Briefe von Purpurwoelfin ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Lieber Vater, es ist nun schon eine Weile her, seit ich mich das letzte Mal bei dir meldete, aber ich habe wundervolle Neuigkeiten für dich! Ich kann es selbst noch kaum glauben, doch der Hauptgefreite Levi hat mich einberufen. Leider kann ich dir natürlich nicht die Einzelheiten dieses Einsatzes mitteilen, jedoch werde ich nun für die nächsten Wochen einer Sonderabteilung zur Beobachtung Eren Yeagers zugeteilt. Mach dir bitte keine Sorgen deswegen. Es ist eine große Ehre für mich, unter dem Hauptgefreiten dienen zu dürfen und ich bin mir sicher, dass er die Situation voll und ganz im Griff haben wird! Ich werde alles geben, um ihn zu unterstützen und nützlich sein zu können. Und nebenbei bin ich natürlich auch nicht allein. Drei langjährige Kameraden sind ebenfalls einberufen worden. Wir sind demnach eine kleine Gruppe, doch ich denke, wir werden unsere Aufgabe meistern. Was ich von diesem Jungen halten soll, weiß ich nicht. Und ebenso wenig ist mir klar, was genau hinter dieser Sache steckt, doch ich werde wie immer mein Bestes geben, um dich nicht zu enttäuschen! Ich werde mich so bald wie möglich wieder bei dir melden. Bis dahin grüßt dich deine Petra.“ [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] Seufzend legte die junge Frau den Stift zur Seite und blinzelte nachdenklich gegen die Zimmerdecke. Bevor sie aufbrechen würde, um sich ihrem neu zusammengestellten Trupp anzuschließen, müsste sie diesen Brief für ihren Vater aufgeben lassen. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und stützte sich mit den Handflächen ab. Was vor ihr lag, war ungewiss. Mit gemischten Gefühlen brach sie auf und ritt zum Sammelpunkt. Wie immer schlug ihr Herz schneller, als sie schon aus der Ferne Levi erblickte. Was mit einer harmlosen Schwärmerei begonnen hatte, steigerte sich mit der Zeit immer mehr. Natürlich durfte niemand von ihren Gefühlen für den Hauptgefreiten wissen. Die Vorstellung, dass dieser hochbegabte Mann sich ausgerechnet für sie interessieren würde, war einfach zu abwegig für Petra. Sie atmete tief ein und ließ ihr Pferd schneller laufen. „Herr Kommandant! Entschuldigen Sie bitte die Verspätung!“ Sie hielt das Tier neben dem Levis an. Unsicher wanderte ihr Blick weiter zu dem Jungen, der hinter ihrem Vorgesetzten ritt und verstohlen zu allen Seiten blickte. Er war fast noch ein Kind und dennoch musste der beste Soldat, den das Militär je hervorgebracht hatte, als sein Aufpasser fungieren. Nachdem Levi bemerkte, wie sie neben ihm zum Stehen gekommen war, blitzten seine Augen kurz auf. „Petra.“ Wie sie es liebte, wenn er ihren Namen aussprach … Sofort schämte sie sich innerlich wieder für ihre Schwärmerei. Als hätte dieser großartige Mann Zeit für so etwas wie eine Beziehung! Nachdem alle versammelt waren, ritten sie los, um ihre Unterbringung der nächsten Wochen zu beziehen. Natürlich führte Petra ihr Pferd so nahe an Levi heran, wie nur irgendwie möglich. Als er persönlich auf sie zugekommen war, um sie in seinen Trupp aufzunehmen, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Schon lange vor dieser Berufung hatte sie des Öfteren unter ihm dienen dürfen. Jedes Mal aufs Neue war sie erstaunt, wie mühelos er einen Titanen nach dem anderen hinrichtete. Und auch wenn man ihm nachsagte, unter Umständen ein bisschen sonderbar und abweisend zu sein, kannte sie auch seine fürsorgliche Seite. Er hatte diese gelegentlich gezeigt, wenn einer seiner Männer verwundet oder völlig verzweifelt war. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum er dieses Verhalten hätte aufsetzen sollen. Bald schon hatten sie ihr Ziel erreicht, das zwischen den Bäumen hoch in den Himmel ragte: die Burg, welche nun als Hauptquartier der nächsten Wochen dienen sollte. [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] „Lieber Vater, wir sind nun einige Tage auf unserem neuen Stützpunkt und die Gegend wirkt abgeschieden und sehr friedlich. Der Hauptgefreite Levi ist ein wirklich sonderbarer Mensch. Ich meine dies nicht abwertend, das würde ich niemals wagen. Doch ehrlich gesagt werde ich nicht zur Gänze schlau aus ihm, auch wenn ich nun schon öfter die Ehre hatte, ihm dienen zu dürfen. Jedes Mal aufs Neue frage ich mich, was wohl in ihm vorgeht. Das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat, kommt seinem wirklichen Selbst nicht im Entferntesten nahe. Er ist immer viel zu direkt, unnahbar und grob. Andererseits kann er auch sehr korrekt, aufmerksam und gerecht zu jenen sein, die ihr Bestes geben. Das klingt sehr paradox, nicht wahr? Ich bin ebenso verwirrt. Es ist nicht leicht, so viel Zeit geballt in seiner Nähe zu verbringen. Man muss mit Bedacht wählen, was man sagt, sonst könnte die Retourkutsche sehr hart ausfallen. Keine Sorge, ich persönlich habe noch nie ein harsches Wort von ihm erhalten. Die Zeit mit meinen Kameraden genieße ich sehr. Momentan haben wir nicht viel zu tun und befinden uns in Bereitschaft. Auch, wenn jeder angespannt und nervös aufgrund Eren Yeagers Anwesenheit ist, lassen wir uns dennoch nicht die Zeit vermiesen. Selbst wenn der Grund unseres Aufenthaltes sehr ernst ist, lachen wir viel. Nun, bis auf den Herrn Hauptgefreiten … Ich habe ihn noch nicht ein einziges Mal lächeln sehen in der Zeit, in der ich ihn kenne. Natürlich fällt es in Zeiten wie diesen schwer, sich ein Lächeln zu bewahren, doch ich glaube, der Herr Hauptgefreite hat Vieles gesehen, das ihm Kummer bereitet und seine Seele trübt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welcher Druck auf ihm lastet. Wir, seine Untergebenen, können uns regelrecht