Bump. von YunYang ================================================================================ Prolog: Der Fall ---------------- Ich renne. Viel zu schnell. Mein Herzschlag hallt in meinen Adern wider. Das Atmen fällt mir schwer. Ich fliehe. Vor wem? Das weiß ich nicht. Doch ich muss rennen, das weiß ich. Über das Dach, an der Regenrinne hinauf, dann wieder runter, in einer fließenden Bewegung, um mich nicht zu verletzen. Schüsse. Irgendetwas hat mich getroffen. Ich stolpere, falle kurz, versuche, wieder aufzustehen. Mein Arm pulsiert. An ihm rinnt Blut herunter, ich versuche es mit meiner anderen Hand zu stoppen, doch es gelingt nicht. Ich renne, doch ich werde langsamer. Das Dach, auf dem ich mich befinde, verschwimmt. Ich wollte springen, so, wie ich es immer tat. Ich konnte das andere Dach sehen, es war nur ein paar Meter von mir entfernt. Doch als ich meine Hand ausstrecke, um nach dem Geländer, das sich darauf befindet, zu greifen, rutsche ich ab und falle. Schüsse. Es tut weh. Ich falle. Einige Meter. Ein Knacken. Und mir wird schwarz vor Augen. Kapitel 1: Jack --------------- „Nein, ich weiß auch nicht, wo sie ist.”, eine Stimme. Ich zuckte kurz auf und öffnete meine Augen. Ich lag auf etwas, wohl auf einer Matratze. Die Wunde an meinem Arm war verbunden, ich hatte ihn wohl während meines Schlafs auf meinen Bauch gelegt. Konnte vorkommen. Der Raum, in dem ich mich befand, war relativ groß. Außer einem Tisch und einem Sofa befand sich nichts darin. Die Fenster waren von Roll-Läden verdeckt. Als ich versuchte nach der Person, der die Stimme gehörte, Ausschau zu halten, spürte ich, wie schwach ich war. Mein sonst so leichter Körper fühlte sich an wie ein Stein. Ich setzte mich auf, es ging nur sehr langsam, und fasste mir vorsichtig an den Kopf. Auch dort spürte ich eine Bandage. Mit einem Mal wusste ich es wieder: Ich war gestürzt. So tief, dass ich hätte sterben können. Oder vielleicht war ich schon tot? Es war niemand da und doch hörte ich eine Stimme. Sie klang wie die eines Mannes, tief und etwas gereizt. „Das passt schon, schick sie einfach vorbei. Alles Weitere klären wir dann.”, ein Scheppern. Es klang so, als wäre etwas gegen eine Wand geworfen worden. „Fuck, die Bullen gehen mir auf die Nerven.”, ich hörte Schritte. Ich wusste nicht genau, was ich tun sollte. Meine Beine glitten über die Bettkante, doch ich konnte nicht aufstehen. Mir war viel zu schwindelig. Die Tür ging langsam auf. Ein Mann trat ein. In seinem Mundwinkel hing eine Zigarette, seine braunen Haare waren zerzaust, als hätte er sich mehrfach durch die Haare gefahren. Unsere Blicke trafen sich und ich spannte meine Muskeln an. Zumindest den Teil, der sich anspannen ließ. Der Mann beäugte mich kurz. Seine blauen Augen waren nahezu ausdruckslos, wirkten desinteressiert. „Du bist wach?”, fragte er schließlich. Seine Stimme hatte trotz seines monotonen Blicks einen freundlichen Unterton. Ich schwieg. Ob ich ihm trauen konnte? Als er noch einen Schritt auf mich zu kam, rückte ich ein Stück zurück. „Ziemlich misstrauisch.”, murmelte er und atmete den Rauch seiner Zigarette aus. „Wo bin ich hier?”, fragte ich. „Na, bei mir Zuhause.” „Wie bin ich hierher gekommen?” „Ich hab dich auf der Straße gefunden.”, seine Augen schlossen sich für einen Moment. „Du lagst in einem Container, du hattest echt Glück. Ich hab gesehen, wie du vom Dach runter gesegelt bist. Ich dachte für ‘nen Moment du bist tot, aber dann hab ich gesehen, dass du noch atmest. Da hab ich dich mitgenommen.” „Was ist mit den Leuten, die mich verfolgt haben?”, meine Stimme hatte etwas an Biss verloren, etwas entgegen kommen musste ich ihm wohl, immerhin hatte er mich gerettet und verarztet. Der Mann nahm sich einen Stuhl, der hinter dem kleinen Tisch am Rande des Zimmers stand und setzte sich neben das Bett. „Du wurdest verfolgt?”, fragte er zurück. „Ja, von wem weiß ich nicht.”, antwortete ich und fasste mir noch einmal an den Kopf. Als ich meine Augen geschlossen hatte, konnte ich mich in die Szene zurückversetzten. Doch etwas fehlte. Was hatte ich getan? Wie genau hatten mich diese Leute entdeckt, und vor allem: Wer war ich? „Hey, hast du Kopfschmerzen?”, ich spürte, dass sein Blick auf mir ruhte, doch ich schaute nicht auf. Ich war viel zu verwirrt. „Ich… ich…”, stammelte ich. Ich zog meine Beine zurück auf das Bett und lehnte mich gegen den Bettpfosten. „Ich habe meinen Namen vergessen.”, seine Augen weiteten sich etwas. „Amnesie? Na, super.”, sagte er seufzend und fuhr sich durch die Haare. Er rückte ein Stück an das Bett heran und zog etwas aus seiner Hosentasche, es sah aus wie eine Ausweis. „Hier.”, er reichte ihn mir herüber. Auf dem Ausweis war ein kleines Foto abgebildet, es war ein Foto von mir. Darunter stand etwas, man konnte es nur schwer lesen, die Buchstaben waren zerkratzt. „Das ist dir aus der Hosentasche gefallen, beim Fall. Allem Anschein nach ist dein Vorname Venuum, aber deinen Nachnamen kann man nicht lesen.” „Venuum….”, wiederholte ich zaghaft. Ein leichtes Seufzen entfloh mir. Bevor ich darüber nachdenken konnte, wie es nun weiter gehen sollte, reichte mir der Mann seine Hand und sagte: „Mein Name ist Jack. Ist zwar alles ‘n ziemlicher Mist, aber du kannst von mir aus hierbleiben, bis du dich erholt hast.” „Vielen Dank.”, ich schüttelte seine Hand. Sie war so kalt wie Eis. Etwas unheimlich, doch ich dachte nicht weiter darüber nach. Stattdessen sah ich mir noch einmal meine Wunden an. Der linke Arm schien zu der Schusswunde auch noch gebrochen zu sein. Ich musste wirklich sehr ungünstig gefallen sein. Mein Blick wanderte von meinem Arm zu Jack herüber. Seine Zigarette wurde immer kürzer und anhand seiner Miene ließ sich absehen, dass er noch ein paar Fragen an mich hatte. „Frag ruhig.”, murmelte ich. Er lehnte sich gegen seine Stuhllehne und nickte. „Is nur ‘ne kleine Frage.”, meinte er. „Bist du ein Runner?”, ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Doch es wahr wohl kaum zu übersehen, dass ich eine von ihnen war. Meine linke Schulter zierte eine Tätowierung, wie es bei uns Runnern üblich war. Meine kurzen, schwarzen Haare verdeckten sie nur minimal. Ich nickte und fügte hinzu: „Ich bin kein Runner, der Botschaften überbringt.” „Was bist du dann?” „Das geht dich nichts an.”, auf Jacks Lippen zeichnete sich ein Grinsen ab. „Gut so.”, sagte er und legte seine Zigarette zur Seite. „Als Runner misstrauisch gegenüber anderen Leuten zu sein, kann nicht schaden.” „Du scheinst dich ja gut auszukennen.”, entgegnete ich kühl. „Das tu ich.”, bejahte er. Etwas überrascht merkte ich, dass seine Augen einen leicht melancholischen Ausdruck hatten. Obwohl mich eine Antwort interessiert hätte, schwieg ich nun und legte mich vorsichtig auf das Kissen zurück. „Ja, genau. Ruh dich am besten noch mal ‘ne Runde aus. Bist hart gefallen.”, ich wandte mein Blickfeld von ihm ab. Ich konnte hören, dass er das Zimmer verließ. Die Tür fiel ins Schloss. Was ist das nur? Dieses Gefühl…. Eine ständige Angst in meinem Unterbewusstsein. Ob ich den Auftrag verhauen hab? Waren die Leute deswegen hinter mir her? Aber was genau war mein Auftrag eigentlich? Verdammt!, ich massierte mir die Schläfen und versuchte mich zu entspannen. Ich war zu schwach, um mich ernsthaft aufregen zu können. Ich konnte nichts an der Situation ändern. Ich musste einfach akzeptieren. Akzeptieren, dass ich Venuum hieß. Akzeptieren, dass ich meinen Arm nicht bewegen konnte und wohl für drei Wochen nicht rennen konnte. Akzeptieren, dass ich bei diesem Kerl festsaß. Kapitel 2: Probleme ------------------- Das Sonnenlicht fiel durch die Spalten der Roll-Läden, genau in mein Gesicht. Etwas mürrisch versuchte ich mein Gesicht zu verdecken. Zwei Wochen waren mittlerweile vergangen. Jack hatte sich an mich gewöhnt und ich mich an ihn. Was nicht hieß, dass wir viel miteinander sprachen. Im Gegenteil. Jeden Morgen brach er zu seiner Arbeit auf und kam erst abends zurück. Es war zwar langweilig, alleine in dieser Wohnung, ohne Kontakt zur Außenwelt, aber auf der anderen Seite war es wohl gut so. Ich wusste noch immer nicht, wer ich war und warum ich verfolgt wurde. Solange mein Aufenthaltsort nicht bekannt war, würde ich wohl meine Ruhe vor den Verfolgern haben. Ich stand mehr oder weniger torkelnd auf und lief in die Küche. Ich stellte den Wasserkocher an. Plötzlich bemerkte ich den kleinen Zettel, der an der Brotbox hing. Ich muss einkaufen, mampf nicht alles auf und heb mir ‘ne Scheibe auf. „Jaja, schon klar.”, schnaubte ich vor mich hin und nahm mir eine Scheibe Brot. Ich biss hinein, ohne mir irgendeinen Belag darauf zu legen und lief zur Wand herüber, um ein Fenster aufzumachen. Strahlend blauer Himmel. Fast so wie immer. Ich genoss die frische Luft. Wie sehr ich es vermisste, über die Dächer zu rennen. Den Wind als ständigen Begleiter zu haben. Das Adrenalin zu spüren, wenn man sich von einem Ort zum anderen hangelte. In dieser gefährlichen, verlockenden Höhe. Seufzend blickte ich zu einem Helikopter herüber. Das war nie ein gutes Zeichen. Ich schloss das Fenster und zog den Roll-Laden herunter. Immerhin so viel hatten Jack und ich gemeinsam, die Polizei dieser Stadt war unser Feind. Seid dem Skandal um den neuen Bürgermeister machen die Bullen jeden Runner dem Erdboden gleich. Ob deswegen auf mich geschossen wurde? Es hatte wohl keinen Sinn weiter darüber nachzudenken, ich konnte mich einfach nicht erinnern. Hmm… die Nachrichten, dachte ich und lief den kurzen Flur entlang. Der Fernseher stand auf einem kleinen Tisch, ich schaltete ihn ein und zapte durch das Programm, bis ich den Nachrichtenkanal gefunden hatte. Hinter dem Nachrichtensprecher befand sich ein leicht verschwommenes Bild, es sah aus wie eine Explosion. Ich drehte den Ton etwas lauter. „Der unterirdischen Terroristengruppe ist ein erneuter Anschlag auf das Polizeirevier am Eden Center gelungen. Zwei Männer kamen dabei ums Leben, 17 weitere sind schwer verletzt. Der Schaden beträgt ungefähr….” „Terroristen?”, das war wirklich ungewöhnlich. Es war natürlich bekannt, dass es viele Widersacher der Polizei gegenüber gab, kein Wunder, sie schossen ohne Warnung auf die Leute, die sie verfolgten, egal, ob schuldig oder unschuldig. Doch Terroristen? Ich beendete meinen Gedankengang und hörte weiter zu. „…Dieser Mann soll nach Angaben der Zeugen die Bombe gelegt haben. Er soll in einem körperlich sehr guten Zustand sein, was darauf schließen lässt, dass er womöglich ein Runner ist. Die Polizei ist dabei, alle ihnen bekanten Runner nach diesem Mann zu befrag-”, die Brotscheibe, die ich im Mund hatte, fiel auf den Boden. Wenn die Polizei wirklich alle Runner in dieser Stadt befragen würde, würde die Situation hundertprozentig entgleisen. Verdammt. Ich wusste nichts. Und eben das war ein guter Grund, mich aus dem Weg zu räumen. Ich schnappte mir die Brotscheibe und stand auf. Ich blickte durch einen Spalt in dem Fenster-Laden heraus. Der Helikopter kreiste, nach wie vor nur ein paar Straßen von diesem Haus entfernt, über dem Himmel. Als ich genauer hinsah, konnte ich sehen, dass der Mittelteil des Helikopters nicht geschlossen war. Es waren also Polizisten an Bord, vielleicht sogar Soldaten. Das war nie ein gutes Zeichen. Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Von irgendwoher konnte ich Polizeisirenen hören. Sie mussten einen Runner gefunden haben. Meine Finger krallten sich in das Fensterbrett. „Stürz’ doch ab, du scheiß Helikopter!”, murmelte ich vor mich hin und hoffte tief in meinem Inneren, dass sie ihre Zielperson nicht fanden. Ob ich wohl irgendetwas mit dem Anschlag zu tun hatte? Möglich war es. Ich hatte vielleicht meinen Namen und meine Vergangenheit vergessen, doch ich wusste, dass ich ein Runner war, der beobachtete. Minister, Schmuggler, Dealer, alle, die etwas zu verbergen hatten. Ich überbrachte Informationen, meist streng geheime, die mein Leben in Gefahr brachten. Was, wenn ich etwas über die Terroristengruppe in Erfahrung gebracht hatte und dabei entdeckt worden war? Die Sirene erklang nun in der gesamten Gegend. Was war das nur für eine Stadt? Ich lehnte mich an die Wand und rutschte bis zum Boden herunter. Plötzlich hörte ich Schritte. Doch ehe ich mir Sorgen machen konnte, hörte ich, wie sich das Türschloss umdrehte. „Verdammte Scheiße! Venuum?”, Jack klang gereizt. Noch mehr als sonst. „Ich bin hier.”, sagte ich und versuchte aufzustehen. Was ziemlich schwer war, wenn man sich nur auf einen Arm stützen konnte. Jack lief den Flur entlang, auf mich zu. „Was machst du denn da? Warte, ich helf’ dir.”, er reichte mir die Hand und zog mich nach oben. „Du bist ganz schön früh zurück.”, sagte ich. „Ich musste da weg. Die Polizei hat überall Straßensperren errichtet. Die haben vor meinen Augen ‘nen Runner erschossen. Da ist echt die Hölle los.” „Was?! Sie haben einen erschossen?!”, ich konnte das nicht glauben. Was glaubten diese Leute nur, wer sie waren?! „Ja.”, sagte Jack noch einmal. Er zog seine Zigarettenpackung aus seiner Hosentasche und steckte sich eine der Zigaretten an. „Ich bin sofort hierher gefahren, weil ich mir dachte, dass sie mit dir das Gleiche tun würden, wenn sich dich fänden.” „Verdammt.”, flüsterte ich. Mit einem Mal realisierte ich, in was für einer Lage ich mich befand. „Was soll ich nur machen?!” „Gar nichts.”, meinte er. Ich blickte ihn etwas perplex an. Er setzte sich auf das Sofa neben dem Fernseher und zog an seiner Zigarette. „Bis du wieder fit bist, dauert’s locker noch drei Wochen. Ich hab dir doch gesagt, dass du hier bleiben kannst. Du musst nur aufpassen, dass dich hier niemand sieht. Mach niemandem die Tür auf, lass die Fenster geschlossen und lauf so wenig wie möglich durch die Gegend.” „Das ist keine gute Idee.”, widersprach ich schnell. Seine Augen hefteten sich an mich. Sie hatten einen unglaublich starken Ausdruck, der es mir wirklich schwer machte, fortzufahren. „Ich will dich da nicht mit reinziehen. Du hast mich gerettet, das reicht. Ich will nicht, dass dir irgendwas angehängt wird!” „Ist ja wohl meine Sache, was ich mach und was nicht.”, schnaubte er verächtlich. Ich verzog mein Gesicht. „Hey, ich mein’s nur gut mit dir! Ich hab echt keinen Bock, dass-” „Ist doch Schnuppe.”, er stand auf und lief an mir vorbei, ohne mich weiter zu beachten. Er knöpfte sein Hemd auf und warf es in den Flur. Der Anblick verschlug mir ein wenig die Sprache. Obwohl ich nur seinen Rücken sehen konnte, sah ich, dass sein Oberkörper sehr athletisch gebaut war. „Bin duschen.”, mit diesen Worten verschwand er in das Badezimmer und schlug die Tür zu. „Mistkerl.”, ich seufzte. Ich lief in das Schlafzimmer zurück und setzte mich an die Bettkante. Ich mochte es nicht, wenn man mich in Schutz nahm. Als ich darüber nachdachte, spürte ich ein sanftes Stechen in meinem Herzen. Es war so, als hätte ich mich für geraume Zeit an etwas Schmerzliches erinnert. Jack ist ein mieses Arschloch., dachte ich mürrisch. Mein Blick wanderte zum Nachttisch herüber. Der Ausweis, den er mir gegeben hatte, lag dort und schimmerte leicht im Licht der Sonne. Warum der Nachname wohl zerkratzt ist?, ich nahm ihn in die Hand und fuhr vorsichtig über die zerkratzte Oberfläche. Man konnte nichts lesen, nicht einmal den Anfangsbuchstaben des Nachnamens. Solange ich nicht wusste, wer ich war, würde ich wohl auch nicht wissen, wo ich hin musste. Wo ich hingehörte. Doch…. Ob ich das wirklich wissen wollte? Ein paar Minuten später lief Jack in das Zimmer. Ich war mir nicht sicher, ob er etwas anhatte, deswegen blickte ich nicht auf. Stattdessen blickte ich auf den Verband an meinem Arm. Ich hatte ihn seit ein paar Tagen nicht gewechselt und die Wundsalbe war durch die Fasern gesickert. Als ich nach dem Anfang des Verbands suchte und ihn etwas lockerte, bekam ich etwas gegen den Kopf. Es war ein Handtuch. „Ey, was soll die Scheiße?!”, fragte ich verärgert und blickte in die Richtung, aus der das Handtuch geflogen kam. Jack grinste nur sein dummes Lachen, als er meinen gereizten Gesichtsausdruck gesehen hatte. Er öffnete seinen Kleiderschrank und nahm sich ein T-Shirt heraus. „Wenn du den Verband einfach so löst, ist das nur ‘ne unnötige Belastung für deinen Arm. Ich mach das schon.”, sagte er und schloss den Schrank. „Zieh dich erstmal richtig an, du Kleinkind.”, entgegnete ich und rollte die Augen. Er setzte sich gewollt provokativ neben mich und zog sich sein T-Shirt über. In diesem Moment hätte ich ihn gerne erwürgt. „Kannst dem Anblick sonst ja nicht widerstehen.”, flüsterte er neckend und griff nach dem neuen Verband. Auch, wenn ich etwas sagen wollte, ich ließ es bleiben. Der Klügere gab immer nach, nicht wahr? Jack wickelte den Verband vorsichtig ab und beäugte meinen Arm kurz. „Sieht besser aus.”, murmelte er vor sich hin. „Nur die Schusswunde bereitet mir noch etwas Sorgen.” „Wieso?”, fragte ich. „Ist doch nur ‘ne Fleischwunde.” „Ja, das stimmt.”, er verteilte etwas Salbe auf dem Arm und begann, den neuen Verband herum zu wickeln. „Aber sie geht ordentlich durch die Muskeln. Wenn sie nicht richtig heilt, wirst du dich nicht mehr so einfach an Gebäuden hochziehen können.” „Das hab ich ganz vergessen.”, gestand ich und musterte die Wunde noch einmal. Er hatte recht. Meine Muskeln mussten einiges aushalten, wahrscheinlich waren alle Muskeln ein wenig überdehnt durch das ständige Laufen. Eine derart tiefe Narbe könnte all dem noch den Rest geben. Jacks Hand glitt über die Innenseite meines Arms, es kitzelte kurz, als er das Ende des Verbands mit einer Klammer fest machte. Die Schlaufe, die er gelassen hatte, legte er mir um den Hals. So war es um einiges einfacher, den Arm zu stützen. „Danke.”, sagte ich und lächelte kurz. „Kein Ding.”, wenn Jack sein dämliches Grinsen abnahm, sah er sogar ganz nett aus. Er stand auf und lief in die Küche. „Trinkst du ‘nen Kaffee mit?”, konnte ich ihn fragen hören. „Ja.”, antwortete ich eilig und versuchte aufzustehen. Ich stützte mich kurz am Türrahmen ab. Und schon wieder konnte ich den Rauch von Zigaretten riechen. „Du bist echt ein super Kettenraucher.”, sagte ich lachend. Unsere Blicke trafen sich kurz, ich wusste nicht genau, was er dachte. Er hielt eine Tasse in die Luft, ich sollte wohl zu ihm kommen. Doch gerade, als ich nach der Tasse greifen wollte, klopfte es an die Tür. „Fuck!”, zischte Jack und stellte die Tasse beiseite. Er schob mich in das Schlafzimmer zurück. „Versteck dich irgendwo!”, ich tat, was er von mir verlangte. Ich sah mich kurz um und bemerkte schließlich die kleine Lücke zwischen seinem Kleiderschrank und dem Bett. Sie war mit ein paar Kisten zugestellt. Ich schob sie mühevoll zur Seite, kauerte mich in die hinterste Ecke und zog meine Beine an meine Brust. Ich konnte hören, wie Jack die Tür öffnete. Und wie angenervt seine Stimme klang. Kein Zweifel, es musste die Polizei sein. „Was gibt’s’n?” „Officer Ellen ist mein Name. Ich würde Ihnen nur gerne ein paar Fragen stellen.” „Legen Sie los.” „Dürfte ich vielleicht reinkommen?”, ich hielt die Luft an. „Eigentlich hab ich es sehr eilig.”, Jack redete sich geschickt aus der Situation heraus. „Es dauert nur eine Minute.”, ich hatte eine ungute Vorahnung. Ich konnte hören, wie sie durch die Wohnung liefen. Sie unterhielten sich wohl im Wohnzimmer, ich konnte kaum etwas verstehen. Plötzlich zuckte ich zusammen. Ich konnte noch mehr Schritte vernehmen, es musste sich mindestens noch eine Person hier befinden. Und sie durchsuchte die Räume. Ich atmete kaum. Die Schritte wanderten scheinbar vom Badezimmer zur Küche. Verdammt!, dachte ich und schloss meine Augen. Wenn ich meinen Arm nur bewegen könnte! Ich hätte mich mit Leichtigkeit in den Lüftungsschacht ziehen können. „War’s das jetzt mal langsam? Wie gesagt, ich hab’s eilig.”, Jack näherte sich der Küche. Die Schritte stoppten. „Wir sehen uns nur noch einmal in ihrem Schlafzimmer um.” „Mann, sind Sie pingelig! Na, was soll’s, machen sie nur.”, es waren wohl die Schritte des Officers, die ich nun vernehmen konnte. Und zu meinem Pech konnte ich hören, dass er sämtliche Lücken und Abstellplätze im Schlafzimmer auseinandernahm. