Das Phantom der Hochschule von Redfire (Das Erbe des Phantoms der Oper) ================================================================================ Kapitel 1: Musik im Herzen -------------------------- Kapitel 01: Musik im Herzen „Sie blieb standhaft und bestand auf eine Chance.“ Es war ein sonniger Morgen im Januar. Der Winter war mal wieder knackig kalt und hielt sich auch mit den Schneemassen nicht zurück. In der Hansestadt Rostock, die die einzige Großstadt in dem Bundesland Mecklenburg‑Vorpommern war, lebte eine junge Frau, die vor etwa zwei Jahren die Musik für sich entdeckt hatte. Besonders die japanische Rockszene hatte sie lieb gewonnen. Doch die Passion war in der letzten Zeit so unermesslich geworden, dass sie selbst ein Instrument spielen wollte. Also besorgte sie sich kurzerhand eine Konzertgitarre und fing an zu spielen. Es gab allerdings mehrere Hindernisse, die sie zu überwinden hatte. Da sie so spät die Leidenschaft für die Musik entdeckt hatte, konnte sie keine Noten lesen, weil sie im Musikunterricht an der Schule nie aufgepasst hatte. Dies bereute sie nun sehr. Doch ihr Wille war stark und so übte sie den ganzen Morgen in ihrem Zimmer einen Song ihrer Lieblingsband Luna Sea. Dann öffnete sich die Zimmertür. „Sarah. Du solltest mal langsam eine Pause einlegen. Tun dir nicht die Finger weh?“ fragte ihr Vater sie. „Nein, passt schon. Aber irgendwie habe ich in letzter Zeit das Gefühl, keine Fortschritte mehr zu machen. Das macht mich wahnsinnig.“ Sagte sie und sah ihren Vater traurig an. „Wie wäre es mit Gitarrenunterricht?“ „Hm, ja daran habe ich auch schon gedacht, aber das ist ja nicht das einzige, was ich lernen will. Ich muss Notenlesen lernen und würde auch gerne andere Instrumente lernen.“ antwortete Sarah und packte ihre Gitarre bei Seite. „… Zum Glück wohnen wir in Rostock.“ Sagte ihr Vater lächelnd. Seine Tochter sah ihn nur fragend an. „Was meinst du?“ „Die Hochschule für Musik und Theater? Schon mal daran gedacht? Du könntest dich zum Abendstudium anmelden.“ Sarah hielt inne und ließ sich das durch den Kopf gehen. Sie machte derzeit eine Ausbildung zur Bürokauffrau, was ein Tagesstudium unmöglich machte. „Na gut. Zu verlieren habe ich nichts. Ich spreche mal mit meinem Chef, wegen den Arbeitszeiten und geh Montag nach der Arbeit zur Hochschule.“ „Genau.“ Ermutigte ihr Vater sie. „Dann erkundigst du dich, wie es mit der Anmeldung aussieht. Ich glaube, du könntest Glück haben. Du könntest dich für ein Kurzstudium anmelden, dass glaube ich im Februar beginnt.“ Sarah sprang auf. „Das geht?! Oh ja! Das mach ich!“ Sie war sehr glücklich und fest entschlossen. Ihre Augen strahlten vor Freude und plötzlich war es ganz ruhig. Sie und ihr Vater sahen sich stumm an. „… Zeit für eine Pause. Mir tun die Finger weh. Ich mach mir einen Capuccino.“ Dann begaben sich die beiden in die Küche, wo sie sich noch ein wenig unterhielten. Den Rest des Wochenendes hatte Sarah nur Musik im Kopf – wie die anderen Wochenenden zuvor auch. Sonntagabend lag Sarah im Bett. Die vielen Gedanken in ihrem Kopf, ließen sie nicht einschlafen und tanzten herum, wie Balletttänzer. [Ich will Wissen, wie ich meine Gefühle mit Musik ausdrücken kann. Ich schreibe Geschichten und Lyrics, zeichne gerne und viel. Aber das allein genügt nicht mehr, um meine Gefühle auszudrücken. … Ich hoffe ich kann an die Hochschule gehen. Das wünsche ich mir so sehr.] Nach einer kurzen Nacht und einem langen Arbeitstag, machte sich Sarah auf den Weg zum Stadthafen, wo die Hochschule für Musik und Theater ansässig war. Sie war schon einmal in dem Gebäude gewesen, allerdings um einen Job als Kurier zu erledigen, den sie zeitweise immer noch ausführt. Ja – sie war eine vielbeschäftigte Person, die offenbar immer unter Strom steht. Doch tatsächlich mochte sie es sehr, auch mal ruhige Stunden zu verbringen – insbesondere mit ihrem Freund Hiroki, der jedoch in Hamburg lebte. Sarah stand an den Eingangsstufen des Gebäudes und atmete noch einmal tief durch. Als sie die erste Stufe betrat, klingelte auf einmal ihr Handy und sie schrak auf. „AAAH!“ Reflexartig hielt sie sich den Mund selbst zu. [Ich hoffe das hat keiner Gehört? … Wer ruft mich da an?] „Hallo?“ „Sarah? Ich bins, Tina. Ich wollte dir nur viel Glück wünschen. Du schaffst das!“ „Vielen Dank. Aber deswegen brauchst du mich doch nicht anzurufen.“ „Doch, wie du siehst muss ich das. Also… Gib alles!“ Sie beendeten das Telefongespräch, Sarah steckte das Handy wieder weg und betrat das Gebäude. Sie trat in den Vorraum ein und wandte sich nach Links, wo eine Frau saß, die der jungen Frau jedoch vorerst keine Aufmerksamkeit schenkte. „Hallo? Entschuldigen Sie bitte.“ Begann Sarah höflich und die Frau an der Rezeption hob den Kopf. „Ja? Was kann ich für Sie tun?“ fragte sie dann etwas gelangweilt. Es war offensichtlich, dass Sarah sie gestört hatte. Die Dame war sehr in die Zeitschrift Für Sie vertieft und ihr kam es wohl gerade sehr ungelegen, dass sie kurz vor Feierabend noch arbeiten musste. „Nun, ich bin hier, weil ich mich für ein Kurzstudium anmelden will, dass im Februar beginnen soll.“ Erklärte Sarah und warf ihre blonden Haare nach hinten. „Hm, mal sehen. Das könnte knapp werden. Aber mal sehen. Über welche Qualifikationen verfügen Sie?“ fragte die Frau dann. „Also.“ Fing Sarah stotternd an. „Ich habe die Schule abgeschlossen und befinde mich derzeit in einer Berufsausbildung, weshalb ich diesen Abendkurs besuchen muss.“ Die Rezeptionsdame schien sich herzlich wenig für ihre Geschichte zu interessieren. „Welchen Schulabschluss haben Sie?“ „Ähm, qualifizierter Realschulabschluss.“ „Na dann können Sie es vergessen.“ Sarah erschrak innerlich. Doch ans aufgeben dachte sie noch lange nicht. „Wieso, wenn ich fragen darf?“ fragte sie etwas zögernd. „Wir haben viele Bewerber auf diesen Kurs und viele davon haben Abitur. Diese Kurse sind sehr teuer und natürlich möchte die Hochschule eine hohe Erfolgsrate. Sagen wir so, Sie sind nicht qualifiziert genug.“ In dem Moment konnte sich Sarah einfach nicht beherrschen, schlug mit der Hand auf den Tisch und wurde etwas lauter. „Bestimmt etwa ein Blatt Papier auf dem Zeugnis drauf steht, was und wie viel mir die Musik bedeutet? Musik entsteht und trägt man im Herzen und nicht im Kopf!“ Die Frau musste schlucken und machte große Augen. Auf einmal sah sie gar nicht mehr so gelangweilt aus, ja sie war richtig überrascht von Sarahs Reaktion, die sie eigentlich als eine ruhige Person eingeschätzt hatte. Das war in der Regel auch richtig, doch die zierliche Sarah wusste genau was sie wollte und aufgeben kam für sie nicht in Frage. Doch nicht nur die Rezeptionsdame hatte diese kurze Ansprache von Sarah mitbekommen… „Also… Einen Augenblick bitte. Ich werde kurz mit dem Direktor sprechen. Es dauert nicht lange. Warten Sie bitte hier.“ Sagte die Rezeptionsdame, erhob sich von ihrem Platz und lief den Gang hinunter. Sarah war etwas verdutzt und sah ihr kurz nach. Dann kratzte sie sich verlegen am Hinterkopf. [Hm… Hat das so viel Eindruck gemacht? Hätte nicht gedacht, dass das funktioniert.] Dann ging sie im Vorraum nervös auf und ab, nicht wissend, dass sie beobachtet wurde. Auf der rechten Seite des Raumes, hingen Vorhänge in den Ecken. Scheinbar dienten sie der Dekoration. Tatsächlich war dahinter auch nichts weiter als Gestein. Jedoch ließ sich die Wand an einer geheimen Stelle wie eine Tür öffnen. Doch natürlich wusste davon niemand. Die jungen Menschen, die tagtäglich ein und ausgingen, hatten andere Sachen im Kopf, als sich die Wände anzugucken. Nach einigen Minuten kam die Frau wieder an ihren Platz, kramte kurz in einer Schublade herum und holte ein Formular heraus und legte es Sarah vor. „Füllen Sie das Bewerbungsformular aus. Ob sie angenommen werden weiß ich jedoch nicht.“ Sagte sie dann mit kalter, desinteressierter Stimme. Das kümmerte Sarah herzlich wenig und lächelnd füllte sie die Blätter aus. Die Sonne war bereits unter gegangen und Sarah sah auf, nachdem sie ihre Unterschrift auf das letzte Blatt gesetzt hatte. Dann schob sie das Formular der Rezeptionsdame entgegen. „Bitteschön.“ Sagte sie freundlich. „In Ordnung. Das war’s. Sie können gehen.“ Sagte sie wieder sehr gelangweilt. Sarah wunderte sich nicht mehr darüber und nahm das Verhalten dieser Frau einfach so hin. „Vielen Dank und einen schönen Abend noch.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Sarah nun und verließ das Gebäude. „Sie hören von uns…“ Sagte Rezeptionsdame noch im letzten Moment. Doch kaum schnappte die Tür hinter Sarah zu, ergänzte sie; „… oder auch nicht.“ Und zeriss das ausgefüllte Formular. Anschließend landete es im Mülleimer. Nichts ahnend ging Sarah noch ihre Freundin Tina besuchen, die nicht weit entfernt in einer Bar arbeitete. Sie wollte ihrer Freundin, die für sie fast wie eine Mutter war, erzählen, wie es gelaufen war und natürlich von der unfreundlichen Frau an der Rezeption. Doch daran zog sie sich nicht lange auf. Stattdessen malte sich Sarah aus, wie es sein wird, wenn sie jeden Tag Arbeiten und am Abend noch studieren ging. Das würde ziemlich anstrengend werden. Aber den Mutigen gehört die Welt, wie es so schön heißt. Wenige Minuten vor 20 Uhr erhob sich die Rezeptionsdame und verließ ihren Arbeitsplatz. Zeit für Feierabend. Doch natürlich durfte Ihre Zeitschuft Für Sie nicht fehlen. Kaum hatte sie diese in der Hand, war sie auch schon aus der Tür verschwunden. Wie ein Schatten, leise und unbemerkt trat er nun in Erscheinung. Der geheime Mithörer, der sich dem Schreibtisch der Frau näherte. Er musste nicht lange suchen und er fand das Bewerbungsformular von Sarah im Mülleimer. Kopfschüttelnd nahm er es an sich und verschwand damit wieder in den Schatten der Nacht. Die letzten, wenigen Schüler verließen schließlich die Hochschule für Musik und Theater und ließen den Hausmeister mit seinen Arbeiten und Sorgen allein. Auch die letzten Lehrer packten ihre Taschen und verabschiedeten sich in den wohl verdienten Feierabend. Nur der Direktor saß noch in seinem Büro und unterzeichnete widerwillig einige wichtige Unterlagen. Plötzlich öffnete sich hinter ihm eine Geheimtür in der Wand, aus dem ein Mann heraustrat. „Herr Direktor?“ Der Direktor hob eine Hand, „Einen Augenblick.“ Und unterzeichnete das letzte Blatt mit seinen Namen. Danach legte er den Kugelschreiber bei Seite und wandte sich seinem Gast zu, der ihm ein Formular unter die Nase hielt. Oder vielmehr zwei Formularfetzen. Der Direktor sah ihn missverständlich an. „Was ist das?“ „Das ist eine Bewerbung. Bitte sehen sie sich an.“ Der Direktor nahm die Blätter entgegen und hielt sie aneinander. Zeile für Zeile ging er durch und sah dann seinen Besucher erneut fragend an. „Und was soll das? Wieso ist diese Bewerbung in so einem Zustand?“ „Heute war eine junge Frau hier, um sich für das bald beginnende Abendstudium zu bewerben. Sehr unfreundlich wurde sie von Frau Werner empfangen, die sie abwies. Doch sie blieb standhaft und bestand auf eine Chance.“ „Hm. Sarah-Luna Schmidt. Musikunterricht Schulnote 3?“ Er legte seine Brille auf dem Schreibtisch ab, stand auf und ging um den Tisch herum, um sich ein wenig zu bewegen, nach der einschlafenden Arbeit. „Erik.“ Fing er stöhnend an. „Diese Plätze sind sehr begehrt und zu alle dem auch noch sehr teuer. Jeder nicht bestehende Student ist eine Belastung für die HMT. Diesem Problem kann man vorfassen, indem man…“ Er wurde von Erik unterbrochen. „Musik entsteht und trägt man im Herzen und nicht im Kopf.“ Der Direktor sah ihn fragend an und Erik verschränkte seine Arme. „Das waren ihre Worte und sie hatte so ein Selbstbewusstsein in der Stimme, als sie das sagte… oder sollte ich sagen, fast schrie? Jedenfalls könntest du ihr eine Chance geben. Lad sie wenigstens zu einem Gespräch ein.“ Der Direktor atmete einmal tief ein und sah ihn an. Einige Sekunden vergingen, bis er dann sagte: „Na gut. Weil du es bist. Aber glaube nicht, dass sie einen Freipass bekommt.“ Kapitel 2: Das Lamm und der Wolf -------------------------------- Kapitel 02: Das Lamm und der Wolf „Denkst du, dass ich es schaffen kann… ?“ Zwei Tage vergingen, ohne die geringste Reaktion von der HMT. Kein einziges Zeichen. Das machte Sarah nervös. An diesem Nachmittag kam sie von der Arbeit nach hause. Sie fuhr mit dem Fahrrad und war so sehr flexibel. Man konnte sie nicht als Sportskanone bezeichnen, aber sie war zumindest ziemlich fit. Ihr kurzer Arbeitsweg war sehr angenehm und gab ihr die Möglichkeit, möglichst viel mit ihrer Freizeit anzufangen. Meistens verbrachte sie diese mit ihren Freunden, an der Giaterre oder am Computer. An diesem Nachmittag, war es sehr sonnig und der Schnee war zumindest auf den Gehwegen weggetaut. Sie hielt vor der Eingangstür ihres Wohnhauses, schloss die Tür auf und trug ihr Fahrrad, wie jeden Tag, in den Keller. Anschließend würde sie erschöpft die Treppen hoch kriechen und in ihrem Zimmer alle Viere von sich strecken. Doch bevor sie dies tat, sah sie in den Briefkasten und fand dort einen Brief. Sie nahm ihn heraus. „… Von der HMT!?“ schrie sie aufgeregt und rannte die Treppen hoch. In ihrer Wohnung angekommen, ging sie sofort in ihr Zimmer und kramte ihren Brieföffner heraus. Ungeduldig wie sie war, musste alles ganz schnell gehen und zack war der Brief geöffnet. „Sehr geehrte Frau Schmidt, hiermit lade ich sie herzlichst zu einem Bewerbungsgespräch in der HMT ein.“ Als Sarah diese Worte las, lies sie den Brief kurz sinken und ging zu ihrem Vater. „Dad ich habe ein Bewerbungsgespräch in der HMT?!“ sagte sie, als sie die Küche betrat. „Hallo. Wie war dein Tag. So fängt man an.“ Erwiderte ihr Vater lächelnd. „Ja, ja. Whatever. Hast du nicht gehört?! Ich bin zum Gespräch eingeladen!“ „Das ist doch schön. Und wann?“ fragte er dann und trank einen Schluck Kaffee. Sarah las den Brief weiter und schrak auf. „HEUTE 19 UHR?!“ Ihr Vater fing an zu lachen. „Na dann mach dich mal fertig.“ „Das ist doch nicht wahr. Ich hatte nicht mal Zeit mich vorzubereiten.“ Dann ging der Stress erst richtig los. In Windeseile rannte sie ins Badezimmer und sprang unter die Dusche. Anschließend richtete sie sich her und rannte wieder nervös durch die Wohnung. „Arg, wo sind diese dämlichen Schuhe?!“ „Bleib ruhig. Warum bist du denn so aufgeregt?“ fragte ihr Vater, der nun versuchte, seine Tochter zu beruhigen. „Hast du das nicht mitgekriegt? Ich habe gleich ein Bewerbungsgespräch bei der HMT und ich bin 0 darauf vorbereitet. Da geht es um alles! Wenn ich das versaue…“ „Ach was du versaust das schon nicht. Glaub an dich.“ „Du immer mit diesem dämlichen Spruch. Das hilft mir jetzt auch nicht!“ Sarah war wirklich unheimlich aufgeregt. Ihr war das sehr wichtig und darum setzte sie sich selbst unnötig unter Druck. Schließlich fand sie doch die gesuchten Schuhe und war fast abmarschbereit. Doch eines fehlte noch. Etwas wichtiges. Sie ging in ihr Zimmer zurück und holte eine rosefarbene Haarschleife heraus und band damit einige Haare zusammen. [Wie lange habe ich diese Schleife schon nicht mehr getragen? Das ist viel zu lange her. Ich dachte, ich würde es nicht aushalten, sie noch einmal zu tragen. Denkst du, dass ich es schaffen kann… Iris?] Dann wurde es Zeit für Sarah aufzubrechen. Sie war gefasster und etwas ruhiger und verabschiedete sich von ihrem Vater, der ihr viel Glück wünschte und ihr noch mal Mut zusprach. Zu Fuß ging die junge Frau dann zur nächst gelegenen Straßenbahnhaltestelle. Die HMT war ein wenig weiter entfernt und zum Bewerbungsgespräch wollte sie nicht durchgeschwitzt erscheinen. Sarah hatte sich zwar chic gekleidet, wollte es aber nicht übertreiben. Also beließ sie es bei einer weißen Bluse, einem Jäckchen und einer schönen meeresblauen Jeans. Vor der Kälte schützte sie ihr schwarzer Daunenmantel. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Zur zusätzlichen Beruhigung hatte sie ihren MP3-Player mitgenommen, ohne den sie das Haus sowie so nicht verließ und hörte ein wenig Musik. Sie musste nur aufpassen, an der richtigen Haltestelle auszusteigen und eher sie sich versah, stand sie wieder vor der Eingangstreppe der Hochschule für Musik und Theater. Bevor sie das Gebäude betrat, schaltete sie ihren Player aus und verstaute diesen in ihrer Tasche. Sie war gut erzogen und wusste, was sich gehört und was nicht. Dann atmete sie noch einmal tief ein und in diesem Moment schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. [Déjàvu… Hihi. LUNA SEA.] Der Gedanke an ihre Lieblingsband, erweckte in ihr einen unerschütterlichen Mut. Hoffentlich würde dieses Gefühl nur lange genug wären. Dann betrat sie die HMT – bereit für die nächste Hürde. Nachdenklich saß der Direktor in seinem Schreibtischstuhl und sah sich das Bewerbungsformular an, als es auf einmal an der Tür klopfte. „Herein.