zurücklehnen und auf seine Anweisungen warten. Wir vertrauen ihm voll und ganz. Doch wie mag es ihm dabei ergehen? Jeder setzt so hohe Erwartungen in ihn … Auch wenn es nicht den Anschein macht, als würde ihn dies belasten; ist es ihm denn wirklich so egal? Nun zu etwas anderem … Wenn ich mir dies nämlich so durchlese, ist es ein wenig beschämend, dass ich so viel über meinen Vorgesetzten schreibe. Eren Yeager verhält sich bislang sehr ruhig, also keine Sorge! Die schwierigste Aufgabe bis jetzt war eher, unser Hauptquartier zur vollen Zufriedenheit des Herrn Hauptgefreiten zu reinigen, als Yeager unter Kontrolle halten zu müssen. Habe ich schon erwähnt, welchen Putzfimmel der Hauptgefreite hat? Ich dachte immer von mir selbst, ich sei ordentlich, aber ich befürchte, ich muss noch viel lernen in Sachen Sauberkeit … Er wäre bestimmt ein guter Hausmann. Herrje, was habe ich nur für Gedanken! Erneut erwähne ich wieder nur ihn ... Ich melde mich, sobald es mir möglich ist, wieder bei dir! In Liebe, deine Petra.“ [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] Die ersten Tage vergingen und es kam zu einem unliebsamen Zwischenfall, der Eren Yeager beinahe das Leben gekostet hätte. Ein Experiment ging schief und der junge Soldat wurde von Petra und ihren Kameraden fälschlicherweise für einen Feind gehalten. Als sich dies als Fehler herausstellte, quälte sie das schlechte Gewissen. [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] „Lieber Vater, Ich weiß, dass mein letzter Brief erst ein paar Tage her ist, aber in der Zwischenzeit hat sich einiges verändert. Ich habe Eren völlig falsch eingeschätzt. Ich weiß, dass Skepsis in solch einem Fall angebracht und ganz natürlich ist, aber dennoch überkommt mich das schlechte Gewissen. Eine Situation vor wenigen Stunden hat mich völlig überzeugt, dass wir einen guten Verbündeten in diesem jungen Soldaten haben. Er versucht so unglaublich tapfer zu sein und beschwert sich nie. Er ist folgsam und fleißig. Und dennoch war ich bereit, im schlimmsten Fall den Hauptgefreiten Levi darin zu unterstützen, Eren Yeager hinzurichten. Ich werde mich bei ihm entschuldigen müssen, sonst habe ich keine Ruhe. Ich sollte es doch eigentlich besser wissen! Wenn wir ein Team sein wollen, müssen wir uns gegenseitig Vertrauen schenken. Das war es dieses Mal auch schon, doch ich musste mir das von der Seele schreiben. Deine Petra.“ [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] Die Erlebnisse der vorangegangenen Tage führten dazu, dass das Team einen erstaunlichen Wandel durchlebte. Eren Yeager wurde langsam aber sicher als vollwertiges Mitglied anerkannt. Da sie noch immer in Bereitschaft waren, hatten sie den Tag über nicht viel zu tun, somit arbeiteten sie an den zwischenmenschlichen Beziehungen zueinander. Das kam der jungen Frau nicht ganz ungelegen, konnte sie somit die Zeit damit nutzen, den Erzählungen Levis zu lauschen oder aber ihm unangenehme Aufgaben abzunehmen. Es gab viele Situationen, kleine sowie große, in denen Petra ihren Vorgesetzten bewunderte. Da er ohne eine morgendliche Tasse Kaffee noch schlechter gelaunt war als sonst, gewöhnte sie sich an, ihm stets als erste Tat des Tages eine Tasse zu bringen, noch bevor er dem Rest seiner Untergebenen begegnete. Kurz erinnerte sie sich an das erste Mal, als sie ihm etwas angeboten hatte... » „Herr Kommandant, soll ich Ihnen einen Kaffee bringen?“ „Gerne.“ „Wie möchten Sie ihn? Milch, Zucker?“ „Schwarz.“ „Äh … komplett schwarz?“ „Komplett.“ » In ihre Gedanken versunken, musste sie schmunzeln. Levi konnte sie sogar wegen solcher Dinge begeistern … Als sie eines Morgens eine Tasse eingeschenkt hatte und im Begriff war, sich auf den Weg zu ihrem Vorgesetzten zu machen, ertönte hinter ihr die Stimme eines ihrer Kameraden. „Petra, wie wäre es, wenn du uns auch mal bedienst, hä?!“, fegte Auruo, als die Gruppe ihr Frühstück einnahm. Die junge Frau verzog das Gesicht und erwiderte lapidar: „Ich bin mir sicher, dass ihr das alle sehr gut allein könnt.“ „Pfff, du bist doch nicht seine dämliche Sekretärin! Hör auf, so rumzuschleimen!“ Auruo haute mit der Faust auf die Tischplatte. Sie machte auf dem Absatz kehrt und interessierte sich nicht für die dummen Kommentare dieses Mannes. Als sie sich in gebührendem Abstand befand, sah Auruo ihr mit skeptischem Blick nach und meinte dann an seine Freunde gewandt: „Ich wette mit euch, unsere süße kleine Petra versucht ein bisschen mehr Begeisterung im Hauptgefreiten zu wecken, wenn ihr versteht, was ich meine.“ Eren, der neben ihm saß, zog ein verwirrtes Gesicht und wurde nicht ganz schlau aus diesen Worten. „Wie genau meinen Sie das denn?“, fragte er unsicher. Alle Blicke wanderten zu Eren, der sofort am liebsten unter dem Tisch verschwunden wäre. Auruo beugte sich verschwörerisch vor und meinte: „Ich glaube, das Täubchen hat sich in den Hauptgefreiten verschaut!“ Eren, der gerade an seiner Tasse nippte, verschluckte sich fast an der heißen Flüssigkeit, die dummerweise vor Schock in der falschen Öffnung gelandet war. Die anderen drei Männer grinsten, aber Erd fasste sich sofort wieder. „Hört auf mit den Albernheiten. Selbst wenn es so wäre, na und? Ich glaube, dass schon allein aufgrund seiner Begabung jedes zweite Mädchen im Militär zu ihm aufblickt.“ Er sah in die Runde, bis sich doch noch ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht schlich. „Oder runter, je nachdem.“ Es war ungewohnt, dass ein Witz auf Kosten des Anführers gerissen wurde, zusätzlich vom sonst so ernsten Erd. Levi war schlicht und ergreifend die geborene Autoritätsperson. Umso übler war es, dass in ebenjenem Moment von Erds dreistem Kommentar Levi lautlos durch einen der Bögen geschritten kam. „Darf ich mitlachen?