Wait for me von Dahlie (Lorcan & Lysander Scamander) ================================================================================ Kapitel 1: Blutroter Schnee. ---------------------------- . . . Es ist kalt, ich roch den Regen. Mein Atem hinterlässt Spuren in der eisigen Luft. Unwillkürlich grabe ich meine rechte Hand tiefer in die dicke Jackentasche. Die Linke muss ich draußen behalten, denn sie umklammert fest meinen Zauberstab. Ich kann es mir nicht leisten nachlässig zu werden. Konzentriert lausche ich dem Heulen des Windes. Die Zeiten sind finster und ich glaube, viele können sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, bevor man in Angst und Schrecken lebte. Mein Name ist Lorcan Scamander und ich bin, wie viele mich titulieren, der gute Zwilling unser heutigen Zeit. Mein Gegenpart spiegelt das Böse wieder, doch das war nicht immer so. Als Kinder waren wir eine Einheit, eine Seite der Medaille. Jetzt sind wir zwei. Lysander und ich verstanden einander blind, heute weiß ich noch nicht einmal, ob ich auch nur einen Herzschlag lang eine einzige seiner Taten begreifen werde. Hogwarts brachte uns damals auseinander. Während ich nach Ravenclaw kam, trat Lysander in Slytherin an. Jeder gewöhnte sich für sich selbst ein und fand Freunde. Er leider diejenigen mit den falschen Einfluss. Damals diskutierten wir oft über die Worte Reinblütigkeit und Muggelstämmig. Den Tag, an dem mir mein Bruder mitteilte, dass er der Auffassung war, dass die Magie keinen Muggelstämmigen mehr zustand, war der Beginn eines Bruchs. Sie würden diese Ehre nicht zu schätzen wissen und alte Traditionen, wie die der Reinblüter gänzlich zerstören, nur weil sie ihren Anforderungen von Modernität nicht entsprachen. Noch heute erinnere ich mich daran, als wäre es erst gestern gewesen, als Lysander sich der Gruppe um Scorpius Malfoy anschloss. Zuerst waren sie nur ein kleines rebellierendes Schülergrüppchen, dass sich gegen die Mehrheit auflehnte. Ich verstand ihre Beweggründe erst nicht, bis mir bewusst wurde, dass Kinder der ehemaligen Todesser in der Gesellschaft keinen Anschluss fanden und ausgeschlossen wurde. Es grenzte an Diskriminierung. Gerade, als ich begann über diese Anschuldigungen nachzudenken, wurde in meinem siebten Schuljahr ein Anschlag auf die große Halle verübt und mehrere Schüler verschwanden über Nacht. Es wird unnötig sein, zu erwähnen, das mein Bruder dazu gehörte. Der Schrecken nahm seinen Lauf. Die Gruppe um Scorpius Malfoy wurde größer und größer. Man erfuhr, dass sich die Führerschaft aus drei Leuten zusammensetzte. Die Spitze bildete Malfoy, dicht gefolgt von Adrianna Nott und geschlossen durch Edward Goyle. Ich weiß nicht, wie es zu der Zeit von Tom Riddle war, aber eine ruhige und klare Ansage von Professor McGonagall machte uns Ende des siebten Schuljahres deutlich, dass wir uns zu entscheiden hätten, zwischen dem, was wir für richtig halten und dem, was uns als den einfacheren Weg erschien. Damals verstand ich sie nicht, aber heute mit vierundzwanzig Jahren hallen mir ihre Worte bei jedem Kampf durch den Kopf. Ich bin Mitglied der DA, anders bekannt als Dumbledores Armee. Natürlich agiert neben uns auch der Phönix Orden, aber er setzt sich überwiegend aus den ganz alten Kämpfern zusammen, die nicht mehr an vorderer Front kämpfen. Unser Kopf ist Ted Lupin und unter ihm bilden Albus und James Potter, sowie Louis Weasley und ich die Leitung. Für einen einzigen Tag war ich froh und glücklich über meinen Stand, bis mir bewusst wurde, dass ich eventuell die Gruppe befehligen könnte, die meinen Bruder ermordet. Lysander, den anderen Scamander. Als Jugendliche glichen wir uns bis aufs Haar und die einzige Möglichkeit uns äußerlich irgendwie auseinander zu halten, war zu sehen, dass ich meinen Zauberstab mit Links umfasste und Lysander seinen mit Rechts. Beunruhigt sah ich mich um und spürte die Kälte nun auch an meinem Beinen empor kriechen. Der Treffpunkt war denkbar schlecht gewählt, denn hier vor den Kölner Dom pfiff der Wind, wie auf dem Meer bei einem aufkommenden Sturm. Ich hätte mich doch für den Londoner Big Ben entscheiden sollen, doch der Dom gab mir an erster Stelle eine Möglichkeit zur Deckung, sollte es zu einem Hinterhalt kommen. Treffen dieser Art waren äußerst selten und wenn ich Glück hatte, kamen sie zweimal im Jahr vor. Ich dachte daran, das Albus mir die Möglichkeit ageboten hatte, dieses Treffen zu übernehmen. Doch ich war stur geblieben. Schließlich wollte ich ihn sehen, mein einstiges Spiegelbild. Seit Jahren vermied mein Vater es seinen Namen auszusprechen, während meine Mutter ihre Augen nieder schlägt und nur murmelt: „Jeder geht des eigenen Weges.“ Ich glaube nicht daran, denn ich war ein klarer Vertreter derjenigen, das jeder die Wahl hat seinen Weg zu wählen. Nichts ist vorherbestimmt. Erneut fröstelte ich und spürte, dass ein starker Windhauch meine dunkelblonden Haare zerzauste. Molly meinte, es sei so lang geworden, das man es mir schneiden müsste. Doch ich fragte mich, ob man sich in unserer heutigen Zeit darüber noch Gedanken machen musste, wie man aussah. Es gab Wichtigeres. Zum Beispiel die Rettung der entführten Hogwartsschüler. 