Wunsch von pandine ================================================================================ Kapitel 6: Glaube -----------------  „Dich habe ich hier noch nie gesehen. Wer bist du?“, fragte sie, während sie gleichzeitig auf einem Mikadostäbchen herumkaute oder es zumindest im Mund behielt. „Ä-ähm. Du sprichst mit mir, oder?“ Eine wirklich dumme Frage. Weit und breit war niemand Anderes zu sehen, ich hätte mir auf die Zunge beißen können. „Siehst du sonst jemanden? Wer bist du?“, wiederholte sie ihr Frage nochmal. Ihr leuchtend rotes Haar wehte im auffrischendem Wind, es war zu einem Pferdeschwanz gebunden worden. „Ich bin Lilith Nauer, ich bin neu hier.“ „Li-lith? Ich glaube, ich kenne deinen Namen. Kyuubei hat schonmal von dir erzählt.“ Sie aß ihr Stäbchen zu Ende und hatte sofort ein neues zur Hand. „Wirklich?“ Ich war erstaunt. „Ja. Du bist also ein angehendes Magical Girl?“ „Naja, ich weiß nicht so recht“, druckste ich herum. Ich wusste nicht, ob ich eines werden wollte und wieso ich dies alles eigentlich erlebte. Was mein Wunsch war. „Ich möchte dir einen guten Rat geben: Fasse keinen Wunsch aus dem, woran du glaubst. Nutze deinen Wunsch für dich.“ Sie blickte mich kurz mit ernstem Blick an, aus dem Schmerz der Vergangenheit sprach. Dann sah sie weg, ich konnte nur noch ihren Hinterkopf sehen, ehe sie abbog und mit wehendem Zopf wieder verschwand. Ich war zu perplex, um eine klare Handlung wie ihr nachlaufen ausführen zu können. Ihre Worte hallten noch in meinem Kopf. Ich sollte keinen Wunsch aus dem fassen, woran ich glaube? Ich verstand es nicht. Was meinte sie damit? Aber halt. Sie hatte noch etwas gesagt. Ich sollte den Wunsch für mich nutzen. Dasselbe hatte Mami auch gesagt. War es so schlimm, wenn man anderen Menschen den Wunsch widmete? Was war daran so schlimm? Ich hatte keine Ahnung. Ich fragte mich, ob ich sie noch einmal treffen konnte. Ob sie mir dann wohl näher erläutern würde, was sie damit gemeint hatte? Ich würde sie gerne treffen, vielleicht erzählt sie mir dann mehr über sich und ihren Wunsch. Die nächste Begegnung mit ihr ließ nicht lange auf sich warten. Direkt am nächsten Tag sah ich sie auf der anderen Straßenseite. Es war schon spät, die Sonne schon längst hinter dem Horizont verschwunden. Ich war eigentlich auf dem Weg zu Mami, doch kurzerhand änderte ich meinen Entschluss. Still wie ein Schatten folgte ich dem rothaarigem Mädchen. Sie ging immerzu dem rotem Glühen in ihrer Hand nach, ihr Soul Gem. Sie bog in eine dunkle Gasse ein und ich ahnte schon, was mich in der schützenden Dunkelheit erwarten würde. Die Monster, gegen die diese Mädchen tagtäglich kämpften. Knacks. Sie drehte sich blitzschnell mit funkelden Augen zu mir um, sah mich zornig an. Mich, die aus Versehen auf einen trockenen Ast getreten war, der hier herumlag. „Ähm... Hallo“, sagte ich verlegen. „Was machst du hier?“, fauchte sie mich an, als aus derselben Richtung ein viel lauteres Gebrüll ertönte. Die Monster waren da. „Verzieh dich!