On The Brink (Teil 1) von Lina_Kudo (Am Abgrund (Shinichi&Ran)) ================================================================================ Kapitel 2: Am Ende des Pfades ----------------------------- Kapitel 2: AM ENDE DES PFADES »Es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr länger auf dich warten ... Bitte verzeih mir.« Das durfte nicht wahr sein. Das war … unmöglich. Wie konnte das … Nein. Er realisierte nicht, was gerade passierte. Begriff absolut gar nichts. Sein sonst so messerscharfer Verstand war wie in Vakuum verpackt überhaupt zu nichts mehr im Stande. Zum ersten Mal in seinem Leben. Ran … Das schöne Gesicht schmerzverzerrt. Ihre Augen … weit aufgerissen und auf ihn gerichtet. Von drei Kugeln am Rücken getroffen. »Nein …«, flüsterte er entsetzt, reagierte erst, als sie dabei war, auf ihn draufzustürzen. Instinktiv streckte er seine Arme aus und fing sie auf. Dabei verlor er das Gleichgewicht und ließ sich rücklings nach hinten fallen. Unsanft landete er auf dem Rücken, konnte aber wenigstens ihre Landung abdämpfen. Ein weiterer Schuss war zu hören. Verdammt, warum konnte es nicht einfach aufhören? Warum konnte er nicht aufwachen? Nur, um festzustellen, dass das alles nur ein schrecklicher Albtraum war? Alarmiert suchten seine Augen den Übeltäter. Jemand hatte den Mann von hinten überwältigt, der vor Schreck die Kontrolle über sein Gewehr verloren und versehentlich einen weiteren Schuss zur Decke abgefeuert hatte. Derjenige, der ihn hinterrücks gefasst hatte, war Inspektor Takagi. Auch seine Partnerin, Inspektorin Sato, mischte sich ein und entwendete ihm geschickt die Waffe, als er noch zu perplex über den Angriff des männlichen Beamten war, um zu reagieren. Die jungen Polizisten waren rein zufällig am Ort gewesen. Sie waren nicht im Dienst und wollten sich eigentlich einen entspannten, freien Tag im Einkaufszentrum gönnen. Wer hätte auch mit so etwas Furchtbarem rechnen können? Während Takagi dabei war, ihm die Handschellen anzulegen, wandte die großgewachsene Polizistin sich kurz Conan und Ran zu. »Ruf bitte den Notarzt, Conan!«, rief sie ihm entgegen. Auch ihr Gesicht glich der einer verblassten Leiche. Zusehen zu müssen, wie Ran Opfer dieses Anschlags geworden war … Das schockte selbst sie als abgestumpfte Verbrechensbekämpferin. Doch was sie noch um einiges härter traf, war die Tatsache, dass sie unmittelbar vor Ort gewesen war und absolut nichts dagegen unternehmen hatte können. Sie hatten sich einfach nicht direkt am Tatort befunden, sondern waren erst eingetroffen, als die drei Schüsse Ran getroffen hatten. Doch sie hatte keine Zeit, in Selbstvorwürfen zu versinken, denn der Amokläufer begann, sich vehement gegen Takagi zu wehren und dabei sogar gewalttätig zu werden. Schnell eilte sie ihm zu Hilfe, bevor die Sache komplett aus den Fugen geraten konnte. Conan bekam von diesem rettenden Vorfall nur beschränkt etwas mit. Es reichte ihm, zu sehen, wie das Paar ihn umstellte und die Sache in den Griff bekam. Somit befanden sich alle in Sicherheit. Weitere Einzelheiten kümmerten ihn in Anbetracht der Situation herzlich wenig. In seinem Fokus stand etwas ganz anderes, für ihn weitaus Wertvolleres: Das Leben seiner Freundin. »Ran!«, rief er verzweifelt und legte sie vorsichtig auf seinen Schoß ab. Er kramte sein Handy aus der Hosentasche heraus und wählte die Nummer des Notrufs gemäß Satos Anordnung, obwohl sein Denkvermögen noch nicht derart benebelt war, um nicht auch ohne ihre Anweisung so zu handeln. Anschließend zog er sich seinen Anorak aus, hob Ran leicht hoch und legte seine Hand vorsichtig auf ihre Wunden mit Hilfe der Jacke, um ihre Blutung zu stoppen. Ran hielt mit aller Anstrengung ihre Augen auf und beobachtete den kleinen Jungen, so gut es ging. Wie schon so oft sah sie ihn in ihm. Selbst in diesem Moment erkannte sie es. Oder … erkannte sie es gerade jetzt erst so richtig … deutlich? Ein kurzer Schmerzenslaut verließ ihre Lippen. Ihr tat alles weh, allen voran die Schusswunden. Sie spürte, wie die warme Lebensflüssigkeit pochend aus ihnen heraustrat trotz Conans Bemühungen, die Blutung aufzuhalten. Ihr Körper wurde merklich schwächer. Das Atmen fiel ihr zunehmend schwer; sie kam nur noch stoßweise zu Luft; der Schmerz wurde langsam unerträglich. Sie kniff ihre Augen fest zusammen, als sie ein weiteres Mal leise keuchte. »Ran! Bitte halte durch, der Krankenwagen kommt jeden Moment! Ran!