Das Lied im Automaten von pandine ================================================================================ Kapitel 8: Eine Planänderung ---------------------------- „Bist du wach?“ Feliff hatte darauf verzichtet, sie gleichermaßen mit einem Stein zu wecken. Die Sonne war gerade erst über den Horizont geklettert, die Luft aber schon erfüllt von vielerlei Klängen und Gesängen. Er kletterte die Äste hinunter und klopfte den Bäumen dankend die Stämme. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, auch wenn er wusste, dass viele es nicht so sahen. Außerdem mochte er das raue Gefühl der Rinde unter seinen Händen und Fingern. Alyne war, kurz bevor die Sonne ihr Anlitz der Welt zeigte, von einem unwohlen Gefühl heimgesucht worden und war davon aufgewacht. Jedoch hatten sie diese Empfindungen leicht verstört, sodass sie sich nicht gerührt hatte. Erst, als sie alles als ein Hirngespinst abschrieb, war ihr wieder leichter zu Mute. Sie streckte sich und gähnte herzhaft. „Ja, schon etwas länger. Gehen wir dann?“ Sie hielt sich die Hand vor den weit aufgerissenen Mund, ein ihr eher unbekannter Reflex. „In Ordnung.“ Sie sahen einander selbstverständlich nicht an, während sie die letzten Reste ihres Lagers vernichteten und verstreuten. Sie nahmen in einem federnden Gang ihre Mahlzeit ein. Bald würden sie auf Wild zurückgreifen müssen, für das sie ihren Bogen inklusive verschiedenster Pfeile mitgenommen hatte. Lange Zeit genossen sie die Stille, die herrschte. Es war keine beunruhigende wie bei den Momenten mit Faure Morin, aber auch nicht die gespenstisch anmutende bei Nacht. Ein Tag, der frisch und jung war, klang wirklich anders. Mit neuen Geräuschen gefüllt schritten sie auf dem Weg voran, der manchmal klar, manchmal schleierhaft und manchmal nicht existent war. Und wie auch der Weg sich in viele Pfade kleidete, so konnten sie mit der verstreichenden Zeit auch die Vorbereitungen beobachten, die diese kälter werdende Jahreszeit kennzeichnete. „Was ist eigentlich deine Lieblingsjahreszeit?“, fing Feliff unvermittelt ein Gespräch an. Sie würden wohl etwas länger als nur diese zehn Tage miteiander reisen und er fand, dass sie schon etwas mehr über den jeweils anderen wissen sollten. Sie schwieg eine Weile. Was war ihre Lieblingsjahreszeit? Sie hatte nie darüber nachgedacht. „Ich denke, ich mag den Frühling am meisten.“ Es war eine lebhafte Zeit, eine Zeit, in der alles zu neuem Leben erwachte. Eine Zeit, in der es so schien, als würde die Hoffnung nicht Grün, sondern Bunt sein. Die Zeit, in der es warm wurde und die Zeit, in der auch sie selbst sich am wohlsten fühlte. Voller Kraft und Lebensmut. Er nickte bedächtig. Er selbst wusste nicht, welche seine Liebste war. Ob es nun der Herbst mit seiner Geschäftigkeit, der Sommer mit seiner hitzigen Wärme, der Winter mit seiner kalten Ruhe oder doch eben der Frühling mit seinen tausend Farben war. Er hatte sich noch nie darauf festgelegt. „Welche ist deine?“, fragte sie schließlich in seine fieberhaften Überlegungen auf eine Frage hinein, die sie erst in diesem Moment gestellt hatte. „Ich denke, ich mag alle gerne.“ „Du kommst mir wirklich häufig wie jemand vor, der weder Abneigungen noch Vorlieben hat“, entfuhr es Alyne, es war eine Feststellung, die sich auf nichts begründete außer ihrem Bauchgefühl. Sie stieß mit ihrer Fußspitze ein Blatt in die Luft, während sie auf eine Antwort wartete. Aber Warten lag ihr einfach nicht wirklich. Schon nach kurzer Zeit des Schweigens fing sie an, ungeduldig herumzuzappeln. Erst kaum merkbar, doch dann immer deutlicher. Das Schweigen während ihres Vormarsches vorher war ja keine Wartezeit gewesen, also erträglich. Und es gab nichts Spannendes zum Beobachten, nichts, dass sie fesseln würde. Feliff kam zu keiner wirklichen Erwiderung. Er spürte zwar, dass sie eine Antwort verlangte, aber ihm fiel einfach nichts ein. Als wäre sein Kopf leergefegt. Seine Gedanken transparent und nicht zu ergreifen, wie Nebel in seinem