53 Kinder waren verschleppt und als Druckmittel benutzt worden, die Häftlinge aus Askaban frei zu lassen. Niemand wusste, wo sich die Kinder befanden und ob überhaupt noch ein Einziges atmete. Ich hoffte, das dem so war, das es ein Geschöpft gab, das diesen Horror überlebte. Wenns gleich ich mich auch fragte, in welch einem seelischen Zustand man dieses Erlebnis überstand. War da der Tod nicht erlösender? Schritte ertönten und ich umklammerte meinen Zauberstab automatisch fester. Wachsam drehte ich mich um und entdeckte eine dunkle Gestalt mit einem langen, wehenden Mantel. Die Fußabdrücke hinterließen eine Spur aus Blut und ich musste den metallischen Geschmack in meinem Mund verdrängen. Je näher der 'Schatten' kam, umso unruhiger wurde ich. Einst nannte man sie Todesser, heute werden sie als längst Vergängliches bezeichnet. Doch ob ich diesen Auflauf an Mördern, Attentätern und Gewaltverbrechern wirklich einen Namen geben sollte, der mit Vergänglichkeit assoziiert, bleibt auf weiteres für mich fraglich. Ich schluckte hart und meine Haltung spannte sich an, denn ich begriff, warum Albus sich solche Mühe gegeben hatte, meinen Part übernehmen zu wollen. Meine Miene wurde ausdruckslos und ich versuchte um meine Gedanken herum eine Mauer aufzubauen, schließlich war ich mit den Fähigkeiten des Mannes, der sich nun nur noch wenige Meter von mir entfernt befand, glänzend vertraut. „Lass dich grüßen, Bruder.“ Ein unangenehmer Schauer rieselte mir über den Rücken und ich hob automatisch meinen Zauberstab: „Ich hoffe, du verzeihst, wenn ich um etwas Abstand bitte.“ Die ausgebreiteten Arme der dunklen Krähe schlossen sich und ich sah auf den Zauberstab in der rechten Hand. Ich erkannte meinem Bruder alleine an seiner Art zu gehen, dafür brauchte ich sein Gesicht nicht zusehen. Lysander zog sich die Kapuze vom Kopf und ich spürte, dass mir die Gesichtszüge den Hauch einer Sekunde entgleisten. Mit der Gewissheit, das mein Bruder diesen Herzschlag der Schwäche bemerkt hatte, versuchte ich meine Fassung wiederzuerlangen. Sein Gesicht glich dem Abbild eines Totenschädels. Unter den Augen lagen brutale dunkle Schatten, sein Haar war weiß, wie das eines Greises und es schien, als würde etwas Bösartiges die Lebenskraft aus seinen Körper saugen. Lysander verzog den Mund zu einer hässlichen Fratze, was der Andeutung eines Lächelns gleichkommen sollte. Doch stattdessen wirkte es grausam und verloren. „Ich weiß, dass ich nicht mehr so hübsch ausschaue, wie du. Aber dafür dürften meine Kräfte den deinen um einiges übersteigen.“ Ich schwieg. Lysander neigte den Kopf, er schien mich zu betrachten und bei einem Blick in seine Augen wusste ich nicht, ob ich Traurigkeit oder Bedauern drin lesen sollte. Traurigkeit darüber, das er mir nicht mehr ähnlich sah, oder Bedauern darüber, dass ich nicht verstand, wie viel Macht man bekam, wenn man einen teuflischen Pakt einging. „Was hast du getan?“, flüsterte ich und sah auf die knochige Hand, die den Zauberstab umklammerte. Mein Bruder bemerkte meinen Blick und hob die andere empor. Stumm sah er auf seine Knochen, die nur noch von seiner Haut umspannt wurden. Dann lachte er begeistert auf: „Es ist ein kleiner Preis für die Macht, die mir die schwarze Magie gibt.“ Es lag mir auf der Zunge, ihm zu sagen, dass schwarze Magie verboten war, aber was würde es bringen? Schließlich war er ein Vertreter dessen, was ich missbilligte. Bevor ich antworten konnte, musste ich hart schlucken. Es schmerzte, meinen Bruder so zu sehen, auch wenn ich wusste, dass er als Feind betrachtet werden sollte, so sorgte ich mich trotzdem um ihn. Ganz egal, was er mir antat – und das hatte er mir bereits genügend. „Habt ihr mit dieser Macht das Ministerium von Prag in die Luft gejagt?“ Belustigt und stolz lachte Lysander und es war mir Antwort genug. „Das kleine Feuerwerk hat nur zeigen sollen, dass wir nicht zimperlich sind, wenn es darum geht unsere Anforderungen durchzusetzen.“ - Dazu gehörten 42 Tote Ministeriumsabgeordnete, elf ermordete Auroren und ein Brand, der sämtliche Wertsachen des Gebäudes zerstörte. Es standen lediglich die Grundmauern noch und Harry Potter hatte uns wissen lassen, dass man nur noch erahnen konnte, wie das Ministerium vor den Anschlag ausgesehen haben mochte. Ich versuchte mich nicht provozieren zu lassen und fragte: „Und gibt es einen Sinn dahinter, warum es sich lohnt unschuldige Kinder zu entführen?“ Lysander zog etwas aus seiner Manteltasche und hielt es mir hin. Ich erkannte einen Brief und zog nun den von Ted aus meiner Jackentasche. Sie waren beide verzaubert und würden nur vom richtigen Empfänger aufgemacht werden können. In diesem Fall lag alles an Scorpius Malfoy. Gerade, als Lysander den Brief ergriffen hatte, umfasste seine andere Hand mein Handgelenk und ich spürte seinen rauchigen Atem. Er roch nach Tod und Verwesung. Sein Griff war fest und eisig, als würde kein Blut mehr durch seine Venen fließen. Ohne mich zu regen, sah ich in die klaren blauen Augen, das Einzige, was uns noch zu verbinden schien. „Was sagt deine Freundin zu dem Loch in deiner Brust?“ Ich versteifte mich, denn mein Bruder strich über meine Jacke, direkt über jene Stelle, wo er mir das Wichtigste in meinem Leben geraubt hatte. Mein Herz. Die Erinnerung daran war schmerzhaft und alleine der Gedanke ließ jenen grausamen Moment wieder aufleben. Lysander grinste und schenkte mir ein zufriedenes, fratzenhaftes Lächeln: „Ich achte drauf, weißt du. Und solltest du es je wagen meinen Herrn zu nahe zu treten, dann werde ich es zerdrücken, bis es aufhört zu schlagen.“ Unfähig etwas zu sagen, starrte ich ihn nur an, das weiße Haar, das den Totenschädel umrahmte gab ihm die Erscheinung eines alten Mannes, doch in mir wollte sich weder Mitleid noch Schwäche regen. „Mag sein, Lorcan, das du der Hübschere von uns bist, doch zweifelsohne bin ich der Mächtigere und Gefährlichere. Molly sollte sich überlegen, ob sie nicht statt dir besser mir zu Diensten sein will.