Die Zauberin und die Macht der Sterne von Ghaldak (Die Abenteuer der Zauberin Freya, erste Staffel) ================================================================================ Kapitel 2: Freya in: (3) Das Lagerhaus -------------------------------------- Freya – Damals Du denkst, du bist bereit, als du auf das Tor zuschreitest. Du bist nervös und weißt nicht, warum. Das Haus ist unauffällig – klein, doch steinern, mitten, doch im Gewirr schmaler Gassen verborgen, in Brig-Lo – und doch folgtest du genau der Beschreibung. Du klopfst. Eine Weile vergeht, in der du dir dumm vorkommst. Du stehst hier in einer fremden Stadt und hast dich dafür herausgeputzt, einen Magierlehrer zu treffen, der dir in Grangor empfohlen den Tanz der Mada beibringen soll; du trägst die vom Codex Albyricus verordnete rote Seidenrobe, die du seit Andergast nicht mehr trugest, aber in einem teerversiegelten Lederbeutel als wohl wertvollstes Stück deiner Ausrüstung mit dir führtest und vor der du selbst in Grangor zurückschrecktest, weil Rufus sonst lachen könnte, verbunden mit der verordneten weißen Hose, gebunden ganz pflichtgemäß mit einem schwarzen Gürtel und nicht ergänzt durch die passenden Schuhe, denn die wolltest du nicht auch mit auf Reise nehmen, weswegen du nun zu deinen normalen Wanderstiefeln griffst – ein Verstoß genau wie deine dunkelgrüne Wollbluse, die du unter der Robe trägst, da du die Einblicke, die sie sonst bieten würde, nicht jedem gewähren möchte. Zum Abschluss legtest du dir noch ein hölzernes, von einem Lederband getragenes und mit geschnitzten Zeichen verziertes, Amulett um, ein Freundschaftsbeweis eines albernischen Druiden und dein einziger Schmuck, und segnetest dein Aussehen schließlich nach einem langen Blick in den Spiegel ab; du bist das, was herauskommt, wenn eine reisende Zauberin sich herausputzt. „Ja?“ – „Magister Marcin Saibal? Ich bin Adepta Freya aus Andergast und erbitte Ihre Unterlehrung.“ Du bist so eine höfliche Magierin, dass du sogar den Knicks mit dem Vorzeigen deines auf der rechten Handfläche getragenen (und damit ein ganzkleinwenig gegen den Codex Albyricus verstoßenden) Gildensiegels verbindest, wenn deine Schule Wert auf so etwas gelegt hätte, so wäre sie sicher stolz auf dich. Der Angesprochene ist es nicht. „Das passt nicht.“, sagt er. „Bitte?“ – „Eine Magierin kommt zu mir in magischen Belangen.“ – „Entschuldigt, Magister Szinto, es wurde mir so zu Grangor geraten.“ Du bist kein dummes Kind, du erledigtest deine Hausaufgaben. „Dann komme doch rein. Störe dich bitte nicht, ich habe keinen Besuch erwartet.“ Der Mann, der dich hereinlässt, ist ein unscheinbarer Mann, der seine blonden Haare kurz wie ein Soldat trägt und vom Alter her dein Vater sein könnte, doch was dir wirklich auffällt – und du bemerkst es recht schnell, weil du die Etikettenregeln unter Zauberern zuvor extra noch einmal in deinem Reisebüchlein nachschlugst – ist die fehlende Rechte und entsprechend das Siegel auf Links. Du überlegst noch, ob du ihn darauf ansprechen sollst, während du deine Schuhe ablegst und dich wenig später an einem kleinen Tisch sitzend wieder findest. „Es ist auch schon lange her, dass ein Zauberer über diese Schwelle trat, doch wie es scheint, gibt es noch Leute in Grangor, die einem alten Mann gerne einen Gefallen tun. War es Jikhbar, der dir meinen Namen nannte?“ Du schüttelst den Kopf. „Ich habe den Leiter selbst nie getroffen. Es war einer der Lehrer, Ogrim.