“ Sagte er mit lauter Stimme und seine Sekretärin betrat den Raum. „Eine Frau Sarah-Luna Schmidt ist hier für ein Bewerbungsgespräch.“ „Ja genau. Bitte sie herein.“ Sagte der Direktor und Sarah betrat etwas unsicher den Raum. Anschließend verließ die Sekretärin den Raum und schloss die Tür hinter sich. Sarah ging auf den Direktor zu, der sich nun erhob und ihr die Hand gab. „Bitte setzen sie sich.“ Sagte er und dankend nahm Sarah platz. „Sie haben sich auf einen Studienplatz des Kurzstudiums beworben. Warum möchten sie an unserer Schule studieren?“ fragte der Direktor die junge Frau und sah sie an. Sarah war noch nie gut darin, Bewerbungsgespräche zu führen. Sie mochte diese steife Haltung nicht und den Druck, den man ausgesetzt war. Sie fühlte sich, wie so viele andere wohl auch, wie ein Lamm, das einem hungrigen Wolf vorgeworfen wird. „Ich liebe Musik und möchte lernen. Die HMT ist dafür ein idealer Ort, denke ich.“ Antwortete sie etwas stotternd. Man merkte ihr die Aufregung an. Sogar der sich hinter der Geheimtür versteckende und mithörende Erik bemerkte dies. „Sie lieben Musik? Seltsam. Auf ihrem Zeugnis der zehnten Klasse steht nur eine drei.“ Erkannte der Direktor. „Ja das ist richtig. Die Leidenschaft für die Musik hat sich bei mir erst sehr spät entwickelt und bevor es zu spät ist, möchte ich jetzt… handeln.“ Sagte Sarah nun, die sich langsam fing. „Vielleicht ist es schon zu spät. Sie sind jetzt… 20 Jahre alt.“ Erkannte er und daraufhin schwieg Sarah nur. „Hier steht als persönliche Anmerkung, dass sie weder Noten lesen, noch diese auf einem Instrument umsetzen können. Verstehen sie mich nicht falsch, aber das gehört zur Voraussetzung. Musikliebhaber gibt es viele. Aber hier geht es nicht darum, die Musik nur zu hören, sondern selbst ein Instrument in die Hand zu nehmen und darauf die Musik zu leben.“ „Genau darum bin ich hier.“ Warf Sarah vorsichtig ein. „In einem Kurzstudium können wir ihnen kein Instrument beibringen. Hatten sie denn schon mal eins in der Hand?“ „Natürlich. Ich habe mir vor etwa einem Jahr eine Konzertgitarre gekauft und darauf angefangen zu spielen.“ Nun war nichts mehr von Sarahs Aufregung zu spüren. Diese hatte sie nun abgelegt und nur noch das Ziel vor Augen. „Sie spielen Gitarre? Heißt das, sie haben einfach angefangen ein paar Saiten zu zupfen und geschaut, was dabei rauskommt?“ fragte der Direktor nun etwas verwirrt. „Ja, so hat es angefangen. Am zweiten Tag versuchte ich einige Melodien nachzuspielen, die ich von Soundtracks kannte. Inzwischen kann ich einige Songs meiner Lieblingsband auf der Gitarre spielen.“ Sagte sie leicht lächelnd. Der Direktor sah sie überrascht an. „Ich dachte sie können keine Noten lesen und umsetzen.“ „Immer noch richtig. Ich bin nach dem Gehör gegangen.“ Sagte Sarah dann leicht verlegen. „Bitte.“ Fing der Direktor nun an und zeigte mit seinem Zeigefinger auf die linke Seite seines Zimmer. Dort standen einige Instrumente, darunter auch zwei Konzertgitarren. „Schnappen sie sich eine Gitarre und zeigen sie mir, was sie können.“ Verdutzt sah Sarah ihn an. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass sie tatsächlich etwas vorspielen muss. Etwas zögernd stand sie dann jedoch auf. Es hätte sie schlimmer treffen können. Wenn sie hätte singen müssen, hätte sie gleich gehen können. Sarah nahm sich also eine Gitarre und setzte sich auf einen Hocker, der daneben stand. Gespannt warteten der Direktor und Erik auf den Anfang. Während der Direktor jedoch nicht viel erwartete, wusste Erik, was er erwarten konnte und er würde sehr enttäuscht sein, wenn diese Erwartung nicht erfüllt würde. Sarah überlegt noch, welchen Song sie spielen sollte. Dann viel ihre Wahl auf… „Up to You.“ Dieser Song fing kräftig an und entpuppte sich als Ballade. Gebannt lauschten ihre Zuhörer den Klängen der Gitarre. Sarahs Finger flogen nur so über die Saiten und nichts ließ vermuten, dass sie noch nie Gitarrenunterricht hatte. Mit viel Gefühl und Hingabe spielte sie das Lied ihrer Lieblingsband und als es sich dem Ende näherte, hatte sie sogar eine Träne im Auge. [War das gut so, LUNA SEA?] dachte sie, als sie die Spielhand senkte und den Kopf nach hinten legte. Dann stand sie auf und sah den Direktor an. Dieser war jedoch außer Stande, sofort zu reagieren. Wieder fühlte sich Sarah wie ein Lamm vor dem Wolf. [Oh, oh. Er scheint nicht so begeistert zu sein.] dachte sie sich und stellte die Gitarre wieder an ihren Platz. „Welcher Gitarrenlehrer hat ihnen beigebracht so zu spielen, aber hielt es nicht für nötig, ihnen das Notenlesen beizubringen?“ fragte der Direktor nun lächelnd. Sarah sah kurz verlegen auf den Boden und hielt inne. Dann sah sie ihn wieder an. „Ich hatte nie einen Gitarrenlehrer. Wie gesagt, das habe ich mir alles selbst beigebracht.“ „Sie wollen mich doch auf den Arm nehmen, oder?“ fragte der Direktor erneut ungläubig. „Nein, ich lüge sie nicht an. War ich so schlecht?“ Plötzlich kam er auf sie zu und hielt ihre Hand. „Schlecht? Das war umwerfend. Ich möchte sehen, was sie vorweisen können, wenn wir ihre Fähigkeiten verfeinern.“ „Heißt das… Ich hab den Studienplatz?“ fragte Sarah ungläubig. „Gehe direkt über Los und ziehe 4000 Euro ein. Ich unterzeichne ihre Papiere mit verbundenen Augen. Das heißt, sie sind dabei. Nächsten Montag geht’s los.“ Freudestrahlend sah Sarah ihn an. Sie konnte es erst nicht fassen, doch die Freude brach schon nach kurzer Zeit aus ihr heraus. Der Direktor und Sarah unterschrieben noch die letzten Papiere und erledigten die letzten Formalitäten, bevor sich die junge Frau, noch immer freudestrahlend, verabschiedete. Der Direktor nahm den Hörer seines Telefons ab und rief seine Sekretärin zu sich, um ihr die Papiere zu übergeben. „Tragen sie sie für den Kurs ein und kümmern sie sich um alles weitere.“ Die Sekretärin nickte bejahend und verließ das Zimmer im Anschluss wieder. Erschöpft von einem langen Arbeitstag erhob sich der Direktor aus seinem Stuhl und ging in seinem Raum herum. „Erik? Bist du da?“ Dann betrat dieser den Raum. „Natürlich.“ „Du hast Recht gehabt, was dieses Mädchen angeht. Sie ist sehr talentiert. Ich bin sicher, dass wir aus ihr viel herausholen können.“ Sagte der Direktor und sah ihn an. Kurz schwieg sein Gesprächspartner, bevor er erwiderte. „Ich bin gespannt, wie sie sich entwickelt.“ Kapitel 3: Alte Bekannte ------------------------ Kapitel 03: Alte Bekannte „Du trägst die Schleife wieder.“ Ein Glas Cola trinkend, saß Sarah in einer Bar an der Theke. Endlich war Wochenende und mit Beginn der neuen Woche würde sie ein neues Kapitel aufschlagen. Sie hatte hart dafür gekämpft und doch schien es ihr so einfach gewesen zu sein, wenn sie jetzt daran zurück dachte. „Ich bin so aufgeregt. Ich bin gespannt, wer meine Mitschüler sein werden. Ich hoffe sie sind nett.“ Sagte Sarah und sah ihre Freundin an, die ein paar Gläser in die Spüle stellte. „Bisher hattest du mit deinen Mitschülern ja nicht so ein Glück. Ich wünsche dir, dass dieses mal jemand dabei ist, der deine Interessen teilt.“ „Ja Tina. Das hoffe ich auch.“ Antwortete Sarah und trank den letzten Schluck ihres Getränks. „Also, darf ich dich bitten, diese drei Pakete heute noch an unsere treuen Kunden auszuliefern?“ fragte Tina nun und stellte ihrer Freundin die Pakete vor die Nase. Diese sah sie nur hämisch grinsend an. „Ha, ha. Ich wusste, dass so was kommt.“ „Komm schon. Chris ist mal wieder irgendwo unterwegs und ich kann die Bar nicht verlassen.“ Bettelte Tina ihre Freundin an. „Natürlich. Mach ich, aber sag mal. Was ist denn jetzt mit Chris? Distanziert er sich immer noch?“ „Hmm… Was mir Sorgen macht ist, dass ich manchmal nicht mehr weiß, was in seinem Kopf vorgeht.“ Sagte Tina bedrückt, als sie sich die Hände mit einem Handtuch abtrocknete. „Kein Wunder, er äußert sich ja nicht. Aber so kennen wir ihn.“ „Kannst du nicht mal mit ihm reden? Ich denke du kannst dich am besten in ihn hinein versetzen. Genau wie er, hast auch du mit dem Vorfall noch nicht abgeschlossen. Oder?“ Auf diese Frage schwieg Sarah. Mit gesenktem Kopf saß sie stumm an ihrem Platz. Damit hatte Tina ihre Antwort, denn es war immer so gewesen. Das war ein sehr sensibles Thema, für alle Beteiligten. „Du trägst die Schleife wieder.“ Erkannte Tina nun und auch darauf erhielt sie keine Antwort. „Also ich mach mich dann mal auf und bring die Pakete weg. Ich ruf dich Montag an und erzähl dir, wie es war.“ Dann schnappte sich Sarah die Pakete und ging zur Tür. „Na klar. Pass auf dich auf.“ Sagte Tina noch, bevor ihre Freundin die Bar verließ. Sie schnappte sich das Glas ihrer Freundin und stellte es in die Spüle. Sie hatte noch einen langen Tag vor sich. Der große Besucheransturm würde erst noch kommen. Nachdenklich, aber pflichtbewusst trug Sarah die Pakete aus und schlenderte im Anschluss noch ein wenig durch die Einkaufspassage der Stadt, bevor sie sich wieder auf den Weg nach Hause macht und sich ihre Gitarre schnappte. Erinnerungen kamen in ihr hoch. Traurige Erinnerungen an eine verlorene Freundschaft. Gerade in diesen Augenblicken, fühlte sie sich schwach und genau dann wusste sie, was sie zu tun hatte, um wieder richtig glücklich zu werden. „… Hallo Schatz. Ich bin’s.“ sagte sie lächelnd ins Telefon. Es verging eine gute Stunde, in der sie sich angeregt mit ihrem Freund unterhielt. Er lebte und arbeitete in Hamburg, weshalb sich die beiden nicht oft sehen konnten, aber sie telefonierten jede Woche miteinander und schrieben sich fast täglich SMS oder E-Mails. Er war quasi ihr letzter Rettungsanker, wenn sie das Gefühl hatte, in Kummer oder Ärger zu ertrinken. Aufgeheitert beendeten die beiden Verliebten schließlich das Gespräch. „Hm… und jetzt bist du dran, Christopher. Wo treibst du dich wieder rum?“ fragte sie sich, als sie die Nummer ihres Freundes ins Telefon eintippte. Er war der feste Freund von Tina und hauptberuflich als Kurier tätig. Er war viel mit seinem Motorrad unterwegs und fast nie zuhause – wenn er so was überhaupt hatte. Das Telefongespräch war aufgrund seines wortkargen Charakters auch nicht sehr lang und dennoch ergiebig. Schließlich ging das Wochenende zu Ende. Es schien noch kürzer als die anderen gewesen zu sein, zumindest kam es Sarah so vor. Ihr Arbeitstag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Oder es lag daran, dass ihr Fokus auf den Nachmittag lag und sie alles andere einfach ausblendete. Pünktlich erreichte Sarah die Hochschule und ging hinein. Sie war sehr gespannt darauf, wie ihre Klassenkameraden sein würden. Von der Sekretärin hatte sie am Freitag einige Unterlagen, den Unterrichtsplan und den Raumplan zugeschickt bekommen. Also musste Sarah nicht lange suchen und nachfragen, wo sie hin musste. Da sie schon einmal als Kurier in dem Gebäude war, kannte sie sich auch ein wenig aus. Zumindest die Cafeteria war schnell gefunden und bot wirklich sehr ansehnliche Kost – auch für das Spätstudium. Doch Sarah ging daran vorbei und ohne Umwege auf ihren Unterrichtsraum zu. Dort angekommen standen einige Studenten vor der Tür und unterhielten sich. Sie schenkten ihrer neuen Mitstudentin keine Beachtung und Sarah betrat stumm den Vorleseraum. Jetzt schien es ihre schwierigste Aufgabe zu sein, sich einen Platz zu suchen und dafür hatte sie noch nie ein Talent. Doch plötzlich kamen zwei Japaner in den Raum und schenkten ihr Beachtung – was Sarah sehr verwunderte. „Hey bist du neu hier?“ fragte die Japanerin. „Ja, ich heiße Sarah. Könnt ihr mir sagen welcher Platz noch frei ist?“ „Setz dich einfach zu uns! Ich heiße Takuto.“ Sagte der junge Mann und gab ihr höflich die Hand. „Ich bin Maora. Na los, komm mit.“ Sagte sie und schnappte sich Sarahs Tasche, während Takuto ihre Hand nahm und sie einfach mit zog. Das war für die junge Frau eine ganz ungewohnte Situation. Noch nie hatte sich jemand drum gerissen, dass sie sich neben jemanden setzte und ihr die Tasche zum Platz trägt. Darüber hinaus war Sarah sehr an der japanischen Kultur interessiert und dass sich jetzt zwei Japaner ihrer annahmen, kam ihr sehr gelegen. Ein echter Glücksfall so zu sagen. Maora war eine schlanke Person, mit schwarzen Haaren und einigen braunen Strähnen. Sie hatte braune, klare Augen, die Sarah sieht gefielen. Takuto war ebenfalls schlank und hatte schwarze Haare. Obwohl man den Japanern andichtet, ein kleines Volk zu sein, war er für Sarah doch recht groß. Zugegeben – sie gehörte mit ihren 1,62 Körpergröße auch nicht zu den Größten. Sie setzte sich also neben Maora und ihr fiel auf, dass der Rest der Bankreihe total unbesetzt war. „Wieso sind hier noch so viele Plätze frei? Kommt hier noch jemand?“ fragte Sarah. „Nein, nein. Wir sind… sagen wir einfach…“ versuchte Takuto zu erklären. „Wir sind anders und haben unsere Konflikte mit einem Großteil der Klasse.“ Ergänze Maora. „Ach so. So ging es mir bislang auch an jeder Schule. Sagt mal, bitte verzeiht, wenn ich so offen frage. Seit ihr Japaner?“ „Hast du ein Problem damit?“ fragte Maora sie misstrauisch. Sarah wandte sich ihr sofort zu und hob beide Hände. „Nein, das ist es nicht. Im Gegenteil. Ich liebe Japan. Die Kultur, die Musik, das Land. Ich wollte schon immer Freunde haben, die aus diesem wunderschönen Land kommen.“ Plötzlich umarmte Maora sie und auch Takuto war sichtbar froh, das zu hören. „Das freut mich, Saku.“ Sagte Maora erleichtert, als sie Sarah wieder aus ihrer Umarmung befreite. „Du liebst japanische Musik? Welche Bands hörst du denn?“ fragte Takuto interessiert. Doch in dem Moment betrat der Lehrer lautstark das Zimmer und die Konversation wurde unterbrochen. Sofort standen, oder vielmehr saßen die Studenten stramm an ihren Plätzen und waren still. Der Lehrer wusste, wie er sich durchzusetzen hatte und zog sein Programm eiskalt durch. Er erklärte viel, forderte aber auch viel von seinem Jungvolk, die er rohes Gemüse nannte. Zwei Stunden graue Theorie fordern jedem Studenten viel ab und es war Zeit für eine kurze Pause, die Sarah und ihre neu gewonnenen Freunde in der Cafeteria verbrachten, die großzügig mit Tischen und Stühlen beseelt war. Auch einige ihrer Klassenkameraden hatten diese Idee. Sarah hatte sich gerade auf ihren Platz gesetzt, als sich eine Mitschülerin, mit kastanienbraunen Haaren, schwarzen Strähnen und braunen Augen, vor sie stellte. „Dann ist es also wahr. Du bist tatsächlich hier. Sag mal, wie hast du das denn geschafft?“ Sarah sah auf und blieb stumm. „Was willst du, Jenny?“ fragte Takuto genervt. „Ich hatte nicht mit dir gesprochen. Also, erzähl mal. Wie hast du dich in diesen Kurs eingekauft?“ fragte Jenny und sah Sarah an. Diese sah nur fragend zurück. „… Kennen wir uns? Sag mal wer bist du überhaupt?“ „Hmpf. Du erinnerst dich nicht? Na ja ist auch schon ein wenig her und für ein Spatzengehirn wie deines auch verständlich, dass du es vergessen hast. Ich hoffe der Name Jenny Peters sagt dir noch etwas.“ In dem Moment schellten bei Sarah die Alarmglocken. Diesen Namen hatte sie tatsächlich schon gehört. Es war ein Name, verbunden mit unschönen Erinnerungen aus der Grundschulzeit. „Ach so… Du. Hallo Jenny. Welch ein Glück, dich wiedersehen zu dürfen.“ Sagte Sarah wenig begeistert. Jenny, eine alte Bekannte aus Kinderzeiten. Ihre braunen, schulterlangen Haare, trug sie mit einem Haarband zusammengebunden. Sie war elegant und sehr chic gekleidet und trug meistens Stiefel mit hohen Absätzen. Dann sah Jenny ihre neue Mitstudentin an. „Also, wie hast du dich in den Kurs eingekauft?“ fragte Jenny hämisch. „Ich habe Talent verwendet...“ Darauf grinste Jenny nur überheblich und zog mit einem hochnäsigen „Talent? Ha.“ davon. Takuto und Maora sahen ihr kurz, kopfschüttelnd nach. „Sie war schon immer so eingebildet. Lass dich davon nicht unterkriegen.“ Sagte Maora dann und versuchte Sarah Mut zuzusprechen. „Sag mal kennst du sie? Sie hat doch so was angedeutet?“ fragte Takuto und sah Sarah an. Diese hielt kurz inne. „Ja wir kennen uns aus der Grundschule. Sie war in meiner Parallelklasse.