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Einen letzten Atemzug

von

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Erdrosselt

Ich lege meine Hände sanft um deinen Hals. Deine warme Haut brennt angenehm unter meinen kalten Fingern.

Dein Brustkorb hebt und senkt sich immer noch gleichmässig im Schlaf. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

Sonst ist es still im abgedunkelten Schlafzimmer. Nur ein schwacher Lichtschein, wahrscheinlich eine einsame Strassenlaterne unten vor dem Haus, dringt durch die schweren Vorhänge.

Mein Blick gleitet über die Einrichtung. Alles scheint so weit entfernt und unwirklich, nur die Konturen deines Gesichts stechen scharf hervor.

Wie lange es wohl dauert, bis du aufwachen wirst. Wirst du überhaupt noch aufwachen, bevor es zu spät ist?

Langsam wiege ich den Kopf hin und her. Warte noch etwas, geniesse den Augenblick.

Es ist besser als jeder Rausch, wenn diese Finsternis, welche tief in meinem Herzen begraben liegt herauf kriecht, alles verschlingend und mich fast schon zärtlich einhüllt.

Vorsichtig verstärke ich den Druck meiner Hände um deinen Hals. Ein leises Keuchen entrinnt deiner Kehle, noch nicht genug um dich zu wecken.

Mein Herzschlag beschleunigt sich leicht, Vorfreude glänzt in meinen Augen. Dafür muss ich nicht in einen Spiegel sehen, ich weiss es.

Kurz schlucke ich, befeuchte mit der Zunge meine ausgetrockneten Lippen, ehe ich gleichmässig weiter zu drücke.

Dein Atem geht schwerer.

Draussen fährt ein Auto über die regennasse Strasse, das Geräusch der Reifen zerreisst die angenehme Ruhe grausam, ehe es sich schnell wieder entfernt.

Du seufzt leise, wohl weil du langsam aufwachst.

Wieder lächele ich und schaue dich an, präge mir deine feinen Lippen, deine gerade, wohlgeformte Nase und deine schön geschwungenen, langen Wimpern ein.

Immer weiter verstärke ich den Druck auf deiner Kehle. Es ist schier unmöglich, das du es jetzt nicht bemerkst.

Unter mir zucken deine Beine, versuchen das Gewicht, welches auf ihnen ruht herunter zu strampeln.

Ich verlagere mein Schwerpunkt, unterbinde weitere Bewegungen.

Deine Augenlider flattern und auch dein Herzschlag beschleunigt sich, immer deutlicher kann ich ihn unter meinen Fingern spüren.

Er schlägt hart gegen meine Handflächen, fast so als würde er versuchen deine Hals von meinen Händen befreien wollen, will Platz schaffen in dem immer enger werdenden Gefängnis.

Inzwischen ist das Lächeln auf meinen Lippen verblasst und nur eine leichte Neugier liegt in meinem Blick.

Eine unschuldige, morbide Neugier, wie ein Kind, das einem Käfer an den Beinchen zieht, um zu schauen was passiert.

Schlagartig öffnest du die Augen. Dein Blick ist zuerst noch unfokusiert, du weisst nicht wo du bist und was dich geweckt hat. Ein paarmal blinzelst du um deine Sicht zu klären.

Langsam erkennst du mich, fragend schaust du mich an, ehe du realisierst, dass es meine Hände sind, welche dir das Atmen erschweren.

Entsetzen steht dir ins Gesicht geschrieben, deine Augen weit aufgerissen öffnest du den Mund.

Doch ausser einem Rasseln kommt kein Laut aus deiner Kehle.

Ich drücke nun mit ganzer Kraft deine Atemzufuhr ab. Die Daumen jeweils über beziehungsweise unter deinem Kehlkopf platziert.

Du greifst verzweifelt nach meinen Handgelenken, versuchst den schraubstockartigen Griff zu lösen. Dein Körper bäumt sich auf, versucht mich abzuwerfen, doch du hast nicht mehr wirklich die Kraft dazu.

Das Rasseln deines Atems wird immer lauter, dröhnt schon beinahe in diesem stillen Raum.

Deine Fingernägel krallen sich in meine Unterarme, der Schmerz ist angenehm, spornt mich an, füttert den Teil in mir, welcher noch weiter diese Grausamkeit auskosten will.

 

Ich kann nicht sagen wie lange du schon kämpfst, ich erinnere mich nur träge daran, dass ich hin und wieder den Griff gelockert hatte, vielleicht um dir Hoffnung zu geben, welche ich im nächsten Moment wieder zerschmettert habe oder um deine Kampf noch länger geniessen zu können. Möglich das beides der Grund war.

Deine Gegenwehr wird immer schwächer, deine verzweifelten Hände liegen nur noch kraftlos auf meinen.

Draussen beginnt es langsam zu dämmern. Vögel beginne zu zwitschern und der Verkehr unten auf der Strasse lebt wieder auf.

Noch immer starrst du mich an, doch das Entsetzen und die anfänglich Wut haben schon länger der Verzweiflung Platz gemacht.

Du röchelst nur noch, die Atemzüge die ich dir gewähre werden unregelmässiger ehe du dein Bewusstsein verlierst.

Die Hände die mir vor kurzem noch die Arme zerkratzten erschlaffen und auch deine Beine unter mir verlieren alle Kraft.

Noch immer kann ich deinen Herzschlag unter meinen Fingern spüren.

Dein Atem setzt vollständig aus und doch lockere ich den Griff dieses Mal nicht.

Ein Glücksgefühl durchströmt meinen Körper mit jedem Schlag um den dein Herz kämpft. Hoffnungstragend.

Verzweifelt. Und schliesslich resignierend.

Das Pochen unter deiner Haut ebbt ab. Wird immer langsamer bis zuletzt nur noch ein einzelner Schlag ungehört verklingt wie ein Schrei.

Endlich Stille.

Falsch.

Von irgendwo dringt ein leises Ticken an mein Ohr. War das auch vorher da gewesen?

Ich weiss es nicht, dennoch zähle ich den Takt nach.

Mein Herzschlag beruhigt sich, das Glücksgefühl klingt langsam ab.

Zweiundfünfzig, dreiundfünfzig, vierundfünfzig. In Gedanken zähle ich weiter, während ich mich entspanne.

