Einen letzten Atemzug von Lyrael_White ================================================================================ Kapitel 2: Ertränkt -------------------   Zwei Jahre sind vergangen. Kurz nach dem ich deine Leiche zusammen mit ein paar von deinen Sachen habe verschwinden lassen, hatte ich dich als vermisst gemeldet. Deine Eltern waren hier, hatten mich über dich ausgefragt, fast dieselben Fragen gestellt wie die Polizei. Wann du das letzte Mal zu Hause warst, ob du dich vorher irgendwie verändert hättest? Irgendwann schienen sie verstanden zu haben, dass ich nicht wusste wo du warst. Um ehrlich zu sein, ich weiss es wirklich nicht. Nach dieser Nacht habe ich lange Zeit wie in Trance gehandelt. Doch auch das liess nach einer Weile nach. Wie ein Gewittersturm nach einem schönen Sommertag, prasselten Gedanken auf mich ein, die ich nicht haben wollte. Alles schien sich im Kreis zu drehen, wie auf einem Karussell aus dem ich nicht aussteigen konnte. Nur Nachts hatte ich Ruhe, immer dann, wenn ich angelehnt an den Türrahmen zu deinem Zimmer stand, den Kopf leicht schräg an das kühle Holz gelegt und eine halbvolle Tasse Kaffee in der Hand. Diese Momente waren himmlisch. Weisst du, inzwischen haben sie die Suche nach dir wohl aufgegeben. Vielleicht finden sie dich, in zwei Jahren oder in zwanzig aber das spielt im Moment keine Rolle.   Etwa vor drei Monaten habe ich ein Mädchen getroffen. Sie war so um die achtzehn, neunzehn. Vor dem Einkaufzentrum stand sie, sprach Passanten an, bat sie um Kleingeld, damit sie sich etwas zu essen kaufen konnte. Ihre grossen, haselnussbraunen Augen sahen mich flehend an, als ich an ihr vorbei ging. Sie stand jeden Tag dort, wenn ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause war. Zerschlissene Kleidung, die ihr viel zu gross war und immer dieser Blick. Irgendwann kamen wir ins Gespräch. Ich glaube weil ich ihr mein Mittagessen gegeben hatte, da ich es nicht wollte. Sie stellte sich als Undine vor. Am Wochenende wenn ich auf einer Bank im Stadtpark sass, kam sie und erzählte mir von sich. Sie war nicht auf den Kopf gefallen aber die Umstände zwangen sie dazu ihr Geld auf diesem nicht besonders leichten Weg zu verdienen. Ich hörte zu, manchmal wenn mir danach war, erzählt ich von mir, von der Arbeit, der grossen leeren Wohnung in der niemand auf mich wartete. Sie lächelte dann stets, sagte wie glücklich ich doch sein müsse. Ich bin mir nicht mehr sicher aber vor einer, vielleicht auch zwei Wochen lud ich sie das erst Mal zum Kaffee ein. Am Anfange sträubte sie sich noch etwas dagegen und doch willigte sie schlussendlich ein. Anschliessend kam sie öfters zum Kaffee, ab und an, wenn ich ihr genug Mut zusprach auch um über Nacht zu bleiben, denn ich wusste, dass sie sonst auf der Strasse übernachten würde. Auch heute ist sie wieder hier. Sie sitz am Küchentisch, vor ihr ein noch halbvolle Tasse. Undine wirkt müde, vielleicht hatte sie einen besonders anstrengenden Tag. Ich frage nicht, es geht mich ja auch nichts an. Es hat angefangen zu regnen, also bereite ich ihr die Couch im Wohnzimmer vor, ehe ich zurück in die Küche gehe. Sie lächelt mich an, als ich sie frage ob ich uns etwas kochen soll. Ich nehme es als ja. Während das Mädchen im Bad verschwindet bereite ich unser Abendessen vor, nichts grosses, damit sie sich nicht wieder geniert, nur eine Suppe. Auch mir legt sich ein Lächeln auf die Lippen. Die Welt scheint langsam zum Stillstand zu kommen. Als sie aus dem Bad zurück kommt, mit einem von deinen Shirts und ihrer verwaschenen Jeans, stelle ich unsere Teller auf den Tisch. Wir essen schweigend. Diese Stille ist angenehm, nur unterbrochen vom Klappern der Löffel auf den Teller. Nach dem Essen bedankt sie sich und hilft mir noch beim Abwasch. Immer wieder muss sie gähnen wofür sie sich jedes Mal entschuldigt. Ich winke nur ab und schicke sie dann zum Schlafen, während ich noch die Teller wegräume.   Es ist stockdunkel in der Wohnung. Nur im Badezimmer habe ich einige Teelichter angezündet. Undine schläft tief und fest, vielleicht hätte ich ihr doch nicht ganz so viel Sanalepsi ins Essen geben sollen. Vorsichtig hebe ich sie von der Couch. Ihr Atem geht gleichmässig und ruhig, genau wie ihr Puls. Zusammen mit meiner Last, wobei sie doch relativ leicht ist, gehe ich ins Badezimmer und lasse sie dort in die Wanne gleiten. Sofort saugt sich ihre Kleidung voll. Leise und bedacht schliesse ich die Tür. Ein altbekanntes Gefühl steigt in mir auf. Vorfreude, Neugier. Ich lasse meine Zunge langsam über meine trockenen Lippen fahren. Warte ich vielleicht darauf, dass sie aufwacht? Wer weiss. Ich ziehe meinen Pullover aus, lasse ihn im Wäschekorb verschwinden, mein Rock und die Leggins folgen wenig später. Nur noch in Unterwäsche knie ich neben der Wanne, spiele ein wenig mit den Händen im Wasser. Die Kerzen flackern leicht. Undine wirkt entspannt, kein