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er mich fand. Tap, Tap. Die Schritte kam immer näher. Mein Atem stoppte. Die Türen des Kleiderschranks öffneten sich und schlossen sich kurze Zeit später wieder. Bitte, nicht! Doch aus irgendeinem Grund gingen die Schritte zurück. „Eine Frage, Mister… Ähm..” „Jack.”, was war nur los? Hatten sie etwa doch etwas gefunden? Der Officer besprach sich mit seinem Gehilfen, sie sprachen zu leise, als das ich sie hätte verstehen können. Doch dann sprach er erneut zu Jack. „Hatten Sie Besuch?”, vorsichtig lugte ich über die Kiste. Verdammt. Die Tassen! „Sie trinken wohl nicht aus zwei Tassen, oder?”, ich wusste, dass das nicht gut gehen konnte. Was sollte ich tun? Versuchen, mich mit einem Arm durchzuschlagen? Den einen K.O hauen und die Aufmerksamkeit auf mich ziehen? Meine Beinmuskeln spannten sich an. Mir blieb nichts anders übrig. Wenn Jack nicht die richtigen Worte finden würde, würde ich eingreifen müssen. „Wollen Sie das echt wissen?”, Jacks Stimme klang plötzlich amüsiert. War er schon so verzweifelt, dass er den Verstand verloren hatte? Der Officer nickte bloß, ich sah, das Jack grinste. Es war das dumme Grinsen, dass ich ihm, immer wenn ich es sah, zu gerne austreiben würde. „Tja, Officer, haben Sie schon mal was von ‘nem One-Night-Stand gehört?”, …bitte?, ich hoffte, mich verhört zu haben. Was zum Teufel…? „Tja, die Braut war schon heiß.”, schilderte er schließlich und nahm einen großen Zug an seiner Zigarette. „Bleiben Sie bitte sachlich.”, die Stimme der beiden Polizisten verlor an Festigkeit. Nun verstand auch ich, was er vorhatte. „Solche Früchte. Und ‘ne Traumfigur. Sie musste nur leider zurück zur Arbeit, sie ist nur vorgegangen, damit’s im Büro nicht so scheiße kommt, sie versteh’n?”, sein leicht raues Lachen war wohl der letzte Schub, den es benötigte, damit die Bullen einsahen, dass sie bei ihm keine Chance hatten. „Ja, wir verstehen. Bitte entschuldigen Sie, dass wir ihre… Ähm… kostbare Zeit verschwendet haben. Schönen Tag noch.” „Danke, gleichfalls.”, die Tür öffnete sich. Die Polizeimänner traten aus der Tür und Jack schmiss sie regelrecht zu. Erleichtert holte ich Luft. „Das war knapp.”, sagte ich leise. Ich sah, dass Jack mir entgegen kam. „Alles okay?” „One-Night-Stand? Heiße Tussi?”, fragte ich halb im Scherz. Er lachte und half mir aufzustehen. „Kein Bulle bleibt bei so was ruhig. Hat bis jetzt immer gezogen.”, ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Ich war wirklich froh, dass alles ohne Probleme abgelaufen war. Als wir uns an den Küchentisch gesetzt hatten, sagte ich: „Danke übrigens.”, sein Blick verriet mir, dass er nicht verstand, wofür ich mich bedankte. „Dafür, dass du mich nicht verraten hast.” „Gerne.”, murmelte er. Seine Miene verzog sich für einen kurzen Moment. „Ich mag vielleicht nicht grad ‘n Mustertyp sein, aber vertrauen kann man mir. Ich helf’ jedem aus der Scheiße, der nicht zu denen gehört.” „Du hast sie echt abgrundtief, oder?” „Du doch auch.” „Ja, aber….”, ich hielt einen Moment inne. Ich konnte seiner Haltung ansehen, dass er nur wenig Lust dazu hatte, darüber zu sprechen. Also ich schwieg ich und trank einen Schluck Kaffee. Mir viel schließlich auf, das selbst der Kaffee nach Rauch schmeckte. Gesund war das sicherlich nicht. „Du ziehst ja ‘ne Fresse.”, meinte er und grinste mich an. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und trank den Kaffee stillschweigend aus, auch wenn es mich echt Überwindung kostete. Ich hatte das Gefühl, dass mindestens eine Kippe darin schwamm. Der Abend verlief ziemlich ruhig. Schlafklamotten hatte ich mir von ihm geliehen, es war wirklich lästig, sie anzuziehen. Aber mir von ihm helfen lassen? Niemals. Nachdem ich es irgendwie geschafft hatte, mich in den Klamotten zurecht zu finden, legte ich mich in das Bett und knipste das kleine Licht aus. Jack kam gähnend in das Zimmer und legte sich auf die andere Betthälfte. So komisch es auch war, wir schliefen in einem Bett. Nicht, weil wir es unbedingt wollten, sondern weil Jack jede Nacht, in der er auf dem Sofa geschlafen hatte, mit einem Rums auf den Boden gefallen war und fuck-schreiend durch die Wohnung gewandelt war. Und ich hatte mich daran gewöhnt. Es machte mir nichts aus. So pervers seine Witze auch sein konnten, er kam mir nie zu nahe. Es kam selten vor, dass er etwas näher an mir lag. Ich nahm mir eine der Bettdecken und legte sie über mich. „Nacht.”, sagte ich und lachte kurz, als ich sah, dass er bereits halb schlief. Das Mondlicht schien ein wenig durch das Fenster. Obwohl es schon Mitternacht war, konnte ich die Helikopter hören, die über die Stadt flogen. Ich fühlte mich so beobachtet, dass ich nicht schlafen konnte. Ich drehte mich um und bekam einen kleinen Schreck. Jack hatte seine Augen geöffnet. Er schnippte mir leicht gegen die Stirn und sagte: „Versuch zu pennen, dein Arm wird’s dir danken.”, obwohl ich mich eigentlich aufregen wollte, nickte ich nur kurz. Mit einem leisen Seufzen schloss ich meine Augen. „Im Ernst, mach dir keine Sorgen.”, ich hörte, dass er sich von mir wegdrehte. „Wir bringen dich schon wieder auf die Beine.” Kapitel 3: Luft --------------- „Zweiundfünfzig, dreiundfünfzig, vierund…au!”, die letzten zwei Wochen waren ohne weitere Komplikationen verlaufen. Die Polizei hatte sich bereits nach einer Woche beruhigt, ich war wirklich erleichtert gewesen. Nachdem die Heilung meines Arms voran gegangen war und Jack sich sicher war, dass ich damit anfangen sollte, ihn zu belassen, hatte ich mein Training wieder aufgenommen. Doch Liegestützen schienen immer noch zu viel zu sein. „Ich hab gesagt leicht belasten. Liegestützen zählen nicht dazu!”, Jack warf mir eine kleine Wasserflasche zu, ich fing sie auf und trank einen Schluck. Ich wusste genau, dass es meinem Arm schadete. Aber es schockierte mich so sehr, dass ich so unbeweglich geworden war. Ich hatte mich seit fast fünf Wochen kaum noch von der Stelle bewegt. „Du kommst ja wenigstens jeden Tag raus aus dieser Qualmhöhle.”, meckerte ich. „Ich werd’ bestimmt nicht fitter, wenn ich Passivraucherin bleibe!” „Ach, die paar Zigaretten. Als ob die was ausmachen würden.” „Hast du eigentlich ‘ne Ahnung, wie viel du rauchst?! Fast ein Päckchen am Tag, du Suchti!”, Jack schnaubte auf. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Was das Thema ,,Rauchen” anging, so war er noch sturer, als er ohnehin schon war. Seufzend ließ ich mich auf meinen Rücken fallen. Die Wohnzimmerdecke ödete mich langsam an. „Ich kann das bald nicht mehr. Ich brauch frische Luft.” „Dann mach’n Fenster auf.” „Jack!” „Jaja, schon gut!”, knurrte er und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Aber was willst du schon machen? Selbst, wenn du rennen könntest, in der Situation, in der sich die Runner befinden ist das einfach nur lebensmüde.” „Wenigstens ein Spaziergang, bitte!”, flehte ich und richtete mich ein wenig auf. Er fuhr sich seufzend durch die Haare und starrte aus dem Fenster. Es schien beinahe so, als würde er den Himmel mustern. „Also gut, also gut.”, stimmte er schließlich zu. „Aber zieh dir irgend ‘ne Jacke von mir drüber, man darf weder deine Tätowierungen noch die Wunde sehn’.” „Geht klar, vielen Dank!”, endlich! Nach so langer Zeit. Ich stand auf und eilte in das Schlafzimmer. Ich zog eine Jacke aus seinem Kleiderschrank, es war wohl die Kleinste, die er hatte. Sie passte sogar fast. Ich zog den Reißverschluss zu und lief ins Wohnzimmer zurück. Jack saß noch immer faul und bequem auf dem Sofa. Ich begann mich zunehmend zu fragen, wie genau er es schaffte, bei der Menge an Zigaretten und der Faulheit so einen trainierten Körper zu haben und seine Figur zu halten. Es würde wohl ein ewiges Rätsel bleiben. Auch er stand schließlich auf, wenn auch sehr mühsam, und zog sich seine Schuhe an. Als ich die Haustür öffnete, umschlang mich eine kühle Brise. Ich atmete tief ein und aus. Diese Luft, diese Freiheit. Es tat so verdammt gut. „Eine Runde um’n Block, mehr is’ nicht drin.”, normalerweise hätte ich wohl dagegen protestiert, aber es war mir egal, wie lange ich draußen war, ich genoss jede Sekunde. Die Hauptsache war einfach nur, dass ich draußen war. Alles andere war nebensächlich. Wir liefen nebeneinander den Weg entlang. Erst jetzt konnte ich sehen, wo genau Jack eigentlich wohnte. Er wohnte ziemlich zentral, in der Nähe der U-Bahn-Station und südlich des Eden Centers. Mein Blick schweifte von den leicht sterilen Häuserreihen hinauf zu den Dächern der Hochhäuser. Ich strecke meinen gesunden Arm zum Himmel hinauf und sagte: „Bald werde ich wieder dort sein.” „Das wird noch ‘ne ganze Weile dauern.”, Jacks entmutigende Worte erreichten mich nicht. „Ich werde es schaffen. Das Runner-Dasein ist alles, was ich habe.” „… du kannst dich immer noch nicht an irgendwas erinnern?”, es war wohl dieser leicht melancholische Ton in seiner Stimme, der mich meinen Arm senken und zu ihm herüber sehen ließ. Ich dachte einen Moment über seine Frage nach. Doch, ich hatte mich an etwas erinnern können, es war nicht viel, doch es gab meinem jetzigen Leben einen Sinn. „Ich weiß nur, dass ich es liebe, zu rennen. Dass ich es mein ganzes Leben getan habe und so lange und solange tun werde, bis ich mich nicht mehr bewegen kann.” „Verstehe. Soweit willst du geh’n?”, ich seufzte. Er hatte sich eine Zigarette angezündet. Der Rauch zog mir direkt ins Gesicht. Mir reichte es nun endgültig. Ich schnappte ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel und warf sie auf den Boden. Ich trat mit Absicht dreimal drauf herum, solange, bis sie zur Unerkenntlichkeit zerfleddert gewesen war. „Hey!” „Deiner Gesundheit kann’s nicht schaden!” „Pah! Meiner Gesundheit? Sagt grad die Richtige! Ich bin viel fitter als du, glaub mir.” „Beweis es.”, sagte ich fordernd. Jack zog seine Augenbrauen zusammen, doch dann grinste er und beschleunigte sein Tempo. Ich folgte ihm bis zum Ende der Straße. Dort befanden sich ein paar Container und Zäune. Es erinnerte mich an etwas, plötzlich wusste ich es wieder: Dieser Ort sah genauso aus wie…. „. . .Ein Runner-Trainingsgelände.”, murmelte ich vor mich hin. „Yep, genau das is’ es.”, antwortete er. Er zog seine Jacke aus und reichte sie mir. Sein dämliches Grinsen zierte nach wie vor sein Antlitz. Ich hörte, wie er sich seine Schultermuskulatur einrenkte. Typisch Kerl. Schließlich deutete er auf einen Weg. „Hast du den Blick noch?” „Ich erinnere mich ein bisschen daran…. Ich kenne nicht mehr alle Abkürzungen in dieser Stadt, aber viele.” „Gut so. Also, zum Thema Fitness: Wenn ich diese Runde in unter ‘ner Minute vierzig pack, darf ich auf dem Rückweg eine rauchen. Wenn ich’s nicht schaff’, dann lass ich’s bleiben.” „Eins-Vierzig?”, das war ein ordentliches Tempo. Doch was genau tat er da eigentlich? Er war kein Runner. Selbst, wenn er sich in diesem Gebiet auskannte, sollte er fallen, wusste er nicht, wie er sich abrollen sollte. „Hey, Jack, lass das doch. Ich will nicht, dass du dich noch verletzt.” „Keine Angst, zähl’ einfach mit.” „Wa-?!”, ehe ich etwas sagen konnte, überwand er die erste Wand mit einem Wall Run. Er zog sich an dem Zwischendach eines Hauses hinauf und lief ein Stück zurück, um genügend Anlauf für einen Sprung zu haben. Als er abgesprungen war, konnte ich sein nächstes Ziel erkennen. Er hatte es auf eine Regenrinne abgesehen gehabt, die er ohne weiteres erreicht hatte. Ich trat einige Meter zurück, um auf die Dächer blicken zu können. Erst zwanzig Sekunden…, er war wirklich schnell. Er sprang von einem Dach zum Nächsten, rollte sich so ab, dass er Zeit sparen konnte und schlitterte einfach unter Rohren und anderen Hindernissen hindurch. Mit einem Mal kamen Zweifel in mir auf. Er konnte kein Runner sein, oder etwa doch? Seine Technik war hervorragend, doch sein Lebensstil war das komplette Gegenteil zu dem Lebensstil eines Runners. Er war nun im letzten Drittel der Runde und er hatte noch stolze dreißig Sekunden zeit. Er balancierte auf einer Rinne zu einem anderen Dach herüber, rannte ein Stück und nutzte ein paar umherliegende Kästen, um an das Geländer heranzukommen, dass sich in einer Höhe von knapp zweieinhalb Metern befand. Er zog sich hinauf. Noch fünfzehn Sekunden. Anscheinend war sein Blick etwas langsamer als der von Runnern. Er verlor fünf Sekunden, als er nach der Rinne Ausschau gehalten hatte, die sich ein paar Meter von ihm entfernt befand. Er sprang auf sie zu, rutschte an ihre herunter und sprang über den Zaun, der das Gelände eingekesselt hatte. Etwas außer Atem fragte er schließlich: „Und?” „Eine Minute achtunddreißig. Glückwunsch.”, sagte ich und warf ihm seine Jacke zu. Er zog sie an, holte noch einmal tief Luft und kreuzte schließlich meinen Blick, den ich an ihn geheftet hatte. „Was?” „Du bist ein Runner, oder?”, fragte ich. Ich wollte es wissen. Kein normaler Mensch konnte sich so bewegen, ohne eine spezielle Ausbildung hinter sich zu haben. Er schwieg eine ganze Weile. Dann zog er seine Zigarettenpackung aus seiner Tasche, zündete sich eine Zigarette an und zeigte mir mit einem Wink die Richtung. Wir folgten dem Weg eine ganze Weile, bis wir schließlich an einen kleinen Platz inmitten von ein paar Bürogebäuden kamen. „Wo sind wir hier?”, fragte ich leise. Jack lief an den hintersten Rand des Platzes. Auf einer kleinen, nahezu farblosen Wiese konnte ich einen Stein erkennen. Auf ihm war etwas eingraviert. Jack kniete sich davor. ,,Das ist ein Gedenkstein.”, sagte er und blickte zu dem Dach des Gebäudes hoch, dass sich vor uns befand. Es bestand fast komplett aus Glas und die Kanten des Dachs waren abgerundet, man hatte wohl kaum eine Chance, sich daran festzuhalten. ,,Ein Kumpel von mir ist runter gestürzt. Wie du vielleicht bemerkt hast, sieht man hier selbst mit dem Blick nichts, woran man sich festhalten könnte. Er hat’s auch nicht gesehen. Aber er wollte auf das andere Dach. Nervenkitzel. … Er… lag später in zwei Teilen hier unten.”, ich wusste nicht, was ich sagen sollte. In mir stieg ein dumpfes Gefühl auf, ich glaube, es war das Gefühl, das man Reue nannte. „Es tut mir leid…. Ist das… der Grund, warum du nicht mehr rennst?” „Unter anderem, ja.”, er stand auf und begab sich auf den Rückweg. Ich sah noch ein letztes Mal zu dem Dach des Gebäudes hinauf. Zusehen zu müssen, wie einer seiner Freunde aus dieser Höhe fällt, musste mit das Schlimmste sein, was einem passieren konnte. Aber so war es wahrscheinlich immer. Es war wohl gerade der Rand, der uns Runner so faszinierte. Weil wir das sahen, was andere nicht sahen. Auch, wenn wir dafür mit unserem Leben bezahlen mussten. Kapitel 4: Spannungen --------------------- Hm?, es war stockdunkel. Es schien noch immer Nacht zu sein, Jack lag noch neben mir. Etwas dröhnte in meinen Ohren. Waren das Sirenen? Sie klangen anders als die, die ich normalerweise kannte. Ich rüttelte kurz an Jacks Arm. Er knurrte etwas mürrisch, doch dann öffnete er seine Augen. „Hörst du das?”, fragte ich leise. Er lauschte dem Geräusch für einen Moment, dann richtete er sich auf und stand auf. Er lief zum Fenster herüber und zog den Roll-Laden einen kleinen Spalt hoch. „Das sind Helikoptersirenen. Was machen die um die Uhrzeit hier?”, ich konnte an seiner gesamten Haltung sehen, dass er angespannt war. „Hast du ‘ne Ahnung, was da los sein könnte?”, auch ich stand auf und sah aus dem Fenster. Wir schwiegen kurz, als wir sahen, dass ein Mann von dem Helikopter angestrahlt wurde. Er kletterte über die Dächer der Häuserreihen und rannte die Straße herunter. Er hatte wirklich Glück, dass Helikopter nachts nicht auf Menschen schossen. Jack lehnte sich etwas gegen die Fensterscheibe. Seine Augen weiteten sich. „Fuck!”, sagte er und trat vom Fenster weg. „Was ist los?”, fragte ich überrascht. Er blickte sich um, so, als wüsste er nicht, was er tun sollte. „Das ist Aeon! Fuck, wenn er hierher kommt, hetzt er die ganzen Bullen auf mich!” „Beruhig’ dich, lass ihn einfach nicht rein!” „Das kann ich nicht machen!”, sagte er und fuhr sich durch die Haare. Er rannte eilig zu seinem Kleiderschrank und zog sich eine Jacke über. „Was hast du vor?”, ich lief ihm nach, doch er stoppte mich. „Ich lauf ihm entgegen und helf’ ihm irgendwo unterzutauchen. Anders geht’s nicht, ich hab echt keinen Bock, dass die Bullen die Straßen noch mal durchkämmen!” „Aber-” „Wenn alles gut läuft, bin ich gegen Mittag zurück. Mach bloß niemandem die Tür auf, hast du verstanden?!”, ich schwieg. Ich sah ein, dass es keinen Sinn hatte, ihn umzustimmen. „Pass auf dich auf! Du weißt, wie schießwütig die Bullen sind.” „Die kriegen mich erst gar nicht, du wirst seh’n”, er winkte mir kurz zu, dann verschwand er aus der Tür. Ich blieb einen Moment regungslos stehen, doch dann lief ich in das Wohnzimmer. Ich schob den Roll-Laden hoch. Jack war diesem Mann namens Aeon entgegen gelaufen. Sie unterhielten sich im Laufen, dann bogen sie in eine Seitengasse ein und zogen sich an Rohren die Wand hinauf. Mehr konnte ich nicht sehen. Ich ließ den Roll-Laden wieder ein Stück herunter und seufzte besorgt. Wenn das mal gut geht., dachte ich und versuchte mich zu beruhigen. Doch es gelang mir nicht. Ich machte mir zunehmend Sorgen, ob Jacks fit genug für so eine Flucht war. Mit schweren Schritten lief ich das Schlafzimmer zurück. Ich war eigentlich viel zu wach, um überhaupt ans Schlafen denken zu können, doch auf der anderen Seite, was konnte ich schon tun? Mir den Rest der Nacht den Kopf darüber zerbrechen, was wohl mit den beiden geschehen würde? Es hatte wohl keinen Sinn. Ich legte mich in das Bett zurück und zog mir die Decke über den Kopf. Er schmerzte, ich rieb mir die Schläfen und dachte an irgend so eine Geschichte aus dem Fernsehen, um mich abzulenken. Ich blinzelte mehrfach. Das Sonnenlicht fiel wie üblich durch die Rollos. Es kam mir so vor, als hätte ich vielleicht vier Stunden geschlafen. Ich war total fertig. Sowohl seelisch als auch körperlich. Mein Schädel dröhnte noch immer, ich stand auf und lief in das Bad, um mir über mein Gesicht zu waschen. Das kühle Wasser erfrischte mich etwas. Als ich zum Badspiegel hinauf sah, konnte ich die Sorgen in meinem Gesicht ablesen. Ob Jack okay ist?, fragte ich mich seufzend. Ich rieb mir noch einmal die Augen mit Wasser aus, dann griff ich nach dem Handtuch, das neben dem Becken hing und trocknete mir das Gesicht ab. Mit einem Mal schauderte es mich. Ich wusste in diesem Moment nicht warum, doch auf einmal hatte ich ein bedrohliches Gefühl im Bauch. Ich blickte noch einmal in den Spiegel und sah, das jemand in der Tür stand. Er hatte sehr kurze schwarze Haare und ein Runner-Tattoo auf dem Schlüsselbein. Noch bevor ich darüber nachdenken konnte, wie genau er dorthin gekommen war, war er auf mich zugestürmt und hatte mich am Kragen meines Tanktops gepackt. Mein Kopf knallte gegen die Wand. „Scheiße, was soll das?! Wer bist du?!”, fragte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. „Das sollte ich