Immer noch kalte Finger streichen über deinen Hals, fahre die dunklen Male nach, welche mein Tun dort hinterlassen haben.

Langsam stehe ich auf, wie in Trance verlasse ich das Schlafzimmer in Richtung Küche.

Routiniert fülle ich Wasser und Kaffeepulver in die Maschine und stelle sie an. Es dauert nur einen Augenblick, ehe das Klackern und Zischen den Raum erfüllt.

Während der Kaffee durchläuft, begebe ich mich ins Bad.

Ein wenig blass, stelle ich fest als ich in den Spiegel schaue, von welchem mir ein ausdrucksloses Gesicht entgegenschaut.

Schnell entledige ich mich meiner Kleider und steige unter die Dusche.

Das warme Wasser vertreibt die Kälte aus meinen Glieder, wärmt mich zumindest von aussen wieder auf.

Durch das Rauschen des Wassers hindurch vernehme ich ein Klingeln.

Dein Wecker, den du ja nun nicht mehr ausschalten kannst.

Ich drehe das Wasser ab, greife mir ein Handtuch und mache mich auf den Weg in dein Schlafzimmer um den Wecker abzustellen.

Im Flur kommt mir das vielversprechende Kaffeearoma entgegen.

Kurz darauf verstummt auch dein Wecker, ich habe die Batterien herausgenommen.

Bevor ich in die Küche zurück kehre, kleide ich mich in meinem Zimmer an. Wie eigentlich jeden Tag.

Aus dem Hängeschrank über der Spüle nehme ich mir eine Tasse, stelle die Maschine ab und giesse mir einen Kaffee ein.

Verträumt betrachte ich die dunkle Flüssigkeit in der Kanne, ehe ich alles zurück an seinen Platz stelle und nehme die Tasse.

 

Wie ich hier her gekommen bin weiss ich nicht, doch nun lehne ich am Türrahmen.

Der Kaffee ist inzwischen wohl nur noch lauwarm, denn die Finger, welche die Tasse fest umschlungen halten beginnen wieder kalt zu werden.

Verträumt betrachte ich dein schlafendes Gesicht.

Mein Kopf ist leer. So angenehm leer.

Keine Sorgen, keine unsinnigen Gedankengänge nur tiefe Befriedigung.

Ich lächele, den Kopf an das helle Holz gelehnt.

Draussen ist es inzwischen hell, doch durch die Vorhänge liegt dein Zimmer in einem angenehmen Zwielicht.

Noch einmal, vielleicht auch zum ersten Mal heute, nehme ich einen Schluck vom Kaffee. Der bittere Geschmack breitet sich in meinem Mund aus.

Ich kräusle die Lippen und verziehe etwas angewidert das Gesicht.

Vielleicht hätte ich doch etwas Zucker hinein tun sollen.

Ich kehre in die Küche zurück, stelle die Tasse in die Spüle und klappe das Fenster an. Langsam verzieht sich der Geruch nach Kaffee.

Mein Blick fällt auf die Uhr in der Küche, es wird Zeit mich auf den Weg zu machen.

Im Flur schlüpfe ich leise in meine Schuhe, werfe mir eine warme Jacke über und verlassen wenige Augenblicke später die Wohnung.

 

Bist du mir böse, Raphaella?

 

 

Ertränkt

 

Zwei Jahre sind vergangen.

Kurz nach dem ich deine Leiche zusammen mit ein paar von deinen Sachen habe verschwinden lassen, hatte ich dich als vermisst gemeldet.

Deine Eltern waren hier, hatten mich über dich ausgefragt, fast dieselben Fragen gestellt wie die Polizei.

Wann du das letzte Mal zu Hause warst, ob du dich vorher irgendwie verändert hättest?

Irgendwann schienen sie verstanden zu haben, dass ich nicht wusste wo du warst.

Um ehrlich zu sein, ich weiss es wirklich nicht.

Nach dieser Nacht habe ich lange Zeit wie in Trance gehandelt.

Doch auch das liess nach einer Weile nach.

Wie ein Gewittersturm nach einem schönen Sommertag, prasselten Gedanken auf mich ein, die ich nicht haben wollte.

Alles schien sich im Kreis zu drehen, wie auf einem Karussell aus dem ich nicht aussteigen konnte.

Nur Nachts hatte ich Ruhe, immer dann, wenn ich angelehnt an den Türrahmen zu deinem Zimmer stand, den Kopf leicht schräg an das kühle Holz gelegt und eine halbvolle Tasse Kaffee in der Hand.

Diese Momente waren himmlisch.

Weisst du, inzwischen haben sie die Suche nach dir wohl aufgegeben.

Vielleicht finden sie dich, in zwei Jahren oder in zwanzig aber das spielt im Moment keine Rolle.

 

Etwa vor drei Monaten habe ich ein Mädchen getroffen. Sie war so um die achtzehn, neunzehn.

Vor dem Einkaufzentrum stand sie, sprach Passanten an, bat sie um Kleingeld, damit sie sich etwas zu essen kaufen konnte.

Ihre grossen, haselnussbraunen Augen sahen mich flehend an, als ich an ihr vorbei ging.

Sie stand jeden Tag dort, wenn ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause war.

Zerschlissene Kleidung, die ihr viel zu gross war und immer dieser Blick.

Irgendwann kamen wir ins Gespräch. Ich glaube weil ich ihr mein Mittagessen gegeben hatte, da ich es nicht wollte.

Sie stellte sich als Undine vor.

Am Wochenende wenn ich auf einer Bank im Stadtpark sass, kam sie und erzählte mir von sich. Sie war nicht auf den Kopf gefallen aber die Umstände zwangen sie dazu ihr Geld auf diesem nicht besonders leichten Weg zu verdienen.

Ich hörte zu, manchmal wenn mir danach war, erzählt ich von mir, von der Arbeit, der grossen leeren Wohnung in der niemand auf mich wartete.

Sie lächelte dann stets, sagte wie glücklich ich doch sein müsse.

Ich bin mir nicht mehr sicher aber vor einer, vielleicht auch zwei Wochen lud ich sie das erst Mal zum Kaffee ein.