“ Ich musste blinzeln, denn Lysander hatte meine Mauer an Okklumentik durchbrochen und ließ mich Bilder sehen, die mich taumeln ließen. Der Griff um meine Hand schwand, doch ich stolperte mit den Rücken gegen die große Tür des Doms. Ich sah Molly. Ich sah sie unterwürfig in mehreren Formen auf mehreren Arten. Alle erniedrigten sie bis auf den Grund ihrer Seele. Ihr zauberhaftes und starkes Wesen wurde gebrochen und just in diesem Moment empfand ich zum aller ersten Mal so etwas wie einen unbändigen Hass auf meinen Bruder. Niemals würde ich zulassen, dass sie vor einem so schmutzigen Menschen knien würde, niemals würde ich in diesem Leben zulassen, das man sie benutzte, wie ein Stück Vieh und dann zum sterben beiseite warf. Ich keuchte auf und sah Lysander mit einem festen Blick an. „Lass sie ihn ruhe!“, zischte ich, doch er lachte mich lediglich aus. Schrecklich erheitert wandte er sich zum gehen. „Davon wirst du mich nicht abhalten können, schließlich bist du zu schwach.“ Er lachte, dann kam Wind auf und noch ehe der Mantel aufbauschte, war seine finstere Gestalt verschwunden, so als hätte sie an diesem Ort nie existiert. Es dauerte etwas, bis ich mich wieder bewegte. Noch immer rauschten die Bilder mit Molly durch meinen Kopf. Ich schloss die Augen und versuchte zu verdrängen, was ich gesehen hatte. Wenn ich könnte, würde ich lieber sterben, als zu sehen, wie mein Bruder sie brach, sie benutzte, ihr Gewalt antat und sie wie ein Stück Vieh seinen Männern überließ. Kontrolliert atmete ich ein und aus, dann legte sich meine rechte Hand auf die linke Seite meiner Brust. Es stimmte, mein Herz schlug nicht mehr in meinem eigenen Körper. Lysander hatte es mir in einem Duell geraubt. Der Schmerz in diesem Augenblick hatte mich beinahe umgebracht. Eine sehr lange Zeit hatte ich nicht verstanden, warum er mir so etwas grausames antat, bis ich bei dem Anblick von Molly begriff. Ich empfand rein gar nichts. Früher war jeder Blick in ihr hübsches Gesicht ein Augenblick gewesen, indem mein Herz heftig und aufgeregt pochte. Mit dem Loch in meiner Brust nahm er mir all die Liebe, die ich für Molly empfand. Es war, als hätte ich sie niemals geliebt. Einzig das Wissen, dass ich wirklich starke Gefühle für sie gehegt habe, bevor Lysander mich auf diese Weise beinahe zerstörte, ließ mich bei ihr bleiben. Ich habe nie jemanden davon erzählt, aus Angst Molly könnte es erfahren und mich verlassen. Mit neunzehn hatte ich noch die Hoffnung mein Herz eines Tages wieder zu bekommen. Heute sah ich es als eine Chance an Lysander aufzuhalten. Mein Bruder mochte unheimlich mächtig sein, aber auch er hatte eine Schwäche, die man nutzen konnte. Schwerfällig stieß ich mich von der Tür ab, trat in die Mitte des menschenleeren Domplatzes und apparierte. Insgesamt musste ich an drei verschiedenen Orten Halt machen, bevor ich mit einem Passwort direkt in das Versteck der DA apparieren konnte. Das alte schottische Gasthaus wirkte heruntergekommen, doch ich wusste im Inneren tobte das Leben. An der verbogenen Pforte tippte ich mit den Zauberstab gegen das Metall und murmelte: „Zitronenbrausebonbons.“ Quietschend glitt das Tor auf und ich trat ein. Unkraut pflasterte meinen Weg und an der mächtigen Tür klopfte ich sieben Mal in bestimmten Abständen. Erst dann bemerkte ich, wie sich ein weiter Schutzzauber löste. Neben unseren Geheimniswahrer, Albus, hatten wir sämtliche Zauber, die uns helfen konnten unentdeckt zu bleiben, angewendet. Die Tür glitt auf und Lily Potter begrüßte mich lächelnd. „Gerade richtig Lorcan. Molly hat gebacken und wenn du dich beeilst, dann bekommst du auch noch einen Muffin ab. Du weißt ja, sie fressen hier wie die Trolle.“ Das Innere war warm und ich hörte bereits laute Stimmen aus der einstigen Wirtsstube. Die oberen Räume waren zu Schlafsälen umfunktioniert worden, während ein Saal im hinten Teil des Hauses für Versammlungen bereit stand. Der Keller füllte sich mit Essen magisch immer wieder selbst auf. Häufig zogen wir mit Säcken voll Köstlichkeiten los und verteilten sie an Not leidene Menschen. Überall an den Tischen wurde sich ausgetauscht, ein Becher Butterbier getrunken und eine Pfeife geraucht. Auf der Theke standen mehrere Körbe mit köstlichen Muffins. Sie wurden bereits fleißig unter Beschuss genommen. Die Stimmung war seltsam locker und ich pellte mich aus meiner dicken Jacke. „Wenn du keine Schokolade magst, dann lass gefälligst die Finger davon!“, vernahm ich Mollys ungehaltene Stimme und ein Lächeln dehnte sich auf meinen Lippen aus. Obwohl ich mein Herz in ihrer Nähe nicht mehr schlagen spürte, war ihre Stimme wie ein Streicheln der Seele. Liebevoll trat ich hinter sie und schlang die Arme um ihre Hüfte. Sofort reagierte ihr Körper und lehnte sich an mich. Sie hauchte mit einen Kuss auf die Wange und sah mich kummervoll an. Doch statt zu antworten, reichte ich Ted, der an der Theke saß und an einer krummen Zigarette zog, den verschlossenen Brief. „Alles in Ordnung?“, wollte Molly wissen und ich vergrub mein Gesicht in ihrem wundervollen rotbraunen Haar. Tief atmete ich den Duft von Teig ein, dann griff ich an ihr vorbei zu einem Muffin und biss herzhaft hinein. „Du siehst müde aus“, stellte sie unnötigerweise fest, schließlich hatte sie in der Nacht zuvor bemerkt, dass ich kaum geschlafen hatte, sondern unaufhörlich an die Decke stierte. „Ich bin es auch“, gab ich zu und mein Blick streifte dabei den von Ted. Dieser wechselte von der rabenschwarzen Haarfarbe zu leuchtend Gelb und lächelte: „Hau' dich ein paar Stunden auf's Ohr. Die Versammlung ist erst um zehn heute Abend. Frankie-Boy schafft es nicht eher. Scheinbar erweisen sich die Kobolde als äußerst stur. Sterben für Gold oder so was.