Göttlich verlassen von Anni-chan95 ================================================================================ Kapitel 6: Verlassen und vergessen? Teil 1 ------------------------------------------ Kapitel 6 – Verlassen und Vergessen? Teil 1 Lucas hatte seinen Platz als Herrscher über die Toten eingenommen. Er saß auf seinem Thron und starrte ins Leere. Irgendwie wünschte er sich, dass Helen durch die Tür kam, obwohl er wusste, dass er vergeblich wartete. Helen würde nicht kommen. Er selbst hatte dafür gesorgt. Es tat ihm zwar unglaublich leid, dass er das tun musste, aber wenn er nicht wollte, dass seine geliebte Helen ihr Leben wegwarf, um bei ihm zu bleiben, blieb ihm leider nichts anderes übrig, als sie aus der Unterwelt zu verbannen, wie Hades es getan hatte, nachdem sie gedroht hatte, Persephone zu befreien. Lucas konnte sich sehr gut vorstellen, wie seine Familie ihr die Nachricht überbrachte, dass er weg war und sie versuchen würde, hierher zu kommen. Erfolglos. Er wusste nicht, was sie danach tun würde, aber ihm war klar, sie würde nicht aufgeben, bis sie einen Weg zu ihm gefunden hatte. Dann hat sie zumindest für die Ewigkeit eine schöne Beschäftigung, dachte Lucas, als er versuchte, sich die Situation schön zu reden. Dabei vermisste er Helen jetzt schon. Helen sank schluchzend auf die Knie. „Es geht einfach nicht.“, weinte sie. „Warum geht es nicht?“ Claire stellte ihre Taschen ab und ging zu ihrer besten Freundin. „Lennie, alles ok?“, fragte sie Helen, obwohl sie schon längst wusste, dass nicht alles ok war. Sie kniete sich neben das Mädchen, woraufhin Helen sie an sich zog und in ihr T-Shirts weinte. „Helen, bitte hör auf, zu weinen. Wir überlegen uns was, ja?“, versuchte Claire ihre Freundin zu trösten, aber hatte damit nur mäßigen Erfolg. Sie warf einen verzweifelten Blick auf die Jungs, die Helens Gefühle sehr gut nachempfinden konnten. Claire manövrierte Helen auf die Couch und redete weiter beruhigend auf sie ein. Sie alle wollten warten bis Helen sich abgeregt hatte, um vernünftig mit ihr darüber zu reden. Doch als die Zeiger auf der Uhr immer weiter wanderten, die Sonne schon begann, unterzugehen und Helen immer noch nicht aufgehört hatte, zu weinen, gaben sie es auf. Andy bot an, Helen nach Hause zu bringen und die Nacht über bei ihr zu bleiben, damit sie nicht alleine war. Nachdem die zwei Mädchen wieder gegangen waren, kamen Noel und Castor nach Hause. Noel wollte unbedingt diese Sonderausstellung im Athenäum besuchen und ihr Mann hatte das Glück, sie zu begleiten. Pallas war auf Geschäftsreise und deshalb auch nicht da und Ariadne verbrachte, seit Matts Tod, sowieso den Großteil des Tages in dem Chaos, das sie Zimmer nannte. „Hallo Familie.“, begrüßte Noel sie fröhlich. Anscheinend hatte ihr die Ausstellung gefallen. „Habt ihr uns vermisst? Was habt ihr den ganzen Tag so gemacht?“, fragte sie, doch als sie ihre Tochter, deren Augen mittlerweile auch rot und verweint aussahen, und ihre Neffen sah, verflog ihre gute Laune. „Ist irgendetwas passiert?“ Castor betrat das Wohnzimmer. „Ach, sind Helen und Lucas mal wieder in der Weltgeschichte unterwegs?“, vermutete er, da es nach einem ganzen Jahr schon Gang und Gebe war, dass die beiden ihre Freizeit zusammen in irgendeinem weit entfernten Land verbrachten. „Nein. Sind sie nicht.“, sagte Cassandra traurig. „Andy hat Helen kurz bevor ihr gekommen seid, nach Hause gebracht. Sie war am Boden zerstört, was auch verständlich ist, nach dem, was mit Lucas passiert ist.“, erklärte Hector. „Was ist dann passiert?“, fragte Castor. „Was habt ihr angestellt? Wo. Ist. Mein. Sohn?“, rief Noel beinahe hysterisch. „Es war Lucas‘ Idee.“, begann Jason. „Er wollte Helen Jederland zurückholen und wir haben uns bereiterklärt, ihm dabei zu helfen. Wir haben herausgefunden, dass Orion in der Lage ist, Portale dorthin zu öffnen. Wir haben es geschafft, Morpheus zu überzeugen, uns zu helfen, Zeus in den Tartaros zu verbannen. Heute sind wir dort, also in Jederland, gewesen.“ „Andy und ich haben Helen solange aus der Stadt geschafft, damit sie sich nicht einmischen kann und vielleicht noch im Tartaros landet.