“ Bei dem Namen lächelt er und nickt, doch du bist eine höfliche Zauberin und es macht dir nichts aus, auf das zu warten, was du willst. „Du bist aber selbst nicht aus Grangor, nicht wahr?“ – „Nein, Herr Magister. Andergast.“ – „Und warum?“ Du lächelst, um die Verlegenheit über die plötzliche Direktheit zu überspielen. Du willst hier nicht gleich deine Lebensgeschichte ausbreiten. „Ich hatte Beziehungen dahin“, fasst du knapp zusammen. „Kein guter Grund.“ – „Außerdem wollte ich mich nicht schutzlos fühlen.“ – „Tatest du das denn?“ Seine grauen Augen weichen nicht von dir, doch wirken sie auf die interessiert und nicht bohrend. Du schlägst dir eine Strähne aus dem Gesicht und weiß, dass die Zeit für knappe Antworten vorbei ist. Das hier ist kein Eingangsgespräch mehr. „Ich bin nicht zum Studieren nach Andergast gezogen, sondern ich war da – als Mädchen, als Kuslikerin – und hatte niemanden, dem ich mich wirklich zugehörig fühlte und der mir in Zeiten der Not beistehen konnte. Die Andergaster wollten aus mir eine Matratze machen, die Liebfelder ein Püppchen und meine Eltern ein Handelsgut. Wenn du da etwas willst, dann musst du dich durchkämpfen und damit leben, dass die anderen dich nicht als Gegnerin sehen, sondern als Zumutung und dann…“ Du lächelst, als dir dein Fehler bewusst wird. „In Ihnen, tut mir Leid… und, ja. Ich fühlte mich schutzlos.“ Marcin sieht dich lange an. „Du bist weg, sobald du konntest, richtig?“ Wieder nickst du und lächelst. „Das oder zehn Jahre Militärdienst“ – „Und nun?“ – „Reise ich umher. Ich lerne Länder kennen, treffe Leute… helfe Leuten…“ – „Das einst schutzlose kleine Mädchen, dass nun selbst andere beschützen möchte?“ – „Sagen Sie das ohne die Abwertung und ich stimme Ihnen zu.“ Du lachst und kannst deine Anspannung gut verbergen, doch das bedeutet ja noch lange nicht, dass du nicht angespannt bist. Er braucht nur eine Frage, dich zu knacken: „Was sagen denn deine Eltern dazu?“ Du lachst, ein zynisches Lachen. „Meine Eltern sind Kreaturen. Sie versuchen, seit ich ein Kind war, mich an den Besten zu verkaufen, sei es Ehemann, Kirche, Orden, Schule, Ehefrau, Dienstherr oder was auch immer. Mein Vater hat mich auf jedem zweiten Fürstenhof zwischen Al’Anfa, Yol-Ghurmak, dem Kalifat und dem Gjalskerland vorführen lassen und es ist nur seiner verblendeten Vorstellung des Wertes des Namens Galahan zu verdanken, dass er mich damit von Misserfolg zu Misserfolg schleppte. Ich wurde Kampfmagierin gegen den Willen meiner Eltern und was immer sie heute tun…“ Du sprangst auf und knalltest bei dem letzten Wort deine Hand auf den Tisch, ehe dir klar wird, dass du zu weit gingst. Du setzt dich wieder. „Du hättest sie schon gerne stolz gemacht?“, fragt er lächelnd und du lächelst zurück. „Kein gutes Thema, Magister.“ Dein Lächeln ist nicht mehr unterwürfig. Der Knoten ist geplatzt, die Ehrlichkeit kommt hervor und wohin dies immer auch führt, das ist dir jetzt egal, denn es fühlt sich gut an. Marcin erweist sich als Ehrenmann und lässt dir einen Moment, um dir deiner Schande bewusst zu werden, spricht sie aber nicht an. „Ich meine es doch nicht böse“, sagt er, „Ich habe eine Tochter in deinem Alter und wenn du sie wärst, ich machte mir Sorgen. Wir haben uns einer Kunst verschrieben, die uns nicht glücklich macht und die nur wenige von uns zu einem guten Ende führt. Als ich damals hörte, dass meine Tochter die Gabe nicht von mir bekam, war ich froh. Kannst du das glauben?“ Du nickst nur. „Du tanzt mit Zerzal, wie die Elfen sagen würden, und zwar mehr, als gut ist.