Corruptio optimi pessima von Noveen (Die Entartung des Besten führt zum Schlimmsten) ================================================================================ Kapitel 7: überraschend ----------------------- Gut in der Zeit liegend schlenderte Tom schließlich die Straße herunter. Sam schlenderte brav an seiner Seite und schnüffelte angetan an jedem Zaun und jeden Pfahl der seinen Weg kreuzte. Nach dem Gespräch mit seinen damaligen besten Freunden hatte er plötzlich wieder einen heftigen Anflug von Heimweh. Er wünschte sich zurück nach Hannover; wollte wieder mit Georg und Gustav trinken gehen, Party machen, Tussen aufreißen und Scheiße labern. Das alles vermisste er hier irgendwie und auch das Bedenken war da, das die Entfernung zu den Beiden, die Freundschaft irgendwann einschlafen ließ. Noch erinnerten sie sich… noch hielten sie so viel Kontakt wie möglich. Aber was war in ein paar Monaten? Was in einem halben Jahr? Würde er irgendwann alle Bezüge zu seiner alten Heimat verlieren? Schon alleine die Vorstellung schmerzte irgendwie ungemein… Die letzten Jahre war es selbstverständlich gewesen, dass die Freunde immer dagewesen waren. Jetzt allerdings waren sie nicht mehr da. Wenn er mit ihnen über das Internet sprach, war das nicht einmal im Entferntesten das gleiche. Es machte einfach einen Unterschied ob ein Mensch vor dir saß oder du ihn nur durch einen Monitor betrachten konntest, wie ein altes Video. Immer mehr verabscheute er den Entschluss ihrer Eltern hier her zu ziehen. Auch wenn er nicht leugnen konnte, dass es auch positive Aspekte an dem Umzug gab. Als er an den violetten Haus ankam, bemerkte er erstaunt, dass er bereits erwartet wurde. Dort auf den drei Stufen, die zur Eingangstür führten, saß Bill und lächelte ihm entgegen. War er doch zu spät? Das konnte aber eigentlich gar nicht sein… »Hey, wie lange wartest du denn schon?« fragte er verblüfft, als der Andere ihm strahlend entgegen kam und ihn stürmisch umarmte. Kurz erwiderte er die Umarmung, schob ihn dann aber wieder sanft von sich um ihn anzusehen. Er sah besser aus als gestern. Glücklicher… offener irgendwie… die Augen waren wacher und funkelten und vor allem… er hatte sich wieder geschminkt. Bill hielt ihm seine Hand entgegen mit ausgestreckten Fingern. Kurz musste der Blonde überlegen was er meinte. »Du hast schon 5 Minuten gewartet?« Er nickte. Seltsam war das schon… Aber der Dreadhead verkniff sich jeden weiteren Kommentar. »Wollen wir dann los?« Der Schwarzhaarige nickte erneut und schritt dann leichtfüßig neben ihm her, als Tom mit Sam die Einfahrt wieder hinunter ging. Es war fast als würde er hüpfen. Doch dem Hopper war nicht wirklich klar, was seinem Gemütszustand so gehoben hatte. Konnte es an ihm liegen? Auch wenn es stimmte, es war schon ein wenig eingebildet davon auszugehen… Vielleicht hatte er einfach einen guten Tag oder so. Unauffällig schielte er zu Bill hinüber. Aber was nun? Ihm war immer noch nicht ganz klar, wie er mit den stummen Jungen kommunizieren sollte. Natürlich gab Bill sich wirklich Mühe sich ihm verständlich zu machen und notfalls hatten sie noch ihr Handy… aber trotzdem war es mühsam. Doch es nutzte ja nichts sich jetzt unnötig den Kopf darüber zu zerbrechen… »Magst du?