Evenfall von 4FIVE ([Itachi x Sakura | non-massacre AU | dorks to lovers]) ================================================================================ Kapitel 6: Drunken Lullabies ---------------------------- . .   Es war weit nach Mitternacht, als Sasukes Hand zum ersten Mal unabsichtlich auf Sakuras Po abrutschte. Während Naruto, dem dies nicht entgangen war, halb Konoha mit seinem Entsetzen wachschrie und den Perversen in ein verdientes Koma prügeln wollte, rief sie ihn mit ihrer Faust zur Ordnung. »Du denkst doch nicht, dass er sich noch spürt, geschweige denn etwas mitbekommt! Nicht wahr, Sasuke-kun?« Er brabbelte und lallte ein vages Etwas, das sie als Zustimmung werten konnte. »Komm' wieder runter und hilf mir, diese Alkoholleiche ins Uchihaviertel zu schaffen. Auch wenn er nicht so aussieht, er ist ziemlich schwer.« »Alls nu Musln …« Sie tätschelte ihm gespielt fürsorglich die Wange. »Ja, Sasuke-kun, wir wissen alle, dass das nur Muskeln sind.« Wie sollte er bei all dem Training im Schoß seiner ach so überragenden Familie Fett ansammeln? Seine Statur war drahtig, aber muskulös. Erst als sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, wurde sie sich seiner intimen Nähe gewahr. Just bevor sie erröten konnte – dieser böse Alkohol – trat er fehl und zog seine beiden Stützen mit sich. »Temää!«, brüllte Naruto. Er kassierte eine neue Kopfnuss von Sakura, die sich unter ihm wand. »Bei dir sind das nicht nur Muskeln!«, japste sie nach Luft schnappend. Dieser böse Alkohol. Nicht nur, dass ihre repetitiv wiederkehrenden Gedanken sich um ihre eigene Achse kreiselten, ihre Umgebung schien es ihr gleichzutun. Obwohl sie gerade einmal etwas mehr als die Hälfte von Sasukes immensem Pensum getrunken hatte, spürte sie jede einzelne Promille in ihrem Blut. Als sie lautes Schnarchen hörte, trat sie die beiden Männer, zwischen denen sie eingeklemmt war. »Nicht schlafen! Naruto, hilf mir doch endlich!« Widerwillig raffte er sich auf und reichte ihr eine Hand. Sakura taumelte von dem Schwung berauscht in seine Arme, wo sie zusammen schunkelten, bis sie endlich einen stabilen Stand gefunden hatten. Welch Glück, dass die Straßen leer waren. Zusammen zogen sie Sasuke auf die Beine, mehr oder minder erfolgreich, legten seine Arme zurück um ihre Schultern und setzten ihren beschwerlichen Weg fort. Wieso mussten die Uchihas auch im hintersten Winkel von Konoha wohnen? Ach ja, sie waren stinkreich und brauchten den Platz für ihre Sippschaft. »Am liebs’n würde ich ihn einfach hier hinschmeisn und liegnlassn«, grummelte Naruto. Seine Wangen waren vom Sake gerötet. »Schnösl.« »Du hast ihn herausgefordert«, erinnerte Sakura. Sie mühte sich schon seit geraumer Zeit damit ab, nicht zu lallen. Bald würde sie sich nicht mehr zusammenreißen können. »Wir können ihn nicht einfach im Stich lassen. Stell dir vor, er wacht in ein paar Stunden in irgendeiner vermoderten Seitengasse auf. Was denkst du, wen er dafür verantwortlich machen würde? Er kann uns jetzt schon nicht leiden. Ich möchte keine schlafenden Pferde scheu machen.« Naruto sah sie skeptisch von der Seite an. »Sicher, dass dies's Sprichwort so geht? Wenn schon! Der Lackaffe 's selbst schuld.« Sie konnte auf diese Wahrheit nichts erwidern. Um ein Uhr nachts auf den dunklen Straßen des Dorfes sich existenzielle Loyalitätsfragen zu stellen, führte zu nichts. Sasukes Loyalität war geklärt. Sie galt dem Klan, nicht seinen Freunden. Es war üblich, wenn man in einer geschlossenen Gemeinschaft aufwuchs. Hätte Sakura eine derart große Familie gehabt, würde sie gewiss nicht so an Naruto und Tsunade hängen. Es dauerte, bis sie den richtigen Weg gefunden hatten. Nachts sah alles gleich aus und da Sasukes mentales Navigationsgerät ungenauer war als ein Kompass ohne Magnet, hatten sie irgendwann die Orientierung verloren, als sie kurz nach dem Hokageturm falsch abgebogen waren. Böser Alkohol. Böse repetitive Gedanken. Dass Sasukes Hand erneut aufgrund fehlender kontrollierter Körperspannung auf ihren Po hinabrutschte, ignorierte sie geflissentlich. Wie sehr sie sich vor einigen Jahren auch gewünscht hatte, Sasukes Aufmerksamkeit auf eine gewisse Weise zu erregen. Unziemliche Berührungen hatten gewiss nicht zu ihrem Vorstellungsrepertoire gehört. Auch jetzt konnte sie keinen Gedanken daran verschwenden, wie nahe er ihr doch war. Der Sake rief mit dem Bajonett in ihrem Magen zur anarchischen Revolte auf. Zudem hatte sie Sasuke vor Jahren aufgegeben. Sie hatte ihren ersten Kuss vor vier Jahren einem talentierten Chūnin geschenkt und die ein oder andere Affäre gehabt, ohne jemals eine ernste Beziehung eingegangen zu sein. Wie auch, wenn alle Männer, die sie kannte, ebenso strikte Shinobi waren wie sie? Als Musterschülerin der Hokage, Iryōnin, Kunoichi und beste Freundin des dorfbekannten Jinchūriki hatte sie bei Gott keine Zeit für die Liebe; geschweige denn Sasuke durch Konoha zu ziehen! Erleichterung brach über sie hinweg, als sie endlich das Tor zum Uchihaviertel erblickten. Es war längst geschlossen – »Paranoides Pack.»