“ Du weißt nicht, was er sagt, doch du weißt, was er meint. „Wie haben Sie Ihre Hand verloren?“, lässt du die Schwellen hinter dir, denn du weißt, es ist Zeit. Er nickt knapp, denn er sieht, du hast verstanden. „Orkkrieg“, sagt er, „Ich war lange Zeit unter Elfen, um sie zu verstehen, und als der Aikar marschierte, folgte ich einigen von ihnen und marschierte ihm entgegen. Wir wurden niedergemacht und sie nahmen mich gefangen. Ja… und dann wollten die Orks ein Lösegeld fordern und mein Verständnis als Übersetzer nutzen, deshalb ließen sie mich am Leben, doch um mich am Zaubern zu hindern, schlugen sie mir die Hand ab. Ende der Geschichte.“ Er blickt von der Tischplatte auf und sieht dich wieder an. „Das war mein Ende als Zauberer, auch wenn es nicht mein Ende hätte sein müssen, also tat ich das, was alle Zauberer tun sollten, wenn sie nicht mehr zaubern wollen: Ich heiratete, und zwar ganz bewusst deshalb… Hast du einen Freund?“ Du lächelst und schüttelst den Kopf. „Aber einen in Aussicht?“ Verdammt. „Mach dir nichts daraus, deine Augen verraten dich.“ – „Er ist Kriegerschüler im Bornland.“ – „Ein paar Abenteuer zusammen, dann ein Kind und dann zusammen alt werden?“ Du nickst. Warum nicht? „Also dann, wie kann ein versehrter Verständigungszauberer einer jungen Kollegin aus dem Waldreich wohl weiterhelfen?“ Freya Du liegst in einem Bett in einem kalten Herbergszimmer in Brig-Lo und fühlst dich immer noch benebelt. Es ist nicht das Blut, das dir fehlt, und auch nicht die Wunde, denn die Einstiche, die die Zähne deinem Hals zufügten, verheilt, sondern eine andere Macht, die an dir wirkte: Dir wurde an der Seele gezerrt und ein Stück davon heraus gebrochen, und du weißt, dass du um ein Haar ganz verloren wärst – und es war nicht einmal dein Verdienst, dass das nicht geschah. Marcin, dein Meister, hatte einfach Recht, erinnerst du dich, als er davon sprach, dass du mit dem Tod reist. Für dich ist es auch schlimm, zu wissen, dass da nicht der eine Fehler war, den du begingst: Du warst da und der andere einfach nur stärker. Das tut dir weh. Du gönnst dir eine Pause, für einige Tage. Heile, denkst du dir, ruhe dich aus, das hast du dir verdient. Du kannst ja auch die Zeit nutzen, auch wenn du lange im Bett liegst und dein Zimmer nur selten verlässt, hast du dir doch aus Grangor ein Pergament mit einem Ritual mitgenommen, welches du mal eben für dich entwickeln und durchführen könntest, ist es doch alles andere als schwer. Es passt auch ganz gut, nennt es sich doch Regeneration. Freya – Damals „Ich hörte, Sie können mir den Tanz der Mada beibringen.“ Marcin lacht auf, doch das kennst du zu gut, also bleibst du ruhig. „Wirklich?“ – „Ja.“ – „Du kommst von Grangor deswegen hierher?“ – „Ja.“ – „Warum?“ – „Selbstfindung.“ Du bist eine sture junge Zauberin, die sich nicht einfach vom Ziel abbringen lässt. „Der Tanz der Mada ist dazu da, junge Kollegen dazu zu bringen, mal von ihren Büchern und Zaubern wegzukommen und sich mit ihrem Körper zu befassen.“ Du schweigst. „Also gut, dann die obligatorischen Fragen. Wann hast du zuletzt gezaubert?“ Du denkst kurz nach. „Vor drei Monden, habe eine Höhlenspinne mit einem Fulminictus gebraten.“ – „Wann hast du zuletzt die Nase in ein Buch gesteckt?“ – „Das Vademecum mitgezählt? – „Nein.“ – „Dann… ist lange her.“ – „Und wann hast du dich zuletzt mit deinem Körper befasst, mal abgesehen von heute morgen, als du dich für dieses Treffen in Schale aufdonnertest?