blick, der auf dem Mädchen in der Frucht ruhte? Es begann schon sehr, sehr lange vor der jetzigen Zeit, denn weißt du, diese Welt ist schon sehr alt. Vielleicht liegt es an den Elfen, die so lange leben, vielleicht aber auch an den Menschen, die so viele Nachkommen haben. Ich weiß es nicht. Aber meine Schwester und ich waren immer mit dabei. Wir waren an der vordersten Front, wenn man es so beschreiben will. Wir haben uns nicht immer gehasst, eigentlich möchte ich sie auch heute nicht hassen. Doch es kam vor einigen Jahrhunderten zu einem Vorfall, der einen Keil zwischen uns getrieben hatte. Damals gab es nur wenige Lebewesen, die nötigsten Pflanzen, Elfen und Menschen, Wasser und Fische, aber viel mehr auch nicht. Auch andere Tiere gab es noch nicht. Doch diese Welt war auch schön. Sie war nicht so vielfältig wie jetzt, aber man konnte in ihr gut leben. Es ist schon beinahe ein Witz, dass eben jene Vielfalt, die wir heute kennen, aus diesem Streit hervorgegangen ist. Denn damals sind wir auch noch in Form von Menschen oder Elfen zu den Völkern gegangen und haben geschaut, was da vor sich ging. Wir waren schon damals als das Licht und die Dunkelheit erschaffen worden und damals war unser Handeln viel freier und nicht so eingeschränkt wie heute. Alyne war drauf und dran, das Wesen in der Erzählung zu unterbrechen, unterdrückte ihre Frage aber noch. Doch dann kam der Vorfall. Die Menschen begannen, mich meiner Schwester zu bevorzugen. Ich wusste nicht warum und auch sie konnte es sich nicht erklären. Ich versuchte, sie zu beschwichtigen, doch es hatte einen tiefen Dorn in ihr Herz gerissen. Du magst es mir vielleicht nicht glauben, aber sie ist diejenige, die näher am Wasser gebaut ist und ein wenig jähzorniger ist sie auch. Doch so erschuf sie im Groll ihr erstes Wesen, welches nur noch die Dunkelheit verkörpern sollte. Die Wesen vorher basierten auf beidem, dem Licht und der Dunkelheit. Doch diese Wesen alleine reichten ihr noch nicht. Sie erschuf mehr und mehr grausame Monster, nicht ahnend, was sie sich selbst antun würde. Notgedrungen zog ich nach und erschuf Wesen des Lichts, die ihre Wesen vernichten sollten, obwohl es mir Angst machte. Sie übernahm auch eines Tages Wesen, die uns gemeinsam als Erschaffer hatten, und führte sie der Dunkelheit zu. Ich konnte noch einige vor ihr retten, aber einige waren auch schon verloren. Ich war schockiert über die Wendung der Dinge, doch sie ließen sich scheinbar nicht vermeiden. Dann kam es fast zu einer Konfrontation. Sie konnte nur dadurch verhindert werden, dass unser beider Kräfte auf einmal verrückt spielten. Wir zogen uns, beide durch uns selbst verletzt, in unsere Ecken im Land zurück. Seitdem halten wir uns mehr oder minder aus den Geschäften in der Welt heraus, doch es scheint, dass sie sich wieder regt. Seit Hunderten von Jahren wieder. Das gab mir den Impuls, sie hier zu schaffen. Liebevoll strich ein Fühler des Lichtes über die Frucht. Sie soll mir dabei helfen, meine Schwester zurückzuschlagen, ehe sie Unheil anrichten kann. Es schien Alyne, als würde ihr Blick sich in der Ferne verlieren. Dann könnte auch ich vielleicht wieder... Sie blickte sehnsüchtig an einen Ort, der Alyne verborgen blieb. Sie räuserte sich kurz, um das Wesen wieder in die Realität zurückzuholen. Es gab einiges, was sie als Aussenstehende nicht verstand. „Was haben Sie und ihre Schwester damals gemacht? Wie konnten Sie damals handeln? Und worin bestanden eigentlich Ihre Kräfte?“, fragte sie ohne jegliche Hemmungen, ein wenig erstaunt über sich selbst. Ein warmes Lächeln ging von ihr aus. Das sind kluge Fragen. Ich fange mit der ersten an: Meine Schwester und ich waren mehr als heute noch die treibenden Kräfte. Wir haben quasi dafür gesorgt, dass es Licht und Dunkelheit gab. Das war im Prinzip unsere einzige Aufgabe, aber es war eine sehr wichtige. Denn vieles hängt vom Wechsel des Lichtes mit der Dunkelheit ab. Und damals hatten wir eben diese Aufgabe, die wir erledigen mussten. Und wenn wir gemeinsam irgendwo waren, so neutralisierten wir uns gegenseitig. Heute sind es die Zeiten vor der absoluten Dunkelheit und nach ihr. Und unsere Kräfte waren die Kontrolle unseres Elementes, aber auch die Konzentration dessen, wodurch wir Neues erschaffen konnten. Die Halbelfe nickte. Sie verstand es auch wirklich, doch ihr war auch bewusst, dass sie sogleich die Hälfte dessen wieder vergessen haben würde. „Ich verstehe.“ Ich weiß. Sie lächelte noch ein bisschen breiter. Du bist ein kluges Kind. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)