Die Zauberin und das nostrische Komplott von Ghaldak (Die Abenteuer der Zauberin Freya, zweite Staffel) ================================================================================ Prolog: Freya in: (8) Im Dunkelwald ----------------------------------- Freya Zwischen den Jahren, das weißt du, liegen die Namenlosen Tage – jene Zeit, die nach dem Glauben der Zwölfen von dem dunklen Gegengott an der schwächsten Stelle zwischen Leidenschaft und Pflicht in das Jahr gepresst wurden – und du bist gut vorbereitet. Du sitzt in deinem Herbergszimmer, befühlst deine neue Tracht und versuchst, die Geräusche aus dem Nebenraum zu ignorieren, ohne dabei allzu lautstark zu bereuen, dass du es warst, die Corsaia direkt neben sich unterbrachte. Du magst deine neue Rüstung, du musst sie auch mögen. Sie entstand aus der Verzweiflung heraus, die sich nach deinem Geburtstag deiner bemächtigte, als du nämlich entschiedest, noch bis zum Fest der Dämonenschlacht hier zu verweilen, Lilim sich aber mit Corsaia die Zeit vertrieb und Brig-Lo nicht mehr hergab als schon die Monate zuvor. Du wandtest dich an Marcin, doch da du ihm nicht dein Leid klagen konntest, sprachest du von deiner Rüstung, diesem schlichten wattierten Waffenrock mit Schweineborstenfütterung, getrockneten Flecken und notdürftigen Flicken, der mit deiner Robe zum warm war, besonders jetzt in der drückenden namenlosen Hitze, und noch mit deinem Rucksack verbunden zur Katastrophe wurde und der einstige Magier nickte, denn er kennt Elfen in Brig-Lo und Punin und wenn du bereit wärst, mehr zu bezahlen, dann würdest du sehr glücklich werden. Du blicktest für einen Moment in dein Herz, fühltest die Verzweiflung, dachtest an deinen Tsatag und entschlossest, dass du es dir wert wärst. Das Geld hattest du nun wirklich, schon weil du eine Reihe von Tränken verkauftest, und was dich schützt, das macht dich stark. Du wirst glücklich. Du wartest zwei Wochen, verbringst einen Nachmittag mit einem Halbelfen aus Punin (der den Titel „Meister“ anstatt der einfachen Berufsbezeichnung eines Schneiders bevorzugt) und bezahlst eine Summe, für die du in Teshkal ein Pferd bekommen könntest, doch als die Lieferung eintrifft, da fallen etwa die Hälfte der nagenden Zweifel von dir ab; er leistete wirklich gute Arbeit. Als du jetzt in deinem Zimmer sitzt, probierst du wieder einmal die Rüstung an – ein kleiner Verstoß gegen dein Versprechen dir selbst gegenüber, sie erst im neuen Jahr zu tragen – und fragst dich, wie du darin wohl aussiehst: Zunächst der Gambeson, ein gepolsterter Stoffpanzer, der nun gleich einem Amazonenpanzer die Arme und Schultern freilässt und auch am Rücken weniger aufträgt, dann die ebenso schulterfreie Robe, in Wahrheit ein auch rückenfreies Kleid mit der Möglichkeit, direkt an den Panzer angegürtet zu werden, dann die Jacke, in deren Ärmel die Polsterstücke eingewebt wurden, die der Rüstung sonst fehlten und zuletzt den Rucksack mit dem verstärkten Rückenpolster – so teilte sich ein sperriges Objekt auf und lässt dir die freie Wahl, wo du Luft und wo du Schutz haben willst, eine kluge Lösung. Eine Kappe mit eher symbolischem Wert vervollständigt die Kombination und wird dich nicht vor wirklichen Gefahren, wohl aber vor Unfällen schützen, wobei ein Spalt am Hinterkopf deine Haare entweichen lässt. Ein Meister dachte mit, bemerkst du, ehe du in der Betrachtung des Materials versinkst, echter elfischer Bausch in wechselnden Farben und verschiedenen Formen, streichelnd weich an der Kutte, robust und zäh bei der Jacke, sanft wechselnd von dem Rotbraun des Herbstlaubes an Kappe und Kragen bis zum Grün der Jacke, bläulich an der Kutte und nahe dem Boden braun werdend, doch