Am Anfange sträubte sie sich noch etwas dagegen und doch willigte sie schlussendlich ein.

Anschliessend kam sie öfters zum Kaffee, ab und an, wenn ich ihr genug Mut zusprach auch um über Nacht zu bleiben, denn ich wusste, dass sie sonst auf der Strasse übernachten würde.

Auch heute ist sie wieder hier.

Sie sitz am Küchentisch, vor ihr ein noch halbvolle Tasse.

Undine wirkt müde, vielleicht hatte sie einen besonders anstrengenden Tag. Ich frage nicht, es geht mich ja auch nichts an.

Es hat angefangen zu regnen, also bereite ich ihr die Couch im Wohnzimmer vor, ehe ich zurück in die Küche gehe.

Sie lächelt mich an, als ich sie frage ob ich uns etwas kochen soll.

Ich nehme es als ja.

Während das Mädchen im Bad verschwindet bereite ich unser Abendessen vor, nichts grosses, damit sie sich nicht wieder geniert, nur eine Suppe.

Auch mir legt sich ein Lächeln auf die Lippen.

Die Welt scheint langsam zum Stillstand zu kommen.

Als sie aus dem Bad zurück kommt, mit einem von deinen Shirts und ihrer verwaschenen Jeans, stelle ich unsere Teller auf den Tisch.

Wir essen schweigend. Diese Stille ist angenehm, nur unterbrochen vom Klappern der Löffel auf den Teller.

Nach dem Essen bedankt sie sich und hilft mir noch beim Abwasch. Immer wieder muss sie gähnen wofür sie sich jedes Mal entschuldigt.

Ich winke nur ab und schicke sie dann zum Schlafen, während ich noch die Teller wegräume.

 

Es ist stockdunkel in der Wohnung. Nur im Badezimmer habe ich einige Teelichter angezündet.

Undine schläft tief und fest, vielleicht hätte ich ihr doch nicht ganz so viel Sanalepsi ins Essen geben sollen.

Vorsichtig hebe ich sie von der Couch. Ihr Atem geht gleichmässig und ruhig, genau wie ihr Puls.

Zusammen mit meiner Last, wobei sie doch relativ leicht ist, gehe ich ins Badezimmer und lasse sie dort in die Wanne gleiten.

Sofort saugt sich ihre Kleidung voll.

Leise und bedacht schliesse ich die Tür.

Ein altbekanntes Gefühl steigt in mir auf.

Vorfreude, Neugier.

Ich lasse meine Zunge langsam über meine trockenen Lippen fahren.

Warte ich vielleicht darauf, dass sie aufwacht?

Wer weiss. Ich ziehe meinen Pullover aus, lasse ihn im Wäschekorb verschwinden, mein Rock und die Leggins folgen wenig später.

Nur noch in Unterwäsche knie ich neben der Wanne, spiele ein wenig mit den Händen im Wasser.

Die Kerzen flackern leicht.

Undine wirkt entspannt, kein Zeichen dafür, dass sie bald aufwachen wird.

Einen Moment warte ich noch, streiche sanft mit den Fingern durch ihre langen, dunkelblonden Locken.

Einmal, Zweimal.

Ich schliesse geniessend die Augen, verkralle meine Finger in ihren Haaren und stucke sie unter.

Sofort kommt Leben in den schlanken Körper, ob es nun der Schmerz war oder der erste Atemzug Wasser, weiss ich nicht.

Sie reisst die Augen auf, rudert mit den Armen in der Luft und versucht wieder aufzutauchen.

Ich reisse sie an den Haaren hoch. Einen Moment lang spuckt sie Wasser, weiss noch nicht genau wie ihr geschieht und saugt gierig die Luft in ihre Lungen, ehe ich sie wieder zurück ins Wasser drücke.

Verzweifelt strampelt sie, versucht sich aus meinem Griff zu befreien.

Doch ihre Bewegungen sind noch etwas unkontrolliert, eine Nebenwirkung des verabreichten Medikaments¹.

Es dauert nicht lange bis sie das halbe Bad unter Wasser gesetzt hat, auch ich bleibe nicht verschont.

Ich lächle leicht. Nochmals erlaube ich ihr aufzutauchen, ihre Lungen mit dem so dringend benötigten Sauerstoff zu füllen.

Sie versucht zu schreien, doch ihr Kopf ist bereits wieder untergetaucht ehe auch nur ein Laut ihre Kehle verlassen kann.

Es fühlt sich herrlich an.

Ihre Finger finden meine Hände, wollen den Griff lösen, erfolglos.

Sie kratzt, doch das stört mich nicht.

Ihr Kampf wird immer verzweifelter, ständig steigen ihr Luftblasen aus Nase und Mund.

Einmal noch gönne ich es ihr das Wasser aus den Lungen zu husten und diese mit neuer Luft zu füllen.

Ihre Augen treffen meine. Wieder dieser flehende Blick aus den braunen Augen, gemischt mit purer Verzweiflung.

Mein Gesicht ausdruckslos, doch in meinem Inneren rollt eine Welle der Glückseligkeit heran.

Ich drücke ihren Kopf zurück ins Wasser, bestimmter und mit grausamer Endgültigkeit.

 

Nach etwas mehr als einer Minute werden ihre Bewegungen schwächer, langsamer und sind bald nur noch ein leichtes Zucken.

Ihre Augen schauen mich immer noch an, während ein weiterer Schwall Luftblasen aus ihrer Nase entrinnt.

Ich bin inzwischen auch nass bis auf die Knochen, doch mein Griff löst sich nicht.

Eine Hand nehme ich aus ihrem Haar, lasse sie langsam zu ihrem Hals hinab wandern um ihren Puls zu ertasten.

Das Herz schlägt noch. Zuerst kräftig, wild entschlossen weiter das sauerstoffarme Blut durch den Körper zu pumpen.

Mit jeder Sekunde die verstreicht wird sein Aufbegehren schwächer, unregelmässiger.

Mit einem letzten dumpfen Schlag unter der Haut verstummt es endgültig.

Das Plätschern in der Wanne hört auf, während ich reglos noch einem Augenblick in die weit aufgerissenen Augen schaue.

Langsam löse ich meine Hand von ihrem Hals, entwirre meine Finger aus ihren nassen Haare.