“ So etwas ähnliches hatte ich mir bereits gedacht. Frank Longbottom war ein ausgezeichneter Vermittler, aber Kobolde gingen in der Regel keinen Handel ein. „Gut, dann lege ich mich hin. Weckt mich, wenn es so weit ist.“ Kurz sah ich, das Ted seine Zigarette ausdrückte, dann sprach er: „Ach übrigens, ich habe dir das Buch, um das du mich gebeten hast, in deinen Nachtisch getan.“ Unsere Blicke kreuzten sich, ich nickte knapp. Mit schweren Gliedern stolperte ich die schmale Treppe empor und hätte mich beinahe mitsamt Kleidung auf das schmale Bett, dass ich mir mit Molly teilte, fallen gelassen. Doch ein Schatten hinter mir ließ mich wissen, das ich so schnell nicht zum Schlaf kommen würde. Noch immer betrachtete Molly mich kummervoll, als sie am Türrahmen stand und ich aus meinen Schuhen schlüpfte. „Lorcan“, begann sie. „Möchtest du darüber reden?“ - „Es gibt nichts zu bereden.“, wies ich ab und zog mir den dicken Pullover über den Kopf. Ich redete nie über Dinge, die mir durch den Kopf gingen und ganz besonders nicht, wenn sie mit Lysander zusammen hingen. Nun ließ ich mich auf das Bett sinken und betrachtete sie. Ich wusste, warum ich sie liebte, auch wenn ich es nicht mehr spürte. Molly war eine praktisch denkende Frau, die sich nicht von einen Schein ablenken ließ und für gewisse Empfindungen geschärfte Antennen besaß. In meinem siebten Schuljahr hatte ich mich in sie verliebt. „Er ist immer noch dein Bruder.“ Es war ein schlichter Satz, aber er fasste im Grunde alles Wesentliche zusammen. Ja, Lysander war mein Bruder und egal was er tat, ich sorgte mich um ihn. Meine Gedanken waren zum Teil immer bei ihm und auch, wenn ich mir wünschte, ich könnte ihn vergessen, so halte ich trotzdem jede Erinnerung an ihm lebendig. Noch heute ertappe ich mich dabei, das ich morgens immer automatisch zwei Tassen aus dem Schrank holte und erst, wenn ich sie vor mir abstelle, reiche ich eine wieder zurück. Es ist eine dumme Angewohnheit, der ich einfach nicht Herr werde. Bereits als Kind habe ich immer die Gläser oder Tassen aus dem Schrank geholt, während Lysander die Teller hervorkramte. Vor einem halben Jahr habe ich George Weasley durch Zufall in einer verrauchten Kneipe am Rande Londons getroffen. Nach mehreren Gläsern Feuerwhisky hatte ich mir genug Mut angetrunken und ihn gefragt, ob man je den Verlust eines Zwillingsbruders verkraftete. Seine Antwort war mir bereits klar gewesen, bevor ich sie überhaupt wusste. Nein. Jemand, der so fest mit einem verbunden war, der bleibt auf Ewig einem Teil von einem selbst. Es ist, als wären zwei Personen Teil eines Ganzes. Die Vorstellung, seine andere Hälfte vollkommen zu verlieren schmerzte, es zu erleben brachte einen beinahe um. George Weasley ließ mich wissen, dass er den Verlust seines Zwillings nur überlebte, weil er noch andere Geschwister gehabt hatte, die ihm offen die Hand hingehalten hatten. Er hatte sie in seiner dunkelsten Stunde nur ergreifen brauchen. Und auch wenn er geglaubt hatte, haltlos in die Dunkelheit aus Verzweiflung zu fallen, so hatten seine Geschwister ihn festgehalten. Alle. „Molly, komm her.“ Etwas zögerlich kam sie meiner Bitte nach und ich zog sie zu mir. Ihr Gewicht auf meinem Körper fühlte sich angenehm warm an, fast geborgen. Sanft strich ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Lysander mag mein Bruder sein, aber das, was er tut ist falsch.“ Sie küsste meinen Nacken und ich schloss die Augen. Es war eine Wohltat sich fallen zu lassen. „Ich wünschte, ich könnte ihn vergessen.“ Während ich die Augen geschlossen hatte und Molly mir immer wieder durch das Haar strich, lauschte ich dem Klopfen ihres Herzens. Mit einem bitteren Beigeschmack stellte ich mir vor, wie es sein würde, mein eigenes zu hören. Ich wünschte, ich würde noch ein einziges Mal spüren, wie sehr ich sie liebte. Ich erinnerte mich daran, dass ich dieses Gefühl früher mehr als nur genoss und je älter ich wurde, umso stärker vermisste ich es. Molly begann zu summen und während wir dicht beieinander lagen, trug mich ihre Wärme in einen Traumlosen Schlaf. Erst Tage später gelang es mir, einen Blick in jenes Buch zu werfen, das Ted mir besorgt hatte. Mittlerweile waren weitere Todesser den Pakt mit der schwarzen Magie eingegangen und Beauxbatons stand am Ende des Monats in Flammen. Die selbsternannte Säuberung ging weiter. Es war eine makabere Bezeichnung der Schatten, dass sie einen Ort 'aufräumten'. Die Luft um uns herum wurde dünner und dünner. Die Hoffnung auf ein jähes Ende schwand von Tag zu Tag und der Kampf zerrte stärker denn je an unseren Kräften. Immer wieder zog ich mich zurück und dachte nach. Ich wollte die Menschen, die ich liebte beschützen, gleichzeitig wollte ich niemals die Gruppe befehligen, die meinen Bruder ermordete. Und je länger ich grübelte, umso bewusster wurde mir, dass ich mich entscheiden musste. Nämlich zwischen dem, was man von mir erwartete und dem, was ich mit mir selbst vereinbaren konnte. Nach einem brenzligen Einsatz, der mich eine gesamte Nacht gekostet hatte, stand ich vor dem Spiegel und sah mich an. Hinter mir in dem Bett schlief Molly. Eine kleine Lampe spendete mir Licht. Ich hatte mir das Gesicht gewaschen und sah mir nun selbst in die Augen. Rechts und links stützte ich mich am Waschbecken ab. Mein Atem war ruhig, konzentriert sah ich mir weiterhin selbst in die Augen und dann gelang es mir. Mit einem Sprung aus meinem Geist in den eines anderen konnte ich für ein paar Augenblicke sehen, was Lysander vor einigen Momenten wahrgenommen hatte. Er hatte vor einer kleinen Kiste gestanden, in dem er mein Herz aufbewahrte. Da ich diesen Sprung nicht zum ersten Mal machte, wurde mir einmal mehr bewusst, warum er mir so etwas grausames angetan