Painful Sunlights von Lina_Kudo (Schmerzhafte Sonnenstrahlen (Shinichi&Ran)) ================================================================================ Kapitel 1: Dunkelheit --------------------- Painful Sunlight Schmerzhafte Sonnenstrahlen Kapitel 1: DARKNESS Dunkelheit Die Sonne strahlt in ihrer vollen Pracht über dem wolkenlosen, hellblauen Himmel. Es herrschen angenehme, fast schon sommerliche Temperaturen. Viele nutzen das schöne Wetter aus; gehen draußen spazieren, machen einen Picknick, gehen Eis essen oder gar schwimmen. Genießen das warme Wetter in vollen Zügen. Von dieser Außenwelt bekomme ich jedoch nichts mehr mit. Das alles … erreicht mich nicht mehr. Immer noch starre ich mit ausdrucksloser Miene den Fernsehbildschirm an. Ich weiß nicht, wie lange ich bereits in dieser Position verharre. Ob es nun Sekunden, Minuten, Stunden oder gar Tage sind – ich kann es nicht sagen. Jegliches Zeitgefühl habe ich verloren. Doch das schwindende Zeitgefühl … ist wohl der Verlust, den ich gerade am ehesten verschmerzen kann. Der Monitor zeigt schon längst etwas Anderes an, und doch … sehe ich immer noch die Nachrichtenmeldung. Die Meldung, die mir den Boden unter den Füßen unwiderruflich weggerissen hat. Immer noch sehe ich dein Foto in Schwarz–Weiß. Umrahmt mit weißen Rosen. Und immer noch steht die Schlagzeile vor meinen Augen, die meinem Herzen ein Ende gesetzt hat: Trauer um Jungdetektiv Shinichi Kudo In dem Moment, als ich diese Zeilen gelesen habe, habe ich schlagartig aufgehört … zu existieren. Denn in einer Welt, in der du nicht lebst … kann ich nicht existieren. Unmöglich. Die Ran, die seit Stunden mit unbewegter Miene den Bildschirm anstarrt, ist nur noch eine jämmerliche, leere Hülle. Keine Wut oder Enttäuschung, dass ich, deine beste Freundin, so eine Nachricht über ein Fernsehgerät mitgeteilt bekommen musste. Keinen Schmerz, keine Trauer, keine Verzweiflung. Kein Verlangen, in Tränen auszubrechen, weil ich gerade erfahren habe, dass du, der wichtigste Mensch in meinem Leben, von mir gegangen bist. Diesmal für immer. Ich spüre … nichts davon. Einfach absolut gar nichts. Nicht einmal meine eigene Existenz. Alles, was bleibt, ist grenzenlose Leere. Leere, die alles zu verschlingen droht. Wie ein gigantisches Schwarzes Loch. Kurz, bevor es mich endgültig einsaugt, zeigt sich in mir plötzlich eine Regung. Vor meinem geistigen Auge eröffnet sich mir eine Szene … »Hör auf! Ich will nichts mehr hören! Ich kann das nicht mehr!« Ran saß auf ihrem Bett und hielt sich verzweifelt ihre Ohren zu. Gegen ihren Willen hatten sich wieder Tränen in ihren Augen gesammelt, die sich unaufhaltsam den Weg zu ihren Wangen bahnten. Weitere Laute, die aus ihrer Kehle kamen, waren nur noch verbitterte Schluchzer. Schuldbewusst starrte Shinichi auf den Boden. Er konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Ihre Tränen zu sehen mit der Gewissheit, dass er der Grund für sie war, war für ihn inzwischen unerträglich geworden. Viel zu viel und viel zu lange musste sie nun schon seinetwegen leiden. Dabei war sie die Letzte, die so etwas verdient hatte. »Bitte Ran, bitte mach es nicht schwerer, als es ohnehin schon für uns ist«, begann er mit leiser Stimme, nachdem er sich vor ihr gekniet hatte und sah über seine Wimpern zu ihr empor. »Es ist nur noch dieses eine Mal. Ich muss diesen Fall nur noch zu Ende bringen, und dann bin ich wieder da. Und dann werde ich auch bleiben. Ich gebe dir mein Wort darauf.