“ Fing Sarah nun an und sah ihre neuen Freunde an. „Wir kannten uns nicht wirklich, aber auf dem Schulhof sind wir uns oft begegnet. Ich kann mich nicht an alles erinnern, es ist zulange her, aber an eines kann ich mich erinnern. Sie sagte zu einer Freundin: Guck mal, die Hässliche. Das hat mich lange Zeit gewurmt und ist mir im Gedächtnis geblieben. Diesen Satz verbinde ich mit der Person Jenny Peters.“ Sichtlich erschrocken schüttelten Maora und Takuto nur den Kopf. „Ja, das ist Jenny. Sie war also schon als Kind so eine grauenvolle Person.“ Erkannte Maora und sah kurz zu Jenny hinüber. „Wieso hat sie dich als hässlich bezeichnet?“ fragte Takuto. Sarah sah ihn verwundert an und zeigte dann mit ihrem Zeigefinger auf ihr Gesicht. „Na darum. Ne Schönheit bin ich doch wirklich nicht.“ Erwiderte sie, worauf Takuto schwieg. „Ach was. Du hast ja echt Minderwertigkeitskomplexe.“ Sagte Maora dann und aß ihre Suppe, die nun die gewünschte Esstemperatur erreicht hatte. Sie unterhielten sich noch ein wenig, während sie ihr Abendbrot zu sich nahmen und schließlich in den Unterricht zurück mussten. Dieser verlief relativ Ereignislos und Sarah konnte sich einen ersten Eindruck verschaffen, wie das nächste halbe Jahr für sie aussehen würde. Dass sie auf eine alte Bekannte treffen würde, hätte sie nicht gedacht und dass es Jenny Peters war erst recht nicht. Aber sie war froh, sich gleich am ersten Tag mit Maora und Takuto angefreundet zu haben. Die beiden waren wirklich sehr nette Menschen und Sarah konnte viel mit ihnen lachen. Sie war gespannt, was der nächste Tag bringen würde. Kapitel 4: Tag zwei - Bühne frei -------------------------------- Kapitel 04: Tag zwei – Bühne frei „Gib einfach dein Bestes!“ Abgehetzt kam Sarah an der Hochschule an und rannte durch den Gang. Sie hatte ihre Straßenbahn verpasst und musste sich nun beeilen. Ihr gesamter Tageszeitplan war sehr eng gestrickt und solche Diskrepanzen waren da vorprogrammiert. Der Lehrer hatte gerade die Tür geschlossen, als Sarah sie wieder öffnete und den Raum betrat. „Bitte entschuldigen sie. Ich habe die Bahn verpasst.“ Sagte sie keuchend und hetzte schnell an ihren Platz. Der Lehrer ging mit dieser kurzen Verspätung sehr gelassen um. Man konnte ihm vieles vorwerfen, aber unfair war er wirklich nicht. An diesem Dienstag, kam die Theorie sehr kurz. Stattdessen wurden die Studenten heute richtig gefragt. Dazu wechselten sie den Raum und gingen in die sehr großzügig ausgeschmückte Aula. „Wow, die ist ja riesig.“ Staunte Sarah und Maora nickte. „Ja, das habe ich auch gesagt, als ich hier zum ersten mal drin war. Man gewöhnt sich dran.“ Dann setzten sie sich hin, zwei Reihen hinter ihren restlichen Klassenkameraden und die Lehrerin kam auch gerade herein. „Hallo Studentinnen und Studenten. Heute will ich was sehen und zwar euch. Auf der Bühne. Wer fängt an?“ Sie war eine ehe kleine Frau, wusste aber, wie sie sich Gehör verschaffen konnte. Sie hatte bereits deutliche Falten im Gesicht, aber diese trug sie mit Stolz. An Selbstbewusstsein mangelte es ihr wirklich nicht. Alle Lehrer schienen an dieser Schule sehr durchsetzungsfähig zu sein. Das fiel Sarah sofort auf. „Na gut, keine Freiwilligen? Julia, fang an!“ sagte sie dann, setzte sich in die zweite Reihe auf den ersten Stuhl und ihre Lieblingsschülerin betrat die Bühne. Auf der Bühne waren einige Instrumente aufgestellt, von der die Lehrerin meinte, dass sie gebraucht würden. Darunter war auch eine Konzertgitarre. Doch Julia griff zu keinem von diesen. Sie war eine Sängerin und benötigte nur das bereits positionierte Mikrofon. Ihre Leistung war gut, dennoch gab ihr die Lehrerin einige Ratschläge. Dann kamen die nächsten Schüler an der Reihe, die in einer Dreiergruppe ein kurzes Theaterstück aufführten. Sarah war etwas verwundert. „Was genau bringt uns dieser Kurs?“ „Kreativität, eigenes Denken und Spontanität. Sagt zumindest Frau Hampel. Leb dich einfach aus, mach was du willst, Hauptsache es hat mit Musik oder Schauspiel zu tun.“ Antwortete Maora flüsternd. „Schauspiel auch?“ fragte Sarah zurück. „Hochschule für Musik und Theater.“ Erwiderte Takuto nur und Sarah richtete ihren Blick wieder auf die Bühne. „Ach so, stimmt ja.“ „Du spielst doch Gitarre, oder Saku?“ fragte Maora nun. Doch Sarah, fühlte sich nicht angesprochen und reagierte nicht, bis Maora sie anstupste. „Was ist? Meintest du mich?“ fragte Sarah nun und sah sie an. „Natürlich meine ich dich.“ „Ja ich spiele Gitarre. Aber wieso nennst du mich Saku?“ fragte Sarah verdutzt und sah sie fragend an. Nun mischte sich auch Takuto ein. „Klasse, dann lasst uns zusammen auftreten. Da stehen zwei Gitarren auf der Bühne und ich wette, hinter der Bühne finden wir noch eine. Lasst uns Rose of Pain spielen!“ Maora fand diese Idee richtig klasse und stand bejahend auf. Sarah sah sie kopfschüttelnd an und wollte sie aufhalten. „Was?! Halt! Das kommt ein wenig plötzlich.“ „Frau Hampel. Wir kommen als nächstes!“ schrie Maora und hob eine Hand. Auch Takuto stand auf und ging nach vorne. „Maora, ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann.“ „Du packst das, wir sind doch zu dritt. Das ist doch ein gutes Training. Gib einfach dein Bestes!“ Dann ging auch Maora nach vorne und Sarah sah ihr nach. Sie kannte den Song und hatte ihn auch schon auf der Gitarre gespielt, aber sie fand ihn ziemlich anspruchsvoll. Während Takuto hinter der Bühne, die dritte Gitarre hervorholte, rief Frau Hampel die verunsicherte Sarah nach vorne. Widerwillig stand sie schließlich auf und setzte sich auf den Hocker, der rechts von Maora stand. Takuto reichte ihr die Gitarre und setzte sich auf den linken Hocker. Maora, die das Mikro vor sich hatte, saß in der Mitte. „Also, wir spielen heute zum ersten mal zusammen. Der Song heißt Rose of Pain.“ Sagte sie und auf drei ging es los. Man merkte, dass die drei noch nie zusammen gespielt hatten. Sie brauchten einige Sekunden, um sich aufeinander einzuspielen, hatten den Bogen aber relativ schnell raus. Der Songtext war zum Teil auf Englisch und zum Teil auf Japanisch. Besonders die schnellen Passagen des Songs, bereiteten Sarah noch einige Schwierigkeiten, doch sie mogelte sich irgendwie durch. Aber sie fasste sich schnell, fand in das Tempo und wurde von Sekunde zu Sekunde besser. Hinter dem roten Vorhang, der den Blick auf den hinteren Teil der Bühne verdeckte, stand ein neugieriger Zuhörer. Es war Erik, der das Trio von der Seite betrachtete und ihrem Song lauschte. Er war meistens dort, wenn Studenten auftraten. Ganz gleich ob Schauspielerei oder Musik. Das war das einzige Vergnügen das er kannte, schließlich hatte er die Schule seit Jahren nicht verlassen, doch über Einsamkeit hatte er noch nie nachgedacht. Dennoch spürte er sie in seinem Inneren. Schließlich hatten Takuto, Maora und Sarah ihren Song beendet und ernteten sowohl Lob, als auch Kritik von der Lehrerin. Doch mit dem Lob waren einige natürlich nicht einverstanden. Jenny musste wieder ihren Senf dazugeben und es entbrannte eine kleine Diskussion, an der sich Maora und Takuto lebhaft beteiligten. Aber sie kannten es nicht anders. Sarah hingegen hielt sich zurück und bemerkte, dass sich der Vorhang rechts neben ihr bewegte. Sie dachte an einen Luftzug, hatte diesen aber nicht gespürt, was sie zunächst etwas verwunderte. Dann verließen ihre Freunde die Bühne und sie folgte ihnen. Im Anschluss betraten schon wieder die nächsten schauspiellustigen die Bühne und brachten eine eigene Interpretation von Das Rumpelstilzchen. „Das war doch gar nicht schlecht. Wenn man bedenkt, dass wir das erste mal zusammen gespielt haben, war das sogar ganz okay, oder?“ flüsterte Maora ihren beiden Freunden zu. „Ja, das finde ich auch. Du warst gut Saku. Du solltest mehr Selbstbewusstsein haben.“ Sagte Takuto dann und sah zu seiner linken, wo Sarah saß. „Jetzt aber raus mit der Sprache. Warum nennt ihr mich Saku?“ „Saku ist eine kurze Form von Sakura. Das ist japanisch und heißt Kirschblüte. Klar?“ erklärte Maora und zwinkerte ihr zu. Nun verstand Sarah das endlich, denn die Straße in der sie wohnte, hatte diese Pflanze zufälliger Weise im Namen. Schließlich ging auch dieser Tag zu Ende und die Studenten packten ihre Taschen. Takuto und Maora mussten sich beeilen und verabschiedeten sich früh von Sarah. Diese ließ sich Zeit, da sie heute von einer Freundin abgeholt werden würde, die sie netterweise nach hause fahren wollte. „Jetzt aber hopp, hopp.“ Trieb die Lehrerin die letzten Studentinnen an und trieb sie aus der Aula. Jenny und ihre Clique verließen gefolgt von Sarah den Raum und gingen den Gang hinunter zum Ausgang. Doch zuvor hielt Sarah noch am Getränkeautomaten und holte sich eine Dose Cola – ja, das war ihr Lieblingsgetränk. Dennoch bevorzugte sie es, Wasser zu trinken. Doch an anstrengenden Tagen, brauchte sie diese schwarze Brause. Kaum hatte sie die Getränkedose in der Hand, ging sie wieder auf den Ausgang zu und steckte sich die Cola vorerst weg. Ihre Freundin wollte erst in einer halben Stunde da sein und sie wollte sich das Getränk aufheben. „Du und die Japaner. Da haben sich die Richtigen gefunden. Was findest du denn an denen?“ fragte Jenny. „Hm? Takuto und Maora? Die sind doch nett. Ist doch egal woher sie kommen.“ Erwiderte Sarah. „Ich hab Läuten hören, dass du sowie so total auf Japan abfährst.“ „Ja, das kann man so stehen lassen.“ Antwortete Sarah, worauf Jenny nur anfing zu lachen. Kurz bevor sie die Tür zum Vorraum erreichten, sagte Jenny dann: „Also das kann ich nicht verstehen. Von mir aus hätten die Schlitzaugen alle bei der Katastrophe weggespült werden können.“ Sie hatte den Satz nicht mal ganz beendet, da spürte sie einen stechenden, brennenden Schmerz an ihrer linken Wange und fiel zu Boden. Sie hatte noch nicht ganz begriffen, was geschehen war, da packte Sarah sie schon am Kragen und schrie sie an. „Du hast sie wohl nicht mehr alle! Das meinst du doch nicht ernst?!“ Sarah konnte sich nicht beherrschen und hatte ihrer alten Bekannten sofort mit der Faust eine verpasst. Ohne sich zurück zu halten – ohne Rücksicht auf das was danach passieren würde. Dann ließ sie Jenny wieder los, als sie erkannte, dass diese aus der Nase anfing zu bluten. Ihre Freundinnen waren entsetzt und halfen Jenny wieder auf die Beine. „So eine Frechheit.“ „Nein, wie ordinär.“ Musste sich Sarah nun anhören. Noch total geschockt von dem Vorfall, verließen Jenny und ihre Clique die Schule, doch Sarah wusste, dass das Folgen haben würde… Kapitel 5: Die Stimme aus der Dunkelheit ---------------------------------------- Kapitel 05: Die Stimme aus der Dunkelheit „Geh nicht weiter!“ Bewölkt, trüb und regnerisch zeigte sich dieser Mittwoch in der Hansestadt Rostock. Mit gemischten Gefühlen betrat Sarah die Hochschule, wissend, dass ihre gestrige Aktion nicht einfach hingenommen werden würde. Tatsächlich richtete ihr Herr Dewers, der Theorielehrer aus, dass sie sich in der Pause beim Direktor melden sollte. Mit gesenktem Kopf setzte sie sich an ihren Platz. Maora und Takuto sahen sie an. „Was hast du denn verbockt?“ „… Na ja. Da ist gestern noch was passiert. …“ sagte Sarah zögernd, als sie ihr Schreibzeug auspackte. „Na los, raus mit der Sprache. Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“ fuhr Maora sie nun an und Sarah erzählte ihnen schließlich von dem Vorfall. Die beiden waren angetan von der Geschichte und stink sauer auf Jenny. Am liebsten wären sie in der Pause auch direkt auf Konfrontationskurs gegangen, doch Sarah konnte sie glücklicherweise überreden, dies nicht zu tun. Nach viel Theorie und einem kleinen Test, der unangekündigt nicht gut bei den Studenten ankam, ging es endlich in die Pause. Während sich Takuto und Maora wie gewohnt in die Cafeteria setzten, stand Sarah ein unangenehmes Gespräch bevor. Widerwillig und mit Magenschmerzen ging sie in den zweiten Stock des Gebäudes zu den Verwaltungsräumen und klopfte dort an die Zimmertür des Direktors. Dieser rief sie herein und Sarah setzte sich auf den Stuhl, auf dem sie zuletzt bei ihrem Bewerbungsgespräch gesessen hatte. „Ehrlich gesagt hätte ich so etwas nicht von ihnen erwartet. Diese Nachricht erreichte mich heute früh. Entspricht es der Wahrheit, dass sie eine Studentin ihres Kurses attackiert haben?“ fragte der Direktor mit ernster Stimme. „… Ja das ist richtig.“ Antwortete Sarah etwas zögernd. „Das überrascht mich sehr. Ich hatte sie als ruhigen Menschen eingeschätzt, der Konfrontationen dieser Art meidet.“ „Für gewöhnlich bin ich das ja auch. Allerdings hat sie einen Satz gesagt, woraufhin ich mich nicht beherrschen konnte.“ Erklärte Sarah, fand aber wenig Gehör bei dem Direktor. „Die Gründe sind mir egal. Derartige Ausschreitungen werden hier nicht geduldet.“ Sagte er nun mit strenger Stimme. „Ja, aber wissen sie, was sie gesagt hat?“ versuchte Sarah zu erklären, doch sie wurde unterbrochen. „Das ist mir ganz egal.“ Das kam lauter und bedrohlicher raus, als er es beabsichtigt hatte und Sarah zuckte zusammen. Etwas gedämpfter erklärte er weiter: „Wenn ich jedem Studenten eine solche Handlungsweise gestatte, dann würde ich sehr schnell meine Sachen packen müssen. Ganz zu schweigen von dem guten Ruf, den diese Schule zu verlieren hat. Ich denke, dass sie einer vernünftige Person sind. Entschuldigen sie sich bei ihrer Kameradin, dann sehe ich von einer Abmahnung ab.“ Sarah hielt inne und sah ihn an. Sie musste kurz darüber nachdenken und schließlich antwortete sie: „Nein, ich werde mich nicht bei ihr entschuldigen.“ Der Direktor glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Ebenso verdutzt war Erik, der mal wieder mithörte. „Wie bitte? Sie wollen sich nicht entschuldigen?“ „Nur, wenn Jenny sich für ihre Aussage bei Takuto und Maora entschuldigt.“ Antwortete Sarah mit entschlossenem Blick, was den Direktor jedoch nur verwirrte. „Seien sie nicht dumm.“ Versuchte er sie nun zu bekehren, doch es war sinnlos. „Dann bin ich eben dumm, aber wenn ich mich jetzt bei ihr entschuldige, verrate ich Japan und sein Volk. Ich stehe zu dem, was ich getan habe und trage die Folgen. Aber meinem Herzen und meiner Überzeugung bleibe ich treu!“ Der Direktor war von ihren Worten wohl beeindruckt, trotzdem hatte er eine Verantwortung gegenüber den Studenten und der Schule. Er schloss die Augen und dachte noch mal nach. Doch die Situation war unumkehrbar. „Dann spreche ich ihnen hiermit eine mündliche Verwarnung aus. Zu ihrer Information. Sollten sie eine weitere erhalten, werden sie unverzüglich vom Studium ausgeschlossen.“ Sarah holte noch einmal tief Luft, schloss dabei die Augen und öffnete sie beim Ausatmen wieder. „In Ordnung. Kann ich wieder gehen?“ „Ja, das wär alles.“ Sagte der Direktor und trug die Verwarnung in das System über seinen Computer ein. Sarah schloss die Tür hinter sich und ging zurück in die Cafeteria, während Erik sich dem Direktor zeigte. „Du bist wirklich neugierig in der letzten Zeit.“ Erkannte der Direktor. „… Du kannst über sie sagen, was du willst, aber sie hat einen starken Charakter.“ „… und das findest du interessant, hm?“ fragte er und wendete sich Erik zu. Dieser schwieg auf diese Frage. Stille kehrte in den beleuchteten Raum und der Direktor beendete seine Eintragung im System. Sarah hatte sich gerade wieder zu ihren Freunden gesetzt, als Maora ihr einen Schoko-Muffin vor die Nase stellte. „Hm? Wofür ist das denn?“ fragte Sarah lächelnd. „Für deinen Einsatz für Japan natürlich. Wie war’s beim Rektor?“ fragte Maora, die sich gerade einen saftigen Hamburger genehmigte. „Ja, hab ne Verwarnung bekommen. Muss aber keine Strafarbeiten oder so was leisten.“ „Na ja, das geht ja noch. Du bist ja nur ein halbes Jahr hier. Da passt das schon.“ Versuchte Takuto sie zu ermutigen und lächelte sie an. Doch wirklich beruhigend oder ermutigend war das nicht. Sarah schüttelte den Kopf. „Noch eine Verwarnung und ich fliege. Also haltet mich bitte davor ab, etwas Dummes zu tun.“ Takuto und Maora machten große Augen und waren erstmal erschrocken. Doch die beiden würden schon dafür Sorge tragen, dass Sarah sich fortan beherrscht. Genau wie den Tag zuvor, ging es im Anschluss an diese Pause in die Aula und wieder durfte sich jeder profilieren. Heute durften die Studenten jedoch nur Solo auftreten und auch nur musizieren. Frau Hampel betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich. Zielgerichtet ging sie auf ihren Platz, auf dem sie gestern schon gesessen hatte. Bevor sie sich hinsetzte, rief sie laut: „Einen schönen guten Tag. Heute will ich was hören von euch. Zeigt mir was ihr drauf habt. Heute wird bewertet!