« Panisch schrie Conan auf seine Freundin ein, als ihre Augenlider bedenklich zu flattern begannen. Panik. Doch selbst dieses Wort konnte nicht annähernd beschreiben, was er gerade fühlte. Dieses schreckliche Gefühl füllte ihn mit solch einer Wucht aus, die er nie für möglich gehalten hatte. Schon oft war er in nervenaufreibenden Momenten gewesen und musste um das Leben vieler Menschen fürchten. Bereits mehr als genug in Anbetracht seines jungen Lebens. Doch das war nicht mit der Angst zu vergleichen, die ihn in diesem Moment überkam. Nicht einmal ansatzweise. Dieses explodierende Gefühl war ihm fremd. Er hatte immer die Kontrolle über seinen Verstand behalten können. Immer. In jeder Situation. Egal wie aussichtslos sie auch erschien. Doch jetzt sah es anders aus. Abermals öffnete Ran Millimeter für Millimeter ihre Augen. So weit es ging. »Es tut mir so leid, Conan. M– Mir ist so … kalt. Und ich … bin … so müde«, flüsterte die Siebzehnjährige schwach. Ein weiteres Mal fielen ihr die Augen zu. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals so müde gewesen zu sein. Sie wollte nur noch … schlafen. Doch sie war sich bewusst: Es war nicht die Müdigkeit, die sie überfiel. Es war der Tod. Der Tod höchstpersönlich. Und er fühlte sich … gar nicht so schlecht an. Die Schmerzen nahmen langsam ab. Stattdessen nahm die Kälte in ihr Platz. Spätestens jetzt hatte die Verzweiflung Conan endgültig eingenommen. In seinem Inneren machte sich eine eisige Kälte breit, die alles zu verschlingen drohte. »Ran! Nicht einschlafen! Du musst bei mir bleiben, bitte!«, brüllte er lautstark. Sie riss sich zusammen, ermahnte sich selbst, wach zu bleiben. Ihre Augen suchten seine. Und fanden sie schließlich in diesem unendlich strahlenden Blau. Er hatte so wunderschöne, perfekte Augen, die die absolute Vollkommenheit widerspiegelten. Sofort wurde ihr warm bei diesem Anblick, obwohl die Kälte sie nach und nach gänzlich auszufüllen drohte. Denn selbst seine vollkommenen Augen … Sie zeigten in diesem Moment nichts als … Trostlosigkeit. Es war, als fände in ihr ein erbitterter Machtkampf zwischen Leben und Tod statt. Doch am Ende würde der Tod gewinnen und sie mitnehmen. Es war zu spät. »C– Conan, mein Kleiner, bitte … sag allen, dass es mir leid tut, dass ich nicht mehr bei ihnen sein kann«, keuchte sie mit allerletzter Kraft. Tränen verließen ihre Augen. Ihr wurde bewusst, dass ihre Zeit nun gekommen war. Hier und jetzt würde sie ihr Leben hinter sich lassen. Es tat ihr unglaublich weh, nun alle ihre Lieben verlassen zu müssen. Auf diese schreckliche Art und Weise. Viel zu früh. Das Wissen, dass ihre Lieben ihren Tod niemals akzeptieren und schrecklich unglücklich werden würden … ließ sie nicht friedlich und unbeschwert aus dieser Welt scheiden. Unmöglich. Sie war noch nicht bereit, zu gehen. Doch diese Entscheidung lag nicht mehr in ihrer Hand. Doch eines … musste sie noch loswerden. Etwas, welches ihr mehr am Herzen lag als alles andere auf dieser Welt. »Und bitte sag auch … Shinichi, dass es mir leid tut, dass ich … nicht auf ihn warten konnte … Sag ihm bitte, dass … dass er mir bitte verzeihen soll.« Ein leiser Schluchzer entfuhr ihr. Nein. Bitte nicht. Conans Gesicht zog sich vor Qual zusammen. Er wollte es nicht einsehen oder geschweige denn sich damit abfinden. Niemals. Er wollte sich diese Situation noch nicht einmal vorstellen. Eine Welt ohne Ran … war für ihn keine Welt. Es war die Hölle auf Erden. Und noch viel schlimmer. Ohne Zweifel. Hier ging es nicht nur um ihr Leben, welches am seidenen Faden hing. Wenn an diesem Ort ihr Lebenslicht erlöschen würde, würde es auch unmittelbar sein Leben mit sich forttragen. Denn ihre Leben waren untrennbar miteinander verbunden und verknüpft. Das Leben des einen war ohne das Leben des anderen nichts mehr wert. Absolut gar nichts. »Hör endlich auf, so einen Stuss zu reden! Du wirst das schaffen; du musst kämpfen! Du musst durchhalten, bitte Ran!