“ – „Gestern Abend?“ Er lacht, glucksend und immer lauter, und du fürchtest dich vor der Erkenntnis, dass die letzte Frage doppelt gemeint sein könnte, doch das scheint es nicht zu sein, was ihn erheitert: „Das ist alles? Nach Monaten kommt, von Grangor geschickt, eine Zauberin zu mir und alles, was die sucht, ist einen Tanzlehrer?“ Du lässt dich von ihm nicht aus dem Konzept bringen, denn das stehst du jetzt durch, egal wohin es dich bringt. „Ja.“ „Du bist verrückt“, sagt er und das verwundert dich, denn du bist es nur gewohnt, dumm genannt zu werden – meistens von Rufus –, aber nicht verrückt. „Wie war doch gleich dein Name?“ – „Freya, der Herr.“ – „Nicht dieser alberne Magiername, der richtige.“ – „Firlina di Arthuro-Galahan“ Du deutest einen Knicks an, denn diesen Namen nanntest du ihm tatsächlich noch nicht. „Dann höre mal zu, Firlina, wenn eine Zauberin zu einem Zauberer kommt und es nicht um Zauber geht, dann nimmt sie meist ihre Profession nicht ernst… oder aber, sie gehört zu den verdammt wenigen Gestalten, die wirklich begriffen haben, worum es in dieser Zunft wirklich geht.“ – „Danke, der Herr.“ – „Ich glaube zwar nicht, dass du ganz weißt, was du tust, aber ich denke, du gehörst immerhin schon einmal zu der besseren Hälfte. Also, ich denke, ich kann dir helfen… für drei Goldene die Stunde.“ Das ist viel, doch du hast dich entschieden, also nickst du. „… und zwar ab Überschreiten der Türschwelle…“ Wieder nickst du, auch wenn du ihn dafür verfluchst. Immerhin saßet ihr hier schon eine Zeit beisammen. „Nun gut. Der Tanz der Mada ist, und das ist der Grund, warum sie dir in Grangor nicht selbst halfen, eine recht persönliche Geschichte. Viele Zauberer nutzen ihn, um standesgemäß ihren Bücherwurmleib in Bewegung zu setzen, doch die Sorge erkenne ich bei dir nicht. Du begibst dich in Gefahr, also muss ich dir helfen, sie zu überwinden, und das kann ich auch, denn wer mit Zerzal tanzt, tanzt auch mit Mada. Du magst zwar klug sein, doch ich glaube nicht, dass du klug genug bist, um nicht eine Schwäche zu teilen, die die ganze Zunft überfällt: Du hast gelernt, zu zaubern, doch du weißt nicht, wann du es tust.“ Du blickst ihn an, weißt jedoch nicht, worauf er hinaus will. „Stehen sie im Feld, so müssen sie vor jedem Schritt überlegen. ‚Ignifaxius’… ähmm, verdammt, der wirkt nicht richtig… ‚Fulminictus’… Moment, wobei… Siehst du, was ich meine?“ Du nickst artig. „Nehmen wir einmal an, du bewegst dich durch ein dunkles Haus, in dem eine Gefahr auf dich lauert, und etwas kommt plötzlich von rechts. Was tust du?“ – „Blitzen“ – „Bitte?“ – „Blitz dich find, also erst einmal blenden – es könnte ja ein Freund sein.“ – „Und dann?“ – „Das hängt vom Fall ab.“ Marcin springt auf. „Erkennst du es, das ist es? Du zauberst und weißt nicht weiter. Wie wäre es, wenn du mit dem Blitz zugleich einen Schritt zurücktrittst, um einem geblendet um sich schlagenden Ziel zu entgehen, und zugleich deinen Stab in eine Lage bringst, mit der du dich verteidigen kannst? Entwickele das alles zu einer Bewegung, trainiere sie und du gewinnst eine größere Chance, genau da am Leben zu bleiben.“ Du stehst ebenfalls auf, denn was er sagt, klingt nützlich, wenngleich noch ziemlich phantastisch. „Das ist ein Beispiel“, führt er weiter, „und wenn du möchtest, kannst du weitere entwickeln – es ist dein Tanz, du verstehst? Begeben wir uns erst einmal zu den Grundlagen. Wir waren eben nämlich schon im wahrsten Sinne mittendrin. Zunächst einmal – entspanne dich. Schritt eins, Mada erkennt: Entspanne dich, lasse die Welt hinter dir… muss ich noch viel dazu sagen? Schritt zwei, Madas Besinnen: Meditation. Bis hierher ist alles bekannt, was? Das hast du doch auch in Andergast gelernt.