“ Sofort ertönte lautes Gestöhne von den Studenten und Sarah sah ihre Freunde an. „Wir werden heute zensiert?“ „So was passiert schon mal.“ Antwortete Maora lächelnd und setzte sich neben ihre Freundin auf den mit Schaumstoff bezogenen Stuhl. Dann ging es auch schon los und die Studenten kamen einer nach dem anderen nach vorne auf die Bühne und trugen etwas vor. Entweder auf einem Instrument oder sie sangen. Der ein oder andere machte sogar beides, was allerdings nicht immer die bessere Wahl war. Dann drehte sich die Lehrerin zu den hinteren Reihen um und rief weitere Studenten auf die Bühne. Es kam wirklich keiner unbeschadet davon. Da jeder seine Lorbeeren persönlich abholen musste, dauerte das natürlich entsprechend lange. Doch schließlich und endlich war Takuto an der Reihe, der sich die Gitarre schnappte und seine Akustikversion von Away from the sun präsentierte. Was niemanden auffiel, da keiner mehr die Konzentrationsfähigkeit dazu hatte, war, das Takuto oft zu Sarah und Maora hinüber sah. Maora dachte sich nichts weiter dabei und Sarah schien ziemlich müde zu sein und nickte fast ein. Dann ging es an die Bewertung und Maora löste ihn ab. Auch sie präsentierte einen Song auf der Gitarre, allerdings ohne dazu zu singen. Es war ein ziemlich lauter und schneller Song, der die Zuhörer wach kriegen sollte, was ganz offensichtlich funktionierte. Sarah schreckte auf und sah etwas verschlafen auf die Bühne. „Du bist gleich dran.“ Sagte Takuto dann zu ihr und man sah ihr die Freude regelrecht an. „Oh ja. Ganz klasse. Ich bin das Schlusslicht, oder? Na es hört jetzt sowie so keiner mehr zu, dann kann ich wohl spielen, was ich will.“ Maora kam gerade mit positiver Bewertung wieder an ihren Platz, als Sarah das sagte. „Nichts da. Probier mal zu spielen und zu singen.“ „Ich singen?“ fragte Sarah erschrocken, als sie aufstand und sich an ihren Freunden vorbei drängte. „Ja, du musst ja keinen super schweren Song auswählen. Was einfaches mit Tönen, die du triffst.“ Schlug Maora ihr vor und obwohl Sarah dazu keine Lust hatte, beschloss sie das einfach mal auszuprobieren. Tatsächlich gab es einen Song, zu dem sie relativ gut singen konnte und zwar aus dem Grund, weil sie den Song selbst geschrieben hat. Sarah betrat also die Bühne, schnappte sich eine Konzertgitarre und setzte sich auf den Hocker. Das Mikro auf die richtige Höhe stellend sagte sie dann; „Also, den Song habe ich selbst geschrieben. Er heißt Ich vermisse euch.“ Die Lehrerin und ihre Freunde schienen sehr interessiert zu sein, ebenso wie der sich hinterm Vorhand versteckende Erik. Der Rest schien aber nur noch auf den Schluss zu warten und saßen gelangweilt und mit ihrem Handy spielend auf ihren Plätzen. Dann ging es los. Sarah fing an zu singen und setzte nach der ersten Strophe mit der Gitarre ein. Sehr gefühlvoll sang sie diesen Song und vertiefte sich richtig in ihn, das sah man ihr an. Verträumt und ganz offensichtlich an jemanden denkend, sah sie in den hinteren Teil der Aula. Ich vermisse euch sehr. Ich fühl mich ziemlich allein. Ich hoffe bald kommt der Tag, an dem wir uns wiedersehn. Dann bin ich wieder daheim. Das Lied endete mit einer Gitarrenpassage und mit einer Träne, die Sarahs Wange hinunterlief. Dieser Song hatte sie offenbar mitgenommen. Die Lehrerin lobte sie für ihre Gefühle, die sie absolut perfekt in den Song unter gebracht hat. Kritik gab es jedoch an dem nicht ganz perfekten Gesang und der eher unspektakulären Spielweise. Doch damit konnte Sarah umgehen. Während die Lehrerin noch zu den anderen Studenten die letzten Worte des Tages sprach, packte Sarah die Gitarre zurück. Als sie sich wieder umdrehte, um von der Bühne runter zu gehen, fiel ihr auf, dass sich der Vorhang wieder bewegte. Doch nicht nur das. Sie war sich ganz sicher, für einen winzigen Augenblick eine Person gesehen zu haben. Das kam ihr reichlich spanisch vor und dieses mal, sah sie sofort nach. Sie zog den Vorhang bei Seite und… [Nichts… Ich war mir ganz sicher, dass hier gerade jemand stand.] „Alles klar. Das war’s für heute. Einen schönen Abend noch!“ schrie Frau Hampel und verabschiedete sich damit von den Studenten, die teilweise ihre Sachen schon gepackt hatten und in Windeseile verschwunden waren. Nur Sarah ließ sich Zeit. Während sich Maora und Takuto verabschieden und auch der Rest der Studenten sehr schnell die Aula verlassen hatten, hatte Sarah die Absicht, noch mal hinter die Bühne zu gehen. Frau Hampel ging an ihr vorbei und blieb kurz stehen. „Jetzt aber schnell.“ Sagte sie lächelnd. „Ja, ich bin gleich soweit. Sie können ruhig schon vorgehen. Oder müssen sie hier abschließen?“ fragte Sarah nun. „Nein, heute wird hier sauber gemacht. Die Aula bleibt am Mittwoch offen. Also dann. Bis morgen.“ Sagte Frau Hampel dann und verabschiedete sich. Endlich war die Studentin allein in der Aula und sie fackelte nicht lange. Sofort nahm sie sich ihre Sachen und rannte auf die Bühne. Sie zog den Vorhang bei Seite und ging in den Backstagebereich, der nur dürftig von einigen Kunststoffröhren an der Decke beleuchtet war. Sie sah sich um und wagte sich weiter in die Stille vor. Absolute Ruhe und keine Menschenseele. Es war niemand dort. Sie hielt inne und überlegte. Doch gerade als sie dachte, sie würde Gespenster sehen, konnte sie etwas hinter sich hören. Ruckartig drehte sie sich um. Sie ging an der Stelle vorbei, wo sie durch den Vorhang gekommen war. Dem gegenüber war eine Wand und die widerum war ebenfalls teilweise mit dem roten Vorhang verdeckt. Irgendwas sagte ihr, dass sie in der Ecke nachsehen sollte, die gänzlich durch den Vorhang verdeckt war. Sie zog den roten Stoff bei Seite und sah eine Wand. Da war einfach nur eine Wand. Sie war schon kurz davor aufzugeben, doch als letzte Handlung machte sie den typischen Klopftest und plötzlich bewegte sich die Wand um einige Zentimeter. [Ich bin also doch nicht bescheuert. Die Wand bewegt sich!] Dann drückte sie dagegen. Die gewöhnlich aussehende Wand ließ sich in der Ecke wie eine kleine Tür öffnen und Sarah sah plötzlich nur Dunkelheit vor sich. Kalte Luft kam ihr entgegen und sie sah absolut nichts. Vorsichtig streckte sie eine Hand aus. Erst zaghaft und dann bestimmt. Als sich daraus nichts ergab, versuchte sie eine Wand an ihrer rechten Seite zu ertasten. Diese fühlte sich normal an und daran orientierte sie sich. Vorsichtig setzte sie den ersten Schritt in die komplette Dunkelheit. Dann den zweiten, ihr Herz klopfte vor Aufregung. Als sie den dritten Schritt getan hatte, zuckte sie zusammen, denn eine männliche Stimme sagte: „Geh nicht weiter!“ Sarah hielt inne. Ihr Herz raste und sie atmete etwas schneller. Durch den Schall der entstand, konnte sie schließen, dass es sich um einen kleinen, schmalen Gang handeln musste, in dem sie sich befand. Dann fasste sie sich ein Herz und mit leicht zitternder Stimme fragte sie: „… Wer bist du?“ Zunächst kam keine Antwort und Sarah ging weiter hinein. „Ich bin das Phantom.“ Wieder hielt die junge Frau inne. Sie musste schmunzeln. „Das Phantom der Oper, oder wie? Komm schon. Zeig dich!“ Wieder erhielt sie keine Antwort, doch auf einmal konnte sie hören, dass jemand die Aula betrat. „Ah, dann woll’n wir mal.“ Es war der Hausmeister, der die Aula sauber machen wollte. Sarah sah sich zur Türöffnung um und als sie sich wieder der Dunkelheit zuwandte, stand ein großer Mann vor ihr. Sie schrak auf. Aufgrund des mangelnden Lichteinfalls konnte sie nicht erkennen, wer vor ihr stand. Sie konnte nicht einmal sein ganzes Gesicht sehen. „Geh jetzt.“ Flüsterte er ihr zu. „… Na gut. Ist wohl besser.“ Antwortete sie leise und wandte sich zögernd der Tür zu. Vorsichtig ging sie einige Schritte darauf zu. Doch bevor sie durch diese hindurch gehen konnte, packte sie das Phantom am Oberarm und flüsterte ihr zu: „Und erzähle niemanden von diesem Geheimgang. Bitte.“ Sarah sah ihn mit ihren blauen Augen an und konnte nun erkennen, dass der dunkelhaarige Mann auf seiner rechten Gesichtshälfte eine weiße Maske trug. Sie lächelte als sie ihm antwortete. „Versprochen. Sonst wäre es ja kein Geheimgang mehr. …Bis bald.“ Dann verschwand sie und er schloss schnell die Tür hinter ihr. Den letzten Teil, das >Bis bald <, hatte er nicht erwartet. Etwas verdutzt blieb er einen Moment hinter der Tür stehen, während Sarah an den Hausmeister vorbei rannte und die Hochschule verließ. Als sie in der Straßenbahn saß, resümierte sie für sich noch einmal das eben Geschehene. [Das Phantom der Hochschule. So, so.] Ihre Neugier war nun unhaltbar und sie beschloss einige Nachforschungen anzustellen, sobald sie zuhause war. Jedoch war über ein Phantom an der HMT nicht das Geringste zu finden. Nur ein wages Gerücht geisterte in einem Forun herum. Sie kam nicht drum herum, das Phantom noch mal aufzusuchen. Diese Art von Mystik liebte sie und wie ein Detektiv würde sie der Lösung auf die Spur kommen. Kapitel 6: Das Labyrinth der Geheimnisse ---------------------------------------- Kapitel 06: Das Labyrinth der Geheimnisse „Die Maske versteckt das Zeugnis meiner Vergangenheit.“ Die erste Woche neigte sich ganz langsam dem Ende zu. Es war ein sonniger, aber sehr stürmischer Donnerstag und darüber hinaus wieder sehr kalt. Sarah wollte nur schnell ins Warme, doch unüblicher Weise stand Takuto wartend vor dem Eingang. Sarah stellte ihn zur Rede. „Takuto? Was stehst du hier alleine? Wo ist Maora?“ „Maora ist schon rein gegangen. Ich wollte dich hier abpassen.“ Antwortete er. Der junge Mann schien etwas nervös zu sein, das merkte selbst Sarah. „Wieso das? Komm lass uns schnell rein gehen, hier ist es ja arschkalt.“ Sie betraten die Eingangshalle und Sarah wandte sich ihm wieder zu. Gespannt wartete sie auf seine Antwort. „Hast du das Wochenende schon was vor?“ fragte er dann und etwas verlegen sah er auf den Boden. Sarah sah ihn verdutzt an und überlegte kurz. „Na ja, so gesehen habe ich jedes Wochenende was zu tun. Wieso fragst du?“ Takuto war über diese Antwort sichtlich nicht begeistert und schien innerlich zu schmollen. „Ach nichts. Komm lass uns gehen. Wenn wir zu spät kommen, reist uns Herr Beier die Köpfe ab.“ Dann ging er voraus und ließ Sarah fragend im Eingangsbereich stehen. Mit fragendem Gesichtsausdruck folgte sie ihm schließlich. Auch den restlichen Tag konnte Sarah nicht in Erfahrung bringen, was Takutos eigenartiges Verhalten auf einmal für eine Ursache hatte. Selbst Maora, die ihn seit Kindertagen kennt, war überrascht von seiner Verhaltensweise und stellte ihn zur Rede, als Sarah nicht in der Nähe war. Was Maora zu hören bekam, verwunderte sie zunächst, freute sie aber im nächsten Moment sogar. Aber die arme Sarah wurde weiterhin im Unklaren gelassen. Nur fühlte sie sich für den Rest des Tages irgendwie von Maora verarscht. Sie grinste sie nur noch an. Auf die Frage, was mit den beiden auf einmal los war, erhielt sie jedoch keine Antwort und schließlich fragte sie nicht weiter nach. Stattdessen machte sie sich Gedanken über das geheimnisvolle Phantom. An diesem Tag endete der Studienabend mit staubiger Theorie und der Auswertung des kürzlich geschriebenen Tests. Eine Katastrophe, wie Herr Dewers sich ausdrückte. Entnervt packten die Studenten ihre Sachen und verließen die HMT. Nur Sarah schlich sich unbemerkt in die Aula. Leise schloss sie die Tür und ging wieder in den hinteren Teil der Bühne. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, doch ihre Neugier überdeckte jegliche Angst. Sie wollte die Geheimtür gerade öffnen, als sie eine Stimme hinter sich hörte und sie daraufhin zusammen zuckte. „Wieso bist du zurück gekommen?“ Sarah hielt inne, blickte langsam über die Schulter und wandte sich schließlich dem Phantom zu. „Ich habe doch gesagt Bis bald.“ Sie lächelte leicht, als sie das sagte. Daraufhin schwieg er und stand zunächst regungslos in dem dürftig ausgeleuchteten Raum. „Um ehrlich zu sein, bin ich neugierig. Wer bist du?“ fuhr Sarah nun fort. Er sah sie zunächst schweigend an und nahm dann ihre Hand. „… Nicht hier. Lass uns woanders weiter reden.“ Dann öffnete er die Geheimtür und führte sie durch den Gang. Auf der anderen Seite öffnete er eine weitere Geheimtür und im Anschluss ging es einige Stufen nach unten. Es schien eine steinige Wendeltreppe zu sein, die in einen weiteren, aber etwas größeren Gang mündete. Sarah hatte schon längst die Orientierung verloren und dachte nicht wirklich darüber nach, was sie gerade tat. Sie ließ sich einfach führen. Schließlich erreichten sie eine Flügeltür, die Erik öffnete und sie herein bat. Sarah betrat etwas zögernd einen mit Kerzen beleuchteten Raum. Dort stand ein alter Holztisch, den sich für gewöhnlich nur Sammler antiker Gegenstände anschaffen und auf dem ein Haufen Blätter lagen. Unsortiert, als hätte sie jemand vor Wut hingeschmissen. Neben der Tür stand eine lange Kommode, die ebenso antik aussah wie der Schreibtisch und überhaupt, war das Zimmer nicht gerade modern eingerichtet. Als hätte jemand die Möbel seiner Urgroßmutter wiederverwendet und auch die an den Wänden hängenden Bilder und Gemälde, waren weit überaltert. Überall standen Kerzenständer, das fiel Sarah sofort auf und sie sah das Phantom an. „Die Dunkelheit scheint dich anzuziehen.“ Er schloss die Tür hinter sich und legte seinen schwarzen Umhang ab. „Ich lebe in der Dunkelheit, aber das Licht zieht mich gerade deshalb umso mehr an.“ Sagte er und lächelte sie an. „Also, wer bist du nun? Oh…“ „… Es tut mir leid. Ich kann dir meinen Namen nicht verraten. Ich bin das Phantom, bitte frag nicht weiter nach.“ Die junge Frau fand das reichlich merkwürdig, aber sie akzeptierte seinen Wunsch. „Na gut, Phantom. Ich bin Sarah. Freut mich, dich kennen zu lernen.“ sagte sie lächelnd und reichte ihm die Hand zum Handschlag. Doch daraus machte er mal eben einen Handkuss, was Sarah kurz leicht erröten ließ. Schnell zog sie ihre Hand zurück und ging ein wenig im Raum herum. „Lebst du hier?“ „Ja. Seit nun sieben Jahren ist das mein Zuhause.“ Erklärte er und Sarah sah ihn erschrocken an. „Seit sieben Jahren? Bitte entschuldige die Frage, wie alt bist du denn?“ „Kein Problem. Ich bin 27.“ „Aber das verstehe ich nicht. Du stehst mitten im Leben. Wieso verbringst du es hier?“ fragte sie ihn und sah ihn missverständlich an. „Ich habe keine andere Wahl. Ich kann nicht mehr zurück.“ Er machte eine kurze Pause und ging ein paar Schritte auf sie zu. „Die Maske versteckt das Zeugnis meiner Vergangenheit und wird mich ewig an die Grausamkeit der Menschen erinnern.“ Sarah schwieg. Sie konnte es nicht fassen, dass jemand so lange Zeit abgeschottet lebte und ganz offensichtlich auch nicht die Absicht hatte, wieder am öffentlichen Leben teilzuhaben. Dennoch konnte sie ihn teilweise verstehen. „Du könntest es versuchen.“ Sagte sie, als sie ihre Hand hob und ihm die Maske abnehmen wollte. Doch er hinderte sie daran und griff mit seiner Hand nach ihren. „… Ich kann nicht mehr im Licht leben wie du.“ „Aber wie hältst du das aus? Bist du nicht einsam? Weiß denn überhaupt jemand, dass du hier bist?“ „Der Direktor ist der einzige. Na ja und du. … Das muss auch so bleiben. Niemand darf davon erfahren!“ Nun nahm er auch ihre andere Hand und legte sie zusammen. „Schwöre mir, dass du niemandem von mir erzählst. Niemals und unter keinen Umständen.“ Es schien ihm wirklich wichtig zu sein. Das konnte sie an seinem Gesichtsausdruck und an seinem ernsten Tonfall erkennen. „Versprochen. Ich erzähle keinem etwas. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Mach dir keine Sorgen.“ Ihre Worte erleichterten ihn sichtlich und er ließ ihre Hände wieder los. Dann entfernte er sich wieder von ihr und Sarah sah ihm nach. „Die Musik macht die Einsamkeit erträglich. Ich spiele selbst Gitarre, Schlagzeug und andere Instrumente, singe und tanze auch gerne. Ab und zu schaue ich mir die Studenten an, wenn sie auf der Bühne in der Aula auftreten. Das sind die einzigen Freuden, die mir das Leben gelassen hat.“ Plötzlich bekam er jedoch eine Reaktion, die er nicht erwartet hatte. Wütend schlug Sarah mit der Handfläche auf den Schreibtisch und er sah sie ruckartig an. „Mach jetzt nicht das Leben für deine Situation verantwortlich. Für dein Handeln bist du selbst verantwortlich.