« Ran öffnete ihre Augen und sah ihn mit tränenverschleiertem Blick an. »Das hast du mir schon einmal versprochen. Und danach musste ich zwei Jahre auf dich warten. Zwei verdammte Jahre, Shinichi! Und jetzt, wo du endlich zurück bist, muss ich erfahren, dass ich dich nach einem Tag schon wieder gehen lassen muss? Wer sagt mir, dass du nicht schon wieder jahrelang verschwindest?« Ihre Stimme wurde dabei immer höher und lauter. Neben der puren Verzweiflung mischte sich nun auch die unbändige Wut in ihre momentane Gefühlslage. Es war für sie schon schwer genug gewesen, Conan gehen zu lassen. Der kleine Grundschüler war zu seinen Eltern zurückgekehrt, und das war ja auch richtig so. Doch er war wie ihr kleiner Bruder gewesen, den sie nie hatte. Ihr kleiner Schatz. Er war ihre größte Stütze gewesen in der letzten Zeit. In der Zeit, die sie ohne Shinichi überstehen musste. Gestern war Shinichi wieder aufgetaucht. Aber nur, um ihr nun zu offenbaren, dass er wieder wegmusste? Nie hätte sie gedacht, dass glückselige Freude und zerreißendes Leid so nahe beieinander liegen konnten – und nun musste sie die Erfahrung am eigenen Leibe spüren. Sie war sich sicher: Ohne den kleinen Conan würde sie es nicht durchstehen. Nicht noch ein weiteres Mal. »So sehr ich dich auch verstehen kann: Es geht leider nicht anders. Dieser Fall … ich muss ihn einfach zu Ende lösen. Aber ich verspreche dir …« Ran ließ ihn jedoch nicht ausreden. Sie hatte es endgültig satt. Immer wieder Fälle, Fälle, Fälle. Dinge, die er ihr immer vorziehen würde. Immer. Immer würde sie bei ihm nur an zweiter Stelle stehen. Ein einziges Mal in ihrem Leben wollte sie egoistisch sein. Wollte sie über den Fällen stehen. Wollte sie mehr wiegen als alle Fälle zusammen. War das denn zu viel verlangt? »Wenn du jetzt gehst, dann bitte ich dich: Komm nicht wieder zurück.« Fassungslos starrte Shinichi in die glänzenden, lavendelblauen Augen seiner langjährigen Sandkastenfreundin. Er öffnete seinen Mund, um etwas darauf zu erwidern, doch seine Kehle war staubtrocken. Keinen einzigen Laut brachte er heraus. Der Schock über das gerade Gesagte saß noch viel zu tief. Lag in den verstecktesten Zellen seines Herzens. Niemals in seinem Leben hätte er damit gerechnet, dass Ran so einen vernichtenden Wunsch haben könnte … »Ich halte das nicht mehr länger aus. Ich werde daran zerbrechen, und das will ich nicht. Ich … muss beginnen, auch mal an mich selbst zu denken. Und ich weiß: Ich schaffe das nicht mehr. Ich kann mich nicht immer und immer wieder von dir verabschieden. Es ist … viel zu schmerzhaft. Mit jedem Abschied zerreißt du ein weiteres Stück meiner Seele und nimmst es mit dir fort.« Trotz ihrer immer heiser werdenden Stimme wirkte nun seltsam ruhig und gefasst. Sie schloss ihre Augen, trocknete die Tränen ab und holte tief Luft. »Ich bitte dich: Wenn du jetzt gehst, dann schenke mir meine komplette Seele zurück und bleib für immer weg.« »Ich … habe leider keine andere Wahl.