– deshalb umrundeten sie die Mauer bis zu jener Stelle, die sie immer genutzt hatten, um Sasuke frühmorgens aus dem Bett zu zerren, als sie noch Team Sieben gewesen waren. Das alte Team Sieben. Die alte Trauerweide war immer noch da und überraschenderweise schafften sie es ohne größere Pannen, den einzig gemeldeten Bewohner ihrer Gruppe über die Steinmauer zu hieven. Ohne ihm etwas zu brechen. Ohne sich selbst etwas zu brechen. Sakura war stolz auf ihre Leistungen, die sich bei Hindernisläufen gewiss gut gemacht hätten. Sollte es jemals eine offizielle Olympiade für Ninjas geben, würden Naruto und sie diese Disziplin übernehmen. »Komm schon, Sasuke-kun, nur noch ein paar Meter«, bat Sakura. Sie flehte ihn förmlich an, aufzustehen, doch der Betrunkene weigerte sich vehement. Sturheit war ein Attribut, das sie nicht sonderlich an ihm schätzte, ebenso wenig wie Narutos brutale Ader, mit der er Sasuke auf die Beine zerrte und hinter sich über den gepflegten Rasen an jene Seite der Veranda schleifte, die zum Gemüsebeet hinausging. Es war acht Jahre her, seit sie das letzte Mal das Uchihaviertel betreten hatten. Umso überraschter war Sakura, dass sich nichts verändert hatte. Der hübsche Brunnen zierte noch immer die Mitte des hinteren Gartenareals – Areal war kein übertriebenes Wort – und Sasukes Zimmer sah aus wie eh und je. Er hatte noch nie viele persönliche Dinge darin verstaut gehalten, anders als seine ehemalige Teamkameraden, deren Kinderzimmer vollgestopft waren mit kitschigem Tand, von dem sie sich nicht trennen konnten. Fotos, Spielzeuge, Kinderbücher, Souvenirs. Sasuke hatte nichts davon, zumindest nicht offensichtlich drapiert. Naruto ließ ihn unsanft auf den Boden fallen. Sakura machte sich zwar noch die Mühe, einen Futon aus dem Wandschrank zu holen und ihn auszubreiten, doch ihr Freund machte keinerlei Anstalten, ihr dabei zu helfen, den Ballast auf die Unterlage zu rollen. Sie wollte sich dieses Unterfangen nicht im Alleingang antun. Letztendlich blieb ihr keine Wahl. »Ich gehe nach Hause.« »Warte, Naruto, du kannst mich hier nicht mit ihm zurücklassen – komm zurück!« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Ich bin inzwischen nüchtern genug, um mich zu weigern, diesem Möchtegernshinobi zur Seite zu stehen. Tu, was du nicht lassen kannst, Sakura-chan, ich will ins Bett. Sai wird mir Vorträge halten, wenn ich verschlafe. Schon wieder. Gute Nacht.« Grinsend legte er die Finger an die Stirn, um sie zu einem Abschiedsgruß abzustoßen. Dann war er verschwunden. Sakura ließ sich stöhnend auf Sasukes Futon fallen. Hierbleiben und schlafen war eine wohltuende Option, wenn sie sich nicht gewahr gewesen wäre, dass einige Uchihas möglicherweise Einwand hätten. Mikoto mochte sie noch aus Sasukes Genintagen, aber der Rest der Familie … Sakura wollte lieber nicht in Erklärungsnot darüber geraten, wie sie in Sasukes Futon gelandet war. Wohlweißlich, dass er nach dem Aufwachen seine gerechte Strafe für die Gemeinheiten der letzten Mission quittiert bekäme – dieser Kater würde ein Tiger werden – ließ sie eine Decke über seine Schultern gleiten. Er schmatzte, wie ein Betrunkener es eben tat, und zog die Decke enger um sich. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie Präventivmaßnahmen gegen seinen Kater treffen können. Der Sake fuhrwerkte noch genügend in ihren inneren Bahnen herum, sodass sie diese Möglichkeit nicht in Betracht zog. Woher sollte sie auch Chakra nehmen? Ihr Level war noch auf kein akzeptables Maß zurückgekehrt. Ihre winzigen Reserven reichten gerade für eine Behandlung ihrer eigenen Kopfschmerzen, deren Abflauen sie einigermaßen nüchtern werden ließ. Oh, Sasukes Quittung würde ein Heidenspaß werden! Zu schade, dass sie nicht bleiben konnte, bis er beim ersten grellen Sonnenstrahl die Augen aufschlug. Sich über diesen heiteren Ausblick in stummer Schadenfröhlichkeit amüsierend, schloss sie die Schiebetür von außen, sodass Sasuke zumindest ein wenig Schonfrist hatte. Sie war kein Unmensch, nur manchmal etwas gemein. Draußen schien der Mond ebenso hell wie vor fünf Minuten. Das silberne Licht, das auf die Blätter einer Hyazinthe fiel, war so kitschig wie ein wunderschöner goldener Sonnenaufgang über dem Meer. Vielleicht waren es auch Hortensien oder Krokusse, sie war keine Botanikerin. Solange es eine Heilpflanze war, konnte sie Lebensdauer, Vorkommen, Familie und Verwandte benennen. Dieses Ding hier war hübsch anzusehen, konnte aber keine Leben retten. »Gerbera. Die Lieblingsblumen meiner Mutter.« Die männliche Stimme hätte sie beinahe aufschreien lassen, stattdessen zuckte Sakura vor Schreck zusammen und knickte den Stiel der vordersten Blume ab. »Teufel!« »Uchiha Itachi, eigentlich«, korrigierte er trocken. Ach, nein?, lag ihr auf der Zunge. Welch unlustiger Humor. Dabei wusste er ganz genau, dass sie einen Ausruf des Entsetzend getätigt hatte. Ebenso wie er wusste, dass man Leute damit erschreckte, wenn man sich mit unterdrücktem Chakra im Dunkeln an sie heranschlich. »Das hast du doch mit Absicht gemacht, Itachi-san«, meinte sie nicht minder trocken, wenn auch nicht annähernd so nüchtern. Sie hätte wohl doch mehr Alkohol aus ihrem Blut filtern sollen. Er sah sie abschätzig an. »Es gehört nicht zu meinen Hobbys, mich von grundstücksfremden Kunoichis in meinem Garten beleidigen zu lassen.« »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich ohne Verbeugung. Sie fühlte sich ertappt und das Bedürfnis, sich rechtfertigen zu müssen, ließ ihren Blick zu Sasukes Tür abschweifen. »Nachdem du mit Shisui gegangen warst, spitzte sich der Wettkampf ein wenig zu. Naruto und ich wollten Sasuke bloß nach Hause bringen. Ich werde nicht mehr unerlaubt hier eindringen.« Dass er mit seinem Genie längst die Fakten zusammengezählt hatte, wurde ihr erst bewusst, nachdem sie geendet hatte. Andererseits war er hinausgekommen, obwohl er ihr und Narutos Chakra gespürt hatte. »Du siehst recht nüchtern aus für die Siegerin eines Trinkwettbewerbes«, meinte er unverhohlen. Sakura zuckte die Schultern. »Ich bin Tsunades Schülerin, in vielerlei Hinsicht.« Dass er fieberhaft nach einer Erklärung suchte, konnte sie an seinen Augen sehen, die leicht verengt unter den zusammengezogenen Augenbrauen hervorblitzten. Demonstrativ hob sie ihren grün leuchtenden Zeigefinger. »Medizinisches Chakra. Es hat die Eigenschaft, körperfremde Subtanzen im Blut zu isolieren. Missbräuchlich angewandt ist es ein wirksames Anti-Kater-Mittel.« »Ah«, machte er einverstanden. »Es ist dasselbe Prinzip, dass du bei der Heilung Kankurō-sans anwandtest. Ich habe einen Blick auf die Berichte dazu geworfen. Eine bemerkenswerte Leistung.« Sakura spürte, wie sie aufgrund dieses Kompliments zu erröten begann. Vorsichtshalber schob sie es auf den Sake. »Ich lerne bei der Besten.