“ Er blieb stumm und Sarah mäßigte ihren Ausdruck und ihre Mimik wandte sich wieder auf ein gutmütiges Lächeln. „Aber… es ist schön, dass dir die Musik so viel bedeutet und dir offenbar ein guter Freund ist.“ „Ja, sie ist mein bester Freund. Der einzige Freund.“ Sagte er dann und senkte seinen Kopf. Sarah ging spontan auf ihn zu und brachte ihn dazu, sie anzusehen. „Jetzt hast du noch einen.“ Sagte sie lächelnd und er hielt inne. Erschrocken sah die junge Frau dann auf die Uhr. Es war höchste Zeit für sie, nach Hause zu gehen und er brachte sie noch zur Aula zurück. „Also wir sehen uns. Einen schönen Abend noch.“ Sagte Sarah lächelnd und ging. Er sah ihr winkend nach und ging dann wieder in seinen geheimen Raum zurück, wo er sich an seinen Schreibtisch setzte. Er stütze sein Gesicht mit dem Arm auf dem Tisch. Plötzlich fiel ihm etwas ein, was er ihr noch sagen wollte. Aber das musste dann wohl bis morgen warten. Endlich Freitag. Das denkt sich wohl der Großteil der arbeitenden Bevölkerung jede Woche. Auch bei den Studenten war das nicht anders. Heute lag der Fokus wieder auf den Kurs von Frau Hampel. Wieder mussten die Studenten ran. Dieses mal durften sie selbst entscheiden, was sie machen wollten. Die einzige Vorraussetzung; es sollte emotional sein und jeder, der Anwesenden sollte es spüren und sehen. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe. Jenny schien es leicht zu Fallen, Wut in einem kurzen Schauspiel auszudrücken und wirklich jeder kaufte es ihr ab. Aufgabe mit Bravur bestanden. Sarah hingegen konnte nicht schauspielern, oder vielmehr hatte sie es noch nie versucht. Es blieb ihr wieder nichts anderes übrig, als sich die Gitarre zu schnappen. „Also ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich spielen soll.“ Sagte sie etwas verlegen und Gelächter brach in der Clique um Jenny los. „Wähle den Song aus, der dich am emotionalsten mitnimmt. Der dich zum Lachen bringt, zum Weinen oder auch wütend macht. Wichtig ist, dass wir es auch spüren.“ Erklärte die Lehrerin dann und versuchte ihrem Schützling Mut zuzusprechen. Aber sie ahnte nicht, was sie damit lostrat. Sarah sah kurz zu ihrer Rechten und sah Erik dort stehen. Dann richtete sie ihren Blick wieder nach vorne. „Na gut….“ Fing Sarah an und bereitete sich vor. Sie holte noch einmal tief Luft und sagte dann ins Mikrofon: „Das ist für dich… Mutter.“ Dann fing sie an zu spielen und eine traurige Melodie ertönte den kleinen Saal. Anfangs waren die Zuschauer nicht so aufmerksam und angetan davon, doch sie ahnten nicht, was in wenigen Augenblicken passieren würde. Sie merkten schnell, dass Sarah sich gänzlich in diesen Song vertiefte. „Man, das ist ja Wahnsinn.“ Bemerkte Takuto, der die Traurigkeit in diesem Lied erkannte und den Schmerz, der sich immer mehr in Sarah auftürmte. Maora fiel das ebenfalls auf und blieb sprachlos. Die kurz zuvor noch spottende Clique, war auf einmal verstummt. Sogar sie waren von der Traurigkeit in diesem Song sichtlich angetan. Mother of Love, kiseki yo ima, boku o sukue, Mother of Love, doko e ikeba, nani o sureba „Takuto? So etwas habe ich noch nie gesehen. Das ist unglaublich.“ Erkennte Maora, die total hin und weg von der Performance ihrer Freundin war. Sarah hatte gerade die Lyrics beendet und nun ging es zum instrumentalen Finale, als plötzlich die Gitarre verstummte und es laut knallte. Alle Anwesenden schraken auf, als Sarah auf einmal regungslos am Boden lag. Sofort rannte die Lehrerin, aber auch Takuto und Maora zu ihr und versuchten sie wach zu rütteln. Erik war entsetzt und sah ihren regungslosen Körper auf dem Boden liegen. Viele Fragen gingen ihm durch den Kopf. Fragen, die nach einer Antwort verlangten. „Sie ist ohnmächtig. Wir müssen sie in den Krankenflügel bringen.“ Sagte Frau Hampel und Takuto handelte sofort. Er nahm Sarah auf den Arm und trug sie persönlich hin. Begleitet wurde er nur von Maora und der Lehrerin, die die anderen Schüler von ihrem Unterricht entließ. Der Arzt stellte bei Sarah keine gesundheitlichen Beschwerden fest. Es war wohl einfach nur eine Überreizung der Nerven. Aber das war ja die Aufgabe. Sarah hatte ihr gesamtes Leid in das Lied gesteckt, nicht ahnend, dass sie es nicht aushalten würde. Wenige Minuten später, erwachte Sarah im Bett der Krankenstation liegend und sah in die Gesichter ihrer beiden Freunde Maora und Takuto. „Hallo Leute.“ Sagte sie schwächlich. „Du Dummerchen. Was machst du nur für einen Unsinn?“ fragte Maora sie besorgt, aber erwartete darauf keine Antwort. Sie war einfach froh, dass es ihrer Freundin offenbar wieder besser ging. In der Tat konnte sie wenig später den Krankenflügel wieder verlassen. Doch trotzdem blieben viele Fragen im Raum. Sarah musste der Krankenschwester und der Lehrerin noch gefühlte tausend Mal versichern, dass es ihr besser ging und schließlich verließen die drei Freunde die HMT ins Wochenende. Bevor sie sich jedoch trennten, ermutigte Maora ihren Freund, Sarah erneut anzusprechen. „… Also. Hast du morgen Zeit? Wie wär’s, wenn wir ins Kino gehen?“ fragte er sie erneut. Sarah sah ihn an. Das hatte sie nicht erwartet. Sie nahm ihr Mobiltelefon aus ihrer Tasche und sah in ihrem Kalender nach. Keine Termine. „Ich habe Zeit. … Also… ja.“ sagte sie dann lächelnd und Takuto freute sich sichtlich. Sie verabredeten sich für 13 Uhr vor dem Kino in der Innenstadt. Doch plötzlich fiel Sarah noch etwas ein. Sie verabschiedete sich von ihren Freunden, die nun das Gelände verließen, und rannte zurück in die Schule. Sie rannte zurück in die Aula, wo sie den Geheimgang betrat und das Versteck des Phantoms aufsuchte. Doch er war nicht da. [… Nicht da. Na gut. Dann eben nicht.] dachte sie und verließ den Raum wieder. Im Geheimgang kam er ihr jedoch entgegen. „Du hast mich gesucht?“ Sarah lächelte etwas. „Ja, ehrlich gesagt ja. Ich wollte dir einfach ein schönes Wochenende wünschen. Das ist alles.“ Das kam ihm sehr merkwürdig vor und er fragte nach. „Einfach nur ein schönes Wochenende wünschen? Du bist echt sonderbar. Dafür läufst du extra zurück in die Schule?“ „… Für Freunde. Ja klar. Freundschaften muss man pflegen. Auch wenn es solche Kleinigkeiten sind.“ Er hielt inne, während sie ein breites Grinsen aussetzte. „Wieso… Wieso bist du vorhin zusammengebrochen?“ fragte das Phantom nun. Sofort war Sarahs Lächeln verschwunden und wich einem nachdenklichen Gesichtsausdruck. Sie wusste nicht, ob sie es ihm erzählen sollte und andererseits; wem sollte er es groß weiter sagen? „Bevor du anfingst zu spielen, sagtest du; Das ist für dich, Mutter. Was bedeutet das?“ Sarah antwortete noch immer nicht. Sie konnte es einfach nicht. Sie konnte nicht darüber sprechen. „… Weißt du… Das ist etwas verzwickt. Ich werde jetzt gehen. Bis Montag dann.“ Er ließ sie gehen, merkte aber, dass sie viel Kummer in ihrem Herzen trug. Leid, welches sie hörbar und sichtbar auf der Bühne dargelegt hatte. [Die Erinnerungen schmerzen einfach noch zu sehr. Ich kriege es einfach noch nicht fertig. Wie soll ich Chris denn helfen, wenn ich selbst damit nicht fertig werde?] Kapitel 7: Date --------------- Kapitel 07: Date „Sie leidet auch, aber sie hat die Stärke es nicht zu zeigen.“ Es war Samstag und Takuto und Sarah waren um 13 Uhr vor einem Kino in der Innenstadt verabredet. Sie wollten sich den neusten Fluch der Karibik Film ansehen, der vor zwei Wochen erschienen war. Takuto erschien überaus adrette gekleidet – was eigentlich unüblich für ihn war, da er meist mit T-Shirt, Jeans und Turnschuhen anzutreffen war. Auch Sarah war hübsch gekleidet und ging auf Takuto zu. „Hallo. Wo ist denn Maora?“ fragte sie und Takuto sah sie fragend an. Sie hatte den Sinn dieses Treffens wirklich nicht verstanden. Für ihn war es ganz klar ein Date, doch natürlich wollte er ihr das so nicht sagen. „Äh, die konnte nicht. Sie sagte, wir sollen uns gut amüsieren. Ist das schlimm?“ „Nein, natürlich nicht. Es ist nur etwas komisch, dich ohne sie zu sehen. Ihr seit immer zusammen.“ Das war in der tat so, auch wenn Sarah die beiden erst eine Woche in Aktion erleben konnte. Sie fand die beiden unglaublich nett und lustig und sie war sehr gerne mit ihnen zusammen. Sie hatte auch kein Problem damit, mit ihm allein ins Kino zu gehen. Dass es ein Date war, war ihr jedoch nicht bewusst. Sie betraten also das Kino und kauften die Karten für die nächste Vorstellung. Takuto kaufte sich noch eine Cola und Popcorn, während Sarah dankend darauf verzichtete. Dann betraten sie den Kinosaal und setzten sich auf ihre Plätze. Da viele Leute den Film schon gesehen hatten, war es relativ leer. Doch das kam Takuto gerade recht. Kaum hatten sie sich hingesetzt, versuchte Takuto sie in ein Gespräch zu verwickeln. „Also. Sag mal… Hast du einen Freund?“ Zugegeben fing er ziemlich direkt und taktlos an und jede andere hätte spätestens an diesem Punkt gemerkt, was der gegenüber von ihr wollte, doch Sarah gehörte zur Sorte der Begriffsstutzigen. „Ja, er heißt Hiroki und wohnt in Hamburg.“ Sagte sie frank und frei heraus, nicht merkend, dass es Takuto einen heftigen Dämpfer verpasste. „Das… ist… … toll. Wirklich toll.“ Stotterte er. „Und du? Hast du eine Freundin?“ fragte sie höflicher Weise zurück. Takuto schüttelte den Kopf. „Komisch, ich dachte du und Maora… seit ineinander… ?“ fragte Sarah verdutzt. Noch hastiger als zuvor, schüttelte er den Kopf. „Nein, nein. Wir sind nur Freunde. Sandkastenfreunde und wir gehen durch dick und dünn. Aber mehr nicht. Wirklich.“ „Ach so.“ sagte Sarah lächelnd und der Film fing an. Ganz offensichtlich, war dieser Anlauf ein kompletter Reinfall. Takuto musste sich was Neues einfallen lassen. Den ganzen Film über, dachte er an nichts anderes und ging jedes Szenario in seinem Kopf durch. Was er ihr natürlich nicht erzählt hatte war, dass er den Film schon kannte und diesen nur ausgewählt hatte, weil er wusste, dass nicht so viele Leute in dem Saal sitzen würden. Nun schmollte er vor sich hin, trank seine Cola und aß das Popcorn. Sarah hingegen sah sich fasziniert den Film an. Sich streckend, standen beide am Nachmittag wieder vor dem Kino. Ihre Beine waren eingeschlafen, aber das war ja nicht unüblich nach einem Kinobesuch. Sarah sah auf ihr Handy und bemerkte, dass sie eine Nachricht bekommen hatte. Sie war von Tina, die ein paar Pakete hatte, die Sarah verteilen sollte. „Tut mir leid, Takuto. Die Pflicht ruft. War nett mit dir.“ Sagte sie dann und bedankte sich. „Ja also… Ich ähm. Wollte dir noch was sagen.“ Fing er wieder an zu stottern, doch Sarah war bereits auf der Flucht. „Tut mir leid. Die SMS ist zwei Stunden alt. Ich muss mich beeilen. Hebs dir für Montag auf oder schreibs per SMS, ja?“ Winkend lief sie dann los und ließ Takuto alleine vor dem Kino stehen. Traurig und enttäuscht sah er ihr nach. [Ich wollte sagen… Ich liebe dich.] „… Ich Idiot.“ Flüsterte er sich zu und fasste sich an den Kopf. Wieso konnte er diese so simpel scheinenden Worte nicht sagen, als sie neben ihm saß? Als sie vor ihm stand? Er war schon immer der direkte Typ, der immer unter Strom stand und im Leben nichts ausließ. Doch das erste Mal blieb ihm die Sprache weg und er fühlte sich antriebslos. Das ging ihm schon die ganze Woche so. Dass sie einen festen Freund hatte, machte ihn verrückt, wenn er an diese Tatsache dachte. Doch fürs erste blieb ihm nichts anderes übrig, als es aufzuschieben. Er ging zu Maora, um ihr alles zu erzählen. Sie hatte ihm so die Daumen gedrückt, denn ihr wäre es sehr recht gewesen, wenn die beiden ein Paar geworden wären. Auch sie war überrascht, dass Sarah einen Freund hatte. Allerdings hätten ihnen die Zeichen, zum Beispiel der Herzanhänger, den Sarah immer um den Hals trägt, einen deutlichen Hinweis darauf geben müssen. Seltsamer Weise kamen beide nie auf die Idee sie vorher mal danach zu fragen. Erik saß an seinem Schreibtisch und schrieb, wie so oft, einen weiteren neuen Song. Damit verbrachte er oft seine Zeit. Der Direktor betrat sein Zimmer und brachte ihm eine warme Suppe. Er war von der Verhaltensweise, die sein verschwiegener Schützling diese Woche zu Tage legte, sehr verwundert. Für gewöhnlich war es ihm egal, wer die Leute waren, die in der Hochschule ein und aus gingen. Er bespitzelte sie oft, das war nichts neues, aber noch nie hatte er sich besonders auf eine Person fokussiert. Jedenfalls nicht, dass es dem Direktor aufgefallen wäre. „Du schreibst schon wieder? Hier. Iss erstmal was.“ Sagte der Direktor und stellte die Schüssel vor ihm auf den Tisch. Erik legte den Stift bei Seite. „Es will nicht klappten.“ Sagte er nun und der Direktor sah ihn fragend an. „Wie meinst du das?“ „… Ich krieg seit Tagen keinen neuen Song zustande, der mir gefällt.“ „Jeder hat mal eine Blockade. Das ist bei Künstlern nicht anders.“ Versuchte der Direktor ihn zu ermutigen. Doch Erik schwieg daraufhin. Der Direktor ahnte schon, was mit ihm los war. Er war unzufrieden. Zum ersten Mal, in all den Jahren schien es so, als sei Erik mit seiner Situation nicht mehr zufrieden. Der Direktor sprach ihn darauf an. „Du möchtest jetzt mehr. Diese Wände reichen jetzt nicht mehr aus. Nicht wahr?“ Erik schwieg weiterhin. „Es ist dir nie leicht gefallen, die Studenten zu sehen, wie sie sich frei bewegten. …“ Er wurde von Erik unterbrochen, der ihm nun die Wahrheit erzählte. „Ich habe sie hier her gebracht.“ Dem Direktor blieb kurz die Luft weg. „… Was?!“ „Sie hat die Geheimtür in der Aula gefunden.“ „Und dann bringst du sie gleich hier her und dich damit in Gefahr?!“ fuhr der Direktor ihn nun an und Erik sah ihn erschrocken ins Gesicht. „Wenn sie herausfindet, wer du bist und vor allem, was du getan hast, dann wird man dich festnehmen und einsperren.“ „Und wo besteht der Unterschied zu meiner jetzigen Situation?!“ schrie Erik zurück und stand rückartig auf. Der Direktor sah ihn an. Er wollte ihn doch nur beschützen. Das wusste Erik auch und seine Haltung lockerte sich. Dann entfernte er sich vom Schreibtisch und ging ein wenig im Zimmer herum, gefolgt von den Blicken des Direktors. „Ich wollte immer nur dein Bestes.“ Sagte dieser dann. „Das weiß ich und dafür bin ich dir auch sehr dankbar. Ich weiß im Moment nur nicht, was ich wirklich will. Du hast schon recht. Das hier allein genügt mir nicht mehr. Ich will mehr. … Ich sah das Licht und ließ mich gefangen nehmen.“ Nun war es still. Keiner von beiden rührte sich oder wagte etwas zu sagen. Die Situation war im Wandel und der Direktor wusste nicht mehr genau, wie er Erik helfen konnte oder was für ihn wirklich das Beste war. Seit sieben Jahren lebte er hier, allein. Abgeschottet von der Welt. Er wollte ihn vor der Grausamkeit der Menschen beschützen, hatte dabei aber vergessen, dass er ihn auch vor den positiven Gefühlen ausgrenzen würde. Der Direktor musste Sarah auf Erik ansprechen. Er musste sich ein eigenes Bild von der Situation machen. Sarah kam in der Bar ihrer Freundin Tina an, wo sie überraschender Weise auch Chris antraf. Sofort ging sie auf ihn zu. „Hallo Chris. Schön dich zu sehen.“ Sagte sie freundlich. „Hallo Sarah. Wie geht es dir?“ fragte er zurück. „Gut, danke. Und selbst?“ „… Viel zu tun. Aber sonst…“ antwortete der blonde Mann etwas verhalten. „Können wir uns mal… unter vier Augen unterhalten?“ fragte Sarah ihn nun und Chris sah sie verwundert an. Damit hatte er nicht gerechnet. Doch er willigte ein und beide gingen in einen Raum im oberen Stockwerk, wo sie ungestört reden konnten. Er war wie ein großer Bruder für sie und sie wie eine kleine Schwester für ihn. Die beiden waren sich wirklich sehr ähnlich, obwohl sie nicht blutsverwandt waren. Doch das stört niemanden in ihrem Freundeskreis. Sie wurden als Bruder und Schwester bezeichnet und damit war’s das. „Worüber möchtest du mit mir sprechen?“ fragte er sie. „… Hast du schon einen Weg gefunden, dich von der Schuld und dem Schmerz zu befreien?“ Chris hielt inne und antwortete nicht. Er ging auf das Fenster auf der anderen Seite des Zimmers zu. „Ich bin noch immer auf der Suche. Es fühlt sich an wie ein Stein, der mich in die Tiefe zieht. Dieser Schmerz sitzt noch zu tief. Ich bewundere Tina. Sie ist so stark. Sie hat den Schmerz überwunden und kann nach vorne blicken.“ „Du irrst dich.“ Unterbrach sie ihn. „Tina geht es nicht anders wie uns. Sie leidet auch, aber sie hat die Stärke es nicht zu zeigen.“ „Wieso tut sie das?