« Ausdruckslos sah Ran in Shinichis Augen. Seine Augen verrieten keinerlei Gefühlsregung. Oder sie war einfach nur zu blind vor Schmerzen, um überhaupt irgendetwas zu erkennen. Es war wie ein Messerstich ins Herz. Nicht nur ein Stich – Abermillionen von Messer durchbohrten in diesem Moment ihr Herz. Er hatte sich entschieden. So wichtig konnte sie ihm wohl nicht sein. Instinktiv biss sie sich auf die Unterlippe. Allerspätestens jetzt durfte sie keine Schwäche mehr vor ihm zeigen. Auch sie besaß so etwas wie Stolz. Sie erhob sich vom Bett. »Dann geh jetzt bitte. Leb wohl, Shinichi.« Das sind meine letzten Worte an dich gewesen. Das ist unser letztes Treffen gewesen. Und so … sind wir auseinandergegangen. Das erste Mal, seit mich die Nachricht über deinen Tod ereilt hat, kommt Bewegung in mir. Meine rechte Hand ballt sich zu einer Faust zusammen. So fest, dass sich meine Fingernägel in die Haut meiner Hand bohren und eine rote, warme Flüssigkeit aus den Wunden austritt. Doch ich bemerke die Schmerzen nicht. Nichts davon. Bin wie betäubt. Denn dieser physische Schmerz kann es nicht einmal ansatzweise mit dem Schmerz aufnehmen, der sich gerade Stück für Stück in meinem Herzen ausbreitet und die Leere verscheucht. Mit einem Schlag realisiere ich es. Du bist tot. Ich habe dich verloren. Endgültig. Und meine letzten Worte waren Worte, die ich aus Wut und Verzweiflung gesagt habe. Worte, die dich sicherlich zutiefst getroffen haben. Worte, die in keinster Weise so gemeint gewesen sind, wie sie gesagt worden sind. Und ausgerechnet diese sind meine allerletzten Worte an dich gewesen. Ich spüre das heiße Brennen in den Augen. Ein Gefühl, mit dem ich mich in den letzten zwei Jahren sehr vertraut gemacht habe. Und dann … lasse ich los. Gebe mich vollends meiner Trauer hin. Meiner Trauer über den Verlust der großen Liebe meines Lebens … Den einen Menschen, den man mehr als alles andere liebt, zu verlieren, ist so, als würde man die eigene Seele verlieren. Als würde der Geist einen verlassen und mit dem geliebten Menschen für immer fortgehen. Alles, was übrig bleibt, ist eine leere Hülle ohne Aussicht auf Freude oder gar Glück … Kapitel 2: Abschied ------------------- Kapitel 2: FAREWELL Abschied Wieder ist es ein strahlender, sonniger Tag. Die Vögel zwitschern angeregt, sind zurückgekehrt von ihrer Reise in den Süden. Fröhlich sitzen sie auf den Ästen der Bäume, die inzwischen Blätter bekommen haben. Sie strahlen ein sattes Grün aus. Grün – die Farbe der Hoffnung. Wieder einmal gibt die Natur eine friedliche Atmosphäre. Eine Atmosphäre, die mein Inneres nicht wiedergeben kann. Eine Atmosphäre, die nicht im Geringsten zu dieser Versammlung passt. Alle sind gekommen. Alle Polizeipräsidenten, Kommissare und Inspektoren, mit denen wir in der Vergangenheit mehr oder weniger Bekanntschaft gemacht haben. Die Beamten vom FBI. Heiji und Kazuha. Deren Eltern. Sonoko, ihre gesamte Familie und auch Makoto. Der Professor und die Kinder. Ohne Conan. Meine Mutter und mein Vater. Und auch … deine Eltern. Yusaku und Yukiko Kudo. Sie sind von den Staaten angereist. Das ist auch das Mindeste, was sie tun können. Schließlich wollen auch sie … ihrem Sohn die letzte Ehre erweisen. Mit apathischem Blick starre ich auf den Sarg, der vor uns liegt. Er ist groß und besitzt ein klares Weiß. Weiß wie die Unschuld. Weiß wie die unbefleckte