“, fragte er in wissendem Tonfall und nippte gelangweilt an seiner Tasse Kaffee. Petra, die nichts vom vorangegangenen Gespräch gehört hatte, dachte an die Worte, die sie gerade von Erd vernommen hatte. „Ich glaube, dass schon allein aufgrund seiner Begabung jedes zweite Mädchen im Militär zu ihm aufblickt.“ Sie überkam eine tiefe Enttäuschung. Beschämt blickten die Soldaten am Tisch zu Boden, Erd war es mehr als unangenehm. Levi senkte die Lider und sah angeödet von einem zum anderen. Lässig schlurfte er zu seinem angestammten Platz und setzte sich hin. „Wenn ihr dann genug Witze gerissen habt, schwingt ihr euch nach draußen zu den Pferden. Die letzten Tage standen sie die meiste Zeit im Stall, sie werden schon unruhig. Wir jagen sie ein paar Stunden durch die Gegend, damit sie Ruhe geben.“ „Jawohl, Herr Kommandant!“, erschallte es im Chor von den Männern, nur Petra saß stillschweigend am Tisch und starrte trübsinnig vor sich hin. Das Donnern der Hufe ließ die Erde unter ihnen erzittern. Die muskulösen Pferde wurden von den Soldaten sehr hart durch den Wald geritten und im Team preschten sie zwischen Bäumen und Büschen hindurch. Die leistungsfähigen Tiere, die speziell für die Armee gezüchtet wurden, genossen sogar solche Ausritte, waren sie ja extra für Extremsituationen ausgebildet. Levi, der natürlich an der Spitze ritt, gab hier und da seine Befehle. Petra ließ ihr Pferd dem ihres Anführers folgen. Ganz war sie jedoch nicht bei der Sache und bemerkte erst zu spät, dass zwischen dem Dickicht eine potenziell tödliche Gefahr in Form einer geschwungenen Wurzel lauerte. Levi ließ sein Pferd springen, doch Petra reagierte zu spät und das Tier verhedderte sich. Erschrocken wiehernd ging es zu Boden und zappelte vor Panik herum. Petra wurde aus dem Sattel geworfen und kam hart auf der Erde auf. Sofort stoppten die Männer, die hinter ihr geritten waren, ihre Tiere. Eren, der ihr am nächsten war, stieg schleunigst ab und kniete sich neben sie. „Petra, ist alles bei Ihnen in Ordnung?“ Besorgt tauchten auch ihre Teamkollegen auf und sahen zu ihr hinab. Mit schmerzverzerrter Miene versuchte Petra aufzustehen, doch knickte sie sogleich an. Eren stützte sie und war sichtlich erleichtert, als endlich der Hauptgefreite zwischen den Büschen auftauchte. „Herr Kommandant, Petra ist gestürzt wegen dieser Wurzel“, erklärte Gunter und zeigte auf die Gefahrenquelle. Schweigend stieg Levi ab und schritt zu dem verletzten Pferd, das unter heftigem Schnauben panisch versuchte, aufzustehen. Prüfend musterte er es von oben bis unten. „Mit etwas Glück ist sein Bein nicht gebrochen. Helft mir, es hochzubringen.“ Erd und Auruo eilten zu ihm und gemeinsam hievten sie das erschrockene Tier nach oben. Levi legte die Stirn in Falten, als Erd das Pferd sanft ein paar Schritte nach vorne führte und sagte: „Ich glaube zwar nicht, dass etwas gebrochen ist, aber wir müssen es so schnell wie möglich zum Stall führen.“ Levis Aufmerksamkeit wechselte zu Eren und Petra und er starrte ernst von einem zum anderen. „Kannst du dich allein auf den Beinen halten, Petra?“ Der Hauptgefreite setzte sich in Bewegung und blieb vor den beiden stehen. Beschämt senkte sie den Blick und bat Eren flüsternd, sie loszulassen. Ungern kam er ihrer Bitte nach, aber sogleich knickte sie um. Gerade noch rechtzeitig stützte Levi seine Untergebene und bewahrte sie vor einem erneuten Sturz. Als ihr klar wurde, dass der Mann, den sie so sehr verehrte, ihren Körper an sich presste, lief sie rot an. Ohne eine besondere Reaktion zu zeigen, meinte Levi: „In Ordnung. Du übernimmst das Kommando, Erd. Bringt das Pferd zurück zum Stall und wartet dann im Hauptquartier.“ „Bleiben Sie hier?“, fragte Eren verwirrt. „Bring mir die Satteltasche meines Pferdes, Yeager“, war seine knappe Antwort. Behutsam ging er mit Petra in die Knie und tastete ihr verwundetes Bein ab. Selten hatte sie sich in ihrem Leben so glücklich und unwohl zugleich gefühlt. „Sollen wir Sie und Petra wirklich zurücklassen?“, fragte Gunter skeptisch und sah zu, wie Eren seinem Anführer die Tasche reichte. „Ist in Ordnung. Was soll hier schon groß passieren? Verschwindet endlich, das Pferd braucht Versorgung. Denkt daran, was es wert ist. Wenn ihr euch nicht gleich bewegt, ziehe ich das von eurem Gehalt ab.“ Stillschweigend gehorchten die Vier, aber fragten sich, warum Levi so vehement darauf bestand, sie alle wegzuschicken. Noch lange, nachdem sie das Pferd weggeführt hatten, gab der Hauptgefreite keinen Ton von sich und kümmerte sich geschickt um ihre Verletzungen. Petras Bein war übel angeschwollen, aber eine Fraktur schien nicht vorzuliegen. Die vorherrschende Stille wurde langsam unerträglich für die junge Frau und unterwürfig meinte sie: „Es tut mir sehr leid, dass ich so ungeschickt war. Meinetwegen hätten wir fast das Pferd verloren.“ Als er die letzte ihrer blutenden Schürfwunden von Schmutz und Erde gesäubert sowie verbunden hatte, sah er auf und erwiderte ernst: „Ehrlich gesagt frage ich mich, wo zurzeit deine Gedanken sind.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Gibt es Probleme privater Natur? Etwas, wobei man dir behilflich sein könnte? Bist du wirklich auf der Höhe für so einen wichtigen Einsatz?“ Beschämt blickte sie zu Boden. „Es gibt keine Probleme, Herr Kommandant. Ich war einfach nur nicht bei der Sache, das ist alles.“ „Wenn uns das im Zweifelsfall Eren Yeagers Leben kostet, ist es nicht mit einem einfachen 'Das ist alles' getan, Petra.“ Sein strenger Blick ruhte auf ihr und unglücklich seufzte sie auf. „Das weiß ich, Herr Kommandant. Bitte seien Sie nachsichtig und verzeihen mir meine Unaufmerksamkeit.