Verstand. „Kann sein“, druckste er dann herum, in der Hoffnung, sie würde sich damit zufrieden geben. Sie nickte langsam. Es war auf eine Art merkwürdig, die schon beinahe komisch war. Sie hatten sich doch nicht einmal angesehen und doch gewusst, was der andere tat. Vielleicht schärfte Feliffs Anwesenheit Alynes Sinn für Magie und sehendes Nichtsehen. Ein kleiner Nebeneffekt, der vielleicht sogar für die Ewigkeit war. Aber sonst hatte seine Anwesenheit scheinbar keine Auswirkungen auf sie. Jedenfalls war sie nicht wirklich unter dem Einfluss, den er auf Elfen ausüben konnte. Der Wind heulte auf, als sie einen Duft wahrnahmen, der jedoch so flüchtig wie eine Illusion war. Ein Hirngespinst, welches nicht existent war. „Du hast... es auch... wahrgenommen?“, fragte Alyne mit zusammengezogenen Brauen. Ihr missfiel dieser Geruch. Stinkend und wiederwärtig, voller Komponenten, die einfach nicht zusammengehörten. Es war nicht einmal mit dem Gestank von normaler Widerwärtigkeit zu vergleichen. Es war einerseits nicht schlimmer, aber auch nicht besser. Es schien... angriffslustig. „Was es wohl war?“ Feliff zuckte mit den Schultern. „Ja, denke ja. Und da du es auch gerochen hast, kann es wohl keine Einbildung gewesen sein.“ Sie antwortete nicht, sondern wandte ihren Blick noch intensiver auf den Weg, der vor ihnen lag. Sie war auf der Hut, ob nicht aus dem Gebüsch ein Getier hervorspringen würde. Ob es sich dann um ein Gefährliches oder Harmloses handelte, war eine andere Sache. Sie erinnerte sich an die Erzählung des Unerschrockenen. Ob es etwas damit zu tun hatte? Die beiden Elfen, die ihnen immer noch in einem Sicherheitsabstand folgen mussten, überwanden die Distanzen schweigsam. Ab und zu streiften ihre Hände aneinander, kleine Zeichen des Naheseins. Sie konzentrierten sich darauf, Feliffs Spur nicht zu verlieren. Erfline fokussierte ihre Gedanken auf die komischen Umstände, die den reinblütigen Elfen umgaben. Doch dann erstarrte sie mitten in der Bewegung. Es war kaum mehr als ein Hauch gewesen, der sie in diesen schockartigen Zustand versetzt hatte. Aber auch ihr Begleiter hatte diesen eigenartigen Geruch wahrgenommen, der so eindeutig war, wie nichts Anderes auf dieser Welt. Sie sahen einander in stummen Entsetzen an. Dieses Gefühl der Angst und die Unfähigkeit, die Realität annehmen zu können, packte sie. Sie schluckte den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. So konnte das nicht weitergehen. Sie blicke zu Futave hinüber, der sie fragend musterte. „Wir kehren um.“ Ihre Stimme zitterte nicht, anders als ihr Körper. Er nickte schweigend und nahm ihre Hand. „Das hast du wirklich getan?“ Feliff hielt sich den Bauch vor Lachen. Er krümmte sich, während er gluckernde Laute von sich gab. Sie sah ihn peinlich berührt an, doch er schien es gar nicht zu bemerken. „Ist da irgendetwas falsch dran?“, verteidigte sie sich. Sie sah eingeschnappt zur Seite, aber er hörte einfach nicht auf. Aber für ihn war es auch zu komisch. Wer hätte sich träumen lassen, dass Elfen derart aus Zucker bestanden? Immer, wenn er an diese Vorstellung dachte, überkam ihn ein neuerlicher Anfall unaufhörlichen Lachens. „Ich habe ihn doch nur an einen Baum geschmissen! Woher sollte ich denn wissen, dass der aus Wasser bestand?“, klagte Alyne und stapfte in verzweifelter Wut auf dem Boden auf. Das Lachen irritierte sie. Was war so lustig daran? „Und dann ist er eben auf seinen eigenen Gewändern ausgerutscht...