« »Das ist wohl so. Bei dieser Mission wurde Shukaku extrahiert«, fuhr er fort. Diese Tatsachenaufzählung warf sie ein wenig aus der Bahn. »Wir versagten. Kakashi-sensei wurde schwer verletzt.« »Die Berichte sagen, dass du imstande warst, ein Mitglied Akatsukis zu töten. Nicht nur die Berichte. Man sprach sogar in Jōninkreisen einige Zeit lang davon. Es ist sehr unüblich, dass ein junger Chūnin derartiges bewerkstelligt.« Die Röte wich aus ihren Wangen zurück. Dieses Lob, wenn es denn eines war, hatte sie mit keiner Silbe verdient. Kankurō war ihr Verdienst, doch der Rest … »Ich hatte Hilfe von einer starken Frau. Ohne sie hätte ich es nicht überlebt. Ein Chūnin gegen einen Akatsuki – klingt das nicht lächerlich?« »Shukaku war wohl erst der Anfang der Serie«, fuhr er fort. »Es gibt sehr viele Anhaltspunkte, dass Akatsuki es auf alle Bijū abgesehen hat. Wir sollten uns alle auf die Bijū betreffenden Missionen einstellen.« Für einen Augenblick verfielen sie in angespanntes Schweigen, bis sie ein hohles Lachen ausstieß. Da stand sie, im Garten der Uchihas, und sprach mit einem ANBU Captain um zwei Uhr nachts über gefährliche Monster. Es war bemerkenswert, wie souverän er wurde, wenn es um Shinobiangelegenheiten ging. Diese Selbstsicherheit war es, die sie in seiner Gegenwart verunsicherte. Vor allem jetzt, wo sie derart in seine Privatsphäre eingedrungen war. Es hatte einen Grund, dass die Uchihas sich abschotteten. Sie schätzten ihren persönlichen Raum. Wieso er dann hinausgekommen war, um mit ihr zu unheiliger Stunde über Missionen zu sprechen, war ihr gerade deswegen unverständlich. Allerdings hätten sie über kaum etwas anderes sprechen können. »Es tut mir sehr leid, dich geweckt zu haben. Ich wollte Sasuke-kun wirklich nur sicher zu Hause wissen.« Nach einer Verbeugung drehte sie sich auf den Ballen um und wollte eilig verschwinden, als er sie zurückhielt. »Sakura-san, ich habe nicht geschlafen. Eine Sache interessiert mich: mein Bruder ist intelligent. Wie habt ihr es geschafft, ihn so betrunken zu machen, ohne selbst betrunken zu werden?« Sakura war von dieser Frage mehr als überrascht. Es ging um Sasuke, versicherte sie sich. Jeder wusste, wie fixiert Itachi auf seinen kleinen Bruder war, sodass es sie nicht hätte verwundern müssen, vor einem Vorwurf zu stehen, wenn sie ebenjenen behüteten Schützling mit bösem Alkohol füllte. Zugegeben, der Trick war niveaulos. Dass Itachi ihn nicht erraten konnte, wunderte sie umso mehr. Er war vermutlich zu banal für ein Genie. »Du hast den Sinn dieses Trinkspiels nicht verstanden. Es geht immer zwei gegen einen. Bei jedem Mal Anstoßen muss getrunken werden. Einmal erhebt Naruto sein Glas mit Sasuke, einmal ich, Naruto, ich, Naruto …« Sie schnippte ihre Zeigefinger zusammen. Itachis Gesicht nahm einen zweifelnden Ausdruck an, als er verstand. »Ein äußerst hinterhältiges Spiel.« »Sasuke mag schlau sein, aber seine Entschlossenheit, gegen Naruto zu gewinnen, ist derart ausgeprägt, dass er die einfachsten Fallen übersieht. Ich möchte nicht behaupten, ihm eine Lektion erteilt zu haben. Es diente eher zur persönlichen Belustigung. Wenn es dabei auch noch lehrreich war, habe ich nichts zu bereuen. Sieh es als Bezahlung«, schlug sie vor, »Dass ich dich vor Ino gerettet habe. Sie kann manchmal ein regelrechtes Monster sein, wenn sie jemanden attraktiv findet.« Er sah sie ausdruckslos an. Diese Beherrschtheit, mit der er seine Mimik unter Kontrolle hatte, war zum Verrücktwerden! »Sie scheint mir eine anstrengende Persönlichkeit zu sein.« »So kann man es auch nennen. Ich sollte lieber gehen. Tsunade-sama hat mir zur Strafe Überstunden im Krankenhaus aufgebrummt.« Sie erwartete keine Entschuldigung, darum war sie auch nicht enttäuscht, dass sie keine bekam. Itachi wog seine nächsten Worte sorgfältig ab, was seine Antwort lange hinauszögerte. »Ich habe nicht vor, alte Lamellen aufzuwärmen. Hinzu kommt, dass ich nicht länger dein Vorgesetzter bin, Sakura-san. Ich habe keine Intention, dich weiterhin in deiner Entscheidungsfreiheit zu beschneiden.« Sakura hatte mit vielem gerechnet, bloß damit nicht. Sie war erleichtert, einer neuen Maßregelung entkommen zu sein. Noch einmal hätte sie sich nicht gegen ihn behaupten können. »Es tut mir leid, dich gestört zu haben, Itachi-san. Gute Nacht.« Ehe er sie erneut zurückhalten konnte, was er nicht getan hätte, sprang sie über die Mauer zurück in den öffentlichen Bereich. Sie hätte das Tor nehmen können, doch es war mitten in der Nacht, sie war müde und Itachi machte sie nervös. Nicht. gut. . . Da er ein Frühaufsteher war, konnte er in Ruhe beim Frühstück mit seiner Mutter die aufgehende Sonne durch die geöffnete Schiebetür des Esszimmers beobachten. Im Gegensatz zu Sasuke, dem die Anerkennung seines Vaters als Grundnahrungsmittel diente, gab Itachi gerne zu, seine Mutter vor allen anderen Familienmitgliedern zu präferieren. Vielleicht, weil die Anerkennung seines Vaters für ihn omnipräsent war, Lob von seiner Mutter jedoch selten. Sie war wohlwollend, aber streng, wenn es um Manieren ging. Sie hatte Jahre darauf verschwendet, sein Ego nicht zu groß werden zu lassen. Es war ein schwieriges Unterfangen, einem jungen Ausnahmetalent innerhalb eines Klans, der auf seinen Talenten gründete, zu erklären, dass Talent nicht alles war. Itachi war sich ihrer Anstrengungen gewahr und rechnete ihr den Versuch, ihn zu einem sozial kompatiblen Menschen zu machen, hoch an. Mikoto war niemals eine Kunoichi von Grund auf gewesen, obwohl sie den Rang eines Jōnin erreicht hatte. In erster Linie war sie Ehefrau und Mutter, die es nicht schätzte, wenn ihr ältester Sohn tagelang wegblieb, seine Missionen über alles stellte und statt einem Einkaufsbummel mit ihr lieber mit Shisui trainierte. Er liebte seine Mutter aufrichtig, doch sie war verständnisvoll genug, ihm den Freiraum zu lassen, sie zum Wohle seiner persönlichen Interessen zu vernachlässigen. Für diese Selbstlosigkeit kannte er kein Maß und es wäre ihm leichter gefallen, sich Vorwürfe deswegen zu machen, wenn sie ihn deswegen angeschrien hätte. Dann hätte er wenigstens kein schlechtes Gewissen, weil er kein schlechtes Gewissen hatte. »Wie schmeckt der Tee, Itachi?