“ „Was meinst du wohl? Wenn wir alle in dieser Traurigkeit versinken… Was würde dann aus uns werden? Ich arbeite hart daran, damit fertig zu werden. Die Musik hilft mir dabei. Aber es ist schwer. Tina ist so stark, weil sie weiß, dass wir nicht damit fertig werden. Aber es schmerzt sie ebenso, uns beide in dieser Verfassung zu sehen. Ich bin mir sicher, dass sie uns so auch nicht sehen wollen würde.“ Chris sah auf und wandte sich seiner Schwester zu. Beide sahen sich stumm an und es war ganz still in dem Raum. Man konnte das Klirren der Gläser hören, die Tina in die Spüle stellte. Dann sagte Chris etwas, was Sarah selbst viel Mut und Zuversicht gab und auch Hoffnung, dass es von nun an, etwas besser zu ertragen sei. „Sie dachte mehr als jeder andere von uns an morgen. Sie sprach immer von der Zukunft. Lass uns mit erhobenem Kopf in die Zukunft gehen. So hätte sie es gewollt.“ Sagte Chris nun mit zuversichtlicher Stimme und Sarah nickte lächelnd. Sie wusste, dass es für beide noch einige Zeit brauchen würde, bis der Schmerz gänzlich vergangen sein würde, aber das war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Iris hat uns ein wichtiges Geschenk hinterlassen. Chris… Lass es uns in Ehren halten, ja?“ Das Geschenk einer wichtigen Freundin, das hinterlassen wurde. Die Hoffnung auf ein Morgen ohne Schrecken. Die Wunden würden irgendwann heilen, aber die Narben würden für immer bleiben. Das war allen, die mit der Person Iris zu tun hatten, klar. Nach einiger Zeit, kamen Sarah und Chris wieder nach unten und setzten sich an die Theke zu Tina. Sarah fackelte nun nicht lange und fragte gleich nach den Paketen, die sie austragen sollte. „Vergiss es. Chris hat sie schon ausgetragen. Wieso hast du nicht geantwortet?“ fragte Tina sie nun. „Ach so, alles klar. Ich war mit einem Freund im Kino. Takuto. Er geht in meine Klasse an der HMT.“ Erklärte Sarah nun und Tina ging ein Licht auf. „Du hattest schon von ihm erzählt. Sag doch gleich, dass du ein Date hattest.“ Sarah hielt kurz den Atem an und sah ihre Freundin missverständlich an. „Wieso Date? Das war ein einfaches Treffen.“ „Ach Sarah. Wenn ein Mann eine Frau fragt, ob sie sich treffen wollen, ist das ein Date.“ Sarah schüttelte den Kopf. „Was? Was? Was? Nein halt. Maora sollte eigentlich auch mitkommen, aber sie konnte nicht…“ Doch auf einmal fiel Sarah auf, dass Takuto gefragt hatte, ob sie sich mit ihm trifft und nicht mit ihm und Maora. Sie ließ den Kopf hängen und gab schließlich nach. „Na gut. Vielleicht war es doch ein Date. Wie auch immer. Ich werd dann mal nach Hause gehen und meine neu erworbenen Kenntnisse an der Gitarre ausprobieren. Unter der Woche komme ich zu nix. Also bis dann. Machts gut.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Sarah von ihren Freunden und ging nach Hause. Dort angekommen, schnappte sie sich sofort ihre Gitarre und gab sich der Schönheit der Musik hin. Sie probierte viele neue und auch durchaus äußerst komplizierte Sachen aus, die sie sich zuvor nicht getraut hatte. Natürlich klappte es nicht auf Anhieb. Aber sie blieb hartnäckig und wurde immer besser. Nach einiger Zeit fiel ihr auf, dass sie aber noch immer keine Noten lesen und umsetzen konnte. Dem wollte sie entgegen wirken und kramte ihre alten Schulunterlagen heraus. Noten lesen konnte sie sich selbst beibringen, aber für das Umsetzen dieser auf der Gitarre, musste sie noch einen Mentor finden. Kapitel 8: Die falsche Cinderella --------------------------------- Kapitel 08: Die falsche Cinderella „Du begreifst es wirklich nicht, oder?“ Es war Montag, kalt und windig, aber wenigstens sonnig. Wie gewohnt ging das Leben in der Hansestadt weiter. Am Nachmittag kamen die Studenten für ihr Spätstudium wieder an der Hochschule für Musik und Theater zusammen. Jenny erreichte gerade den Eingang und hielt inne, als sie Sarah kommen sah. Mit einem heißen Becher Kaffee in der Hand wartete sie auf sie. Als Sarah sie sah, dachte sie sich nichts weiter dabei. Allerdings hatte die junge Frau ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Dann riss Jenny die Tür auf und mimte Sarah vor, sie aufhalten zu wollen. Tatsächlich ließ sie die Tür zufallen, kurz bevor Sarah diese erreichte. Dann stöhnte sie und dachte sich: [… Oh Mann, was für ein Kindergarten.] Dann betrat sie das Gebäude und wurde von Jenny in ein kurzes Gespräch verwickelt. „Nur eine Verwarnung. Du kannst froh sein, dass ich dich nicht anzeige.“ Sagte Jenny. „… Vergessen wir es einfach, okay?“ schlug Sarah vor und sah Jenny in die Augen. Diese überlegte kurz. „Von mir aus. Freust du dich schon auf die Woche?“ Sarah setzte einen fragenden Blick auf. „Wieso?“ „Diese Woche ist wenig Theorie und viel Praxis. Wir werden ein Theaterstück aufführen. Hast du vergessen deine Hausaufgaben zu machen? Wir sollten uns die Geschichte der Cinderella erlesen.“ Erklärte Jenny, während die beiden auf den Theorieraum zugingen. „Stimmt ja.“ Sarah wusste davon wenig. Als Frau Hampel diese Hausaufgabe auftrug, war Sarah ohnmächtig. Maora hatte es ihr in einer SMS geschrieben. Was die Lehrerin wohl damit bezweckte? Im Theorieraum wurde Sarah von ihren beiden Freunden begrüßt. „Hallo, Saku-chan!“ sagte Maora überaus fröhlich und lächelte sie an. Das „Hallo.“ von Takuto kam dagegen etwas verhalten rüber. „Hi. So langsam muss ich mir ein Decknamenportfolio anlegen, was?“ erkannte Sarah, als sie ihre Tasche auf den Tisch stellte. „Wie viele hast du denn?“ fragte Maora neugierig. „Lass mal überlegen. Sarah, Luna, Luni, Kaito, … Da kommen eine Menge zusammen.“ Antwortete Sarah, während sie ihr Schreibzeug auspackte und auf den Tisch legte. „Kaito? Wieso das denn?“ fragte Maora und sah sie an. Aber Sarah schüttelte den Kopf. „Ist ne lange Geschichte. Wenn wir mal Zeit haben, erzähl ich sie euch.“ Erklärte Sarah nun und Maora zeigte sich sehr interessiert. Sie und Takuto waren zwar erst kurz mit ihr befreundet, aber sie hatten Sarah richtig gern. Ganz besonders Takuto, der sie heute allerdings kaum ansah. Dann betrat Herr Dewers den Raum, allerdings zusammen mit einer anderen Studentin. Die Klasse setzte sich auf ihre Plätze und schenkte ihnen Gehör. „Hallo alle zusammen.“ Fing die aus einer anderen Klasse stammenden Studentin an. „Es ist mal wieder so weit. Der Frühling steht so langsam ins Haus und der Tag der Blumen steht uns wieder bevor.“ Sarah sah ihre Banknachbarn fragend an. „Tag der Blumen?“ „Das ist eine Tradition an unserer Schule. Also das läuft so. Du bekommst einen Briefumschlag, indem eine Karte drin ist. Da trägst du den Namen desjenigen ein, der eine Rose bekommen soll und kreuzt die Farbe an. Rot steht für Liebe, gelb für Freundschaft. Am Freitag werden die Rosen dann ausgeteilt. Du kannst deinen Namen als Absender hinschreiben, oder anonym bleiben.“ Erklärte Maora ihr flüsternd. „Aha… und wozu soll das gut sein?“ fragte Sarah zurück. „So kannst du zum Beispiel jemanden mitteilen, dass du in ihn verliebt bist, oder ihn magst, ohne ihn oder sie direkt ansprechen zu müssen. Ist doch eine super Idee.“ Sarah nahm das jetzt einfach so hin und die Studentin gab die Briefumschläge rum. Jeder bekam nur einen, darauf achtete sie pingelig genau. Als Sarah ihren in der Hand hielt, überlegte sie, wem sie überhaupt eine Rose schenken wollen würde. Sie hatte ja nur Maora und Takuto zur Auswahl, aber sie hatte ein schlechtes Gewissen, da einer von beiden leer ausgehen würde. Wie angekündigt fiel der Theorieunterricht heute kürzer aus als letzte Woche und die Studenten wechselten in die Aula zum Praxisunterricht. Doch auf dem Weg dorthin, passte der Direktor, Sarah, Maora und Takuto ab. „Kann ich sie mal unter vier Augen sprechen?“ fragte er und sah Sarah an. Diese sah fragend zurück und ging mit ihm in Richtung der Verwaltungsräume. Doch anstatt die Treppe zu diesen hoch zu gehen, gingen sie den Korridor bis ans Ende und unterhielten sich in einer sehr unbelebten Ecke. „Ich hoffe das Geheimnis unserer Schule bleibt auch eins.“ Flüsterte er ihr dann zu. Das Gespräch setzte sich flüsternd fort. „Sie meinen… das Phantom? Natürlich. Ich erzähle niemandem davon.“ „Auch nicht deinen Freunden!“ sagte er dann noch mal mit Nachdruck. „Natürlich nicht. Machen sie sich keine Sorgen.“ Sagte sie und der Direktor war sichtbar erleichtert. „Was denkst du von ihm?“ fragte er dann. Zugegeben war das eine eigenartige Frage, doch er musste sie stellen, um die Hintergründe der Studentin herauszufinden. „Was ich von ihm denke? … Hm…“ Sie hielt kurz inne. „Er scheint mir sehr einsam zu sein, da er keine freundschaftlichen Kontakte hat. Ich verstehe die Gründe für diese Geheimnistuerei nicht und so gut kenne ich ihn auch nicht, aber ich denke er sollte mehr Kontakte haben und mehr mit anderen Interagieren können.“ „Das geht leider nicht.“ Antwortete der Direktor mit leicht bedrückter Stimme. „Aber wieso? Ist es wegen dem, was hinter seiner Maske ist? Er sagte, es sei das Zeugnis seiner Vergangenheit. Was bedeutet das?“ fragte Sarah mit Nachdruck und der Direktor erkannte nun, dass sie sich wirklich um Erik sorgte. „Es tut mir leid. Das kann ich dir nicht verraten. Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ Sarah sah ihn an. „Kümmere dich um ihn, solange du hier bist. Ich möchte, dass es ihm gut geht. Vielleicht kannst du ihm ein bisschen von deiner inneren Stärke abgeben.“ Dann lächelte sie und sah ihn mit einem warmherzigen Blick an. „Natürlich. Ich kümmere mich um meine Freunde, so gut ich kann.“ Der Direktor war sichtlich beruhigt. Das Geheimnis des Phantoms schien bei ihr wirklich sicher zu sein und ihre Absichten waren ehrlicher Natur. Besonders eine Tatsache machte ihn aber sehr glücklich. Sie hatte Erik als einen Freund bezeichnet und er wusste, dass Freundschaft wichtig war – für jeden. Damit war das Gespräch auch schon beendet und Sarah lief schnell zur Aula, um den Kurs nicht zu verpassen. Sie hatte Glück, denn die Lehrerin traf erst kurz nach ihr ein. „Also meine Lieben. Ihr solltet euch mit der Geschichte der Cinderella beschäftigen. Heute will ich eure Interpretation zu dem sehen. Auf der Bühne. Improvisiert, dass sich die Balken biegen. Ihr könnt alles verwenden. Schauspielerei und Musik. Macht daraus euer eigenes Werk. Ich gebe euch fünfzehn Minuten Zeit, um euch in Dreiergruppen einen Grundriss zu überlegen. Die Charaktere sind Aschenputtel und ihr Prinz, sowie eine Stiefschwester, Stiefmutter oder die gute Fee. Also… Los geht’s!“ Sarah ließ den Kopf hängen, ebenso wie Takuto. Beide hatten sichtbar keine Lust auf diese Scharade. Maora hingegen war einsatzfreudig wie immer. „Also Sarah ist Cinderella, Takuto der Prinz und ich die Stiefmutter. Alles klar?“ bestimmte Maora übermütig, doch ihre beiden Freunde hatten Einwände. „Ich will die Stiefschwester sein! So richtig fies und gemein sein, ist meine Spezialität!“ warf Sarah ein und bestand darauf, die Rolle der Aschenputtel nicht zu spielen. „Wenn wir hier fünfzehn Minuten über die Rollenverteilung diskutieren, hilft uns das gar nichts. Na gut. Ich bin Cinderella und du eine Stiefschwester. So… jemand ne Idee, wo wir in dem Stück einsetzen?“ fragte Maora dann. „Also mich fragt ihr da besser nicht. Das überlasse ich euch.“ Sagte Takuto dann und Sarah sah ihn fragend an. „Was ist denn heute los mit dir? Du scheinst traurig zu sein. Was ist denn?“ „Lass ihn lieber. Er brauch ein wenig Zeit für sich.“ Antwortete Maora an seiner Stelle, die genau wusste, warum er so bedrückt war. Sie wusste auch, dass er erleichtert war, dass Sarah nicht mehr Cinderella war. „Na gut… Also. Wir könnten es doch so machen. Cindy wird von ihrer Stiefschwester zuhause tyrannisiert und plötzlich taucht der Prinz auf, um Cinderella zu retten.“ Schlug Sarah vor und da ihre beiden Freunde keine bessere Idee hatten, wurde der Vorschlag prompt angenommen. „Ja das ist gut. Da können wir dann ordentlich improvisieren. Das war ein guter Vorschlag. Das kam ja wie aus der Pistole geschossen. Hast du oft solche Ideen?“ fragte Maora sie. „Äh, keine Ahnung. Ist mir spontan eingefallen. Ich schreibe selbst Geschichten, da fällt mir so was glaube ich relativ leicht.“ Antwortete Sarah und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Du schreibst Geschichten? Veröffentlichst du sie auch?“ fragte Maora. „Nein, ich veröffentliche sie nicht. Früher wollte ich mal Autor werden. Aber ich habe nicht den Mut, meine Geschichten der Öffentlichkeit zu präsentieren.“ Erklärte sie. „Was? Das ist aber schade. Wieso denn nicht?“ „Hm… Keine Ahnung. Es ist mir unangenehm, meine Geschichten zu veröffentlichen. Ich komme mir dann so entblößt vor.“ Dann wurde ihre Unterhaltung von Frau Hampel unterbrochen, die nun darauf bestand, dass die erste Dreiergruppe auf die Bühne ging und ihr Stück präsentierte. Erik betrat gerade den Raum hinter der Bühne und bekam die Situation mit. Er war neugierig und bemerkte nach einiger Zeit, dass es die Klasse von Sarah war und erblickte sie schließlich im Saal sitzend. Er erkannte schnell, um welches Stück es sich handelte. Viele Theateraufführungen hatte er schon gesehen und die meisten kannte er auswendig. „Die nächsten!“ schrie die Lehrerin und Jenny bestand darauf, als nächstes auf die Bühne zu gehen. Mit zwei Freunden präsentierte sie ihre Version von Cinderella, die sie natürlich selbst spielte. Sarah musste schmunzeln, als ihr ein Gedanke kam. Maora fragte neugierig, warum sie nun schmunzle. „Ich hab gerade dran gedacht, wie fies ich wäre, wenn ich eine Stiefschwester wäre und Jenny Cinderella. Oh ich würde mich richtig auslassen, glaube ich.“ „Glaub ich nicht. Das wärst nicht du. Du hast nicht so einen verdorbenen Charakter wie sie.“ „Erinnere dich daran. Ich habe sie geschlagen.“ Warf Sarah ein. „Ja, aber du hattest einen triftigen Grund. Aber du prügelst doch nicht auf Schwächere ein, wenn du dich denn überhaupt richtig prügelst. Ich halte dich für eine Person, die sich um andere kümmert und ich wette, du hast noch nie einen Freund im Stich gelassen.“ In dem Moment gingen Jenny und ihre Leute wieder von der Bühne und die Lehrerin wollte als nächstes das Trio Takuto, Maora und Sarah sehen. Im Affekt stand Sarah sofort auf, ohne auf Maoras Satz einzugehen und ging stillschweigend und mit gesenktem Blick an ihr vorbei. Maora bemerkte dies und folgte ihr, zusammen mit Takuto, auf die Bühne. Takuto stand mit verschränkten Armen auf der rechten Seite der Bühne, während sich Sarah auf der linken Bühnenseite zum Vorhang umdrehte. Sie sah Erik und lächelte kurz, bevor sie sich wieder ihren Freunden zuwandte. „Also, fangt an. Kurz zum Verständnis, wo spielt euer Akt?“ fragte Frau Hampel und Maora antwortete: „Im Haus von Aschenputtel.“ Dann ging es auch schon los. Es war Sarah total unangenehm auf der Bühne zu stehen und von allen beobachtet zu werden. Anfangs behandelte sie Aschenputtel noch vergleichsmäßig nett. Sie traute sich nicht so recht. Maora merkte dies und ging darauf ein. „Oh Schwesterherz. Du bist anders als meine andere Stiefschwester. Du verstehst mich wenigstens ein bisschen und hörst, was ich zu sagen haben.“ Sagte Maora dann, die das Aschenputtel sehr überzeugend spielte. Widerwillig setzte Takuto nun ein. „Er ist gekommen. Der Prinz. Hier her!“ sagte Maora schauspielernd und öffnete die erdachte Tür für ihren Prinzen. „Prinz. Was führt sie hier her?“ fragte Sarah, die sich bemühte. Im Inneren wusste sie jedoch, dass sie nie Schauspielerin werden würde. Dennoch gab sie ihr Bestes. „Ich bin hier, um meine Prinzessin zu finden.“ Antwortete Takuto und ging einige Schritte auf Sarah zu. „Die Prinzessin, die sich auf dem gestrigen Ball Cinderella nannte. Finde ich sie in diesem Haus?“ Takuto sah Maora an. Beide hielten kurz inne. Es schien fast so, als würden sie sich telepatisch unterhalten. „Prinz. Das ist Aschenputtel. Sie war gestern auf dem Ball. Sie trug den Gläsernen Schuh.“ Sagte Sarah nun, zeigte mit dem Finger auf Maora und versuchte so die Situation voran zu treiben. Doch plötzlich schien sich die Geschichte völlig umzuformen, als Takuto mit seinem Part weiter machte. „Ich sehe. Sie ist das Aschenputtel. Mit ihrer Erscheinung und dem Gläsernen Schuh, den sie verlor, führte sie mich zu meiner Prinzessin.“ Allen Erwartungen zum Trotz, wandte er sich nun nicht Maora zu, sondern Sarah, die total verwirrt da stand und keinen Satz herausbrachte. Eigentlich wollte sie sagen, dass Aschenputtel Cinderella war. Doch er schrieb die Geschichte um und Maora beließ es dabei. „Prinz, hör auf dein Herz und folge ihm.