allesamt ausgebleicht, um wenigstens den guten Willen gegenüber dem Codex Albyricus anzudeuten – für ein Großteil des Landes wird dieses Reisegewand ausreichen, denkst du dir, und in die Stadt des Lichts wolltest du ohnehin nicht. Ja, denkst du dir, du bist bereit, für ein neues Jahr und auch für namenlose Tage. Weg mit dem neuen Gewand, dessen Zeit wird noch kommen. In der Nacht schläfst du friedlich. Ein Sturm zieht auf, doch du hältst die Herde sicher. Es klopft. Du wachst auf und sprichst kurz mit der Wirtin des Selindian Hal, in dem du seit Monaten haust. Sie spricht noch einmal die Warnung aus, die du auch schon vor Tagen erhieltst: Heute drehen die Novadis durch, also solltest du besser im Haus bleiben. Du befolgst den Rat, tanzt mit Mada, gehst noch einmal deine Ausrüstung durch und fragst dich, wie du diesen Rucksack noch etwas leichter bekommen könntest… und verdammt, warum musstest du diesen angeblich glücklich vergebenen Krieger auch neben dir unterbringen? Der Blitz schlägt ein und richtet Verwüstung in der Herde an. Du riechst verbranntes Fleisch und eine Stimme lacht. Eine Gestalt steht auf dem Felsen, den Magierstab drohend errichtet, und sie sieht kein Land und keine Schafe, sondern ganz allein dich. Die Hitze ist wirklich drückend. Hast du genügend Wasservorräte? Du kauftest ja noch auf dem Wochenmarkt ein, doch da dies alle taten, kletterten die Preise. Du hieltest dich zurück. Ach, warum besitzt Lilim nur immer noch dein Buch, du könntest die Zeit doch ebenso gut noch mit Ritualplanungen verbringen. Sein Blick durchsticht dich und du fühlst dich nackt. Wie kannst du entkommen? Das ist kein Pelz, unter dem du schwitzt, sondern deine Bettdecke. Du sortierst dich noch, als du die Gestalt in der Tür wahrnimmst, Lilim mit einer Kerze: „Deine Schreie machen mir Angst, kleine Rahja.“, sagt sie, „Komme doch zu uns. Cor meint, er wird auch mit uns beiden fertig.“ Du sprichst Verwünschungen und drehst dich weg, ohne ihren weiteren Worten zu lauschen. Dir war nie bewusst, wie sehr du diesen Krieger hasst. Wie zum Güldenen kamen Ratten hier herein? Sie nagen an deinen Vorräten und stören sich nicht einmal daran, dass du erwachst. Du schnappst nach deinem Magierstab und schlägst auf sie ein, weil du es nicht wagst, zu zaubern. Das vertreibt sie. Sie müssen über Nacht erschienen sein und fielen über alles her, was nur ansatzweise nahrhaft wirkte, selbst deine Bettdecke weist Bissspuren auf. Den Rest des Tages verbringst du mit Nadel und Faden, um von deiner Garderobe zu retten, was noch zu retten ist, zumindest ließen sie aber dein neues Gewand in Ruhe. Der Magier zieht ein Buch und liest darin, auch wenn er dadurch den Blick von dir nimmt, fühlst du dich noch nackter: Er liest nämlich dein Reisebuch. Besonders das Bild von dir vorne im Einband scheint es ihm anzutun. Lilim schenkte dir zum Tsatag ein Satz Boltankarten, die sie wie sie sagte einmal einer Zahori abkaufte. Du legst dir Patiencen. Sechs Fürsten, zwölf Zauberer, zwölf Krieger, dazu siebenmal sechs Elemente… der klassische profane Inrah-Satz, abgegriffen und noch mit handgezeichneten Bildern geschmückt. Bei deinem ersten Durchblättern bliebst du bei dem Magier des Feuers hängen… das könntest du sein, und tatsächlich, das Bild zeigt eine Frau mit langen, flammend roten Haaren. Du blätterst weiter. Der Magier des Eises, ein Mann in fellverbrämter Kutte mit langen Haaren, einem entschlossenen Blick und drohend erhobenem Stab, blickt zurück und lacht. „Ich bin hier“, sagt er, „und was immer du auch tust, du kannst dich meinem Griff nicht entziehen.