Wie mechanisch erhebe ich mich, gehe zum Badezimmerschränkchen und suche nach dem Maniküre-Set.

Mit der Nagelschere kehre ich zur Wanne zurück, setze mich auf den Rand und beginne vorsichtig aber gründlich ihre Nägel zu schneiden und alles was sich möglicher Weise darunter

Befindet zu entfernen.

 

Die Kerzen sind in der Zwischenzeit erloschen, ich gehe in die Küche und entsorge, die abgeschnittenen Fingernägel im Mülleimer, ehe ich mir einen Kaffee koche.

Während die Maschine ihre Arbeit verrichtet gehe ich in mein Zimmer um mich anzuziehen.

Danach räume ich das Bett im Wohnzimmer weg.

Draussen ist es noch dunkel und es herrscht eine angenehme Ruhe, sowohl in der Wohnung als auch in meinem Inneren.

Entspannt schenke ich mir einen Kaffee ein, gebe noch einen Löffel Zucker dazu und rühre gedankenverloren in der Tasse.

Alles scheint wie in eine Schicht Watte gepackt zu sein.

Bis zum Morgen stehe ich angelehnt an den Rahmen der Badezimmertür.

Präge mir Undines Gesicht ein, ebenso wie die Strähnen ihres Haares welche scheinbar schwerelos im Wasser schweben, vor allem aber den Ausdruck in ihren nun glanzlosen Augen.

 

Der Kaffee ist kalt als ich den letzten Schluck trinke. Genauso kalt sind auch meine Hände.

Ich stelle die Tasse in der Küche ab, wasche mir das Gesicht in der Spüle und reibe es an dem Arm meines Pullovers trocken.

Im Flur suche ich meine geschlossenen Halbschuhe aus dem Schrank und ziehe meine Jacke an, ehe ich mir meine Handtasche und einen Regenschirm greife.

Noch einmal werfe ich einen Blick über meine Schulter in Richtung Badezimmer, atme tief ein, das Gefühl der Leere voll auskostend, ehe ich die Wohnung verlasse um zur Arbeit zu gehen.

 

 

Undine, bist du mir Böse?

 

 

 

 

 

¹Sanalepsi: Ein Mittel welches bei Einschlafstörrungen und allergischem Schnupfen verwendet wird. Es begünstigt das Einschlafen in dem es die Körperfunktionen herunterfährt.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es zu leichten Koordinationsstörrungen und einem stark verzögerten Reaktionsvermögen kommt. Weshalb man auch nach Einnahme keine Fahrzeuge oder Maschinen bedienen sollte.

Vergipst

Seit man die Leiche des Strassenmädchens aus dem Teich im Park gezogen hat ist ein Jahr vergangen.

Die Polizei sucht noch bis heute den Täter.

Nach Undine hielt meine Ruhe ungefähr zwei Monate, ehe sich das Chaos wieder in meine Gedanken stahl und das ewige Karussell in Bewegung setzte.

Zeitweise hatte ich das Gefühl den Verstand zu verlieren, wenn ich zu viel darüber nach dachte und so ertränkte ich mich in Arbeit.

Vor etwa einem Monat trat mein Chef an mich heran und sagte mir ich solle doch endlich meinen Urlaub einreichen, da es sonst Probleme mit der Verwaltung geben könnte

Deswegen habe ich auch Ferien genommen und bin zum Haus meiner Eltern gefahren.

Sie hatten gehört ich würde Urlaub nehmen und baten mich darum mich um Haus und Garten zu kümmern, während sie endlich ihren Kreuzfahrt einlösen wollten die sie zu Weihnachten vom Rest der Familie geschenkt bekommen hatten.

Also hatte ich meine Sachen am Montagmorgen gepackt und war zu ihnen an den Stadtrand gefahren.

Nach einem kurzen „Hallo“ und einer Liste mit Dingen auf die ich achten sollte, waren sie auch schon weg. Ich verstaute also meine Sachen in meinem früheren Jugendzimmer und setzte mich mit einem Buch in den Wintergarten.

Draussen schien zwar die Sonne doch das täuschte nur mässig über die ungemütlichen drei Grad hinweg, welche herrschten.

Vertieft in mein Buch hatte ich sie nicht kommen sehen. Umso mehr erschrak ich, als es plötzlich gegen die Scheibe klopfte.

Ich erkannte sie nicht gleich, doch als ich näher trat, um die Tür nach draussen zu öffnen fiel es mir wieder ein.

Sie war eine Nachbarin meiner Eltern, welche früher öfters zum Kaffee herüber gekommen war.

Einige hielten sie für ein wenig verschroben.

Soweit ich wusste lebte sie alleine in ihrem Haus nebenan, bekam nur selten Besuch und ging noch seltener vor die Tür. Was sie brauchte liess sie sich mit einem

Lieferanten kommen und so sah man sie fast nie.

Umso erstaunlicher war es, dass sie ausgerechnet heute vor die Tür ging.

Lächelnd fragte ich, was sie denn wolle.

Sie bat mich um eine Tasse Mehl, da ihres wohl ausgegangen war und sie für ihr Abendessen noch ein wenig benötige.

Daraufhin bat ich sie herein, während ich kurz in die Küche verschwand um das gewünschte zu holen.

Da meine Mutter allerdings nur eine ungeöffnete Packung hatte, reichte ich diese der älteren Dame.

Sie bedankte sich überschwänglich und versprach es zurück zubringen sobald ihr der Lieferant morgen ihren Einkauf brachte.

Höflich winkte ich ab und wünschte ihr einen schönen Abend, als sie ging.
 

Als ich am nächsten Morgen nach draussen ging um die Post aus dem Briefkasten zu holen kam sie mir entgegen, lächelnd und mit einem Päckchen Mehl in der Hand.

Natürlich bedankte sie sich noch gefühlte zweitausend Mal, doch ich fand es nicht so schlimm.

Irma, oder Irmeli wie sie von allen genannt wurde verschwand kurz darauf wieder in ihrem Haus, während ich nun endlich die Post holen konnte.

Gut, ich weiss nicht mehr genau warum aber am Donnerstagmorgen stand sie wieder am Wintergarten, während ich gerade beim Frühstück sass.