“ Du nickst. „Natürlich. Wichtig ist nur: Jetzt meditierst du im Stehen. Kein Hinsetzen, niemals. Schritt drei, Madas Zauber: Da wären wir dann. Fahre aus der Starre in die Bewegung, doch tue es still, denn du möchtest ja nichts auslösen. In unserem Fall wäre es sicher keine lange Abfolge, doch dazu kannst du ja später noch kommen. Schritt vier, Madas Gefangenschaft: Falle aus der Bewegung wieder in die Meditation. Wenn du später etwas Übung hast und an einer Technik arbeitest, die auch Kampfzauber beinhaltet, dann denke daran, dass du von Zeit zu Zeit auch mitten in der Bewegung abbrichst und in die Meditation gehst, denn du willst ja doch Herr deiner Entscheidungen bleiben. Anschließend sind wir schon am Ende, des es folgt Madas Wiedergeburt. Du entspannst dich, kommst langsam wieder zu dir und lässt die ganze Magie erst einmal wieder hinter dich. Täglich davon, vielleicht eine halbe Stunde jeweils, und du kannst recht schnell vorankommen.“ Er möchte dir Mut machen, da er deine Skepsis sieht, doch du hast dich ja schon entschieden. „Mit Stab oder ohne?“, fragst du. Freya Dein Zimmer bleibt dunkel, während du dich in diesen Tagen auch drei Dinge konzentrierst: Zu Kräften zu kommen, zu Kräften zu kommen und dafür zu sorgen, dass du es auch bleibst. Du nimmst dir deinen Stab und gehst die Bewegungen durch: Entspannen, wie du es gelernt hast (das waren jedoch nie deine Lieblingskurse), Meditieren – und das auch auf Wunsch mit einer astralen Meditation verbinden, die du aber seit der Akademiezeit auch nicht mehr anwandtest – und dann… ja, daran habt ihr lange gekämpft: Zwei Finger der linken Hand zeigen auf das Ziel, um es zu blenden, während der Stab in der rechten verbleibt, doch wie verbindet man eine Angriffsbewegung mit einem Schritt zurück? Du bist dir nicht sicher, wie viel von der Blendung aus der tatsächlichen Bedrohung und deiner Entschlossenheit erwächst und Marcin stimmte sah deinen Punkt. Die Übung sah schließlich anders aus, als er es sich dachte: Der linke Arm zischt nach vorne und erst in der allgemeinen Rückwärtsbewegung landet die Hand am Stab, der sich nun vom Wanderstab zum Kampfinstrument wandelt. Du probierst die Bewegung ein paar Mal aus, hier in deinem leeren Zimmer, und fühlst dich lächerlich dabei – und trotzdem übst du jeden Tag, denn morgen findet das andere der beiden Treffen statt, auf die du dich mit Marcin einigtest und dass du nach dem Fall mit dem Vampir nach hinten verlegtest. Du musst gestehen, du hättest es dir gerne gespart, doch verschafft es dir zugleich Anregung: Sei gut, oder er besteht noch auf einem dritten, und das wird wieder teuer. Kampfbewegung, Bett, manchmal in die Stadt… wie viele Tage bist du nun schon hier? Wie viele sollten es einmal werden? Die Regenerationskraft ist keine große Sache, doch auch der Umkehrschluss sticht: Deine Seele bringt sie dir auch nicht zurück, sie ist nutzlos – doch immerhin, du gesundest, und das verleiht dir Hoffnung. „Hallo? Wie geht es denn meiner Haus- und Hofzauberin heute?“ Alrik schert sich nicht um irgendwelche Anstandsregeln wie Anklopfen und betritt einfach dein Herbergszimmer, während du in deinem rosafarbenen Nachtgewand auf dem Bett sitzt und die Ms zählst, die du für jeden erledigten Tanz in deinem Buch notierst. „Ganz gut“, sagst du, denn heute ist dir nicht nach Streit. „Ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich hier wieder wegkomme.