Drei Ansichten von Psychopath (einer Klassenfahrt) ================================================================================ Kapitel 10: 4b -------------- Nach dem Drama am ersten Tag, war die Atmosphäre wieder ein paar Tage lang in Ordnung. Mikasa hängte sich immer an Eren, sodass Jean, der ein offensichtliches Problem mit ihm hatte, nicht mehr in ihre Nähe kam. Ab und an bat er Mikasa seine Hilfe an, die sie immer wieder ausschlug, weil sie sportlicher, aufmerksamer und resoluter war als der gesamte Rest von uns. Bei allen Aktivitäten drückte sich jeder selbst die Daumen, Mikasa in seiner Gruppe zu haben, weil sie die Gruppe immer zum Sieg führte. Wobei man aber auch sagen muss, dass sie viel unmotivierter war, wenn Eren nicht derselben Gruppe zugeordnet wurde. Bei einer Nachtwanderung hatte Jean erst versucht, sich in der Nähe von Mikasa aufzuhalten, doch sie war wieder bei Eren und Armin. Armin in der Mitte, weil er sich von den dreien am meisten fürchtete. Jean lief die ganze Zeit neben mir und redete sehr viel. Ich erklärte mir das damit, dass er selbst Angst hatte im Wald herumzulaufen, wenn es dunkel war und es zu überspielen versuchte. Vielleicht wollte er auch die undefinierbaren Geräusche, die aus dem Wald kamen, dadurch übertönen. Was auch immer es war, ich fand es beruhigend, ihm einfach zuzuhören und dann und wann zuzustimmen. In einem unaufmerksamen Moment, stolperte ich über eine Baumwurzel und fiel mit der Nase voran auf den Boden. Jean half mir lachend auf und klopfte mir den Schmutz von der Kleidung, während ich mir die Nase hielt und die Tränen zurückhielt. Das war sehr schmerzhaft gewesen, aber gleichzeitig so albern, dass ich auch lachen musste. Blöderweise hatten wir unseren Vordermann aus den Augen verloren. Wir waren zwar nicht die letzten in der Schlange, denn Reiner und Bertholdt gingen hinter uns. Diese beiden waren aber auch nicht zu sehen. Wir waren ganz allein und sahen uns um, ob wir jemanden sehen konnten, doch dort war nichts. „Wir haben uns doch nicht ernsthaft verlaufen oder?“, fragte ich in der Hoffnung, Jean hätte eine Vorstellung davon, wo wir waren oder in welcher Richtung unser Camp lag. Doch er redete nur drum herum, sagte wir hätten uns niemals verlaufen und die Lehrer würden schon regelmäßig überprüfen, ob wir da wären. Herumstehen wollte er aber nicht, sodass er einfach los stapfte und ich ihm hinterherlief. „Darf ich mich an deinem Ärmel festhalten? Es ist so dunkel.“, fragte ich nach einer Weile. Das war eine Frage, die ich der Höflichkeit halber stellte, denn während ich fragte, streckte ich die Hand schon aus und hielt mich an seinem Ärmel fest. „Du kannst auch meine Hand nehmen, dann verlieren wir uns ganz sicher nicht.“, antwortete er. Diese Antwort kam unerwartet; das Angebot wollte ich nicht ausschlagen. Ich ließ seinen Ärmel los und wollte gerade seine Hand ergreifen, die er mir entgegenstreckte, als wir ein schnelles Rascheln hinter uns hörten und ängstlich in diese Richtung sahen. Mein Herz pochte erheblich lauter als sonst und wäre fast stehen geblieben, als Connie aus einem nahegelegenen Busch sprang und mich zu Tode erschreckte. Jean verpasste ihm eine Kopfnuss, woraufhin Connie sich bereiterklärte, uns zu der Gruppe zurückzuführen, die quasi parallel neben uns lief, die wir aber wegen der Dunkelheit nicht sehen konnten. Fraglich für mich war jedoch, dass uns niemand hatte reden hören. Eventuell dachten sie aber auch, wir wären noch hinter ihnen und hatten nicht weiter auf uns geachtet. Nach dieser sowohl schrecklichen als auch überraschend erfolgreichen – da Jean mir angeboten