Sommerregen von Lina_Kudo (Natsu Ame (Shinichi&Ran)) ================================================================================ Kapitel 1: »Bedeute ich dir denn überhaupt etwas?« -------------------------------------------------- KAPITEL 1 »Bedeute ich dir denn überhaupt etwas?« raurig sah Ran zum Nachmittagshimmel empor. Trübe Wolken waren inmitten des unendlichen Blaus zu sehen. Wolken, die allmählich auch die mächtige Sonne verdeckten. Wolken, die immer dunkler und dichter wurden. Es ging so schnell, dass man ihnen sogar mit bloßem Auge dabei zusehen konnte, wie sie sich vermehrten. Offensichtlich würde sich bald der Regen ankündigen. Sie senkte ihren Blick und seufzte schwer. Gedankenverloren ließ sie ihren Blick zum Fluss wandern, der vor ihr strömte. Sie zog die Knie an ihren Körper und legte ihre Arme darum. Deprimiert stützte sie ihr Kinn auf die Knie und beobachtete das fließende Wasser. In letzter Zeit verbrachte sie viele Stunden hier. Hier fühlte sie sich einfach … wohl. Hier konnte sie ihre Gedanken und Gefühle baumeln lassen. Hier konnte sie für sich sein. Hier musste sie sich vor anderen nicht verstellen. Nicht so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Das war es nämlich ganz gewiss nicht. Geistesabwesend fixierte sie den Fluss. Der Fluss … Er war wie ein Fluss. Nie an einem Ort bleibend und immer wegfließend. Immer auf Zack; immer unterwegs. Stürmisch und ungeduldig. Einen Fluss konnte man nicht aufhalten, zu fließen. Unmöglich. Niemals würde er zum Stillstand kommen. Genauso unmöglich war es, ihn aufhalten zu wollen. Ihn zum Bleiben zu bewegen. Es würde ihn immer in die Ferne ziehen; egal, wie viel Mühe sie sich auch gab, ihn zu überreden, doch endlich zu Hause zu bleiben. Hier, bei ihr. Resigniert fuhr sie sich durch die Haare. Warum ... kannst du nicht wie ein stiller See sein? Mein See? Warum ausgerechnet ein Fluss? Warum … Shinichi? Sie war so tief in ihre Gedanken versunken, dass sie erst sehr spät bemerkte, dass sie Gesellschaft bekommen hatte. Eine kleine Taube war direkt neben ihr gelandet. Als sie Notiz von ihr nahm, brachte sie lediglich ein warmes Lächeln zu Stande. Wenn du schon der Fluss bist, dann wäre ich gerne ein Vogel. Dann könnte ich dir immer folgen, egal wo du auch hinfließen magst. Ich könnte mich so immer vergewissern, dass es dir gut geht und immer bei dir sein. Warum kann ich nicht einfach ein Vogel sein? Dass sie sich mit dem Vogel nicht in trauter Zweisamkeit befand, blieb ihr jedoch weiterhin verborgen. Ein kleiner Junge mit einer großen Brille und dunkelbraunen, zerzausten Haaren hatte sich direkt hinter einem Baum versteckt, der sich wiederum hinter ihr befand. Mit einem mindestens genauso deprimierenden Blick schaute er drein. Conan hatte gleich gemerkt, dass etwas nicht mit ihr stimmte, als sie behauptet hatte, sich am Nachmittag mit Sonoko zu treffen und angekündigt hatte, heute Abend nicht zu Hause zu essen. Sie war eine schlechte Lügnerin. Ihre Augen hatten etwas ganz Anderes ausgesagt als ihre Stimme, die sich bemüht hatte, eine gute Laune vorzutäuschen. Sie hatten ihm verraten, dass sie wieder an einem Tiefpunkt angelangt war. Es war wie ein stummer, verzweifelter Hilfeschrei gewesen, den nur er bemerkte. Und er hatte Recht behalten. Das war jedoch eine der wenigen Momente, wo er inständig gehofft hatte, nicht im Recht zu liegen. Eine der Fälle, wo er sich überhaupt nicht darüber freuen konnte und inständig gehofft hatte, sich zu irren. Er war kurz davor, selbst in Trauer zu versinken, doch riss sich gerade noch zusammen. Er musste jetzt für sie da sein! Als Conan konnte er sie nicht annähernd so trösten, wie er es mit seiner wahren Identität könnte. Außerdem würde sie sofort wieder ihre heile Fassade aufsetzen, um ihn nicht zu beunruhigen. Also lieber am Telefon, aber als er selbst, als persönlich, aber in einem falschen Körper. Mehr Möglichkeiten hatte er leider nicht. Durch dieses Vorhaben angetrieben zog er sein zweites Handy aus seiner Hosentasche. Er war weit genug entfernt, sodass