“ – „Das sagtest du doch schon bei unserer ersten Begegnung und jetzt ist Tsa.“, lacht er, „Gib es doch zu, dir gefällt es hier.“ – „Ja, dieser Ort besitzt den Anmut eines Misthaufens.“ Er setzt sich neben dich, ohne auf deine Proteste Rücksicht zu nehmen, weswegen du es gar nicht richtig versuchst. „Da sind wir schon beim Thema“, sagt er, „bist du einsatzfähig?“ Ja, das bist du eigentlich schon und das Rumsitzen langweilt dich. „Geht es um Vampire?“ – „Nein, das ist sogar ziemlich sicher. Höre mal…“ Er legt dir den Arm über die Schulter, was dir vor einem knappen Monat noch wirklich unangenehm gewesen wäre, doch nach über einem Monat in Brig-Lo, in dem dir Rufus nicht antwortete – warum sollte er auch, er nimmt ja an, dass du bald von hier aufbrachst – und dir nur ein zweitklassiger Verbrecherkönig Krankenbesuche machte, härtetest du etwas ab. „Mich hat da ein Freund um Hilfe gefragt, da sein Lagerhaus immer wieder von Dieben ausgeräumt wird, und da habe ich an dich gedacht und mich gefragt, ob du diesem Rätsel nicht auf den Grund gehen möchtest. Möchtest du das denn?“ – „Nun mal langsam. Was denn für ein Freund?“ – „Naja, ein Freund… eher ein Bekannter… ein anderes hohes Tier in der Stadt halt. Er nennt sich Alron Grabenstätt, handelt mit Stoffen und wirkt in die umliegenden Reiche: Havena, Grangor, Punin… aber, und was noch wichtiger ist: Es geht um ein Lagerhaus und da können Vampire nicht ohne weiteres rein, also keine Gefahr für dich.“ Du siehst ihn lange an. „Dahinter steckt Geld, was?“ – „Ja, natürlich, eine Menge sogar. Da fließen echte Goldmünzen und außerdem sehe ich es als Test für dich an, denn wenn du dich gut schlägst, dann kann ich dir eine feste Stelle in meiner kleinen Gruppe anbieten, denn so eine Magierin…“ – „Lenke nicht ab. Wie viel?“ – „Fünfundvierzig, wenn du erfolgreich bist, diesmal keine Anzahlung, denn du hast Recht, deine Zuverlässigkeit musst du nicht mehr beweisen.“ Du erhebst dich, um zu ihm herabblicken zu können. „Du fragst also eine Frau, ob sie für dich eine Lagerhalle voller Stoffe untersuchen könnte. Hast du keine Männer, die so was erledigen können?“ – „Schon, doch denen vertraue ich nicht genügend, um sie an eine Stelle zu führen, aus der laufend Dinge verschwinden… Bitte. Das wäre doch eine schöne, einfache Sache für dich.“ Über seinen Versuch, einen Hundeblick aufzusetzen, kannst du nur lachen, auch wenn sein Hut zumindest im Ansatz die Schlappohren ersetzt. „Für deine letzte einfache Sache habe ich geblutet“, sagst du, „und nun möchtest du mir eine weitere einfache Sache für noch weniger Geld anbieten? Du hältst mich für dumm.“ – „Dann schlagen wir halt noch zehn Dukaten drauf, aber nur, wenn du die Bande auch dingfest machst und danach auch nicht heulst.“ – „Ich heule doch nicht.“ Langsam zieht er einen großen Schlüssel aus der Tasche und lässt ihn mitschwingen, während er antwortet: „Das klang aber verdammt ähnlich. Oh, zu Hüüüülf, es waren Vampire.“ Du schnappst nach deinem Zauberstab und knallst ihn auf die Holzdielen, dass es scheppert. „Gut, dann mache ich es. Gib mir die Adresse, sage deinem… ‚Freund’… Bescheid und scher’ dich gleich aus meinem Zimmer, damit ich mich umziehen kann.