dich fragen! Deinetwegen hat mich Jack nicht zu sich rein gelassen, weißt du wie lange es gedauert hat, die Cops abzuschütteln?!”, ich strampelte mit meinen Beinen, versuchte, ihn zu treten, aber ich schaffte es nicht. „Du bist… dieser Aeon?” „Goldrichtig, Schätzchen!”, er drückte mich noch stärker gegen die Wand. Ich hatte einfach nicht genug Kraft in den Armen, um frei zu kommen. „Also, was hast du gemacht?!” „Was… au…. Soll ich gemacht haben?! Er hat.. mich .. gerettet! Ich bin von einem Hausdach gefallen, verdammt noch mal!”, würgte ich heraus. „Wo… ist Jack?”, fragte ich statt weiter auf seine Frage einzugehen. Aeon schwenkte mich rum und drückte seinen Unterarm an meine Kehle. Ich krallte meine Finger in seinen Arm. Ich bekam keine Luft. „Verdammte Scheiße, einer muss eben zurück bleiben, keine Ahnung, wo der ist! Reicht doch, wenn ich hier wieder einzieh‘!”, mein Blickfeld trübte sich. Ich konnte kaum noch klar denken. Wenn ich nur wüsste, wie ich mich aus seinem Griff befreien konnte! Befreiungsgriffe… Befreiungs-… „…Griff.”, plötzlich wusste ich es wieder. Es war so, als würde eine unbekannte Stimme zu mir sprechen und mir sagen, was ich zu tun hatte. Ich griff mit letzter Kraft nach seiner Ellebogenbeuge, drückte hinein und hielt den Arm fest, erstaunlicherweise ließ er mich tatsächlich los. Dann drehte ich sein Handgelenk um und drückte es zu seinem Körper hin, drehte seinen Arm auf seinen Rücken und presste ihn gegen die Wand. Ich konnte ihn fluchen hören, er konnte sich tatsächlich nicht bewegen. War das… ein Teil meiner Erinnerungen?, fragte ich mich kurz. Doch dann kam ich auf das eigentliche Thema zurück. „Wo hast du ihn zuletzt gesehen?”, fragte ich streng. „Keine Ahnung, ist mir doch egal.”, ich drückte seinen Arm weiter nach oben, ich hörte, dass er bereits leise zu knacksen begann. „Ahh, verdammt! Ist ja gut, ist ja gut!”, stöhnte Aeon und blickte gequält zu mir herüber. „Wir haben uns bei den neuen U-Bahn-Schächten getrennt. Die Bullen hatten meine Fährte verloren und seine aufgenommen, mehr weiß ich nicht! So, jetzt lass mich geh-”, es war wohl wieder eines dieser Erinnerungsstücke, das mich dazu verleitet hatte, ihm ins Genick zu schlagen. Sein Körper verlor an Spannung und rutschte an der Badwand hinunter. Ich blickte noch einmal zu ihm herunter und fasste schließlich den Entschluss, mich auf den Weg zu machen. Wenn es wirklich so war, wie er gesagt hatte, dann musste Jack in ordentlichen Schwierigkeiten stecken. Die U-Bahn-Schächte waren, laut den Nachrichtensprechern, ein beliebter Unterschlupf für Terroristen. Dort musste es nur so vor Polizisten und bewaffneten Einheiten wimmeln. Ich schaffte den bewusstlosen Aeon aus der Hintertür der Wohnung. In seiner Jackentasche hatte ich einen Schlüssel gefunden, ich nahm an, dass er ihn Jack geklaut hatte. Ich schloss die Hintertür ab, verriegelte alle Fenster so gut es ging und trat aus der Haustür, um mich auf den Weg zu machen. Den Schlüssel verstaute ich in meiner Hosentasche mit Verschluss. Ich dachte nach. Die Schächte waren vielleicht drei Kilometer von hier entfernt. Ich lief die Straße herunter, bis ich zu einer Weggablung kam. Ich orientierte mich an dem Werbeschild, dass über dem New Eden Center hing und bog rechts ab. Der Weg wurde etwas schmäler, ich beschleunigte mein Tempo. Die nächste Straße war durch einen Zaun abgetrennt, ich holte etwas Anlauf und überwand ihn. Doch mein Arm bereitete mir nur kurze Zeit später Probleme. Es war ein stechender Schmerz, scheinbar durfte ich keine ruckartigen Bewegungen ausführen. In der nächsten Straße angekommen sah ich plötzlich, dass bereits dort Straßensperren errichtet waren. Um die Wände und Häuser waren Barrikaden gestellt und Streifenwägen platziert worden. Da komm ich wohl nicht durch., dachte ich und schmiegte mich an eine der Hauswände. Offensichtlich gab es dort auch Patroullien, ich musste vorsichtig sein. Die meisten Bürogebäude haben Außeneingänge…. Ich muss auf ein Dach., ich blickte mich um. Zu meiner Rechten standen ein paar geschlossene Container, zu der Linken ein paar Abzugshaubenausgänge und Rohre. Dummerweise waren die Rohre zu hoch, als das man sie vom Boden aus hätte erreichen können. Mit dem Blick wusste ich natürlich, wie ich mir einen Weg bahnen konnte, doch ob mein Arm das durchstehen würde? Ich musste es versuchen. Ich zog mich an dem Container hoch. Ich stieß mich von der Wand ab und erreichte so den Abzugshaubenausgang und schließlich auch die Rohre, die auf das Dach führten. Mein Arm hatte sich zwar bemerkbar gemacht, doch ich ignorierte den Schmerz so gut es ging und kletterte hinauf. Das Dach befand sich in luftiger Höhe. Als ich herunter blickte, sah ich, dass es ungefähr der Höhe gleichkam, aus der ich zuvor gefallen war. Auf dem Dach waren Warengüter gestapelt. Angrenzend an ein weiteres Gebäude befanden sich ein paar Holzbretter. Ich blickte mich kurz um. Wenn ich die Warengüter hochklettern würde, würde ich hoch genug sein, um mich in einen Lüftungsschacht zu ziehen. Ich begab mich also hoch bis auf den letzten Güter und erreichte mit einem kurzen Sprung die obere Terrasse des Bürogebäudes. Unten auf der Straße konnte ich nach wie vor Polizisten erkennen, ich musste so unauffällig wie möglich bleiben. In geduckter Haltung stieg ich also in den Lüftungsschacht. Er wach hoch genug, um relativ gerade stehen zu können, solange man den Kopf einzog. Nach einem kleinen Gang durch den Schacht entfernte ich einen der Abzüge und ließ mich in das Innere des Gebäudes fallen. Es war wohl ein Flur, glück gehabt. Am Ende des Flurs konnte ich Aufzüge erkennen. Ich betätigte einen, fuhr bis ins Erdgeschoss und stieg mit oberster Vorsicht aus. Es war niemand zu sehen. Vor mir befand sich ein relativ großer Empfangsbereich, der ein wenig ausgeschmückt war. Genug Krimskrams, um mich unbemerkt zum Ausgang zu bewegen. Ich war mit meinem kleinen Umweg fast vier Straßen umgangen, die Straßensperren endeten direkt vor dem Hauptausgang des Gebäudes. Ich verließ es und lief weiter nach Osten, bis ich den Anfang der Untergrundunterführung sehen konnte. Er war noch etwa fünfhundert Meter von mir entfernt. Ich rannte, noch schneller als vorher, und stieg die erste Unterführung herunter. Die Rolltreppen waren lahmgelegt, ich konnte sie ohne weiteres passieren. Unten angekommen sah ich die riesigen, nur teils fertig gestellten Gleise, die durch dünne Stahlträger und Planen geschützt und verlegt worden waren. Es war zwar etwas unheimlich, allein dort in diesem still gelegten U-Bahn-Teil, doch ich dachte daran, dass ich Jack hier womöglich begegnen würde. Ich hoffe, er ist unverletzt., mit diesem Gedanken begab ich mich in die Tiefen der Stadt. Kapitel 5: Der Untergrund ------------------------- Je tiefer ich in den Schacht hinein lief, desto finsterer wurde es. Mein schweres Atmen hallte an den Wänden wider. Ich rannte immer weiter, der Boden unter mir war leicht feucht, lag wohl daran, dass die Kanalisation ganz in der Nähe war. Ich legte eine kurze Pause ein. Ich konnte die Schmerzen in meinem Arm einfach nicht länger ignorieren. In gedrosseltem Tempo lief ich schließlich weiter und sah mir meine Umgebung, sofern es möglich war, etwas genauer an. Unter mir befanden sich unfertige Gleise, es war ein Wirrwarr über mehrere hundert Meter. Der Schacht ging ordentlich in die Breite, ich denke, es konnten mindestens vier Bahnen gleichzeitig hier fahren. Wo kann er nur sein?, ich versuchte nachzudenken. Als Unterschlupf kamen nur sehr wenige Bereiche in Frage, Es musste ein Ort sein, an dem es keine Gleise gab, da an diesen regelmäßig weiter gearbeitet wurde. Der obere Teil der Station konnte es jedoch auch nicht sein, dort konnte man viel zu schnell entdeckt werden. Plötzlich fiel mir etwas ein. Die Lagerhallen!, soweit ich wusste wurden dort Güter, Waren aus anderen Städten und Bauteile aufbewahrt. Sich dahin zutritt zu verschaffen war schwer, doch es gab niemanden, der einen dort ohne weiteres finden konnte. Mein Blick schweifte nach rechts. Sie waren schwer zu erkennen, doch es gab ein paar Röhren, an denen man sich auf eine kurze Zwischenebene ziehen konnte. Darüber geb es einen Eingang zu einem Lüftungsschacht. Das könnte hinhau’n., etwas im Dunkeln tappend bahnte ich mir meinen Weg zur östlichen Seite des Schachts. Als ich die Wand erreicht hatte, blickte ich über mich. Die Rohre hingen höher, als ich erwartet hatte. „Mist.”, zischte ich verärgert. Ich musste wohl mit einem Wall Run versuchen, an sie heran zu kommen. Meinem Arm würde das ganz und gar nicht gefallen, das wusste ich jetzt schon. Doch mir blieb nichts anderes übrig. Ich holte Anlauf und sprang gegen die Wand, um mich kurz daraufhin von ihr abzustoßen und die Rohre, dank der durch den Sprung erhaltenen Höhe, zu erreichen. Ich griff erst nur mit dem rechten Arm nach meinem Ziel, doch ich spürte, dass ich nicht genug Kraft in ihm hatte. Also hing ich mich zusätzlich an meinen linken Arm. Der Schmerz beim Durchstrecken war unbeschreiblich. Meine vor Schmerz zusammen gekniffenen Augen öffneten sich langsam und blickten zu der Zwischenebene. Ich zog mich vorsichtig an dem Rand hoch und blieb dort für einen Moment sitzen. Das Pochen meines Arms wurde immer schlimmer. Jack hätte mich jetzt bestimmt schon angeschrien., dachte ich und grinste spöttisch. Ich spürte den Schweiß, der über meine Stirn rannte. Egal, wie geschafft ich war, ich musste durchhalten. Für ihn! Mit einem Ruck stand ich auf. Ich kletterte in den Lüftungsschacht. Er hatte mehrere Abzweigungen, ich entschied mich für die, die nach oben führte. Aus dem Lüftungsschacht kletternd sah ich, dass ich mich wohl in der Datenebene des Zugsystems befinden musste. Sehr gut!, an solchen Orten gab es immer Pläne des Grundrisses der Station. Ich lief die Flur entlang und trat die Tür, die sich an dessen Ende befand, auf. Zum Glück schien niemand in diesem Trakt zu arbeiten, sonst wäre ich wahrscheinlich schon längst aufgeflogen. Vor mir befanden sich verschiedene Räume. Hauptsächlich Büros und Säle. Ich blickte durch die Fensterfronten der Büros, durchkämmte jedes einzeln, bis ich schließlich auf die kleine Karte stieß, die sich im hintersten Büro befand. Laut ihr musste ich mich im Erdgeschoss befinden, der Lagerbereich befand sich ein Stockwerk darüber. Etwas ungünstig. Ich hatte bis jetzt noch keinen Ausgang aus diesem Stockwerk gefunden. Ich blickte zur Bürodecke. Keine Lüftungsschächte. Verdammt., ich verließ den Raum. Ich lief eine Weile umher, rätselnd, bis mir schließlich eine Idee kam. Das Fenster der Säle schien sich ohne Probleme öffnen zu lassen. Mit dem Blick konnte ich sehen, dass der Lüftungsschacht an der Außenwand der Ebene weiter verlief. Mit einem leichten Grinsen im Gesicht stieg ich aus dem Fenster. Man sollte ja eigentlich meinen, dass das Erdgeschoss nicht gerade hoch war, doch wenn sich weitere vier Etagen unter einem befanden, war sie es wohl. Ich atmete tief ein und aus. Statt mich von der Höhe fesseln zu lassen, schmiegte ich mich an die Wand an un lief vorsichtig über den Schacht weiter zu einem kleinen Absatz. Dort waren ein paar Kisten übereinander gestapelt. Ich kletterte sie hinauf und gelangte so zu einem weiteren Lüftungsschacht, den ich erst überquerte und mich später in seine Öffnung hineinzog. Die Lagerhallen lagen westlich des Traktes, ich krabbelte also in den rechten, weiterführenden Schacht und blickte durch eines der kleinen Gitter. Es schien sich niemand in dem sich darunter befindenden Gang aufzuhalten, weswegen ich das Gitter aus dem Schacht herausnahm. Ich sprang hinunter und rollte mich über die rechte Schulter ab. Vor mir befand sich ein Tor. Links daneben ein Schalter. Ich betätigte ihn und wartete darauf, dass das Tor hochgefahren war. Ich befand mich nun am Anfang der Lagerhallen. Und ich betrat sie mit äußerster Vorsicht. Man konnte sich nie sicher sein, ob es nicht doch Wachen gab, die die Güter bewachten. Die Halle war wirklich riesig. Tausende von Container, nebeneinander, übereinander gestapelt. Die Decke reichte mindestens sieben Meter hoch. Einfach drauf los zu laufen und jeden kleinsten Winkel nach Jack abzusuchen würde eine halbe Ewigkeit dauern. Stattdessen dachte ich nach. Wo würde er sich aufhalten? So fit Jack auch sein mochte, er atmete schwer, als er damals vom Dach des Trainingsgeländes zurückgekehrt war, zumal ich mir sicher war, dass er die Höhe verabscheute. Das grenzte den Suchradius etwas ein. Den Rest überließ ich meinem Gespür und der Runner Vision. Südöstlich der Halle waren die Container so nahe bei einander, dass man sich nicht zwischen sie setzten oder sich an ihnen hinauf ziehen konnte. Treppen gab es nur auf Bodenhöhe, und selbst die führten nur in andere, kleine Bereiche ohne große Bewegungsmöglichkeiten. Ich lief etwas vorwärts. Es war zwar nur sehr leise, doch ich war mir sicher, etwas surren gehört zu haben. Ich lief um die vielen Container herum. Das Geräusch kam von den Laufbändern, die im Sekundenrhythmus kleine Pakete von der einen zur anderen Lagerhalle beförderten. Meine Miene heiterte sich schlagartig auf. Kein Zweifel, das musste es sein. Auf der anderen Seite der Fließbänder gab es sicherlich eine Art Zwischenraum. Ohne weiter Zeit zu verschwenden suchte ich die Fließbänder nach einem Schalter ab. Sich einfach so auf eines der Bänder zu setzen, war selbst für mich zu riskant. Ah! Da ist er ja!, dachte ich und betätigte ihn vorsichtig. Das Surren der Bänder wurde leiser, noch leiser, bis sie schließlich stoppten. Dummerweise schien der Schalter eine zeitliche Begrenzung von ein paar Minuten zu haben, weswegen ich mich eilig auf eines der Bänder schwang und in geduckter Haltung auf die andere Seite krabbelte. Es war knapp, doch ein paar Sekunden, bevor sich die Fließbänder wieder in Bewegung gesetzt hatten, hatte ich die andere Seite der Halle erreicht. Der Raum zwischen den Hallen war nur etwa drei Meter groß. Andere Möglichkeiten auf die andere Seite zu kommen außer auf den Fließbändern zu laufen gab es nicht. Wenn ich suchen musste, dann also hier. Ich kniete mich auf den Boden und suchte nach irgendwelchen Anzeichen von Leben. Schuhen oder einer Hose oder so etwas. Nachdem ich fast zehn Minuten auf dem Boden umhergekrabbelt war, war ich am Rande der Verzweiflung. Sollte ich mich etwa doch geirrt haben? Doch gerade, als ich aufstehen wollte, vernahm ich das Zeichen. Das Zeichen, das mir zeigte, dass er hier sein musste. Der Geruch einer Zigarette. Ich folgte meiner Nase, krabbelte unter einem so schmalen Gitter durch, dass ich angst hatte, stecken zu bleiben und erblickte schließlich den separaten, noch kleineren Raum, der sich hinter dem Zwischenraum befand. Und mit ihm Jack, der in eine Decke gewickelt und mit einer Zigarette in der Hand da saß und sie fast fallen gelassen hätte, als er mich gesehen hatte. Kapitel 6: Der Unterschlupf --------------------------- Ich ließ mich etwas erschöpft neben Jack nieder, der, nach wie vor, kein Wort herausgebracht hatte. Erst, als ich ihm seine Zigarette wegnahm und unter meinen Schuh warf, löste er sich aus seiner Starre. „Was machst du denn hier? Wie, zum Teufel, hast du mich gefunden?” „Aeon.”, war alles, was ich antwortete. Jacks Miene änderte sich. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Hat er dir was getan?”, fragte er und musterte mich kurz. Ich schüttelte den Kopf und seufzte. „Er wollte es, aber ich konnte mich glücklicherweise an ein paar Nahkampfgriffe erinnern.” „Geschieht dem Schwein recht.”, er wickelte sich etwas aus seiner Decke heraus und hob sie ein bisschen an. Ich rückte an ihn heran und wickelte sie dankbar um mich, erst jetzt bemerkte ich, wie kühl es hier unten war. „Was ist eigentlich passiert?”, fragte ich ernst. Jack schnaubte auf. „Dieses Arschloch.”, meinte er, während er sich durch die Haare fuhr. „Wir kennen uns von früher und er kommt immer zu mir, wenn er Scheiße am Hals hat. Hat sich scheinbar irgend ‘nen Auftrag von ‘nem Mafiosi aufgeladen und ist entdeckt worden. Und ich bin auch noch so dumm und will ihm helfen.”, seine Emotionen schwankten. Zwischen Wut, Enttäuschung und Hass. All das ließ sich an seiner Stimme und seinem Blickwechsel erkennen. „Er meinte, er hätte ‘nen Unterschlupf hier unten…. Ist dann abgebogen und hat mich bewusst im Fokus der Meute gelassen. Die Bullen sind so schießwütig, scheiße, ich hatte so Glück, dass mich keine Kugel getroffen hat. Zumal sie ‘n paar von diesen Ikarus-Leuten auf mich angesetzt haben.” „Ikarus? Du meinst diese Möchtegern-Runner?”, jetzt fiel es mir wieder ein. Die Polizei hatte nun bereits seit längerer Zeit eine geheime Spezialeinheit aufgebaut, die derselben Ausbildung wie uns Runnern unterzogen wurden. Sie waren so schnell wie wir, fast so geschickt und hatten den Blick, wenn auch nicht so ausgeprägt, wie wirkliche Runner. Doch sie waren gefährlich. Gerade, weil sie so agil waren. Mit einem Mal war ich wirklich froh, Jack in einem Stück wiederzusehen. Ich rutschte noch ein Stück abwärts, damit die Decke über meine Schultern reichte. Sie war angenehm warm, auch, wenn sie nach Rauch roch. „Wo hast du die eigentlich her?”, fragte ich ihn, um ihn abzulenken. Sein Gesichtsausdruck wurde lockerer, weicher. „Ich komm oft hierher, wenn irgendwas schief läuft. Da hab ich mir einfach irgendwann mal ‘ne Decke und ausreichend Kippen mitgenommen. Hier ist immer tote Hose und finden tut mich hier keiner, solange man kein Runner ist. Echt Respekt, Kleine, das gelingt nicht jedem.” „Hey, ich bin nicht klein!”, entgegnete ich mürrisch und rückte wieder ein Stück nach oben. Er lachte amüsiert und schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: Dann sieh’ dich doch mal an! Oder so etwas. Ich zog die Augebrauen zusammen und wandte meinen Blick von ihm ab. „Wär’ vielleicht doch besser gewesen, wenn sie dir dein Maul gestopft hätten! Dann hätt’ ich mich wenigstens nicht hier hoch zieh’n müssen!” „Fuck, das hab’ ich ganz vergessen! Dein Arm!” „Passt schon!”, zischte ich ärgerlich und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch plötzlich spürte ich, wie zäh und sehnig sich meine Armmuskulatur beim Bewegen anfühlte. Ich hatte es wohl doch zu weit getrieben. Jack löste meinen Arm von meiner Brust und drehte ihn zu sich. Dass ich allein dabei schon leicht aufzuckte, zeigte ihm wohl, dass ich am Ende meiner Kräfte war. „Du hast ihn wohl überdehnt…. Kein Wunder, was bist du auch so blöd und machst die ganze Scheiße! Ich wär’ doch spätestens Morgen zurückgewesen!” „Das wusste ich aber nicht, okay?!”, schnauzte ich zurück. „Aeon meinte, dass dich die Bullen jagen würden, ich hatte so Angst, dass dir was passiert ist! Zumal mir dieses Arschloch nur ungenau sagen konnte, wo du wärst, wenn es dir gut ginge! Du Vollidiot!”, wer hätte gedacht, dass ich ihn mal derart anschreien würde? Jack selbst schien damit auch nicht gerechnet zu haben, denn er schwieg und widersprach nicht im Geringsten. Ich holte tief Luft und versuchte mich wieder zu beruhigen. Mein Arm pochte, wahrscheinlich, weil mein Herz vor Wut angefangen hatte zu rasen. Und Scheiße, es tat echt weh. Ich schloss meine Augen und umklammerte die Narbe mit meiner anderen Hand. Mein Atem ging plötzlich schwerer. Die Schmerzen zogen sich bis in die Schulter. „Kreischnudel.”, flüsterte er schließlich. Woher kam auf einmal dieser leichte Anflug von Mitgefühl in seiner Stimme? „Halt ihn ruhig, bin gleich wieder da.” „Was?”, fragte ich etwas überrascht, doch ich bekam keine Antwort. Er stand