Hilf mir fliegen von Asmodina ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Seine Augenlider wogen unendlich schwer als er sie langsam öffnete. Die langen schwarzen Haare waren zerzaust und standen wirr um seinen Kopf. „Wo bin ich? Was ist passiert?“ Selbst seine Stimme klang sonderbar fremd, als würde sie nicht ihm gehören. So sehr Bill sich auch bemühte, sein Gehirn weigerte sich, ihm Zugang zu der Erinnerung zu gewähren. Fast schien es, als wären die Ereignisse vor der Ohnmacht regelrecht ausgelöscht worden. Zurück geblieben war nur ein tiefer, grauer Nebel. „Endlich bist du aufgewacht“, riss eine liebliche Stimme ihn aus seinen Grübeleien. Bill schreckte zusammen. Sein Herz blieb fast stehen; wer konnte das sein? Die kuriosesten Schrecksbilder jagten durch seinen Kopf, und erst, als ihm eine sanfte Hand über die Wange strich, beruhigte er sich ein wenig. Beinahe verstohlen betrachtete der Schwarzhaarige sein Gegenüber und mit jedem Augenblick weiteten sich seine schwarz umrandeten Augen: Lange, blonde Haare, welche fast bis zum Boden reichten, ein schlanker Leib, welcher von einem langen, weißen Kleid bedeckt war. Ein ovales, weiches Gesicht und perlmuttfarbene Lippen vervollständigten das Erscheinungsbild. Bill erstarrte; so etwas Schönes hatte er noch nie gesehen. Wie viel von dem was er hier sah war überhaupt real? „Wer bist du? Und wo bin ich hier?“, fragte der Sänger und versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Auch wenn er eine sonderbare Vertrautheit zu diesem Wesen (die Bezeichnung „Mensch“ wirkte mehr als unpassend) empfand, so siegte noch die Verwirrung. Doch anstatt seine Fragen zu beantworten lächelte das Wesen ihn nur an. Jede noch so winzige Bewegung ihrer Lippen war so rein und voller Güte, wie sie einem Menschen niemals innewohnen konnte, weil Seele, Herz und Verstand zu verdorben dafür waren. Wie in Trance spürte Bill, wie ein zarter Windhauch über sein Gesicht strich, obwohl sie in einem geschlossenen Raum waren. „Ich bin Noelle“, erwiderte sie und reichte dem Sänger formell die Hand, „und wie dieser Ort heißt; ist es denn so wichtig?“ Leicht irritiert schüttelte Bill den Kopf; mit einem Mal erschien ihm diese Frage auch mehr als überflüssig, wenn nicht sogar ein wenig dekadent. Es war eine unleugbare Tatsache, dass er, Bill Kaulitz, sich zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, entspannt, gelöst und vor allem frei fühlte. Der an Nerven und Körper zerrende Arbeitsstress, der andauernde Termindruck und die kreischenden, hysterischen Fangirls, welche ihm nicht selten die Luft abschnürten… Natürlich war Bill glücklich darüber, seinen Traum leben zu können und er genoss es auch, doch manchmal kam dieses Gefühl, als würde es ihnen von ihnen zerfressen. „Hier, trink das“, Noelle reichte ihm einen hölzernen Becher mit einer violetten Flüssigkeit darin. Der Sänger zögerte und blickte unsicher in ihre seltsamen Augen; sollte er es wirklich trinken? „Es ist Holundersaft“, entgegnete sein Gegenüber ohne eine Spur von Zorn, „trinke nur!“ Bill grinste verlegen und setzte den Becher an seine Lippen; wie konnte er nur glauben, dass dieses Wesen, welches nicht von der menschlichen Welt zu sein schien, ihm etwas antun würde? Noelle hatte nicht zuviel versprochen, der Saft schmeckte köstlich und schien die Sinne regelrecht zu beleben. „Komm“, sagte sie und griff ohne die geringste Scheu nach seiner Hand, welche sich verschwitzt anfühlte. Etwas in seinem Inneren warnte Bill, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging und dass er sich vorsehen sollte, zumal dieses Mädchen ihm immer noch nicht verraten hatte, wo er sich befand. Für die normale Welt wirkte hier alles zu fremd, zu bunt, zu hell… „Ich werde dir etwas zeigen, das deine Fragen beantworten wird“, holte Noelle ihn in die Wirklichkeit zurück. Bill erschrak; konnte sie Gedanken lesen? Er wehrte sich jedoch nicht. Die