«, begann Mikoto eine harmlose Konversation. Er zollte anerkennendes Nicken. »Deine Lieblingssorte geht langsam zur Neige. Ich werde später ins Dorf gehen, um Nachschub zu besorgen. Möchtest du mitkommen?« Itachi spülte den bitteren Nachgeschmack dieser Frage mit einem Schluck Tee hinunter. »Ich muss leider etwas erledigen, Okāsan.« Er wäre gerne mit ihr gegangen, doch wie die Dinge standen, hatte er eine Menge zu tun. Akatsukis Aktivitäten wollten einfach keinen Sinn ergeben. Sie waren ein kunterbunter Haufen willkürlicher Muster, die er selbst nach langen Überlegungen nicht zu einem sinnvollen Konstrukt zusammenfügen konnte. Tsunade hatte ihn bereits für eine neue Erkundungsmission eingeteilt, die er morgen beginnen sollte. Wie lange ihn seine Mutter diesmal missen würde müssen, war ungewiss. Dann war da noch Sasuke, der ihn beschäftigte. Sein Otōto schien noch immer an Sakura und Naruto zu hängen, sonst wäre er in Amegakure nicht in sein altes Muster der emotional geleiteten Handlungen verfallen. Sasuke war nicht wie Itachi, der seine Gefühle in eine unbeachtete Ecke verschob, wo sie der Rationalität nicht hinderlich sein konnten. Sein Vater hatte versucht, einen solchen Shinobi aus ihm zu machen; darum hatte Sasuke auch eingewilligt, Team Sieben zu verlassen. Seine Emotionalität hatte sich drastisch reduziert und Itachi hatte geglaubt, er hätte einfach mehr Zeit gebraucht, um geistige Reife zu entwickeln. Dass diese darin bestand, sich ablenken zu lassen und autoritären Befehlen zum Schutz der Kameraden zu trotzen, hatte er hingegen nicht für wahrscheinlich gehalten. Er hatte Team Sieben noch nicht überwunden, würde es vielleicht nie, das war Itachis interessante Erkenntnis, die er aus Amegakure mitgenommen hatte. Sasuke, Sakura und Naruto waren seit Jahren getrennt, dennoch hatte das Teamwork eine erschreckend perfekte Richtung eingeschlagen. Shisui und er waren ein Beispiel, an dem er das Maß ihrer Zusammenarbeit abschätzen konnte. Sie verstanden sich blind, wortlos und ohne Absprache. Team Siebens Handlungen, wenn auch ungeplant, waren in sich nicht minder konsistent, sodass Itachi der einzige Störfaktor gewesen war, der diese homöostatischen Prozesse gehemmt hatte. Kein schöner Gedanke, wie er zugeben musste. Immerhin hatte seine Mutter in diesem Punkt ihrer Erziehung ganze Arbeit geleistet. Er wusste, wie unfair seine Strafpredigt Sasuke gegenüber gewesen war. Mehr oder weniger zumindest. Sasuke mochte für einen Moment unachtsam gewesen sein, doch Sakura war gut in der Lage gewesen, sich zu verteidigen. Am Ende war es gut ausgegangen, was mehr als bloßer Zufall war, und wenn er ehrlich war, hätten sie Itachi nicht gebraucht, um die Mission nicht minder erfolgreich abzuschließen. Er hatte Pain zusammen mit dem Fuchsjungen in Schach gehalten, was dieser gut alleine geschafft hätte. Itachis Gedanken kehrten zurück zum weiblichen Part des Teams. Er war keiner jener Sexisten, die eine Kunoichi prinzipiell als das schwächste Glied in der Kette sahen. Uzuki Yūgao war in seinem Team und unter ihm gab es keine schwachen Glieder. Doch Haruno Sakura war in erster Linie eine Iryōnin. Eine Iryōnin, die an der Front kämpfen konnte, was an sich schon eine interessante Kombination darstellte. Ihre Chakrakontrolle war bemerkenswert, ihre Präzision nicht minder. Sie hätte es vielleicht sogar mit seinem zwölfjährigen Ich aufnehmen können, was nicht viele von sich behaupten konnten. Die Undiszipliniertheit, auf die sie sich in seinem breiten Vorwurf versteift hatte, war neben ihrer übersteigerten emotionalen Involviertheit ihr größtes Manko, aber auch ihre größte Stärke. Gefühle konnten Ressourcen entfachen, die fähig waren, vieles zu kompensieren. Er fühlte sich nicht dazu berufen, sie zu einer gefühllosen Kunoichi zu erziehen. Es gab jene, die sich distanzieren konnten und jene, die es nicht schafften oder gar nicht erst versuchten. Keiner der beiden Pfade war schlechter als der andere. Für ihn persönlich verständlicher, aber nicht besser. Er maß sich nicht an, zu bewerten. »Könntest du für heute Abend Mochi machen?«, bat er seine Mutter, die stumm von der anderen Seite des Tisches in den Garten gesehen hatte, dessen taunasses Gras langsam von den ersten zaghaften Herbstsonnenstrahlen benetzt wurde. Sie wusste, wann er Ruhe zum Nachdenken brauchte. »Natürlich.« Mikoto schenkte ihm ein herzliches Lächeln. Ihre Kochkünste waren das einzige, das ihre Männer an den gemeinsamen Tisch brachte. Manchmal zumindest. »Hast du eine Ahnung, wer in meinen Gerbera gewütet hat? Als ich gestern Abend nachsah, waren alle Stiele heil und ich kann mich nicht entsinnen, dass in Nacht auch nur ein zarter Windhauch wehte.« Itachi überlegte einen Augenblick, was er antworten sollte. Er war nicht gut im Lügen, schon gar nicht vor der Frau, die ihn geboren hatte. Wenn er eines als Shinobi gelernt hatte, dann dies: Täuschungen führten bloß du unangenehmen Enthüllungen. »Haruno Sakura.« Mikoto hatte keineswegs mit dieser Antwort gerechnet, das konnte er an der Art, wie ihr Mund ein kleines 'o' formte, sehen. »Tatsächlich? Was hatte Sakura-chan in unserem Garten verloren?« Ebenso wie er ihre Verwunderung gesehen hatte, bemerkte er, wie sie die klitzekleine Information nach hinten verschob, um sie später erneut aufzubringen. Was genau derart interessant daran war, dass er weit nach Mitternacht mit einer anderen Kunoichi gesprochen hatte, konnte er nicht beurteilen. Für seine Mutter jedenfalls schien es jene Art von Wissen zu sein, die sie gerne anhäufte, um ihren sozial verkrüppelten Söhnen einen emotionalen Strick daraus zu drehen. Als er keine Antwort gab, fuhr Mikoto fort. »Es hat nicht zufällig etwas mit Sasuke zu tun? Als ich ihn wecken wollte, machte er den Eindruck, als wäre er von einem bösen Geist besessen. Kannst du mir sagen, was ihm zugestoßen ist?