“, fuhr Claire fort. „In Jederland haben wir gesehen, dass Zeus ihm ziemlich übel zugesetzt hat. Dann haben wir Zeus persönlich getroffen. Lucas hat ihn herausgefordert. Er ist anscheinend von Morpheus unsterblich gemacht worden, denn er konnte gegen ihn kämpfen. Und er hat Zeus besiegt. Morpheus kam und hat ihn in den Tartaros verbannt.“, erzählte Orion. „Ich kann euch nicht ganz folgen.“, sagte Noel. „Was hat das mit Lucas zu tun?“ „Hades kam, um Lucas in die Unterwelt abzuholen und dort ist er jetzt. In der Unterwelt.“, gestand Hector schließlich. „Wie konnte das passieren?“, fragte Castor, der erstmal verdauen musste, dass er seinen Sohn wahrscheinlich niemals wiedersehen würde. „Wir wissen es nicht genau. Also, wir wissen, dass er wusste, dass es passieren würde und uns trotzdem nichts gesagt hat. Wahrscheinlich ist es aber, weil er Helen gegenüber Mitgefühl gezeigt hat und dadurch bewiesen hat, dass er wirklich alle Fähigkeiten besitzt, die er braucht, um den Hades zu übernehmen.“, erklärte Orion. „Und die scheint er wirklich zu haben. Immerhin hat er Helen schon aus der Unterwelt verbannt, damit sie ihm nicht folgen kann.“, ergänzte Jason. „W-wieso sollte er das tun? Vielleicht könnte Helen wieder versuchen, ihn da raus zu holen.“, stammelte Noel und ließ sich von Castor in den Arm nehmen. „Anscheinend hat er diese Hoffnung bereits aufgegeben. Er lässt sie auf jeden Fall nicht in die Unterwelt. Helen geht es deswegen gar nicht gut. Sie ist total fertig.“, meinte Claire leise. Das war sie wirklich. Andy fragte sich, wie lange sie noch so weiterweinen konnte, als sie das Mädchen nach Hause brachte. „Was ist passiert?“, fragte Jerry, als er seine Tochter so aufgelöst vor sich stehen sah. „Guten Abend, Jerry. Helen ist so, weil Lucas, während wir shoppen waren, in die Unterwelt gerufen wurde. Außerdem kann sie die Unterwelt nicht mehr betreten. Sie weint schon die ganze Zeit.“, gab Andy ihm eine kurze Zusammenfassung, während sie Helen die Treppe rauf und in ihr Zimmer schob. „Weißt du, Andy, ich hatte schon den ganzen Tag so ein Gefühl, dass ich ihn nicht wiedersehen werde.“, sagte Helen irgendwann. „Aber jetzt … es ist so real und es tut so weh.“, schluchzte sie. „Es tut mir so leid für dich, Helen. Wirklich. Das musst du mir glauben. Und ich verspreche dir, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um dir und auch Lucas zu helfen.“ Helen war Andy dankbar, dass sie wenigstens versuchte, sie aufzuheitern, auch wenn Helen ganz genau wusste, dass sie nichts tun konnten. „Danke.“ „Kein Problem. Weißt du was, ich hol uns erstmal etwas zu essen.“ Andy ging in die Küche, in der sich gerade nur Kate aufhielt. „Ich habe es gerade von Jerry gehört. Wie geht es Helen?“ „Nicht gut. Sie ist ziemlich fertig. Ihr solltet sie nächste Woche nicht in die Schule schicken.“ „Natürlich nicht. Außerdem ist morgen sowieso Tag der Arbeit.“, stimmte Kate zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass er so schnell gehen müsste.“ „Niemand von uns hat damit gerechnet und das ist alles nur passiert, weil wir ihr eine Freude machen wollten. Hätten wir nicht versucht, ihre Welt zurückzuerobern, hätte Lucas kein Mitgefühl bewiesen und wäre noch hier.“, gestand das Mädchen zögernd. „Was nützt es ihr, ihre Welt wiederzuhaben, wenn sie sich nicht darüber freuen kann?“ Kate zog eine Braue hoch. „Sie hat ihre Welt wieder?“ „Ja, aber sie weiß es noch nicht. Wir werden es ihr wahrscheinlich erst sagen, wenn sie die Sache mit Lucas verdaut hat. … Sie braucht erstmal was zu essen.“ „Oh, natürlich. Hier. Ich habe heute Kekse gebacken. Nehm den ganzen Teller mit.“ Kate deutete auf den Küchentisch. Andy nahm den Teller und ging wieder zu Helen, die ohne Schuhe weinend auf ihrem Bett lag und die gerahmte Wildblume an ihre Brust drückte. „Ach, Helen.“ Die Sirene nahm Helen den Rahmen ab und gab ihr stattdessen einen Keks. „Beruhige dich und wenn es dir besser geht, reden wir. OK?