Einen letzten Atemzug von Lyrael_White ================================================================================ Kapitel 4: Verbrannt -------------------- Es hat geregnet, als ich mit Irma damals mitten in der Nacht in den Wald gefahren bin. Sie war in die Abdeckfolie gewickelt, welche ich gekauft hatte um den Boden beim Gipsen nicht zu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen. In ihrer rechten Schürzentasche steckte ihr Hausschlüssel. Natürlich hatte ich vorbildlich abgeschlossen. Bis heute wurde sie noch nicht gefunden, inzwischen ist es Frühjahr geworden und ich frage mich ob sie es wohl bequem hat. Wie so oft haben die Nachbarn nichts gesehen oder gehört und auch ich konnte der Polizei leider keine Hinweise geben ausser der Tatsache, dass ich sie das letzte Mal sah, als sie das geliehene Mehl zurück brachte. Ich würde mich natürlich melden, wenn mir etwas einfallen würde. Leere Floskeln. Die Ruhe ist angenehm. Fast schon erholsam, doch leider nur allzu schnell wieder vorbei. Wieder hat das Gedankenkarussell angefangen sich zu drehen. Schneller als zuvor. Intensiver, grotesker. Sag macht es dir Spass mich so zu sehen. Irgendwann muss ich wohl aufgestanden sein, denn anders kann ich mir nicht erklären, wie ich zu dieser verfallenen Ruine gekommen bin. Früher haben wir hier oft gespielt, du und ich. Auch damals war das Gebäude schon lange verlassen. Die leeren Fenster starren in die Dunkelheit. Lange liefern wir uns ein Blickduell, bevor mich abwende und nach Hause zurückkehre. Drei Nächte lange wiederhole ich diesen Schlafwandel. Einmal quer durch die Stadt, geführt vom Flüstern ihrer Stimme. Ich meine mich zu erinnern, in einem Lüftungsschacht tief im Inneren dein Gesicht gesehen zu haben. Anklagend. Auf der Arbeit kann ich mich kaum konzentrieren und die langen Nächte fordern ihren Tribut. Die Stimmen werden lauter, das Flüstern zum Sturm. Ob ich krank sei, will meine Kollegin wissen. Ich lächle sie an und schüttele den Kopf, rede mich damit heraus das vorm Haus eine Baustelle ist, die mir den Schlaf raubt. Sie weiss ja nicht wo ich wohne. Die Woche vergeht, so wie alle anderen auch. Es ist Samstagmorgen als es plötzlich still wird. Nervös gehe ich in die Küche. Du sitzt am Tisch und liest Zeitung, fragst ob ich Kaffee will. Natürlich verneine ich. Dann bist du plötzlich nicht mehr da. Dafür höre ich das Ticken deines Weckers. Jeder Ton ist wie ein Paukenschlag. Ich ziehe mich an und nehme das Auto. Die Fahrt geht an den Stadtrand, vorbei am Stadtpark mit dem Teich, Undine winkt mir lächelnd vom Ufer entgegen. Dann am Waldrand entlang, auch Irma winkt und lächelt mir freundlich zu. Endlich parke ich das Auto vor der Ruine. Noch immer starren die Fenster mir blicklos entgegen. Aber du bist nicht da. Mit einem Seufzen fahre ich mir durch die Haare und steige schliesslich aus. Der Weg führt durch verdorrte Brombeersträucher und halbtote Efeuranken. Die Natur knabbert an der Fassade, dringt einige Meter in den Betonkoloss und hört dann abrupt auf. An einigen Stellen ist das Dach eingebrochen und aus manchen Wänden quillt die Dämmung. Es riecht modrig, nach abgestanden Wasser, feuchtem Gestein und schimmelndem Holz. Hier und da haben sich halbstarke Künstler darum bemüht der Trostlosigkeit Einhalt zu gebieten und ihre Werke für die Nachwelt verewigt. Ich folge dem kurzen Gang der tiefer in die Ruine führt. Eine tote Krähe, halbverwest liegt im nächsten Raum auf dem Boden. Hier ist das Dach noch intakt, auch wenn der Raum leise ächzt. Es ist dunkel. Das milchige Fenster an Ende des Raumes weigert sich den Kampf gegen den Zahn der Zeit aufzugeben. Müssig überlege ich zum Auto zurück zugehen. Also kehre ich um. Ja ein Picknick wäre nett. Mit dem Korb und der Decke ist es schwieriger durch die Sträucher zu gelangen. Das bringt mich aber nicht davon ab. Ich breite die Decke neben dem Vogel aus und entzünde die alte Öllampe, die wir damals schon immer hier her mitgenommen hatten. Mit einem Lächeln verzehre ich die mitgebrachte Mahlzeit. Du weigerst dich noch immer mit mir zu reden. Mach dir nichts daraus, ich werde dir heute Gesellschaft leisten. Abwartend schaue ich zur Decke, dort, wo der Luftschacht mit einem Gitter