“ Levi stand auf und reichte ihr die Hand, um sie nach oben zu ziehen. Sanft führte er sie zu seinem Pferd und half ihr beim Aufsteigen. Nachdem er sich selbst hinter Petra auf den Sattel gleiten ließ, umschloss er mit dem rechten Arm ihre Taille, um sie besser zu stützen. „Kommandant …?“ Levi ließ sein Pferd lostraben und gab ihr keine Antwort. Ein wenig beschämt blickte sie stur auf den Weg vor sich. „Ich mache Ihnen unnötige Probleme, nicht wahr?“ Petras Stimme wankte zwischen Enttäuschung und Furcht. „Unsinn.“ „Denken Sie, das Pferd wird wieder?“ Sie wagte es, sich ein kleines bisschen nach hinten sacken zu lassen, in der Hoffnung, es würde Levi nicht allzu sehr auffallen. Nachdem er aber den Griff um ihre Taille verstärkte und ihren Rücken näher an seine Brust drückte, wurde ihr schlagartig bewusst, dass er mit dieser Geste eine Art 'Antwort' auf ihren kleinen Annäherungsversuch gab. „Mach dir jetzt keine Gedanken um das Pferd. Das ist leichter zu ersetzen als eine Elitesoldatin.“ „Danke, Herr Kommandant.“ [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] Lieber Vater! „Ich könnte mich selbst ohrfeigen! Du weißt ja, wie wertvoll und teuer die Pferde des Militärs sind. Bei einem Ausritt war ich zu sehr in Gedanken und achtete nicht genügend auf mein Umfeld. Das ist unverzeihlich, da wir auf diese Weise fast ein Pferd verloren haben. Es stolperte und zog sich eine üble Verletzung am Bein zu. Der Hauptgefreite ließ es abholen und nun wird es in der Stadt versorgt. Ich habe natürlich Ersatz bekommen, aber du weißt ja, dass man wegen jeglicher Unfälle einen Bericht schreiben muss. Ich habe dem Herrn Hauptgefreiten nur Ärger gemacht! Ich bin richtig wütend auf mich selbst wegen dieser Sache. Völlig zu Recht ermahnte mich der Hauptgefreite Levi. Wenn ein solcher Fauxpas unsere Mission gefährden würde, wäre das unvorstellbar schrecklich. Ich muss wieder mehr auf mein Umfeld achten! Für mich ging der Sturz auch nicht ganz ohne Schäden ab. Jedoch hat mich der Herr Hauptgefreite sofort so gut verarztet, dass ich schon beinahe genesen bin. Mach dir bitte keine Sorgen, so leicht lasse ich mich nicht unterkriegen. Schließlich bin ich hier, um meinem Anführer dienen zu können! Und das werde ich um jeden Preis. Bis bald! Deine Petra“ [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] Es klopfte an der Tür zu Petras Zimmer und die junge Frau zuckte zusammen. Überrascht blickte sie über ihre Schulter und legte den Stift beiseite. „Ja bitte?“ Die Tür öffnete sich langsam und ihr Vorgesetzter trat ein. „Petra, ich bitte dich um eine Minute.“ Sofort stand sie auf und nahm eine würdevolle Haltung an. „Aber natürlich“, antwortete sie ernst. Schnell huschten ihre Augen im Zimmer umher. War auch alles ordentlich genug, um sich nicht vor dem Hauptgefreiten zu blamieren? Nervös blickte sie Levi an, als dieser mit verschränkten Armen in Richtung ihres Tisches schritt und sich vor ihr an die Tischkante lehnte. Seine unergründlichen Augen ruhten einige Sekunden auf ihr. Warum war sie plötzlich so durcheinander? Ihr Verstand lief auf Hochtouren. Was war es nur, was war es nur … Richtig. Sie hatte zwar schon viele Situationen erlebt, in denen nur sie allein seine Befehle entgegengenommen hatte, doch etwas wie jetzt gerade war neu. Obwohl sie nicht wusste, um was es ging, war die Anspannung im Raum allgegenwärtig. Sie und er, allein in ihrem Zimmer … Seine ernste Stimme riss sie aus ihren hektischen Gedanken. „Gibt es jemanden in deinem Leben, den du … ansprechend findest?“ Diese hervorgehobene Betonung der letzten Worte erschlich sich ihr zuerst nicht ganz. Verwirrt blinzelte sie ihn erst mehrmals an, bis sich ihr Mund stumm öffnete und wieder schloss. Die Erkenntnis, wie er dies wohl meinte, wirkte sich verheerend auf die Farbe ihrer Wangen aus und das Blut stieg ihr sofort zu Kopf. „Herr Kommandant, Sie meinen, ob ich eine Beziehung habe?“ Unverändert starrte er sie an. „Ja, das meine ich.“ „Spielt das eine Rolle?“ Langsam beschleunigte sich der Rhythmus ihres Herzschlages. „Ja, für mich tut es das.“ Unsicher schlang die junge Frau ihre Arme um die Brust und blickte Hilfe suchend und verstohlen zu beiden Seiten. „Dürfte ich fragen, wieso?“ Oh nein, ihre Stimme klang zu vorwurfsvoll! Dabei war sie doch nur aufgewühlt! Levi war nicht gekränkt oder sauer. Er wandte nur endlich den Blick von ihr ab und sagte mit fester Stimme: „Weil ich wissen möchte, ob Avancen meinerseits auf offene Ohren stoßen könnten.“ Schwer schluckend legte sie eine Hand nervös in die andere und drückte sie gegen ihre Brust. Nach einiger Zeit des Überlegens – Levi hatte beharrlich gewartet und den Boden mit seinem Blick traktiert – senkte sie die Lider und flüsterte beschämt: „Nein, Herr Kommandant. Es gibt niemanden in meinem Leben.“ Ohne den Hauch von Emotionen zu zeigen, wandte sich Levi zum Gehen und verließ den Raum. Noch lange wusste die junge Frau nicht, ob es sich um die Realität oder doch ein Trugbild gehandelt hatte. Sie starrte verwirrt auf die Tür und versuchte, sich einen Reim auf die Situation zu machen. Was genau hatte er gesagt? 'Avancen' …? Würde das bedeuten, er … „Himmel!