« »Reichlich Sake und aufopferungsfreudige Freunde«, meinte er schlicht. Ein weiterer Beweis für Sasukes Verwobenheit mit seinen ehemaligen Teamkameraden; andernfalls hätte er sich nicht die Mühe gemacht, überhaupt zu diesem Treffen zu erscheinen. »Seit wann trinkt einer meiner Söhne Alkohol?« Sie tippte unzufrieden auf den Rand ihrer leeren Tasse. Er stand auf, stellte seine eigene leere Tasse ab und streckte seine vom Seiza beanspruchten Glieder. »Seit Sasuke sich entschieden hat, fleischliche Gelüsten einem stählernen Geist vorzuziehen. Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass Sasuke sich in nächster Zeit vermehrt mit Dingen auseinandersetzen wird, die nichts mit unserer Definition des Shinobilebens zu tun haben.« »Du meinst mit deiner Definition«, berichtigte seine Mutter ihn. Sie erhob sich ebenfalls, um die Tassen in die Küche zu bringen, in die er ihr folgte. Sie war noch nicht fertig mit ihrer Argumentation, das konnte er an den kleinen Falten um ihre Mundwinkel herum sehen. Er hatte zwei Jahrzehnte darauf verwandt, die Körpersprache seiner Eltern zu analysieren. Manchmal bereute er es. »Wie oft habe ich gepredigt, dass Missionen nicht alles sind? Zu einem gesunden Körper gehört ein gesunder Geist, den man nur durch Ausgewogenheit zwischen Verzicht und Freude stärken kann.« »Training macht mir Freude, Okāsan.« Sie stemmte eine Hand in die Hüfte. »Du weißt, was ich meine. Wenigstens begreift Sasuke endlich, wie wichtig es ist, sich ab und an gehen zu lassen; sich mit Freunden zu treffen und zu amüsieren. Etwas, das man von dir nicht behaupten kann.« Mit erhobenem Finger deutete sie anklagend auf ihn. »Du bist so gut wie nie zu Hause, nicht einmal in Konoha oder gar Hi no Kuni, und wenn du es bist, bringst du deine Zeit mit isoliertem Training oder Büchern zu. Irgendwann wirst du sehen, was du davon hast.« Itachi schüttelte den Kopf über diese haltlose Anschuldigung, mit der sie fast recht hatte. Ihre beiden Definitionen vom Leben als Knecht des Dorfes hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die seine separierte sich in ihrem Ausmaß sowieso von allen anderen. Er war ein absoluter Mensch, kompromisslos und unnachgiebig. Halbe Sachen zu machen war nicht das Prinzip, nach dem Uchiha Itachi seine Existenz bestritt. »Man antwortet auf die Argumente seiner Mutter«, belehrte Mikoto ihn mit tadelndem Blick, den sie nicht lange aufrechthalten konnte. »Ich will nur nicht, dass du dich in der letzten Sekunde deines Lebens fragst, was du alles verpasst hast.« »Das werde ich nicht«, war seine wahrheitsgemäße Antwort. »Mein Leben war vorherbestimmt, als ich in diesen Klan geboren wurde. Er hat dieses Schicksal für mich bestimmt; er muss mit den Konsequenzen leben.« »Du weißt, dass ich dieses Leben nicht für dich erwählt hätte. Getrieben vom blinden Ehrgeiz deines Vaters. Und doch …« Sie berührte liebevoll seine Wange. Ihr Lächeln war strahlender als die Sonne selbst. »Und doch bin ich unendlich stolz darauf, welch stattlicher, verantwortungsbewusster und starker Mann du geworden bist. Arbeite nur nicht zu hart. Ich weiß, wie deine Regeln der Absolutheit aussehen. Am Grab meines eigenen Sohnes zu stehen ist eine Vorstellung, die ich nicht ertrage, Itachi. Selbst der stärkste Ninja eines Dorfes ist nicht allmächtig.« Itachi berührte ihren Handrücken, um ihre Hand sanft von seiner Wange zu nehmen und sie mit seinen eigenen zu umschließen. »Nach all den Jahren, in denen du mich belehrt hast, immer kritisch mit mir selbst zu sein, sehe ich mich nicht als den stärksten Ninja Konohas.« Er drückte dankbar ihre Hand. »Aber ich bin froh, dass du es tust, Okāsan.« Die traute Harmonie wurde durch einen Mann zerstört, der wie aus dem Nichts in einem der beiden geöffneten Küchenfenster erschien. Er räusperte sich, um die ihm zustehende Aufmerksamkeit zu erlangen, was Mikoto in ihrem Haus als Beschneidung der allgemeinen Höflichkeit geahndet hätte, hätte der Bote nicht gesprochen, ehe sie ansetzten konnte. »Hokage-sama wünscht Euch in Ihrem Büro zu sehen, Uchiha-sama.« »Euer Aufbruch ist doch aber erst für morgen anberaumt«, erinnerte Mikoto sich zweifelnd. Itachi nickte verstehend, küsste ihre Wange und ging auf den Boten zu, der ihm ein offizielles Schreiben aushändigte, dessen kurze Zeilen er aufmerksam las. Er schenkte seiner Mutter einen entschuldigenden Blick, dessen Erwiderung ihrerseits schleichende Schuldgefühle in ihm weckte. Ihre dunklen Augen glitzerten enttäuscht. »Mochi werden nicht kalt«, sagte sie schließlich. Dann war er verschwunden. . . Manchmal gab es Tage, an denen Yūgao ihr Leben hasste. Seit ihr Verlobter vor einigen Jahren von Orochimaru getötet worden war, war ihr Leben lange Zeit nicht mehr in geregelten Bahnen verlaufen. Sie hatte ihre Tätigkeit bei der ANBU auf Eis gelegt, sich bei ihrer Freundin Kurenai verkrochen und war wochenlang mit stummen, bitteren Tränen in einem leeren Bett aufgewacht. Dann war Uchiha Itachi gekommen und hatte sie für eine Mission rekrutiert. An diesem Tag im März vor über drei Jahren, an dem die Kirschblüten so schön geblüht hatten wie noch nie zu dieser Jahreszeit, hatte er ihr ein lukratives Angebot gemacht, als seine Partnerin in einem ANBU Trio zusammen mit Uchiha Shisui nach Yuki no Kuni zu reisen, um dort einem international gesuchten S-Klasse Verbrecher aufzulauern. Ihre Kenjutsu war hervorragend, besser als guter Durchschnitt, immerhin war sie nicht umsonst im Alter von sechzehn bei der ANBU gelandet. Es war eine interessante Mission gewesen, denn Uchiha Itachis Arbeitsweise unterschied sich von allem, das sie bislang gekannt hatte. Um sein Wesen zu erfassen, fehlte es ihr an Vokabular, doch nachdem sie zusammen mit Shisui die Leibwächter der Zielperson spielend leicht eliminiert hatte, hätte sie nicht gedacht, dass er sie dermaßen beeindrucken konnte. Er hatte nicht einmal seine Sharingan aktiviert, um den gefürchteten Kriminellen mit bloß einer Bewegung auszuschalten. Yūgao hatte in diesem Moment realisiert, wie schwach sie doch im Vergleich zu ihm war. »Er ist ein Angeber«, hatte Shisui mit herzlichem Augenzwinkern gesagt, »Ohne wirklich anzugeben.