« wollte Tom wissen und hielt dem Anderen Sams Leine hin. Irgendwann hatte Jenny ihm mal beiläufig erzählt das Bill Tiere – speziell Hunde – über alles liebte und das Strahlen, welches er auf seine Frage erhielt, bestätigte ihm die Information. Der Schwarzhaarige nahm vorsichtig die Leine des Hundes entgegen. Sam, der den Wechsel durchaus wahrgenommen hatte, nutzte seine Chance sofort voll aus. Er überholte die Beiden und zog Bill mehr als das er sich führen ließ, um möglichst schnell in den Park zu kommen. Erst ein warnender Pfiff von Tom, brachte ihn dazu auf die Beiden zu warten und sich dann wieder brav an Bills Seite und in seinem Tempo zu bewegen. »Du darfst ihn nicht zu lasch halten. Wir gehen mit ihm spazieren nicht er mit uns…« wies er den Schwarzhaarige an. Bill senkte den Kopf und nickte. Tom nahm die Veränderung an ihm fast sofort war. »Du kannst ja nichts dafür. Sam merkt so was eben relativ schnell und will es gleich ausnutzen…« versuchte er das vorher gesagte abzumildern und fühlte sich wieder wie ein Alleinunterhalter. »Aber das ist ja nicht so schlimm. Das hast du schnell raus.« Von Bill jedoch kam keine Reaktion mehr auf das Gesagte. Na toll. Hatte er es wirklich so schnell geschafft Bill die Laune zu verhageln? Das war ja rekordverdächtig! Tom fühlte sich im Augenblick mehr als nur überfordert, doch ihm war auch bewusst, dass er alles nur noch schlimmer machte, sollte er ihren Spaziergang jetzt abbrechen. Dann hieß das wohl Augen zu und durch… Sie kamen im Park an. Auch als sie bereits fast an der großen Wiese angekommen waren, war die Atmosphäre zwischen ihnen immer noch seltsam gespannt. Etwas was den Hopper wirklich nervös machte. Was Bill wohl gerade dachte? Hatte er ihn vielleicht verletzt ohne es zu wollen? Seufzend beugte sich der Blonde zu Sam herunter und löste die Leine vom Halsband. Als der Vierbeiner merkte, dass er jetzt selbst laufen durfte, raste er über die Wiese davon. Der Hopper ließ sich auf eine der Holzbänke nieder und klopfte neben sich. Sein Begleiter folgte der Aufforderung und setzte sich neben ihn. Stocksteif… Tom seufzte und ruschte ein wenig tiefer um sich bequem hinzusetzten. Dann legte er seinen Arm auf die Rückenlehnte der Bank. Schon viel besser. »Hör zu Bill, es tut mir Leid…« meinte er unsicher wofür er sich überhaupt entschuldigte. »Alles okay, bei dir?« Ein Nicken war die einzige Antwort. »Wirklich?« Nun sah der Schwarzhaarige ihn tatsächlich an und lächelte schief, nickte dann noch einmal bestätigend. »Weißt du ich… ich find es komisch einfach Monologe zu führen.« sagte Tom dann und versuchte weiter zu erklären. »Versteh das nicht falsch… du kannst ja nicht wirklich was dafür, aber es ist halt voll merkwürdig für mich. Ich hab echt Sorgen irgendetwas falsch zu machen oder so.« Woha? Wo war das denn nun herkommen? So Wort gewandt was seine Gefühle anging, kannte er sich gar nicht. Bill sah ihn an, als würde er über seine Worte nachdenken. Etwas das der Blonde nicht ganz deuten konnte, lag in seinen hellbraunen Augen. »Siehst du das mein ich. Ich hab nicht mal den Hauch von einem Schimmer was du denkst und du kannst dich mir gegenüber so schwer äußern! Das ist zum Kekse bügeln!