Wahrheit. Wie … passend. Wunderschön ist es verziert worden mit verschiedensten Blumen. Ein Bild des Friedens. Doch für mich ist das kein Trost. In keinster Weise. Ich habe den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren. Nichts auf dieser Welt kann mich noch trösten. Keine wertvollen Dinge. Keine aufmunternden Worte. Keine liebevollen Gesten. Nichts. Gar nichts. In mir ist es trist und dunkel. Nichts hat sich geändert, seit mich die Nachricht über dein Ableben ereilt hat. Ich weiß nicht, wie lange ich bereits in diesem Zustand bin. Es ist, als würde ich nur noch dahinvegetieren. Dahinvegetieren und auf meinen eigenen Tod warten. Ich sehe keinen Sinn mehr. Keinen Sinn mehr, zu leben. Doch momentan fehlt mir sogar die Kraft zu sterben. Meinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Eine Hand drückt meine. Ich bekomme es nur schemenhaft mit. Stück für Stück drehe ich mein Gesicht zur Seite. Sehe direkt in die blauen Augen. Die blauen Augen, die die gleiche Farbe aufweisen wie deine Augen. Augen, die sich abermals mit Tränen füllen. Die Augen von Yukiko Kudo. »Es tut mir so leid, Ran. Ich weiß, wie schwer es für dich sein muss. Auch wir haben unseren einzigen Sohn verloren. Aber bitte … Verzeih ihm. Verzeih ihm, was er dir angetan hat. Damit er seinen Frieden findet. Denn glaub mir: Dich hat er mehr geliebt als alles andere auf dieser Welt.« Normalerweise wäre ich knallrot geworden. Wäre aufgesprungen vor Freude und Glück. Doch in Anbetracht der Situation … reichen diese Worte nicht einmal für einen schwachen Trost. Im Gegenteil: In mir keimt Reue auf. Grenzenlose Reue. Ich kann dir nicht verzeihen. Es gibt nichts, was ich dir verzeihen muss. Du hast nichts getan; dir rein gar nichts zu Schulden kommen lassen. Diejenige, die um Vergebung bitten sollte, bin ich. Ich und sonst niemand. Doch meine Entschuldigung wird dich niemals mehr erreichen. Es war viel zu spät. Ich schließe meine Augen und denke unwillkürlich an deine letzten Worte zurück. Sichtlich niedergeschlagen erhob sich Shinichi und ging schweren Schrittes durch Rans Zimmer. Er blieb direkt vor der Tür stehen, legte seine Hand auf die Klinke und verharrte in dieser Position. Er rührte sich nicht vom Fleck. Ran stand noch vor ihrem Bett und hatte die Arme um sich gelegt. Mit aller Kraft versuchte sie, ihre Fassung zu wahren und sah ungeduldig zu ihm rüber, wie er sich nicht von der Stelle bewegte. Warum ging er nicht endlich? Sie wollte nicht ein weiteres Mal vor ihm in Tränen ausbrechen. Sie wollte nicht mehr schwach sein. Sie wollte das einfach nicht mehr! Warum konnte er nicht endlich gehen und sie in Frieden lassen? Der Detektiv drehte seinen Kopf leicht zur Seite, sah sie aber nicht an. »Ich komme zurück. Ich werde zurückkommen und dich zurückerobern. Und wenn es das Letzte ist, was ich tun werde, bevor ich sterbe. Verlass dich drauf.