Bleib bei mir! von dasy (Wie Pizzamuffins das Leben verändern) ================================================================================ Kapitel 1: Wie jeden Abend -------------------------- Da sitzt er, wie jeden Abend. Er kommt jeden Abend etwa um sieben, halb acht und setzt sich auf den gleichen Barhocker. Er sagt kaum ein Wort, muss er auch nicht, denn der Alte, von dem ich diesen Laden habe, hat mir gesagt, wie ich mit diesem Gast umgehen soll: Ich stelle ihm ein großes Bier hin, zehn Minuten später einen Whisky. Dann muss man ihn für etwa eine halbe Stunde in Ruhe lassen, nicht ansprechen, am besten nicht mal in sein Blickfeld treten. In dieser Zeit stiert er auf irgendetwas hinter meiner Theke, vielleicht eine Flasche, vielleicht etwas in dem Spiegel hinter den Flaschen, vielleicht auch nur etwas in seinem Kopf. Erst wenn in seinem Bierglas nur noch zwei Zentimeter sind, bekommt er den zweiten Whisky. Die Bewegung bringt ihn langsam zurück in die Realität, ganz langsam. Zehn Minuten nachdem das Bier dann leer ist, räume ich die Gläser weg und stelle ihm eine Schale Sake hin. Dabei beobachtet er mich nachdenklich und ich erhalte auch manchmal ein dankendes Nicken. Mitunter spricht er jetzt mit seinem Nachbarn oder lauscht auf Gespräche von den Tischen. Sein Gesicht zeigt dann ein paar kleine Regungen, er ist nicht mehr ganz so apathisch. Etwa um elf winkt er dann und erhält einen weiteren Sake eingeschenkt, den er Tropfen für Tropfen genießt. Er legt das Geld abgezählt auf den Tresen und geht gegen halb zwölf, kurz bevor ich schließe, wie jeden Abend. ~ Wie jeden Abend komme ich kurz nach sechs nach hause. ‘Zuhause!’ Ich schüttle unwillkürlich den Kopf bei dem Gedanken. Mein Zuhause ist eine winzige zugemüllte Einraumwohnung mit Bad, Küche und kleinem Vorsaal. Niemand, der auf mich wartet, nichts, was meine Anwesenheit verlangt oder auch nur registriert, kein Haustier, keine Topfpflanze. Und wie jeden Abend habe ich mich auf dem Heimweg verlaufen. Ich gehe zum Kühlschrank. Nicht dass ich erwarte, da irgendetwas Besonderes zu finden, denn im Kühlschrank gibt es nie etwas anderes als einen Becher Streichfett, ein Stück Käse und ein paar Scheiben Salami. Ich gebe zwei Scheiben gefrorenes Brot in meinen Toaster und warte. Ich bin Alkoholiker. Nur mit strengster Selbstdisziplin habe ich es geschafft, meinen Schulabschluss und eine Ausbildung zum Lagerlogistiker zu machen. Würde es in meiner Wohnung auch nur eine Flasche Alkohol geben, wäre diese Selbstdisziplin und damit auch meine Zukunft hin. Ich würde mich besinnungslos trinken, nicht auf Arbeit gehen und völlig versacken. Deshalb habe ich einen streng regelmäßigen Tages- bzw. Wochenablauf: Sechs Uhr aufstehen, frühstücken, sprich Kaffee mit Käse- und Salamitoast, sieben Uhr auf Arbeit gehen, irgendwann zwischen halb acht und halb neun ankommen. 