« Dies war die Minute gewesen, in der sie entschieden hatte, zu neuer Größe zu finden. Auf der Heimreise hatte sie einen Hinterhalt vor allen anderen entdeckt und mit ihrem ungezogenen Katana drei Angreifer auf einmal erledigt. Dies wiederum war die Minute gewesen, in der Itachi entschieden hatte, sie in seine Kategorie präferierter Teammitglieder aufzunehmen. Die Mission in Yuki no Kuni hatte den Anfang einer glanzvollen Zusammenarbeit markiert. Heute, bald vier Jahre später, bereute sie diesen Entschluss. »Komm schon, Yūgao-tan! Du weißt nicht, wie glücklich du mich damit machen würdest!« Entschlossen wehrte sie Shisuis Versuch, sie zu umarmen, ab, indem sie ihn mit ihrer Hand in seinem Gesicht wegdrückte. Dieser Mann war ein einziger Flirt, der ihr unsäglich auf die Nerven fiel. Als würde sie auch nur daran denken, mit einem Kollegen auszugehen! »Das glaube ich dir«, spottete sie hohl. »Hau' ab, sonst zerstückele ich dich mit meinem Katana in dreiundvierzig feinsäuberlich getrennte Einzelportionen – eine für jeden Monat, den du mir auf den Geist gehst!« »Du bist herzlos«, kommentierte er, seine üblichen Versuche aufgebend. Gespielt niedergeschlagen verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und sah in den klaren Morgenhimmel, auf dem eine einzige Wolke die heitere Stimmung störte. »Wir sollten erst morgen abreisen. Etwas stimmt nicht. Verzögerungen sind normal, aber Vorziehen?« Yūgao richtete ihr Schwert, das sie zuvor drohend angestoßen hatte. Sie fühlte diese getrübte Grundstimmung, die schon seit Wochen an allen Ecken wie ungreifbarer grauer Nebel hing. Mit jedem neuen Tag intensivierte sie sich zu einer bösen Vorahnung. Der Winter kam rasch näher, aber was kam danach? Wenn das Eis schmolz, der Schnee taute und man über die unvorteilhafte Jahreszeit hinweg sein stummes Wettrüsten fortgesetzt hatte, gab es nur wenige Alternativen. »Unser Team hatte noch niemals eine ungeplante Abreise«, überlegte sie. »Hokage-sama muss etwas mit großer Wichtigkeit für uns haben. Ich denke nicht, dass wir den Auftrag wie besprochen durchführen – Sasuke!« Die Uchihas, einer wie der andere, waren in der Regel vor allem durch ihr ansprechendes Äußeres gekennzeichnet. Eine schöne Familie voller Talente, was sie respektiert, aber nicht sonderlich beliebt machte. Sogar Shisui war ein Mann beeindrucken attraktiven Formats und wäre Yūgao nicht der Überzeugung gewesen, dass er mit seinen Affären die Zeit überbrücken wollte, bis der Klan eine Frau für ihn ausgesucht hatte, was aufgrund seines Alters von mittlerweile knapp dreißig Jahren langsam drängte, hätte sie sich vielleicht irgendwann einmal auf ihn eingelassen – sie selbst hatte die dreißig letztes Jahr überschritten und verspürte keine sonderliche Lust, sich zu binden, insofern konnte sie seinen Standpunkt hinsichtlich längerfristiger Beziehungen verstehen. Zu seinem Pech würde er sich nicht ewig gegen seine Familie wehren können. Wie Itachi es schaffte, sich immer wieder aus diesem Heiratswahn zu ziehen, war ihr schleierhaft, wo sich doch genügend reiche Frauen mächtiger Familien nach ihm die Finger leckten. Itachi war nicht der schönste Mann des Klans, aber er war der Erbe. Um den Titel des Schönsten buhlten Sasuke und Izuya unbewusst seit Jahren. So wie erster heute ankam, hätte er glatt verloren. »Was ist mit dir passiert, Sasuke-chan?«, neckte Shisui ihn. »Sake«, murmelte Sasuke verschlafen. So verschlafen, dass er nicht einmal die Muße fand, sich über dieses niedliche Suffix zu beschweren, das sein Cousin ihm öfters zu geben pflegte. Sein Teint war aschfahl, seine Augenlider angeschwollen und sein Haar sah aus, als habe jemand darauf gesessen. »Wieso sind wir hier? Dieser bescheuerte Botenninja hat mir einen Heidenschreck eingejagt, als er mich aufweckte. Wir sollten doch erst morgen aufbrechen.« »Das haben wir bereits geklärt«, informierte Yūgao ihn auf die Uhr sehend. »Wir warten auf Itachi, um Details zu erhalten. Er müsste jeden Augenblick –« »Und da ist er auch schon.« Shisui ahmte Trommelwirbel nach, der von seinem Captain sofort unterbunden wurde. In manchen Momenten tat er ihr leid; in seiner guten Laune gedämmt zu werden, war kein schönes Gefühl. Aber sie waren am Beginn einer wichtigen Mission und dieser Moment war keiner davon. »Wie lautet der Auftrag?«, fragte sie unverhohlen. Sie kannte Itachi lange genug, um seine Arbeitsmethodik zu kennen und in weiterer Folge zu schätzen. Auf den Punkt zu kommen war der erste Schritt zu seiner Zufriedenheit und in weiterer Folge zu einem reibungslosen Ablauf der Mission. »Nii Yugito wurde vor etwa zweiundsiebzig Stunden getötet. Man fand ihre Leiche fernab ihrer Heimat auf der Höhe von Kusa no Kuni in einer Höhle.« »Wurde der Bijū extrahiert?«, wollte sie weiter wissen. Die Antwort lag klar auf der Hand. »Ja. Der Übergriff trägt klare Spuren von Akatsuki. Laut den Missionsausschreibungen befand sie sich auf dem Weg nach Taki no Kuni, als sie angegriffen wurde. Wir sollen herausfinden wie und warum sie nach Kusa kam. Hokage-sama geht lieber auf Nummer sicher, deshalb schickt sie ein ANBU Team anstatt eines Spähtrupps. Die Chance ist hoch, dass wir Mitgliedern von Akatsuki begegnen, es ist also Vorsicht und Konzentration geboten. Sasuke, fühlst du dich dazu imstande?