“ Bist du wirklich einfach so eingenickt? Das ist durchaus möglich, denn du erhieltest nicht viel Schlaf. Drüben ist es still, dafür entlädt sich draußen tosend und stürmend ein Sommergewitter; du könntest also nicht raus, selbst wenn die Welt dort draußen in Ordnung wäre. Du seufzt. Du brauchst dringend eine Beschäftigung für Gewitter- und Erholungstage, doch es muss eine sein, die weder Magie noch gefährliche Gegenstände beinhaltet. Du könntest doch Stricken lernen, das wäre doch ein guter Vorsatz für das neue Jahr. Der Sturm legt sich, auch der Eismagier verschwand. Du blickst noch einmal auf den Felsen und bringst dann wieder deine Herde zusammen. Die Gefahr wurde ausgestanden, im Boron kann unbeschadet geschlachtet werden. Es ist soweit. Endlich kannst du aus deiner Truhe das teure Gewand herausnehmen und es langsam, fast zeremoniell anlegen. Eine nach unten verschobene Rüstung, eine dies überdeckende Kutte, eine Jacke mit starken Ärmeln, eine Kappe und ein noch ungefüllter Rucksack, als Gewand eine Einheit, als Kunstwerk sicher eine Pracht. Ein einfaches Seil soll nun gürten, deine Stiefel es vollenden… beides noch aus Andergast, also bist du nur fast neu. Es klopft und du öffnest der Wirtin. „Frau Freya, haben Sie die Tage gut überstanden?“ Du nickst. „Unten im Saal wartet eine Botin auf Sie. Sie möchte sie sprechen.“ Natürlich. Knarrende Stufen führen dich nach unten, auf den letzten Schritten bist du allein. Du öffnest die Tür und sie wartet: Glänzendes schwarzes Haar in ganz ebenmäßigem Schnitt, feine, fremde Gesichtszüge, unergründliche Augen und schwarz gewandet wie in einer Ordenstracht; halb auf dem Tisch sitzend, doch nun sich erhebend. Deine schon auf der Zunge liegende Grußformel entgleitet dir, fast wie jede Kontrolle, als ihre Augen dich erfassen, und du kannst nur stammeln: „Mineda“. Freya Mineda bedeutet Ärger, das weißt du genau. Sie ist eine Attentäterin der Hand Borons, eine der gefährlichsten Meuchlerinnen der Welt und eine Mörderin, und du bist eine Kampfmagierin – hier steht eine Amateurin einem Profi gegenüber, doch da du sie siehst, denkst du dir, kann es nicht so schlimm sein. Du glaubst es dir nicht wirklich, denn auch ‚nicht so schlimm’ kann schlimm bedeuten. Sie sagt nichts, also schließt du hinter dir die Tür und trittst an sie heran. „Warum bist du hier?“, fragst du in die gewonnene Zweisamkeit. Lasse dir deine Angst nicht anmerken, zeige deine Stärke – du bist nicht hilflos, wirklich nicht. „Ich bin bereit, zu sprechen“, sagt sie, „doch nicht zu erzählen. Du siehst furchtbar aus. Lass mich dich baden, wie ich es früher einmal tat.“ Mineda gehörte zu der Verschwörung, die du vor Jahren in Andergast aufdecktest. Bei eurer letzten Begegnung rettetest du ihr das Leben – doch was bedeutet das für sie? Deine Starre nimmt dir die Entscheidung. Sie nimmt dir deinen Stab aus der Hand, ohne dass du Widerstand leistest, du gehst Jacke und Panzer verlustig... und du kannst dich immer noch nicht entscheiden, ob sie als Freund oder Feind hier ist. Der Waschzuber, den du kennst, scheint zumindest ihr Angebot zu bestätigen. „Ich brachte dir Wasser aus der Andra mit. Du darfst dich ganz wie zuhause fühlen.“ Eine kleine Phiole klarer Flüssigkeit entleert sich in einen großen Bottich. Du bist nackt. Ihre Hände geleiten dich. „Möchtest du reden?“ – „Was? Worüber?“ – „Worüber du möchtest. Verrate deine Freunde, wimmere, drohe, wonach dir ist.“ Ein Schwamm wird ins Wasser getaucht und fährt über deinen Rücken. Du fühlst nicht nur Weiches, sondern auch etwas Hartes, Kaltes. „Tötest du mich dann nicht?“ Die Frage ist so lächerlich, dass sie sie gar nicht beachtet. Minedas Finger erinnern dich an Lilims, sie war schon immer eine ausgezeichnete Dienerin. Das Schweigen brennt. „Wie ist es eigentlich…“, beginnst du, doch stoppst. Sie wollte nichts erzählen, also frage sie nicht nach deiner Heimat. Frage sie auch nicht nach Al’Anfa. „… auf Maraskan? Ist es eine Reise wert?