auf und legte die Decke so um mich, dass ich ihm nicht folgen konnte. Er kroch unter dem Gitter durch und verschwand. Was ist denn jetzt los?, fragte ich mich. Doch zu weiteren Gedanken dazu kam ich nicht. Wie hatte ich diese Schmerzen nur solange ignorieren können? Ich hatte das Gefühl, als würde mein Arm von einem Lkw zerquetscht werden. Schweißperlen rannen an meinem Gesicht herunter. So ruhig ich meinem Arm auch hielt, es wurde immer schlimmer. Ein paar Minuten später kam Jack zurück, in seiner einen Hand hielt er eine Bandage, in der anderen etwas, das nach einem Schmerzmittel aussah. „Wo hast du das her?”, fragte ich schwach. „Nicht fragen, runterschlucken.”, sagte er nur und gab mir eine der Tabletten aus der kleinen Dose. Ich schluckte sie herunter. Danach kniete er sich mir gegenüber und versuchte, meinen Arm zu sich zu ziehen. Es schmerzte so sehr, dass ich mir einen kurzen Schmerzenslaut nicht verkneifen konnte. „Spann’ ihn nicht so an.”, leichter gesagt als getan, dachte ich und seufzte. Er wickelte die Bandage um meinen Arm und zog sie fest. „Au…”, stöhnte ich kurz. „Das ist zu eng.” „Glaub mir, ist besser so. Das ist ‘ne Kühlbandage. In ‘n paar Minuten wird’s besser, sie muss nur sau dicht an der Haut anliegen, sonst bringt’s nix.”, er hockte sich zurück an meine Seite, verzichtete auf die Decke und wartete scheinbar darauf, dass die kühlende Wirkung der Bandage einsetzte. Was nach sage und schreibe zwei Minuten der Fall war. Es war so eiskalt, unglaublich angenehm und schmerzlindernd. Aus meinem Gesicht wich der Schmerz und die Anspannung, die es bis vor wenigen Sekunden noch geprägt hatten. Ich blickte zu Jack herüber und lächelte. „Vielen Dank, das tut echt verdammt gut.”, er erwiderte mein Lächeln und nickte. „Keine Ursache.”, sagte er freundlich. „Ehrlich gesagt hätt’ ich nicht gedacht, dass sich jemand mal Sorgen um mich machen würde. Ist ‘n schönes Gefühl, nicht jedem vollkommen am Arsch vorbei zu geh’n.”, ich wusste, dass er damit erneut auf Aeon anspielte. Zwischen den beiden musste etwas heftiges vorgefallen sein, da war ich mir sicher. Ich räkelte mich mit meinem rechten Arm aus der Decke und warf sie zu ihm herüber, ich wollte nicht, dass er meinetwegen fror. Als er mein Vorhaben sah, lachte er aus voller Kehle und rückte wieder an mich heran. Er legte die Decke um sich und ging schließlich seiner Lieblingstätigkeit nach, dem Rauchen einer Zigarette. Ich ertrug den Gestank, ich hatte mich wohl echt schon dran gewöhnt. Ich bekam eh kaum etwas mit. Die Müdigkeit übermannte mich schließlich. Ich lehnte mich an seine Schulter, missbrauchte sie als Kissen und sackte weg, es dauerte keine Minute. Als ich nach einer Weile wach geworden war, spürte ich Jacks Kopf auf meinem. Eine Hand wäscht die andere., dachte ich und lachte innerlich. Sein Atem ging ruhig, allem Anschein nach schlief er wohl auch schon etwas länger. Ich wollte ihn zwar eigentlich nicht wecken, aber mein Genick hielt dem Gewicht seines Kopfes nicht stand, wenn ich wach war. Er scheint ja doch was in der Birne zu haben, wenn sein Kopf so schwer ist., ich drehte mich leicht zur Seite und tippte ihn an. „Jack?” „…” „Hey, Jack!” „…Was’n?”, gab er verschlafen von sich. „Nur zwei Fragen. Erstens: Kannst du deinen Kopf vielleicht von mir nehmen? Zweitens: Wo genau wollen wir jetzt eigentlich hin? Denkst du Aeon treibt sich noch bei dir in der Nähe rum?”, es dauerte einen Moment, bis er seine Augen öffnete und sich mühevoll zur anderen Seite hin lehnte. Ich wartete noch immer auf eine Antwort. „Hey, Jack!” „Noch fünf Minuten, mann! Ich bin so müde!”, ich zog meine Augenbrauen zusammen. Wie konnte man in so einer Situation nur so stur sein? Nach zehn Minuten hatte er es schließlich geschafft, sich eine Zigarette anzustecken und halbwegs wach dazusitzen. „Ich hab noch ‘ne kleine Bude am anderen Ende der Station, dauert zu Fuß vielleicht ‘ne viertel Stunde. Ist vielleicht besser, wenn wir dahin geh’n, der Mistkerl kennt die Bude nämlich noch nicht.” „Klingt gut. Aber was ist, wenn die Bullen da in der Nähe rumlungern?” „Kein Angst.”, meinte er und grinste sein dummes Grinsen. „Die Bude liegt direkt unter’m Dach von ‘nem großen Haus. Es gibt nur einen Eingang, den keiner sehen kann und die Zimmer sind nicht im Bauplan verlegt, keine Sau weiß, dass ich da teilweise wohn’.” „Na, das klingt doch ganz gut. Wann wollen wir aufbrechen?”, fragte ich und überprüfte noch einmal den Zustand meines Arms. Die Kühlbandage hatte die Schmerzen langzeitig verschwinden lassen, sogar leichte Bewegungen waren möglich, ohne das ich meinen Arm gleich wieder einknicken musste. Jack kramte in seiner Hosentasche herum und holte eine kleine Uhr heraus. „Es ist jetzt viertel nach vier. Verdammt früh. Um die Uhrzeit sind kaum Bullen unterwegs, wenn wir uns beeilen, könnt’s hinhau’n. Aber packst du das?”, er sah zu meinem Arm herunter. „Die Strecke ist ziemlich zäh, wir müssen uns an zwei Gebäuden hochzieh’n.” „Das geht schon.”, versicherte ich. „Je schneller wir da sind desto besser. Richtig ausruhen kann ich mich eh nicht, wenn ich weiß, dass uns die Cops im Nacken liegen.”, sein Grinsen wurde etwas breiter, dann stand er auf und nahm die Decke von uns. Ich erhob mich ebenfalls und wartete darauf, dass er die Decke weggelegt und seine heiligen Zigarettenpäckchen weggepackt hatte. Wir krochen unter dem Gitter hindurch und gelangten über die Fließbänder zurück in die Lagerhalle. Sie war kaum beleuchtet. Jack lief voraus, ich lief ihm so gut es ging hinterher. Er steuerte den südlichen Hallenteil an. Dort waren mehrere Container übereinander gestapelt, alle randvoll mit Paketen und Koffern. Am Ende dieses ,,Turms” konnte ich ein Fenster sehen, die Scheiben wirkten ziemlich instabil. Man sollte sie also ohne Probleme durchtreten können. Jack zog sich am ersten Container nach oben. Er reichte mir von dort aus die Hand, so war es um einiges einfacher und schonender für meinen Arm. Wir behielten dieses Schema bis zum letzten Container bei. Dort angekommen blickte er sich sicherheitshalber noch einmal um. Auf den schmalen Straßen, die das Lagerhaus umfassten, stranden keine Straßensperren. Polizeiwägen waren auch nicht zu sehen. Unsere Blicke trafen sich, ich nickte ihm zu, woraufhin er die dünne Scheibe des Fensters mit seinem Fuß eintrat. Wir liefen vorsichtig auf den Sims. Er war gerade breit genug, um beide Füße nebeneinander stellen zu können. Als mein Blick nach unten schweifte, sah ich, dass wir uns in knapp drei Metern Höhe befanden. Einfach zu springen und sich abzurollen würde für eine sanften Landung nicht genügen. Meine Augen musterten die Umgebung. Ich sah eine Röhre, die an einer der Wände angebracht war. Man konnte sich an ihr herunterziehen. „Nimm du die.”, sagte ich zu Jack und zeigte ihm mit einem Wink die Richtung. Für mich musste es eine andere Alternative geben, ich hatte einfach nicht die Kraft zu einer Röhre zu springen und mich an ihr festzuhalten. Nachdem Jack gesprungen und sicher gelandet war, blickte auch er sich um. Sein Finger deutete auf einen kleinen Vorsprung am Ende des Sims. „Der ist breit genug. Lass dich kurz fallen.”, ich folgte seinen Anweisungen, da ich den Vorsprung kaum sehen konnte. Doch ich landete ohne Schwierigkeiten auf ihm. So war ich immerhin einen Meter weiter nach unten gelangt. Ich blickte zu Jack herüber. Er lief bereits die Straße entlang, in meine Richtung. Über mir sah ich schließlich den Schacht, der um das gesamte Gebäude verlief. Ich zog mich langsam an ihm hinauf, lief ein Stück vorwärts und konnte schließlich ohne große Mühe an dem Schacht herunterrutschen. Die Wölbungen ähnelten denen einer Kinderrutsche. Sanft und sicher auf dem Boden angekommen lief ich Jack entgegen. Wir folgten der Straße, bogen in diverse Seitengassen ein und fanden uns schließlich am anderen Ende der U-Bahn-Station wieder. Es war der Teil, der bereits fertig gestellt war. Dort herum standen die üblichen, farblosen Häuserreihen, die den Zugang zu unserem Ziel bildeten. „Das Haus dahinten ist es.”, meinte er und deutete auf ein verglastes Hochhaus. Mit dem Blick sah ich die Geländer, die rund um das Gebäude angebracht waren. Es war wohl vor nicht allzu langer Zeit geputzt worden, gut für uns. Dorthin gelangen konnte man durch den Stahlträger, der eine Art Brücke zwischen dem letzten Haus der sterilen Häuserreihe und dem Hochhaus bildete. Durch die Container, die zwischen den Häusern standen, gelangten wir in aller Schnelle auf das Dach eines Hauses. Wir sprangen über die darauffolgenden und erreichten unser Zwischenziel. Der Stahlträger hing an einem kleinen Kran, der neben dem Haus stand. Wenn man auf ihm lief, würde er hundertprozentig schwanken. Ich sah mich um. Im schlimmsten Fall würde man unsauber am Gelände des Hochhauses vorbei gleiten und fallen. Tief fallen. „Ich geh vor.”, meinte Jack und lief auf den Träger zu. Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch wartete ich darauf, dass er den Träger passierte. Er beschleunigte seine Geschwindigkeit nach der ersten Hälfte, um genug Anlauf für den Sprung zu haben. Dann sprang er. Von dem Dach des fünfstöckigen Hauses auf das Geländer zu. Und scheiße, ich war so froh, dass der Träger bei ihm nur minimal ausgeschert war. Mit seinen Händen hatte er das Geländer zu fassen gekriegt, er zog sich nach oben und stand ein paar Sekunden später sicher auf den Holzbrettern, die dort zum Gehen befestigt worden waren. Erleichtert seufzte ich und machte mich schließlich daran, ihm zu folgen. Ich lief auf den Stahlträger. Noch blieb er in seiner Bahn, doch ich wusste, dass ich richtig abspringen musste, um nicht daneben zu fliegen. Meine Füße krallten sich in meine Schuhe. Ich rannte den Träger entlang und sprang, direkt an der Kante, ab. Während des Sprungs blickte ich nach unten. Die Straßen wirkten so winzig, ich hatte das Gefühl zu fliegen. Mein Blick wanderte im Bruchteil einer Sekunde wieder nach vorne. Ich zog meine Knie im höchsten Punkt des Sprungs an mich und konnte mir so das Hochziehen am Geländer ersparen. Dafür war ich direkt in Jack herein gesprungen und musste mir seine Standpauke anhören. Ich ignorierte ihn lachend. Wir setzten unseren Weg fort. Die Balkenbretter waren an manchen Stellen unterbrochen, wir übergingen sie mit Wall Runs, um auf die andere Seite zu kommen. Immer wider huschte mein Blickfeld nach unten. Die Straßen wurden immer kleiner, das Gebäude war wirklich riesig. Vor allem die Außenfassade faszinierte mich. Es war wohl Panzerglas und doch spiegelte es mich im sanften Licht der Stadt wieder. „Bist du da unten eingeschlafen, oder was?”, ich blickte über mich. Jack hatte sich bereits am nächsten Brett auf eine höhere Ebene gezogen. Still schweigend schüttelte ich den Kopf. Er reichte mir seine Hand, ich zog mich an ihm nach oben. Weiter hoch ging es nicht. Die Geländer reichten einem gerade noch bis zu den Füßen. Direkt vor uns führte das Gebäude um eine Ecke. Dahinter befand sich der zweite Teil des Gebäudes, den man vorher nicht hatte sehen können. Es befand sich etwa zwei einhalb Meter unter uns. Es glich einem Kubus, auf dessen Dach eine Tür angebracht worden war. „Durch die kommen wir rein, nicht wahr?”, fragte ich und blickte zu ihm herüber. „Ja.”, antwortete Jack etwa mürrisch. „Aber sich auf der Höhe über eine Schulter abzurollen wird heavy. Gib dein bestes, sonst brichste dir was.”, wir sprangen, erst auf ein paar Bretter, die aus dem Geländerwirrwarr heraus lugten, und schließlich auf das Dach des Kubus’ zu. Jack war etwas vor mir, er hatte sich sauber nach rechts abgerollt, ganz im Gegenteil zu mir. Als ich versucht hatte, mich über die rechte Schulter abzurollen, verlor ich für einen Moment das Gleichgewicht und scherte nach links aus. Ich kugelte noch etwas nach vorne, schürfte mir die Arme an dem Beton auf, ehe ich zum Stillstand kam. „Shit….”, murmelte ich schmerzvoll. „Fuck, alles okay?”, er lief auf mich zu und ging in die Knie. Mit einem Ruck setzte ich mich auf und schüttelte kurz den Kopf. „Scheint noch alles heil zu sein.”, entgegnete ich und grinste ironischerweise. Er seufzte und half mir aufzustehen. Ich schüttelte meine Klamotten aus und zupfte ein paar lose Hautfetzen von meinen Armen. Es brannte zwar, war aber besser, als jedes Mal dran zu kommen und sie beim Drüberfassen mit zu ziehen. Meine schwarzen Haare hingen mir strähnenweise im Gesicht. Ich kämmte sie mit der Hand zurück und lief weiter vorwärts. Jack trat die Tür auf. Sie führte zu einem schmalen Gang, an dessen Ende sich eine weitere Tür befand. Wir öffneten sie vorsichtig. Allmählich gelangten wir wohl in das Innere des Hauses. Außer ein paar Lüftungsschächten wirkte der Flur bereits häuslicher. Als ich weiter gehen wollte, hielt Jack mich mit einer Geste zurück. Er zog mich zurück an die Wand und flüsterte: „Ich hab’ ‘ne Stimme gehört. Wir gehen durch die Lüftungsschächte.” „Da komm’ ich nicht hoch.”, sagte ich ein wenig panisch. Er knirschte mit den Zähnen und platzierte sich etwas vor den Schacht. Seine Hände legte er zusammen und ging etwas in die Knie. Ich verstand sofort und lief auf ihn zu. Als ich meinen Fuß in seine Hände legte, schwang er mich mit ganzer Kraft nach oben. Fast etwas zu weit, er hatte echt zu viel Kraft. Ich hangelte mich etwas unelegant an dem Schacht nach oben und rückte ein Stück zur Seite. Jack hatte sich von der anderen Wand abgestoßen und den Schacht ohne weiteres erreicht. Ich schämte mich dafür, zu so etwas einfachem nicht in der Lage zu sein. Doch ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ich kroch in den Schacht, Jack folgte mir. Von hinten konnte ich seine Anweisungen hören, er kannte sich bestens in diesem engen Chaos aus. Nachdem wir eine ordentliche Strecke durch die Schächte zurück gelegt hatten und zudem noch gefühlte drei Stockwerk aufgestiegen waren, zogen wir uns aus dem Schacht heraus in den nächsten Flur. Er war genauso steril und farblos wie die davor. „Sieht echt alles gleich aus hier.”, murmelte ich. „Nicht, wenn man sich hier auskennt.” „Wie weit ist es noch?” „Durch die Tür da und dann noch ein kleines Zwischendach, dann ham’ wir’s.”, antwortete er und ließ sich auf den Boden fallen. Ich folgte ihm eilig und passierte nur wenige Sekunden nach ihm den Gang zum Außenbereich. Wir hatten wohl doch etwas länger gebraucht, die Sonne ging langsam am Horizont auf und verschlang den östlichen Bereich der Stadt mit ihrem Licht. „Komm, weiter!”, Jack holte mich in die Gegenwart zurück. Der Bereich war wirklich nicht groß, vielleicht zwei Meter breit und lang. Darüber, direkt unter dem Dach des riesigen Hochhauses, gab es das besagte Zwischendach, das man wirklich nur erkennen konnte, wenn man direkt darunter stand. Wir zogen uns herauf und hielten einen Moment inne. „Verdammt…”, ein anderes Wort viel mir nicht ein. Die Aussicht von dort oben war sagenhaft. Wie hoch war das? Hundert, Zweihundert Meter? Man konnte auf fast alle Gebäude der Stadt hinunter blicken. Auch Jack konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Hat doch immer wieder was, hierher zu kommen, ne?” „Auf jeden Fall! Und du hattest vollkommen recht!”, ich lief ein paar Schritte vorwärts. Das Dach des Hauses ragte nun über das Zwischendach hinweg. „Das findet niemand!”, die Begeisterung in meiner Stimme brachte ihn wohl dazu, dieses amüsiert neckende Gesicht aufzusetzen. „Tja, ich hab’s halt drauf. Preiset den Jack, kann ich nur dazu sagen.” „Alter Angeber!”, war alles, was ich daraufhin von mir gab. Er lief lachend an mir vorbei, öffnete die Tür am Ende des Zwischendachs mit etwas Schwung und ließ mich eintreten. Verwirrt über die Tatsache, dass dieser Unterschlupf wirklich haargenau so aussah wie seine Wohnung zog ich schließlich meine Schuhe aus. „Echt krass.”, entfloh es mir. Jack lief nach mir den Flur entlang und bog in das erste Zimmer rechts ein. Es war wohl eine Art Küche. „Was denn, hier oben gibt’s Strom?” „Hat ‘n Kumpel von mir mal gebastelt. Das sind Akkus - Normale Leitungen würden zu sehr auffallen. Aber die bringen’s. Reicht zumindest, um ‘ne Tasse Kaffee zu kochen. Willst du einen?”, er lief zu ein paar Kanistern herüber, sie waren mit Wasser gefüllt. „Nein, danke.”, sagte ich erschöpft und lächelte kurz.„Ich brauch nur noch ‘n Bett. Ich bin total am Arsch.” „Denk ich mir.”, meinte er verständnisvoll. „Einfach ‘n Flur runter und dann links… War’n harter Tag, Kleine. Penn mal ‘n bisschen. Ich leg mich später vielleicht dazu.” „Mhm. Gute Nacht.”, ich verließ die Küche und machte mich gähnend auf den Weg in das Schlafzimmer, das ich, dank seiner kurzen Wegbeschreibung, auf Anhieb gefunden hatte. Ich wollte echt einfach nur noch pennen. Das Bett war etwas kleiner als das in der anderen Wohnung, aber es war mir egal, ich ließ mich direkt drauf fallen. Ein zufriedenes Seufzen entfloh mir, als ich merkte, wie weich und bequem es war. Ich wickelte mich nur bis zur Hüfte in die Decke - Meine aufgeschürften Arme dankten es mir - und schlief sofort ein, ohne weiter über irgendwas nachzudenken. Kapitel 7: Erinnerungen ----------------------- Als ich zu mir kam, sah ich kaum etwas. Es war wohl Nacht, schon wieder. Einen Tag hatte ich locker verpennt. Ich drehte mich zur Seite. Jack lag nicht neben mir, doch ich konnte seine Stimme hören, er telefonierte wohl. Mein Kopf grub sich noch einmal in das Kopfkissen. Ich war noch immer so erschöpft, ich spürte jedes einzelne Haar. Ich schwang meinen Arm so vor mich, dass ich ihn mir ansehen konnte, ohne mein Blickfeld zu ändern. Die Narbe schimmerte zart rosa, sie tat nicht mehr allzu sehr weh. Die Schürfwunden an meinen Armen schienen auch schon etwas verheilt zu sein. Es wird doch., dachte ich zufrieden und schloss meine Augen, nachdem ich ein leises Gähnen von mir gegeben hatte. Ich musste noch einmal eingeschlafen sein, denn ich träumte plötzlich. Ich sah mich selbst, ich stand auf einem große Gebäude, es ähnelte der Eden Mall. Mein Blick wirkte starr und verkrampft. Aus meiner Hosentasche zog ich eine Uhr. Was war das nur für ein Traum? Plötzlich drehte ich mich um, ein Mann mit einem Runner Tattoo unterhalb des Gesichts begrüßt mich. Er drückt mir etwas in die Hand. Ein Schlüssel?, ich verstand noch immer nicht, was dieser Traum zu bedeuten hatte. Meine Miene veränderte sich. Der Mann hatte mich kurz in den Arm genommen. Sein Blick hatte einen melancholischen Ausdruck, als ich mich von ihm gelöst hatte und mich auf den Weg gemacht hatte. Mein anderes Ich sprang von dem Dach des Hauses und hangelte sich an Rohren entlang, auf die andere Seite der Straße. Welche Seite von mir war das nur? Ich sah mich selbst als emotionskalte Person mit eisernem Blick. Es erschreckte mich ein wenig. Mein Ich drehte sich um. Plötzlich hörte ich Schritte, doch ich sah niemanden. Schüsse. Sie treffen mich. Es ist genau wie kurz vor meinem Fall. Ich konnte hören, wie mir jemand etwas zu schreit. „..afen! Der Hafen, Venuum! Venuum!” „Hey, Venuum!”, ich schreckte hoch. Und atmete den Atem stockend aus, den ich soeben angehalten hatte. Jack hatte mich wachgerüttelt. „Puh…. Jack! Erschreck’ mich doch nicht so!”, sagte ich verärgert. Ich strich mir meine Haare zur Seite und stütze mein Gesicht in meine Hände. Der Traum hatte mich innerlich aufgewühlt. Es hatte sich so real angefühlt, dass ich einen Moment brauchte, um mich zu beruhigen. „Alles okay?”, er setzte sich an die Bettkante. Ich nickte schwach. „Ich hab nur… schlecht geträumt.”, entgegnete ich leise. Ich konnte ihn aus einem Augenwinkel heraus nicken sehen, er wusste wohl, dass ich keine Lust hatte, darüber zu reden. „Wie dem auch sei.”, fing er schließlich an. „’Ne Freundin von mir hat vorhin angerufen. Sie ist so’ne Type, die alles und jeden in dieser Stadt kennt.” „… Meinst du, sie weiß etwas über mich?”, meine Frage schien ihn zum Grübeln gebracht zu haben. Er fuhr sich durch die Haare und fuhr fort: „Ich hab sie mal gefragt, ob sie ‘nen Runner namens Venuum kennen würde. Sie meinte, dass sie mal nachsehen würde. Und sie hat was gefunden. Das einzige Problem bei der Sache: Laut dem Runnerverzeichnis, dass innerhalb der Gegend geführt wird, gibt es sieben Leute mit diesem Namen.” „Und weiter?”, harkte ich nach. Ich blickte ihm in die Augen. Er erwiderte meinen Blick, doch ich konnte einen Anflug von Sorge in ihm erkennen. „Dazu kommt, dass keiner dieser Runner weiblich ist.” „Und das heißt?” „In diesem Verzeichnis stehen echt alle Runner, die es gibt, Venuum. Dass du nicht drin stehst heißt entweder, dass du kein aktiver Runner mehr bist oder… das du nie einer warst.” „Was…..?”, meine Gedanken setzten für einen Moment aus. Ich versuchte das Gehörte zu verarbeiten, doch es viel mir schwer. Meine Finger krallten sich in die Bettdecke. „A-Aber ich bin mir sicher, dass ich einen Auftrag an dem Tag damals ausgeführt hab! Wirklich!” „Umso schlimmer.”, war alles, was er dazu sagte. Er ließ sich auf das Bett zurückfallen. Er griff nach dem Telefon und wählte eine Nummer an. Ich schwieg und wartete ab, ich war so verwirrt, dass ich ohnehin nichts sagen konnte. „Yo, Jimmy. Ich brauch Kairo noch mal. … Mhm, es geht immer noch um die Sache von vorhin.”, ich rückte an ihn heran, bis ich etwas hören konnte. Jack schien das nicht zu stören. Zu hören war nur ein leichtes Rauschen und schließlich der Klang einer weiblichen Stimme. „Du schon wieder?”, sie schien nicht gerade glücklich über seinen Anruf zu sein. „Ja, Süße, ich kann’s nich’ ändern. Hör zu.”, meinte Jack ernst. „Ich brauch sofort die Handlungs- und Aktendaten aller Venuums aus der Stadt.” „Sonst noch was, du egoistisches Arschloch?? Boaahh man! Du versaust mir meinen freien Tag!