« Das waren deine letzten Worte gewesen, bevor du aus meiner Zimmertür gegangen und somit aus meinem Leben verschwunden bist. Für immer … Wieder hast du ein Versprechen nicht halten können. Du bist gestorben, bevor du zu mir zurückkehren konntest. Doch ich kann dir keinen Vorwurf machen. Ich habe nicht das Privileg dazu. Und ich möchte es auch gar nicht. Mit zitternder Hand eine weiße Rose haltend, stehe ich nun direkt vor deinem Sarg. Nun bin ich an der Reihe, dir ›Lebe wohl‹ zu sagen. Zum zweiten Mal. Es ist mein letzter Wunsch an dich gewesen. Dass du verschwinden sollst aus meinem Leben. Aber ich habe es nie so gemeint. Nie auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Aber das wirst du nun niemals erfahren. Ich werde nie mehr die Chance dazu haben, es dir zu erklären. Du bist mit dem falschen Wissen, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben wollte, von dieser Welt gegangen. Diese Erkenntnis trifft mich plötzlich wie ein Schlag. Nein … ich schaffe das nicht. Ich kann mich nicht von dir verabschieden. Unmöglich. Achtlos lasse ich die Rose fallen. Mir dreht sich der Magen um. Vor mir verschwimmt alles. Alles wird schwarz. Ich sacke zusammen. Ignoriere den Schmerz meiner Beine, der durch den Aufprall am harten Asphalt verursacht worden ist. Verzweifelt lege ich meine Arme auf den Sarg. »Du bist nicht tot. Du bist nicht tot! Komm zurück! Komm zu mir zurück! Du hast es mir versprochen, Shinichi!« Ich winsele kreischend und schlage meinen Kopf hart gegen den Sarg. Tränen verlassen unaufhaltsam meine Augenwinkel. Es ist mir egal. Egal, was die Anwesenden von mir denken. Egal, wenn sie mich für verrückt oder wahnsinnig halten. Total egal! Nichts macht mehr einen Sinn auf dieser gottverdammten Welt! Eine Welt, auf der du nicht mehr existiert, ist keine Welt. Es ist meine persönliche Hölle. Mein Untergang. Ich spüre, wie mehrere Hände mich umschlingen und mich von dir wegzerren wollen. Ich kralle mich verzweifelt an den Sarg fest. Ich möchte nicht gehen. Warum wollen sie mich von dir wegziehen? Ich will bei dir bleiben! Warum können sie das nicht verstehen? Dichte Stimmen dringen in meine Ohren, doch ich verstehe die gesprochenen Worte nicht. Ich will sie auch gar nicht verstehen. Es sind doch immer dieselben Worte, die ich schon seit geraumer Zeit höre. Immer dieses Beileid. Diese leeren Tröstungen. Sie alle sind nutzlos. Überflüssig. Denn sie werden dich mir auch nicht mehr zurückgeben. Nichts wird dich mir zurückgeben können. Meine Kraft verlässt mich. Ich habe nicht mehr die Energie, mich noch länger zu wehren. Wann habe ich das letzte Mal richtig Energie geschöpft? Wann habe ich das letzte Mal richtig bewusst etwas zu mir genommen? Ohne dass mich jemand dazu gezwungen hat, das Essen herunterzuwürgen? Ich habe immer nur das Nötigste gegessen und getrunken, um am Leben erhalten zu bleiben. Aber eigentlich möchte ich das gar nicht mehr. Am Leben bleiben. Seit deinem Tod hat der Begriff ›Leben‹ für mich eine ganz andere Bedeutung. ›Leben‹ setze ich nun mit ›Tortur‹, ›Schmerz‹, ›Leid‹ und ›Qual‹ gleich. Mehr ist es nicht mehr wert. Deswegen habe ich mich bereits entschieden. Ich werde dir folgen. Schon sehr bald. Auch, wenn ich ganz genau weiß, dass du das nicht wollen würdest. Ich habe keine andere Wahl. Ohne dich ist ein Leben für mich undenkbar. Ich spüre nur noch, wie Paps mich in seine Arme nimmt. Wo normalerweise Wärme gewesen wäre, finde ich nur Frost. Mein Herz und meine Seele haben ihre Türen für immer versiegelt. Nie wieder wird ein positives Gefühl wieder in mich eindringen können. Ich bin unfähig, herzerwärmende Gefühle zu empfangen. Erschöpft schaue ich hoch