hatte. Mein Bruder wollte mich schützen und indem er mir mein Herz nahm, konnte er sicher stellen, das mich so schnell niemand töten konnte. Er hatte es mit einem speziellen Fluch belegt. Nur wenn man mein Herz zerstörte, würde auch ich sterben. In mir keimte die Frage auf, ob er aus diesem Grund zur schwarzen Magie gegriffen hatte, denn der Preis für solch eine Abscheulichkeit war hoch. Mit einem Wimpernaufschlag war ich wieder im hier und jetzt. Ich wendete meinen Blick von meinem Spiegelbild ab. Kurz sah ich auf meinen Umhang, der über einem Stuhl lehnte. Im Inneren befanden sich vier Briefe, die ich an James Potter weiter reichen wollte. Dieses Mal war sie von mir selbst geschrieben und adressiert an meine Eltern, Ted, Molly und Lysander. Für den Fall, wenn mir etwas zustoßen würde, sollte James dafür sorgen, dass die betreffenden Personen sie erhielten. Ted Lupin würde sich denken können, was ich ihm schrieb, nämlich sämtliche Erkenntnisse, die ich bis zu meinem Tod gemacht hatte. Meine Eltern bekamen einen Brief, der mir nicht leicht gefallen war. Ich war auf viele kleine Ding eingegangen, unter anderem, das sie lernen sollen los zu lassen. Molly und Lysanders Briefe waren jene, die am schwersten wogen. Der von Molly war dick, ich hatte viel Papier verbraucht, schließlich wusste ich nicht, wo ich anfangen, geschweige denn aufhören sollte. Lysanders Post dagegen war dünn und bestand aus einer knappen Seite. Wenn der Tag gekommen war, dann würde er verstehen und vielleicht begreifen. Die Hoffnung, meinen Bruder retten zu können, hatte ich nicht mehr – dachte ich zumindest, denn den letzten kleinen Funken konnte ich einfach nicht töten. Molly bewegte sich und ich schritt zu ihr. Als ich mich auf der Bettkante nieder ließ und sie mir ihr Gesicht zuwendete, zwang ich mich zu einem müden Lächeln. Ich würde alles auf der Welt Mögliche tun, um diese junge Frau zu beschützen. Der Drang sie nicht leiden zu sehen, war unendlich groß. Und mittlerweile hatte ich sogar eine Möglichkeit gefunden dem nachzukommen. Jedoch nicht sofort, das Vorhaben brauchte seine Zeit. Sie öffnete ihre Augen. Schweigend sah ich sie an, dann nahm sie meine Hand in ihre. „Lorcan... ich muss dir etwas sagen.“ Ich signalisierte ihr, dass ich ihr zuhörte, doch statt weiter zu sprechen, legte sie meine Hand auf ihren Bauch. In diesem Augenblick setzte sich die Welt mit einem gewaltigen Ruck in Bewegung. Meine Augen weiteten sich und ich versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, aber keine Regung war zu erkennen. Sprachlos öffnete ich den Mund: „Wir... ich... ist das wahr?“ Ein unbekanntes Glücksgefühl strömte durch meine Adern und ich musste blinzeln. Obwohl es in unserer heutigen Zeit fast schon fatal war eine Familie zu gründen, konnte ich diese unbekannte Freude einfach nicht unterdrücken. Konnte es sein, das bald tatsächlich ein Wesen existierte, das ein Teil von mir war? Molly seufzte, auch bei ihr zeigte sich nun ein schwaches Lächeln auf den Lippen. „Ich weiß, es ist gänzlich unpassend, aber bevor ich etwas tue, wollte ich es dich wissen lassen.“ „Du wirst hier gar nichts tun!“, sprach ich kompromisslos. Mit beiden Händen umfasste ich nun die ihre. Neben Freude spürte ich allerdings auch einen dicken Kloß in meinem Hals. „Behalte es“, sagte ich mir trockener Stimme. „Neues Leben bedeutet neue Hoffnung und ein Grund weiter für den Frieden zu kämpfen.“ Ich strich ihr durch das Haar und sah sie nur an. In ihren Augen erkannte ich, dass sie darüber nachdachte und mit dem Gedanken gespielt hatte, das Kind abzutreiben. Verdenken konnte ich es ihr nicht. Meine Zustimmung einen anderen Weg einzuschlagen, schien sie zu verunsichern. Als sie die Augen schloss murmelte sie: „Du wirst ein toller Vater sein.“ Ich hoffte es. Gleichzeitig wurde mir in dieser Nacht bewusst, dass alles was ich in Zukunft tun würde, gewisse Folgen mit sich zog. Folgen, die ich nicht mehr rückgängig machen können würde. Ich würde versuchen so zu handeln, dass ich die Sicherheit von der Frau die ich liebte und meinem Kind garantieren konnte. An einem seltenen ruhigen Morgen saß ich zusammen mit Ted im feuchten Unterholz im verbotenen Wald. Es schneite, die Natur spielte verrückt. Es war kurz vor Weihnachten, in wenigen Stunden wäre heilig Abend und sie würden sich zu einer Tasse Glühwein zusammen finden. Viel zu feiern hatten sie leider nicht. Einige Versuche Schattenmitglieder zu fangen waren fatal ausgegangen und wir hatten mehrere Kämpfer verloren. Darunter auch die Geschwister Rose und Hugo Weasley. Die Leiche des ehemaligen jungen Gryffindors hatten wir mit zerstückelten Gliedern in einem Muggelkaufhaus vorgefunden, während von Rose jede Spur fehlte. Niemand glaubte mehr daran, dass wir sie je lebend wiedersehen würden, außer Albus. Gründe konnte er niemanden nennen und ich begann ihn für seinen unerschütterlichen zu bewundern. Es mochte sicher ein schönes Gefühl sein, sich an etwas klammern zu können, von dem man hoffte, dass es gut ausging. Molly war bereits im achten Monat und schob stöhnend eine Kugel vor sich her. Ich liebte es zu spüren, wenn sich in ihrem Bauch ein kleines, winziges Wesen bewegte. Aufträge waren für sie seit langem tabu und sie hatte sich in die Heilerzentrale verlegen lassen. So war sie kein direktes Zielobjekt und konnte gleichzeitig etwas helfen. Meiner Mutter war es gelungen, es wusste nur Merlin wie, ein paar kleine Babykleidung aufzutreiben. Es hatte mich überrascht, das meine Eltern so erfreut auf die Nachricht reagiert hatten und das Funkeln in ihren Augen zu sehen hatte mir sehr gut getan. Schließlich litten sie seit dem Beginn des Krieges