…. Bleib halt dran, in fünf Minuten hab ich’s.”, dass sie seinen Wunsch trotz ihrer Laune ausführte, beeindruckte mich. „Deine Freundin?”, fragte ich leise. Er lachte und schüttelte seinen Kopf. „Fast.”, flüsterte er amüsiert. „Meine Ex.” „Soo…..”, die Frau namens Kairo hatte tatsächlich nur fünf Minuten gebraucht, um all die Daten zusammen zu sammeln, nach denen er verlangt hatte. Jack hatte die Hörerlautstärke so hochgedreht, dass ich auch was hören konnte, ohne im gleich am Hals zu hängen. Die Anspannung in mir wuchs stetig, besonders, als Kairo einen langen Seufzer von sich gegeben hatte. „Da hätten wir zum Einen Venuum Enderson, vierundzwanzig, Runner Tattoo auf dem linken Schulterblatt. Der Gute hat sich letztes Jahr bei ‘nem Sprung den Knöchel so ausgerenkt, dass nix mehr ging, zum Anderen Venuum Sing, zweiundzwanzig. Das Tattoo geht an der Wirbelsäule lang. Er hat keine dicke Akte, er scheint sich nie mit den Bullen angelegt zu ham. Venuum Brink, achtundzwanzig, Runner Tattoo am rechten Handgelenk. Ist gestürzt, weil seine Runner Vision ihn verlassen hat. Dann noch Venuum Brown, er ist vor ein paar Tagen zwanzig geworden. Der Typ hat schon so einigen Mist fabriziert. Wegen ihm musste die untere Etage der Eden Mall renoviert werden. Dann noch…”, ich konnte nicht fassen, dass es in dieser Stadt so viele Menschen gab, die denselben Namen trugen wie ich. Immer mehr Fragen häuften sich in meine Kopf an, sorgten dafür, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob ich dem Ausweis, den Jack mir nach einem Fall gegeben hatte, glauben schenken sollte. Doch das Foto war eindeutig eins von mir gewesen und auch beim Ausweis selbst konnte es sich unmöglich um eine Fälschung handeln, das Policedepartement hatte ihn abgestempelt. Anscheinend hatte Jack mitbekommen, dass ich dem Ganzen nicht mehr folgen konnte. „Okay, danke.”, sagte er eilig. „Danke für die ganzen Infos, Süße, aber die Venuum, die ich suche, scheint immer noch nicht dabei zu sein, oder?”, die junge Frau schien etwas verärgert darüber gewesen zu sein, dass er sie einfach so unterbrochen hatte. Ihre Stimme klang noch gereizter als zuvor. „Nein, man! Haste doch gehört! Wer soll das überhaupt sein?! Deine Neue?!” „Nope, sie ist von ‘nem Dach runtergesegelt, nachdem die Bullen auf sie geschossen haben. Ich hab sie bei mir aufgenommen, aber sie kann sich an nix erinnern, Amnesie wegen dem Aufprall, denk ich.” „…verstehe. Und untersuchen lassen kann man die Kleine ja nicht, da wird sie ja sofort verhaftet…. Man, was ‘ne scheiße. Wart’ mal ‘ne Sekunde, Jack.”, anscheinend hatte sie den Hörer kurz beiseite gelegt. „Keine Angst.”, Jack wandte sich mir zu. „Auch, wenn sie echt mürrisch is’, sie hat die besten Kontakte.”, so gerne ich mich darauf verlassen wollte, die Anspannung wich nicht aus meinem Gesicht. Wer war ich denn, ohne Namen, ohne Erinnerungen an mein bisheriges Leben? Meine Finger hatte ich schon so weit in der Decke versenkt, dass meine Fingernägel durch den Stoff auf meine Handballen trafen. „Ich hab echt Angst.”, flüsterte ich. Jack seufzte. „Wenn ich nicht Venuum bin, wer bin ich dann? Wie soll ich das jemals rausfinden, ohne die Bullen zu benachrichtigen?! Was ist, wenn…” „Na also! Da ham wir doch was!”, Kairos Stimme brachte mich zum Schweigen. Jack setzte sich auf. „Hast du was gefunden?”, fragte er. Ich hielt die Luft an. „Yep.”, sagte sie, als würde sie nun etwas präsentieren wollen. „Es gibt wohl doch einen weiblichen Runner namens Venuum. Das ist aber echt die Einzige, die ich gefunden hab, Baby. Wenn’s die nicht is...” „Hau rein.” „Venuum. Neunzehn Jahre alt, ihr Runner Tattoo ist auf der linken Schulter, ziemlich groß, das geht bis zum Oberarm runter.”, mir viel wortwörtlich ein Stein vom Herzen. Ich legte meine Hand vor Erleichterung auf die Brust und seufzte. Auch Jack grinste nun etwas entspannter. „Genau das wollt’ ich hör’n, Süße, du bist’n Schatz.” „Nicht zu früh freuen, Jack. Bei der Kleinen ist weder ein Nachname noch ein Geburtsdatum oder so was eingetragen. In der einen Akte steht nur, dass die Polizei auf sie aufmerksam geworden ist, weil sie die Einsatztruppen belauscht hat und ihre Einsatzdaten an irgend’ne Gruppe weitergegeben hat.” „Einsatzdaten… zu der Gruppe wurde sonst nichts vermerkt?” „Nee, nicht viel. Hier steht nur, dass sie an verschiedenen Stellen gesichtete wurden. Einmal an der Eden Plaza und ein anderes Mal-” „Am Hafen…”, gab ich leise von mir. Jack legte den Hörer kurz zur Seite. „Erinnerst du dich an was?”, fragte er mich. Ich kniff meine Augen um besser nachdenken zu können. „Am… Am Westhafen… man kommt nur in das Gebäude rein, wenn… man sich auf ‘nen Transporter schmuggelt. Ja… plötzlich fällt’s mir wieder ein…..”, als ich meine Augen öffnete, sah ich den Grundriss des Hafens vor mir. Es war, als wäre eine Blockade in meinem Kopf gelöst worden. „Ist man erstmal drin, kommt man nur durch den Lüftungsschacht im zweiten Stock raus. In den beiden unteren Etagen werden Waffen und importierte Waren gelagert, da musste ich hin. Ich glaube, es war wegen einer Waffenlieferung… an… an Ikarus…. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube mein damaliger Auftrag war es, die Waffen gegen eine Kiste auszutauschen, die sich auf dem Rücksitz der Fahrerbank des roten LKW in der ersten Ebene befindet. Jetzt versteh’ ich… deswegen der Schlüssel…” „Hey, bist du noch dran?”, Kairos stimme erklang aus dem Hörer. Jack schien das ganze erst einmal verarbeiten zu müssen. Er nickte mehrfach, blickte gegen die Zimmerdecke und sprach wieder zu ihr. „Jaja, sorry. Anscheinend weiß die Kleine noch was darüber.” „Du meinst über diesen Auftrag?” „Ja. Warte mal.”, er blickte kurz zu mir rüber. „Weißt du, ob du den Auftrag damals abgeschlossen hast?” „Tut mir leid… ich…” „Kein Ding.”, kam er mir zuvor. Er strich sich seine Haare zurück und lächelte kurz. „Scheint so, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie den Auftrag damals erledigt hat. Ist aber wichtig, das zu wissen. Wenn sie keine Bullen im Nacken hat, ist es wesentlich easier nach ihrer wahren Identität zu suchen.” „Ich tu, was ich kann.”, Ich konnte Kairos Seufzen so deutlich hören, dass ich mir ein Kichern nicht verkneifen konnte. Ich rückte ein Stück an Jack ran und bat ihn, ihr meinen Dank auszurichten. Dass ihre Stimme danach etwas heiterer klang, schien auch Jack zu amüsieren. Er verabschiedete sich von ihr und legte den Hörer beiseite. „Mal abgesehen davon, dass wir jetzt ‘n bisschen mehr über dich wissen, wie geht’s’n dir?” „Ganz okay.”, antwortete ich. Ich setzte mich an die Bettkante. Meine Beine waren zwar wie gelähmt vom Muskelkater, doch das machte nichts. Ich genoss das Gefühl im Nachhinein sogar ein bisschen, weil es mir zeigte, dass ich mich bewegt hatte, dass ich noch immer rennen konnte, nachdem ich solange nicht dazu in der Lage gewesen war. Jack überprüfte den Zustand meines Arms. Er bewegte ihn und starrte die Narbe an, als wäre sie was zu essen. „Hm… Immer noch leicht geschwollen. Wir haben ja keinen Stress. Lass es etwas langsamer angehn’ , damit’s abheilen kann.”, ich nickte eifrig und stand auf. Ich lief in die Küche, er folgte mir. „Willst du was trinken?” „Ja, ‘nen Kaffe oder so.”, während ich nach etwas essbarem Ausschau hielt, konzentrierte er sich ganz darauf, den Wasserkocher anzustarren und eine Zigarette zu rauchen. Als ich zu ihm herüber sah, viel mir wieder auf, wie müde er aussah. „Warst du etwa die ganze Nacht wach?”, fragte ich und lehnte mich an den Küchenschrank. Er atmete den Rauch aus und kratze sich am Hinterkopf. „Ich hab den Funk abgehört. Ich wollt’ nur sicher gehen, dass uns niemand gefolgt ist oder besser gesagt, das Aeon uns erstmal keine Sorgen mehr bereiten kann.” „Ich verstehe.”, ein paar Minuten später nahm ich den frischen Kaffee entgegen, der zu meiner Freude noch nicht nach gesiebten Zigaretten schmeckte. Statt mich weiter mit Jack zu unterhalten, lief ich ein bisschen umher und sah mich um. Die Wohnung hatte vier Zimmer. Eines davon war das große Schlafzimmer, das dem in Jacks andere Wohnung zum Verwechseln ähnlich sah. Es war ebenso finster und roch genauso streng nach Zigaretten. Im Wohnzimmer gab es abertausende Stapel von Papieren und Akten. Und ein paar Computer, ich denke, er hörte damit den Funk ab und kontrollierte die Standorte der Polizei. Die beiden anderen Zimmer ähnelten Abstellkammern. In dem einen standen Klamotten, in dem anderen Schuhe und verschiedene Ausrüstungen. „Gibt es noch andere Runner, die hier wohnen?”, fragte ich durch die Räume. Es war Jack wohl zu mühsam durch die ganze Wohnung zu schreien, weswegen er auf meine Anfrage zu den zwei Zimmern kam. „Naja.”, fing er an. „Kairo und ‘n paar ihrer Leute kommen manchmal hier hoch, in Notsituationen.” „Notsituationen?” „Yep. Wenn ihnen die Cops so im Nacken hängen, dass es nicht anders geht. Und die Sachen hier-”, er lief an den Klamotten vorbei, zu einem kleinen Schrank herüber. Als er die erste Schublade öffnete, konnte ich sehen, dass dort mindestens dreißig Headsets aufbewahrt wurden. Er nahm eins davon und warf es mir zu. Ich starrte es eine ganze Weile an, nachdem ich es gefangen hatte. Dann sagte ich schließlich: „Irgendwie komisch. Ich hab das Gefühl, als hätt’ ich genau so eins mal gehabt.” „Na klar, das kommt doch hin, Kleine.”, antwortete er. Trotz meines unüberhörbar Lauten Seufzens steckte er sich noch eine Zigarette an. Er nahm ein paar Züge, ehe er fortfuhr: „So eins ist für Runner unverzichtbar. Es muss immer jemanden geben, der einen überwacht, sonst geht nur was schief.” „Stimmt.”, ich strich meine Haare zurück und steckte es mir ins Ohr. „Und? Wie seh’ ich aus?”, fragte ich scherzeshalber. „Genauso kümmerlich und flach wie vor-” „Du bist so gemein!”, brüllte ich empört und schlug ihm gegen den Arm. Jack jedoch lachte nur Lauthals und verließ daraufhin das Zimmer. Ich war wohl etwas rot geworden, mein Gesicht fühlte sich warm an. Nervig. Ich nahm das Headset aus meinem Ohr. Ich lief ebenfalls aus dem Zimmer, in das Bad und stellte mich vor den Spiegel. Es war nicht so, dass ich mein Äußeres in irgendeiner Weise nicht mochte. Die schwarzen Haare und die grünen Augen waren echt stimmig! Aber vielleicht hatte ich doch ein paar Komplexe, auf die er bewusst angespielt hatte. Pah! Er ist und bleibt ein Arschloch!, dachte ich und schnaubte kurz auf. Da ich das Bad bereits betreten hatte, schloss ich die Tür ab und duschte mich kurz. Das war in den letzten Tagen eindeutig zu kurz gekommen. Zum Glück befanden sich im Bad ausreichend Waschlappen und Handtücher, den das Wasser aus dem Wasserhahn war so kalt, dass ich Angst hatte zu erfrieren. Als ich fertig war, wickelte ich mich also in eine Tonne Handtücher und lief vorsichtig aus dem Bad heraus. Jack schien das Rauschen des Wassers wohl gehört zu haben, den er trat mir nicht entgegen, was ich in diesem Moment zu schätzen wusste. Mit Handtüchern ausgestattet oder nicht, peinlich wär’s alle Mal gewesen. Im Schlafzimmer angekommen öffnete ich den Kleiderschrank und suchte mir ein paar Sachen zusammen. Es freute mich, dass ich mich wieder umziehen konnte, ohne großartig auf meinen Arm achten zu müssen. Meine Haare steckte ich mit einer Klemme hoch, die ich auf dem Boden gefunden hatte. Das Shirt und die Hose waren zwar viel zu groß, doch irgendwie gefiel mir dieser Look. Eigentlich ziemlich stylisch., ich kicherte zufrieden, sammelte die Handtücher auf und hing sie ins Bad zurück. Dann suchte ich Jack. Er saß im Wohnzimmer und klebte vor einem der Bildschirme. Ich lief auf ihn zu. Und stoppte abrupt. Auf dem Bildschirm liefen die Nachrichten. Fünf oder sechs Runner wurden in einen Konvoi der Polizei gebracht, allesamt in Handschellen gelegt. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, als Jack die Lautstärke des Berichts etwas lauter drehte: ,,Nachdem die Polizei ein weiteres Runnerversteck dank der Hilfe ihrer Spezialeinheit ,,Ikarus” ausfindig machen konnte, hat sich die Situation in der Nähe des CC-News- Gebäudes wieder beruhigt. Erst einige Stunden zuvor war dort ein kleines Feuer im zweiten Stock ausgebrochen, bei dem aber niemand weiteres verletzt worden war. Die sechs Runner werden nun auf Grund eines Verdachts der Brandstiftung vor das Gerichtsamt geliefert. Das Policedepartement verdeutlichte noch einmal….” „Diese Penner.”, zischte Jack verächtlich. „Sieh dir das an.”, er deutete auf einen der Runner, bevor sie seine Silhouette im Konvoi verschwunden war. Er wirkte nahezu hilflos, hatte einen Verband um den Kopf gewickelt und machte auf mich einen ungeschickten Eindruck. „Ein Neuling?”, fragte ich. Ich lehnte mich an den Schreibtisch. „Ja, sieht ganz so aus.”, er hielt das Bild an und seufzte. „Die suchen sich möglichst dumme Runner, die keine richtige Ahnung vom ganzen System haben, weil sie genau wissen, dass sie aus denen am meisten Infos rauskriegen, wenn sie ihnen dafür die Freiheit schenken. Die haben ja auch noch nichts zu verlieren.” „Wenn sie die Daten und Koordinaten von wichtigen Leuten rausgeben, geht alles den Bach runter!” „Genauso so is’ es.”, seine Stimme hatte plötzlich einen sehr rauen Unterton. Er schaltete den Bildschirm ab und stand auf. Er lief an mir vorbei und blickte aus dem schmalen Wohnzimmerfenster. „Wir müssen wirklich aufpassen. Als erstes sollten wir versuchen, Details über deinen Auftrag rauszufinden.” „Das mach’ ich schon.”, sagte ich eilig. Doch er schüttelte den Kopf. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen legte er seine Hand auf meine Schulter. „Lass mal stecken, Kleine. Du bist noch lange nicht fit. Ich mach’ mich morgen auf den Weg und seh’ mal, was ich tun kann.” „Nein Jack, du hast nichts damit zu tun. Warte noch zwei Tage, dann kann ich-” „Du ruhst dich aus, es sei denn, du willst deine Gesundheit dauerhaft gefährden, das wäre purer Schwachsinn.”, ich wollte etwas sagen, doch ich sah es ein. Für diesen Moment zumindest. Mein Kopf san etwas nach unten, insgeheim wollte ich nicht, dass er so viel für mich tat. Wie solle ich ihm das alles nur je zurück zahlen? Ich hatte die Zeit irgendwie tot geschlagen. Ich war es ja so satt, den ganzen Tag in geschlossenen Räumen zu verbringen! Jack war wirklich unmöglich! Ich durfte nicht einmal bis auf den Sims laufen. „Wenn ‘ne Böe kommt, fliegste am Ende noch weg.”, hatte er gemeint. Sturer alter Mistkerl!, mein Kopf lag auf meinen auf der Fensterbank zusammengelegten Armen. Ich starte nach draußen und genoss die frische Luft, die in die verrauchte Wohnung eindrang. Jack hingegen kümmerte sich nur um die Nachrichten und suche nach mögliche Informationen, die eine Suche nach dem Ziel meines Auftrags leichter machen könnten. Als der Abend herein gebrochen war, es war gerade einmal acht Uhr, ließ sich Jack in das Bett fallen und stieß einen heftigen Seufzer aus. Ich wollte echt nicht wissen, wie lang dieser Mann nicht mehr geschlafen hatte. Seine Augen hatten sich geschlossen, und ich konnte hören, dass sein Atem langsam regelmäßiger ging. Ich lugte noch einmal in das Schlafzimmer, trat etwas näher an seine Seite und tippte ihn ganz vorsichtig an. Nachdem ich mir sicher war, das er nicht mehr reaktionsfähig war, machte ich mich fertig. Ob es ihm gefiel oder nicht - Ich wollte selbst an den Hafen und nach Hinweisen suchen. Der Traum, den ich gehabt hatte, und die Informationen, die dank dem Gespräch mit Kairo freigeworden waren, würden mir sicherlich sehr hilfreich sein. Um Jack nicht vollkommen zu hintergehen, nahm ich eins der Headsets mit und legte ein anderes bewusst provokativ auf seinen Computertisch. So wird er schon wissen, wo ich bin., dachte ich und seufzte kurz. Ich wusste, dass er vor Wut rasen würde. Aber ich wollte einfach nicht, dass er sich meinetwegen in Gefahr begab. Bei mir war das anders. Zum Einen war es meine Angelegenheit, zum Anderen hatte ich im Gegensatz zu ihm nichts zu verlieren. Noch nicht. Kapitel 8: Der Hafen -------------------- Es kam mir so vor, als wäre ich schon eine halbe Ewigkeit unterwegs gewesen. Doch schließlich hatte ich den Hafen unentdeckt und mit Ach und Krach erreichen können. Jack hatte sich noch nicht bei mir gemeldet. Innerlich hoffte ich darauf, dass er es auch erst tat, wenn ich wieder zurück war. Ich schlug eine Tür auf und konnte schließlich auf den Hafen hinunter sehen, besser gesagt auf die Frachter und Container, die auf das Schiff geladen wurden. Um unentdeckt hinein zu gelangen, würde ich mich auf einen Frachter schmuggeln müssen. Ich verließ die Etage und sprang auf einen Lüftungsschacht, der an der Hauswand verlief. Ich blickte nach rechts. An der Wand hingen Fahnen, und mit ihnen Stangen. Ich steuerte sie an, ließ mich an ihnen bis zum höchsten Punkt baumeln und sprang schließlich ab. Mit einer sauberen Rolle landete ich auf einem Zwischendach. Von dort aus konnte ich ohne bedenken springen. Das Gelände, auf dem ich mich nun befand, war trotz der vielen Frachter sehr offen, ich musste mich beeilen. Ich lief auf einen der Frachter zu und zog an der Tür. Sie rührte sich nicht. Links von diesem schien noch ein weiterer, kleiner Frachter zu sein. Ist wahrscheinlich eh besser, wenn ich keinen Großen nehme., dachte ich und zog kräftig an der Tür, die sich diesmal zum Glück öffnen ließ. Im Inneren des Frachters hockte ich mich auf ein paar Kisten und wartete. Das Fahrzeug ruckelte mehrfach, es wurde wohl aufgeladen. Ich musste mich bereit halten, davon abzuspringen. Ich öffnete die Tür vorsichtig - es war wirklich schwer sie unauffällig zu öffnen- und wartete auf den richtigen Moment. Der Frachter wurde für einen kurzen Moment von einem Container verdeckt. Jetzt!, ich sprang und rollte mich ab. Während des Sprungs hatte ich ein leichtes Ziepen gespürt. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich wohl am Stacheldraht, der das Schiff und den Hafen umgab, hängen geblieben war. Mein linkes Bein war etwas aufgeschürft, doch ich hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ich hielt mich in der Nähe der Container und suchte nach einem Eingang. Neben dem ersten Hafentor gab es eine Tür. Ich rannte auf das Tor zu, blickte dabei immer wieder um mich und erreichte die Tür. Mit einem kräftigen Hieb schlug ich sie ein. Sie hatte mich in einen kleinen Gang geführt, den ich behutsam entlang lief. Die erste Abzweigung des Gangs führte zu einem Aufzug. Ich stieg ein und betätigte den Schalter. Erst das erste Untergeschoss., in meinem Traum hatte sich dort der rote LKW befunden, zu dem der Schlüssel gehörte. Der Aufzug hielt an. Und ebenso mein Atem für einen Moment. Die gesamte Ebene wurde von Wächtern überwacht. Soweit ich sehen konnte, waren es fünf Männer. „Mist.”, flüsterte ich und schmiegte mich an die Aufzugswand. Ich blickte mich verzweifelt um und kam schließlich auf eine Idee, die wahrscheinlich total verrückt war. Und dazu noch genial. Ich schloss die Aufzugtür und trat gegen den Notschalter. Der Aufzug stoppte abrupt. Hinter dem Notfallschalter gab es einen kleinen Hebel, mit dem man die Dachluke öffnen konnte. Ich drückte ihn nach unten, die Luke tat es ihm gleich und flog an die Wand. Die Geräusche konnte ich zwar nicht vermeiden, dafür aber eine erste Verfolgungsjagd. Ich zog mich an dem Loch im Dach hinauf und fand mich schließlich im Inneren des Aufzugssystems wieder. Direkt neben mir rauschte ein Aufzug entlang, ich musste echt vorsichtig sein, dass mich keiner davon mit nach unten zog. Inmitten dieses schmalen Trakts konnte ich eine Leiter sehen. Die war wohl für die Mechaniker gedacht. Ich sprang zur ihr herüber und kletterte eilig nach oben. Ich drehte mich in die andere Richtung und sah, dass parallel zur Treppe ein Lüftungsschacht verlief. Ich wartete darauf, dass der andere Aufzug stehen blieb, um nicht gegen ihn zu stoßen, und sprang. Ich zog mich Rand des Lüftungsschachts hoch und trat das Zwischengitter ein, damit ich weiter kriechen konnte. Ein wenig erstaunt war ich ja doch, dass mein Arm bis jetzt noch nicht rebelliert hatte. Ich kroch den Schacht entlang. Durch die Gitter konnte ich sehen, wo genau ich mich befand und wie viele Wächter ich noch zu umgehen hatte. Nach einer Weile endete der Schacht, verlief jedoch auf einer etwas höher gelegenen Ebene weiter. Ich zog mich hinauf und kroch weiter. Diesmal führte mich das Ende des Schachts genau da hin, wo ich hinwollte: Auf das Dach des Parkdecks der LKWs. Die Wächter waren nun außer Reichweite. In der Nähe des Dachs verliefen ein paar Röhren, ich sprang zu einer und rutschte nach unten. Mit äußerster Vorsicht machte ich mich schließlich auf die Suche nach dem roten LKW. „Der muss doch irgendwo hier sein!”, murmelte ich vor mich hin, nachdem ich sämtliche LKWs abgeklappert hatte. Er musste doch hier irgendwo sein, oder etwa nicht? Ich lief zwischen ein paar Wägen hin und her. Ich sah mich um. Es war zwar nur eine Vermutung, aber zwischen dem letzen LKW und einer Tür stand ein großes Fahrzeug, dass mit einem Laken zugedeckt war. Ist er das?, dachte ich hoffnungsvoll. Ich schlich zu dem Wagen herüber und hob das Laken an. Und tatsächlich: Das Fahrzeug schimmerte feuerrot. Grinsend hielt ich nach der Fahrertür Ausschau. Als ich sie öffnen wollte, konnte ich sehen, dass ein Schlüssel in der Tür steckte. Wenn ich den Schlüssel damals wirklich bei mir getragen hatte, musste ich immerhin bis hier gekommen sein. Ich trat in den Fahrerraum und schloss die Tür so leise es ging. Dann kauerte ich mich etwas zusammen, nur um sicherzugehen, dass man meine Silhouette nicht durch die Windschutzscheibe sehen konnte. Schließlich begann ich damit, nach der Kiste zu sehen, die ich in meinem Traum gegen die Waffenhaltige hätte austauschen sollen. Ich tastete mich entlang und spürte plötzlich etwas eckiges unter dem Fahrersitz. Es schien der Kasten zu sein. Bist jetzt läuft’s! Wenn das so weiter geht, kann ich ohne Probleme…, ich hatte keine Zeit, diesen Gedankengang zu ende zu denken. Aufgebrachte Stimmen hallten durch das Parkdeck. Verdammt. Sie hatten wohl den defekten Aufzug mit dem fehlenden Dachfragment gefunden. Ich musste mich beeilen. Ich öffnete die Kiste. In ihr befand sich etwas schweres. Ich hätte es wohl erst für einen kaputten PC gehalten, wenn ich nicht die Schläuche und Drähte inmitten der Chips gesehen hätte. Kein Zweifel, es war eine Bombe. „Was?! Aber warum?”, warum hatte ich damals Waffen gegen eine Bombe getauscht? War ich so gewissenlos gewesen, dass ich die Schuld am Tod der Fahrer und Wächter in dem Hafen auf mich genommen hätte? An meinem Gesicht rannen Schweißtropfen herab. Was sollte ich jetzt tun? Wenn ich die Bombe hier lassen würde, könnte sie jeden Moment per Fernzündung von irgendeinem Vollidioten gezündet werden. Aber wenn ich sie entfernen würde, würden die Leute, die diese Ort in die Luft jagen wollten, sicherlich nach mir suchen. Die Rufe um mich herum wurden immer klarer, ich musste hier weg! „…uum!”, ich schreckte hoch. „Venuum! Kannst du mich hören?!” „Jack?!”, sagte ich überrascht. Das hatte gerade noch gefehlt. „Was denkst du, was du da machst?! Hast du dir das Gebiet mal angesehen, du Vollidiotin?! Deinetwegen wurde der ganze Hafen abgeriegelt! Du hast dich so tief in die Scheiße geritten, ich würd’ dir am liebsten echt den Hals umdrehen! Und jetzt schwing deinen Scheißarsch aus dem Hafen oder willst draufgehen?!” „Bitte hör’ mir einen Moment zu, Jack!”, meine Stimme zitterte leicht. „Ich hab hier… wohl damals eine Bombe hingebracht! Was soll ich jetzt machen?! Wenn sie explodiert, dann….!” „Überlass’ mir das Denken! Nimm sie mit und renn!” „I-Ich soll sie mitnehmen?!” „Tu’s einfach! Los, hau da ab! Die Wächter durchkämen schon alles nach dir! Wenn du da nicht heil rauskommst, kannst du was erleben!”, ihm in so einer Situation Paroli zu bieten war unmöglich. Ich öffnete die Tür des LKW so vorsichtig, wie ich sie zuvor geschlossen hatte und rannte los. Anhand meiner Schritte wussten die Wächter wohl, wo ich war. Ich rutschte unter einem LKW hindurch und sprang gegen die gegenüberliegende Wand. Dann drehte ich mich um und zog mich an dem LKW hoch, den ich nun erreichen konnte. Um mich an den Rohren hochziehen zu können, musste ich die Bombe irgendwo verstauen. Ich stopfte sie in meine Hosentasche, die sich erfreulicherweise als riesig erwies. „Trödel nicht rum, hau da ab!”, konnte ich Jack schreien hören ich. Ich sprang zu der Röhre und zog mich nach oben. „Da ist sie!”, die Wächter hatten mich entdeckt. Ich sprang auf das Zwischendach und ging den Weg durch den Lüftungsschacht zurück. Da ich jedoch nicht in den Aufzugsinnenraum zurückkehren konnte, suchte ich verzweifelt nach einer alternativen Route. „Fuck, was jetzt?!”, sagte ich und blickte hektisch um mich. Jack meldete sich noch einmal: „Scheiß egal, ob sie dich sehen oder nicht, geh in den Aufzugstrakt zurück und hangel dich an die Wand. Es wird nicht einfach und das Timing wird entscheidend sein, aber du musst dich auf den fahrenden Aufzug fallen lassen!” „Okay.”, ich musste meine Angst unterdrücken. Wenn mich die Wächter fangen würden, hätte ich viel größere Probleme. Ich kroch also den Schacht entlang. Ich kam im Inneren des Aufzugstrakts an und tat genau das, was Jack mir geschildert hatte. Ich ließ mich nach unten fallen und griff nach dem kleinen Absatz am Ende der Mechanikertreppe. Dort wartete ich. Der fahrende Aufzug befand sich direkt unter mir. Er bewegte sich langsam, dann immer schneller. Je näher er mir kam, desto größer wurde meine Angst. Als er nur etwa einen Meter von mir entfernt war, ließ ich mich fallen. Die Geschwindigkeit des Aufzugs brachte mich kurz zum Taumeln, doch dann galt das Timing. Ich zählte die verschiedenen Etagen. Erdgeschoss, erster Stock…. zweiter Stock!, ich sprang vom Dach des Aufzugs und hielt mich mühevoll an den Zugseilen fest. Dann sprang ich auf den Absatz, der zum Andocken des Aufzugs gedacht war, und versuchte, die Tür zu öffnen. „Sie geht nicht auf!”, sagte ich und schlug mit aller Kraft dagegen. „Bleib ruhig! Unter der Tür müsste es einen Bewegungsmelder geben! Tritt ihn ein, dann geht sie auf!”, ich bückte mich runter. Jack hatte recht behalten. Der Bewegungsmelder leuchtete konstant rot. Ich trat mit ganzer Kraft zu, woraufhin sich die Tür einen Spalt öffnete. Zum Durchgehen reichte es geradeso. Ich rannte den Flur entlang, öffnete die Türen, die mir den Weg versperrten und fand mich schließlich im Außenbereich des Hafens wieder. Und schon wieder konnte ich von irgendwo Schritte vernehmen. Ich rannte weiter. Das Außengelände war ziemlich groß, man würde mich nicht sofort entdecken können. Der Lüftungsschacht aus meiner Erinnerung musste hier irgendwo ein. Ich rannte weiter und suchte die Gegend ab. Das Rauschen des Wassers direkt neben dem Hafen ließ mich kurz anhalten. Ich fasste an meine Hosentasche. Wenn ich die Bombe ins Wasser werfen würde, konnte sie niemandem Schaden zufügen. Ich konnte hören, dass Jack drauf drängte, dass ich weiterlief, doch bevor ich nach einem Ausweg suchte, nahm ich die Bombe aus meiner Tasche. Verwundert blickte ich auf die kleine Signatur unterhalb der Schläuche mit dem Sprengstoff. Erst im Tageslicht hatte ich sie sehen können. „Hey, Jack!” „Was?” „Auf der Bombe steht etwas… sieht… sieht aus wie ein Name. Astenon oder so. Kannst du ihn dir merken? Vielleicht ist das ein Hinweis!” „Schon notiert, jetzt schmeiß das Ding weg und lauf weiter!” „Ja!”, antwortete ich eilig. Ich holte so weit aus wie ich konnte und schleuderte die Bombe in das Meer. Ich genoss den kurzen Moment der Erleichterung und lief weiter. Ich hangelte mich an ein paar herum stehenden Containern nach oben. Es war mühsamer als bei denen davor, sie waren um einiges höher. Nach zwei Containern spürte ich ein leichtes Brennen in meinem Arm. „Nein, nicht jetzt…”, stöhnte ich und holte tief Luft. Das nächste Zwischendach war nur noch einen Container entfernt. Ich sprang rauf und zog mich mit aller letzter Kraft nach oben. Mir wurde etwas schwindlig. Mein gesamter Körper pochte. Ich stolperte auf das Zwischendach. Endlich konnte ich den Schacht sehen! Ich kletterte in ihn hinein und rutschte bis ganz nach unten. Es war unglaublich gewesen, aber er hatte mich direkt zum Hinterausgang des Hafens geführt. „Durchhalten, Venuum!”, konnte ich Jack sagen hören. Mein Keuchen war wohl kaum zu überhören gewesen. Ich rannte vom Gelände, immer mehr in das Innere der Stadt hinein. Ich hätte nicht gedacht, dass mir die Schmerzen meines Arms so viel Kraft rauben würden. Es war mühevoll und aufwändig, aber ich hatte es bis zur Eden Mall geschafft. Ich verschwand in einer Seitengasse und verschnaufte einen Moment. „Ich… ich kann nicht mehr.”, schnaufte ich. Ich hustete kurz, ich hatte mich wohl verschluckt. „Du bist an der Eden Mall oder?”, Jacks Stimme hatte an Wut verloren. Ich kniff meine Augen zusammen und sagte: „Ja.” „Warte da auf mich, ich bin gleich da.” Jack hatte sich wohl wirklich beeilt, es hatte keine fünfzehn Minuten gedauert, ehe er mich gefunden hatte. Er stützte mich leicht beim Laufen und führte mich auf einem Umweg, der sich aufgrund meines schlechten Zustands jedoch als äußerst nützlich erwies. So hatten wir das Dach des Kubus’ erreichen können, ohne von einem Gebäude zum anderen springen zu müssen. Den Weg durch die Lüftungsschachte hatten wir uns auch ersparen können, der Flur war diesmal leer gewesen, sodass wir bequem den Aufzug nutzen konnten. Ich glaube, meine Erleichterung ließ sich nicht in Worte fassen, als wir die Wohnung betreten hatten. Jack half mir mich hinzulegen und brachte mir ein Glas Wasser, das ich ohne zu zögern austrank. Dabei wandte er seinen Blick nicht von mir ab und ich wusste genau, dass er gleich gehörig ausflippen würde. Ich stellte das Glas auf den Nachtisch und seufzte: „Tut mir leid, dass ich einfach abgehauen bin.”, sagte ich schließlich. Erst mied ich seinen Blick, doch dann kreuzte ich ihn und sah, dass der Zorn aus ihm wich. „Weißt du, eigentlich kann’s mir scheißegal sein, was du machst. Ist dein Leben und ich versteh’ auch, dass du selbst alles über dich rausfinden willst.”, er legte eine Pause ein. Sein Blick gewann wieder an Schärfe. „Aber es ist mir nicht egal, wenn du das durchziehst und immer noch so schwer verletzt bist.” „Ich dachte nur…!” „Du hast gar nichts gedacht.”, entgegnete er abfällig. Ich schwieg. „Du hast dir die Narbe angesehen’ und vermutet, dass alles wieder okay ist. Wenn’s so wär’, hätt’ ich dir nicht angeboten an deiner Stelle hinzugehen und mich mal umzusehen. Ich sag’s dir echt zum letzten Mal: Die Wunde ist noch nicht verheilt. Noch ’ne dumme Aktion und dein Arm wird nix mehr mitmachen, hast du das verstanden, Venuum?”, eigentlich wollte ich antworten, aber meine Stimme schien mich verlassen zu haben. Also nickte ich nur und wandte meinen Blick von ihm ab. Er hatte ja recht, ich war selbst schuld daran, dass ich nun wieder ein paar Tage mehr außer Gefecht gesetzt war. Ich konnte ihn seufzen hören, nachdem er aufgestanden war. Er stoppte am Türrahmen, drehte sich jedoch nicht um und sagte: „Es ist spät, ruh dich aus und penn’ ‘n bisschen.”, dann verließ er das Zimmer und lehnte die Tür an. Ich legte meinen Kopf auf das Kissen und drehte ihn so, dass ich aus dem Fenster sehen konnte. Ich hatte solche Schuldgefühle, nicht nur Jack, sondern auch meinem Körper gegenüber. Ich sah mir den Sonnenuntergang solange an, bis ich schließlich wegsackte. Ein kalter Luftzug hatte mich wieder aufweckt. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und nur die Lichter der Stadt erhellten den Himmel. Als ich aufstehen wollte, um das Fenster zu schließen, konnte ich sehen, dass Jack an der Fensterbank stand und eine Zigarette rauchte. Es war wohl mehr die Tatsache, dass er bei offenem Fenster rauchte, die mich so sehr verwirrte, als er selbst. Ich legte mich wieder zurück und drehte mich von ihm weg. Ich wollte nicht mit ihm reden, noch nicht. Er schloss das Fenster und lief zum Bett zurück. Noch immer mied ich den Augenkontakt. Ich tat so, als würde ich schlafen, obwohl ich mir sicher war, dass er wusste, dass ich wach war. Eine der Bettdecken hob sich kurz und ließ den Zug kalter Luft an mich. Es war wirklich kalt nachts. Ich umklammerte meine Arme mit meinen Händen und zog meine Knie etwas näher an die Brust. Ich drehte mich noch einmal von ihm weg und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Doch ehe ich mich hätte wehren können, hatte Jack seine Decke auf meine gelegt und um mich gewickelt. „Besser?”, fragte er leise. Mein Blick wanderte zu ihm herüber. „Nimm sie wieder.”, sagte ich . Ich hab dir heute schon genug Sorgen bereitet.” „Wenn du nicht mehr frierst, ist das wieder ‘ne Sorge weniger. Außerdem kann ich nicht pennen, wenn du die ganze Zeit so tust, als würdest du schlafen.”, antwortete er und klopfte mir leicht gegen den Arm. Er drehte sich von mir weg und ich konnte sehen, dass er nur noch ein dünnes Laken als Decke hatte. Vollidiot., dachte ich. Ich legte mich an seinen Rücken und umschlang ihn mit den Decken. Als ich seine Arme streifte, spürte ich, wie kalt sie waren. „Wenn du dafür frierst, ist es auch nicht besser.”, meinte ich. Ich bat ihn mit einer Geste, sich soviel von der Decke zu nehmen, bis er nicht mehr fror. Dann konnte ich ihn lachen hören, doch es war nicht sein normales, dreckiges Lachen, vielmehr ein väterliches, zufriedenes. Kapitel 9: Wandlungen --------------------- Als ich am nächsten Morgen wach wurde, lag Jack, wie so ziemlich immer, nicht mehr neben mir. Mein Kopf dröhnte leicht, ich war unglaublich verspannt. Meine Kraftreserven waren eindeutig ausgezerrt, und es würde wohl etwas dauern, bis ich sie wieder aufgefüllt hatte. Ich setzte mich an die Bettkante, streckte mich kurz und zuckte dann kurz auf. Die Narbe an meinem Arm pochte bestialisch. Ich krempelte meine langen Ärmel hoch und sah sie mir noch einmal an. Es hatte sich ein bläulicher Rand um das wunde Fleisch ausgebildet. Seufzend schloss ich meine Augen. So viel Dummheit, wie ich sie hatte, gehörte wirklich verboten. Nachdem ich mich zum Aufstehen aufgerafft hatte, lief ich etwas zaghaft durch die Wohnung. Ich wusste ehrlich gesagt nicht genau, wie ich mit Jack umgehen sollte, geschweige denn, ob er mir überhaupt noch vertraute. Doch als ich die Küche betrat und leicht verwundert aufsah, begegnete er mir so, als wäre nichts geschehen. „Morgen du Schlafmütze.", knurrte er, wie so oft und hielt mir eine Tasse Kaffee vor die Nase. Ich war so perplex, dass ich sie schweigend annahm und meinen Blick auf den warmen Kaffee hin gesenkt hielt. „Danke..", murmelte ich dann und ging wieder aus der Küche heraus in Richtung Wohnzimmer. Ich stolperte über ein paar Akten, die auf dem Boden lagen, schaffte es dann aber doch ohne den Kaffee zu verschütten zum Tisch zu gehen und mich zu setzen. Ich musste zwar noch einen ganzen Packen Akten zur Seite schieben, um meine Tasse überhaupt hinstellen zu können, doch alles in allem war das schon ein qualitativ hoher Sitzplatz in diesem Apartment. Jack war mir gefolgt und setzte sich mir gegenüber an den Tisch, den Blick zu seinem Computer gewandt hin. Er tippte ein paar Sachen auf der Tastatur ein, schaltete ein paar unnötige Kopplungen ab und drehte sich dann zu mir um. „Und? Gut geschlafen?", fragte er knapp. „Ja, danke." „Hm…", ich trank einen Schluck Kaffee. Jack musterte mich eine ganze Weile lang, er wusste wohl, dass ich mich schlecht fühlte, und noch unwohler fühlte ich mich, wenn er mich permanent so anstarrte. Ich seufzte kurz und schloss meine Augen. „Hör zu.", begann ich zu reden. Unsere Blicke kreuzten sich. „So dumm es auch klingen mag, ich seh‘ mittlerweile ein, dass ich so einige Fehler gemacht hab, seit wir zusammen leben." „So einige?", wiederholte er spöttisch. Ich atmete tief ein und aus und senkte meinen Blick erneut. „Okay, viele Fehler, nur beschissene Scheissfehler! Ich kann’s nicht ändern, ich bin nun mal nicht die Hellste!", brach es aus mir heraus, fast automatisch hatte ich mich von meinem Sitzplatz erhoben und mich mit meinen Händen auf dem Tisch aufgestützt. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, während ich sprach. „Ich hab einfach Angst, Jack. Gott verdammte Angst. Ich weiß kaum was über dich, nicht mal was über mich! Ich hab bestimmt schon so viel Mist gebaut, den ich nicht ausbaden kann… ich dachte, ich tu dir ‘nen Gefallen, ich dachte, so halte ich dich am besten aus allem raus!", meine Stimme verlor etwas an Kraft, ich setzte mich langsam hin. „Aber das war ein Fehler.", fuhr ich fort. „Und das sehe ich ein. Jetzt sehe ich es ein.", Jack hörte sich all das ungewöhnlich aufmerksam an. Ich blickte noch einmal zu ihm auf, behielt den Kontakt zu seinen stahlblauen Augen bei. „Ich hab‘ eingesehen, dass es nicht mehr so ist wie vor ein paar Wochen. Und dass ich die Leute um mich herum verletzte, wenn ich mich selbst verletzte… Ich will das nicht. Auch wenn du wirklich rau und mürrisch bist-", ich konnte sehen, wie ihm bei diesen Worten ein leises Grinsen über die Lippen huschte. „- bist du doch… mein bester Freund und meine einzige Bezugsperson. Und ich will dein Vertrauen nicht mehr enttäuschen, nie wieder.", Jacks Miene verzog sich kurz. Was auch immer er jetzt von mir dachte, ich hatte gesagt, was ich hatte sagen wollen. Ich wartete eine ganze Weile auf irgendeine Reaktion von ihm, doch es kam nichts. Ein wenig betrübt griff ich zu meiner Kaffeetasse und blickte auf die glatte Oberfläche, die sich plötzlich schlagartig wellte. Jack hatte seinen Ellbogen hart auf den Tisch geschlagen und seinen Kopf in seine Hand gestützt. Dann fuhr er sich durch seine zerzausten braunen Haare, blickte mich an und sprach dann leise: „Ehrlich gesagt hätt ich nicht gedacht, dass du das sagen würdest." „Naja… Es war die Wahrheit.", entgegnete ich und runzelte die Stirn. „Das ist es ja.", meinte er dann, ich verstand nicht ganz, was er mir sagen wollte. Er winkte mich zu ihm herüber, ich stand auf und wanderte an seine Seite. „Ich bin auch mal ehrlich.", begann er anschließend zu sprechen, während er mich noch einmal musterte. „Du bist eine verzogene Göre, die mich schon mehr Nerven gekostet hast, als alle Mädels, mit denen ich je was hatte!" „… Wirklich so schlimm?", murmelte ich zaghaft. Dass wir daraufhin beide lachen konnten, beruhigte mich unheimlich. Jack schmunzelte kurz und stand schließlich ebenfalls auf. Er strafte mich nicht länger mit seinem zermürbenden Blick und streckte seine Arme aus. „Keine Scheissaktionen mehr, okay?" „Versprochen." „… Vertrau mir einfach mal. Schaffst du das…?", fragte er mich. Ich lachte kurz, dann nickte ich mehrfach und spürte, wie meine Augen glasiger wurden. „Danke, Jack.", flüsterte ich schließlich, während ich mich um seine Brust schlang. Er erwiderte die Umarmung und es fiel mir echt nicht leicht, nicht direkt loszuheulen. Mir war so ein Stein vom Herzen gefallen, dass ich nicht anders konnte, als all meinen aufkommenden Gefühlen nachzugeben. Ich vergrub mein Gesicht in seinem nach Zigaretten riechenden Hemd. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je so umarmt worden zu sein. Er streichelte mir noch einmal kurz über den Rücken, dann ließ er mich los und ich versuchte mir meinem kleinen emotionalen Ausbruch nicht anmerken zu lassen. „Ach, bevor ich’s vergesse.", meinte er dann. „Ich statte Kairo und den Jungs später mal ‘nen kurzen Besuch ab. Einer von denen ist wohl sowas wie’n Arzt, ich guck mir den mal an und wenn der was taugt, kann der sich deinen Arm noch mal genauer ansehen." „Das kann bestimmt nicht schaden, aber ich denk‘, dass ich‘s eh ausgereizt hab." „Wahrscheinlich.", meinte er, ohne einen großen Anflug von Überraschung in der Stimme. Ein wenig betrübt senkte ich meinen Blick. Jack seufzte leise und wuschelte mir durch die Haare. „Nimm dir erstmal was zu futtern.", sagte er. Ich nickte und begab mich in die Küche, während Jack sich zurück an den Tisch setzte und sich mit einigen Akten auseinander setzte. In der Küche angekommen schnappte ich mir eine Scheibe Brot und einen Apfel, stellte mich dann an die Fensterbank und beobachtete die Wolken. An jenem Tag schien die Sonne wirklich ausnahmslos schön, der Himmel war blauer als das Meer. Ich hab es selbst verbockt…, dachte ich und fühlte über meine Narbe. So ein Mist! **** Jack hatte sich nur spärlich verabschiedet, bevor er zu Kairo aufgebrochen war, was nicht weiter schlimm war, weil ich den ganzen Tag mit Schlafen verbracht hatte. Ich schaffte es kaum, meine Augen zu öffnen, geschweige denn, mich zu bewegen. Wie ein Fisch auf dem Trockenen lag ich auf dem Bett, in zwei Decken gehüllt und dachte darüber nach, was ich mit dem Hafenanschlag hatte bezwecken wollen. Komischerweise war die Bombe allem Anschein selbst nach dem Sturz ins Wasser inaktiv geblieben, denn Jack berichtete mir später, dass in den Nachrichten nichts über den Vorfall erwähnt wurde. Was hab ich nur... mit diesem Astenon zu tun....? Was wollen die nur erreichen?, fragte ich mich immer wieder. Dass ich eine Antwort darauf erhielt, erwartete ich erst gar nicht mehr. Stattdessen kniff ich meine Augen zusammen und dachte an den Traum, der mich vorher ereilt hatte. Ich erinnerte mich noch einmal an das Gesicht des Mannes, der mir den Schlüssel gegeben hatte. An die Szene, die mich selbst so sehr beunruhigt hatte, denn es war zweifellos eine Szene vor meinem Sturz gewesen. Ich wollte zur Bombe... und ich wollte sie zünden!...Oder? Aber wo ist..? ,ich öffnete meine Augen abrupt. Wo war nur der Zünder zur Bombe gewesen? Sie musste mit einer Fernzündung gekoppelt sein, sonst hätte ich sie sicherlich so aktivieren können. Der Hafen.... In meinem Kopf bildete sich ein Wirrwarr an Gedanken und Möglichkeiten. Seufzend vergrub ich mein Gesicht in einem der Kissen. Mehr als einen Ansatz brachte ich nicht zustande und der penetrante Geruch von Zigaretten und Rauch, der sich mittlerweile auch in den Kissen eingenistet hatte, machte das alles nicht besser. Mit Mühe drehte ich mich zurück auf den Rücken und legte mir meinen gesunden Arm auf mein Gesicht. Die Luft kam mir mit einem Male so stickig vor. Als ich das nächste Mal zu mir kam, konnte ich hören, wie die Haustür ins Schloss zurückfiel. Meine Augen waren schwer wie Blei. Allmählich hörte ich, wie Jack durch den Flur schritt und vor der Schlafzimmertür stoppte. „Ich bin wach, komm ruhig rein.", sagte ich leise, woraufhin er die Tür vorsichtig öffnete. „Du hast ja ziemlich lang gepennt. Wie geht’s dir?", konnte ich ihn fragen hören. Ich wollte mich aufsetzen, doch mir fehlte die Kraft dazu. „Mein Körper fühlt sich an, als ob ich eine Tonne wiegen würde.", gestand ich und seufzte erneut. Meine Augenlider schmerzten mit jedem Blinzeln, das ich brauchte, um Jacks Position festhalten zu können. Als er vor dem Bett stand, konnte ich nur noch sehen, wie er seine Augenbrauen zusammen zog. Dann schloss ich meine Augen wieder. „Hey... Kann es sein, dass du Fieber hast?", konnte ich ihn fragen hören. Ich schüttelte mühsam den Kopf, doch bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte er seine eiskalte Hand auf meine Stirn gelegt. Sie war so kalt, dass es fast wehtat, und ich versuchte sie von mir zu schütteln. „Du musst dich nicht um mich kümmern...", brachte ich dann hervor und griff nach seiner Hand. Meine Augen öffneten sich erneut. Jack hatte sich an die Bettkante gesetzt, ich sah dass sich eine tiefe Kerbe in seine Stirn gefräst hatte. „Du bist kochend heiß, du hast mindestens 39 ° Grad... und du schwitzt wie sonst was, also sag' mir nich', dass es dir gut geht!" „Wieso nicht?!.. Hör dich doch an, schon bist.. schon bist du wieder sauer!", jedes einzelne Wort, dass ich sprechen musste, war eins zu viel. Ich drehte mein Gesicht von ihm weg. Das letzte, was ich wollte, war mich jetzt mit ihm zu streiten. Ich war fest davon ausgegangen, dass er etwas darauf sagen würde, doch ich hörte nur, wie er aus dem Schlafzimmer trat. Mit zusammengekniffenen Augen drehte ich mich zur Tür hin und gab mir alle Mühe, die warmen, verschwitzten Decken von mir zu nehmen. Kaum dass ich das geschafft hatte, sah ich, wie Jack, vollgepackt mit einem Medizinkoffer und zwei Wasserflaschen, wieder in das Zimmer gestürmt kam und sich neben mich hockte. Ich hörte, wie er den Koffer öffnete und ihn durchwühlte. „Hier, nimm zwei von denen.", sagte er zu mir. Er drückte mir die Tabletten vorsichtig in die Hand, ich legte sie mir auf die Zunge und zerkaute sie angestrengt. Und sie schmeckten widerlich. „Wasser.", zischte ich. Ich musste mich wirklich beherrschen, die Tablettenmasse nicht auszuspucken. Jack reichte mir eine der Wasserflaschen nachdem er sie geöffnet hatte und half mir dann, mich aufzusetzen. Es kostete mich ein wenig Geduld, die Flasche an den Mund anzusetzen und vor allem daraus zu trinken. Meine Hände zitterten so sehr, dass mir das Wasser am Mund vorbeilief. Jack bemerkte das natürlich. „Warte, ich helf' dir.", sagte er ohne zu zögern. „Nein, ich kann das." „Nein, verdammt, kannst du nicht!", ich zuckte kurz auf, seine Stimme war viel zu laut. Ich sah ein, dass es keinen Sinn hatte mich zu wehren. Jack nahm meine Hand von der Flasche und hielt sie mir dann sachte an den Mund. Er kippte sie leicht und es fiel mir tatsächlich erstaunlich leicht, daraus zu trinken. Ein paar Schlucke genügten, um den Geschmack der Tabletten zu verdrängen. Jack zog die Flasche daraufhin wieder zurück und schraubte sie zu. Anschließend strich er mir ein paar Haarsträhnen von der Stirn und noch ehe ich mich darüber wundern konnte, hatte er mir eine Kühlkompresse auf den Kopf gelegt. „Danke, Jack...", murmelte ich ein wenig erstaunt. Sein Gesicht blieb relativ regungslos. Er hob die von mir verschmähten Decken wieder auf und breitete sie über mir aus. Als hätte er gewusst, dass ich mich dagegen sträuben würde, legte er seine Hand an meinen Rücken und hievte mich kurz hoch, um mich dann so in die Decken zu wickeln, dass ich sie nicht wieder von mir nehmen konnte. Ich verzog das Gesicht und sagte: „Die sind zu warm, bitte nimm sie wieder weg." „Wenn du noch Schüttelfrost kriegst, wirst du mir dafür dankbar sein.", war alles, was er daraufhin antwortete. „Du... bist echt noch sturer als sonst....", hauchte ich und schloss meine Augen. „Aber eins muss ich dir lassen.... du gibst 'ne super Krankenschwester ab...", erst kicherte ich, dann hustete ich und kauerte mich erneut unter der Decke zusammen. Erst jetzt sah ich, wie sich Jacks Miene etwas lockerte. „Is' ja schließlich nich' das erste Mal, dass du in meiner Anwesenheit Fieber hast." „Was...?", fragte ich überrascht. Seine blauen Augen blickten kurz zur Tür, dann fuhr er sich durch die Haare und strich sie zurück. „Nach deinem Sturz ging's dir noch wesentlich grottiger als jetzt. Ich dachte echt, du krepierst dran." „Das... hast du mir nie gesagt..." „War ja auch nie nötig.", meinte er und grinste leicht. Ich sah, wie er sich mir etwas mehr zuwandte. „Seit du am Gebäude runter gesegelt bist, bin ich voll in Action. Nicht eine freie Minute hatt' ich, meine Fresse..!", schnauzte er schulterzuckend. Ich wusste zwar, dass er das nicht zu hundert Prozent ernst meinte, aber er hatte recht. Und während die Kühlkompresse an meiner Stirn etwas nach unten rutschte, wuchs mein Schuldgefühl um einen erheblichen Teil. „Ich bin dir wirklich dankbar für alles....", entfloh es mir leise. „Ich weiß, dass ich...-", meine Stimme brach kurz ab, ich musste husten. Meine Arme waren so sehr in den Decken verstrickt, dass es eine ganze Weile gedauert hatte, bis ich meine Hände vor meinen Mund halten konnte. Jack half mir erneut und stützte meinen Rücken. „Das kommt davon, wenn man so viel labert.", meinte er nur, und ich hustete weiter. Ich rang um Luft und ich wusste, dass es daran lag, dass meine Augen zu tränen begannen, aber mit einem Mal war ich wie überrumpelt. Mein Husten stoppte langsam und wurde durch ein kurzes Schluchzen ersetzt. Ich konnte kaum fassen, dass ich ausgerechnet in Jacks Gegenwart zu heulen anfangen musste. „Es tut mir leid..", hauchte ich. Meine Miene spannte sich an und so schnell ich konnte vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. Seine stützende Hand an meinem Rücken verlor an Kraft. Es fühlte sich so an, als konnte er die Situation genauso wenig fassen wie ich selbst. Die Kühlkompresse war schließlich komplett von meinem Kopf gefallen und meine Tränen tropften durch meine Hände auf die Bettdecke. Ich versuchte noch etwas zu sagen, aber kein einziges Wort ergab einen Sinn. Und bevor ich es noch einmal versuchen konnte, spürte ich, wie Jack seine Hände an meine Schultern gelegt hatte. Er drehte mich sanft zu sich, ich blickte durch meine schwarzen Haare, die vor meinem Gesicht hingen und sah in sein von Mitleid gezeichnetes Gesicht. „Hör auf mit dem Scheiß, Venuum.", jedes Einzelne seiner Worte verstärkte den Wall meiner Tränen. „Ich... Ich wollte doch nur...-" „Hör auf." Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Jacks Stimme je so sanft geklungen hätte. Während er versuchte mich zu beruhigen, zog er mich an sich heran und legte seine Hände auf meinem Rücken ab. Er roch so vertraut und war so angenehm warm. Ohne es zu wollen lehnte ich mein Gesicht an seine Halsbeuge und murmelte immer wieder, wie leid es mir tat, dass ich ihn in Schwierigkeiten brachte. Und wie sehr ich ihm zur Last fallen musste. Und ich spürte, wie mein Bewusstsein allmählich schwand. Das einzige, was ich in diesem Moment deutlich spüren konnte, war Jacks Hand, die immer wieder sanft über meinen Rücken glitt, um mich zu beruhigen. Und wie ich langsam zu träumen begann... Kapitel 10: Traumgespinnst -------------------------- Rennend. Immer und immer wieder rennend. Nie hatte ich einen Traum, in dem ich auch nur einmal stillstand. Was sollte all das Rennen bezwecken? Würde es mir je dabei helfen, meine Visionen und Träume zu realisieren...? Fremde Menschen. Immer und immer wieder sind sie um mich herum. Ich kenne sie nicht, doch ich scheine ihnen nur allzu bekannt zu sein. Sie lächeln, sind fröhlich und ausgelassen. Und einer von ihnen.... näherte sich mir immer wieder vertraut an. Es sind Dinge, die ich nicht zuordnen kann, Dinge, die mich verwirren und verunsichern. Weil es nicht einmal Jack ist, der neben mir steht. Weil sie nicht das taten, was ich gerade tue. Sie waren aktiv. Und das beängstigte mich. Ich begann mich zu fragen, ob ich das auch war, vor meinem Sturz. Ob ich wirklich rebelliert hatte. Und ob ich....nicht sogar eine Kriminelle war. Wie sehr ich es auch versucht hatte.... ich bekam darüber niemals ein klares Bild in meinen Kopf. **** Als ich am nächsten Morgen aufwachte, konnte ich mich immer noch gut an meinen Traum erinnern oder besser gesagt an die Fetzen aus Traum und ehemaliger Realität. Sie waren wirr, so wie sie es immer waren, und doch hatte ich den Eindruck, meinem alten Ich damit etwas näher gekommen zu sein. Ich... hab Angst...., das dachte und fühlte ich in diesem Moment. Ich wusste nicht, wie ich mit all diesen Eindrücken klarkommen sollte und so kam es, dass ich kaum dass ich wach war, unter Kopfschmerzen litt. Ich atmete tief ein und aus und versuchte mich so zu beruhigen. Es waren Träume. Träume, die sich real anfühlten. Sonst nichts....! Irgendwann wird sich alles klären, dachte ich mir und rieb mir müde den Schlaf aus den Augen – und erschrak ungewollt. Ich hatte Jacks Arm gestreift, der auf meiner Taille ruhte und blickte direkt in sein Gesicht. Es war nicht einmal fünfzehn Zentimeter von meinem entfernt. Hätte ich nicht gesehen, dass er noch schlief, hätte ich ihn vor Verwunderung wohl direkt angeschnauzt... und das, obwohl mir nur wenige Sekunden später wieder dämmerte, weshalb er so nah bei mir war. Mein Blick heftete sich an seine geschlossenen Augen. Ich war ihm wirklich ein gigantischer Klotz am Bein und trotzdem kümmerte er sich so liebevoll um mich. Ich kannte Jack mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er hilfsbereit war. Und doch war ich jedes Mal aufs Neue überrascht darüber, wie sehr er sich für mich aufopferte. Ich wollte es nur denken, doch stattdessen hatte mein Körper Lust, es zu flüstern: „Warum...tust du das..?", und die Frage verklang im Raum. Ich schob es auf meine Krankheit, meinen kratzenden Hals und meine Kopfschmerzen, dass ich das Verlangen spürte, mich noch einmal an ihn zu lehnen. Es war zögerlich, und doch hatte ich es nicht bereut. Ich lehnte meinen Kopf in seine Richtung, legte meine Hand zaghaft an sein Hemd und ballte eine leichte Faust. Mein Kopf schmerzte und wurde durch das Pochen meines Herzens nur noch weiter zum Pulsieren angestachelt. Und trotzdem.... schaffte es seine Nähe, mich zu beruhigen. Als wäre eine Last von mir gefallen, schloss ich meine Augen. Ich wollte die Eindrücke, die ich wahrnahm, auf mich wirken lassen. Seinen kalten, trockenen Rauchgeruch, seinen konträr warmen Körper, sein raues, aber irgendwie schönes Gesicht. Ich konnte seinen feinen Bart an meinen Haaren spüren und seufzte noch einmal. Es fühlte sich so besonders an, ich wollte es nicht mehr missen. Kurze Zeit später musste ich wohl wieder eingeschlafen sein, denn ich hatte einen weiteren, kurzen und klaren Traum. „Wer weiß das schon..." Meine Augen öffneten sich. Ich lag in dem großen Bett, eingehüllt in viele warme Decken. Ich lachte trocken, nüchtern über meine eigene Naivität. Die andere Hälfte des Bettes war leer. Jack lag nicht mehr neben mir. Den Geräuschen nach zu urteilen, werkelte er in der Küche herum. Ich raffte mich auf und versprach mir selbst, ihm zumindest an diesem Tag eine Hilfe zu sein. **** Nur wenige Minuten nach dem Aufstehen hatte ich mich in die Küche begeben und Jack begrüßt. Er sah müde aus – entgegnete jedoch, dass auf mich das Gleiche zutraf und lachte darüber. Ich hatte tatsächlich riesiger Augenringe und verhältnismäßig kleine Augen- was wohl meinem kleinen Heulkrampf zu verdanken war. Es beruhigte mich, dass er trotz allem gute gelaunt war und vor allem, dass er mich nicht noch einmal darauf angesprochen hatte. Ich setzte noch einmal heißes Wasser auf, dann folgte ich Jack aus der Küche, bog jedoch in Richtung Bad ab und verschloss die Tür. Nach einem kurzen Bad-Aufenthalt fühlte ich mich frischer und zunehmend wacher, was unter Anderem daran gelegen hatte, das ich mir gut drei Mal kaltes Wasser ins Gesicht geworfen hatte. Ich band mir meine Haare zu einem geknäulten Dutt zusammen und setzte mich dann mit meinem frisch aufgebrühten Instant-Kaffee in das Wohnzimmer. Jack tippte ein paar Minuten lang auf seiner Tastatur herum, dann rollte er sich mit seinem Stuhl zu mir an den Wohnzimmertisch. „Und..? Was macht der Hals?" „Geht schon wieder. Der Kaffee wirkt Wunder.", begann ich zu scherzen. Jack grinste kurz, dann winkte er mich zu sich. Ich lehnte mich etwas über den Tisch und wurde von seiner Hand überrascht, die er auf meiner Stirn abgelegt hatte. „Na, das fühlt sich doch schon besser an. Ganz fit biste wohl nicht, aber das wird schon wieder, wenn du brav bleibst." „Mir bleibt ja nichts anderes übrig.", meinte ich sarkastisch und tippte seine Hand leicht an, um ihm zu versichern, dass seine Fürsorge nicht nötig war. Er zog sie zurück, legte den Kopf leicht schief und starrte mich eine ganze Weile lang an. Es war mir unangenehm, aber ich sagte nichts weiter dazu. Ich wusste eh, dass er nur darauf wartete, dass ich zugab, dass mein Hals eigentlich wie sonst was kratze und ich mich am liebsten wieder ins Bett verkriechen würde. Aber den Gefallen wollte ich ihm – ihm zuliebe – nicht tun. Stattdessen sah ich auf den Monitor hinter ihm und begann ihn, mit den Nachrichten abzulenken: „Weißt du, was da schon wieder los ist?“, woraufhin er sich um drehte und den Bildschirm kurz musterte. „Heut' morgen sind wohl schon wieder ein paar von diesen komischen Möchtegern-Revolutinonären aufgetaucht. Die machen grad ganz schön Randale. Im Funk meinten sie, dass überall Bullen patrouillieren... die haben heut' noch irgendwas vor, ich weiß nur nicht, was...“ „Wie kommt's, dass du dir da so sicher bist?“ „Naja, ich hab sie ausgewertet.“, zischte er dann, beugte sich nach unten und kramte eine vollkommen zu-markierte Karte der Stadt aus. Für mich sah das meiste davon nach einer missglückten Edding-Linie aus, aber Jack sollte mich gleich eines besseren belehren. „Das sind die Orte, an denen sie Leute überfallen haben oder Anschläge verübt haben.