“ Dann war ihr Körper auch schon in ein rotes Glühen getaucht, sie verwandelte sich. Aus dem rotem Glühen sprang ein Magical Girl auf die schwarzen, gestaltlosen Monster zu. Ein Speer diente ihr dabei als Waffe. Scheinbar mühelos durchtrennte er die schemenhaften Umrisse der Monster, verwandelte sie in Staub und Asche. Ich dachte nicht wirklich daran, wegzugehen. Ich tastete mich rückwärtsgehend wieder zurück, während ich versuchte, das Mädchen nicht aus den Augen zu verlieren. Ich kannte ihren Namen immer noch nicht, ich wusste überhaupt nicht wer sie war, aber ich machte mir Sorgen. Sorgen, weil sie das war, was ich vielleicht auch werden würde. Sorgen, weil sie etwas zu verlieren hatte. Ehrlich gesagt, ich wusste nicht, ob das wirklich meine Beweggründe waren. Ich wusste nur, dass ich mir Sorgen um dieses inmitten der schwarzen Schattengestalten wütende Mädchen, das nicht kannte, machte. Und ich fing an, zu beten. Ich verschränkte meiner Hände vor meiner Brust und betete innigst für sie, in der Hoffnung, dass sie überleben würde. Dass sie überleben wird. Der Kampf schien endlos anzudauern. Endlos zog er sich in die Länge, jedenfalls kam es mir so vor. Sie zog sich einen Kratzer nach dem anderen zu, doch niemals schien es ernst zu sein. Die Monster wollten auch nicht aufhören, immer und immer wieder aus den hintersten Ecken hervorzukriechen. Waren die Menschen so schlecht? „Wieso bist du immer noch da?“, schnauzte mich das Mädchen an. Es war schon früher Morgen. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um nicht gleich wieder loszuweinen. Ich dankte Gott, dass meine Gebete erhört worden waren, obwohl ich doch eigentlich nicht gläubisch war. „Was starrst du mich so an?“ Ich merkte peinlich berührt, dass ich sie die ganze Zeit mit großen Augen angestarrt hatte. „Oh, entschuldige, aber...“ Ich zögerte. Sollte ich ihr von meinen Sorgen um sie erzählen? „Das ist mir jetzt auch egal, nerv mich nur nicht wieder.“ Sie drehte mir ihren Rücken zu und machte sich daran, wieder auf die offene Straße zu treten. „Warte!“, hielt ich sie auf, indem ich nach ihrer Hand griff. Ich wollte mir diese Chance nicht entgehen lassen. Damit sie sich nicht losreißen konnte, ohne meine Frage gehört zu haben, stellte ich sie direkt: „Was meinst du mit deinem Rat an mich? Wieso sollte ich das nicht tun?“ Sie sah mich nur schweigend an. Hatte ich vielleicht eine offene Wunde getroffen? „Das muss dich nicht interessieren. Es ist nur ein gutgemeinter Ratschlag“, sagte sie. Sie hatte ihren Blick wieder abgewandt, ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ihre Stimme zitterte leicht. „Sonst noch etwas?“ „Bitte, erklär es mir doch.“ Ich ahnte, dass ich diese Tür nicht öffnen durfte, doch wieso tat ich es dennoch? War es so wichtig für mich, für meinen Wunsch? War ich schon immer so unsensibel gewesen? „Nein, hör endlich auf zu fragen.“ Sie riss sich los und ging, ohne mich noch einmal anzusehen, weg. Würde ich ihre Geschichte noch erfahren? Ich war wieder einmal über Nacht weggeblieben, wieder einmal waren es die Kämpfe der Magical Girls, die mich vom Schlafen abhielten. Und vielleicht würde ich auch eines werden, aber wollte ich das eigentlich wirklich? Als Magical Girl gegen die Monster zu kämpfen. Vielleicht sollte ich mir mal bewusst werden, was ich eigentlich wollte. Wieso ich dafür sogar bis nach Japan geflogen war. Es war mir ein Rätsel und doch so klar, dass ich es beinahe greifen konnte. Aber in Wirklichkeit hatte ich keine Ahnung. Am nächsten Tag in der Schule war ich die ganze Zeit irgendwie abwesend. Mit den Gedanken woanders. Nicht da. Unkonzentriert. Die ganze Zeit dachte ich an das rothaarige Mädchen. Sie musste etwas wirklich Schmerzhaftes erfahren