“ Sie konnte sich nicht mehr halten. Bei dem Gedanken an den flutschend rutschigem Elf überkam auch sie ein Anfall, der so bald wohl kein Ende nehmen würde. Sie kicherten und giggelten als gäbe es keine Dunkelheit, die über sie schlich. Doch dieses Mal war es die natürliche Finsternis und nicht jene mit Stille verbundene, die eine gewisse Schattengestalt mit sich brachte. Sie hielten ab und an zur Rast an, um sich weiter Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen, die sie erlebt hatten. Alyne zählte ihre vielen Streiche auf, die sie den hochnäsigen Elfen gespielt hatte und beichtete, dass sie ziemlich viel Unterricht geschwänzt hatte. Feliff bemühte sich bei ihren Geschichten um ein ernstes Gesicht, doch manchmal konnte er sich nicht mehr halten. Sie waren auch inzwischen bei dem Grad angelangt, dass sie einander kurz ansehen konnten. Ein unheimlicher Fortschritt, wenn man seine vorige Unfähigkeit in Sachen Kommunikation bedachte. Während sie von ihren Erlebnissen im Dorf erzählte, entwirrte Feliff teilweise das dichte Netz der Gerüchte, welches sich um den sagenumwobenen Forst gespannt hatte. Er berichtete von den Lebensumständen in Erfarnia, den Tieren und anderen Wesen dort. Aber er behielt pikante Details für sich und bestätigte häufig einfach nur das, was man sich erzählte. Für sie war es trotzdem interessant. Wie schon aus ihrem Fehlen im Unterricht hervorgegangen war, war dieser Wald wirklich Neuland für sie. Sie hatte absolut keine Vorstellung von der Macht und Größe, die diese 'Ansammlung von Bäumen', wie sie seinen Heimatwald früher genannt hatte, besaß. Aber auch als er geendet hatte, war sie trotz aller Faszination noch unschlüssig. Mit den Worten: „Ich kann nicht glauben, was ich nicht gesehen habe“, schloss sie die Diskussion aber. Für sie stand fest, dass sie sich durch Worte nicht überreden lassen könnte, auch wenn sie von ihm kamen. Es forderte weitaus mehr, um sie zu überzeugen. Wahrscheinlich hatte sie ihren Starrsinn von ihrem Vater, der so lange an etwas festhielt, bis es klar und sichtbar durch Anderes widerlegt wurde. Doch was hatte diesen realitätsbezogenenen Menschen dazu gebracht, an ein Rätsel zu glauben, dessen Lösung so ungewiss war wie die Form einer Flüssigkeit? Sie seufzte. Das war eine weitere Frage, die sie ihn nun nicht mehr fragen konnte. Am nächsten Morgen wartete eine grübelnde Alyne darauf, dass der reinblütige Elf endlich aufwachen würde. Sie hielt sich davon ab, zu brummen, aber ihr bereitete etwas sichtliches Unwohlsein. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen, eine Falte zog sich starr über ihre Stirn. Ihre Augen waren tiefe Löcher des scheinbar Bösens, ihr Mund eine schmale Linie unter ihrer Nase, die unentwegt mürrisch zuckte. „Was ist los?“, fragte er direkt, als er diese steinerne Gestalt erblickte. Wo war ihr Enthusiasmus geblieben? Aber da bemerkte er es auch. Eine feine, säuerliche Spur. „Was ist das?“ Er schnupperte noch ein paar Mal mehr. „Riecht...“ Er wusste nicht, wie er diesen Gestank beschreiben sollte. Obwohl er verhältnismäßig schwach war, war er dennoch unheimlich angriffslustig. Er war trotz seines eher hauchartigen Charakters beißend und kräftig. „Unangenehm“, fasste sie ihr ganzes Befinden in ein Wort. „Lass uns weitergehen“, drängte sie dann in einem knappen, nicht gerade gesprächigem Tonfall. Er nickte und sie machten sich auf den Weg weiter zu ihrem Ziel heran. Aber der Geruch wollte einfach nicht weichen. Wie ein böser Alptraum, der noch sehr, sehr lange nachwirkte. Ein düsterer Schatten, den man nicht los wurde. Ein Phänomen, das Elfen Rueve genannt hatten. Feliff dachte unentwegt darüber nach, woher es kam und warum es da war. Alyne hingegen wünschte sich nichts sehnlicher, als weit, weit weg zu sein. Es war eine Qual für sie und obwohl sie den schwächeren Geruchssinn hatte, schien der Duft viel stärker auf sie zu wirken. Für ihn war es vielleicht nur eine unangenehme Begleiterscheinung, doch bei ihr war es etwas völlig Anderes. Wie ein Dorn, der sich immer tiefer in einen hinein bohrte. Unangenehm, schmerzvoll und mit Qualen verbunden, die die Laune mehr als nur in den Keller sinken ließen. Es war eher so, als würde sie im Boden versickern. Sie sagte während dem weiteren Marsch nichts, und auch er versuchte nicht, sie zum Reden zu bringen. Es wäre ein unsensibler Akt gewesen, den er partout vermied. Aber woher kam bloß dieser Geruch? Äste knackten unter ihren Füßen, doch keines knacke so laut wie hinter ihnen. Sie blickten sich