“ Währenddessen saß Lucas auf seinem Bett in seinem Zimmer in Hades‘ Palast. Es hatte zwar das Licht eingeschaltet, aber trotzdem war der Raum nur spärlich beleuchtet. Wie auch? Kein Fenster. Außerdem war es draußen eh schon dunkel. Lucas hatte sich schon mehrfach versucht, hinzulegen, aber immer, wenn er die Augen schloss, sah er Helen vor sich. Seine Helen. Und die ganzen schönen Dinge, die sie zusammen erlebt hatten. Wie sie sich kennengelernt hatten – gut, eher: Wie sie sich näher gekommen sind, nachdem sie einander das Leben gerettet hatten. Wie sie sich dort an dem Leuchtturm geküsst hatten und sich eine so schöne Zukunft zusammen ausgemalt hatten. Wie sie in Jederland über den Rummelplatz gelaufen sind, in der Waldhütte am Feuer gelegen oder auf der Veranda der Hütte mitten in einer Bucht gesessen hatten. Diese Momente konnte ihm niemand nehmen, auch wenn Helen nicht bei ihm sein konnte. Sie waren fest in seiner Erinnerung verankert. Doch so schön es auch klang, sich an diese Ereignisse zu erinnern, so tat es ihm doch unglaublich weh, nur an das Mädchen zu denken, dass er so sehr liebte und dass er niemals wieder sehen würde. Schon so oft an diesem Tag wünschte er sich, dass er sie einfach vergessen könnte. Er tat sich keinen Gefallen damit, dass er pausenlos an sie dachte. Ihre Liebe hatte keine Zukunft und Lucas hatte schon lange keine Lust mehr, einer verlorenen Liebe hinterher zu trauern. Wenn er sie doch einfach vergessen könnte … Lucas rief sich den Fluss Lethe ins Gedächtnis. Nur ein Schluck und er würde alles vergessen, was ihn belastete. Der Fluss musste hier ganz in der Nähe sein. Er hatte ihn auf seinem Weg hierher gesehen. Lucas konnte gar nicht glauben, dass er tatsächlich daran dachte, seine Erinnerungen verlieren zu wollen. Aber vielleicht war das doch das einzig Richtige. Er würde seine Familie, seine Freunde und natürlich Helen sowieso niemals wiedersehen. So bereitete er sich nur unnötig Schmerzen. Sie würden ihn doch auch irgendwann vergessen und ihr Leben auf der Erde weiterleben. Sogar Helen würde das. Selbst Helena von Troja hat ihr Leben ohne Paris fortgesetzt. Nach diesem Gedanken war seine Entscheidung gefallen. Er stand auf und suchte den Ausgang von Hades‘ gigantischen Palast. Gerade als er sich sicher war, den richtigen Weg gefunden zu haben, hörte er Schritte. „Lucas, was ist los? Warum schleichst du zu so später Stunde durch die Gegend?“, fragte Persephone ihn. Lucas wusste, dass sie und Hades noch einige Tage bleiben würden, um ihm alles beizubringen, was er wissen musste, trotzdem überraschte es ihn, sie dort zu sehen. „Konnte nicht schlafen.“ „Du gewöhnst dich daran.“, versicherte sie mir freundlich. Das bezweifelte ich. „Ich glaube nicht, dass ich mich an irgendwas hier gewöhnen werde.“ „Und doch bist du ohne zu murren, hierhergekommen.“ Das stimmte. „Ich habe einen Eid geschworen.“, antwortete Lucas knapp. „Du wünscht dir wohl, es wäre anders?“, fragte sie. „Ich kann es nicht ändern. Damals erschien es mir das Richtige, weil ich Hector damit retten und ihn und Andy sehr glücklich machen konnte. Und daran hat sich auch nichts geändert. Ich wünschte nur, ich hätte mich richtig verabschieden können. Von meinen Eltern. Von meiner Schwester. Von Helen … Aber dafür ist es jetzt wohl zu spät.“, seufzte Lucas „Du vermisst sie.“ Das war jetzt nicht schwer, zu erkennen, aber es war trotzdem nicht gerade schön für Lucas, so von jemand anderem darauf aufmerksam gemacht zu werden, wo er sich so bemühte, diese Tatsache weitgehend zu verbergen. „Natürlich, aber ich werde sie nicht wiedersehen. Das einzige, was ich tun kann, ist, sie zu vergessen.“ Lucas starrte auf den Boden. Dann fasste er sich ein Herz, sah entschlossen auf und sagte: „Ich will zum Fluss Lethe gehen, aus ihm trinken und mein altes Leben vergessen.“ Das verunsicherte Persephone. Lucas war echt bereit, alles zu vergessen, um sich ein wenig Herzschmerz zu ersparen? Das hatte sie nicht von ihm erwartet. „Lucas, bist du dir sicher? Du kannst das nicht entscheiden und nachher rückgängig machen. Du wirst selbst Helen vergessen und du weißt, dass das eigentlich so gut wie unmöglich ist.“ „Genau deswegen. Es tut so weh, nur daran zu denken, sie nie wieder sehen zu können. Da möchte ich sie lieber vergessen, denn noch einmal kann ich das alles nicht durchstehen. Und du kannst mich nicht aufhalten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)