100 Sünden musst du begehen... von Anemia (...um in dieser Welt zu bestehen.) ================================================================================ Kapitel 5: Eheglück ------------------- (Freie Arbeit) "Lea!" Wahrscheinlich breitete sich wie immer dieses Honigkuchenpferdgrinsen auf meinem Gesicht aus, als das kleine, blonde Mädchen mit den blauen Kulleraugen auf mich zustürmte und mir letztendlich um den Hals fiel, was uns beide fast zu Boden riss. "Man, bist du übermütig!" Lea kicherte glücklich ganz nah an meinem Ohr, klammerte sich in meinen Kapuzenhoodie, der eigentlich neu war und keine solch grobe Behandlung erfahren sollte, aber ich ließ es einfach zu - weil Lea es war. Ich mochte Kinder eigentlich nicht besonders, nur durch ein berufsvorbereitendes Jahr für Loserkinder ohne Ausbildung war ich in diese Berufsbranche gerutscht und absolvierte gerade ein zweiwöchiges Praktikum. Und ich musste sagen, Kinder wie die kleine Lea versüßten mir die Arbeit ungemein. Sie war so anhänglich, so lieb und ich spürte ganz genau, wie sehr sie mich mochte, wie gern sie mit mir Ball im Garten spielte, sogar Arzt und Friseur ließ ich Lea werden, wobei ich stets den Patienten mimen sollte, der sich auch mal der Länge nach hinlegen musste. Etwas peinlich war es mir schon, wenn mich die Eltern beim Abholen ihrer Zöglinge in der Horizontalen sahen, allerdings wollte ich nicht wissen, zu welch verrückten Spielen sie sich selbst zu Hause hinreißen ließen. Zum Glück war aber Lea und auch noch einige andere Kinder eher künstlerisch interessiert und so malten sie viele bunte Bilder, auf denen man zwar oft nicht das Dargestellte identifizieren konnte, aber es galt immer, Freude zu heucheln, ganz besonders, wenn sie ein Geschenk an mich waren. Auch heute wollte Lea wieder malen und ich konnte sie auch nicht mit dem Argument davon abbringen, dass sie gleich abgeholt werden würde. Wild entschlossen steuerte sie auf den Schrank mit den Buntstiften und den Zeichenblättern zu, suchte alles zusammen, was ein kleiner Künstler benötigte und setzte sich dann an den Tisch. Ich staunte immer wieder, zu was ein Kind im Alter von drei oder vier Jahren bereits in der Lage war. "Du magst rot, nicht wahr?" Stumm, aber sehr wichtig nickte Lea mit dem Kopf, wobei ihr blonder Pferdeschwanz auf und ab wippte, den Blick nicht von ihrer entstehenden Zeichnung abwendend. Lea mochte eigentlich alles, was für Mädchen in dem Alter bestimmt war, seien es diese winzig kleinen Pferdchen mit Fellfarben in allen Farben des Regenbogens oder auch Prinzessinnen mit ihren pinkfarbenen Wallekleidern. Heute allerdings wirkte es nicht so, als würde sie Schneewittchen oder Rapunzel auf das Papier bringen wollen. Es erschienen zwar eindeutig drei Menschen, jedoch tauchte sie die Kleidung der beiden größeren in ein tiefes Schwarz, was mich nachdenklich die Stirn runzeln ließ. Kein Kind zeichnete mit dieser Farbe, einige der Jungs vielleicht, aber Lea verschmähte den schwarzen Buntstift doch sonst immer, was bewegte sie also heute dazu, die Figuren wie zwei Schornsteinfeger aussehen zu lassen? "Lea!" Das war die energische Stimme der Erzieherin und ich ahnte, dass Leas Eltern gekommen waren, um sie abzuholen. "Du kannst morgen noch weitermalen", tröstete ich die Kleine, die sich gar nicht mehr von ihrem Bild losreißen wollte, aber selbst meine Worte hielten sie nicht davon ab, noch die typische Sonne in der Ecke und ein paar blaue Wolken zu zeichnen. "Lea! Der Papa ist da!" Aber selbst das interessierte sie nicht im Geringsten. Wahrscheinlich besaß sie eine besondere Gabe, die sie dazu befähigte, die Ohren für die