“ Ja, du bist eine Avesjüngerin. Das ist unverfänglich. Du hörst an ihrer Stimme, wie sie milde lächelt. „Allemal, denke ich. Es ist eine Heimat, die ich nie kennen gelernt habe, doch ich spitze die Ohren, wann immer ich Neues höre, und freue mich ganz besonders über Sinoda.“ – „Ja, das kenne ich.“ Schweige lieber, ehe du auf Andergast kommst. „So viele Orte, an denen mein Herz hängt, und ich kann mich nicht entscheiden, ob Brig-Lo nun dazugehört. Warst du schon einmal hier?“ Gerettet. „Ein Pilgerziel und eine kleine Siedlung inmitten von Gräbern, ein Borontempel im Zentrum, sonst wenig Belang. Garnison und Baronin stehen nicht unbedingt auf einer Seite, vier Gaststätten, darunter zwei Orte, in denen man übernachten kann… nein, ich war hier noch nie.“ Warum zählt sie es auf? Natürlich, klar, sie lässt dich wissen, dass sie echt ist… und erst jetzt fällt dir ein, dass du das nicht als gegeben hättest nehmen sollen. „Kennst du denn einen Ort, den ich unbedingt einmal bereisen müsste?“ Sie drückt plötzlich keinen Kopf herab und du schreist auf, ehe du merkst, dass sie nur deine Haare ins Wasser taucht. „Ja“, flüstert sie noch und schweigt dann. Du hörst das Wasser, sein stetiges Geräusch ist alles, woran du dich klammern kannst. Du suchst jede ihrer Bewegungen zu verstehen und verkrampfst bei jeder ihrer Berührungen, was, da bist du sicher, Mineda nicht verborgen bleibt. Du blickst sie an und ihr Gesicht ist eine Maske; sie lässt dich nicht wissen, ob sie mit dir zufrieden ist oder nicht. „Was denkst du gerade?“, schießt es aus dir heraus, ehe du überlegen kannst und schämst dich sofort dafür. Sie antwortet dir nicht. „Ich jedenfalls denke und hoffe…“ – „Ich weiß“, fällt sie dir ins Wort. Was wie ein Ansatz für dich klingt, erweist sich aber als endgültig, denn ihr Schweigen wagst du erst einmal nicht zu brechen. „Erhebe dich und siehe mich an“, sagt sie schließlich. „Ich bin deinetwegen hier. Ich habe hier zwei Nachrichten für dich. Wähle eine.“ Aus den Untiefen ihres Gewandes muss sie, als du nicht hinsahst, zwei versiegelte Pergamentrollen herausgeholt haben, die sie dir nun anbietet. Du stehst nackt in der Wanne und erschrickst vor ihrem Blick. „Was enthalten sie?“ – „Wähle.“ Sie hält nicht den Abstand, den du wünschst und ist dir in ihren schwarzen, einer Ordenstracht gleichenden Gewändern viel zu nahe. Du zögerst. „Und wenn…?“, beginnst du, ohne weiter zu sprechen, da sie dich auch so versteht, was sie dir genauso unbewegt wie zuvor beantwortet: „Du kannst auch beide nehmen oder keine. Ich werde nicht erzählen.“ Klar, sie fällt ihre Entscheidungen nach deinen, doch sie teilt sie dir nicht mit. Was bleibt dir übrig? Du nimmst den linken, die unwahrscheinlichere Möglichkeit, doch ehe du hereinblicken kannst, nickt sie. „Auf Wiedersehen, Firlina. Mögen sich unsere Wege noch vor Rethon kreuzen.“ Sie geht und du blickst ihr nach; ein kluger Zug, fährt es dir durch den Kopf, denn nackt kannst du sie schwer verfolgen. „Wer war sie?“ Eine Stimme erspart es dir, zwischen Pergament und Kleidung eine Entscheidung zu treffen, und du wendest dich um: Corsaia steht mit gespanntem Kurzbogen in einer Ecke, den Pfeil noch auf die Stelle gerichtet, an der Mineda so eben verschwand. Er lacht, als du erschrickst. „Willst du mich ins Grab bringen?“ – „Im Gegenteil, Fräulein, im Gegenteil – ich hätte dich gerettet, wenn dir wirklich Böses drohte. Wer war sie? Du hattest Angst vor ihr.“ – „Mineda. Ein… Dämon aus früherer Zeit. Ich frage mich, was sie wohl wollte.