hatte, seine Hand zu halten – Wanderung, setzen wir uns an ein Lagerfeuer und brutzelten verschiedene Dinge im Feuer. Es war angenehm warm und meine Mitschüler erzählten unterschiedliche Geschichten. Einige davon waren langweilig, bei anderen lief es mir kalt den Rücken hinunter und ich sah ab und zu über meine Schulter in die Dunkelheit. Vollgestopft mit Stockbrot, Marshmallows und anderen Köstlichkeiten begaben sich nahezu alle ins Bett oder zumindest in ihre Hütten. Am Ende saßen nur noch Jean, die beiden Lehrer, Reiner und Bertholdt am Feuer. Jedes „Pärchen“ auf einer anderen Bank. Reiner und Bertholdt konnte ich durch das Feuer hindurch kaum sehen und war mir sicher, dass es andersherum genauso war. Für den heutigen Abend hatte ich geplant, Jean zumindest anzudeuten, dass er nicht nur mein bester Freund war. Doch so lange die Lehrer dort saßen, konnte ich dahingehend nichts machen oder sagen, weil sich herausgestellt hatte, dass beide Lehrer ein erstaunlich gutes Gehör hatten. Just in den Moment, in dem mir dies alles durch den Kopf ging, standen sie auf, sagten „Gute Nacht“ und baten, das Feuer zu löschen, sobald wir gingen. Dann verschwanden sie Richtung Speisesaal, da sich dort ihre Schlafzimmer befanden. Nervös rieb ich mir die Hände, verknotete die Finger und sah ab und an zu Jean hinüber, um abzuschätzen, wann der richtige Zeitpunkt war Andeutungen zu machen. Allgemein fragte ich mich, was ich am besten sagen sollte. Frei heraus zu gestehen, dass ich ihn mehr mochte als bloß als besten Freund, fand ich zu drastisch. Das würde ihn schockieren und dazu veranlassen, eine Abwehrhaltung einzunehmen. Ich kam gar nicht dazu etwas zu sagen, denn Jean ergriff das Wort: „Glaubst du, Mikasa steht auf Eren?“ Das tötete meine Absicht komplett. Jetzt konnte ich es vergessen, ihm heute meine Gefühle zu gestehen. „Wie kommst du darauf?“ „Na sie hängt doch immer mit ihm herum. Und sie ist viel aufgeweckter, wenn er da ist. Ich habe wohl keine Chancen bei ihr.“ „Ich glaube auch, dass sie Eren vorzieht. Aber sie hat dich sowieso nicht verdient.“ „Was meinst du damit?“ „Meiner Meinung nach, sollte deine erste Beziehung mit jemandem sein, der dich respektiert und mit dir über Blödsinn lacht. Aber diese Person sollte auch liebenswert sein und dich darauf aufmerksam machen, wenn du etwas wirklich sehr falsch machst oder gerade in ein Fettnäpfchen getreten bist. Aber sie sollte dich nicht nur darauf hinweisen, sondern dir auf dabei helfen aus einer blöden Situation wieder herauszukommen, wenn es notwendig werden sollte. Du brauchst jemanden, der darauf aufpasst, dass du dich nicht daneben benimmst. Vermutlich gehörst du zu den wenigen Menschen, die zwar sagen und tun, was sie für richtig halten, aber auch sehr schnell darüber nachdenken, ob ihr Gegenüber mit ihren Argumenten Recht hat und du dich eventuell doch falsch verhalten hast. Wenn jemand mit dir zusammen ist, dann muss er dir sowohl den Rücken stärken, wenn du Recht hast, als auch dafür sorgen, dass du merkst, wenn du falsch liegst. Mikasa ist autark und würde über Leichen gehen, um Eren zum Sieg zu verhelfen, was aber im Widerspruch mit ihrem Ehrgeiz steht. Ich glaube, selbst wenn sie sich auf dich einlassen würde, würde sie dich sehr einengen und dir ihren Willen aufzwingen. Das hast du nicht nötig. Du hast einen tollen Charakter.“ „Lange Rede, kurzer Sinn: Ich brauche also jemand freundliches, der mich unterstützt und zurückpfeift?“ „Jepp.“ „Das ist eine Beschreibung von dir, mein Freund.“ „Zufall. Ich sage nur, was ich denke.“ „Hast du ein Auge auf jemanden geworfen?“ „Jepp.