« Bill hob elegant eine Augenbraue und sah ihn belustigt an. Was? Als ihm dann bewusst wurde, was er da gerade gesagt hatte, musste er verlegen lachen. »Sorry. Da kam Tobi hoch…« Nun sah ihn der Andere fragend an. »Mein kleiner Bruder… der hat das früher immer gesagt.« Bill nickte. »Genau das mein ich! Ach Fuck…« Tom fuhr sich übers Gesicht und stand dann auf. Er hatte irgendwie keinen Bock mehr auf einseitige Gespräche. Er wollte sich normal mit Bill unterhalten und endlich seine Stimme hören… Suchend sah er sich um und hob letztendlich ein kleines Stöckchen auf. Als er es für einigermaßen stabil befunden hatte, legte er seine Finger an den Mund und pfiff nach Sam. Nur Sekunden später kam dieser aus dem Dickicht gewetzt und sprintete über die Wiese auf ihn zu. »Ey, Sammy… hast du dich etwa wieder im Dreck gesuhlt? Man du siehst aus wien Ferkel.« schimpfte er streng mit dem Hund der freudig kläffte als er den Stock in der Hand seines Herrchens sah. »Man… dann muss ich dich heute ja schon wieder baden. Boha… dich darf man echt keinen Moment aus den Augen lassen.« Der leichte Groll verfolg aber sofort, als der Hund wie ein kleiner Welpe aufgeregt um ihn herum hüpfte und auf das ersehnte Spiel wartete. Tom lachte leise. »Ist ja gut…« Er zeigte Sam den kleinen Stock, ließ ihn das Holz kurz beschnüffeln, doch als er zuschnappen wollte, zog der Hopper es geschickt zurück und schleuderte es dann hoch in die Luft. Begeistert jagte Sam den Stöckchen hinterher. Eine Weile suchte er in der Wiese, bis er es gefunden hatte und kaute noch etwas darauf herum, schließlich brachte er es jedoch zu Tom zurück, der bereits auffordernd seine Hand hinhielt. Das Spiel wiederholte sich mehrere Male. Mehrere Male täuschte der Blonde an den Stock zu werfen und verbarg ihn dann hinter seinem Rücken. Die ersten Male rannte Sam wirklich los, nur um nach wenigen Minuten mit hängenden Kopf zurückzukehren. Doch es dauerte nicht lange bis er Tom durchschaute und ihn jedes Mal vorwurfsvoll ansah, wenn er den Stock wieder hinter dem Rücken versteckte. Der Hopper lachte auf. »Schlauer Hund…« lobte er Sam und warf ihm ein Leckerli zu, das er aus seiner Jackentasche gefischt hatte. Irgendwann blickte er sich nach Bill um. Sein Gemüt hatte sich durch das Spiel mit Sam wieder beruhigt. Es tat ihm irgendwie Leid, dass er ebenso hochgefahren war. Aber er hatte einfach etwas Ablenkung gebraucht… Der Schwarzhaarige saß noch auf der Bank und hatte seine Beine nah an den schmalen Körper gezogen. Er schien sie die ganze Zeit beobachtet zu haben. Er wirkte ziemlich verlassen, wie er da so saß. Es schmerzte den Dreadhead ihn so zu sehen, deswegen winkte er ihn zu sich und Sam. Er wollte ihn ja nicht ausgrenzen. Der Sinn des Spaziergangs sollte es ja eigentlich sein ihn auf andere Gedanken zu bringen… Unsicher sah Bill ihn an. »Komm schon her…« Und tatsächlich stand er unsicher auf und kam auf ihn zu. Tom ging ihm ein Stück entgegen und drückte ihm, sobald er in Reichweite war, den Stock in die Hand. »So jetzt bist du dran. Du hast ja nun gesehen wie es geht.« Sam, der nun auch wieder Schwanz wedelnd auf sie zulief, hüpfte freudig an dem stummen Jungen auf und ab. Dieser blickte zur Seite und wurde leicht rot. Der Blonde brauchte einen Augenblick um die Reaktion einzuordnen. »Ey, das ist egal wie weit du wirst. « äußerte er dann seine Vermutung und stupste den Schwarzhaarigen sanft an. »Probier es ruhig mal.