“ – „Dann sehe nach, was sie dir mitteilte.“ Du öffnest den Verschluss der Dose und wirst kreidebleich, als dir etwas entgegen schießt: Es ist ein dünnes Lederband, am unteren Ende ein Anhänger, und dessen Gestalt gleicht der einer kleinen schwarzen Hand. Freya Du schreist – aus Hilflosigkeit, aus Schmerz, aus Ohnmacht. Du lässt das Pergament sinken und antwortest auf Corsaias stumm fragenden Blick: „Das ist ein Brief von meiner Mutter. Sie bittet mich, ein Erbe für sie aus Nostria abzuholen. Dieses Monster, diese Wahnsinnige, wie kann sie nur…“ Corsaia legt dir eine Decke um die Schultern. „Es ist ja wirklich genug, wenn sie hier einfach auftaucht und mich bedroht, aber kann die nicht meine Mutter da raushalten? Wenn sie ihr nur ein Haar krümmt, dann bringe ich sie eigenhändig um, das ist versprochen.“ Deine Wut lässt Corsaia unbewegt. „Ich ersäufe sie eigenhändig in der Ingval. Ich…“ – „Was wirst du tun?“ Du seufzt und zuckst mit den Schultern: „Was kann ich tun? Ich gehe nach Nostria und hoffe, dass Mineda sich dann mit mir zufrieden gibt.“ – „Und deine Mutter?“ – „Verbleibt in Andergast. Mehr als beten kann ich nicht… Moment, richtig. Kannst du mir helfen?“ Er gab dir diese Weile, denn er wollte, dass du es aussprichst. „Ich kann, mein Fräulein, und ich täte es gerne, doch ich habe meinen Preis. Bist du gewillt, fürs Nehmen auch zu geben?“ – „Ja, klar. Wie viel…?“ – „Doch nicht so. Ich mache mir nichts aus Geld. Ich brauche es nicht und wenn ich es brauche, nehme ich es mir.“ – „Nein“, sagst du und ziehst die Decke fester um dich. Dazu wärst du wirklich nicht bereit… obwohl… was wäre ein Opfer vor Rahja gegen das Leben deiner Mutter? Du magst sie doch, trotz allem, oder? Ja, ich bin mir sicher. Corsaia lächelt, ehe du etwas sagen kannst, und du fürchtest, er könnte dich durchschaut haben: „Also bitte, wie könnte ich das verlangen, ich bin vergeben und treu. Nein, ich meine ein Objekt, eine Tat, eine Hilfe… jetzt oder später. Wärst du dazu bereit?“ Du nickst. „Madhlen Idra y’Arthuro, eine Albernierin in den Dreißigern mit roten Haaren, zu finden in Andergast-Stadt. Bitte hole sie da raus und bringe sie wohin, wo es sicher ist.“ – „Dela, nahe Havena. Dort wartet Takea, meine große Liebe, in einer kleinen Hütte. Dort treffen wir uns wieder, wenn wir zurück sind. Und, Freya.“ – „Ja?“ – „Solltest du vor mir erscheinen, sage ihr bitte, dass es mir gut geht. Wir sahen uns das letzte Mal, ehe Rolat uns trennte.“ Du nickst. Was sollst du sagen? Du sitzt leider jetzt in seinem Boot. Erkennt er deinen inneren Zwist? Wahrscheinlich nicht. „Und was ist, wenn ich auf Mineda treffe? Soll ich sie auch gleich ausschalten?“ Die Frage gefällt dir irgendwie nicht. „Weiß nicht“, sagst du ehrlich, „musst du wissen.“ – „Über ein bisschen Training würde ich mich freuen. Übrigens, du schuldest mir ja auch noch einen versprochenen…“ – „Nicht jetzt, Corsaia.“ – „Schade.“ „Was geht denn hier vor?“ Ihr wendet euch beide um und seht Lilim in der Tür stehen. Corsaia fühlt sich nicht ertappt. „Wir planen. Freya wurde gerade von einer Attentäterin heimgesucht.“ – „Ach, diesmal von keinem Magier?“ – „Nein… oder?“ Blicke ruhen auf dir. Du schüttelst den Kopf. „Schade. Da bleibt wirklich kein Spaß für mich.“ – „Aber Cor, konntest du sie denn abwehren?“ – „Allerdings. Ich stand so mit meinem Bogen, sie vollends im Visier und hatte den Pfeil gespannt. Sie konnte gar nicht…“ – „Ach…“ Du entfernst dich langsam aus dem Mittelpunkt und kleidest dich an, ohne die Freude an deinem sündhaft teuren neuen elfischen Reisemagiergewand wieder zu finden. Du brauchst Zeit, um alles zu verkraften. Es geschah einfach zuviel. „Bist du denn beim Jahrestag noch da?