The Whistler von DemonCaedes (Die Rattenfängerin) ================================================================================ The Whistler ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die Luft war warm und schwer an diesem Tag. Die typische Stadtluft im Hochsommer .Ich hatte die Abkürzung durch die Seitengassen genommen und wollte so schnell wie möglich nach Hause. Der Tag im Büro war unerträglich stressig gewesen und der viele Kaffee ließ mein Blut nun kochen. Doch das hier war einfach zu viel. Die Penner, der Gestank und der Müll, in dem sie hier lebten, war einfach widerlich. Allein bei dem Anblick wurde mir schon schlecht. Mit schnellen Schritten erreichte ich das Ende der Gasse und hoffte, endlich die Hauptstrasse gefunden zu haben. Doch ich hatte mich geirrt. Ich fand mich in einem Labyrinth aus Gassen wieder und fing an, orientierungslos durch die mir unbekannte Gegend zu laufen. Wo zur Hölle war ich hier gelandet? Was war das für ein Ort und warum fand ich nicht mehr heraus? Panik überkam mich und meine Gedanken rasten wild durcheinander. Die Luft wurde immer schwerer und brannte in meiner Lunge. Der unerträgliche Lärm von der Hauptstrasse, die hier irgendwo sein musste, bohrte sich förmlich in meinen Kopf. Lärm, Hitze, Panik... alles überkam mich auf einmal und mein Herz raste vor Aufregung. Ich verfing mich immer mehr in diesem Netz aus Gängen und Gassen. Alles sah gleich aus. Mir wurde schwindelig und als ich blind mit taumelnden Schritten um die nächste Ecke rannte, versperrten mir hölzerne Kisten den Weg. Ich fiel... Als ich meine Augen wieder öffnete und mich vom Boden erhob, brannten meine Hände immer noch von dem Sturz. Mit zitternden Knien lehnte ich mich gegen die Wand und versuchte mich zu fangen. Ich konnte wieder klare Gedanken fassen und fragte mich selbst, wie ich in solche Panik geraten konnte. Was war eigentlich geschehen? Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich, als ich mir diese Frage stellte. Es war auf einmal so ruhig und die Hitze war fort. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Boden feucht war, als hätte es vor einigen Minuten geregnet. Die Luft war kühl und angenehm frisch. Ich sog sie tief in meine Lungen und lauschte der geisterhaften Stille. Wo war der Lärm der Autos und der Menschen geblieben? Wo war die stickige Stadtluft? Wo war ich? Ich setzte mich allmählich in Bewegung und erschrak kurz bei dem Geräusch meiner eigenen Schritte, die laut widerhallten. Es war das einzige Geräusch hier. Oder war da noch etwas? Auf einmal vernahm ich ein anderen Laut. Einer, der nicht von mir kam. Es war ein leises Fiepen, das hinter mir immer lauter wurde. Beim Blick über die Schulter wurde mir bewusst, woher es kam. Ratten! Mir war in dem Moment alles recht gewesen, doch keine Ratten. Ich hasste diese dreckigen Biester. Sie waren schmutzig und übertrugen Krankheiten. Sie waren für mich das Symbol des Todes. Ein Zeichen des Unglücks. Mit angewiderten Blick betrachtete ich die wuselnde Schar vor mir. ?Sie mögen sie wohl nicht?? Ich drehte mich erschrocken um und erkannte eine kleine Gestalt, die am Ende des Ganges auf dem Boden hockte. Ich atmete erleichtert auf, als ich begriff, dass es sich nur um eine Obdachlose handelte. ?Das sind doch schöne Geschöpfe.? Ihre kratzige Stimme bohrte sich regelrecht in meine Eingeweide und eine merkwürdige Übelkeit überkam mich, als sie mich erneut ansprach. Sie fütterte die Viecher und strich ihnen sanft über das verfilzte Fell. Sogar auf ihrer Schulter saß eine und knabberte an ihrem glitzerndem Haar, das bis zu dem Boden reichte. Schimmernde Steine im Haar einer dreckigen Pennerin?. Obwohl mein Magen protestierte, ging ich näher zu ihr hin. Wegen der dreckigen und unförmigen Kleidung konnte ich wenig von ihr erkennen. Ihre Hände wirkten wie Krallen, doch waren es nur ihre langen Fingernägel. Von ihrem Gesicht war kaum etwas zu sehen, da die Haare es vollständig bedeckten. Das Gefühl von Ekel wandelte sich in Neugierde um. Ihr Blick war immer noch auf den Boden gerichtet, als sie weitersprach. ?Ich füttere sie jeden Tag. Sie sind wie eine Familie für mich. Haben sie Familie?? ?Meine Eltern leben außerhalb der Stadt. Ich habe eigentlich kaum Zeit für