und erkenne … dich. »Shinichi …« Das ist das erste Wort gewesen, was ich gesprochen habe, seit ich von deinem Tod erfahren habe. Das erste Wort seit einer ganzen Woche. Sofort spüre ich, wie ich wacher werde; wie ich aus meinem tranceartigen Zustand aufwache. Du stehst da; in einem schwarzen Anzug. Oder … kann das sein? Wie kannst du auf deiner eigenen Beerdigung sein? Das ist doch unmöglich. Meine Sinne sind so vernebelt, dass ich überhaupt nicht mehr deuten kann, ob du das bist oder nicht. Die mir irgendwie so bekannte Gestalt geht auf mich zu und sieht mich mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck an. Er beugt sich zu mir runter. Mein Herz bleibt stehen. Du bist es nicht. Wie könntest du das auch sein … Mit trauriger Miene sieht mich der Fremde an, während er vorsichtig seine Hand auf meine Schulter legt. »Ich bin Kaito. Es tut mir so leid.« Tief hole ich Luft und schließe meine Augen. Nun bin ich mittlerweile schon so geschwächt, dass ich mich nicht einmal mehr auf meine Sinne verlassen kann. Sie haben mich mitsamt meiner Seele mit dir verlassen. Trotzdem … sitzt der Schock tief. Vorher diesen kurzen Moment der Hoffnung zu erleben und dann … wieder auf dem harten Boden der Realität zu landen, fühlt sich wie ein Schlag in die Magengrube an. Mir wird schlecht. Ich kann nicht mehr. Meine Kraft in den Beinen lässt nach; ich sacke zusammen und lasse mich einfach fallen. Zu fallen ist immer schwer. Doch immer und immer wieder fallen zu müssen in ein immer tiefer werdendes Loch … das zerstört früher oder später selbst die mächtigste Seele. Kapitel 3: Hoffnung ------------------- Kapitel 3: HOPE Hoffnung Nasse Regentropfen prasseln unaufhaltsam auf mich herab. Heute regnet es schon den ganzen Tag. Ausgerechnet heute kommt der Regen. Dabei ist heute eigentlich ein schöner Tag. Ironischerweise. Denn ich habe mich dazu entschlossen, an dem heutigen Tag meinem tristen Dasein ein Ende zu setzen. Ich blicke meinem Ende positiv entgegen. Denn im Tod besteht eine Möglichkeit, die ich im Leben niemals finden werde: Die Möglichkeit, wieder an deiner Seite sein zu dürfen. Zwar wirst du sicherlich nicht erfreut sein, du als Moralapostel. Doch das nehme ich in Kauf. Ich nehme absolut alles in Kauf, um dich wiedersehen zu können. Inzwischen bin ich komplett durchnässt, doch das bekomme ich nicht mit. Ich sehe nur den großen Grabstein aus Marmor vor mir. Shinichi Kudo * 04.05.1988 + 26.04.2007 Zwei Wochen sind nun seit deiner Beerdigung vergangen. Seitdem bin ich jeden Tag für einige Stunden vor deinem Grab gesessen. Ich habe alles vorbereitet. Habe mich so gut es geht von meiner Familie und meinen Freunden verabschiedet, ohne dass sie etwas von meinem Vorhaben bemerken. Natürlich schmerzt es, zu wissen, dass ich nun alle hinter mir lasse und ihnen so ein Leid zufüge. Aber sie werden damit zurechtkommen. Irgendwann werden sie die Trauer hinter sich lassen können. Irgendwann werden sie über mich hinwegkommen. Anders als ich. Ich werde dich niemals hinter mir lassen können. Ich sehe keinen anderen Weg. Es geht einfach nicht anders. Das allzu bekannte Brennen in den Augen lässt mich blinzeln. Vereinzelte Tränen verlassen meine Augen, die jedoch sofort von dem Regen weggespült werden. Was für ein befreiendes