“, gequält schloss Petra die Augen und raufte sich die Haare. Er konnte doch nicht einfach so hereinplatzen, ihr solche Dinge sagen und dann wieder gehen, als wäre nichts gewesen! Hatte er etwa ihre heimlichen Blicke bemerkt? Aber nur, weil ihm aufgefallen war, dass sie ihn mehr bewunderte als andere, hieß das doch nicht, dass er sich deshalb auch gleich für sie interessierte! So funktionierte das doch nicht! Wäre auch zu schön gewesen … [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] „Lieber Vater, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Die Tage seit meinem letzten Brief vergingen sehr schnell, fast zu schnell. Es gab viele Situationen, in denen ich unsicher wurde. Du fragst dich sicherlich, worum es geht. Nun, ich denke, da ist jemand, der sich für mich unter Umständen interessieren könnte. Aber der Gedanke an so etwas ist so dreist, dass ich nicht näher darauf eingehen möchte! Leider weiß ich einfach nicht, wie ich mich in so einer Situation verhalten soll. Du sagst immer, Männer wollen eine Frau erobern, aber ich will nicht schwach wirken! Ich darf mich außerdem nicht von meiner eigentlichen Aufgabe ablenken lassen! Nun, ich kann natürlich nicht ganz verleugnen, dass ich mir als Frau wünsche, eine Familie zu gründen und mich niederzulassen. Aber in erster Linie bin ich Soldatin! Ich muss noch der Menschheit nützlich sein, bevor ich an so etwas denken kann, nicht wahr? Was sagst du dazu? Bald schon ist meine Zeit hier beendet. Nach der Expedition in gut einer Woche kann ich ein wenig Abstand gewinnen und über meine Zukunft nachdenken. Jetzt konzentriere ich mich erst auf das Wesentliche! In Liebe, deine Petra“ [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] „Ich dachte mir, dass ich dich hier finden würde.“ Petra, die gerade im Stall die Pferde versorgte, wirbelte erschrocken herum, als sie die Stimme ihres Vorgesetzten hinter sich vernehmen konnte. Mit klopfendem Herzen stand sie da und musterte ihn nervös. „Jetzt haben Sie mich ziemlich erschreckt, Herr Kommandant.“ Ohne auf ihre Aussage zu achten, kam der schwarzhaarige Mann näher und streichelte dem Pferd, das Petra gerade striegelte, sanft über die Nüstern. Ohne den Blick von dem Tier abzuwenden, fragte er leise: „Deine Verletzungen?“ „Sind alle vollständig genesen und beeinträchtigen mich nicht in meiner Position, Herr Kommandant.“ „Dann ist ja gut.“ Die anschließende Stille zwischen den beiden war fast unerträglich für die junge Frau. Was genau wollte er? Nervös machte sie sich daran, das Wasser der restlichen Pferde zu kontrollieren. Stumm sah ihr Levi nach, ehe er nach einigen Minuten meinte: „Was ich neulich sagte ...“ Erschrocken gefror sie mitten in der Bewegung und spürte, wie sich vor Nervosität ihre Nackenhaare aufstellten. Ihr gefiel gar nicht, welche Wendung diese Unterhaltung nahm! „Was genau meinen Sie?“, fragte sie und betete inständig, dass er an etwas anderes dachte, als an die Situation in ihrem Zimmer. „Nicht so wichtig.“ Diesen Ausdruck auf seinem Gesicht wusste sie einfach nicht zu deuten. Verwirrt wandte sie sich wieder den Tieren zu. „Seit dem Unfall mit dem Pferd übernimmst du die komplette Versorgung hier allein. Fühlst du dich schuldig?“ Da hatte er einen wunden Punkt getroffen! Ja, sie fühlte sich schuldig. Sehr sogar. Gequält lehnte sie ihre Stirn an den Hals des Pferdes und schloss die Augen. „Das brauchst du nicht, Petra. Das habe ich dir schon einmal gesagt. Ich bin froh, dass du dir nicht den Hals gebrochen hast bei diesem Unfall. Das Pferd könnte ich eher verschmerzen, als dich.“ Er schritt an Petras Seite und nahm seinen Blick nicht von ihr. Schüchtern sah sie an ihm hoch, doch konnte den Augenkontakt nie lange halten. Leise flüsterte die junge Soldatin: „Ich war damals einfach viel zu nervös.“ Levis Augen verengten sich und mit einem seltsamen Tonfall in der Stimme fragte er: „Meinetwegen?“ Jetzt war es also mehr als offensichtlich. Sie nickte stumm. Levi atmete tief durch und lehnte sich mit verschränkten Armen an das Pferd. „Erfreulich.“ Wie bitte? Sie glaubte, nicht richtig zugehört zu haben. Verständnislos blinzelte sie ihn an, sagte aber nichts. „Naja, es ist zwar weniger erfreulich, dass du aufgrund meiner Anwesenheit einen Salto aus dem Sattel machst. Aber grundsätzlich finde ich den Gedanken, dass du wegen mir sogar das Reiten verlernst, obwohl du auf dem Pferd zu den Begabtesten zählst, ziemlich amüsant.“ „Amüsant?“ Geknickt sah sie zu Boden. „Das ist nicht unbedingt das, was ich mir erwartet hatte.“ Hastig mit den Händen gestikulierend fügte sie hinzu: „Nicht, dass ich mir überhaupt etwas erwarten würde! Es ist nur ...“ „Ich weiß mal wieder nicht, wann ich meine Klappe halten sollte“, stellte Levi seufzend fest und fuhr sich mit der Hand nervös über den Nacken. „Ich wollte dir nur sagen, dass du mein Interesse geweckt hast, nichts weiter.“ Eilig entfernte sich der Hauptgefreite von den Ställen und ließ Petra mit wackeligen Knien zurück. Während des Abendessens sagte die junge Frau kein Wort. Jeder ihrer Kameraden konnte sehen, dass sie ziemlich betrübt war. Eren, den Petra bisher sehr freundlich behandelt hatte und ihn ein wenig unter ihre Fittiche genommen hatte, stand auf, als die junge Frau sich nach dem Essen schnell in ihren Wohnbereich zurückziehen wollte. „Petra, ist alles bei Ihnen in Ordnung?“, fragte er mit ernster Besorgnis. Sie versuchte sich an einem Lächeln und täuschte Sorglosigkeit vor. „Aber natürlich!“ „Wenn Sie Probleme haben, weil jemand Sie vielleicht schlecht behandelt haben sollte, dann -“ „Yeager, verpiss dich und mach den Abwasch“, fauchte die scharfe Stimme Levis hinter dem jungen Soldaten. Erschrocken machte er kehrt und erwiderte: „Aber natürlich, Herr Kommandant! Sofort, Herr Kommandant!“ Er warf einen letzten besorgten Blick zu Petra und ging dann an die Arbeit. Bevor der Junge an Levi vorbeieilen konnte, knurrte dieser ihm noch hinterher: „Und wenn ich auch nur einen gottverdammten Fleck auf der Unterseite der Teller finden sollte, bist du dran, Yeager!