sie wegen der Arbeit. Besuche sie nur sehr selten, aber das stört mich auch nicht. Ich lege eh keinen Wert darauf und sie auch nicht.? antwortete ich ihr und fragte mich noch im selben Moment, warum ich ihr das erzählte. Hatte ich laut gedacht? ?Sie scheinen auf keinen Menschen Wert zu legen. Sie denken über die meisten, wie über diese Ratten.? Sie spuckte die Sätze verächtlich aus. Ich grinste innerlich. Wie recht sie doch hatte. Es gab viele Menschen über die ich so dachte. Alles nur Kriecher und Gesindel, das nicht existieren sollte. Dieses ganze Pack, das nichts im Leben erreicht hatte. ?Leider sind sie nicht der einzige Mensch, der so denkt.? Ihre Stimme klang gleichgültig und doch war so etwas wie Bedauern darin zu hören. Machte sie sich um etwas Sorgen? Sie erhob sich und ich bemerkte fasziniert und angewidert zugleich, dass ihr glitzerndes Haar keineswegs mit Steinen geschmückt war. Es waren kleine, bunt schimmernde Käfer, die wild in ihrem zerzausten Haar krabbelten. Sie lehnte sich gegen die Mauer und fing an mit den Käfern, die auch auf ihren Händen krabbelten zu spielen. Ich war mir sicher, dass ein kleines Lächeln über ihr verdecktes Gesicht huschte. Mit langsamen Schritten ging sie auf mich zu. Ihre bloßen Füße waren genauso ungepflegt und krallenähnlich wie ihre Hände und schliffen lahm über den Boden. In dem Moment fiel mir auf, dass der Boden mit Moos überdeckt war und dass zarte Pflanzen an den Wänden hoch wuchsen. Ein eigenartiger Anblick in der Großstadt. Es wirkte alles so unbewohnt und menschenleer. Sie schien die einzige zu sein, die sich diesen Platz als Wohnort ausgesucht hatte. Ich spürte etwas an meinen Füßen und sah, wie die Ratten an mir vorbei huschten. Mit ihren schwarzen kalten Augen starrten sie mich an. Ich weiß nicht mehr weshalb, aber etwas brachte mich dazu mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Ich ging langsam in die Hocke und sah zu, wie sie ihre kleinen Schnauzen nach meiner Hand ausstreckten, die ich über sie hielt. Es war ein angenehmes Gefühl und für den Bruchteil einer Sekunde war da so etwas wie eine innere Ruhe, die ich fand. Und plötzlich huschten sie vor mir zurück. Doch es lag nicht an mir, sondern an dem Schatten, der sich vor mir aufgebaut hatte. Erschrocken blickte ich auf und fühlte im nächsten Moment, wie sich zwei kalte Hände auf meine Augen legten und meinen Blick in Finsternis hüllten. Dunkelheit. Ich hasste die Dunkelheit. Ich hatte Angst vor ihr. ?Vertrau mir! Sei eines meiner Kinder und folge mir!? Sie war weg. Und doch spürte ich ihre Anwesenheit. Vor mir lag nicht mehr die kalte Gasse, sondern eine Allee, die überwuchert war mit Pflanzen und dessen hohe Bäume den Blick zum Himmel verdeckten. Wie Hände, die sich zum Gebet erhoben, streckten sich die Kronen der Bäume hinauf in die Unendlichkeit und bildeten eine zweiten Himmel, der aus dunklen, grünen Blättern bestand, die in der Stille das Rauschen des Meeres imitierten. Solch angenehme Ruhe war es, die mich faszinierte, aber auch erschaudern ließ. Ein kühler, frischer Wind wehte vorbei und blies durch meine dünne Kleidung. Kein Lärm, keine Hitze, keine Menschen.... und doch war ich mir sicher, dass ich mich noch an dem gleichen Ort befand, wie vor wenigen Minuten. Doch woher kam diese Veränderung? War diese Frau daran schuld? ?Keine Fragen.? Sagte eine innere Stimme. ?Genieße diesen Augenblick. Er wird sicher nicht von Dauer sein.? Vor mir sah ich auf einmal eine Schar von Ratten und in der Ferne war eine Gestalt, die mir sehr bekannt vorkam. Es war die Frau und sie sprach zu den Ratten, die im Gegensatz zu mir ihre Worte verstanden und hinter ihr her liefen. Ich rannte mit ihnen. Ich lief mit den Ratten zusammen und erreichte mit wenigen Schritten das Ende der Allee, die mir so unendlich lang schien. Als ich zurückblickte, sah ich einen dunklen verlassenen Gang, dessen Atmosphäre mehr als kalt war. So trostlos und einsam. War das ein Traum? Konnte so etwas Nahes so fern sein von der Realität? Als ich dort gedankenverloren stand und mich fragte, ob dieses ganze Geschehen wirklich passierte oder ob ich es mir einbildete, spürte ich die Kälte und die Dunkelheit, die mich einhüllte. Wie die kalten Hände krallten die Schatten