« Yūgao konnte beobachten, wie die Gesichtszüge des jüngsten Teammitglieds von leidender Agonie in entschlossenen Ernst übergingen. Sasuke wusste sehr genau, dass sein Bruder ihn nicht protegierte, bloß weil sie blutsverwandt waren. Er würde ihn hierlassen, wenn er nicht einsatzfähig war. Ihr selbst war es zweimal passiert, dass er sie aufs Abstellgleis geschoben hatte, weil sie nicht hundertprozentig fit gewesen war. Als Asuma gestorben und Kurenai am Boden zerstört gewesen war, hatte Yūgao versucht, ihre Freundin wieder aufzubauen. Der Preis hatte daraus bestanden, aus der nächsten Mission ausgeschlossen worden zu sein, weil sie in der vorherigen Mist gebaut hatte. Ein winziger Fehler – ein aus Ablenkung zu spät geworfener Kunai – der keine negativen Auswirkungen gehabt hatte, außer die Entscheidung ihres Captains, sie so lange in Konoha zu lassen, bis sie sich wieder im Griff hatte. »Shisui.« Itachi wandte sich seinem Cousin zu, dessen strahlendes Lächeln zu einer harten Linie verkommen war. »Du bist der Frontmann und gibst das Tempo vor. Yūgao, du sicherst mit mir die Flanken sobald wir die Grenze zu Taki no Kuni überquert haben.« »Wir nehmen die Nordwestroute?«, warf sie skeptisch ein. »Das bedeutet einen unnötigen Umweg, Itachi –« Sein Blick – oh, wie oft sah er sie mit diesem Blick an! – ließ sie die Verschränkung ihrer Arme lösen und diese neben ihren Hüften von sich strecken. »Du weißt, was ich meine. Wenn wir die Westroute durch die Klangwälder nehmen, sind wir sieben Stunden schneller. Der Umweg über den Kitazamapass ist beschwerlicher und zeitintensiver.« »Und er spart uns vier Stunden in Kusa no Kuni«, beharrte er. Yūgao hatte nicht erwartet, ihren Captain mit ihrer Argumentation umstimmen zu können. Sie hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, in lapidaren Angelegenheiten Verhandlungen zu führen. Er war jünger, unerfahrener und der verdammt nochmal beste ANBU Captain, unter dem sie jemals agiert hatte. Vielleicht würde sie nie darüber hinwegkommen, dass sie von jemanden befehligt wurde, der fünf Jahre jünger war als sie, doch er war nur zwei Jahre nach ihr zur ANBU berufen worden. Situationen, in denen er Verbesserungsvorschläge annahm, waren rar. Leider – und dies war der Grund, wieso Yūgao pflegte, ihre persönlichen Proteste hinunterzuspülen – nicht aufgrund seiner Sturheit, sondern weil sein Genie selten Platz für hilfreiche Einwende ließ. Typisch Uchiha. »Einverstanden.« Sie schenkte ihm ein versöhnliches Lächeln, das er, ohne selbst eine Miene zu verziehen, dankend annahm. Er war kein Mann für Konflikte. Solange sie ihn kannte hatte sie ihn noch nie streiten sehen. Wann immer es einen Weg gab, einer Kontroverse auszuweichen, schlug Itachi ihn ein. Meist, indem er seine unbestreitbare Autorität behauptete oder nicht auf Argumentationen einging, die ihn nicht interessierten. Aus Bequemlichkeit oder Ignoranz maß sie sich nicht an zu beurteilen, Fakt jedoch war, dass sie ihn noch nie in einer Diskussion hatte die Oberhand verlieren sehen. Und es ärgerte sie, dass er eine Perfektion anstrebte, welche per Definition des ANBU Kodex genau diesen Aspekt als dessen zentrales Element postulierte. Shisui berührte sie kameradschaftlich am Oberarm, um den stillen Wettstreit zwischen ihr und Itachi zu beenden. Das hieß, sie ging gegen ihn an und er verharrte in seiner Position als Anführer, innerlich vermutlich darüber amüsiert, wie fruchtlos ihr herausforderndes Aufbegehren doch war. Es war reine Prinzipsache. Hier ging es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern darum, dass sie vor niemandem katzbuckeln würde. Itachi wusste das und er sollte es nie vergessen. Nicht jede Frau war hoffnungslos vernarrt in ihn. »Wir sollten langsam los«, schlug Shisui auf Itachis Einverständnis wartend vor. »Sasuke«, schloss dieser sein Briefing ab, »Du behältst das Areal hinter uns im Auge. Keine Sharingan, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.« Diese Befehl galt drei Vierteln des Teams und Yūgao kam nicht umhin, den Mund zu verziehen und ihr Gewicht auf den anderen Fuß zu verlagern. Sie prüfte den Sitz ihres teuren Katanas, das allzeit einsatzbereit auf ihrem Rücken befestigt war, ebenso wie die nicht minder wertvollen Katanas ihrer Kameraden. Es war ein Trost, zu wissen, dass ihr niemand etwas vormachen konnte, wenn es um Kenjutsu ging, selbst Itachi nicht, der dies vor einigen Jahren während einer Trainingseinheit erfahren hatte. Eines von wenigen Erfolgserlebnissen, das sie hütete wie einen Schatz. Uchiha Itachi mochte ein Ausnahmetalent sein, doch vor allem war er eines: ein ANBU. Und sie war nichts Geringeres. »Aufbruch«, befahl er. Und sie verschwanden gen Nordwesten. . . Konohagakure no Sato war ein Dorf, das von Frühaufstehern bevölkert war. Sobald der erste Besitzer seinen Laden geöffnet hatte, erwachte der Puls der Straßen. Morgens gab es die besten Angebote, meiste Auswahl und schönsten Exemplare aller möglichen käuflich zu erwerbenden Produkte wie Waffen, Schriftrollen, Shinobistiefel oder Salat. Ein ansehnliches Exemplar des letzteren hielt Sakura in den Händen. »Wie findest du ihn?«, erkundigte sie sich argwöhnisch bei ihrer Begleiterin, die ihn in ihren Händen prüfend drehte. »Nach allem, was ich sehe … ist es Salat.« Sakura warf das grüne Lebensmittel hoch und fing es leichthändig wieder auf. »Exakt meine Worte, als meine Mutter mich das letzte Mal mit einer derart präzisen Einkaufsliste losschickte. Der letzte war ihr zu hässlich.« Noch immer argwöhnisch klopfte sie auf das Gemüse. »Was kann an Salat hässlich sein?« »Keine Ahnung, aber weißt du, was ich mich viele eher frage?« Ino stemmte eine Hand in die Hüften und holte zu einer irritierten Geste aus, mit der sie in den Argwohn ihrer Freundin einstimmte. »Erstens, wieso stehen zwei Chūnin und Iryōnin um halb sieben Uhr morgens in einem Lebensmittelladen und diskutieren über ästhetische Ansprüche von Salat. Und zweitens, wieso schickt deine Mutter dich überhaupt noch zum Einkaufen, wenn du immer das Falsche bringst?