“ Petra fand dieses Verhalten Levis immer schon ungebührlich. Warum war er auf der einen Seite so freundlich zu seinen Untergebenen, aber dann hin und wieder so ein Ekel? Vor allem dieser arme Junge Eren schien für ihn als eine Art Prügelknabe herhalten zu müssen. Noch immer war sie wegen der Sache vorhin am Stall sehr aufgebracht, was sich nun eindeutig negativ auf ihre Laune und Einstellung dem Hauptgefreiten gegenüber auswirkte. Als Levi zu ihr geschritten war und Eren einen giftigen Blick nachwarf, verschränkte Petra die Arme und verzog säuerlich das Gesicht. Als ihr Vorgesetzter das bemerkte, senkte er eine Braue und fragte leise: „Was?“ Petra schnaubte und sah ihn tadelnd an. „Herr Kommandant, er gibt sein Bestes.“ „Nicht in Sachen Abwasch“, war die trockene Antwort. Aus einiger Entfernung flüsterte Auruo an Erd gewandt: „Irgendwie machen die beiden mir gerade den Eindruck eines alten Ehepaars ...“ Pikiert war der Angesprochene seinem Kameraden einen Seitenblick zu. „Du bist immer noch der Meinung, unsere Petra hat Interesse an ihm?“ „Nicht nur das“, war Auruos Antwort. „Ich denke, dass vielleicht sogar der Hauptgefreite ein bisschen aufmerksam auf sie wurde.“ Mit jedem Tag, der verging, machte Levi mehr und mehr klar, was er Petra gegenüber empfand. Ihre sanftmütige, fürsorgliche Art hatte ihm von Anfang an gefallen. Das zu zeigen fiel ihm jedoch unglaublich schwer. Insgesamt war es für ihn keine leichte Angelegenheit, Menschen an sich heranzulassen. Insgeheim bewunderte er die junge Frau für ihre Freundlichkeit und die Wärme, die sie stets ausstrahlte. Das war auch einer der Gründe, warum er sie ausgewählt hatte. Sie war kampferprobt und erfahren, hatte sich aber ihre reine Seele, trotz all dem Leid, das sie hatte mit ansehen müssen, bewahren können. Wenn er in diesem tristen Alltag ein freundliches Gesicht sehen wollte, musste er nur ihre Nähe suchen. Vielleicht spürte sie unterbewusst, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, denn es dauerte nicht lange, so bemerkte Levi ihre heimlichen Blicke. Da er eigentlich von Liebe und Beziehungen absolut kalt gelassen wurde, verwirrte es ihn umso mehr, dass er begann, sich ihre Aufmerksamkeit zu wünschen. Am vierten Abend vor ihrer Expedition suchte er Petra auf, als sie gerade damit beschäftigt war, auf einem Hügel vor der Burg ihre Ausrüstung zu überprüfen. So sehr sie auch anfangs seine Nähe schätzte, mittlerweile hatte sie ein zwiegespaltenes Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten entwickelt. Sie wollte ihm gern weiterhin folgen, aber jedes Mal, wenn er sie ansah, tat es weh. „Petra?“ Levi war von hinten an sie herangetreten und ließ sich neben ihr auf dem Gras nieder. Vor Schreck warf sie fast ihre Ausrüstung, die sie gerade in den Händen hielt, in die Luft. „Kommandant?“, fragte Petra voll Unbehagen. Mit einem durchdringenden Blick nagelte er sie fest. „In ein paar Tagen ist es soweit.“ „Sie meinen die Expedition? Denken Sie, dass es Probleme geben wird?“ „Wie kommst du darauf?“ Levis Augen blitzten auf. Unsicher starrte Petra in den Himmel. „Ich dachte nur, dass Sie irgendwie besorgt klangen.“ Levi gab ihr keine Antwort. Nach einiger Zeit, in der sie beide geschwiegen hatten, setzte der Hauptgefreite von neuem an. „Hast du Pläne für deine Zukunft, Petra?“ Diese überraschende Frage verwirrte die junge Frau. „Inwiefern, Herr Kommandant?“ „Bisher lebte ich von einem Tag zum nächsten. Ich habe mir nie Gedanken über meine Zukunft gemacht. Bis jetzt.“ Vorsichtig tastete sie sich weiter vor. „Hat sich etwas in ihrem Leben verändert?“, fragte sie mit Nachdruck. „Ja. Ich habe dich getroffen.“ Petra schnappte nach Luft. Sie spürte ein nervöses Kribbeln im ganzen Körper. Unsicher schlang sie die Arme um ihre Beine und schloss die Augen. „Warum erwähnen Sie mich zusammen mit ihrer Zukunft …?“ In Gedanken bat sie um die Antwort, die sie zu hören erhoffte. „Weil ich beides sehr gern verbinden würde. Meine Zukunft … und dich.“ Sein ernster Blick ruhte auf ihr. Mit klopfendem Herzen sah sie ihm vorsichtig in die Augen. „Haben Sie es wirklich ernst gemeint, als Sie sagten, dass Sie mich ...“ Sie verstummte, als sie spüren konnte, wie Levis Hand sanft über ihre Wange strich. Verträumt versank sie beinahe in seinen tiefgründigen Augen. Behutsam wanderten seine Finger über die Konturen ihrer Lippen und strichen tiefer über die Kehle hinab bis zu ihrem Schlüsselbein. „Was sagst du dazu, Petra?“ Erschrocken blinzelte sie und wurde sich ihrer Situation gewahr. Mit geröteten Wangen sah sie zu Boden und flüsterte: „Das wäre eine Zukunft, von der ich bis jetzt nie zu träumen gewagt hatte.“ Schneller, als sie es richtig erfassen konnte, zog Levi sie in seine Umarmung und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Hiervon völlig überrumpelt wusste sie zunächst nicht, was sie tun sollte. Nach einigen Sekunden, in denen sie sich völlig hilflos gefühlt hatte, beruhigte sie sich selbst, schloss die Augen und schmiegte sich eng an Levi. Während sie so verharrten, flüsterte Petra leise: „Herr Kommandant, ich hätte niemals erwartet, Ihnen so nah kommen zu dürfen.“ Als sie vernahm, wie er resigniert seufzte, blickte sie erschrocken hoch. „Hab ich etwas Falsches gesagt, Herr Kommandant?“ Levi verengte die Augen und verzog die Mundwinkel. „Ich fände es großartig, wenn du dieses förmliche Gelaber endlich lassen würdest ...“ „Aber Herr Kommandant!“ „ … Genau das meine ich ...“ „Entschuldigen Sie bitte vielmals ...“ „ … Ach, Petra.