haben. Warum war ich so unsensibel gewesen und hatte es aus ihr herausquetschen wollen? Ich bin doch wirklich bescheuert. Während ich so nachdachte, kritzelte ich gedankenlos Zeichnungen in mein Heft und grübelte. In Momenten wie diesen erschien mir das Erreichen meines Wunsches noch viel ferner als alles Andere. Die Schulglocke läutete das Ende des heutigen Unterrichts herbei. Erleichternd seufzend packte die Klasse ein, einschließlich mir. Ich hatte wieder etwas zu mir zurück gefunden, vielleicht war ich damit auch meinem Wunsch etwas näher gerückt. Ich hoffte, wieder dieses Mädchen treffen zu können. Ich wollte mich nur entschuldigen und nicht weiter nachbohren, es war unhöflich. Insgeheim wünschte ich mir aber auch, dass sie mir ihre Geschichte erzählte. Ich wollte unbedingt verstehen, was sie gemeint hatte. Und auch, was ihr Wunsch gewesen war. Nach Schulschluss traf ich mich wieder mit Mami. Sie schimpfte ein wenig, weil ich nicht gekommen war, aber es war nicht weiter schlimm, weil ich ja noch da war. Heute wollte sie in ein Gebiet gehen, das nicht weit von dem entfernt war, wo ich das andere Magical Girl gestern getroffen hatte. Ob ich sie heute nochmal sehen würde? „Lilith-chan? Hast du mir zugehört?“, rief Mami mich aus meinen Gedanken. „Äh, wie? Nein, entschuldige, bitte“, antwortete ich verlegend meinen Hinterkopf kratzend. „Ist nicht so schlimm, es war nicht so wichtig. Nur bitte lauf auch weg, wenn ich dir das sage, hast du verstanden?“ Ich nickte zwar, wusste aber genau, dass ich es wahrscheinlich nicht über das Herz bringen würde. „Gut, dann würde ich sagen: Auf in den Kampf!“ Mit geübten Fingergriffen oder auch Magiestößen, ich wusste es nicht genau, verwandelte sie den Ring an ihrem Finger in ihr Soul Gem, das uns den Weg zu den Monstern weisen würde. „Monster lieben abgelegene Gassen, aber das ist dir sicherlich schon aufgefallen?“, begann sie mit ihrem Exkurs in die Welt der kämpfenden und mit magischen Kräften versehene Mädchen. Sie redete viel über die Magical Girls und es war ohne Zweifel interessant für mich, doch war ich heute ein wenig unruhig. Ständig schaute ich mich verstohlen um, ob ich sie nicht sehen würde. Glücklicherweise merkte Mami nichts davon, jedenfalls ließ sie sich nichts anmerken. Es dauerte nicht lange, bis wir an ein abrissfertiges Gebäude kamen, bei dem das Soul Gem heftigst Alarm schlug. Ohne irgendwelche Hemmungen hüpfte Mami über die Absperrung. Sie wartete noch ein wenig auf mich, die ein wenig zögerte. Durfte man das? Letzendlich überwand ich mich aber, schließlich war das ein Sonderfall. Mami hatte sich währenddessen verwandelt, in ihrem Dress stand sie vor dem Eingang des Gebäudes. Einige Fensterscheiben fehlten oder waren beschädigt, nur vereinzelt war hier und da eine ganze zu sehen. Rost hatte sich an den ehemals blanken Eisenrohren des Gebäudes zu schaffen gemacht. Pflanzen hatten beschlossen, hier erneut einen Ort für sich zu finden. Und in eben diesem Gebäude lauerten sie schon wieder. Die schemenhaften Gestalten aus Alpträumen, die an den verlassensten und einsamsten Orten lauerten, die Personifikationen der Bosheit in Menschen. „Bleib du hier und komm ja nicht näher!