darunter, das Lysander von ihnen gegangen war. Ungern erinnere ich mich an die Begegnung mit Percy Weasley. Er war mir herzlich steif entgegen getreten und hatte deutlich durchsickern lassen, dass er nicht unbedingt erfreut darüber war, dass wir in solch einer finsteren Zeit daran dachten ein Kind groß zu ziehen. Erst als Molly ihn mahnend angesehen hatte und ihre Schwester auf diesen Satz schallend lachte, hatte sie die Anspannung etwas gelegt. Luciane, kurz Lucy hatte uns Augenzwinkernd erzählt, ihr Vater habe sich bei der Nachricht so sehr an seinem Butterbier verschluckt, dass er in der Kneipe beinahe erstickt wäre. Auch James hatte mich wissen lassen, dass ich Percy Weasley nicht allzu ernst nehmen sollte. Er war ein guter Mann und wollte für seine Töchter nur das Beste. Etwas, was ich als werdender Vater von Tag zu Tag mehr verstand. „Habt ihr schon einen Namen für euer Baby?“, wollte Ted neben mir wissen und rieb sich die Fingerspitzen. Es war kalt und seit Stunden harrten wir bereits aus. Mehrere Quellen belegten, dass Malfoy Hogwarts im Visier hatte. Es sollte ihm ähnlich ergehen, wie Beauxbatons. Seit einigen Jahren hatten Auroren den verbotenen Wald rund um das Schloss verlegt, als Sicherheit. Überall hockten nun Zauberer und behielten ihr Umfeld im Auge. Ich konnte weit und breit nichts anderes als Schnee und Nebel entdecken. Noch nicht einmal ein Vogel oder ein anderes Tier war zu hören. „Nein“, antwortete ich und spürte das meine Beine eingeschlafen waren. „Molly und ich wollen entscheiden, wenn das Baby da ist. Aber ich bin sicher, dass sie am Ende mir die Entscheidung überlassen wird.“ Ich schmunzelte und sah, dass Ted uns beiden heißen Kaffee in je einen abgenutzten Becher zauberte. Die Haare unseres Anführers färbten sich rot, die Wärme der Flüssigkeit schien ihm gut zu tun: „Wieso darfst du am Ende entscheiden?“ - „Molly hatte es nicht so mit Entscheidungen. Erst letztens haben wir darüber diskutiert, ob wir, wenn es ein Junge wird, die Namen Edugard oder Henry nehmen. Es hat mich vier Stunden gekostet, ihr das auszureden. Genauso, wie die Mädchennamen Walburga und Liesellotte.“ Ted hustete dezent in seinen Kaffee und ich nickte zustimmend: „Letzten endlich lässt sie mir die Wahl zwischen Arthur und Percival, sowie zwischen Gwendolyn und Elisabettha.“ Misstrauisch sah Ted mich an und ich rollte mit den Augen. Schließlich gestand ich: „Arthur und Gwendolyn haben das Rennen gewonnen.“ Freundschaftlich klopfte er mir auf die Schulter und verlagerte sein Gewicht. „Kluge Entscheidung.“ Ich hoffte es, denn ich fand, das es hübscher klang, ein Mädchen Gwen zu rufen, anstatt Lisa oder Beth. Dann verbrachten wir weitere Stunden damit stumm nebeneinander zu hocken. Es war angenehm mit Ted zu schweigen, weder peinlich noch anstrengend. Obwohl er einige Jahre älter als ich war, betrachtete ich ihn als Freund. Einer der wenigen, die ich wirklich hatte. Meist hatte ich mit den meisten Auroren zu wenig zu tun. Nach einer gefühlten Ewigkeit warf ich einen Blick auf meine alte und abgenutzte Taschenuhr, die ich von Grandpa Scamander zur Volljährigkeit bekommen hatte. Es war halb fünf Nachmittags. Es wurde bereits dunkel und meine Glieder schmerzten. „Übrigens“, sprach ich in die Stille hinein. „Das Buch war gut.“ Ted sah mich an und ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass er genau wusste, für was ich es gebraucht habe. Und meine Vorahnung sollte mich nicht trügen. Ruhig sprach er: „Ich hoffe, du weißt, was du tust.“ Damit verfielen wir wieder ins gemütliche Schweigen und ich würgte den bitteren Kaffee herunter. Die Wärme schaffte es nicht bis in meine Zehenspitzen. Ich versuchte das dumpfe Gefühl in mir zu vertreiben und zwang mich an etwas anderes zu denken, als an den gefährlichen Plan, den ich mir zurecht gelegt hatte, sollte es jemand wagen meinen wichtigsten Menschen etwas anzutun. Es war ein gefährlicher Schritt und besonders wohl war mir dabei nicht. Schritte ertönten und gleichzeitig spannten Ted und ich uns an. Ein knapper Seitenblick reichte aus und wir hatten uns bereits verständigt. Den Zauberstab fest umklammert lauschten wir, bis Ted sich entspannte und sich umdrehte. „Albus.“ Sofort wich die Anspannung von mir und ich erblickte den jüngsten Potter. Ein breites Grinsen zierte seine Lippen und er reichte uns wenig später einige Tüten zu Essen, dann sah er mich an. „Lorcan, deine Schicht ist zu Ende.“ Verwirrt runzelte ich die Stirn und er fügte spitzbübig hinzu: „James hat ewig gebraucht, bis er durch die Wachpläne gestiegen ist, deshalb tut es mir leid, dir mitzuteilen, dass deine Tochter ohne dich das Licht der schummrigen Welt erblickt hat.“ Ich taumelte und hatte Mühe mich an einem Busch hochzuziehen. Meine Beine waren eingeschlafen, in meinem Kopf rauschte es. Ted hielt mich fest und nickte mir anerkennend zu: „Hau ab und teil Molly mit, dass Elisabettha nur den Weg über deine Leiche findet.“ Ich strahlte und zum ersten Mal seit Monaten erschien mir die Welt hell und nicht dunkel und grausam. „Danke Al!