Außenwelt zu verschließen und ihre Konzentration ungestört auf ihre Lieblingstätigkeit zu richten. Hilfesuchend drehte ich mich nun nach der Erzieherin um, die mit ihrer Art viel besser die Kinder zu dem bewegen konnte, was ihren Wünschen entsprach. Als Zauberei empfand ich das, wenn Kinder plötzlich bei Frau Neumann hörten, obwohl ich bereits mit Konsequenzen gedroht hatte, die aber keines der kleinen Monster interessierten. Anstatt ich allerdings Frau Neumann erblickte, erschien ein komplett in schwarz gekleideter junger Mann auf der Bildfläche, zielgerichtet auf den Tisch, an dem Lea und ich saßen, zusteuernd und sich letztendlich neben die Kleine kniend. Mir blieb die Luft weg. Oh mein Gott. Zum Glück war er so mit dem Kind beschäftigt, dass er es wahrscheinlich nicht bemerkte, wie ich sein halblanges, schwarzes Haar begutachtete und das Profil seines jugendlichen Gesichtes. Dieser Moment erschütterte gewissermaßen mein Weltbild. So jemand hübsches hatte tatsächlich ein Kind, und ich fragte mich prompt, ob Lea denn ein Unfall war ...? Deswegen also die schwarzgekleideten Menschen, weil Leas Vater ein Emo war, und die Mutter schlug wahrscheinlich in dieselbe Kerbe. Irgendwie wurmte es mich zutiefst, dass so ein gutaussehender Typ in der Heterowelt beheimatet war, denn ich selbst hätte mich als schwul bezeichnet, obwohl es ab und an Mädchen gab, die selbst ich nicht von der Bettkante gestoßen hätte. Nun aber waren mir all die Weiber schnuppe, nun zählte nur noch dieser viel zu junge Vater, der es irgendwann geschafft hatte, Lea zum Gehen zu bewegen. Schnell schaute ich in eine andere Richtung als er mit dem Bild in der Hand aufstand. Es enttäuschte mich, dass er sich nicht von mir verabschiedete, sondern so tat, als wäre ich Luft; wahrscheinlich hatte er mich noch nicht einmal bemerkt. Dabei war ich doch auch nicht unbedingt eine übersehbare, graue Maus - das Problem war nur, dass der Kerl sich bestimmt überhaupt nicht für mich interessiert hatte, weil er Männer ohnehin nicht mit dem Arsch anguckte. So gern ich die kleine Lea mochte, so sehr wurmte es mich es dennoch, dass der Emo sich so zeitig festgelegt hatte. Ein Paar mit Kindern erschien mir stets so endgültig, so erwachsen und fern jeglicher Jugendlichkeit, aber trotzdem war ich gerade dabei, einen Plan zu entwickeln, wie ich erfahren konnte, ob denn der Typ wirklich so ein braver Familienmensch war, wie er vorgab. Zugegeben, die Idee war ziemlich bescheuert, aber ich hatte mal irgendwo gelesen, dass man jeden Mann zu homosexuellen Taten verführen konnte. Den Wahrheitsgehalt dessen galt es nun zu testen. Und Lea würde mir dabei behilflich sein. ***** "Wollen wir wieder malen, Lea?" Zu meinem Glück nickte sie eifrig, ehrlich gesagt hatte ich mit nichts anderen gerechnet. Das weiße Blatt Papier landete noch jungfräulich direkt vor mir und ich schob es Lea hin, der ich zugleich meinen Zeichenvorschlag unterbreitete. "Wollen wir ein Bild für deinen Papa malen?" Auch das schien sie zu begeistern, allerdings überlegte sie noch samt dem roten Stift in der Hand, was sie auf das Papa-Bild bringen sollte. "Wie wärs mit einem Herz? Kannst du schon ein Herz malen?" Und ob Lea das konnte! Natürlich, es sah noch etwas krakelig aus, aber doch sehr niedlich und in der Mitte hatte sie genügend Platz gelassen, damit ich selbst noch etwas hinzufügen konnte ... "Wie heißt denn dein Papa?", wollte ich von der Kleinen wissen, erntete allerdings zunächst nur ein verschämtes Kichern; Kindern war es immer etwas peinlich, die Namen ihrer Eltern zu sagen, ich selbst war da früher keine Ausnahme gewesen. "Leo", antwortete sie dann