“ Freya Du ziehst kurz vor Einbruch der Dunkelheit los, um das Lagerhaus, das sich am anderen Ende der Stadt befindet, mal bei Nacht im Auge zu behalten und zu sehen, was passiert. Die Lagerhalle lässt sich einfach öffnen und du begutachtest die Qualität der Waren, bei denen es sich längst nicht nur um Stoffe handelt, bis dir ein Windhauch auffällt, der dich zu einer Kiste führt – ein schnelles Schieben, dann eine große Erkenntnis: Ein unterirdischer Gang. Schnell entzündest du eine Fackel und bewegst dich langsam vor in die stickige Tiefe, während um dich herum Balken das Erdreich vor dem Einsturz bewahren. Der Gang zweigt sich schließlich nach mehreren Metern und du wählst links. Eine schwere Stahltür erwartet dich, die aber offen zu stehen scheint. ‚Tanze nicht mit Zerzal’, fährt es dir durch den Kopf, also horchst du und vernimmst ein Schnarchen – Perfekt. Da müsste man nun doch einfach… vorsichtig deinen Stab haltend, drückst du dich gegen die Tür und… verdammt, ein ekelhaftes Quietschen lässt alles aufhorchen. Vier grobschlächtige Gestalten greifen recht gleichzeitig zu ihren Klingen. Du reagierst, ehe du noch weißt, was du tun sollst: Deine Hand schlägt in deine Handfläche, du rufst nur ein Wort und… Paralü… warten vier steinerne Gestalten darauf, in einigen Stunden wieder ins Leben zurückzukehren. Das Adrenalin erfasst dich trotzdem und jagt dir einen Schauer über den Rücken. Das war gefährlich, das war knapp, schnell weg hier. Eine Rampe führt nach oben und du atmest frische Luft. Geschafft, denkst du dir, als plötzlich ein Kerl mit großem Schwert neben dir aus dem Gebüsch fährt. In diesem Moment dankst du Meister Marcin – zwei Hände entgegen, blitzen, abwehren. Dann die Situation verstehen, während er blind umherwirbelt und einsehen: Ja, das ist ein Kerl, der eine Waffe führt. Was sollst du tun? Was kannst du tun? Nach dem Steinzauber im Gang fehlt es dir an Kraft, um hier etwas Großes zu bewirken, also… ja, das Schwert. Du wählst den Zauber Eisenrost, als er gerade wieder zu Sinnen kommt, und berührst gerade die Waffe, da kommt er wieder zu sich und ein mächtiger Hieb reißt dich zu Boden. Er grunzt und schwingt erneut sein Schwert, dessen Klinge, wie du siehst, langsam eine rote Färbung annimmt… aber sehr langsam. Er schlägt erneut zu und nur dein Zauberstab verhindert Schlimmeres, doch drückt allein die Wucht dir die Luft aus der Lunge. Dieser Kämpfer ist dir überlegen und das wird dir gerade sehr deutlich bewusst. Dann folgt der dritte Schlag, die Waffe schwingt, doch just in diesem Moment löst sich die Klinge vom Griff und schlägt auf den Boden, wo sie in Tausend Scherben zerfällt. Der Räuberhauptmann blickt dich an, du lässt noch einmal die Magierin raushängen, lächelst siegessicher und er rennt davor. Dir fällt ein Stein vom Herzen. Es ist schon früh am Morgen, als du heimkehrst, und wieder sitzt Alrik am Roten Hang und wartet dort auf dich. Er spielte an einem Würfelbecher, um sich die Zeit zu vertreiben, und ist nicht einmal zu einem Lächeln imstande, als du eintrittst. „Freya? Du siehst furchtbar aus. Wie ist es dir ergangen?“ Du lässt dich schwer auf einen Stuhl fallen, spürst die Wunde, die dich schon auf dem ganzen Rückweg quälte, auch wenn du sie noch am Lagerhaus zu behandeln suchtest, und antwortest knapp: „Räuber gruben einen Stollen. Ich fand sie und konnte ihnen wenigstens einen Schrecken einjagen.“ – „Du hast deinen Feinden gegenüber Gnade walten lassen?“ Der Tag war lang, die Nacht war schwer und gerade jetzt bist du ehrlich. „Nein“, sagst du, „Mehr war einfach nicht drin.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)