“ – „Wie könnte ich nicht? Ich gab einer wundervollen Dame mein Versprechen und es gilt. Freyas Mission kann ruhig bis Rondra warten.“ Alte, doch treue und zuverlässige Stiefel. Dreckskerl. „Bist du eigentlich auch ein Turnierkämpfer? Ich würde dich so gerne hoch zu Ross erblicken.“ – „Das ist mir zu profan. Ich kämpfe nur in Regeln, wenn mir wirklich langweilig ist, und dann…“ Immerhin weißt du jetzt Bescheid. Du musst auf Corsaia warten. Plane dein Eintreffen in Nostria so, dass Mineda sich entscheiden muss und einer von euch in Sicherheit reisen kann. Du kannst noch im Praios in Nostria sein, doch damit ist sicher, dass das nicht eintritt. Treue Stiefel. „Rahjalein, was bist du eigentlich noch hier? Ich habe gehört, du wärst schon aufgebrochen?“ Lilim reißt dich aus deinen Gedanken: „Ich werde bald aufbrechen, doch… Moment, woher?“ – „Deine Dienerin teilte es mir mit, sie sagte, dich zögen dringende Familiengeschäfte. Ich gab ihr dein Buch mit.“ – „Was?“ – „Ich weiß ja nicht, wann du zurückkommst und ob ich dann noch da bin.“ Autsch, Mineda, das tat weh. Damit weiß dein Feind alles über deine Magie, deine Rituale und… was hast du noch herein geschrieben? Nichts Persönliches, oder? Ein Bild im Einband… beschämend, aber nicht vernichtend. Du erschrickst vor dem klugen Zug. Wie lange musste dich die Attentäterin vorher beobachtet haben? „Ist gut, Lilim“, sagst du, weil dir alles reicht, „Ich breche heute noch auf. Feiert schön das neue Jahr, auf mich wartet die Pflicht in Nostria.“ Der Weg führt dich wieder auf den Yaquirstieg und nach so langer Zeit musst du dich erst wieder daran gewöhnen, über Stunden hinweg einen schweren Rucksack zu haben. Du planst mit Übernachtungen in den Raststationen, mistetest noch in Brig-Lo deine Taschen aus… und bist trotzdem schnell erschöpft. Am ersten Tag erreichst du wenig, weil du erst viel zu spät loskamst, der zweite fällt schwer, der dritte ebenso, dass du am vierten rastest und deinen Beinen eine Pause gönnst, während dein Kopf arbeitet und Pergament die fehlenden Seiten ersetzt. Dabei bemerkst du deinen Fehler, wanderst den fünften Tag und schlägst dich am sechsten bei leichtem Regen in die Büsche, denn heute ist Tag der Mada, der erste Erdtag im Praios und – wenn man durch die Wolken blicken könnte – Vollmond, heute möchtest du dich endlich dem Stein, seinen Ladungen und dem Pergament widmen, auf dem steht, was passieren sollte. Du findest einen kleinen Bach, der zum Yaquir führt, traust dich lange Zeit nicht, ihn zu überqueren, doch als du dir endlich ein Herz fasst, überschätzt du die Furt, gleitest aus und wirst mitgerissen. Hilflos strampelst du im Wasser, ehe du endlich zum Stehen kommst und du schnell mit durchnässten Stiefeln und intakter Garderobe am Ufer stehst. Immerhin, denkst du dir, die neue Rüstung hat ihren ersten Belastungstest bestanden. Die Stiefel fühlen sich furchtbar an, und weil es deine Füße nicht gleich wieder hineinzieht, denkst du dir, dass du genauso gut jetzt zaubern kannst. Du wartest also auf die nächste regenarme Weile, breitest deine neue Decke auf dem nassen Stein aus, verfluchst ausgiebig deine beim Wassergang unlesbar gewordenen Notizen, kramst nach Stein, greifst nach Stab und beginnst: Stein in die Hand nehmen, kreisen lassen, Worte sprechen und hoffen, dass die Aussprache keine Rolle spielt: „Lethum Tjorcanis“, Rattenkopf über Holzkugel am Stabende halten und… Kraft, verdammt noch mal, rein mit dir da, halte auf, Stab, nimmt die jetzt, nicht wieder abgeben, verdammt, Glypthe, du sollst doch… genau, genau in die Öffnung, so will ich es haben, so kann ich es haben, und nein, Stab, die Magie bitte behalten und nicht unten rausgeben, einfach