“ Sagte sie schließlich. Die Geschichte war Aufgrund dieser überraschenden Wendung unheimlich spannend für das Publikum und auch für die Lehrerin. „Meine Prinzessin Cinderella. Ich liebe dich.“ Sagte Takuto und plötzlich küsste er Sarah. Diese schrak auf. In ihrem Kopf flogen dutzend Fragen herum, die sie sich damit beantwortete, dass dies nur ein Theaterstück war. Doch nicht nur sie war erschrocken. Auch Erik. Das Publikum hingegen war erst überrascht und dann begeistert von dieser Handlung. Dann lösten sich seine Lippen wieder von ihren und Sarah sah in seine braunen Augen. Er wünschte sich, dieser Moment würde nie zu Ende gehen und er hoffte, dass sie nun verstand, was er ihr am Samstag schon hatte sagen wollen. Dann fing die Lehrerin an zu klatschen. „Bravo! Bravo! Diese Wendung hat selbst mich überrascht. Gute Schauspielerische Leistung von dir Maora. Das war gut. Vielen Dank. Die Nächsten!“ Dann verließen Maora, Takuto und Sarah die Bühne und setzten sich wieder an ihre Plätze. Dort angekommen, schwiegen sie. Keiner traute sich etwas zu sagen, bis Maora schließlich das Schweigen brach. „Also… Das hat Spaß gemacht, hm?“ Doch sie erhielt keine Antwort. Es vergingen einige Minuten, in denen Sarah darüber nachdachte, was dort gerade auf der Bühne passiert war. „Das war…“ fing Sarah stotternd an. „… wirklich überraschend. Aber Takuto. Ein Handkuss hätte gereicht.“ Meinte sie und lächelte in seine Richtung. Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen und sein Blick wurde zornig. Er ballte eine Hand zur Faust, stand auf und verließ die Aula. Sarah sah ihm fragend nach. „Habe ich was Falsches gesagt?“ fragte sie Maora nun. Diese sah sie missverständlich an. „Du begreifst es wirklich nicht, oder?“ antwortete sie, stand dann auch auf und folgte Takuto. Sarah verstand nun gar nichts mehr und wurde nun mit ihren Fragen allein gelassen. Den restlichen Tag über, vermieden es Takuto und Maora mit ihr zu sprechen. Sie hingen zwar noch mit ihr rum, allerdings kam es zu keinem Gespräch. In der Pause saßen sie stillschweigend in der Cafeteria. Sarah sah ihre Freunde an, doch diese schienen sie nicht für voll zu nehmen. Das machte sie traurig. Sehr sogar. Am Abend saß Erik wieder an seinem Schreibtisch und schrieb an einer Geschichte. Plötzlich betrat jemand den Raum und er hob den Kopf. „Darf ich reinkommen?“ fragte Sarah mit bedrückter Stimme. „Natürlich.“ Antwortete er und bot ihr den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches an. Sie schloss die Tür hinter sich und nahm Platz. Erik bemerkte ihre Traurigkeit und fragte danach. „Was ist los? Du scheinst besorgt zu sein.“ Sarah nickte. „Ja. Meine beiden Freunde Maora und Takuto ignorieren mich auf einmal und ich weiß nicht warum.“ Er hatte gerade wieder begonnen zu schreiben, hielt aber inne als er das hörte. „… Seltsam. Kannst du dir nicht denken, warum?“ „Nein, keine Ahnung. Es ist seit diesem Theaterstück. Du hast es ja gesehen, oder? Danach waren sie irgendwie ganz komisch und haben die Aula verlassen.“ Sagte sie bedrückt und er schrieb weiter. Er vermutete etwas – nämlich, dass die Worte die Takuto als Prinz sagte, sich nicht an Cinderella richteten, sondern an Sarah. Damit lag er natürlich richtig. Doch er wollte es ihr nicht sagen. Stattdessen versuchte er sie abzulenken. „Sag mal, du kannst keine Noten lesen, oder?“ fragte er nun und legte den Stift bei Seite. Sie sah ihn an. „Nein, nicht wirklich. Das heißt, ich habe am Wochenende angefangen, sie mir selbst beizubringen.“ Erklärte sie, was Erik sichtbar freute. „Du gibst dir viel Mühe. Das zeigt, wie viel dir die Musik bedeutet. Das ist toll.“ Sarah lächelte stumm. „Also, komm mal hier rum mit dem Stuhl. Ich werd dir das Notenlesen beibringen, dann geht es schneller und leichter.“ Er lächelte sie an und sie sah ihn freudestrahlend an. Dankend nahm sie sein Angebot an und die beiden fingen gleich an mit dem Privatunterricht. Das lenkte Sarah wenigstens für eine kurze Zeit von den Sorgen ab und sie setzte ihren Fokus auf das Notenlernen. Im Grunde, musste das vorhandene Wissen nur aufgefrischt und ein wenig erweitert werden. Es vergingen insgesamt über zwei Stunden, in denen sie hart arbeiteten, aber auch gelegentlich herumalberten. Erik wusste nicht, wann er das letzte mal so viel gelacht hatte und wann die Zeit das letzte Mal so schnell verging, dass er sie einfangen und noch mal erleben wollte. Die Musik war eine Magie und die beiden gaben sich dem Zauber hin. Ab und zu pausierten sie und erzählten ein wenig von sich. So erfuhr Sarah unter anderem, dass er mehrere Instrumente spielte. Darunter Gitarre, Saxophon und sogar Klavier. Das versetzte sie ins Staunen und sie war glücklich, dass so jemand nun ihr Mentor war. Es wurde wirklich sehr spät und Sarah schickte einer Freundin eine SMS, ob sie sie abholen könne. Das Phantom zeigte ihr einen weiteren Geheimgang, über den Sarah die HMT verlassen konnte. Dann bedankte und verabschiedete sie sich von ihm. „Hallo, Kairi… Hallo, Kai. Wie geht’s?“ sagte Sarah freudestrahlend, als sie ins Auto einstieg. „Hi, Luna-chan. Viel zu tun gehabt, hm?“ fragte Kairi, die auf dem Beifahrersitz saß und sich nun zu ihrer Freundin umdrehte, während Kai los fuhr. „Ja, ich… hab Privatunterricht bekommen, um endlich Noten lesen zu können.“ Erklärte sie, musste aber aufpassen, dass sie sich nicht verplappert. „Schon klar und was führst du für eine Sorgenfalte mit dir herum?“ fragte Kai nun. „Euch kann man echt nichts vormachen. Also… Maora und Takuto ignorieren mich auf einmal. Wir mussten heute ein Theaterstück aufführen. Im Anschluss waren sie ganz komisch und haben nicht mehr mit mir geredet.“ Erklärte sie. „Lass dir mal durch den Kopf gehen, warum.“ Antwortete Kairi und es wurde still im Auto. Sarah dachte nach. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf und schließlich bekam sie von Kairi, der sie alles über Internet geschrieben hatte, die Fakten präsentiert. „Alsooo~. Er fragt, ob du am Samstag Zeit für ein Treffen hast, was allgemein als Date gedeutet werden kann. Er fragt im Kino, ob du einen Freund hast, hat selbst aber keine Freundin. Geht dir da nicht ein Licht auf, wenn du das heutige Puzzlestück noch dazu packst?“ Sarah musste schlucken. Sie wusste worauf Kairi hinaus wollte. „Du meinst… Er ist in mich verliebt?“ „Richtig. Alles deutet darauf hin.“ Bekam sie als Antwort. Doch Sarah hatte das im Inneren schon vermutet, es aber offensichtlich absichtlich ignoriert, da sie ja mit Hiroki glücklich ist. „… Scheiße.“ Fluchte sie nun. „Waaa~s?! Wieso scheiße?“ fragte Kai irritiert. „Na ganz einfach. Ich muss ihm sagen, dass ich seine Gefühle nicht erwidern kann und die meisten Freundschaften werden durch so eine Situation angekratzt. Das ist doch scheiße. Ich mag Takuto ja auch. Ich will ihn als Freund nicht verlieren und wenn er geht, geht Maora mit ihm. So viel ist sicher.“ Sie musste sich nun überlegen, wie sie es anging. Ihr war die Freundschaft mit den beiden wirklich wichtig. Trotzdem musste sie ihm klar und deutlich sagen, woran er ist. Sarah war also fest entschlossen, Takuto morgen ganz offen darauf anzusprechen, denn sie wusste, wenn sie stillschweigend an ihnen vorbei ging, würde sie ihre neuen Freunde verlieren. Kapitel 9: Der Engel der Musik ------------------------------ Kapitel 09: Der Engel der Musik „So lass mich dir Freiheit schenken, für einen Augenblick.“ Schmollend wegen der gestrigen Vorkommnisse, saß Takuto an seinem Platz. Er war total antriebslos und fühlte sich leer wie eine Puppe. Maora saß neben ihm und packte langsam ihre Sachen aus. „Ist bald Wochenende?“ fragte er gelangweilt und Maora stupste ihn sogleich an. „Die Woche hat gerade erst angefangen.“ Schmunzelte sie. Er legte seinen Kopf auf den Tisch und verdeckte diesen mit seinen Armen. Am liebsten hätte er angefangen loszuheulen wie ein kleines Kind. Doch das verkniff er sich. „Ich will sie nicht mehr sehen.“ Jammerte er stattdessen. Maora hatte ihn gerade so verstanden und sie konnte seine Gefühle nachvollziehen. Trotzdem versuchte sie ihn zu ermutigen. „Sie… hat doch gesagt, dass sie einen Freund hat. Du musst dich damit abfinden.“ Dann betrat Sarah den Raum und Maora machte ihren Freund sofort darauf aufmerksam. Er schaute auf und sah, wie sie die Stufen hoch gerannt kam und in Windeseile vor ihm stand. „Takuto, bitte sag mir eins.“ Fing sie an und er sah sie an, ebenso wie Maora. „Das, was du gestern zu Cinderella sagtest… oder zur Stiefschwester… wie auch immer. Galt das in Wahrheit mir?“ Takuto hielt vorerst inne. Er musste erst begreifen, was sie gerade sagte. Innerlich hoffte er von ihr eine Zusage zu bekommen und stand auf. „Ich danke dir, Takuto. Doch ich kann deine Gefühle nicht erwidern. Bitte versteh das.“ Er sah in ihre blauen Augen und erkannte die Wahrheit. Sie liebte ihren Freund aufrichtig und hielt ihm auf Ewig die Treue. Das musste er akzeptieren. Eher er antworten konnte, sagte Sarah weiter: „Bitte versteh das. Ich möchte euch als Freunde nicht verlieren.“ Sagte Sarah flehend und nun mischte sich Maora in das Gespräch ein. „Wir wollen dich als Freundin auch nicht verlieren. Takuto wird das verstehen. Vielen Dank für deine Worte.“ Takuto, der gerade seine Freundin Maora ansah, blickte im nächsten Moment wieder Sarah an. „Ja, wir bleiben Freunde.“ Sagte er dann und sie konnten Sarah die Erleichterung im Gesicht ablesen. Dann kam es zum Gruppenkuscheln und schließlich setzte sich Sarah an ihren gewohnten Platz. „Aber… Sag bescheid, wenn du mal Ärger mit deinem Freund hast. Ich spring dann gerne in die Bresche.“ Sagte Takuto und bekam sofort eine von Maora übergebraten. Sarah hingegen musste nur lachen. Sie war sehr erleichtert darüber, dass die Situation so einfach bereinigt werden konnte und atmete einmal befreit auf. Bevor der Unterricht begann, betrat Frau Hampel den Raum und verteilte kleine Briefumschläge an sieben Leute. Sie sollten heute das Theaterstück Cinderella aufführen und zwar in seiner Originalform. In den Briefumschlägen steckten die Rollen. Maora, Takuto, Sarah, Jenny, eine Mitschülerin und zwei Mitschüler bekamen die Rollen. Als die Lehrerin Sarah den Briefumschlag auf den Tisch legte, sah sie sie fragend an. „Wieso bekomme ich eine Rolle? Ich bin kein Schauspieler.“ Fragte Sarah irritiert. „Das ist für dein Selbstvertrauen. Spiel die Rolle überzeugend, klar?“ antwortete Frau Hampel und ging zu Jenny. Sarah sah den Briefumschlag fragend an und steckte ihn dann weg, ohne ihn zu öffnen. „Diener.“ „Stiefschwester.“ Flüsterten sich Takuto und Maora zu und sahen anschließend zu ihrer Freundin. „Was spielst du?“ „Keine Ahnung. Hab nicht nachgesehen. Einen Baum, hoffe ich.“ Zwar waren ihre Freunde sehr neugierig, allerdings ließ sich Sarah nicht überreden den Umschlag zu öffnen und weiter nachharken konnten sie auch nicht, denn Herr Beier betrat den Raum und der Unterricht begann, als Frau Hampel sich verabschiedete. Seufzen setzte sich Maora zu ihren Freunden an den Essenstisch in der Cafeteria, so wie jeden Tag. Sarah sah sie an und fragte, was los sei. Maora versicherte, dass alles in Ordnung sei. Doch Takuto wusste, was los war. „Es geht um den Typen dort.“ Sagte Takuto und zeigte auf einen Mitschüler. Sarah sah sich zu ihm um. „Tim? Was ist mit ihm?“ fragte sie nun. „Maora ist heimlich in ihn verliebt.“ Erklärte Takuto, worauf Maora rot wurde und widersprach. „So ein Unsinn! Das… das stimmt doch gar nicht.“ Natürlich glaubten die beiden ihr nicht und grinsten sie an. Maora konnte ihre Röte kaum verbergen, stand auf und ging. Sarah und Takuto sahen sich lachend an und folgten ihr schließlich. Ihre Sachen mitschleppend, ging Maora auf die Damentoilette. Sarah ging hinter her und im Affekt wollte Takuto dort auch rein, doch Sarah hielt ihn auf. „Ich darf doch sehr bitten.“ „Ups, ja, ja! Schon klar. Ich war nur in Gedanken!“ sagte er stotternd und wartete am Fenster, gegenüber der Damentoilette. „Maora?“ fragte Sarah zögernd. „Ja, es ist so, wie Takuto gesagt hat. Ist schon gut. Es war mir nur peinlich. Aber jetzt ist es raus.“ Sagte Maora und nachdem sie sich das Gesicht gewaschen hatte, lächelte sie ihre Freundin auch schon wieder fröhlich an. Sarah machte ein etwas bedrücktes Gesicht. „Wirklich?“ „Ja, wirklich. Mach dir keine Gedanken darum.“ erwiderte Maora lächelnd. Dann verließen sie die Toilette auch schon wieder und gingen zu Takuto, der sichtlich überrascht war. „Schon fertig?“ „Klar. Sag mal Saku. Welche Rolle hast du denn jetzt in dem Cinderella-Stück?“ fragte Maora nun, die eigentlich nur das Thema wechseln wollte, gleichzeitig aber wirklich neugierig war, ebenso wie Takuto. „Ach ja. Das habe ich ja fast vergessen.“ Meinte Sarah und kramte den Briefumschlag raus. In Gegenwart ihrer Freunde, öffnete sie diesen schließlich. „Also ich spiele…“ fing Sarah an und stockte, als sie den Namen las. „Was denn jetzt?“ fragte Takuto ungeduldig und riss ihr den Zettel aus der Hand. Maora schaute ebenfalls drauf und kaum hatten sie den Namen gelesen, lachten sie ihre Freundin an. Diese war jedoch entsetzt. „Ich bin Cinderella?! Frau Hampel sagte, dass die Rolle für mein Selbstvertrauen ist und ich mir Mühe geben soll. Aber ich will nicht. Mao-chan! Lass uns die Rollen tauschen!“ flehte Sarah sie nun an, doch ihre Freundin lachte nur. „Frau Hampel hat Recht. Gib dir Mühe und spiel die Rolle so gut du kannst. Das wird deinem Selbstvertrauen auf die Sprünge helfen.“ Ermutigte Maora sie. „Von wegen. Jenny ist doch die Stiefmutter, wenn ich das richtig mitbekommen habe.“ Erkannte Sarah. Ihre Freunde nickten bejahend. „Das heißt, sie wird mir in der Zeit als Aschenputtel die Hölle heiß machen!“ „Hm… ja stimmt. Und eine ihrer Freundinnen ist die andere Stiefschwester. Sie wird ihr bestimmt sagen, dass sie dich auch super mies behandeln soll.“ Erkannte Maora und Sarah verließ jeglicher Mut. „… Mao-chan! Lass uns die Rollen tauschen! Dann kannst du auch mit Tim flirten!“ schlug Sarah vor, nahm Maoras Hand und legte ihr den Cinderella-Zettel in die Hand. Takuto schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob das klappt. Frau Hampel kennt doch unsere Rollen.“ „Takuto hat Recht. Das wird auffallen. Da müssen wir durch.“ Meinte Maora und gab Sarah den Zettel zurück. Die Drei hielten inne und sahen sich ratlos an. Dann schnappten sie sich ihre Sachen und gingen in die Cafeteria zurück. Doch auf dem Weg dorthin, machte Erik auf sich aufmerksam, was zum Glück nur Sarah bemerkte. „Ähm… Geht schon mal vor. Ich geh noch mal für kleine Mädchen.“ „Das fällt dir aber früh ein.“ Nörgelte Takuto und ging mit Maora zurück zur Cafeteria. Doch in Wahrheit ging sie zu Erik, der sie aus einer anderen Geheimtür heraus heran winkte. Sie betrat einen weiteren unbekannten Gang und Erik schloss die Tür. Er hielt einen Kerzenleuchter in der Hand, sodass sich die beiden kurz sehen und unterhalten konnten. „Was gibt es denn?“ fragte Sarah. „Ich habe zufällig euer Gespräch mitbekommen. Was ist los?“ An das zufällig glaubte sie schon nicht mehr, aber sie hinterfragte das nicht weiter. „Wir sollen gleich in der Aula das Theaterstück Cinderella aufführen und ich bin Aschenputtel. Aber ich will nicht. Die Lehrerin sagte, das täte meinem Selbstvertrauen gut, doch ich bin mir nicht sicher. Vielleicht hat es genau den umgekehrten Effekt.“ Erklärte sie besorgt. Erik sagte ihr nicht, dass er bereits von dem Theaterstück wusste, da er es heute Nachmittag im Unterrichtsraum schon mitbekommen hatte. Er wollte es lieber für sich behalten, dass er sie in jedem Unterricht beobachtete. Schließlich wusste er nicht, wie sie darauf reagieren würde. So wie er sie einschätzte, wäre es ihr sehr unangenehm gewesen und damit hatte er Recht. „Ich bin sicher, dass du es gut machen wirst. Gib dir einfach Mühe. So wie bei der Musik.“ Sarah atmete einmal tief ein und bemerkte, dass er nach Jasmin roch. „Die Sache ist, dass ich ein wenig Angst habe. Vor den Blicken der Zuschauer und auch vor Jenny. Sie wird die Schwiegermutter spielen.“ „Davor brauchst du doch keine Angst haben.“ Erwiderte er. „Jenny ist das Mädchen, der ich eine verpasst habe und weshalb ich eine Verwarnung bekommen habe. Sie hat allen Grund mich schlecht zu behandeln. Das heißt, sie kann mich schlecht behandeln und ich muss es mir gefallen lassen. … Es ist nur ein Theaterstück, das weiß ich, aber ich habe Angst vor ihren Worten. Worte können einen sehr verletzen und prägen. Sie sind mächtiger, als manch einer denkt.