“, hastig rannte ich an ihm vorbei und stolperte dabei fast über eine dicke Wurzel. Erst außerhalb des Walds gelang es mir zu apparieren. Meine Finger waren kalt vor Aufregung und ich dachte nur daran, so schnell wie es mir möglich war zu Molly zu kommen. Zu Molly und Gwendolyn, meiner eigenen kleinen Familie. So schnell ich konnte, murmelte ich sämtliche Passwörter und stieß heftig atmend die Tür des Gasthofes auf. Von außen hatte ich bereits Licht gesehen und meine Wangen brannten vor Vorfreude. Die Tür glitt auf, ich stolperte ins Warme und mit einem Mal fiel mir das Lächeln aus dem Gesicht. Ich erstarrte. Kälte erfasste meinen gesamten Körper. Unwillkürlich fiel mein Blick auf eine schwarze Gestalt, die auf der Treppe saß und langsam den Kopf hob. Mein Atem stockte, wie von selbst sah ich nach links in die Wirtsstube. Mehrere Körper lagen regungslos am Boden, Blut hatte den Holzboden rot gefärbt und ich roch verbranntes Fleisch. Blaue Augen, die den meinen so ähnlich waren, wie ein Blick in den Spiegel musterten mich mit einer Arroganz, die mich frösteln ließ. Lysander drehte den Zauberstab in seiner rechten Hand und ich hob automatisch den meinen. „Ich dachte, ich bereite dir einen würdigen Empfang, großer Bruder.“ Zorn, Hass und Angst flammten in mir auf. In diesen Augenblick gelang es mir nicht die Maske aus Neutralität aufrecht zu erhalten. „Was willst du hier? Wie bist du hier hereingekommen?“ Das schwache Licht des Flurs flackerte auf und warf dunkle Schatten auf das Gesicht meines Bruders. Ganz langsam erhob er sich. „Eine kleine Hexe mit den Namen Potter war nicht besonders schweigsam, als man sie den Crucio fühlen ließ. Nach ein paar Stunden hat sie gesungen wie ein kleiner Vogel.“ Sofort hatte ich das zarte Gesicht von Lily vor Augen und schluckte hart. Ich lauschte angestrengt den Geräuschen im Flur, etwas, was Lysander zu bemerken schien. Eine hässliche Fratze von Selbstgefälligkeit machte sich auf seinem Gesicht breit. „Keine Angst, deine kleine Freundin hockt dort oben, eingeschlossen in ihrem Zimmer und wartet nur noch darauf, dass ich über sie richte. Ich dachte, ich lasse dich zusehen, um dir begreiflich zu machen, dass du auf dieser Seite des Krieges keine Chance hast zu überleben.“ Bevor ich wusste, wie mir geschah,überkam mich eine unnatürliche Ruhe. Schon unendlich viele Male hatte ich mir ausgemalt, wie es sein würde, wenn Lysander und ich uns zum letzten Mal gegenüber stehen würden und nun war dieser Augenblick gekommen. Ich sah, das Lysander verwirrt darüber war, dass die Welle aus Hass aus meinem Gesicht verschwand und stattdessen Gleichgültigkeit hervortrat. „Molly“, sprach ich mit fester Stimme und mir war bewusst, dass sie mich hören konnte. „Untersteh' dich sie Elisabettha zu nennen.“ Ich hörte ein Klopfen von oben und sofort wurden meine Gesichtszüge weich. Innerlich schmerzte es mich, dass ich meine Tochter nicht ein einziges Mal zu sehen bekommen würde, doch mir blieb keine andere Möglichkeit als hier und jetzt einen klaren Strich zu ziehen. Ich hob den Zauberstab. „Wer hat noch gesungen? Lily alleine kannte nicht sämtliche Passwörter.“ Lysander tat es mir gleich und ich konnte Entschlossenheit in einem Gesicht erkennen. Mit viel Konzentration gelang es mir in seine Gedanken einzutauchen und verstand. Er hatte geglaubt, dass er mich dazu bringen könnte die Seiten zu wechseln, wenn er mir alles nahm, was mir wichtig war. Aber er täuschte sich, denn ich war bereit einen viel höheren Preis zu bezahlen als er sich es je vorstellen konnte. Eine Druckwelle raste auf mich zu, gerade noch rechtzeitig hob ich den Zauberstab höher an und ließ den Zauber nonverbal an mir anprallen. Hinter mir gingen sämtliche Fensterscheiben zu Bruch. Die Splitter rieselten zu Boden, so wie zig kleine Diamanten. „Was glaubst du?“, sprach Lysander kalt und ich musste erneut aufpassen wie ein Luchs. Seine Macht hatte es in sich und mein Körper gehorchte mir nicht halb so gut, wie ich es gewöhnt war. Mit den Rücken knallte ich gegen die alte Holzwand und stürzte haltlos zu Boden. Ein Glück das ich meinen Zauberstab fest umklammert hielt und sofort zum Gegenangriff über gehen konnte. Hektisch riss sich mein Bruder seinen langen schwarzen Mantel vom Leib, da er lichterloh in Flammen stand. Dies war meine Chance, ich rappelte mich auf und wollte so schnell ich konnte die Treppen empor huschen, doch Lysander war schneller. Erneut traf mich ein Fluch und dieses Mal direkt in den Rücken. Ich stöhnte auf, krachte in die knarrende Treppe und spürte, dass das Holz unter der Wucht des Aufpralls nachgab. Ich lag nun direkt in den Stufen, mein Zauberstab lag nur noch locker in meiner linken Hand, weshalb es ein Leichtes für Lysander war, mich zu entwaffnen. Er trat näher und ich spürte einen großen Splitter, der mein Bein durchbohrt hatte. Mit der rechten Hand tastete ich möglichst unauffällig nach Holz. Mein Bruder trat näher heran und drehte mich mit einer Wucht auf den Rücken, sodass mir die Luft weg blieb. Der Schmerz jagte durch mein Bein und ich versuchte mich zu konzentrieren, dafür musste ich Lysander unbedingt ablenken. „Albus“, sprach ich keuchend und sah das mein Bruder überrascht zu sein schien. „Albus hat uns verraten.“ Lysander zog eine hässliche Grimasse und ich versuchte mich auf die verteilten Holzsplitter hinter ihn zu konzentrieren. Schweiß rannte mir über das Gesicht und ich konnte nur hoffen, dass mein Gegenüber glaubte, dass sie vom Schmerz kamen. „Du hast geraten, nicht war?“ „Ja“, gestand ich und zog scharf die Luft ein als Lysander mich am Kragen packte und aus etwas aus den eingestürzten Stufen zog. Er sah auf mein Bein und umfasste den großen Holzsplitter. Mit einem Ruck zog er ihn heraus und ich biss mir vor Schmerzen auf die Unterlippe. Das war meine Chance um mich zu orientieren. In Sekundenschnelle nahm ich war, wie das Holz sich im Raum verteilt hatte. Ich brauchte die Zahl dreizehn. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich der Stärkere von uns beiden bin“, sprach Lysander und ich schluckte hart. Er war mir so nahe, wie schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr. „Es wird Zeit, dass du dich mit deinem Schicksal abfindest und aufhörst dich dagegen zu sträuben.