sie ihn nicht doppelt hören würde. Eifrig stellte er auf dem Stimmentransposer seine eigene Stimme ein und tippte auf Ran, nachdem er sie auf dem Telefonbuch sofort gefunden hatte – schließlich stand sie ganz oben unter den »Favoriten«. Ran schrak hoch, als ihr Handy klingelte. Sie fischte es aus ihrer Handtasche heraus und sah auf dem Display ein Foto von Shinichi aufblinken. Ein mattes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, bevor sie auf den grünen Knopf tippte und den Hörer an ihr rechtes Ohr hielt. »Hallo Shinichi«, begrüßte sie ihn mit schwacher, aber dennoch erfreuter Stimme. »Schön, dass du dich auch mal wieder meldest.« »Tut mir leid; ich hatte viel um die Ohren gehabt. Wie geht es dir, Ran?« Er biss die Zähne zusammen und versuchte, so heiter wie möglich zu klingen. Alles andere wäre verdächtig gewesen. Doch er hatte nicht damit gerechnet, was jetzt kam. »Freunde vernachlässigt man nicht. Egal, wie viel man gerade um die Ohren hat. Ist ein kurzer Anruf oder eine kleine SMS alle paar Tage, die nur ein paar Minuten deiner wertvollen Zeit in Anspruch nehmen, schon zu viel verlangt?« Der hatte gesessen. Conan schluckte schwer und biss sich anschließend zerknirscht auf die Lippen. Sie war wirklich enttäuscht und verletzt. Mehr denn je. Und das war für ihn um ein Vielfaches schlimmer, als wenn sie lediglich sauer auf ihn gewesen wäre. Ihm wären sogar diverse Karateangriffe lieber gewesen als zu hören, wie enttäuscht sie von ihm war. Es kam so gut wie nie vor, dass sie am Telefon so offen darüber sprach, was sie von ihrer langjährigen Freundschaft erwartete. Klar machte sie ihm ab und zu Vorwürfe, warum er sich so lange nicht gemeldet hatte. Aber noch nie hatte sie auch nur ansatzweise ihre Freundschaft in Frage gestellt. Er wollte gerade ansetzen, um sich zu rechtfertigen, schloss seine Lippen jedoch seufzend wieder. Sie hatte ja Recht. Er war ein furchtbarer Freund. Dass Ran überhaupt noch an ihrer Freundschaft festhielt, grenzte an ein Wunder und war einfach an der Tatsache zurückzuführen, dass sie ein echter Engel war. Aber sie selbst war eben auch nichts anderes als ein Wunder. Ein wahrer Engel auf Erden. Und so sprach er die schlichtesten Worte aus, die er in diesem Moment am gerechtfertigsten hielt: »Es tut mir leid.« »Ist schon in Ordnung«, erwiderte sie prompt und sah zu Boden. »Sag mir lieber, wann du dich endlich mal wieder blicken lässt.« Abermals schluckte der geschrumpfte Oberschüler. Warum machte sie es ihm mit dieser Frage immer wieder unnötig schwerer als ohnehin schon? Es war doch auch sein sehnsüchtigster Wunsch, endlich wieder zu ihr zurückzukehren. Als Shinichi Kudo. Und jedes Mal, wenn sie ihn das fragte, zwang sie ihn gleichzeitig dazu, ihr eine herbe Enttäuschung zu bereiten. Auch, wenn er das weniger als alles andere wollte: Falsche Hoffnungen wollte er ihr allerdings noch weniger machen. Auf gar keinen Fall. Und so fiel seine Antwort genauso wie immer aus. »Das wird wohl noch eine Weile dauern. Ich kann hier einfach nicht weg; es tut mir sehr leid.« Verbittert biss sich Ran auf die Lippen. Das war ja vorherzusehen, und obwohl sie versucht hatte, keine Erwartungen zu stellen, tat ihr seine Antwort trotzdem jedes Mal auf‘s Neueste weh. Es war, als würde er immer wieder die alte Wunde mit einer scharfen Schwertklinge erneut aufreißen. Was ihr am meisten schmerzte: Dass es anscheinend nur sie war, der es etwas ausmachte, wenn sie sich so lange nicht sahen. Natürlich. Es hing doch auch allein von ihm ab, ob sie sich sahen oder nicht. Sie hatte überhaupt keinen Einfluss darauf. Leider. Sie fühlte sich so … schwach und hilflos. Wie schon so oft in letzter Zeit. Obwohl sie sich nie traute, darüber zu reden. Doch inzwischen hatte ihre Verzweiflung solche Ausmaße angenommen, dass sie sich nicht mehr länger zurückhalten konnte. »Sag mal Shinichi, wie viel liegt dir überhaupt noch an unserer Freundschaft?