Stumm flüstert der Wind von Lyssky (絆 (kizuna) - Die Fesseln, die uns binden) ================================================================================ Prolog: Die Höhle ----------------- »Aufwachen!« Der Befehl durchschnitt die Stille in der Dunkelheit wie ein Peitschenhieb, bevor er von dem massiven Grau der Felsen verschluckt wurde. Er warf kein Echo. Die Höhlenwand, geformt aus scharfkantigem Gestein, umschloss in weiter Umarmung eine kreisförmige Bodenfläche, über der sie sich in schwindelerregender Höhe verjüngte und im Dunkel verlor. Für das menschliche Auge war die Decke kaum mehr zu erkennen als ein Schatten im Nebel. Es war kühl. Nicht der leiseste Windhauch fand seinen Weg hinein. Die Luft war trocken und alt, die Höhle ein ewiges Grab, unzerstörbar wie Erde und Stein. Tief im Berg gelegen, war dieser Ort Jahrhunderte lang verlassen gewesen, unberührt von den Bestrebungen der Menschenwelt. In den Zeiten der Kriege war er stets übersehen worden. Von den Episoden blühenden Friedens wusste er nichts. Doch nun stand die Luft in kalten Flammen. Über dem Boden hatte sich eine fluoreszierende Erscheinung manifestiert. Nach und nach war sie sichtbar geworden, bis ihre monströsen Umrisse ebenso real erschienen wie die bleischwere Masse des Berges selbst. Es war eine Dämonenstatue, deren gigantische Hände und Füße in Ketten lagen, deren Augen verbunden waren und deren Mund geknebelt. Dennoch waren ihre Hände fähig, gierig nach einem Menschen zu greifen, die Füße, ihn zu zermalmen, und der Mund, tödliches Chakra auszuspeien. Auf der Stirn trug sie wachsame, sich niemals schließende Augen, die unruhig in ihren Höhlen herumrollten, als wären sie auf der Suche nach dem letzten fehlenden Glied in ihren seelenlosen Reihen. Es waren acht an der Zahl. Nur das Auge in der Mitte blieb geschlossen und schwarz. Vor den Füßen der monströsen Statue, die sich über ihnen auftürmte, wirkten die beiden Jungen in der Mitte des Höhlenbodens verschwindend klein. Einer von ihnen stand heftig atmend da und presste mit der Rechten auf eine Stelle an seiner Seite, als könnte er sich kaum auf den Beinen halten. Die Farbe seines Hemdes war unter einer Schicht aus Schmutz und Blut kaum zu erkennen. Er hatte Kratzer im Gesicht, an den Armen und auf der Brust. Blut war ihm von einem Schnitt am Knöchel über die Finger gelaufen. Es war noch nicht getrocknet. Sasuke starrte auf den reglosen Körper vor seinen Füßen. Der andere Shinobi war ebenso übel zugerichtet wie er selbst, obwohl seine Verletzungen durch die Fesseln, die fast seinen gesamten Körper einschnürten, schwer zu erkennen waren. Er lag auf dem Rücken, und nur die Füße, die Fingerspitzen und Kopf und Schultern schauten heraus. Das helle Haar war zerzaust und verklebt. Seine Schläfe pulsierte hektisch unter einer Platzwunde am Kopf, durch die eine große Fläche bis zum Ohr mit Blut verkrustet war. Sein Körper kämpfte darum, die Schäden zu reparieren, die ihm zugefügt worden waren, doch sein Verstand schien bewusstlos zu sein. Sasuke stellte sich neben den Gefesselten und trat ihn kräftig in die Seite. Sasukes Finger zuckten. Nur die Tatsache, dass sein Körper vor Erschöpfung zitterte, konnte dafür verantwortlich sein, dass sein Fuß die Rippe, die er kurz zuvor selbst gebrochen hatte, um Haaresbreite verfehlte. Aus den Schatten über ihnen erhob sich eine Stimme. »Willst du etwa nachsehen, ob du ihn aus Versehen umgebracht hast?« Die Stimme lachte. »Oder hast du Angst, dass er noch lebt, weil er dann leiden muss? Schließlich sagt man euch Ninjas aus Konoha ein weiches Herz nach.