« Die Worte schienen die richtigen gewesen zu sein. Bill warf und sofort wetzte der Rüde hinter dem Holz er. Der Wurf war nicht annähernd so elegant oder so weit wie die von Tom, doch das war egal. Sam freute sich. Und als auch der Blonde nichts Abfälliges sagte, schien Bill immer mehr an Sicherheit zu gewinnen. Auch wenn Sam den Stock Tom zurückbrachte. Bill lächelte. Der Hopper übergab ihm das Spielzeug wieder und nickte ihm zu. Der Andere kam der Aufforderung nach und warf das Stöckchen noch einmal. Und der Vorgang wiederholte sich. Tom spürte wie sein Begleiter im Spiel richtig aufblühte. Irgendwann zog er sich leise auf die Bank zurück und beobachtete das Treiben auf der Wiese. Ihm ging das Herz auf, als er Bill mit seinem Hund um die Wette hetzen sah. Er spielte mit einer Inbrunst mit dem Vierbeiner, die man nur sehr selten erlebte. Es schien dem Schwarzhaarigen auch völlig egal zu sein, dass er sich schmutzig machte. Er kugelte sich auf der Wiese mit Sam und kämpfte um den kleinen Stock. Und zum aller ersten Mal hörte er das Lachen von Bill. Es war hell und schön. Und es schien den Hopper von innen zu wärmen. Völlig fasziniert von der Ausgelassenheit beobachtete Tom die Zwei von seinem Platz aus. Nach einiger Zeit kam Bill zu ihm zurück. Der Stock schien nicht mehr standgehalten zu haben, denn im Gehen schleuderte Bill die verbliebenen Teile ins Gebüsch. Dann ließ er sich völlig außer Atem neben ihn auf die Bank fallen. Tom grinste als er registrierte, dass der Andere seine Blicke bewusst mied. Schien ihm ja doch ein bisschen peinlich zu sein, dass er sich da gerade so gehen lassen hatte. Aber für den Blonden war das nur der Beweis, dass er bei weitem nicht so ausgebrannt war, wie es manchmal den Anschein machte. Ein zärtliches Stupsen an seinem Knie, machte ihn auf seinen Hund aufmerksam, der sich zwischen seine halb geöffneten Beine gesetzt hatte. »Was denn? Jetzt bin ich wieder gut genug?« wollte er gespielt beleidigt wissen. Der Angesprochene jaulte leise und legte seine Schnauze auf seinen Oberschenkel ab. Er lachte leise und kraulte Sam hinter seinem Ohr. »Ist gut. Du brauchst nicht schleimen…« Von dem Hund kam ein wohliges Seufzen und er bewegte sich kein Stück mehr. Auch ihm schien das wilde Spiel ziemlich viel Energie gekostet zu haben. Tom sah wieder zu Bill hinüber. Dieser knetete seine Finger nervös seine Finger im Schoß und blickte starr geradeaus. Was wohl gerade in ihm vorging?! Eben hatte er noch ausgelassen wie ein kleiner Junge gewirkt und jetzt schien er wieder irgendwie traurig zu sein. Nur warum? »Ey, lass das mal!« sagte Tom als Bill anfing an der empfindlichen Haut um seine Fingernägel herum zu pulen. »Das blutet nachher noch.« Erschrocken sah der stumme Junge ihn an. Dann verwandelte sich sein erschreckter Blick in etwas anderes… undefinierbares. Dort in diesen haselnussbraunen Augen lag ein Abgrund… noch war er gut getarnt und wenn man nicht genau hinsah, konnte man ihn für harmlos halten. Aber er war tiefschwarz und Meter tief-… wenn Bill dort hineinstürzte würde er – Der Hopper verdrängte den Gedanken mit einem Kopfschütteln. Er klopfte Bill aufs Knie und sagte leise: »Hoch.