“, wies Mami mich an einen vermeintlich sicheren Ort. Natürlich wussten wir beide, dass es keinen Ort gab, an dem man vor ihnen wirklich sicher war. Dann war sie auch schon inmitten von Schwarz und aufglühenden Schüssen ihrer Musketen. Angstvoll bangte ich wieder um ihr Leben. Wie gerne ich ihr helfen würde! Aber gegen was? Für welchen Wunsch würde ich dieses sichere Leben aufgeben wollen? „Du schon wieder“, kam es geringschätzig von meiner Linken. Ich drehte mich überrascht hinter meinem Versteck aus eingestürzten Dachbalken um. Das rothaarige Mädchen hatte sich auch verwandelt. „Mami scheint hier wohl schon aufzuräumen, dann bin ich woanders.“ Sie wandte sich zum Gehen um. „Warte!“ „Was denn noch?“ Ihre genervte Stimme passte nicht zu dem Rücken, der zu mir zeigte. „Ich möchte mich entschuldigen. Entschuldige bitte.“ „War das alles?“ „Ja.“ „Dann geh ich jetzt.“ Leichtfüßig sprang sie aus dem drittem Stock, in dem wir uns befanden, und verschwand. Ich konzentrierte mich wieder auf Mami, die immer noch kämpfte und kämpfte, aber so richtig gelingen wollte es mir nicht. „Lass uns reden.“ Ich war überrascht, nach der Schule von dem rothaarigem Mädchen abgefangen zu werden und dann auch noch mit so einem Angebot. Dennoch willigte ich ein, in der Hoffnung, ihre Geschichte erfahren zu dürfen. Sie führte mich in einen abgelegenen Teil der Stadt, der jedoch kein bisschen finster wirkte. Das golden anmutende Abendlicht verströmte einen warmen Schein auf die Natur, die sich hier wieder niedergelassen hatte. Ich vermutete wegen den bunten Glasscheiben, dass es sich um eine ehemalige Kirche handelte. Aber wieso hatte sie mich hierher mitgenommen? „Mein Vater war Priester“, fing sie ihre Geschichte an, „aber niemand wollte ihm zuhören. Es stimmte alles, was er sagte, aber niemand glaubte ihm. Ich habe meinen Wunsch für ihn benutzt. Ich habe mir gewünscht, dass die Leute ihm zuhören, denn ich wusste, wenn sie ihm auch nur einmal richtig anhören würden, würden sie verstehen, dass er keinen Unsinn redet. Eine Weile lang ging das auch ganz gut so, wir waren glücklich.“ Irrte ich mich, oder stockte ihre Stimme leicht? „Er predigte und wendete die Welt so zum Besseren, während ich im Verborgenem agierte. Doch dann kam er hinter meine Kräfte. Er beschimpfte mich, seine eigene Tochter, als Hexe. Kannst du dir das vorstellen?“ Ein trockenes Lachen entweichte ihrer Kehle. „Und dann hat er sich und meine restliche Familie umgebracht und mich allein gelassen.“ Sie schwieg. Ich war betroffen. Deswegen wollte sie also nicht, dass ich meinen Wunsch für andere auf opferte. Innerlich schlich sich aber bei mir der Gedanke ein, dass es doch nicht bei jedem so verlaufen würde, oder? „Meine...“ Sie machte eine nachdenkliche Pause. „Meine...“, begann sie noch einmal, doch erneut zögerte sie, „meine... Fr-freundin...“ Es schien mir, als würde sie immer noch unsicher sein. „Sayaka hatte ihren Wunsch auch für jemand anderen gebraucht und ist wahnsinnig geworden.“ Ich konnte ahnen, dass sie ihr Gesicht in diesen Momenten schmerzvoll verzog. „Oh.“ Etwas Anderes als dieses einfallslose Wort des Bedauerns fiel mir nicht ein. „Jetzt weißt du alles, also geh.“ Sie sah mich nicht an, sie stand aufrecht in den Trümmern des einstigen Ortes des Glaubens, doch ich konnte ahnen, wie viel Überwindung es sie gekostet hatte. „Danke.“ Ich traute mich nicht zu fragen, was mit dem Mädchen Sayaka geworden ist, also verließ ich einfach nur still den Ort und ließ das Mädchen, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)