verschlossen ist. Stunden vergehen in denen wir uns anschweigen. Du musst wirklich sauer auf mich sein, weil ich dich so lange nicht besucht habe. Es dämmert bereits, als ich die Holzpaletten die an der Wand lehnen übereinander stapele und mit dem Taschenmesser das Gitter löse. Kurz muss ich würgen als mir der Gestank entgegen kommt und ich steige von dem Holzkonstrukt hinunter. Zumindest bis der Husten abklingt. Mit der Lampe in der Hand komme ich zurück. Du hast dein Gesicht abgewendet und ich frage dich ob du am Schmollen bist. Eine Zeit lang betrachte ich dich besorgt, du hattest schliesslich schon immer ein wenig Angst vor engen Räumen und ich überlege ob es nicht netter wäre, wenn ich dich nach draussen bringe. Zu gern würde ich dir noch einmal meine Hände um den Hals legen, dir langsam aber stetig die Luft abdrücken. Bei der Vorstellung schliesse ich genüsslich die Augen. Als ich sie wieder öffne siehst du mich an, dein schönes Gesicht durch die Verwesung völlig entstellt hast du meinen Arm gepackt. Erschrocken will ich ihn zurück ziehen. Für einen Augenblick schwanke ich, denn du hast unverhofft losgelassen. Unter mir knarzt das trockene, alte Holz. Ich falle. Eine Sekunde oder ein Leben, ich weiss es nicht. Erst der Schmerz der meinen Rücken durchzuckt wie ein Blitz beschleunigt die Zeit wieder. Japsend versuche ich mich auf zu setzen, doch mein Körper weigert sich. Ich atme flacher, damit mein Brustkorb sich weniger bewegt und trotzdem wird für einen Moment alles Schwarz. Das erste was ich sehe, als ich zu mir komme, sind deine Augen, die mich besorgt ansehen. Ich forme ein lautloses „Hilf mir“ aber du schüttelst nur den Kopf. Irgendwie ist es sehr viel wärmer hier als vorher und deutlich heller. Zum Geruch der Verwesung hat sich der von Rauch gemischt. Panisch wende ich den Blick von dir ab, nur um bestätigt zu bekommen, was ich schon ahnte. Die Paletten stehen in Flammen und an einer Stelle leckt das Feuer über die alte Decke des Raumes. Zitternd vor Schmerz versuche ich mich auf die Seite zu rollen. Es kostet mich unendlich viel Kraft, bis ich endlich auf dem Bauch liege. Hilflos ziehe ich mich mit den Armen in Richtung der Tür. Ich höre dein Lachen als das Fenster unter der Hitze springt, die Flammen mit neuem Sauerstoff versorgt und die Ranken ebenfalls ein Raub des Feuers werden. Der Qualm wird dicker und ich beginne gequält zu husten. Jede Bewegung schmerzt wie ein Peitschenhieb. Tränen steigen mir in die Augen und meine Sicht verschwimmt. Kurz sehe ich Undine im Gang bevor der Balken brennend den Ausweg versperrt. Ich erreiche die Wand und lehne mich matt mit der Schulter dagegen. Es tut weniger weh als zu liegen aber der Husten wird schlimmer. Mit jedem Atemzug gelangt mehr Rauch in meine Lunge. Jetzt lacht ihr alle drei über mich. Dein Lächeln ist wunderschön, als du deine Hände um meine Kehle legst und zu drückst. Röchelnd versuche ich weiter Luft zu bekommen. Alles ist so unendlich heiss. Immer wieder brechen Teile der Deckenverkleidung ein, stürzen entflammt hinab, doch euch drei stört es nicht. Panisch lege ich meine Hände auf deine und spüre den schnellen Herzschlag. Das Tosen wird lautlos, eure Gesichter verschmelzen, verzerren sich. Schwarze Punkte tanzen durch mein Sichtfeld und stetig drücken die Hände weiter zu. Mein Lunge hat aufgegeben sich gegen den Rauch zu wehren, dafür habe ich angefangen zu hyperventilieren. Noch immer spüre ich den flachen Puls unter meiner Handfläche, während die Dunkelheit aus den Ecken immer näher kommt und meine Sicht weiter verschlingt. Ich will noch einmal dein Lächeln sehe und hebe erschöpft den Kopf. Aber die Person die sich über mich gebeugt hat bist nicht du. Neugierig und mit unschuldig grauen Augen sieht sie mir entgegen. Das gleiche Gesicht, die gleichen rot-blonden Haare. Und dann verschwindet alles im Nichts, nur das stetige Ticken deines Weckers und der verzweifelte, abebbende Herzschlag unter meinen Fingern, während die Schmerzen in meinem Rücken und meiner Brust langsam verschwinden. Achtundneunzig, neunundneunzig, hundert. Ich falle. Aus weiter Ferne dringt eine Stimme zu mir vor. Bist du mir böse, Micaela? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)