« Sam gehorchte der Aufforderung, umrundete das Bein seines Herrchens und sprang dem Schwarzhaarigen auf den Schoß. Er war ein wenig zu groß für Bill, weswegen er nur mit den Oberkörper auf seinen Schoß Platz nahm und fröhlich vor sich hin hechelte. Zuerst schien Bill zu erstarrt um irgendetwas zu machen, doch dann vergrub er die Hände in dem weichen weiß, grau, schwarzen Fell und kuschelte sich an den Hund. Tom schmunzelte. Es war niedlich die Beiden so zu sehen. Sam ließ es sich gefallen das der Schwarzhaarige ihn durchknuddelte. Als er jedoch genug Pause eingelegt hatte, hüpfte er von der Bank hinunter und preschte erneut über die Wiese um ein Abenteuer zu suchen. Tom, der sich wieder bequem mit seinem Arm auf der Lehne hingesetzt hatte, sah ihm belustig hinterher. Er spürte wie Bill sich an seinen Arm lehnte. Kurz zuckte der Schwarzhaarige zurück, blickte zuerst nach hinten und dann sah er Tom an. Einen Moment schien er zu überlegen, schließlich jedoch lehnte er sich mit seinem gesamten Körper gegen den Blonden und legte seinen Kopf Schutz suchend an der Schulter des Anderen ab. Sein erster Impuls, war ihn wegzuschieben. Sein zweiter Impuls, nach dieser schutzbedürftigen Geste, war es Bill noch näher an sich zu ziehen. Aber der Hopper wiederstand Beiden und blieb einfach so sitzen wie er saß. Er beobachtete seinen Hund, während er zuließ, dass der Andere sich an seine Seite schmiegte und sich die Wärme holte, die er in seinem Leben anscheinend so selten bekam. Es störte ihn komischerweise auch nicht wirklich sonderlich… auch wenn sie sicher für Außenstehende wie ein Paar wirken mussten. Es war ihm egal. Alles war irgendwie egal… solange es Bill gut ging. Das Wochenende verging schnell. Wie immer eigentlich. Bill und er waren fast den gesamten Nachmittag im Park geblieben und schrieben sich über den Sonntag verteilt noch einige SMSen. Ansonsten blieb es still in Toms Leben. Seine Eltern waren, seit der Sache mit dem Brief, wieder zu Geistern geworden. So wie es vor ihren Umzug hier gewesen war. Es war, als wäre alles um sie unsichtbar… Als wäre er unsichtbar. Um diesen Gefühl zu entkommen, war er mehr mit Sam spazieren als das sonst der Fall war. Als es auf den Montag zuging, war er schon fast ein bisschen erleichtert. Auch wenn man nicht wirklich sagen konnte, dass er sich auf die Schule freute. Genauso schnell wie das Wochenende dieser ersten Annäherung, vergingen die nächsten Monate. Bill und der Hopper bewegten sich immer mehr aufeinander zu. Ob das gut oder schlecht war, wusste er nicht zu sagen. Es gab kaum einen Tag wo sie sich nicht sahen oder zumindest ein paar SMSen hin und her schickten. Er hatte für das Vertrauen, was sich Jenny, nach eigner Aussage in vielen Wochen mühsam erarbeitet hatte, nur wenige Tage gebraucht. Was genau er anders oder besser gemacht hatte, wusste weder er noch sie. Keiner konnte sich erklären warum Bill so offen und zutraulich auf ihn reagierte. Nicht einmal Beate Kaulitz konnte diese Frage beantworten. Tom vermutete einfach, dass es dem stummen Jungen ähnlich ging wie ihm. Auch er wusste ja nicht genau, warum der Andere ihn so anzog. Aber er tat es nun einmal. Und damit hatte er sich bereits irgendwie abgefunden. So kam es auch, dass er immer mehr Zeit bei Familie Kaulitz verbrachte. Jetzt gab es kein Zurück mehr für ihn. Das wurde dem Blonden immer mehr bewusst. Wenn er sich nun wieder zurückzog, würde es dem Schwarzhaarigen nicht nur verletzten. Es würde ihm alles Vertrauen nehmen, was er bereits geben konnte. Das wurde ihm immer wieder bewusst, wenn er in die hellbraunen Augen sah, die ihn voller Hoffnung, Vertrauen und Wärme entgegen blickten. »Hey ho.