gleichmäßig in dir verteilen und auch nicht nach oben stopfen und… ach, nur ein Blitz… zum Glück, verdammtes Wetter, verdammtes… ach, ist es jetzt vorbei? Du bist fertig. Vollends geschafft packst du alles wieder zusammen und hoffst, dass sich die Nach- und Nebenwirkungen in Grenzen halten. Magie kann manchmal richtig schön sein, doch viel zu oft gleicht sie der Situation, die eintritt, wenn drei oder vier Töpfe gleichzeitig überkochen wollen. Der geschäftige Yaquirstieg wartet auf dich, doch als du wieder aus dem Gesträuch trittst, fallen dir zwei Gestalten ins Auge, einfach weil sie von deinem Erscheinen ebenso wie vom Regen keine Notiz zu nehmen scheinen. Eine Frau mit roten Haaren wirkt der Resignation nahe, während sie von einem stämmigen Mann getröstet wird – Bauern offensichtlich. „Den Zwölfen zum Gruße“, rufst du, nachdem du keine Zweige mehr auf deiner Jacke siehst, und reißt sie aus der Starre. „Was ist?“ – „Kann ich Euch helfen?“ – „Wer bist du?“ – „Freya, reisende Heldin. Willkommen oder nicht?“ – „Wie könnten wir…“ – „Lass sie doch, vielleicht kann sie ja wirklich… Nun, unser kleiner Sohn Jobst wurde vor zwei Tagen entführt; da kam gegen Abend dieser unheimliche, alte Kerl… er hatte lange Haare und Fingernägel und trug Widderhörner auf dem Kopf. Er legte fünf Dukaten auf den Tisch, sagte, das sei für unseren Sohn und zerrte ihn dann mit sich. Ich wollte ihn aufhalten, doch ich sprang wie wild umher… seitdem habe ich unseren Sohn nicht mehr gesehen. Nur ein Holzfäller sah ihn noch eine Meile südlich von hier. Würden Sie sich dessen annehmen?“ Du denkst kurz nach und sprichst aus, was dir durch den Kopf fährt: „Für mich klingt es nach einem Druiden. Ich möchte nichts versprechen, aber ich werde ihn suchen und sehen, was ich für euch erreichen kann.“ – „Habt Dank… und mögen die Zwölfe Euch beistehen.“ Du gehst. Du hast Zeit, denkst du dir, und warum solltest du nicht mal wieder etwas Heldenhaftes tun – mal etwas anderes als die Söldneraufträge und Jagten nach mehr persönlicher Macht. Das Wetter scheint auch gut, der Wald nicht wirklich gefährlich… was ist schon dabei? Du hältst inne, pflückst eine wunderschöne blaue Blume vom Wegesrand und steckst sie dir hinter dein Ohr. Das wird schon etwas werden. Pfade warten. Da ist eine Hütte. Da ist ein Bär, der auf dich zustürmt und den du mit einem Paralys in eine hübsche steinerne Statue verwandelst. Du gehst ans Fenster und kannst doch nichts darin erblicken, also trittst du ein… Fehler. Ganz dummer Fehler. Du stürzt ins Nichts, als dich der Boden verrät und dir eine verschwimmende Sicht das Bewusstsein raubt. Als du dich schließlich erhebst, ohne zu wissen, wie viel Zeit verging, liegst du im Gras, doch dein Gewand veränderte sich – statt deiner Rüstung trägst du nun lebendes Gewächs um dich herum. Du springst auf, wagst es jedoch nicht, es fortzureißen. Zum Glück ist dein Zauberstab noch dabei. Die endlos weite Graslandschaft fühlt sich für dich nicht echt an. Aufgeklebt wirkende Punkte bedecken den Himmel, während du dich in Richtung der einzigen Anomalie bewegst, die du ausmachen kannst: Einen Berg. Fuß geht vor Fuß, ganz einfach und automatisch, und du bewegst dich ohne jede Anstrengungen. Zwerge mit Flügeln flattern an dir vorbei und bewerfen dich mit Äxten, ehe du sie mit Zaubern verscheuchst. Der Berg wird immer sonderbarer, denn schon bald offenbart er sich dir als eine riesige Festung… und zwar nicht Andergast-Riesig und auch nicht Wehrheim-Riesig, sondern Riesig-Riesig… graue, schieferne Mauern, als sei es aus einem Fels herausgeschnitzt worden wie ein Nussknacker aus einem Ast, die bis in die schwarzen Wolken reichen. Ob es an der Magie liegt