Sie wollte wissen, wann mein Vater wieder käme, da sie vor einiger Zeit einmal darüber gesprochen hatten, das er ihr im Korridor den Durchbruch vergipsen wollte, welcher im Frühjahr gemacht worden war, damit man ihr eine Telefonbuchse ins Wohnzimmer legen konnte. Sie war ja auch nicht mehr die schnellste und ehe sie vom Wohnzimmer über den langen Flur bis in die Küche gelaufen war, hatten die Teilnehmer meist schon wieder aufgelegt.

Da ich wusste dass mein Vater noch etwa zwei Wochen weg sein würde und Angst hatte, dass die Dame bis dahin vergessen hatte worum es ging und ihm die Tür vor der Nase zuknallen würde, bot ich ihr an, in den Baumarkt zu fahren und die Arbeiten zu erledigen.

Erfreut willigte sie ein und so machte ich mich kurz darauf auf den Weg.
 

Eigentlich will ich gerade anfangen den Gips anzurühren, als Irmeli mir einen Kaffee anbietet.

Dazu kann ich kaum nein sagen, denn das wäre nicht die feine englische Art.

Zusammen gehen wir in die Küche, wo sie mir ein Tablett in die Hand drückt, ehe sie einen Küchenschrank nach dem anderen öffnet und Tassen heraus sucht.

Die Küche ist relativ schlicht eingerichtet aber sehr funktionell.

Auf dem kleinen Esstisch neben dem Fenster liegen einige Medikamente und ein Inhalator.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Endlich hat sie gefunden wonach sie gesucht hatte, stellt die Tassen auf das Tablett und bedeutet mir doch schon ins Wohnzimmer zu gehen, während sie den Kaffee noch in eine Porzellankanne giesst.

Ich tue was mir auf getragen wurde und bringe alles ins Wohnzimmer.

Es dauert nicht lange bis ich die schweren Schritte den Flur entlang kommen höre.

Als sie endlich ankommt, schnauft sie leise vor sich hin und lässt sich auf das Sofa plumpsen, gerade so als hätte sie keine Kraft mehr in den Beinen.

Mit einem Lächeln nehme ich auf dem Sessel ihr gegenüber Platz und schenke erst ihr und dann mir ein, frage ob sie noch Zucker wolle.

Sie lehnt dankend ab, schüttelt lächelnd den Kopf, wobei ihre grauen Haare hin und her wippen und sich die Fältchen um ihre hellen, blauen Augen noch ein wenig vertiefen.

Ich schätze sie um die siebzig. Genau weiss ich es nicht.

Kurz herrscht Schweigen zwischen uns, während Irma wieder zu Luft kommt und wir uns beide an dem kräftigen Kaffee gütlich tun.

Bald fängt sie an zu erzählen, wie ihr Mann damals das Haus gekauft hatte, von ihrem Sohn der irgendwann wegzog um selber eine Familie zu gründen, über den Tod ihres geliebten Mannes bis hin zu ihrem Gebrechen, welches sich in den letzten Jahren verschlimmert hatte.

Ich höre aufmerksam zu, nicke hin und wieder.

Ehe wir uns versehen ist es draussen bereits dunkel geworden und ich meine dass es nun an der Zeit wäre mit der Arbeit zu beginnen.

Sie nickt und fragt ob ich ihr noch die Fernbedienung reichen könne.

Natürlich habe ich keine Einwände, frage sogar, ob ich das Geschirr noch abräumen solle. Dankend nimmt sie das Angebot an.

So verschwinde ich schnell mit dem Tablett in die Küche.
 

Ich weiss noch wie ich mir die Blister Packung mit dem Medikament für den Inhalator nahm und nun eine Kapsel nach der anderen heraus drücke. Kurz suche ich einen Messbecher und fülle ihn mit Wasser.

Dann kehre mit den Kapseln und dem Wasser in den Flur zurück um den Gips an zumischen.

Während er eindickt öffne ich alle Kapseln, es ist relativ einfach, da sie sich auseinander ziehen lassen. Den Inhalt leere ich in den Messbecher.

Vorsichtig schaue ich ins Wohnzimmer, wo die alte Dame noch immer auf dem Sofa sitz und fernsieht.

Etwa sechzehn leere Kapseln liegen vor mir auf der Zeitung, einen Moment zögere ich noch.

Denke darüber nach ob es ausreichen wird.

Kurz schüttle ich den Kopf und fange an die durchsichtigen Hüllen mit Gipspulver zu füllen.

Wieder läuft mir ein leichter Schauer über den Rücken. Eigentlich ist der angerührte Gips in der Zwischenzeit genug eingedickt, doch ich rühre nur lustlos darin rum, Fahre mit dem Spatel ein paar Mal kratzend über die Wand, den Kanal mit dem Telefonkabel hinab und dann langsam wieder hinauf.

Im Nebenraum ertönt ein kurzes Husten.

Ich sortiere das Medikament wieder zurück in die Blister Packung, nehme den Messbecher und gehe ihn in der Küche gründlich ausspüle. Wie zufällig ziehe ich dabei den Stecker für das Telefon im Wohnzimmer heraus, ich habe noch meine Handschuhe an, und lege die Kapseln zurück an ihren Platz.

Wieder ertönt ein Husten aus dem Wohnzimmer, diesmal heftiger und länger.

So leise wie möglich gehe ich in den Flur zurück, knie mich vor das Loch in der Wand und schabe mit dem Spatel über das Gestein, gerade fest genug, damit man es nebenan auch hört.
 

Es vergeht eine weitere halbe Stunde.

Um mich herum wird alles um ein vielfaches lauter, das Ticken der Wanduhr über der Küchentür, die Stimmen aus dem Fernseher.

Darunter mischt sich hin und wieder der rasselnde Atem der alten Dame.

Es erinnert mich an dich, wie du nach Atem gerungen hast, beinahe werde ich nostalgisch.

In meinem Kopf steigen die Bilder aus dieser Nacht auf.

Die Zeit vergeht langsamer.

Sechzig, einundsechzig, zweiundsechzig.

Lautlos zähle ich die Sekunden mit.

Meine Finger werden trotz der Handschuhe kalt, die Lippen beginnen auszutrocknen und fangen an zu spannen.