« begrüßte Tom seine beiden Freunde lässig, die vor seinen Klassenraum auf ihn warteten. Er war froh, dass die Mathestunde erst einmal vorbei war. Dieses Themengebiet gehörte nicht gerade zu seinen Stärken. Jenny grinste ihm entgegen und zu dritt machten sie sich auf den Weg in den Speisesaal um dort Mittag zu essen. Eine zaghafte Berührung an seinem Arm machte ihn auf Bill aufmerksam. Dieser formte deutlich langsamer als sonst seine Handzeichen, damit er ihn auch verstand. Inzwischen hatte der Hopper durch Youtube und mit Jennys Hilfe zumindest das Fingeralphabet erlernt und konnte nun besser mit dem Schwarzhaarigen kommunizieren. Doch er brauchte noch etwas länger als Jenny um die Zeichen zu verarbeiten. Wenn Bill und sie sich unterhielten, verstand er trotz seiner guten Fortschritte immer noch genauso viel wie vorher… vor allem weil sie meistens doch eher Gebärden als das kleine Alphabet benutzten. Es war zugegebener Maßen auch umständlicher alles zu buchstabieren. »Ging so.« antwortete er auf Bills Frage, wie denn die Stunde gelaufen sei. »Was hattet ihr bis jetzt?« Der Schwarzhaarige antwortete mit Handzeichen. »Deutsch? Das geht ja…« Gemeinsam gingen sie in den Saal, suchten sich etwas zu Essen und danach einen etwas abgelegenen Tisch. Wie immer wurde seine Schritte genau beobachtet und mit Tuscheln und quietschen kommentiert. »Setzt du dich zu uns, Tom?« »Nein, heute nicht. Tut mir Leid.« antwortete er und lächelte die Mädchen entschuldigend an, ehe er Jenny weiterschob. Sie setzten sich zu dritt an einen Tisch, der ziemlich weit hinten im Saal stand und von kaum jemandem genutzt wurde. Während er und Jenny sich warmes Essen geholt hatte, stand vor Bill wie immer nur eine Flasche Bitter Lemon und ein Joghurt. »Sag mal, warum isst du eigentlich nicht mal was richtiges?« Der Angesprochene wank ab. »Junge, kein Wunder das du so dünn bist.« sagte Tom und hielt ihm seine Gabel mit Nudelauflauf hin. »Hier, iss. Und keine wiederrede jetzt.« Bill sah ihn einen Moment erschrocken an, doch schließlich öffnete er den Mund und ließ sich den kleinen Teil Nudelauflauf zwischen die Lippen schieben. »Ganz fein.« lobte der Blonde übertrieben und verdrehte die Augen. »Warum nicht gleich so?« Jenny kicherte, während der Schwarzhaarige lächelnd kaute. »UUhhh schaut mal. Das Hurensöhnchen hat einen Zuhälter gefunden.« heuchelte da plötzlich eine ätzend zuckersüße Stimme hinter ihnen. »Ja, genau. Fehlen nur noch die Bling – Bling Kettchen und die Rolex.« Es schien als würde Bill der Bissen im Halse stecken bleiben, ein Zittern durchlief seinen Körper und er senkte demütig den Blick. Etwas, das weder Jenny noch Tom entging. »Meine Fresse, da denkt man der Tag kann nicht so schlimm werden und dann taucht ihr auch noch auf…« seufzte Jenny theatralisch und funkelte die Neuankömmlinge an. »Was quatscht ihr uns eigentlich von der Seite an, ey?« »Pass auf was du sagst, Wandrey.