nach mir und versuchten mich in die Finsternis zu reißen. Ich spürte wieder diese Angst und diese Einsamkeit. Ich vernahm ein Jammern in der Finsternis. Was lauerte in dieser unendlichen Schwärze? Wo waren all die Menschen? ?Dort sind all jene, die sich gegen die Natur stellten. Das ist ihr Verließ!? Es war wieder ihre Stimme und als ich mich daran orientierte, sah ich die Ratten wieder und lief ihnen hinterher. Ich fand mich auf einer großen Lichtung wieder. Mein Blick schoss zum Himmel, der wie eine grauer Schleier über mir lag und ich spürte, wie kühle Regentropfen auf mich herabfielen. Die Bäume, die mich umgaben, waren riesig wie Mammutbäume, doch konnte ich sie nicht richtig erkennen, da der Regen meine Sicht verschwimmen lies. Waren es wirklich Bäume, die ich dort sah? Sie waren so hoch wie die Wolkenkratzer in meiner Stadt. Da war sie wieder. Die Herrin der Ratten. Sie saß vor einem mit moosüberwucherten Stein. Obwohl ihr Blick gesengt war, sah ich ihr an, dass sie stolz war. Stolz darauf, dass sie mir ihre Welt gezeigt hatte. Ihre Heimat. ?Genau, meine Heimat.? Sagte sie, als habe sie meine Gedanken gelesen... oder wusste sie wirklich, was ich dachte? ?Ich erwarte, dass sie es zu schätzen wissen, dass ich ihnen so etwas zeige. Sie werden jetzt hoffentlich den richtigen Weg wählen.? Wie eine Königin saß sie am Fuße der grünen Statue und scharte die Ratten um sich, die ihre Köpfe nach ihr streckten, als sei sie ihre vertraute Mutter. Der Regen wurde auf einmal stärker und die Farben um mich herum vermischten sich miteinander. Meine Sicht wurde immer undeutlicher und meine Beine schienen sich nicht mehr bewegen zu wollen. Was sollte das? Ich schloss die Augen und spürte sie wieder. Die Dunkelheit. Nein, dachte ich und riss panisch die Augen wieder auf. Nein! Aber die Finsternis blieb und verschlang mich. Doch die Angst verschwand für einen kurzen Moment. War das ein Gefühl von Geborgenheit? War das Sicherheit, die ich da vernahm? Es war etwas, was ich schon vor langer Zeit verloren hatte. ?Kehre zurück und entscheide dich für einen Weg.? Sie nahm die Hände von meinem Gesicht und blickte mich mit ihren schwarzen kalten Augen an. Diese Augen waren so unnatürlich dunkel und leer, als habe sie schon viel gesehen. Zu viel vielleicht. Ich war wieder in der Gasse. In der Stadt, doch die Geräusche und die Hitze waren nicht da. Als habe jemand die Zeit angehalten. War das alles immer noch ein Traum? ?Es ist alles Wirklichkeit. So real wie diese Ratten und Käfer. So real, wie ich es bin.? Beim Sprechen bemerkte ich ihr bis auf die Schneidezähne verfaultes Gebiss. Ihr Gesicht war eingefallen und ihre dunklen Augen starrten mich an. Sie waren wie die, ihrer Kinder, die um sie herumliefen und ihre kleinen Köpfe nach ihr streckten. ?Ich muss jetzt zurück, aber du kannst dich jetzt entscheiden.? Sie lächelte und drehte sich um. Was meinte sie damit? Wo kam sie denn her? Aus einer längst vergessenen Zeit? ?Nein, mein Lieber.? Ihre Stimme hallte in der Gasse wieder. ?Ich komme aus der anderen Richtung.? Das waren ihre letzten Worte und mit einer schleichenden Bewegung verschwand sie mit ihren Kindern, die in einer Schar hinter ihr her rannten. Ihrer Herrin gehorsam folgten. Ihr, die sie ihnen das Geheimnis des ewigen Lebens für einen kleinen Preis gab und ihnen eine bessere Welt versprach. Sie war die Kraft, das Licht nach dem die Pflanzen sich strecken, das Leben, nach dem wir greifen und doch nie erreichen. Was war sie? Entscheiden, dachte ich nur. Sollte ich mit ihr gehen? Doch ich zögerte. Ehe ich mich versah, füllten sich meine Lungen mit einer stickigen, schweren Luft und der Gestank der Gasse überdeckte den feinen Geruch von feuchtem Moos. Der Lärm der Straßen drang in mein Ohr wie ein Donnerschlag und ließ mich zusammen zucken Ich hatte meine Chance vertan. Für ein kurzen Augenblick huschte die Erinnerung an die Rattenfrau vorbei und die Zukunft, die sie mir geboten hatte. Doch dann öffnete ich leicht verwirrt die tränenden Augen und blickte mich um. Ich war vor meiner Wohnung, aber ich konnte mir nicht erklären, wie ich dort hingekommen war. Ich bin doch eben noch über diese Kisten gefallen? ... Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)