« Diese Frage hatte Sakura sich selbst schon oft gestellt. »Frag' sie das selbst. Sie spricht von Verantwortung in häuslichen Pflichten, aber erwarte nicht, dass du auch verstehst, auf was sie hinauswill. Im Endeffekt reicht es wohl nicht, dass ich eine achtzig Stunden Woche im Krankenhaus oder Außendienst habe. In ihren Augen muss ich auch hausfrauliche Qualitäten lernen.« »Ah«, ließ Ino das Thema fallen. »Da wir gerade davon sprechen, du hast noch kein Wort über die S-Rang Mission mit Itachi-kun erzählt!« Wann hatten sie jemals davon gesprochen? Seit wann war Uchiha-san in Inos Wortschatz Itachi-kun? Und, was noch viel wichtiger war, die Mission war bereits zwei Wochen her. Wieso fing Ino erst jetzt damit an? Vermutlich, weil sie eine längere Geschichte dahinter vermutete, für welche die kurzen Überschneidungen ihrer Dienstpläne nicht gereicht hätten. Sakura hatte sie auch jetzt nur zufällig auf der Straße getroffen. »Ich muss dich leider enttäuschen, Ino. Es gibt nicht viel zu erzählen. Itachi-san ist gut. Überragend gut. Außerdem führt er ein strenges Regiment und kritisiert leider jeden kleinsten Fehler an mir. Dass Naruto seinen Posten verlassen und während der Reise zweimal die Formation gesprengt hat, weil er unangemeldet auf die Toilette ging, wurde gar nicht erst beredet. Dass ich Jiraiya-samas Leben gerettet habe, hat er nicht einmal angemerkt. Stattdessen verpetzt er mich bei Tsunade-sama. Das ist ja so entwürdigend! Ich hoffe, ich muss nie wieder eine Mission mit ihm machen.« Sie seufzte schwer, als sie diese schwer zu akzeptierende Wahrheit aussprach: »Egal wie gut du bist, neben Uchiha Itachi fühlst du dich wie ein klitzekleiner Wurm, den er ganz einfach zertreten könnte. Dieses Gefühl ist schrecklich. Er hält sogar noch mehr auf sich als Sasuke-kun, das soll mal einer nachmachen. Ernsthaft, wie kann man so arrogant sein? Die ganze Mission über hat er nur die Stimme erhoben, um Naruto und mich zu beleidigen, und als es zum Kampf gegen Akatsuki kam, hätte der Mistkerl mich fast verrecken lassen, weil er lieber zu seinem Bruder rannte!« »Also sprechen wir jetzt von Sasuke-kun?«, hakte Ino nach, der anzusehen war, dass ihr Bild von Itachi nicht konform ging mit Sakuras Skizzierung. »Natürlich! Über wen denn sonst?« Sakura warf unwirsch die Hände in die Luft, wobei sie den Salat fallen ließ. Im letzten Moment fing sie ihn mit ihrem Fuß auf, balancierte ihn kurz auf dem Rist und warf ihn wieder zu sich hoch. Sie würde das zerrupfte Stück kaufen müssen. »Meine Mutter bringt mich um, wenn sie das Teil sieht.« »Wieso ziehst du nicht aus?« Das hatte sie sich selbst schon oft gefragt. Leider waren die vielen Antworten darauf ernüchternd. »Es rentiert sich einfach nicht. Es gibt nahe dem Krankenhaus Bereitschaftswohnungen, die ich vielleicht mieten könnte. Aber was würde es nützen? Ich bin die meiste Zeit im Krankenhaus oder auf Missionen. Die paar Stunden dazwischen verbringe ich lieber mit meiner Familie, als alleine irgendwo in einem eigenen Appartement.« Ino begann verhalten zu kichern. »Du könntest ja bei Sasuke-kun einziehen. Die Uchihas würden das sicherlich sehr begrüßen.« »Ja, genau«, wehrte sie diesen schlechten Scherz ab. Sie zahlte den Salat mitsamt einigen anderen Lebensmitteln und trat hinaus auf die Straße, wo die Sonne endlich vollends aufgegangen war. »Tsunade-sama würde sicherlich einige nette Strafen für mich wissen, wenn ich zum Feind überlaufe. Du weißt doch, auf welchem Kriegsfuß sie mit dem Klan steht.« Mit dem anderen stand sie auf Danzō. Ein gefährliches Dreieck, das in Zeiten politischer Unruhen keine sonderliche Stabilität prognostizierte. Sie als Chūnin konnte nichts tun, selbst wenn sie einen Plan gehabt hätte. »Lass Tsunade-sama doch Tsunade-sama sein! Wenn ich die Möglichkeit hätte, mit einem Uchiha auszugehen, würde ich sie ergreifen.« Sakura schenkte ihr einen verstohlenen Seitenblick. »Und seit wann habe ich die Möglichkeit, mit einem auszugehen? Itachi-san würde jemand Untalentiertes und Zügelloses wie mich nicht einmal mit Handschuhen anfassen und Sasuke-kun liefe Gefahr, bei seinem ersten falschen Wort eine Portion Misosuppe im Gesicht zu haben.« »Ich spreche ja auch hypothetisch.« Die Blondine machte eine wegwerfende Handbewegung nach hinten. »Die sind mir alle zu verkrampft. Außer Shisui-kun. Er hat so ein gewinnendes Wesen. Sasuke-kun hingegen war früher süß, aber heute …« »Hm«, machte Sakura nachdenklich. Verkrampft war vielleicht das falsche Wort. Versteift traf es besser. »Es muss schwer sein, in einen Klan geboren zu werden, dessen Entscheidungen man sich nicht entziehen kann. Andererseits ist das keine Entschuldigung, andere zu kritisieren, die nicht so viel Glück mit ihrer Begabung haben. Ich trainiere ebenso hart wie jeder andere, vielleicht sogar noch härter. Aber die Uchihas setzten ihre Standards ja schon immer viel zu hoch. Das ist ja so unfair. Muss echt scheiße sein, Erbe eines solchen Klans zu sein.« Ino blieb stehen und runzelte die Stirn. »Ich dachte, wir sprechen von Sasuke-kun?« Ertappt strich sie sich durch die Haare. Ihr Herz hatte für einen Augenblick ausgesetzt, als sie realisiert hatte, über wen sie nachdachte. Andererseits, wieso sollte sie es leugnen? Itachi war eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie bewunderte ihn für seine Fähigkeiten und sein Talent. Er war, was er war. Berühmt. Berüchtigt. »Tun wir ja auch!«, lenkte sie schlussendlich ein. Es war nicht gut, Ino gegenüber zu viel preiszugeben. »Schau, sie haben endlich die neuen Shurikenausführungen, von denen Shisui-san erzählt hat! Ich will sie mir noch ansehen, bevor meine Schicht im Krankenhaus beginnt.« »Ja, von mir aus«, stimmte Ino verwundert über diese Reaktion zu. Sie machte keine Anstalten, nachzuhaken. Ein schlechtes Omen. Ein ganz, ganz schlechtes Omen.   . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)