« »Sonst was?« »Sonst erlebst du was. Und denk ja nicht du kannst uns so einfach umhauen wie die Schwächlinge aus der Neunten…« »Tze. Du leidest an chronischer Selbstüberschätzung, Moosmann. Wir stehen nicht mal auf der gleichen Artenliste, also verpiss dich einfach.« meinte Jenny böse und erdolchte die Kerle ihr gegenüber mit Blicken. Tom hielt sich erst einmal zurück. Ihm wurde plötzlich klar, warum die Schwarzhaarige so extrem gereizt auf die Vier Neuankömmlinge reagierte. Als er sie genau betrachtete, erkannte er die Vier aus den Erzählungen wieder. Diese Jungen waren es, die Bill das Leben in seiner Klasse so zur Hölle machten. Auch die Reaktion von Bill deutete darauf hin, dass es sich bei den Anderen genau um diese Personen handelte. »Pass bloß auf.« knurrte Braunhaarige zurück, der anscheinend Moosmann hieß und der Anführer dieser kleinen Bande zu sein schien. »Soll das eine Herausforderung sein?« hakte Jenny unbeeindruckt nach und hob ihre säuberlich gezupften Augenbrauen. »Mehr als das, du Bitch.« Die Schwarzhaarige stieß einen Laut aus, der eine Mischung aus Zischen und Knurren war und wirklich beängstigend klang. Doch ehe sie sich aufrichten konnte, hatte Bill ihr seine Hand auf die Schulter gelegt und schüttelte den Kopf. Jenny entspannte sich etwas und sah ihren Freund fragend an. »Ja genau, Pussy. Leg deinen Kläffer mal an die Leine. Die ist ja allgemeingefährlich.« Das reichte jetzt aber wirklich. Der Hopper stand auf und schubste den Braunhaarigen mit einer Hand zur Seite. Dieser strauchelte einen Schritt zurück und gab ihm so die Möglichkeit sich zwischen seine Freunde und die aggressive Gruppe zu stellen. »Was willst du denn, Freak?« »Was ich will?« fragte Tom kühl zurück. »Kann ich euch sagen. Ich will? Das ihr hier mal ne Biege macht. Ich will essen und wenn ihr nur sone gequirlte Scheiße labert, kommt mir mein Auflauf immer wieder hoch.« »Weißt du eigentlich mit wem du hier grade sprichst?!« fauchte der Angesprochene und schubste ihn an der Schulter. »Nein. Und um ehrlich zu sein, will ich es auch gar nicht wissen.« entgegnete er immer noch gleichmütig. »Also verpisst euch endlich, ihr Arschlöcher!« Der Andere ballte seine Hand zur Faust und Tom sah sich schon prügelnd auf den Boden des Essensaals liegen als… »Also wirklich, Herr Trümper… drücken sie sich doch bitte etwas gewählter aus.« sagte da plötzlich Frau Wickert, die wie aus dem Nichts neben ihren Tisch aufgetaucht war. »Oh, verzeihen Sie vielmals, Frau Wickert.« lächelte der Hopper und drehte sich dann wieder an die vier Anderen, die sich plötzlich sichtlich unwohl fühlten, ehe er tot ernst sagte: »Urinieret euch hinfort, Gesäßöffnungen.« Während sowohl die Lehrerin als auch die Vier ihn groß ansahen, hörte er Bill und Jenny hinter sich lachen. »Nehmen sie mich nicht auf den Arm, Herr Trümper.« empörte sich die Lehrerin und wand sich zum Gehen. »Und sie Vier verplempern ihre Pause gefälligst nicht mit Stänkereien und essen sie endlich etwas.« Je lammfromm folgten die Jungen ihrer Lehrerin, jedoch nicht ohne den Dreien noch einen bösen Blick zu schenken. »Das bekommt ihr zurück…« Der Blonde hob demonstrativ den Mittelfinger und setzte sich zurück zu seinen Freunden, die sich immer noch nicht ein bekommen hatten. Nach dem Essen begleitete er die Beiden noch zu ihrem Klassenzimmer. Sie hatten nun Kunst, er selber hatte Chemie. »Danke, du hättest uns nicht begleiten müssen.