Unbewusst lecke ich darüber um sie zu befeuchten.

Fast fühle ich mich wie ein kleines Kind an Heilig Abend.

Vorfreude, Ungeduld, Neugier und auch ein wenig angespannt.

Leise lege ich den Spatel zur Seite, fahre mit dem Finger über den Gips in der Schüssel. Er ist angenehm warm.

Nochmals erklingt ein starkes Husten von nebenan, scheint gar nicht mehr aufhören zu wollen.

Ich erhebe mich leichtfüssig und schaue ins Wohnzimmer.

Irma sitz noch immer auf ihrem Platz, leicht zusammengekrümmt durch den Hustenanfall, eine Hand vor dem Mund, die andere auf die Brust gepresst.

Fragend sehe ich sie an, warte bis der Husten etwas abklingt.

Ob ich ihr helfen könne, frage ich sie zurückhaltend als sie sich soweit gefangen hat.

Sie nickt, bittet mich ihr den Inhalator zu bringen, mit den Kapseln aus der blauen Packung.

Sofort eile ich in die Küche, greife mir das etwa faustgrosse Gerät und fülle zwei der präparierten Kapseln ein. Anschliessend bringe ich ihn zu Irma.
 

Mit einem milden Lächeln reiche ich der älteren Dame das medizinische Hilfsmittel. Sie presst ein leises „Danke“ hervor.

Sie drückt den Knopf an der Seite, legt den Inhalator an ihre Lippen und atmet tief ein.

Erleichtert setzt sie ihn wieder ab. Erneutes Husten schüttelt den gebrechlichen Körper, während sich das feine Pulver in ihren Lungen verteilte.

Hilflos sieht sie mich an, die Arme vor Schmerzen um den Oberkörper geschlungen.

Ob ich ihr nicht noch eine Kapsel bringen könnte.

Ich nicke nur, hole die leeren Hüllen aus dem Inhalator und gehe in die Küche um eine neue zu holen.

Ruhe breitet sich in mir aus, wischt alles andere beiseite. Mein Atem ist ruhig, gleichmässig, nur mein Puls leicht beschleunigt.

Mit dem Medikament kehre ich zurück, nehme der Frau den Inhalator ab und lege die Kapsel ein.

Meine kühlen Finger streifen über ihrer zitternde Hand als ich ihn wieder zurückgebe.

Wieder setzt sie ihn an und saugt das feine Pulver in ihre Lungen. Einen Moment lässt der Husten tatsächlich nach, weshalb sie sich erhebt um das Gerät wieder in die Küche zu bringen.

Gelassen beobachte ich jeden ihrer Schritte in Richtung des Flures. In Gedanken zähle ich langsam von fünf auf null.

Es passt nicht ganz. Noch ehe ich bei eins angekommen bin, wird sie erneut von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt. Ihre Haltung verkrampft, ihr Körper krümmt sich zusammen.

Gleich darauf geben ihre Beine nach und sie sackt zusammen.

Wie in Zeitlupe, erhebe ich mich und fange den Sturz der Frau im letzten Augenblick ab, drehe sie auf den Rücken, damit sie besser Luft bekommt.

Irgendwie schafft sie es mir zu sagen das ich im Krankenhaus anrufen soll. Sanft lege ich sie auf dem Boden ab, erkläre ihr, dass ich das Telefon ausgesteckt hatte, damit ich mir beim Vergipsen nicht ausversehen einen Schlag bekomme und gehe in die Küche. Natürlich war das eine Lüge. Durch die Telefonleitung fliesst kein Strom aber sie scheint mir zu glauben, protestiert nicht einmal. Vermutlich auch weil eine neue Hustenwelle sie trifft.

Ich nehme den Hörer ab und warte einen Moment. Mit leicht erregter Stimme spreche ich mit dem imaginären Teilnehmer. Erkläre, dass sie schnell einen Krankenwagen schicken sollen, nenne noch die Adresse und bejahe zwei nie gestellte Fragen. Dann lege ich auf, nehme die Blister Packung und kehre zu Irma zurück, welche noch immer um Luft kämpft.

Beruhigend rede ich auf sie ein, erkläre, dass der Arzt gleich da wäre und fülle eine neue Kapsel in den Inhalator. Vorsichtig halte ich ihn ihr an die Lippen, lasse sie weiter das vermeintlich helfende Pulver atmen.
 

Wieder hört der Husten für einen Moment auf, nicht für lang. Der Husten wird immer heftiger, scheinbar beginnt das Pulver nun langsam mit der Feuchtigkeit der Schleimhäute zu reagieren.

Fortwährend fülle ich das kleine Gerät mit neuen Kapsel, inzwischen hat sie bereit acht oder neun Kapseln inhaliert.

Jedes Mal warte ich bis der Husten wieder einsetzt bevor ich ihr die nächste verabreiche.

Langsam scheint sie zu merken, dass ihr das Pulver nicht gut tut, versucht das Hilfsmittel weg zu schieben als ich es wieder ansetzte. Sie beginnt durch die Nase zu atmen.

Ein Lächeln legt sich erneut auf meine Lippen. Meine Hand, welche eben noch ihren Kopf in einer angenehmen Position gehalten hat, streichelt sanft über ihre Wange, wandert langsam zu ihrer Nase um diese zu zuhalten und sie zu zwingen durch den Mund zu atmen.

Zwischen dem Husten kommt sie nicht dazu zu schreien und so drücke ich ihr den Inhalator wieder an den Mund, diesmal nicht mehr vorsichtig und zuvorkommend.

Mit den Händen versucht sie mich davon abzuhalten aber ich habe bei Weitem mehr Kraft als sie.
 

Ihr Körper bäumt sich auf, erschwert es mir ihr weiterhin eine Kapsel nach der anderen zu verabreichen.

Es dauert etwas, bis ich ihr endlich auch die letzte Kapsel verabreichen kann

Noch immer wirft sie sich hustend und röchelnd hin und her, versucht von mir weg zu kommen.

Ihr Körper zuckt unter immer neuen Krämpfen, während ihre Lungen versuchen sich von dem Pulver zu reinigen.