« Der spöttische Tonfall und die Geschwätzigkeit waren klar als Kisames zu erkennen, auch ohne dass Sasuke zu ihm hoch sehen musste. Er wusste ohnehin, welche Sicht sich ihm bieten würde. Auf den Fingerspitzen der Statue hatten sich die drei verbleibenden Akatsuki-Mitglieder versammelt, Kisame, Zetsu und Madara. Ihre Umrisse waren in dem diffusen Licht der Höhle vage zu erkennen, und über ihnen zuckten lidlos und unruhig die Dämonenaugen, als sei ihr Träger dem Wahn verfallen. Sasuke hatte keine Lust auf diesen Anblick. »Wie auch immer, tot sein wird er schon bald genug.« Kisame lachte erneut. Es war reine Provokation. Sasuke ignorierte den Kommentar und trat ein zweites Mal zu. An dem dumpfen Knirschen des Brustkorbs merkte er, dass er den gebrochenen Knochen diesmal getroffen hatte. Die gefesselte und geknebelte Gestalt zuckte zusammen und gab ein leises Wimmern von sich. Nun kam Unruhe über die Shinobi, die bereits auf ihren Plätzen standen und auf das Jutsu warteten, das die Statue zum Leben erwecken würde. »Sasuke scheint es hinauszögern zu wollen«, meldete sich Zetsus helle Seite zu Wort. Sogleich antwortete die dunklere raspelnd. »Wir sollten anfangen, wir haben wenig Zeit. Das Jutsu an sich dauert lange genug. Und wir haben es hier nicht mit irgendeinem Bijuu zu tun.« Der hohe Blätterkragen, der sein geteiltes Gesicht wie ein bizarrer Schutzschild umgab, drehte sich fragend zu Madara herum. Es war jedoch Kisame, der das Wort ergriff. »Selbst die Shinobiallianz muss inzwischen erfahren haben, dass ihnen der letzte Jinchuuriki abhanden gekommen ist. Wenn man sich vorstellt, dass er fast von selbst zu uns gekommen ist... Es hat sie sicherlich in helle Aufregung versetzt, dass wir jetzt den Neunschwänzigen haben. Bestimmt sitzen sie wie ängstliche Kaninchen in ihren Höhlen und warten darauf geschlachtet zu werden.« Seine Zähne blitzten räuberisch. »Da sollten wir sie nicht zu lange warten lassen, nicht wahr?« Tobi hört nur halbherzig zu, denn jede Regung im Gesicht des jungen Uchiha zu beobachten war weitaus interessanter. Seit er ihm den bewusstlosen Ninja vor die Füße geworfen hatte, war es zu keinem Wortwechsel mehr zwischen ihnen beiden gekommen. Dem, was die anderen Akatsuki sagten, schien Sasuke keinerlei Bedeutung beizumessen. Sein Blick war fest auf das stumme Leiden ihres Gefangenen gerichtet. Nach einem Moment des Nachdenkens darüber, was wohl gerade in seinem Schützling vorging – nicht dass das schwer zu erraten gewesen wäre – befand es Tobi für an der Zeit, ihn an seine Pflichten zu erinnern. »Sasuke«, sagte er von seiner Position auf dem linken Ringfinger herab, »ich dachte, du meintest es bloß metaphorisch, als du sagtest, du wolltest Konoha vor dir im Staub liegen und betteln sehen, bevor du es zerquetscht wie eine Fliege. Aber wenn du es so wörtlich angehen willst, dürfte das ein wenig schwierig werden. Deine Fliege hier scheint doch recht robust zu sein.« Die Missbilligung und die klare Aufforderung, die Tobi mit der kleinen Albernheit transportierte, konnten Sasuke kaum entgangen sein. Tobi wusste, dass er zuhörte, auch wenn er so tat, als wäre er mit dem Jinchuuriki dort unten allein. Er erwartete eine freche Erwiderung der einen oder anderen Art, und es irritierte ihn, dass nichts dergleichen kam. Sasuke schaute nicht einmal auf. »Du hast deinen Triumph genug ausgekostet.« Tobi achtete darauf, dass Sasuke sein veränderter Tonfall nicht entging. Diese Angelegenheit war ernst. »Du hast einen Kampf hinter dir und dich kaum erholt. Spare deine Energie für das Jutsu und komm an deinen Platz. Es ist Zeit anzufangen.« Da schossen Sasukes Augen endlich zu ihm nach oben. »Wir fangen an, wenn ich mit ihm fertig bin!« Er spie die Worte geradezu aus. Unverhohlene Abscheu verzerrte seine blutverschmierten Züge. Tobi betrachtete Sasuke interessiert. Kisame nutzte den Augenblick, um sich erneut einzumischen. »Was für eine vorlaute Göre«, sagte er an die anderen Akatsuki gewandt. »Manchmal wünscht man sich wirklich Itachi-san zurück, nicht wahr? Es ist unglaublich, dass sie Brüder waren. Aber was sollte man schon anderes von Orochimarus respektvollem Schüler erwarten.