“ Seine knochigen Hände ließen mich los und ich sah, dass er zum Ende der Treppe blickte. Nein. Nicht Molly und Gwendolyn! Mit aller Kraft die ich aufbringen konnte, raffte ich mich auf. Das Blut rauschte in meinen Ohren und ich hatte das Gefühl zu ersticken, wohl wissend, dass es nicht sein konnte. Ich zog mich am schwarzen Pullover meines Bruders empor und sah ihm fest in die Augen. In seinen sah ich nur noch Leere und ich fragte mich, was er in den meinen sehen konnte. Meine Hand umklammerte seinen Zauberstab und er sah an sich herunter. Unsicherheit schlich sich in sein Gemüt. Mein Griff wurde fester und ich atmete tief durch. „Ich habe bereits beim ersten Mal verstanden, dass du der Mächtigere bist. Aber du hast etwas Wichtiges übersehen, Lysander.“ Mein Bruder sah mich an, er schien verwirrt, beinahe konfus. Ich legte meine Stirn auf seine Schulter, gleich war es so weit. Ich hörte von oben meine kleine Tochter schreien, es war als schien sie zu spüren, dass in ihrer Nähe etwas Schreckliches geschah. Als ich die Augen schloss, flammten die Holzsplitter auf und dreizehn Fackeln bildeten um uns herum einen Kreis. Lysander wandte den Kopf, er versuchte mir seinen Zauberstab zu entreißen, denn die Magie des Stabes floss nach meinem Willen. Der Zauberstab hatte erkannt, dass ich dem Gemüt seines Meisters ähnlicher bin, als Lysander es je war. Denn vor langer Zeit hatte sich der Stab einen anderen Menschen ausgesucht. Jemand, der im Herzen noch gut war und der seine Macht nicht dafür missbrauchte Böses zu tun. Dieser Mensch war Lysander nicht mehr, aber dafür ich. Doch noch war meine List nicht zu Ende, sie hatte gerade erst angefangen. Ich keuchte, gleich würde es vorbei sein. In Gedanken ging ich die alten Runen durch, die ich durch Ted bekommen hatte. Es war ein langer Zauber und auch ein sehr gefährlicher. Eine falsche Silbe und er hatte fatale Auswirkungen. Rauch umhüllte uns und Lysander versuchte mich von sich zu stoßen, doch ich hielt ihn so fest, wie es mir nur möglich war. „Was tust du!“, entwich es ihm panisch und ich verzog meine Lippen zu einem erfreuten Grinsen. „Ich tue das, was ein Ravenclaw am Besten kann, denn ich bin der Schauere von uns. Endos“ Ein großer Holzsplitter raste auf uns zu und traf Lysander direkt im Rücken. Ich hatte auf das Herz gezielt und ganz wie es meine Absicht gewesen war, hatte ich auch getroffen. Auf den Zentimeter genau. Aber anstatt das mein Bruder Blut spuckte, war ich es. Der alte Runenzauber, Walzness Endos, hatte unsere Körper vertauscht. Eine gewaltige Wucht an Gefühlen erfasste mich. Während meine Hände aus Knochen bestanden, mein Haar so weiß wie Schnee war, fiel mir jeder Atemzug schwer. Doch eine Welle der Erleichterung machte sich in mir breit, denn ich spürte es. Dieses kleine, schüchterne und wertvolle Gefühl von Liebe. Molly. Ich hatte mich nicht getäuscht. Meine Gefühle waren die gesamte Zeit über vorhanden gewesen. Verschlossen hinter einer festen Tür. Ich sah in das geschockte Gesicht meines Bruders, in mein Gesicht. Lysander starrte mich an, dann ließ ich den Zauberstab los und mein – sein Herz - verkrampfte sich. Schlaff fiel der Körper in sich zusammen und mir wurde bewusst, dass ich nur noch wenige Augenblicke hatte. Ich sollte sie nutzen. Steif fing mein Bruder mich auf, seine Hände zitterten und ich spürte, dass er den Splitter aus meinen Rücken ziehen wollte. Sinnlos, es war zu spät. „Du... wirst nie wieder Magie benutzten“, ließ ich ihn schwach wissen und atmete tief den vertrauten Geruch ein. Wärme, Minze, genau so roch mein Bruder. So hatte ich ihn in Erinnerung. „Du wirst meine Familie in Ruhe lassen und... lernen zu leben, mit dem… was du getan hast.“ Seine Arme umfingen mich und obwohl ich mir sterben immer schwer vorgestellt habe, war es, als würde man mich in eine warme Decke hüllen. „Warum hast du das getan?“, es war ein Klang in der Stimme meines Gegenübers, den ich lange nicht mehr gehört hatte. Erinnerungen zuckten vor meinen geistigen Auge vorbei. Szenen aus der längst vergangenen Kindheit, als alles noch hell und freundlich war. Sekunden, in denen die grausame Welt perfekt erschien kamen in mir auf. Molly, wie sie einfach nur an meiner Seite schlief, wie sie lachte und wie sie mir immer wieder das Gefühl von Hoffnung vermittelte. „Du bist mein Bruder“, flüsterte ich und meine Brust zog sich zusammen. Meine Sicht schwand. Ich hatte alles erreicht was ich wollte. Molly und Gwendolyn waren in Sicherheit und noch dazu hatte ich auf ihn aufgepasst. Meinen kleinen, mächtigen Bruder, der die Versuchung nach Macht nicht widerstehen konnte. Und während ich nur am Rande meines Bewusstseins erahnte, dass mein Herz immer langsamer schlug, erinnerte ich mich an eine Begegnung mit meinem Grandpa Lovegood. Ich klagte ihm an einem weihnachtlichen Abend im alter von sieben mein Leid darüber, dass Lysander mich schon wieder beim Arm drücken, beim laufen durch den Schnee, aber auch beim klettern auf den Schoppen besiegt hatte. Ich hatte immer das Nachsehen. Mein alter, leicht seniler Grandpa hatte nur gelächelt und mir über den Kopf gestreichelt. Ich sehe sein faltiges und gütiges Gesicht direkt vor mir und lausche dann seiner Stimme. »Es ist schon möglich, dass Lysander der Stärkere von euch ist, aber du bist zweifelsohne der Klügere und das ist doch nun wirklich wichtiger für einen älteren Bruder, nicht war Lorcan?« Er hatte recht. Meine tauben Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Es wurde hell um mich herum. Von irgendwo hörte ich einen entsetzlichen Schrei. Dann folgte ein warmes Lachen. Ich starb. E n d e. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)