Ruhig sitze ich daneben. Sie schreit nicht, japst nur hilflos nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Langsam beginnen ihre Lippen blau anzulaufen, sie würgt noch immer, doch es hilft nichts.

Neugierig beobachte ich jede Bewegung, jeden Atemzug und die Veränderung ihrer Hautfarbe.
 

Eine weitere Minute verstreicht, endlos und im selben Moment viel zu kurz. Sie verdreht die Augen und wird ohnmächtig, ihr Gehirn verträgt den Sauerstoffmangel nicht und schaltet auf Standby.

Vorsichtig beuge ich mich zu ihr, lege ihr meine Hand sanft an die Halsschlagader.

Der Puls rast, genauso wie ihre Atmung noch einen Augenblick zuvor. Es dauert nicht lange, ehe er langsamer wird.

Dumpf fühle ich das Pochen unter der Haut, beinahe meine ich jeden Schlag zu hören, während mein eigenes Blut in meinen Ohren rauscht.

Die Schläge des Herzens werden immer langsamer, der Atem hat bereits ausgesetzt. Die Lunge ihren sinnlosen Kampf um Sauerstoff aufgegeben.

Wie es sich wohl angefühlt hat, frage ich mich. Schaue auf den sterbenden Körper unter mir. Noch immer sind die Gesichtszüge verkrampft.

Nun verebbt auch der letzte dumpfe Schlag, sinkt zurück in den Körper, wie ein Blatt, welches langsam zu Boden gleitet.

Der Lärm verklingt. Nur das Ticken der Uhr im Flur durchbricht noch immer die Stille.

Eine Zeit bleibe ich noch sitzen, geniesse die Ruhe und den Frieden, ehe ich mich erhebe.

Leise packe ich die Sachen im Flur zusammen, spüle das Geschirr in der Küche und stecke das Telefon wieder ein.

Zurück im Wohnzimmer hocke ich mich neben den langsam kühler werdenden Körper.

Mein Blick gleitet über die bläulich angelaufenen Lippen, die Hände die bis eben noch verkrampft waren.
 

Und irgendwo in meinem Kopf höre ich eine leise, sanfte Stimme: „Bist du mir böse, Irma?“
 


 

__

Verbrannt

Es hat geregnet, als ich mit Irma damals mitten in der Nacht in den Wald gefahren bin. Sie war in die Abdeckfolie gewickelt, welche ich gekauft hatte um den Boden beim Gipsen nicht zu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen.

In ihrer rechten Schürzentasche steckte ihr Hausschlüssel. Natürlich hatte ich vorbildlich abgeschlossen.

Bis heute wurde sie noch nicht gefunden, inzwischen ist es Frühjahr geworden und ich frage mich ob sie es wohl bequem hat.

Wie so oft haben die Nachbarn nichts gesehen oder gehört und auch ich konnte der Polizei leider keine Hinweise geben ausser der Tatsache, dass ich sie das letzte Mal sah, als sie das geliehene Mehl zurück brachte. Ich würde mich natürlich melden, wenn mir etwas einfallen würde.

Leere Floskeln.

Die Ruhe ist angenehm. Fast schon erholsam, doch leider nur allzu schnell wieder vorbei.

Wieder hat das Gedankenkarussell angefangen sich zu drehen. Schneller als zuvor. Intensiver, grotesker.

Sag macht es dir Spass mich so zu sehen.
 

Irgendwann muss ich wohl aufgestanden sein, denn anders kann ich mir nicht erklären, wie ich zu dieser verfallenen Ruine gekommen bin.

Früher haben wir hier oft gespielt, du und ich. Auch damals war das Gebäude schon lange verlassen.

Die leeren Fenster starren in die Dunkelheit.

Lange liefern wir uns ein Blickduell, bevor mich abwende und nach Hause zurückkehre.

Drei Nächte lange wiederhole ich diesen Schlafwandel. Einmal quer durch die Stadt, geführt vom Flüstern ihrer Stimme.

Ich meine mich zu erinnern, in einem Lüftungsschacht tief im Inneren dein Gesicht gesehen zu haben. Anklagend.

Auf der Arbeit kann ich mich kaum konzentrieren und die langen Nächte fordern ihren Tribut.

Die Stimmen werden lauter, das Flüstern zum Sturm.

Ob ich krank sei, will meine Kollegin wissen.

Ich lächle sie an und schüttele den Kopf, rede mich damit heraus das vorm Haus eine Baustelle ist, die mir den Schlaf raubt.

Sie weiss ja nicht wo ich wohne.

Die Woche vergeht, so wie alle anderen auch.
 

Es ist Samstagmorgen als es plötzlich still wird. Nervös gehe ich in die Küche.

Du sitzt am Tisch und liest Zeitung, fragst ob ich Kaffee will. Natürlich verneine ich.

Dann bist du plötzlich nicht mehr da. Dafür höre ich das Ticken deines Weckers.

Jeder Ton ist wie ein Paukenschlag.

Ich ziehe mich an und nehme das Auto.

Die Fahrt geht an den Stadtrand, vorbei am Stadtpark mit dem Teich, Undine winkt mir lächelnd vom Ufer entgegen. Dann am Waldrand entlang, auch Irma winkt und lächelt mir freundlich zu.

Endlich parke ich das Auto vor der Ruine.

Noch immer starren die Fenster mir blicklos entgegen. Aber du bist nicht da.

Mit einem Seufzen fahre ich mir durch die Haare und steige schliesslich aus.

Der Weg führt durch verdorrte Brombeersträucher und halbtote Efeuranken. Die Natur knabbert an der Fassade, dringt einige Meter in den Betonkoloss und hört dann abrupt auf.

An einigen Stellen ist das Dach eingebrochen und aus manchen Wänden quillt die Dämmung.

Es riecht modrig, nach abgestanden Wasser, feuchtem Gestein und schimmelndem Holz.

Hier und da haben sich halbstarke Künstler darum bemüht der Trostlosigkeit Einhalt zu gebieten und ihre Werke für die Nachwelt verewigt.

Ich folge dem kurzen Gang der tiefer in die Ruine führt. Eine tote Krähe, halbverwest liegt im nächsten Raum auf dem Boden.

Hier ist das Dach noch intakt, auch wenn der Raum leise ächzt.