aber leise und ich guckte nun ziemlich dumm aus der Wäsche. Leo und Lea, das war ja mehr als nur ein niedlicher Zufall. Ehe Lea es sich versehen konnte, hatte ich mir einen x-beliebigen Buntstift geschnappt, das Blatt in meine Richtung gedreht und in dicken Druckbuchstaben 'Leo' mitten in das Herz geschrieben. Zugegeben, nun war es an mir, mich irgendwie für die absolute Kitschigkeit meines Gedankengutes zu schämen, schließlich war ich immer noch ein Typ und kein dreizehnjähriges Mädchen. Aber da ich mich stets hinter dem Deckmantel namens Lea verstecken konnte, der man derart zuckersüße Zeichnungen allemal zutraute, führte ich mein Vorhaben weiter, ließ das Bild von meiner kleinen Freundin noch etwas verschönern und ausschmücken, ehe ich mit einem leicht mulmigen Gefühl den Abschluss in Form meiner Telefonnummer und einem treuherzig formulieren "Rufst du mich an? David." auf die Rückseite setzte. Wenn dieser Leo wirklich so ein erwachsener Familienmensch war, wie ich glaubte, würden ihn die eindeutig von mir verfassten Zeilen lediglich amüsieren; generell stand die Chance eher schlecht, dass sein Herz schmolz aufgrund dieses jugendlichen Schmalzes. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und als Lea wie jeden Tag abgeholt wurde, natürlich wieder von ihrem Papa und dieser das Bild an sich nahm, sich sichtlich freuend über die niedliche Geste seiner Tochter, war sowieso keine Zeit mehr für einen Rückzieher. Er nahm das Bild mit nach Hause und wahrscheinlich würde er erst dort entdecken, was da auf der Rückseite stand. Bestimmt lachten er und seine Freundin sich scheckig über diesen liebestollen Teenager, für den sie mich hielten, aber wenigstens erfuhr ich dann nichts von ihrer Reaktion, schließlich musste ich mich nicht mit Leo abgeben und konnte ignorant in eine andere Richtung blicken, wenn er am nächsten Tag sein Kind abholte. Doch es kam freilich anders, als gedacht. Ich war längst zu Hause, saß vor meinem PC und chattete mit ein paar Kumpels über Facebook, als mich das Klingeln meines Handys aufschreckte. Unterdrückte Nummer; in so einem Fall ignorierte ich eigentlich stets den Anruf, aber da ich sofort ganz tief in mir drin an Leo denken musste, drückte ich mit Herzklopfen auf das grüne Hörersymbol, welches das Gespräch annahm. "Hallo?" "Ja, hier ist der Vater von Lea. Du warst dieser David, der mir seine Nummer hinten auf das Bild geschrieben hat?" Oh Gott, ich starb tausend Tode und wusste nicht, was ich antworten sollte, denn ich konnte keine Emotion aus der Stimme lesen, hatte keine Ahnung, ob die Frage böse gemeint war oder eher amüsiert. Dennoch musste ich zu meiner kitschigen Tat stehen, deswegen bestätigte ich das Ganze mit unsicherer Stimme. "Ich finds ja total niedlich, dass du mich gern kennenlernen willst", erklärte er mir nun und ich spürte einen schweren, harten Stein in meiner Magengegend, "aber ich habe eine Frau und ein Kind. Tut mir leid, ich...fühle mich auch nicht sonderlich zu Jungs hingezogen. Das wollte ich dir kleinem Spinner nur mal sagen. Ich hoffe, du bist nicht allzu traurig." "Nö, nö", erwiderte ich reflexartig, betont cool klingend, obwohl mein letzter Funken Hoffnung, der Leo ein bisschen Schwulheit zugestand gerade zerstört worden war und ich mich abgrundtief schämte für dieses verdammte Bild. "Ist schon okay." "Na gut. Dann Tschüss." Ich hatte gerade mal den Mund geöffnet, um ebenfalls einen Abschiedsgruß zu murmeln, da hörte ich bereits das Tuten, das mir signalisierte, dass der andere Gesprächsteilnehmer sich zurückgezogen hatte. Man. Ehrlich, ich hatte nicht viel erwartet, aber wieso musste der Kerl auch noch anrufen, um mich abzuservieren? Hätte er es nicht stillschweigend unter den Tisch fallen lassen können, ohne mich so zu demütigen? Ich hoffte, dass er Lea nie wieder abholte, denn ich wollte ihn nicht mehr sehen müssen. Am besten, ich nahm direkt eine neue Identität an, klebte mir einen künstlichen Bart unter die Nase und kaufte mir so eine komische, riesige Nerdbrille mit Fensterglas, die ich trug, bis ich mein Praktikum beendet hatte und sicher gehen konnte, Leo nie wieder unter die Augen treten zu müssen. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich es ziemlich bereut hätte, mich zu verkleiden oder dem anderen nicht mehr zu begegnen. Denn manchen Enttäuschungen wohnte einen süßen Beigeschmack inne, genau, wie manche Väter und Ehemänner doch nicht die braven Familienmenschen darstellten. ***** Heute hatte ich ausnahmsweise mal keine Probleme, Lea zum Gehen zu bewegen. Als Frau Neumann nach ihr rief, sprang sie wie ein quicklebendiger Gummiball von ihrem Stuhl, ließ mich einfach vor dem Memory sitzen, welches sie sowieso gewonnen hätte und stürmte durch das Gruppenzimmer geradewegs in den Flur. Da ich aber gelernt hatte, dass die Kinder vor dem Nachhause gehen immer ihre Spielsachen wegräumen sollten, erhob auch ich meinen Arsch von der Sitzgelegenheit und tappte durch den Raum, in der Hoffnung, Lea wäre noch nicht aus der Tür gegangen. Und tatsächlich, sie klammerte noch breit grinsend an der schwarzen, engen Hose ihres Papas, und als ich Letzteren bemerkte, wollte ich mein Vorhaben, Lea noch einmal zum Ordnung machen zurückzuholen, schnell verwerfen und mich anstelle verkrümeln. Da Leo und seine Begleitung in Form einer etwas reiferen Frau - vielleicht seiner Mutter - sich allerdings noch angeregt mit der Erzieherin unterhielten, beschloss ich, Lea noch einmal zu entführen, was aber leider Gottes nicht unbemerkt blieb. Ich hockte gerade zu den Füßen Leos, als dieser zu mir hinabschaute und sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht abzeichnete. "Hey." "Hi." So heiß wie mein Kopf wurde, so rot war ich wahrscheinlich auch angelaufen. Ungelenk erhob ich mich, schaffte es kaum, fest auf beiden Füßen zu stehen und machte mich nun erst noch richtig zum Trottel. Da Leo von mir Notiz genommen hatte und ich mich gerade so weltfremd benahm, lag es auch nicht fern, dass die Frau mich ebenfalls von oben bis unten betrachtete und sich schließlich dichter an Leo drängte, um ihm mit einem Seitenblick auf mich etwas zuzuflüstern, was aber laut genug war, damit ich es verstehen konnte. "Ist das der schnuckelige Praktikant, von dem du mir vorgeschwär-" "Mama! Psst!" "Komm, Lea, wir gehen noch aufräumen", wendete ich mich wieder dem Kind zu und führte es an der Hand zurück zum Gruppenzimmer, wo ich meinem breiten Grinsen endlich freien Lauf lassen konnte. Nun, wo ich wusste, dass er mich entgegen seiner Worte ganz niedlich fand, stand doch einem erneuten Anruf nichts im Wege, oder? Wenn Lea das Memory in die Kiste geräumt hatte, würde ich es auf jeden Fall wagen, ihren Vater nach seiner Nummer zu fragen. Und das ganz ohne ein albernes Bild mit Herzchen und Blümchen, denn Kitsch erschwert es natürlich noch, sich leichte homosexuelle Tendenzen einzugestehen. Leo sollte jedenfalls auch nicht glauben, dass ich eine verweichlichte Tunte war. Genauso wenig wie ich annehmen sollte, dass Kinder das Ende der Spaßgrenze darstellten. Mit so einem wie Leo konnte man sicher noch jede Menge schöner Dinge zu zweit erleben. Fragte sich nur, was seine Frau zu mir sagen würde. Aber das stand auf einem anderen Blatt Papier. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)