“ Wenig später lagen sie zusammen im Gras und starrten in den Himmel. Petra drückte sich so nah wie möglich an Levi, welcher seinen rechten Arm liebevoll um sie gelegt hatte. Zufrieden schloss sie die Augen und lächelte. „Wenn das ein Traum ist, möchte ich niemals aufwachen“, flüsterte sie, als sie ihr Gesicht an seine Brust drückte. Vorsichtig strich er ihr über das Haar, bevor er sich letzten Endes hochstemmte und über der jungen Frau abstützte. Verschüchtert starrte sie ihn an und war sich nicht ganz sicher, was genau er nun vorhatte. Wie in Zeitlupe nahm sie wahr, wie er sich zu ihr hinabbeugte und im Begriff war, ihren ersten Kuss zu rauben. Hin und hergerissen zwischen ihren Gefühlen und ihrem Verstand wägte sie ab. Das ging alles ein bisschen schnell, oder etwa nicht? Andererseits … wenn es stimmte, dass er sich schon lange für sie interessierte … dann hatten sie einander schon so lange Zeit näherkommen wollen, es aber nie gewagt. Dann konnte man ihm jetzt in dieser Situation schlecht einen Vorwurf machen! Mann blieb schließlich Mann! Während die Gedanken durch ihren Kopf rasten, wurde ihr plötzlich bewusst, wie nah er ihr mittlerweile gekommen war. Viel Zeit blieb ihr somit nicht mehr, um abzuwägen! Kurz, bevor seine Lippen die ihren berührten konnten, entschied sie sich dafür, einen Rückzieher zu machen. Besser gesagt handelte sie einfach aus Überforderung, da sie nicht mehr imstande war, sinnvoll nachzudenken. Kurzerhand schob sie ihre Hand zwischen sich und Levi und bedeckte mit ihren Fingerspitzen seine Lippen. Irritiert und leicht angefressen wich er zurück und verzog eine Augenbraue. „Ist das ein 'Nein'?“, fragte er verschwörerisch. „Das ist ein 'bitte nicht so plötzlich'!“ Gequält wandte sie den Blick ab und bereute ihr Handeln. Hatte sie ihn jetzt vergrault? Wütend auf sich selbst drückte sie ihre zur Faust geballte Hand gegen die Stirn. Levi zog sich zurück und setzte sich auf. „Wie du möchtest. Ehrlich gesagt hatte ich nichts anderes von dir erwartet.“ „Wie meinen Sie das …?“ Unglücklich rechnete sie mit dem Schlimmsten. Hielt er sie für ein unerfahrenes Mauerblümchen? Na ja, so ganz unrecht hatte er damit nicht … „Jedenfalls nicht negativ.“ Stur starrte er weiterhin in den Himmel, während die junge Frau auf dem Bauch lag und verwirrt zu ihm aufblickte. Die wenigen Tage vor der Expedition waren gefüllt mit Vorbereitungen und Planung. Petra hatte nicht den Mut, von sich aus auf Levi zuzugehen und er selbst ließ sich nichts von dem anmerken, was bisher zwischen ihnen passiert war. Fast schon hielt sie die Geschehnisse für einen Traum; einen ziemlich gehässigen, der ihr quälend vor Augen führte, was sie wohl niemals erreichen könnte. Er hatte ihr doch ein besonderes Versprechen gegeben, oder war auch dies ein Trugbild? „Morgen starten wir die Expedition.“ Levi stand am Abend vor seiner Truppe und suchte mit jedem Einzelnen von ihnen Augenkontakt. Nur Petra würdigte er keines Blickes. „Ich erwarte von euch, dass ihr wie immer euer Bestes gebt.“ „Jawohl, Herr Kommandant!“, kam es wie aus einem Mund von seiner Truppe, ehe sie sich auf Geheiß ihres Anführers entfernten. Petra verweilte ein paar Sekunden länger als ihre Kameraden, in der Hoffnung, in irgendeiner Form von Levi angesprochen zu werden. Traurig zog auch sie sich zurück, als dies nicht eintrat. Als sie ein paar Meter zurückgelegt hatte, erstarrte sie plötzlich, nachdem der Hauptgefreite sich gekünstelt räusperte. Ehe sie sich umdrehen konnte, war er hinter sie getreten und umschloss ihren linken Arm, um sie mit sich zu ziehen. „Kommandant?!“ Sie war verwirrt. Dieser Mann war so schrecklich undurchschaubar! „Ich möchte die letzten Stunden hier gerne in deiner Gesellschaft verbringen. Oder hast du andere Pläne?“ Wie üblich konnte sie anhand seiner Gesichtszüge nicht ausmachen, was ihm durch den Kopf ging. „Keine ...“ Schnurstracks führte er die junge Frau vor die Tür seiner Unterkunft und sah sie auffordernd an. „Äh …?!“ Geschockt riss sie sich los und starrte zwischen ihm und dem Durchgang hin und her. „Wer weiß, ob wir je eine weitere Gelegenheit geschenkt bekommen?“, flüsterte Levi leise und trat ein, ließ aber die Tür offen. Nach kurzem Zögern und einem gehetzten Blick zu beiden Seiten des Ganges folgte sie ihm schließlich unsicher. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, drehte sie sich beschämt um und erkannte, wie Levi sich auf der Bettkante niedergelassen hatte. Petra schluckte und setzte sich auf unsicheren Beinen in Bewegung. „Es ist lange her, seit ich einer Frau nahekam.“ Levi schloss die Augen, als würde er sich weit zurückliegende Erinnerungen ins Gedächtnis rufen. Schüchtern setzte sie sich neben ihn und spielte nervös mit ihren Händen. „Ich kann von mir nicht behaupten, jemals ...“ Mitten im Satz brach sie ab, weil sie beschämt feststellte, worauf dies alles hinauslaufen würde. „Ich will dir nicht wehtun, Petra.“ Wie meinte er das? Wieder einmal konnte sie seinen Gedanken einfach nicht folgen, daher schwieg sie und starrte auf den Boden. „Sag, dass du es zulässt.“ Erneut gab sie ihm keine Antwort und zuckte kaum merklich zusammen. „Petra!“ Der scharfe Tonfall ließ sie aufschrecken. „Ja, Herr Kommandant.“ Wenig später ließ sie sich von ihm sanft, aber bestimmt in das Kissen drücken. Levi stemmte sich über die junge Frau und begann langsam, die linke Seite ihres Halses mit zärtlichen Küssen zu übersäen. Überwältigt von all ihren Empfindungen wusste Petra nicht, wie sie in einer Situation wie dieser reagieren müsste. Liebe war etwas völlig Neues für sie … Das alles kam so schnell, so unvermittelt, so … überwältigend. Leise wimmernd kniff sie die Augen zusammen. Sofort hielt Levi inne, richtete sich ein wenig auf und bedachte die Frau unter ihm mit einem intensiven Blick. Fragend legte er den Kopf leicht zur Seite und wartete auf ihre Reaktion. Petra wurde nun spontan bewusst, in welcher Situation sie sich befand und riss erschrocken die Augen auf. Als würde dies etwas an dem momentanen Geschehen ändern, versteckte sie ihr hübsches Gesicht hinter ihren Handflächen. Sie spürte, wie ihr das Blut zu Kopf gestiegen war, und wollte unter allen Umständen vermeiden, ihrem Vorgesetzten solch einen lächerlichen Anblick zu bieten. Levi indessen verzog skeptisch das Gesicht und fragte: „Was ist?