Es ist dunkel. Das milchige Fenster an Ende des Raumes weigert sich den Kampf gegen den Zahn der Zeit aufzugeben.

Müssig überlege ich zum Auto zurück zugehen.

Also kehre ich um. Ja ein Picknick wäre nett.

Mit dem Korb und der Decke ist es schwieriger durch die Sträucher zu gelangen. Das bringt mich aber nicht davon ab.

Ich breite die Decke neben dem Vogel aus und entzünde die alte Öllampe, die wir damals schon immer hier her mitgenommen hatten.

Mit einem Lächeln verzehre ich die mitgebrachte Mahlzeit. Du weigerst dich noch immer mit mir zu reden.

Mach dir nichts daraus, ich werde dir heute Gesellschaft leisten.

Abwartend schaue ich zur Decke, dort, wo der Luftschacht mit einem Gitter verschlossen ist.

Stunden vergehen in denen wir uns anschweigen. Du musst wirklich sauer auf mich sein, weil ich dich so lange nicht besucht habe.

Es dämmert bereits, als ich die Holzpaletten die an der Wand lehnen übereinander stapele und mit dem Taschenmesser das Gitter löse.

Kurz muss ich würgen als mir der Gestank entgegen kommt und ich steige von dem Holzkonstrukt hinunter. Zumindest bis der Husten abklingt.

Mit der Lampe in der Hand komme ich zurück.

Du hast dein Gesicht abgewendet und ich frage dich ob du am Schmollen bist.

Eine Zeit lang betrachte ich dich besorgt, du hattest schliesslich schon immer ein wenig Angst vor engen Räumen und ich überlege ob es nicht netter wäre, wenn ich dich nach draussen bringe.

Zu gern würde ich dir noch einmal meine Hände um den Hals legen, dir langsam aber stetig die Luft abdrücken.

Bei der Vorstellung schliesse ich genüsslich die Augen.

Als ich sie wieder öffne siehst du mich an, dein schönes Gesicht durch die Verwesung völlig entstellt hast du meinen Arm gepackt.

Erschrocken will ich ihn zurück ziehen.

Für einen Augenblick schwanke ich, denn du hast unverhofft losgelassen. Unter mir knarzt das trockene, alte Holz.

Ich falle. Eine Sekunde oder ein Leben, ich weiss es nicht. Erst der Schmerz der meinen Rücken durchzuckt wie ein Blitz beschleunigt die Zeit wieder.

Japsend versuche ich mich auf zu setzen, doch mein Körper weigert sich.

Ich atme flacher, damit mein Brustkorb sich weniger bewegt und trotzdem wird für einen Moment alles Schwarz.

Das erste was ich sehe, als ich zu mir komme, sind deine Augen, die mich besorgt ansehen.

Ich forme ein lautloses „Hilf mir“ aber du schüttelst nur den Kopf.

Irgendwie ist es sehr viel wärmer hier als vorher und deutlich heller. Zum Geruch der Verwesung hat sich der von Rauch gemischt.

Panisch wende ich den Blick von dir ab, nur um bestätigt zu bekommen, was ich schon ahnte.

Die Paletten stehen in Flammen und an einer Stelle leckt das Feuer über die alte Decke des Raumes.

Zitternd vor Schmerz versuche ich mich auf die Seite zu rollen. Es kostet mich unendlich viel Kraft, bis ich endlich auf dem Bauch liege.

Hilflos ziehe ich mich mit den Armen in Richtung der Tür. Ich höre dein Lachen als das Fenster unter der Hitze springt, die Flammen mit neuem Sauerstoff versorgt und die Ranken ebenfalls ein Raub des Feuers werden.

Der Qualm wird dicker und ich beginne gequält zu husten. Jede Bewegung schmerzt wie ein Peitschenhieb.

Tränen steigen mir in die Augen und meine Sicht verschwimmt.

Kurz sehe ich Undine im Gang bevor der Balken brennend den Ausweg versperrt.

Ich erreiche die Wand und lehne mich matt mit der Schulter dagegen. Es tut weniger weh als zu liegen aber der Husten wird schlimmer.

Mit jedem Atemzug gelangt mehr Rauch in meine Lunge.

Jetzt lacht ihr alle drei über mich.

Dein Lächeln ist wunderschön, als du deine Hände um meine Kehle legst und zu drückst.

Röchelnd versuche ich weiter Luft zu bekommen. Alles ist so unendlich heiss.

Immer wieder brechen Teile der Deckenverkleidung ein, stürzen entflammt hinab, doch euch drei stört es nicht.

Panisch lege ich meine Hände auf deine und spüre den schnellen Herzschlag.

Das Tosen wird lautlos, eure Gesichter verschmelzen, verzerren sich.

Schwarze Punkte tanzen durch mein Sichtfeld und stetig drücken die Hände weiter zu.

Mein Lunge hat aufgegeben sich gegen den Rauch zu wehren, dafür habe ich angefangen zu hyperventilieren.

Noch immer spüre ich den flachen Puls unter meiner Handfläche, während die Dunkelheit aus den Ecken immer näher kommt und meine Sicht weiter verschlingt.

Ich will noch einmal dein Lächeln sehe und hebe erschöpft den Kopf.

Aber die Person die sich über mich gebeugt hat bist nicht du.

Neugierig und mit unschuldig grauen Augen sieht sie mir entgegen. Das gleiche Gesicht, die gleichen rot-blonden Haare.

Und dann verschwindet alles im Nichts, nur das stetige Ticken deines Weckers und der verzweifelte, abebbende Herzschlag unter meinen Fingern, während die Schmerzen in meinem Rücken und meiner Brust langsam verschwinden.
 

Achtundneunzig, neunundneunzig, hundert.

Ich falle.
 

Aus weiter Ferne dringt eine Stimme zu mir vor.
 

Bist du mir böse, Micaela?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Uff, endlich geschafft. Ich dachte schon, ich werde Micaela nie los. Sie hat sich sehr konsequent fast zwei Jahre geweigert, sich tot schreiben zu lassen. Aber vielleicht lag es auch daran, dass ich nach den ersten drei Kapiteln aus meiner Schreibphase gerissen worden war und partout nicht mehr in die Story hinein gefunden habe. Komplett anzeigen

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