Zeichen dafür, dass sie bald aufwachen wird. Einen Moment warte ich noch, streiche sanft mit den Fingern durch ihre langen, dunkelblonden Locken. Einmal, Zweimal. Ich schliesse geniessend die Augen, verkralle meine Finger in ihren Haaren und stucke sie unter. Sofort kommt Leben in den schlanken Körper, ob es nun der Schmerz war oder der erste Atemzug Wasser, weiss ich nicht. Sie reisst die Augen auf, rudert mit den Armen in der Luft und versucht wieder aufzutauchen. Ich reisse sie an den Haaren hoch. Einen Moment lang spuckt sie Wasser, weiss noch nicht genau wie ihr geschieht und saugt gierig die Luft in ihre Lungen, ehe ich sie wieder zurück ins Wasser drücke. Verzweifelt strampelt sie, versucht sich aus meinem Griff zu befreien. Doch ihre Bewegungen sind noch etwas unkontrolliert, eine Nebenwirkung des verabreichten Medikaments¹. Es dauert nicht lange bis sie das halbe Bad unter Wasser gesetzt hat, auch ich bleibe nicht verschont. Ich lächle leicht. Nochmals erlaube ich ihr aufzutauchen, ihre Lungen mit dem so dringend benötigten Sauerstoff zu füllen. Sie versucht zu schreien, doch ihr Kopf ist bereits wieder untergetaucht ehe auch nur ein Laut ihre Kehle verlassen kann. Es fühlt sich herrlich an. Ihre Finger finden meine Hände, wollen den Griff lösen, erfolglos. Sie kratzt, doch das stört mich nicht. Ihr Kampf wird immer verzweifelter, ständig steigen ihr Luftblasen aus Nase und Mund. Einmal noch gönne ich es ihr das Wasser aus den Lungen zu husten und diese mit neuer Luft zu füllen. Ihre Augen treffen meine. Wieder dieser flehende Blick aus den braunen Augen, gemischt mit purer Verzweiflung. Mein Gesicht ausdruckslos, doch in meinem Inneren rollt eine Welle der Glückseligkeit heran. Ich drücke ihren Kopf zurück ins Wasser, bestimmter und mit grausamer Endgültigkeit.   Nach etwas mehr als einer Minute werden ihre Bewegungen schwächer, langsamer und sind bald nur noch ein leichtes Zucken. Ihre Augen schauen mich immer noch an, während ein weiterer Schwall Luftblasen aus ihrer Nase entrinnt. Ich bin inzwischen auch nass bis auf die Knochen, doch mein Griff löst sich nicht. Eine Hand nehme ich aus ihrem Haar, lasse sie langsam zu ihrem Hals hinab wandern um ihren Puls zu ertasten. Das Herz schlägt noch. Zuerst kräftig, wild entschlossen weiter das sauerstoffarme Blut durch den Körper zu pumpen. Mit jeder Sekunde die verstreicht wird sein Aufbegehren schwächer, unregelmässiger. Mit einem letzten dumpfen Schlag unter der Haut verstummt es endgültig. Das Plätschern in der Wanne hört auf, während ich reglos noch einem Augenblick in die weit aufgerissenen Augen schaue. Langsam löse ich meine Hand von ihrem Hals, entwirre meine Finger aus ihren nassen Haare. Wie mechanisch erhebe ich mich, gehe zum Badezimmerschränkchen und suche nach dem Maniküre-Set. Mit der Nagelschere kehre ich zur Wanne zurück, setze mich auf den Rand und beginne vorsichtig aber gründlich ihre Nägel zu schneiden und alles was sich möglicher Weise darunter Befindet zu entfernen.   Die Kerzen sind in der Zwischenzeit erloschen, ich gehe in die Küche und entsorge, die abgeschnittenen Fingernägel im Mülleimer, ehe ich mir einen Kaffee koche. Während die Maschine ihre Arbeit verrichtet gehe ich in mein Zimmer um mich anzuziehen. Danach räume ich das Bett im Wohnzimmer weg. Draussen ist es noch dunkel und es herrscht eine angenehme Ruhe, sowohl in der Wohnung als auch in meinem Inneren. Entspannt schenke ich mir einen Kaffee ein, gebe noch einen Löffel Zucker dazu und rühre gedankenverloren in der Tasse. Alles scheint wie in eine Schicht Watte gepackt zu sein. Bis zum Morgen stehe ich angelehnt an den Rahmen der Badezimmertür. Präge mir Undines Gesicht ein, ebenso wie die Strähnen ihres Haares welche scheinbar schwerelos im Wasser schweben, vor allem aber den Ausdruck in ihren nun glanzlosen Augen.   Der Kaffee ist kalt als ich den letzten Schluck trinke. Genauso kalt sind auch meine Hände. Ich stelle die Tasse in der Küche ab, wasche mir das Gesicht in der Spüle und reibe es an dem Arm meines Pullovers trocken. Im Flur suche ich meine geschlossenen Halbschuhe aus dem Schrank und ziehe meine Jacke an, ehe ich mir meine Handtasche und einen Regenschirm greife. Noch einmal werfe ich einen Blick über meine Schulter in Richtung Badezimmer, atme tief ein, das Gefühl der Leere voll auskostend, ehe ich die Wohnung verlasse um zur Arbeit zu gehen.     Undine, bist du mir Böse?           ¹Sanalepsi: Ein Mittel welches bei Einschlafstörrungen und allergischem Schnupfen verwendet wird. Es begünstigt das Einschlafen in dem es die Körperfunktionen herunterfährt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es zu leichten Koordinationsstörrungen und einem stark verzögerten Reaktionsvermögen kommt. Weshalb man auch nach Einnahme keine Fahrzeuge oder Maschinen bedienen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)