« Conan stockte der Atem. Es war, als würde er den Boden unter den Füßen verlieren. Entsetzt rief er in den Hörer die ersten Gedanken, die ihm entgegenschossen. »Wie kommst du denn jetzt darauf? Wie lange kennen wir uns nun schon? Natürlich liegt mir sehr viel an unserer Freundschaft; das weißt du doch!« Zeitgleich gestand er sich selbst jedoch ein: Eigentlich … ja nicht. Woher sollte sie das denn wissen? Er zeigte oder sagte ihr doch nie, wie viel sie ihm bedeutete. Er war ein Freund, der sich nie blicken ließ und sich nur telefonisch alle heiligen Zeiten einmal meldete. Kein Außenstehender würde unter solchen Umständen meinen, dass ihm Ran besonders wichtig war. Geschweige denn, dass er sie sogar mehr als alles andere auf dieser Welt liebte. Welch eine Ironie. Auf der anderen Seite wollte er es ihr aber auch nicht am Telefon von seinen Gefühlen berichten. Er wollte ihr dabei in die veilchenblauen Augen sehen, die er so sehr begehrte. »Warum kommst du dann nicht einfach? Du hast noch nie so lange für einen Fall gebraucht. Oder bist du inzwischen Agent geworden, der untertauchen muss? Weißt du … Ich weiß echt absolut nichts über dich zurzeit. Ich weiß nicht, wo du dich aufhältst; an was für Fälle du arbeitest; wie es dir wirklich geht, … Nichts. Weil du mir einfach nichts mehr erzählst! Es ist, als ob du mir nicht mehr vertraust. Dich von mir abschottest. Ich habe das Gefühl, dass wir uns immer mehr voneinander entfernen und uns zunehmend fremd werden. Und das macht mir Angst.« Während des Redens war sie in Tränen ausgebrochen. Lange hatte sie dagegen angekämpft, doch nun hatte sie den Kampf gegen diese übermächtige Kraft verloren. Schluchzend saß sie vor dem Fluss und weinte sich die Seele aus dem Leib. Und er war dafür verantwortlich. Er ganz allein. Er war doch wirklich das Letzte. Wie konnte er ihr nur immer wieder so etwas antun? Das hatte sie am wenigsten von allen Menschen auf dieser Welt verdient. Am allerwenigsten. »Ran … So ist das nicht, bitte glaub mir. Ich darf nicht über den Fall sprechen; weil er streng geheim ist. Ich darf nichts über ihn verraten, so lange er noch nicht abgeschlossen ist. Bitte … vertrau mir einfach und frage nicht nach. Ich bitte dich.« Seine sonst so besonnene Stimme hatte zu zittern begonnen. Auch er musste sehr mit sich selbst kämpfen. Am liebsten wäre er sofort zu ihr gerannt, hätte sie in den Arm genommen und ihr die gesamte Wahrheit offenbart. Gleichzeitig wäre das das Egoistischste, was er hätte tun können. Ihr sein Geheimnis zu verraten, damit vor allem er sich besser fühlen konnte, aber dafür Ran in Lebensgefahr bringen? Sie in diese gefährliche Sache mit hineinziehen? Nein. Das kam überhaupt nicht in Frage. Das war ein zu hoher Preis. Ein unbezahlbarer Preis, den er nicht bereit war zu zahlen. »Denkst du etwa, ich erzähle das weiter? Bei mir ist es gut aufgehoben. Ist es zu viel verlangt, erfahren zu wollen, an was mein Sandkastenfreund seit mittlerweile einem Jahr sitzt? Vielleicht können wir dir ja helfen. All die Polizisten und wir alle. Wir könnten dir doch unter die Arme greifen; mit vereinten Kräften könnten wir den Fall schneller lösen und du könntest endlich wieder heimkommen. Also spiel nicht weiter den Helden und versuch nicht, den Fall alleine zu lösen. Da du schon seit einem Jahr daran sitzt, beweist doch, dass du heillos damit überfordert bist!« In Rans Stimme war wieder ihre altbekannte Entschlossenheit herauszuhören. Das sah schlecht für ihn aus. Wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, ruhte sie nicht eher, bis sie die Sache erledigt hatte. Eine der zahllosen Charakterzüge an ihr, die er so sehr liebte. Doch in diesem Fall trieb sie ihn in den Wahnsinn. Denn so fiel es ihm nur noch viel schwerer, ihr weiterhin etwas vorzumachen. »Ich will dich nicht mit in diese Sache reinziehen. Ich muss das alleine schaffen. Bitte.« Eine Weile lang hörte er gar nichts. Es herrschte eine unheimliche Stille. Er lugte besorgt am Baum vorbei, wovor er stand. Sie saß immer noch regungslos dort. »Ran?« »Du steckst in Schwierigkeiten, hab ich Recht?« Verdammt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)