“, die Linie mündeten alle in ein Ziel, nämlich die Lawrence-Lane, die zwei Straßen von hier entfernt gewesen war. „Ist da nicht direkt ein Police Departement...?“, fragte ich überrascht und luxte ihm die Karte für einen Moment ab. All die Orte, an denen diese Leute für Unruhe gesorgt hatten, waren meist öffentliche Orte oder sichere Zonen, die den Schutz der Stadt gewährleisteten. „Ich versteh' das nicht. Wenn diese Typen die Stadt von den Leuten befreien wollen, die sie verhunzen wollen, warum gehen sie dann immer wieder auf Zivilisten und Bullen los..? Das zieht die Runner doch immer weiter in den Abgrund und schadet unserem Ruf...“, Jack nickte und stütze seinen Kopf in die Hand. Mit seinen Fingern fuhr er die Linien noch einmal ab. „Der Mist ergibt auch sonst keinen Hinweis auf irgendwas. Was auch immer sie tun, sie schaden sich nur selbst damit, aber nich' mal das scheinen die zu raffen.“ „Aber was wenn.....“ „...Was wenn...?“, wiederholte er neugierig. Ich hielt einen Moment inne. Das alles kam mir so bekannt vor, als hätte ich diesen Moment schon einmal erlebt. Es war noch krasser, als ich es bei meinen sonstigen De ja-Vus wahrgenommen hatte. „Jack.“, hauchte ich nur und sah ihn an. „Das ist es doch gerade! DAS ist es, verstehst du?!“ „Nein, tu' ich nicht, also klär' mich mal auf.“ „Sie wollen die Runner in den Abgrund ziehen! Das ist alles nur eine Finte! Sie geben sich als Runner aus, die sich gegen die Polizei stellen, dabei sind es abgerichtete Maulwürfe...! Es … es sind...“, vor lauter Schock glitt mir die Karte aus der Hand. Da war es plötzlich, ganz deutlich. Mein Traumgespinst entpuppte sich als Schlüssel. Der Typ, an dessen Gesicht ich mich nicht erinnern konnte, der aber immer in ein und derselben Szenerie in meinen Träumen auftauchte: Eine Umarmung, eine Richtung und schließlich die Trennung. Aber es ist keine friedliche, sie ist bedrohlich, und jagt mich jedes Mal aus der Traumwelt heraus. Ich griff nach Jacks Hand. „Es sind alles Ikarus-Leute.“, sagte ich dann wie benebelt. Jacks Gesichtszüge entgleisten für einen Moment. Ich stand auf und lief zu ihm herum: „Verstehst du nicht?! Sie schüren den Hass unter den Runnern und zeigen ihnen die falschen Ziele, die falschen Personen auf, weil sie wissen, dass sie die Stadt so unter Kontrolle bekommen! Wenn immer mehr Runner gewaltsam handeln...!“ „...Kriegen die Hunde die Befehle, die sie brauchen, um die Stadt endgültig von uns Runnern zu befreien.... Verdammt!“, in seinen Augen loderte plötzlich die Erkenntnis. Er packte mich an den Schultern und schüttelte mich halb ungewollt durch. „Wie bist du nur darauf gekommen?! Nich' mal Kairo hat das vermutet! Das ist doch-“ „Ich hab's geträumt.“, sagte ich dann und dachte nicht über die Bedeutung meiner Worte nach. Weder er noch ich sagten darauf etwas. Ich ließ meinen Kopf nach unten Baumeln und drückte ihn dann langsam von mir weg. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie sich seine Miene anspannte. „Venuum.“ „Ich häng' da mit drin.“ „Venuum, laber keinen Scheiß..!“ „Überzeug' mich vom Gegenteil!“, presste ich dann hervor und schüttelte den Kopf. „Jetzt ergibt das alles einen Sinn! … Wieso sollten sie sonst auf mich geschossen haben, wenn nicht, weil ich das verraten wollte?!“ „Aber du bist keine von ihnen!“, sagte er ernst und suchte meinen Blickkontakt, den ich weiterhin abblockte. Ich hielt mein Gesicht in den Händen und taumelte vor lauter Verwirrtheit in Richtung Flur. Gerade als ich an der Türschwelle angekommen war, schreckte ich auf. Jacks hatte mich eingekesselt und seinen Arm gegen die Wand gestemmt. „Sieh' mich an.“, flüsterte er scharf und mein Körper erschauderte für einen kurzen Moment. Meine Hände sanken langsam nach unten, doch ich schaffte es nur mühsam, seinem zermürbenden Blick Stand zu halten. Er war so dicht an mir, dass ich Teile meiner Selbst in seiner Iris sehen konnte. Mein Atem ging vor lauter Nervosität etwas schneller, ich gab mir alle Mühe, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich die gesamte Situation unter Druck setze. Ich folgte nur fast automatisch den kurzen, musternden Bewegungen, die in seinem Blick lagen. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er etwas in mir sah, von dem ich nicht einmal ahnte, dass es in mir steckte. „...Warum bist du dir nur bei allem so sicher....?“, murmelte ich mit gesenktem Blick und fühlte, wie er noch ein Stück an mich heran rückte. Ich hatte mir selten so sehr gewünscht, dass mein Herz zu schlagen aufhörte, wie in diesem Moment. Seine Haltung verlor allmählich etwas von ihrer bedrohlichen Spannung. „...Ich bin's einfach.“, konnte ich ihn sagen hören. „...Nenn' es Ego... Oder die Tatsache, dass ich in fast acht Wochen gelernt hab', dass du kein schlechter Mensch bist. Egal, wer du damals warst... die Venuum, die ich kennen gelernt hab', ist aufopfernd und mitfühlend...“ „...“, ich konnte darauf nichts sagen. Seine Worte rührten mich und das wollte ich nicht. Ich wollte nichts von all dem. Ich hatte das alles nicht verdient. Jack schien darauf zu bestehen, dass ich mich seiner Theorie ergab, den er ließ seinen Kopf nur wenige Sekunden später auf meinem nieder. Und da kam es wieder auf. Das nostalgische Gefühl, dass mich jedes Mal übermannte, wenn ich seinen Geruch wahrnehmen konnte. Er haftete so fest in seiner Kleidung, an seiner Haut, seinen Haaren. Ich sah zu ihm hoch und war wie benebelt von seiner Präsenz. Ich war so abgelenkt, dass ich kaum mitbekam, wie sein Kopf von meinem sank, meine Stirn streifte und so nur noch um Haaresbreite von meinem entfernt gewesen war. Immer noch weit genug, dass ich mich ihm annähern musste, um ihm zu zeigen, dass ich ihm glaubte und verdammt, mir stieg das Blut nur so in den Kopf. Es dauerte, bis ich mich traute, ihm so nahe zu kommen. Meine Hand fuhr die Wand herauf, so lange, bis sie auf der Höhe seiner Brust angekommen war. Ich legte sie an sie und fühlte zum ersten Mal die Muskulatur, die sich darunter verbarg. Sein kräftiger Atem drückte sie gegen mich, sodass es mir fast möglich war, seinen Herzschlag zu fühlen. Jacks Blick ruhte nach wie vor auf mir. Kaum, dass meine Hand an seinem Hals angekommen war, wurde er schmäler und weicher. Ich spürte die feine, sanfte Haut an seinem Hals, bis hin zu seinem Kiefer, der in seinen kurzen Drei-Tage-Bart gehüllt war. Er war rau, so wie ich es von ihm gewöhnt war. So rau und stachelig... ganz anders als seine Wange. Sie war so weich – und kaum, dass er seinen Kiefermuskel zum Schlucken angespannt hatte, hart wie Stahl. Meine Hand begann etwas zu schwitzen, aber Jack schien das nicht ansatzweise zu interessieren. Er hatte seine Augen schließlich ganz geschlossen und sich an meine Hand gekuschelt. Scheiße..., fuhr es mir in den Kopf. Dass aus einem Tiger wie ihm so eine zahme Katze werden konnte, war ich nicht gewöhnt. Ich legte schlussendlich auch meine andere Hand an ihn, in seinen Nacken und zog ihn dann fast geistesabwesend den letzten Zentimeter an mich heran, den es noch gebraucht hatte, um seine Lippen berühren zu können. Er erwiderte das Ganze ziemlich schnell drückte meinen Kopf an die Wand, während ich sein Gesicht in meinen Händen hielt. Er schmeckte so rauchig, wie ich es erwartet hatte, und doch komplett anders. Ich schloss schließlich auch meine Augen, öffnete sie jedoch nur wenige Sekunden später wieder, um meinen Gleichgewichtssinn nicht zu verlieren. Jack grinste während er mich küsste. Das spürte ich mehr als deutlich. Dieser alte Schürzenjäger!, dachte ich und ärgerte mich noch mehr darüber, dass mein Gesicht wahrscheinlich schon hoch rot angelaufen war. „Lach' gefälligst nicht, du Vollidiot...!“, zischte ich, auch wenn ich echt nicht wirklich aggressiv klang. „Ich bin nur überrascht.“, flüsterte er neckend. „Ich hätt' nicht erwartet, dass du dich drauf einlässt.“ „Pah!.... Als ob ich groß 'ne Wahl gehabt hätte...!“ „Die hattest du, Süße, die hattest du.“, erwiderte er nur und strich mir eine Haarsträhne hinter mein mehr als rotes Ohr. Es brachte sowieso nichts, im Paroli bieten zu wollen. Stattdessen seufzte ich nur, klammerte mich ein bisschen an sein Hemd und ließ mich an ihn heran fallen. Er strich mir daraufhin über den Kopf und drückte mich an sich. „...Danke für's Ablenken.“, meinte ich dann. „Du wirst seh'n, die Scheißkerle werden auffliegen. Wird endlich Zeit, dass in diese verdammte Stadt mehr Ruhe einkehrt. Dank deiner Erinnerung ist das vielleicht endlich machbar.“ „Aber es gibt so viele von ihnen...“ „Na und? Wir Runner sind denen doch bei Weitem überlegen.“, Jack klang sehr von sich und seinem Vorhaben überzeugt. Auch wenn ich mir in dem Moment noch sehr den Kopf darüber zerbrach, ob das alles klappte, wusste auch ich, dass es zumindest eine unglaubliche Möglichkeit war. Nach unserem kurzen sentimentalen Einbruch fiel unser Leben relativ schnell wieder in sein altes Muster zurück. Ich schlenderte auf Jacks Anforderung hin mit einer Decke um mich gewickelt durch die Wohnung und starrte aus dem Fenster, mit einer Tasse heißem Wasser in der Hand. Es war besser als der rauchige Kaffee, den ich sonst so trank, auch wenn es wirklich nichts außergewöhnliches war. Aber es linderte das Kratzen im Hals und lenkte mich zudem von Jack ab. Der hatte in der Zwischenzeit bei Kairo angerufen und sie über meine Theorie informiert. Mein Blick wandte sich von Jacks Schatten, der sich an der Flurwand abzeichnete, wieder zum Fenster hin. Am Himmel waren kleine Wolken aufgezogen. Das Wetter schwenkte also um. Eigentlich sollte mich das wohl kaum interessieren, aber seit dieses eine Puzzleteil aus meinen Erinnerungen aufgetaucht war, wartete ich nur darauf, dass die Fake-Runner aktiv wurden und ihr Ding abzogen. Denn wenn es so weit war, würden wir eingreifen – ich würde es zumindest tun, egal, wie meine Kondition gerade war. Und angesichts dessen war mir ein aufkommender Regenschwall ein Dorn im Auge. „Was denkst du denn schon wieder nach?“, konnte ich Jack schließlich vom Eingang des Wohnzimmers fragen hören. „Geht dich gar nichts an.“, antwortete ich nur und zeigte mit einem Wink auf das Telefon in seiner Hand. „Was hat Kairo gesagt?“ „Sie war ähnlich überrascht wie ich über das Ganze. Aber für den Fall, dass es schnell gehen muss, wenn wir die Arschgeigen fassen wollen, hat sie einen ihrer Kerle auf Abruf für uns bereit gestellt. Mehr kann ich wohl auch echt nich' von ihr verlangen.“ „Gut zu wissen. Sie ist wirklich hilfsbereit.“ „Das ist sie.“, entgegnete er und hockte sich auf seinen Stuhl. „Aber das wird uns nicht reichen.“ „Was meinst du?“, fragte ich ihn. „Wir brauchen einen Politiker.“, Wie bitte?, fuhr es mir durch den Kopf. Er griff nach einer alten, mit Kaffeerändern besudelten Zeitung und schmiss sie zu mir herüber. Daraufhin stellte ich das heiße Wasser auf der Fensterbank ab und griff nach ihr. Auf dem Titelblatt war der Nachfolger des ermordeten Bürgermeisterkandidats Pope zu sehen, Ryan White. Er war dafür berühmt, die Stadt wie sein toter Vorgänger zum Positiven wenden zu wollen, ein Mann mit ehrlichen Absichten. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, kaum, dass ich sein Bild gesehen hatte. „Denkst du wirklich, dass wir so ohne Weiteres an ihn herankommen..? Hast du schon vergessen, was mit Pope passiert ist?“ „Natürlich nicht.“, schnauzte er zurück. „Aber Runner alleine können keine Grundlage schaffen, auf der man politisch aufbauen kann, dazu ist unser Ruf nach wie vor viel zu schlecht. Wir müssen versuchen mit ihm in Kontakt zu treten, nachdem wir die Ikarus-Typen haben auffliegen lassen. Wenn wir das geschickt anstellen, wird die Masse endlich seh'n, wie verkorkst und korrupt diese Stadt ist und dann werden die sich um 'nen Typen wie White reißen.“, das klang zwar alles mehr als plausibel, aber ich konnte mir noch immer nicht vorstellen, dass wir all das schafften, ohne, dass White vielleicht auch noch in das Fadenkreuz dieser Schweine geriet. Jack schien mir meine Bedenken wie immer anzusehen. Er kam zu mir zum Fenster rüber und setzte sich zu mir. „Ich weiß selbst, dass das nich' gerade leicht wird, aber es wird werden.“ „Mhm...“, murmelte ich nur. Daraufhin hatte er seinen Arm um mich gelegt und ließ ihn nun entspannt auf meiner Schulter baumeln. „Was muss ich'n noch tun, um dir Selbstvertrauen einzuimpfen, hm?“, fragte er dann, und zwischen seinen Augenbrauen zeigte sich diese typische Falte, die immer zustande kam, wenn ich ihn den letzten Nerv kostete. Lass' mich gesund werden, fuhr es mir durch den Kopf. Lass' mich nicht so viel Blödsinn anstellen und vor allem... zeig' mir, dass es das wert ist. Keines dieser Worte hatte meinen Mund verlassen, aber trotzdem wollte ich, dass er mir eine Antwort darauf lieferte. Ich schnippte gegen seine Hand, die wie leblos an meiner Schulter lag und zog seine schmalen Finger lang. Mein Schädel war ein einziges Wirrwarr und weder unsere jetzige Strategie noch seine Nähe zu mir waren mir dabei eine Hilfe, dieses Knäuel aus Gedanken loszuwerden. Also ließ ich meinen Möchtegern-Frust an seiner Hand aus, auch wenn dieser Spaß nur von kurzer Dauer war. Irgendwann hatte Jack meine Hand gepackt und meine Finger mit seinen umschlungen. Dass er dabei so ruhig blieb, machte mich verlegen und nur noch nervöser. „....Ich mag den Mond nicht.“ „Wie?“ „Ich mag den Mond nicht. Weder den Mond, noch die Sterne oder die Nacht an sich.“, konnte ich ihn dann wie aus dem Nichts sagen hören. Er sagte es nur so vor sich hin, als würde er gar nicht wollen, dass ich das hörte. „Ich hass' die Dunkelheit. Wenn man im Dunklen rennt, kommt einem alles schneller vor. Aber man wird auch unachtsam und baut Mist...“ „...Schläfst du deswegen Nachts so unruhig..?“ „Vielleicht.“, entgegnete er. Er sah mich kurz an, dann blickte er wieder auf seine Beine herunter. „Ich mag auch keinen Alk. Nichts in der Richtung. Eigentlich.... hass' ich meine Kippen am meisten -“ „Warum sagst du mir das?“, und vor allem: Meinte er das ernst? Ich sah ihn nicht einen Tag ohne Zigarette und Jack war wirklich nicht der Typ Mensch, der sich vom einen Tag auf den anderen zum Nichtraucher bekennen würde. Als ich ihn noch einmal ansah, erwiderte er meinen Blick und lachte trocken. „Weil's wichtig ist.“ „Wofür?“ „Für deine Motivation. Ich hab' dir doch mal das Grab meines Kumpels gezeigt... der da am Gebäude runter gesegelt ist.“, ich nickte kurz. „Er ist abgekratzt, weil ich gesprungen bin. Und weil ich die Kante von dem Gebäude nicht hätte greifen können. Vielleicht... vielleicht war's ein Reflex, ich weiß es nicht. Aber er hat mich einfach gepackt und nach hinten gezogen und fiel anstelle von mir nach vorne.“ „Das-“, mir blieben die Worte im Hals stecken. Ich hätte nie gedacht, dass Jack schon jemals so Nah am Abgrund gestanden hätte. Klar, er war ein Angeber und Überheblich, aber er wusste, wann er aufpassen musste. Das hatte ich zumindest bis zu diesem Zeitpunkt immer gedacht. Seine Miene verzog sich noch einmal und das Lächeln wisch von seinen Lippen, obwohl ich wusste, dass er sich Mühe geben wollte, es nicht entfliehen zu lassen. „Damals hab' ich ihn immer ausgelacht. Er hatte nonstop 'ne Kippe im Mund und wir alle haben gewettet, dass er an dem verdammten Rauch erstickt. Aber er ist nicht daran verreckt, sondern an meiner Dummheit. Er hätte sich locker fangen können, wenn er mehr Ausdauer gehabt hätte. Aber die Kippen haben seine Lunge übel verwüstet. Das ist der Grund, warum er, als ich mit meinem Arsch auf dem Trockenen saß, vor mir abgerutscht ist und keine Chance hatte, sich zu fangen. Mich hoch zu hieven... war einfach zu viel.“, er stoppte kurz. Mir schnürte es die Kehle zu, während er sprach. Nicht im Traum hätte ich gedacht, dass ich je so viel über ihn erfahren würde. Ich drehte mich etwas mehr in seine Richtung. Sein Atem ging schwerer und er räusperte sich, bevor er weiter sprach. „Er hätte mich nicht retten müssen, aber er hat's ohne zu zögern getan. Ich weiß, dass es meine Schuld ist. Und weil er nicht seinen versoffenen, dreckigen Rauchertod sterben konnte, den wir alle uns so sehr für ihn gewünscht hatten... warte ich jetzt drauf, dass ich irgendwann mit verkalkten Arterien tot im Stuhl sitze und in die verdammte Hölle absteige, wo ich hingehör'.“, als er sich zu mir drehte, stockte mir der Atem. Er zog mich mit seinem Arm noch näher an ihn heran, es tat fast weh, aber ich war wie starr vor Schreck und fühlte, wie meine Fingerspitzen kalt wurden, als ich mich an seiner Brust abstützte. „Tja, du wolltest mal wissen, wieso ich nich' mehr renne, jetzt weißt du's.“, konnte ich ihn an meinem Ohr flüstern hören. „Es ist weit ausgeholt, aber das war's wert. Weil ich weiß, dass es dir das verdammte Selbstvertrauen bringt, das du brauchst, Kleine.“ „W-Wie kommst du darauf, dass mich das ermutigt?“, flüsterte ich wie heiser. Seine Wange kratze an meiner und ich konnte mich nicht aus seinem Griff befreien. Ich versuchte es aber auch nicht weiter. Ich wusste, dass er nicht wollte, dass ich ihn so verletzlich sah und ich wusste nicht mal selbst, ob ich das wollte. Stattdessen musste ich mir Mühe geben, nicht nervös auf zu zucken, denn bevor er fortfuhr, krabbelte er mit seiner Hand von meiner Hüfte unter meinem Shirt bis rauf zu meinem Nacken. Ich spürte seinen gesamten Arm auf meinem Rücken und die Hitze in meinem Kopf verteilte sich in meinen ganzen, nervösen, verwirrten Körper. „Wenn du das nämlich gebacken bekommst und das alles mit mir durchziehst, hör' ich für dich mit dem Rauchen auf.“, hauchte er, und meine Augen weiteten sich augenblicklich. Jetzt riss ich mich doch von ihm los, packte ihn an den Schultern und blickte in sein Gesicht. Seine Miene war ernst und bitter, aber seine Augen glänzten melancholisch im dunklen Zimmerlicht. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich seufzte stoßartig, konnte mir ein verzweifeltes Grinsen nicht verkneifen, und fragte ihn dann, während mein Kopf auf seine Schulter sank: „Das ist es dir wert...? Das ist'n hoher Einsatz, Jack.“ „Wenn du's nicht wärst, würd' ich das nicht sagen. Weil keine außer dir es schaffen kann. Wenn du dich nur zusammen reißt und deinen kleinen süßen Arsch dazu bewegst, um aktiv zu werden.“ Aktiv...., also genau das, wovor ich mich in meinen Träumen so sehr gefürchtet hatte. Wieder spürte ich seine Hand an mir, diesmal jedoch fuhr er sachte über meine Wange. Er hob mein Gesicht leicht an, um den Blickkontakt zu mir beibehalten zu können. „Ich weiß, du erinnerst dich an nicht viel aus deinem Leben. Du hast eigentlich keinen Grund, den ganzen Scheiß zu richten, aber das wär' doch 'n schöner Ansporn, oder..? Eine komplett rauchfreie Bude.“, mir lag ein ebenso bitteres Lachen auf den Lippen, wie es bei ihm zuvor der Fall gewesen war. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und küsste ihn. „Wenn du nicht verkalkt und tot auf deinem Stuhl abkratzt, sondern weil ich dich ins Jenseits befördern kann, ist mir das viel mehr wert..!“, zischte ich und lachte. Niemand außer ihm hätte mich je auf so verrückte Art dazu bewegen können, meiner Angst ins Gesicht zu sehen. Es war zwar eigentlich nicht lustig, aber es war absurd, und das rechtfertigte mein Gelächter zutiefst. Und es rechtfertigte auch seines, denn sein Ansporn für mich war nichts weiter als eine getarnte Rettungsaktion für sein verzweifeltes, abgefucktes Selbst. Dieses beschissene Dasein, in das ich mich wahrscheinlich schon seit einiger Zeit, ohne es richtig gemerkt zu haben, verliebt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)