Gefühl. Mit zitternden Händen umklammere ich die kleine Dose mit den Schlaftabletten, die sich in meiner Manteltasche befindet. Ich werde bei dir sein. Neben dir einschlafen. Für immer. Plötzlich umschlingen mich zwei Arme von hinten. Schockiert reiße ich die Augen auf. Mit einem Schlag durchströmt mich die Wärme. Die Wärme, die ich vergessen geglaubt habe. Die Wärme, die ich für immer verloren geglaubt habe. Mit einem Mal ist sie wieder da. Und dann … »Ran, was machst du nur für Sachen! Lass uns sofort nach Hause gehen; du holst dir sonst noch den Tod!« Das kann nicht sein. Wie ist das möglich? Du liegst gerade friedlich in einem Sarg, direkt unter dem Grabstein vor mir. Mausetot. Du kannst das nicht sein. Das kann nicht deine Stimme sein. Aber warum … Warum merke ich dann das erste Mal seit deiner Todesmeldung, dass mein Herz wieder anfängt zu schlagen? Sanft, aber dennoch bestimmt packen mich die Hände an den Schultern und drehen mich nach hinten. Ich sehe direkt in ein tiefes Saphirblau. Deine Augen. Diese Augen würde ich immer und überall wiedererkennen. Ohne Zweifel. Wie gelähmt bin ich nur noch dazu fähig, dich ungläubig und stumm anzustarren. Du bist von oben bis unten durchnässt; deine dunkelbraunen Haare kleben dir an der Stirn. Es scheint dir jedoch egal zu sein. Deine Augen verraten Sorge, Verzweiflung und auch Hoffnung. Deutlich spüre ich, wie allein dieser Anblick mir in Sekundenbruchteilen meine Seele wieder einhaucht. Durch dieses Bild sauge ich Stück für Stück immer mehr Leben in mich hinein. Schlagartig beginnt mein Verstand zu arbeiten. Wie kann das sein? Wie kannst du nur so lebendig vor mir stehen? »Es musste sein. Es war der einzige Weg, diesen ominösen Fall zu Ende zu bringen. Durch meinen inszenierten Tod hat sich die Organisation sicher gefühlt und wurde nachlässig. Und das war meine Chance gewesen, um erfolgreich zuzuschlagen. Der Fall ist nun endgültig gelöst.« Deine Stimme klingt ruhig und sachlich, während du mir davon berichtest. So wie immer. »Es tut mir sehr leid, dass ich dir und allen anderen wieder solches Leid zufügen musste. Es war niemand eingeweiht. Ich musste es alleine schaffen. Sonst wärt ihr alle auch auf die Schusslinie dieser Gestalten gelandet, und vor allem bei dir konnte ich das nicht zulassen. Außerdem sind auch sie anwesend gewesen auf dieser Beerdigung. Hätte irgendjemand gewusst, dass es nur eine Scheinbeerdigung war, hätten sie das sofort gemerkt. Es tut mir so leid … Verzeih mir bitte. Es wird das letzte Mal gewesen sein, dass du so derart wegen mir leiden musstest.« Sanft legst du deine Hand auf meinen Kopf und drückst mich an deine starke Brust. Geborgenheit ergreift mich; nimmt mich mit. Ein unbeschreibliches Gefühl durchströmt mich. Ich spüre förmlich, wie alles in mir zu neuem Leben erwacht. Doch trotzdem kann ich es nicht so richtig erfassen. Ist das wirklich real? Passiert das wirklich oder bin ich inzwischen schon wahnsinnig geworden? Was ist, wenn ich mir das alles nur einbilde? Vielleicht habe ich ja tatsächlich meinen Verstand verloren? Das wäre auf jeden Fall naheliegender als die Geschichte, die du mir gerade erzählt hast. Sofort kralle ich mich panisch an dich fest. »Sag mir bitte, dass das kein Traum ist!