liebliche Stimme seines Gegenübers und ihre gesamte Erscheinung hatten nicht nur etwas Beruhigendes, Sanftes, es ließ ihn gleichzeitig zittern wie die silbernen Saiten einer Harfe. Gemeinsam verließen sie das Haus und der Sänger kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: Der Himmel war in ein kräftiges Pink gehüllt, das sich wie ein Edelstein in den verschneiten Bergen am Horizont widerspiegelte. Die zahllosen Bäume, welche den Wegrand säumten, trugen goldene Blätter, welche im Sonnenlicht funkelten. Beeindruckt griff Bill danach, seine zarte Hand strich behutsam über die Adern und ihm war, als würde eine liebliche Melodie aus ihnen erklingen. Jene wurde von zarten Vogelstimmen begleitet, welche auf dem Ästen Platz genommen hatten. ‚So etwas kann es in der realen Welt nicht geben’, schoss es ihm durch den Kopf, während er sich ins Gras kniete, um sein Gesicht im glasklaren Wasser eines Sees zu betrachten. Alles schien wie immer, jedoch war die Leblosigkeit aus seinen Gesichtszügen verschwunden; wie war das möglich? Bill wandte sich zu seiner Begleiterin, in seinen Augen standen so viele Fragen, welche nach Antworten verlangen. Doch Noelle schüttelte kaum merklich den Kopf; eine starke Wehmut lag in ihrem Blick und sie kämpfte mühsam gegen die Tränen. Ehe Bill nach dem Grund fragen konnte packte das Mädchen seine Hand und zerrte ihn regelrecht zu einer kleinen Brücke. Jene war leicht gebogen und mit einem altmodischen Geländer verziert, umgeben von einer malerischen grünen Aue. Auch nahm das Wasser, das vorher im See sehr ruhig gewesen war, eine geradezu aggressive Strömung an. Wohin diese Brücke führte konnte niemand sehen. Es schien, als würde der Pfad im Nichts verschwinden… Plötzlich war die Luft von einem sanften Gegenspiel erfüllt. Fassungslos blickte Bill zu Noelle; auch sie veränderte sich: Ein starker Wind zerwühlte ihr Haar und aus ihrem Rücken wuchsen große, weiße Flügel, welche einen leichten Silberschimmer trugen. „Ein Engel…“, flüsterte der Sänger und seine Beine wurden weich. Diese nickte: „Ja, du befindest dich in der Welt zwischen Leben und Tod. Ich brachte dich hierher, um dich zu heilen. Ansonsten hätte dein Körper innerhalb der nächsten Wochen aufgegeben. Das konnte ich einfach nicht zulassen. Aber jetzt ist es an der Zeit, zurückzukehren. Tom, deine Familie und deine Fans; sie brauchen dich!“ Bill schaute zu Boden; er wusste, dass Noelle recht hatte. Doch der Abschied schmerzte wie ein stechendes Messer im Herzen, welches das Innere vollkommen taub werden ließ. So wie das Gefühl beim Schreiben von sehr melancholischen Liedtexten… Und das, obwohl er das Mädchen erst seit kurzer Zeit kannte. „Leih mir deine Flügel“, hauchte er verzweifelt, während die Tränen über seine Wangen liefen und zog Noelle in seine Arme. Die Federn lagen angenehm in seinen Händen. „Du besitzt auch Flügel, Bill, noch prächtiger als meine. Schau in dein Herz und du wirst sie finden!“ „Warum hast du mir geholfen?“, fragte Bill verzweifelt; die letzten Minuten verstrichen viel zu schnell. Eine Träne löste sich aus Noelles Augenwinkel, ehe sie antwortete: „Ich habe dich schon geliebt, als ich noch ein Mensch war. Und der Tod hat diesen Gefühlen keinen Abbruch getan!“ Bevor Bill reagieren konnte, presste sie ihre Lippen auf seine und ein leidenschaftlicher Kuss entfachte. „Bill… Bill… wach auf“ Die besorgte Stimme seines Zwillingsbruders drang an sein Ohr. Nur schwer öffneten sich seine Lider: „Tom, was ist passiert? Au… mein Kopf!“ „Du hattest auf der Bühne einen Schwächeanfall und bist zusammengeklappt.“ Tom setzte sich auf einen Stuhl und musterte ihn. „Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“ Mit Schwung erhob Bill sich und seine Augen strahlten: „Ja, komm, lass uns das Konzert unvergesslich machen.“ Denn schließlich befand sich ein Engel unter den Zuschauern. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)