« Die Anspielung wurde im süffisantesten Tonfall vorgebracht. »Lassen wir uns das einfach so gefallen?« »Und du hältst dein Maul!«, rief Sasuke mit einer Zornesfalte zwischen den Augenbrauen. »Du weißt nichts über Itachi und mich!« Kisame setzte an, etwas zu erwidern, doch diesmal brachte ihn Tobi mit einer knappen Geste zum Schweigen. Einen Moment lang war das einzige Geräusch, das zu hören war, der beschleunigte Atem des angeschlagenen und wütenden Shinobi. Die Luft war zum Schneiden dick. Tobi beobachtete Sasuke aufmerksam. Irgendwann hatte es wohl soweit kommen müssen, dass zwischen ihm und Akatsuki bestimmte Differenzen zu Tage treten würden, doch es war sehr unpassend, dass das ausgerechnet jetzt geschah. Denn was Kisame angedeutet hatte, war nicht zu vernachlässigen: In den Adern ihres Clans floss die Neigung zum Verrat ebenso wie ihr Hochmut, ihr Streben nach Macht und ihr Hang zur Tragik. So, wie Sasuke dort unten auf dem Höhlenboden bei dem Jinchuuriki stand, unschlüssig und zaudernd, war es noch immer möglich, dass er sich gegen Akatsuki wenden würde. Tobi hatte immer gedacht, dass wenn es passieren würde, es im Zusammenhang mit dem Shinobi geschehen musste, der jetzt geknebelt zu ihren Füßen lag, vielleicht sogar in genau dieser speziellen Situation. Wenn Kisame jedoch so weiter machte, würde er ihn geradewegs in die Auflehnung führen. Platte Sticheleien über Sasukes Kopf hinweg würden ihn kaum dazu bewegen zu kooperieren. Es war eigentlich keine schwierige Entscheidung. Was auch immer Sasuke mit seinem früheren Freund jetzt noch vorhatte, war es besser, ihn selbst zu der Erkenntnis kommen zu lassen, dass er wollte, was auch Tobi von ihm wollte. Besonders im Fall eines Jungen wie ihm, dessen Selbstwertgefühl so sehr auf geistiger Autonomie baute. Die Ironie schmeckte süß auf Tobis Zunge. Schon als er Sasuke Itachis Geschichte erzählt hatte, war diese Strategie perfekt aufgegangen, und es würde ihn nicht überraschen, wenn es heute genauso wäre. Und wenn nicht? Tobi war dankbar dafür, dass die Maske sein Lächeln so wirksam verbarg. Falls Sasuke sich bewusst wurde, wie er hier buchstäblich am Abgrund stand, dann hatte Tobi immer noch die Mittel ihn hinunter zu zwingen. So oder so, Sasuke würde den Platz an seiner Seite einnehmen, um Kyuubis Chakra zu extrahieren. Sasuke starrte erbost auf die Schemen über ihm. Wenn sie glaubten, dass er einfach zu ihnen kommen und tun würde, was sie von ihm verlangten, nach dem, was Madara sich geleistet hatte– Der ältere Uchiha verschränkte die Arme vor der Brust und nickte ihm knapp zu. Zetsus Kopf zog sich in seinen weiten Kragen zurück, während Kisame wieder grinste, als wäre es ihm egal, dass Madara ihm nicht erlaubt hatte zu antworten. Wenn es nach Sasuke ging, war das mehr als angemessen. Allmählich kam er wieder zu Atem, doch die Wunde an seiner Seite pochte noch immer qualvoll. Sasuke versuchte den Schmerz auszublenden und drehte sich um, die Statue im Rücken, um sich wieder dem bewegungslos daliegenden Ninja zuzuwenden. Trotz eines gelegentlichen Wimmerns war er noch immer nicht zu Bewusstsein gelangt. Sasuke stellte sich breitbeinig über ihn und sah streng auf ihn herab. »Mach die Augen auf. Ich weiß, dass du wach bist.« In dem zerschrammten Gesicht zuckte ein Muskel, und es war ein leises Stöhnen zu hören. Dann herrschte wieder Stille. Sasuke spürte die Blicke der drei Akatsuki in seinem Rücken und hatte im Moment nur einen einzigen Gedanken: Dass er keine Zeit hatte zu warten, bis der andere von selbst aufwachte. Ohne auf seine Verletzung zu achten, ging er rasch in die Hocke und riss den schlaffen Oberkörper am Kragen in eine aufrecht sitzende Position hoch. Dann schlug er ihm mit der Faust so hart er konnte ins Gesicht. »Ich sagte, aufwachen! Naruto!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)