« Wut begann ihn zu übermannen. Er war nun an seine Grenzen angelangt. Sein rationales Denken war wie ausgelöscht. Überall herrschte nur noch gähnende Leere. So leer, dass er ohne zu überlegen mit dem Geheimnis herausplatzte, welches er schon so lange zu ihrem Schutz mit sich herumgetragen hatte: »Ich bin Shinichi! Ich war nie weg! Ich war die ganze Zeit bei dir! Bitte, verlass mich nicht, Ran!« Die Angesprochene weitete ungläubig ihre Augen. Sie konnte nicht beschreiben, was in ihr vorging. Es war … eigenartig. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen sollte oder nicht. Vor ihr drehte sich plötzlich alles, sodass sie nicht einmal mehr fähig war, klar zu denken. Der nahende Tod war dabei, auch den letzten Funken ihrer Denkfähigkeit zu beschlagnahmen. »D– Du bist …?«, hauchte sie kaum noch hörbar und schloss ihre Augen schluckend, während unaufhörlich weitere Tränen aus ihren Augenwinkeln flossen. Er war Shinichi. Conan war Shinichi. Keine einzige Sekunde verstrich, wo sie dieses Geständnis anzweifelte. Diesmal sagte er ihr wirklich die Wahrheit. Denn es würde sich keine andere Gelegenheit mehr ergeben. Nie wieder. »Also doch … « Noch mehr Tränen bahnten sich den Weg zu ihren Wangen, auf denen das sonst so warme Rosé vor wenigen Minuten Platz gemacht hatte für ein aschfahles, lebloses Weiß. Sie war nicht mehr dazu imstande, ihre Gefühle zuzuordnen. Aber … was sollte sie nun von dieser Tatsache halten? Warum musste erst so etwas Schreckliches passieren, bis er endlich mit der Sprache herausrückte? Wieso nur …? Conan strich zärtlich eine Haarsträhne aus ihrer Stirn. »Bitte halte durch. Du darfst nicht gehen. Du darfst mich nicht verlassen.« Sie hatte keine Zeit mehr. Das war ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um wütend auf ihn zu sein. Ihr rannte wortwörtlich die Zeit davon. Ihre Zeit. Sie wollte sich wenigstens würdig von ihm verabschieden. Und so blendete sie all ihre negativen Gedanken aus; sah nur noch das einzig Positive an dieser Sache. »Du warst also … die ganze Zeit … bei mir. Du … warst nie weg. Das … ist schön.« Sie atmete tief aus. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, weil ihr alleine das Reden schon sämtliche Lebensenergie raubte. »Ich … habe mich also doch nie getäuscht, weil ich … immer das Gefühl hatte, dass du … ganz in meiner Nähe sein könntest. Ich war … also nicht verrückt.« Zärtlich sah er ihr in die glänzenden Augen. »Bitte rede nicht mehr; das kostet dir viel zu viel Kraft. Ich werde dir bald alles erzählen. Versprochen.« Behutsam strich er über ihre Wange. Das sollte sie eigentlich beruhigen. Doch viel eher hätte er diese Beruhigung nötig gehabt. Die Oberschülerin sah ihn aus ihrem Tränenschleier hindurch an. Ihre Lippen formten ein trauriges Lächeln, bevor sie ein leichter Weinkrampf durchschüttelte. Wie gerne würde sie das noch erleben. Wie gerne würde sie die Wahrheit aus seinen Lippen hören. Wie gerne würde sie … Zeit mit ihm verbringen. Doch dazu würde es leider nie mehr kommen. Wenigstens konnte sie in seinen Armen sterben. Nie hätte sie gedacht, dass sich dieser Wunsch erfüllen könnte. Dieser insgeheime Wunsch, der ihr erst jetzt wirklich bewusst wurde. Zuvor hatte sie sich auch noch nie mit solch einer derartigen Szenerie auseinandergesetzt. Zwar hatte sie schon öfters Tote gesehen und sogar mit ihnen zu tun gehabt, doch nie hatte sie sich über ihren eigenen Tod Gedanken gemacht: Wie sie sterben könnte. Sie hatte diese Gedanken immer geschickt ausgeblendet … Und nun würde sie auch dazu keine Chance mehr haben. Die Kälte hatte inzwischen ihren ganzen Körper eingenommen und war kurz davor, bis zu ihrem Kopf durchzudringen. Sie wusste: Dann würde es vorbei sein. »Es tut mir leid, Shinichi. Aber es ist zu spät. Ich kann nicht mehr länger auf dich warten. Bitte verzeih mir«, raunte sie leise. »I– Ich liebe dich. Bitte vergiss das … niemals.« Und dann passierte es. Sie holte ein letztes Mal tief Luft und presste sie mit einem Mal aus ihren Lungen heraus. Es folgte kein weiterer Atemzug mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)