« Was ist, wenn ich jetzt wirklich aufwache und erkennen muss, dass es sich nur um einen Traum gehandelt hat? Wenn dem so ist, dann bin ich mir sicher: Selbst der Tod wird mich nicht von all meinen Qualen erlösen können. Die seelischen Wunden, wenn ich denn überhaupt noch eine Seele habe, werden zu tief sein. Diese Wunden werde ich mit ins Grab nehmen. Diese düstere Vorstellung trifft mich so hart, dass ich abermals in Tränen ausbreche. Ich merke, wie ich wild geschüttelt werde und öffne mit größter Mühe meine Augen. Sehe in dein wunderschönes Gesicht, das mich mit tiefer Verzweiflung anstarrt. »Es ist kein Traum. Ich bin hier. Ich bin hier und gehe auch nie wieder weg!« Es ist viel zu schön, um wahr zu sein. Meine Stimme ist so leise und heiser, dass ich sie selbst kaum verstehen kann. »Bitte lüg mich nicht wieder an. Ich stehe das nicht mehr durch. Nicht einmal mehr im Tod.« Tief getroffen starrst du mich an. Selten hast du so einen Gesichtsausdruck. Normalerweise bist du immer gefasst und nie überrascht. Aber nun steht dir die unerwartete Betroffenheit wie ins Gesicht geschrieben. Es gefällt mir nicht. Dich so traurig und schockiert zu sehen. Bitte lächle doch wieder. Für mich … »Es ist kein Traum. Ich habe dir versprochen, zurückzukommen und dich zurückzuerobern: Hier bin ich. Es tut mir so leid, dass ich dir immer wieder solches Leid zufügen musste. Aber ich bin da. Und ich werde den Rest meines Lebens alles versuchen, um meine Fehler wiedergutzumachen. Bitte gib mir die Chance, dich bis ans Ende unserer Tage glücklich zu machen.« Ich sehe dich an. Der Glanz in meinen Augen ist mittlerweile vollständig zurückgekehrt. Ich sehe plötzlich wieder klar und deutlich. Der Nebel, der die letzten Wochen ständig um mich herum war, ist wie weggeblasen. Ich bringe vor Erstaunen nur zwei Wörter heraus. »K– Kein Traum?« Du lächelst mich an mit deinem wärmsten Lächeln. Ein offenes, liebevolles Lächeln, das deine Augen erreicht. Ich liebe dieses Lächeln. »Kein Traum.« Überwältigt von meinen Gefühlen falle ich dir in die Arme. In mir herrschen gerade Explosionen von Gefühlen. Erleichterung, Glück und Liebe. Ich fühle mich gerade so glücklich, dass ich sofort sterben könnte vor Glück. Du legst schützend sofort deine Arme fest um mich. Was für ein wunderbares Gefühl … Das schönste Gefühl, das es für mich gibt. »Tu das nie wieder. Nie wieder, hast du gehört? Und lass mich nie wieder alleine!« Du siehst mich wieder mit zärtlichen Augen an. Legst vorsichtig deine Finger auf meine Lippen. »Ich bleibe bei dir. Diesmal für immer.« Wenige Augenblicke später spüre ich den süßen Geschmack deiner Lippen auf meinen. Endlich … Manchmal meint es das Leben doch gut mit einem. Vor allem, wenn man es verdient hat. Auch, wenn es viele harte Schicksalsschläge austeilt, sollte man niemals die Hoffnung aufgeben. Irgendwann wird man dafür entschädigt, dass man so viel Leid ertragen musste. Das Glück kommt irgendwann – man muss nur die Geduld aufbringen können, so lange zu warten. Doch es wird sich lohnen. Und man sollte, zu verzeihen. Das Leben ist viel zu wertvoll und kurz, um nachtragend zu sein. Irgendwann wird es zu spät sein, um jemanden zu verzeihen. Alles, was einem dann noch übrig bleibst, ist ewige Reue. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)