überrascht um, einen Moment lang vergaßen sie den Duft, als er mit voller Wucht zu ihnen rannte. Ein großes, unsagbar hässliches Ungetüm mit verfilztem Fell und bestialisch passendem Gestank raste mit glühenden Augen auf sie zu. Besser gesagt: Auf Alyne zu. In seinen roten Augen spiegelte sich ihr verwundertes Gesicht wieder, als sie begriff. Sie rettete sich in allerletzter Sekunde mit einem Hechtsprung zur Seite. Das Monster lief in die Leere. Mit einem Knall stieß es mit einem nahestehendem Baum zusammen, ein ohrenbetäubender Schrei erfüllte die Stille. Es schnaubte und tollte herum, bevor er sein Opfer wieder anvisierte. Doch dieses Mal griff Feliff ein, denn er konnte keine Bewegung bei ihr registrieren. Mit weit ausgerebreiteten Armen stellte er sich dicht vor die Nase des Monster, der Geruch ließ ihn beinahe ohnmächtig werden. Hier, in unmittelbarer Nähe, konnte er bei diesem Getier nichts weiter erkennen als schwarzes, langes Fell, in welchem sich alles Mögliche verfangen hatte. Nur ein Detail zeichnete sich klar von den wütenden Augen des Tieres ab: Hass. Hass und Wut hatten sich in diesen kleinen Knopfaugen miteiander verbunden und hielten einander die Hände, während sie ihren Emotionen freien Lauf ließen. Bei dem Anblick solcher Wut erschlafften Feliffs Arme auf einmal. Er selbst drohte zu stürzen. Er wusste viel, doch wirklich gesehen hatte er nicht viel. Unsagbare Trauer erfüllte ihn. Als würden sie ihn in tausende von Stücken reißen. Das Monster schnaubte überrascht seinen warmen, dampfenden Atem auf ihn hinab, der gefüllt war von dem betäubenden Geruch. In den winzigen Punkten spiegelte sich Verwirrung wieder. Doch dann war da wieder das Anlitz einer regungslosen Person. Ein Atemzug genügte, um unbändigen Hass zu schüren. Der Elf war nicht auf einen erneuten Wutanfall gefasst, er stolperte mehr schlecht als recht zur Seite. Das Ungetüm preschte vorwärts, seine Lechzen gefletscht und in seinen Augen nur noch ein Gedanke. In einer letzten, verzweifelt anmutenden Aktion sprintete er mit Hilfe von Magie nach vorne und schnappte sich Alyne, um mit einem dichten Nebel aus Gedanken weiterzulaufen, die alle keinen Sinn ergaben. Er war benommen, doch dank seiner Magie lief er weiter. Und auch Alyne war erstaunlich leicht. Er konnte sie tragen, ohne, dass ihn die Müdigkeit übermannte. Ob das auch das Werk der Magie war? Hinter sich hörte er Empörung und hasserfülltes Schnauben, aber das hören tat er auch noch sehr lange, während er, beinahe ohne Erschöpfung, Haken schlug und irgendwie versuchte, seinem Verfolger zu entkommen, dessen bestialischer Geruch ihn zu lähmen drohte. Irgendwann verlor er den Weg vor Augen und viel früher das Gefühl für die Zeit, die verging. Er wusste nur den Atem des Tieres in seinem Nacken, vor das er flüchtete. In seinem Arm war immer noch die Halbelfe, die, bewusstlos, immer weiter getragen wurde. Und irgendwann verlor er auch die Orientierung. Allein von wilder Angst und unbändigen Instinkten getrieben, die ihn auf den Beinen hielten. Er ermüdete nicht. Dafür waren seine Kraftreserven viel zu groß, beinahe unermüdlich. Doch auch das Getier hielt etwas, sei es auch nur der Hass, das ihn weitertrieb. So hasteten sie in unberechenbarem Zickzackkurs durch den Wald, der dichter und kratziger schien als zuvor. Eine dünne Blutspur zog sich hinter Feliff her, so dünn, dass er sie kaum wahrnahm. Ebenso wenig wie die Schnittwunden, die von den Dornen herrührten, und sofort verheilten. Was er aber wohl merkte war, egal wie verschwommen es in seinen Gedanken auch war, ein Plan, der beschrieb, wie er dieses Ungetüm loswerden würde. Mit leeren Augen murmelte er Worte mehr zu sich als zu seiner Umgebung, aber für diese waren sie auch nicht bestimmt. Nur von seinen Überlebenstrieben geleitet bewegte er sich vorwärts, während sein Verstand sich mit anderer Materie auseinander setzte. Dann verschwamm alles vor seinen Augen und wurde blau. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)