oder an verborgenen Blicken hinter den engen Schießscharten, kannst du nicht sagen, doch es fröstelt dir und du fühlst dich unweigerlich an den Bach erinnert. Im Schatten der Mauern, in dem die Sonnenwärme verschwindet, wird es nur noch kälter. Das schweinsäugliche Gesicht im Bronzetor spricht dich an, kaum dass du nahe genug herangetreten bist. „Wanderer, der du nicht die Wege der Luft beschreitest, dein Weg durch das Labyrinth wird dir nur Leid, Durst und Hunger bringen; schließlich wird sich der Tod deiner bemächtigen. Doch gebe ich jedem eine Möglichkeit, diesen Irrgarten der Täuschung zu durchschauen! Löse dieses Rätsel, teile mir die Antwort mit. Sei jedoch sicher, die richtige Antwort zu haben! Ansonsten bist du des Todes. Höre nun das Rätsel: Der es macht, der braucht es nicht, der es kauft, der will es nicht, der es braucht, der weiß es nicht. Was ist es?“ Du blickst das Gesicht an. Langsam reicht es dir, denn bei all den Belastungen, die gerade auf dich warten, fehlt dir nun wirklich jede Lust, dich auch noch auf so einen Unsinn einzulassen. „Geh’ sterben!“, fauchst du das Tor an, reißt an der Klinke und trittst hindurch. Schwärze bleibt dir vor den Augen, bis du dich daran gewöhnst. Der Boden des Burginneren besteht aus feinem Sand, in dem die Knochen von Abenteurern liegen, denen es schlechter als dir erging, doch du tappst hinein in die Leere und fühlst dich plötzlich von Kerkergittern beengt. Was ist geschehen? Warst du doch zu vorschnell? Nein, stellst du fest, denn nicht du bist gefangen, sondern alles andere… und darunter auch ein alter Druide. Er liegt sterbend in seinem Dreck. „Der Junge... mein Zögling... Verantwortung. Rette ihn! Die Spinnenanbeter ... die Zwerge ... beim Baum! Falsche Richtung!“ Damit ergreift er dein Handgelenk und umklammert es. Er gibt etwas an dich weiter… aber gut, du bist hier fertig. Du drehst dich um und gehst einfach. Bei der Burg im Rücken inmitten der klaren grünen Ebene fühlst du dich besser, wenn auch nicht zufrieden, und diesmal gehst du schnurstracks in die andere Richtung – hin auf das Aufgeklebte, denn nur das kann ein riesiger Baum sein? Du bist so sehr auf die Umrisse fixiert, die du anstrebst, dass du gar nicht bemerkst, wie ein riesiges Untier mit Armen gleich einer Gottesanbeterin von drei Schritt Höhe vor dir aus dem Boden bricht. „Visibili“, rufst du und gehst einfach daran vorbei. Am Baum sammeln fliegende Zwerge allerlei Unrat und Gerümpel, um daraus ein Nest zu formen. Du siehst sie dir eine Weile an und entdeckst schließlich Jobst unter ihnen, weshalb du schnell handelst: Du rennst, solange deine Unsichtbarkeit noch währt, greifst den rothaarigen Jungen am Arm und machst dich auf. Hinter dir erheben sich zwar die Zwerge, als du ihre Kreise störst, doch dir macht es nichts aus und du rennst. Sie haben dich fast erreicht, als du durch den Boden brichst. Diesmal jedoch befindest du dich einfach nur unter den Wurzeln in einer Höhle, wo zwei katzenköpfige Spinnen auf dich warten. Sie krabbeln auf dich zu und diesmal denkst du dir, dass du deine Mächte sparen kannst, schwingst deinen Stab und schlägst zu, während du nur aus den Augenwinkeln bemerkst, wie die Flügelzwerge in Scharen durch das Loch brechen. Du erwachst auf einer Wiese, einen rothaarigen Knaben im Arm. Was zwischen dem Kampf und diesem Moment geschah, kannst du nicht mehr sagen, doch du weißt, dass du schon wirrer geträumt hast. Etwas geschah, das du nicht verstehst und – wenn du ehrlich bist – auch nicht verstehen musst, doch am Ende ging alles gut aus und das zählt. Eine Familie kam wieder zusammen… und du musst weiter nach Nostria. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)