“ „Was?! Ehrlich?! Auf wen und wieso sagst du mir so etwas nicht?!“ Ich zuckte mit den Schultern und fühlte eine Gewisse Freude darüber, dass ich ihn schockiert hatte. „Es ist ein Geheimnis.“ „Dann beschreibe sie mir und ich rate, wer es ist.“ „Okay. Aber sei nicht zu schockiert, wenn du es herausbekommst. Meine Person ist nur ein bisschen kleiner als ich, hat ein großes Mundwerk und flucht sehr häufig. Außerdem ist sie ehrgeizig und manchmal unsensibel.“ „Du hast die weibliche Version von mir gefunden?“, fragte er und sah mich erstaunt an. „Ich bin wirklich fantastisch. War also klar, dass du mit jemandem zusammen sein willst, die so ist, wie dein bester Freund.“ „Nicht nur wie.“ Diese drei Worte hatten mich mehr Überwindung gekostet, als ich gedacht hatte und jetzt wünschte ich, ich hätte sie nicht ausgesprochen. Jean war schließlich nicht dumm, er würde genau wissen, was ich meinte. Ich sah ins Feuer und Jean tat es mir gleich. Peinliches Schweigen. Was sollte ich jetzt machen? Ich sah, wie Reiner und Bertholdt gingen. Bertholdt winkte, sah kurz zu Jean, versuchte mir irgendetwas damit zu sagen, dass er sich leicht auf beide Wangen klopfte und hielt dann die Daumen in die Höhe. Was auch immer er versuchte zu sagen, musste mit Jean zu tun haben, also warf ich ihm einen möglichst unauffälligen Blick zu. Er war knallrot geworden. Leider konnte ich mich nicht zurückhalten und fing an zu kichern. „Was ist?“, fragte Jean und sah mich beleidigt an. „Du bist rot wie eine Tomate und ich habe keine Ahnung, wieso ich das so lustig finde.“ „Erst wirfst du mir an den Kopf, dass du dich ich jemanden verguckt hast, dann, dass ich dieser jemand bin und jetzt lachst du mich aus?“ „Entschuldige. Ich weiß, dass ich keine Chancen bei dir habe, weil du schließlich ein Auge auf Mikasa geworfen hast, aber ich musste es einfach aussprechen. Wir können trotzdem befreundet sein oder?“ Als Antwort nuschelte er etwas, das ich nicht verstehen konnte, daher beugte ich mich etwas näher zu ihm und bat ihn, das noch einmal zu wiederholen. „Ich sagte: Wir können auch zusammen sein.“ Gegen Ende des Satzes wurde er wieder leiser, doch ich verstand trotzdem alles. „Und was ist mit Mikasa?“ „Was soll mit ihr sein. Deine Ansprache war eindeutig. Ich sollte ihr nicht hinterher laufen.“ „Aber wie kannst du mit mir zusammen sein, wenn du sie magst?“ „Kennst du es, wenn man glaubt, etwas tun oder sagen zu müssen, weil es einfach normaler erscheint? Ich hab nur mit Kerlen zu tun, die auf Weiber stehen. Es kam mir richtig vor, ihr hinterherzulaufen, als ich sah, wie hübsch sie ist. Aber ich pfeife darauf, was der Rest der Menschheit sagt. Du bist klasse und in meinem Magen hat immer irgendwas gebrodelt, wenn wir etwas zusammen gemacht haben.“ „Das ist keine schöne Beschreibung dafür, dass du mich auch magst.“ Er stimmte mir zu und wir lachten eine Weile. Dann entschlossen wir uns, das Lagerfeuer zu beenden und schlafen zu gehen. Da der See nicht weit war und ein Eimer in der Nähe stand, war es nur logisch, einen Eimer Wasser auf das Feuer zu gießen. In dieser Nacht war der Mond kaum zu sehen und ohne Feuer war es nahezu stockdunkel. Da nahm Jean meine Hand und zog mich in eine Richtung. „Keine Bange. Ich weiß, wo es langgeht. Vertrau mir einfach.“ „Wem sonst, wenn nicht dir?“ Vor der Tür unserer Hütte bekam ich tatsächlich einen Kuss auf die Wange und eine Ermahnung, niemandem davon zu erzählen, bis er es erlaubte. Mir war es gleich. Wichtig war nur, dass ich zu den glücklichsten Menschen der Welt gehörte und mir fest vornahm, Jean auch zu einem solchen zu machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)