“ Seine Stimme klang gedämpft und Petra bildete sich ein, eine Spur von Ungeduld aus seinen Worten zu vernehmen. Genau das wollte sie doch nicht! Diesen Mann ernsthaft zu verärgern – oder noch schlimmer, ihn zu enttäuschen – war das, wovor sie sich am meisten fürchtete. „Ich schäme mich so“, flüsterte sie gequält und versteckte noch immer ihr Antlitz. Levi, der sich bis jetzt über sie gebeugt hatte und sich an ihren Körper presste, verlagerte sein Gewicht und ließ Petra ihren Freiraum. Er ruhte nun neben ihr und dachte über ihre Worte nach, während ihm ein leises Schnauben entwich. Daraufhin vernahm er ein kurzes Wimmern und musste feststellen, wie sehr sie zitterte. Hatte sie solche Angst? Levi rappelte sich auf und griff sanft nach ihren Händen. Als er diese nach unten zog, stellte er besorgt fest, wie Tränen Petras goldbraune Augen glasig erscheinen ließen. Ein leises Seufzen drang aus seiner Kehle, als sie ihn wie ein ängstliches Reh anstarrte. Mit Brachialgewalt vorzugehen war falsch. Aber wie würde er ihr Sicherheit vermitteln, wenn nicht mit seiner herrischen, selbstbewussten Art? Kurz belustigte ihn der Gedanke, dass dies doch kein Schlachtfeld war, dann bereute er jedoch solch einen Vergleich. „Wofür schämst du dich?“, fragte er sacht. Beruhigend fuhr er nach einer kurzen Pause fort: „Dafür, wie hübsch du bist? Oder etwa, weil du mich völlig verzaubert hast? Ich muss dir doch nicht sagen, wie dumm solche Gedanken sind, oder etwa doch?“ Der tadelnde Unterton sollte sie eigentlich zum Lächeln bringen, doch stattdessen kniff sie schmerzerfüllt die Augen zusammen. „Es tut mir leid, Herr Kommandant ...“ Levi seufzte. Das hier war beinahe Neuland für ihn. Solch eine komplizierte Situation! Lieber hätte er nun einer Armee aus Titanen gegenübergestanden, da wusste er wenigstens, was zu tun war! Seine Worte verletzten dieses zerbrechliche Geschöpf nur immer weiter … „Hör auf, dich zu entschuldigen. Es gibt dafür keinen Grund. Mir sollte es leidtun, dich so zu bedrängen. Normalerweise weiß ich sofort, was ich machen muss, doch wenn ich ehrlich sein soll, hab ich gerade wirklich keine Ahnung.“ „Sie bedrängen mich nicht!“ Der kindlich-trotzige Ausdruck auf ihrem Gesicht weckte Levis Beschützerinstinkt immer wieder, wenn er sie so sah … Natürlich ließ er sich äußerlich nichts anmerken und wie Mal für Mal hatte er einen gelangweilten, undurchschaubaren Ausdruck in den Augen. Langsam schloss er die Lider und wandte sich ab. Einige Sekunden später fuhr ein elektrisierender Impuls durch seinen Körper, als er spürte, wie Petra sich unsicher und schüchtern an seinen Rücken schmiegte. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich an ihn und legte ihre Arme um Levi, der – unmerklich für die junge Frau – nach Luft schnappte. Lange Zeit verharrte das junge Liebespaar so. All das was folgte, band diese beiden Seelen für immer aneinander. Eine Nacht. Eine Nacht für die Ewigkeit. Mehr war ihnen nicht vergönnt. [align type="center"][style type="italic"]******[/style][/align] „Lieber Vater, nun ist fast ein Monat vergangen und sehr bald schon werden wir wieder aufbrechen. Das Team und ich sind sehr zuversichtlich, dass unser Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird! Schließlich haben wir Eren Yeager auf unserer Seite. Ich vertraue diesem Jungen voll und ganz und hoffe, dass auch du ihm gute Gedanken schicken wirst! Er ist kein Feind, er ist die Hoffnung der Menschheit! … Jedoch liegt mir etwas auf dem Herzen. Ich glaube, ich habe jemanden gefunden, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Durch meine bisherigen Erzählungen ahnst du es vielleicht auch schon ... Der Hauptgefreite Levi ist ein wunderbarer Mann. Ich schäme mich fast ein bisschen für die folgenden Worte, weil ich mich nicht als wertvoll genug für ihn erachte, aber: Ich liebe ihn. Ich hoffe, du freust dich für mich? Ich bin nämlich so unglaublich glücklich! Levi und mich verbindet nun mehr als nur eine Beziehung zwischen einem Vorgesetzten und seiner Untergebenen. Da ich weiß, dass du ein schwaches Herz hast, will ich dich gleich auf etwas vorbereiten. Keine Sorge! Setz dich bitte. Vater, ich möchte dir hiermit sagen, dass Levi nach unserem Einsatz bei dir um meine Hand anhalten möchte. Er legt großen Wert darauf, dich persönlich zu treffen. Ich sage ihm aber nichts von diesem Brief (er wäre sicher sauer) und es wäre schön, wenn du ihn nicht mit Fragen bombardieren würdest. Auch wenn er es selten zeigt, so ist Levi eigentlich sehr sanft und gutherzig. Er gibt sich unwirsch und grob, aber was sonst würde ihn so weit bringen und siegen lassen, wenn nicht seine unumstößliche Liebe zur Menschheit? Als ich das erkannte, war es um mich geschehen. Er ist ehrenvoll und tapfer. Wolltest du nicht immer so einen Schwiegersohn? Nun werde ich ihm in diese Schlacht folgen. Sei unbesorgt! Ich vertraue seinem Geschick und seinen Entscheidungen voll und ganz. Ich möchte es noch einmal schreiben, da ich es selbst noch gar nicht richtig begreifen kann: Ich liebe ihn! Vater, ich freue mich schon so sehr darauf, dich wiederzusehen! Wir werden feiern und glücklich sein, als gäbe es kein Morgen! In Liebe, deine Petra.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)