« sagte Jenny und lächelte ihn an. »Kein Ding. Nach der Drohung vorhin, dachte ich einfach ich spiel mal Gentleman.« »Du, ein Gentleman?« »Du verletzt meinen Stolz…« seufzte er gespielt und brachte damit die Schwarzhaarige zum Lachen. »Danke.« sagte sie dieses Mal aufrichtig und drückte ihn kurz, ehe sie in den Raum ging. Bill jedoch blieb noch bei ihm stehen. »Willst du nicht rein?« Bill nickte, zog aber noch sein Handy hervor und tippte schnell was. Anscheinend war es zu kompliziert im Fingeralphabet. Ich hab mich gefragt… also hättest du heute Nachmittag Zeit? Tom las den Text und blickte dann wieder den Schwarzhaarigen an, der schüchtern zurücksah. »Ja.« Gut… würdest du dann heute gegen Vier zu mir kommen? Oder… du kannst natürlich auch selbst eine Zeit festlegen… Wieder wurde ihm das Mobiltelefon unter die Nase gehalten. Oha. Der Andere schien plötzlich ziemlich unsicher zu sein. »Um Vier ist okay.« beruhigte er Bill leicht und musterte ihn eingehend. Die Hand die sein Handy hielt, zitterte bedenklich. »Ist alles okay bei dir?« Der Schwarzhaarige nickte nur. Komm dann einfach vorbei, okay? Ich freu mich… jetzt sollte ich aber reingehen. Er zeigte dem Blonden die Nachricht, ehe er alles löschte und sein Handy zurück in die Hosentasche steckte. Tom sah ihn noch ein wenig verwundert nach, als er in den Klassenraum ging. Gerade als er sich zum Gehen umwenden wollte, sah er in den Augenwinkeln eine Bewegung. Er drehte sich um und sah gerade noch, wie einer der Gruppe, die ihnen vorhin beim Essen aufgelauert hatte, Bill in die Hacken trat. Dieser verlor sein Gleichgewicht und fiel mit dem Gesicht voran zu Boden. Autsch! Die gesamte Klasse begann zu lachen. Alle bis auf Jenny, die sich ebenfalls umgedreht hatte und nun zu Bill lief, der sich schwerfällig wieder aufrappelte. Bei dem Hopper setzte etwas aus und ohne darüber nachzudenken, stürmte er in das Klassenzimmer auf den Übeltäter zu. Niemand tat Bill weh…! Nicht ungestraft. Nicht wenn er zusah! Ohne eine Warnung, packte er den Jungen am Kragen, zerrte ihn hoch und drückte ihn mit seinen gesamten Körper an die nächste Wand. Dem Röcheln des Anderen zufolge, war sein Handgelenk wohl genau an dessen Kehlkopf zum Liegen gekommen. Zwei blassgrüne, tellergroße Augen starrten ihn an. »Pass mal auf, mein Freund. Wenn du Bill noch einmal in die Hacken trittst, trete ich dir so sehr in den Arsch, das du vergisst wie man sitzt, verstanden?!« zischte er gefährlich und drückte seinen Arm noch ein bisschen fester an den Hals des Anderen. Dieser gab eine gurgelnde Zustimmung von sich. Tom ließ ihn los und sah den Rest der Klasse herablassend an, die ihn genauso verblüfft anstarrten, wie der Typ, der jetzt an der Wand hockte. Dann ging er zu Jenny und Bill rüber. »Alles okay?« Bill nickte und sah ihn aus einer Mischung von Respekt und Dankbarkeit in die Augen. Er klopfte den Schwarzhaarigen auf die Schulter und schenkte Jenny ein Lächeln, ehe er wieder zur Tür stiefelte. Darauf achtend ganz gelassen zu wirken. Lächerlich. Diese ganze Schule war einfach nur lächerlich… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)