'Unfassbar, dass ich nach fast vier Jahren den Weg immer noch nicht kenne.' Mittagessen in der Kantine, sechzehn oder siebzehn Uhr Feierabend, je nachdem, wie planlos ich morgens war. Dann nach Hause gehen und bis achtzehn Uhr noch ein paar Runden um den Block joggen, immer rechts herum, denn ich darf mich nicht noch mal verlaufen. Duschen, Abendbrot und ab in meine Stammkneipe. Dort bekomme ich meinen Alkohol zu einem nicht zu hohen Preis, ich bekomme meine Ruhe, ohne dass mich die Stille erschlägt und der Wirt hat ein Auge auf mich, würde sich sorgen, ja die Polizei rufen, wenn er auch nur den Verdacht hätte, dass mir etwas passiert ist oder wenn ich nicht auftauche. Lautstark meldet sich der Toaster. Ich nehme die Brotscheiben, belege sie mit Streichfett, Käse und Salami und schiebe sie mir gleich im Stehen zwischen die Zähne. Dann wird es Zeit, wie jeden Abend. ~ Eigentlich mag ich diese Kneipe nicht. Ich wollte immer ein richtiges kleines nobles Restaurant, aber mein Vater, Pflegevater starb einfach zu früh. Ich war noch nicht so weit, seinen Laden weiterzuführen, deshalb habe ich ihn an die anderen Köche verkauft und bin mit dem Geld losgezogen, mir etwas eigenes Kleines zu suchen. Diese Absteige hier hatte für mich eigentlich nur den einen Vorteil, dass es offiziell einige Zimmer im ersten Stock gibt. Ich dachte, ich könnte die Pension übernehmen, ein paar der Nischentische mit einer ordentlichen Speisekarte versehen und ansonsten mit dem Kneipenwirt zusammenzuarbeiten, das Risiko also teilen. Aber zwei Tage nachdem wir den Vertrag zur Zusammenarbeit unterschrieben haben, starb auch dieser Aushilfsvater. Die Erben hatten kein Interesse an seinem Geschäft und ich bekam das Gebäude und die Einrichtung zu einem Spottpreis. Jetzt stehe ich hier. Für die Umbauten in der Gaststube fehlt mir das Geld, für die Umstellung der Speisekarte die Kundschaft und für die Gestaltung der ersten Etage der Antrieb. Jeden Abend um sechs schließe ich auf, dann kommen die ersten Gäste, meist Geschäftsleute, die die nicht einsehbaren und schwer belauschbaren Nischen bevorzugen. Gegen sieben kommt er…. Dann ab halb acht trudeln meist ein paar Studenten ein, die einfach nur von den niedrigen Preisen angelockt werden. Ab neun kommt noch der ein oder andere, der einfach mal schauen will, ob bekannte oder neue Gesichter anwesend sind und schon nach einem Bier wieder verschwindet. Halb zwölf schließe ich ab, denn dann ist niemand mehr da. Es ist einfach jeden Abend dasselbe. Es ist kein Platz und keine Zeit für die Ideen und die Kreativität, die in mir stecken. Ich fühle mich wie in einer Sackgasse. Weil ich ihn nicht ändern kann, mag ich den Laden nicht. ~ Eigentlich mag ich den Laden nicht. Er ist doch nur eine Absteige, Kaschemme, Kneipe, Spelunke, … Aber der alte Wirt war der einzige, der ein Bett für mich hatte, nachdem ich bei meinen Eltern rausgeflogen war. Er hat mich aufgefangen, mir die Flasche weggenommen und mir letztendlich auch die kleine Wohnung besorgt. Er hat mit mir gewettet, bis ich den Schulabschluss hatte und er hat mit mir meinen Lehrvertrag mit einer Pizza gefeiert, genau wie den Abschluss der Lehre. Er hat mir auch das eine oder andere Mal Hustensaft und Aspirin gegeben. Seit einiger Zeit lebt er aber nicht mehr. Nein, auf seiner Beerdigung war ich nicht, denn dann hätte ich mich richtig verabschieden müssen, aber so kann ich ignorieren, dass da hinter dem Tresen jetzt ein kleiner blonder schmächtiger … Wie auch immer. Der Kleine lernt wohl schnell, denn irgendwie … wenn ich ihn nicht ansehe, hab ich das Gefühl, der Alte ist noch da. Eigentlich mag ich die Kneipe nicht, aber letztendlich ist sie mir mehr ein Zuhause, als die kleine Wohnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)