“ Dem musste Erik absolut zustimmen. Doch zwischen den Zeilen hörte er heraus, dass da noch etwas vergraben war, dass ihr zu schaffen machte. Er fragte nach. „Das klingt so, als hätte sie dich schon einmal mit Worten verletzt.“ Sarah hielt kurz inne und sagte ihm dann, was sie Maora und Takuto bereits am ersten Tag erzählte. „Ja, ich kenne Jenny seit der Grundschule. Wir gingen zwar nicht in die gleiche Klasse, aber wir sind uns auf dem Schulhof oft begegnet. Eines Tages sagte sie in meiner Gegenwart zu einer Freundin: Sieh nur, die Hässliche. Ich glaube das hat damals als Kind dazu geführt, weshalb ich mein Selbstvertrauen verloren habe.“ Erik schwieg daraufhin. Nun wurde ihm wenigstens eine Frage beantwortet und er verstand die Person, die eingeschüchtert vor ihm stand, etwas besser. Dann nahm er seine freie, rechte Hand, fasste ihr ans Kinn und brachte sie so dazu ihn anzusehen. „Erinnere dich an den Tag, als du die HMT betreten hast und du dich gegen die Abfuhr gewehrt hast und standhaft geblieben bist.“ „Ah! Das hast du auch mitbekommen?!“ fragte sie erschrocken und er zog seine Hand wieder zurück. Er nickte mit dem Kopf. „… Mit dieser inneren Stärke hast du mich beeindruckt. Zeig sie wieder und lass dich nicht unterkriegen. Gehe hoch erhobenen Hauptes auf dein Ziel zu und verliere es nicht aus den Augen. Erinnere dich daran, warum du an die HMT gekommen bist.“ Beschwor er sie. „Warum ich an die HMT gekommen bin…“ flüsterte sie und dachte nach. [Ich wollte wissen, wie ich meine Gefühle mit Musik ausdrücken kann. … Ich bin für sie hier her gekommen.] Dann sah sie ihn leicht lächelnd in die Augen. „Du hast recht.“ Sagte sie. Er war froh, ihr geholfen zu haben und lächelte zurück. Doch plötzlich fiel sie ihm um den Hals, was er nicht erwartet hatte. „Danke!“ flüsterte sie ihm zu und ließ ihn nach wenigen Sekunden wieder los. Anschließend ging sie an ihm vorbei und zurück zu ihren Freunden. Sie bemerkte nicht, dass sie ein überraschtes Phantom zurück ließ und ihre Worte bei ihm viel Gewicht hatten. Schließlich war die Pause zu Ende und der Augenblick der Wahrheit war gekommen. Die Studenten fanden sich in der Aula ein und Frau Hampel, die heute überpünktlich war, verteilte einige Requisiten an die Schauspieler. Beispielsweise bekam der Prinz einen Umhang und eine Krone. Mit der Darstellung der Fee war es schwierig und so wurde dem männlichen Schauspieler Gregor, der die Rolle auch nur aufgrund seiner Inaktivität bekommen hatte, eine Kutte mit Kapuze zugeteilt, die er widerwillig anzog. „Muss das sein?“ Nörgelte Gregor, als die Lehrerin ihm die Kapuze aufzog. „Ja, muss es. Hör auf zu meckern und geh hinter die Bühne. Da steht ein kleiner Stab. Den kannst du als Zauberstab verwenden.“ Wies sie ihn an doch er rührte sich nur widerwillig. „Na los! Zack, zack!“ trieb sie ihn an. Während er sich auf den Weg hinter die Bühne machte, verteilte Frau Hampel weitere Kleidungsgegenstände. Die Frauen bekamen sogar richtige Kleider, die sie sich in der Damentoilette anzogen. Für Sarah war das eine total neue Erfahrung, da es scheinbar Ewigkeiten her war, dass sie zuletzt ein Kleid getragen hat. Nur mit Widerstand kam sie umgezogen aus der Toilette heraus und heimste Gelächter von Jenny ein. „Schlichtes Kleid, passend für die Hässliche.“ Sagte sie hochnäsig und lachte hämisch zusammen mit ihrer Freundin Linda, die die andere Zwillingsschwester spielte. „Jetzt hör aber auf, Jenny! Sarah ist viel hübscher als du und weist du auch warum?! Das Gesicht der Aufrichtigkeit macht sie zur richtigen Cinderella. Also sei still!“ warf Maora mutig ein, was Jenny sichtbar einschüchterte. Sarah war überrascht und als Jenny und Linda die Damentoilettenräume verließen, bedankte sie sich ganz herzlich bei Maora. „Du bist toll, Mao-chan. Vielen Dank. Ich hoffe, dass ich dir auch mal einen so großen Gefallen tun kann!“ Maora lächelte sie an. „Kein Problem. Aber jetzt komm. Das Stück kann ohne dich nicht beginnen.“ Maora nahm Sarah an die Hand und zusammen gingen sie zurück in die Aula. Dort wurden sie schon sehnsüchtig erwartet und sie nahmen sofort ihre Positionen auf der Bühne ein. „Alle da? Prinz, sein Diener, die Stiefschwestern, die Stiefmutter, Aschenputtel… Hey, Herr Fee!“ schrie Frau Hampel und die Fee kam durch den linken Vorhang geschlüpft. „Ah da bist du ja. Also da ihr den Text nicht komplett beherrscht, könnt ihr improvisieren. Die einzige Bedingung die ich stelle ist, dass ihr den Handlungsstrang einhaltet. … Gut, dann fangt an. Wir beginnen im Haus von Aschenputtel und ihrem Alltag.“ Dann begann das Schauspiel und alle Schauspieler, außer Sarah, Jenny, Maora und Linda verließen die Bühne. Der Rest der Klasse saß in der Aula und wurden aufgefordert, aufzupassen. Sie sollten die Fehler ihrer Klassenkameraden erkennen, aber auch Sachen, die ihnen sehr gut gefallen haben, notieren. Die erste Szene war nicht mal beendet und Jenny ließ ihrer Rolle freien Lauf. Das heißt, sie ließ ihre ganze Wut auf Aschenputtel niederprasseln, doch gestärkt von den Worten ihrer Freunde, hielt Sarah stand. Aber Jenny konnte es nicht lassen und musste sich am Ende der ersten Szene in den Mittelpunkt des Geschehens stellen und sang voller Tatendrang ein Lied. Dies gefiel der Lehrerin tatsächlich. Takuto jedoch fand, dass sie sich nur unnötig in der Vordergrund drängte. Er versuchte mit Gregor ins Gespräch zu kommen, doch dieser antwortete nicht. Dann begann die zweite Szene, in der Takuto und der Prinz Tim auf die Bühne treten mussten. Zuvor sagte Takuto noch zu Gregor: „Ich bin aus dir nie schlau geworden. Doch jetzt bist du noch verschwiegener als sonst. Auch wenn es dich wie immer nicht interessiert, solltest du einmal mitspielen, okay?“ Er erhielt wie erwartet keine Antwort. Takuto betrat als Diener des Prinzen die Bühne zur zweiten Szene, in der der Prinz den Vorschlag zum Maskenball machte. Ziemlich unspektakulär ging die zweite Szene zu Ende und es folgte die dritte Szene. Sarah machte sich bereit. Sie hoffte dieses mal mehr oder weniger unbeschadet davon zu kommen, da dieser Teil des Stücks relativ wenig mit der Stiefmutter zu tun hatte. „Was passiert in dieser Szene noch mal?“ fragte Sarah und sah Maora an. „Aschenputtel möchte auf den Ball gehen und die Fee erscheint.“ Antwortete ihre Freundin und Sarah nickte mit dem Kopf, während Takuto ihr tröstend auf die Schulter klopfte. „Du wirst den größten Teil übernehmen müssen. Gregor ist heute wohl nicht sehr gesprächig. Ich hoffe, er macht wenigstens mit.“ Bevor die dritte Szene beginnen konnte, stand die Lehrerin auf. „Na los! Das ist ja langweilig. Ich will mehr sehen. Mehr Einsatz. Mehr von Euch!“ schrie sie und die Zuschauer mussten ihr Recht geben, dass das Stück ziemlich langweilig und berechenbar war. „Na dann, Saku. Viel Spaß. Die Lehrerin hat ja bombastische Laune. Dann improvisiere mal, dass sich die Balken biegen. Auf deinen Schauspielpartner kannst du ja wohl nicht bauen.“ Sagte Maora und sah Gregor an. Dieser rührte sich nicht, hatte das aber sehr wohl gehört. Dann atmete Sarah noch einmal tief durch und ging mit den Worten „Augen zu und durch.“ auf die Bühne. Den Fußboden wischend, wurde sie von ihren Stiefschwestern und der Stiefmutter wieder zu Beginn nieder gemacht. Lediglich Maora schien sich zurück zu halten und es kam dem Publikum so vor, als sei sie eine sehr liebe Stiefschwester. „Putz die Stelle dort noch mal. Aber gründlich!“ schrie Jenny und verließ mit pompösem Gelächter die Bühne, ebenso wie die beiden Stiefschwestern. Der Rolle gemäß seufzte Sarah einmal und legte dann ihr Putzzeug bei Seite und stand aus der Hocke auf. Dann faltete sie die Hände ineinander. „Ist dies das Leben, das für mich bestimmt ist? Ein Leben in Knechtschaft und ohne Aussicht, auf ein bisschen Freiheit?“ Sie hielt kurz inne und überlegte was sie als nächstes sagen sollte. Wie gesagt, war sie keine Schauspielerin und das Theaterstück war eine Herausforderung für sie. Also dachte sie an die Musik und an die vergangenen Tage an der HMT. „Freiheit finden in Musik und Tanz. Ach könnte ich nur auf den Ball gehen. Oh Magie der Musik, führe mich und zeige mir, dass es Wunder gibt!“ In dem Moment betrat die Fee beschwingt die Bühne. Die Zuschauer staunten nicht schlecht, da sie einen eher lustlosen Gregor und eine wenig motivierte Fee erwartet hatten. Doch sie ahnten nicht, dass es nicht Gregor war, der sich unter der Kapuze verbarg. Sein beschwingter Auftritt endete mit einem kurzen Kniefall vor Aschenputtel, die selbst überrascht war. Unfähig etwas zu sagen, fing die Fee schließlich an. „Und so riefst du mich aus der Dunkelheit zu dir.“ Er machte eine kurze Pause und es war auf einmal ganz still. Wie gesagt – es war ein unerwarteter Auftritt. „Obgleich Asche dich bedeckt, so erstrahlt dein Licht und geleitete mich durch die Finsternis. Deiner Stimme folgend, gelangte ich schließlich an diesen Ort.“ Sarah sah die Fee verdutzt an. Irgendetwas war sehr seltsam an ihm, aber Sarah musste sich auf ihre Rolle konzentrierten. „Also…“ Sie fasste sich. „Deine Erscheinung so sonderbar und doch ist der Klang deiner Stimme mir sonderbar vertraut. Sage mir, wer du bist.“ „Du solltest mich wohl kennen, denn du riefst mich aus der tiefe deines Herzens zu dich. Ich bin der Engel der Musik.“ Die Lehrerin war wohl interessiert an diesem Wandel der Geschichte und sah gespannt zu. „Was redet er da? Das steht doch so gar nicht im Text?“ erkannte Jenny nörgelnd. „Ach Jenny. Mach dich nicht verrückt. Du kannst nicht jeden Tag im Mittelpunkt stehen.“ Neckte Maora sie, was Jenny ein wenig ärgerte. Gebannt sahen sie wieder auf die Bühne und in manch einem kam die berechtigte Frage hoch, ob das wirklich Gregor war, der sich hinter der Kapuze versteckte. „Tag für Tag sehe ich dein liebliches Licht aus der Ferne. Unfähig danach zu greifen.“ Die Fee hob die Hand und streckte sie nach Sarah aus. Diese rätselte noch immer, wer da vor ihr stand. „Doch heute erfülle ich dir einen Wunsch. So sprich zu mir. Ein weiteres mal. Sprich zu mir. Jetzt.“ Sarah war total irritiert und trotzdem musste sie da irgendwie durch. „Heute findet ein Maskenball im Schloss des Prinzen statt. Ich wünschte mir so sehr, ich könnte auch daran teilnehmen. Doch meine Stiefmutter und meine Stiefschwestern erlauben es nicht und zwingen mich zur Arbeit in scheinbar ewiger Gefangenschaft. Hilf mir. Ich bitte dich.“ Sagte sie und faltete die Hände ineinander. „Gefangen, wie ein Vogel der fliegen will. So lass mich dir Freiheit schenken, für einen Augenblick. Und ist es dir nicht möglich auf den Ball zu gehen, so lass uns die Freiheit hier her bringen.“ Dann ging er auf sie zu und forderte sie zum Tanz, den sie widerwillig annahm. Die Zuschauer waren wohl äußerst überrascht von dieser Wendung, doch die Lehrerin schien nun gar nicht mehr so gelangweilt zu sein. Takuto hingegen knirschte mit den Zähnen. „Was macht er da?!“ Maora schüttelte nicht wissend den Kopf. „Er improvisiert.“ Tanzend, in seinen Armen liegend, sah Sarah in sein Gesicht. Dieses war durch die Kapuze sehr verdunkelt, doch in einem kurzen Augenblick, da fiel das Licht günstig ein und aus dieser Nähe konnte Sarah nun endlich erkennen, wer dort gerade mit ihr tanzte. „Phantom?!“ flüsterte sie überrascht. Er lächelte. „Ich dachte, es ist endlich mal an der Zeit, dass ich auch aktiv werde.“ Sie lächelte ihn an. Es freute sie sehr, dass er mal aus seinem gewohnten Alltag heraus kam und sich in der Öffentlichkeit zeigte, obwohl diese ihn nicht direkt registrierten. Den außer Gefecht gesetzten Gregor, hatte er im Heizungsraum versteckt. „Also, ich wünsche dir viel Erfolg. Du bist eine zauberhafte Cinderella.“ Flüsterte er und beendete den Tanz. „So gebe ich dir dieses Kleid und Zeit bis Mitternacht, um die Freiheit zu erlangen, nach der du dich sehnst. Auf wiedersehen, Prinzessin Cinderella.“ Sagte er dann und gab ihr einen Handkuss. Dann verschwand er hinter die Bühne und somit war die zweite Szene beendet. Sarah sah ihn verdutzt nach und kaum war er durch den Vorhang verschwunden, klatschte das Publikum und die Lehrerin erhob sich. Der als Fee verkleidete Erik ging an den Schauspielern hinter der Bühne vorbei. „Mann, das war ein wenig überzogen!“ sagte Takuto zu ihm, der offensichtlich sehr eifersüchtig war. Allen Anwesenden den Rücken zuwendend antwortete Erik darauf: „Und dein Kuss von gestern war nicht überzogen?“ Takuto musste schlucken. Als sie sich wieder den Geschehnissen auf der Bühne widmeten, verschwand Erik durch die Tür zum Heizungsraum, wo er die Kutte auszog und Gregor vor die Füße warf. Dieser wachte gerade auf und Erik rannte zu einer Geheimtür, durch die er verschwand. Gregor, der noch total benommen war, stand langsam auf und schnappte sich die Kutte, die er in die Hand nahm und ging durch die Tür. Sich den Kopf haltend gesellte er sich zu den anderen Schauspielern. „Mir brummt vielleicht der Schädel.“ Sagte er, als er die Kutte anzog, allerdings ohne sich die Kapuze aufzusetzen. Die Geschichte wurde fortgesetzt und fand das allseits bekannte Happy End. Die Lehrerin applaudierte, ebenso wie die anderen Zuschauer, die es in der Tat interessanter fanden, als sie zunächst dachten. Die Schauspieler dagegen, waren nur froh, dass es zu Ende war und zogen sich wieder um. Lediglich Jenny ließ sich feiern. Die Lehrerin lobte aber vor allem Gregor für seine Improvisation in Szene drei, von der er jedoch nichts wusste. Ihm war es ganz gleich und er kümmerte sich nicht darum und so wurde das auch nicht weiter bekannt. Erik kam gerade in seinem Zimmer an und schloss die Tür hinter sich. Doch anstatt zu seinem Platz oder in sein Schlafzimmer zu gehen, blieb er stumm stehen. Er hatte es tatsächlich genossen, einmal nicht in diesen Gängen herumzugeistern oder in seinen Räumen zu sein. Doch da war noch etwas anderes. Ein Gefühl regte sich in ihm, welches er bislang nicht kannte. Kapitel 10: Das einsame Lied des Phantoms ----------------------------------------- Kapitel 10: Das einsame Lied des Phantoms „Sie war die einzige Mutter, die ich je kannte.“ Abgenervt vom Arbeitstag, der nicht sehr friedlich verlief, kam Sarah in der Hochschule an. Sie begab sich erstmal in die Cafeteria, wo sie sich eine Cola Light kaufte und anschließend ging sie in einen, für sie neuen Raum. Dort waren bereits die meisten ihrer Mitstudenten anwesend, sowie ihre Freunde Maora und Takuto. Sarah gesellte sich zu ihnen. „Na, was steht heute an?“ „Hi Saku. Hast du das mitgekriegt?“ fing Maora an und Sarah schüttelte den Kopf. „Gregor. Jemand hat ihn auf seinen gestrigen Auftritt angesprochen. Seltsamer Weise kann er sich nicht daran erinnern. Das ist doch echt komisch, oder?“ erklärte Takuto. Sarah stockte der Atem. Natürlich war Gregor nicht da, aber sie konnte ja schlecht die Wahrheit sagen. Schließlich hatte sie ein Versprechen einzuhalten. „Vielleicht hat er gestern Abend zu tief ins Glas geschaut.“ Sagte Sarah und versuchte das Thema zu beenden und ihre Freunde abzulenken. „Sagt mal, was wird das heute hier? Hier stehen lauter Instrumente?“ fragte Sarah ihre Freunde neugierig. „Heute werden wir ganz viel Spielen. Das steht doch auf deinem Lehrplan. Guckst du da nicht drauf?“ sagte Maora und neckte sie. Doch dann war die Japanerin abgelenkt, denn Tim stand plötzlich neben ihr. Er wollte vorbei. „Entschuldigung. Darf ich bitte durch?“ fragte er höflich und lächelte. Maora trat einen Schritt zur Seite und er ging, sich bedankend, an ihr vorbei. Sie verfiel in Träumerei, aus der sie nicht mehr herauskommen wollte. Takuto fuchtelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht herum. Aber sie reagierte nicht. „Hoffnungslos.“ Sagte Takuto dann und sah zu Sarah, die sich an eine E-Gitarre gesetzt hatte und diese freudestrahlend betrachtete. „Was ist denn jetzt mit dir los?“ fragte Takuto sie und stellte sich neben sie. Doch er erhielt keine Antwort. „Ist das nicht eine schöne Gitarre?“ fragte Sarah ihn dann und er sah sie fragend an. „Sie ist so… rot… und wild. Ich will sie zähmen. Ich will ihren Klang hören… Ich will sie schnurren hören.“ Sie schien in Trance zu sein. Takuto verstand kein einziges Wort. [Was ist denn heute mit den beiden Mädels los? Sind sie jetzt verrückt geworden?] fragte sich Takuto und setzte sich stumm neben Sarah, wo eine weitere E-Gitarre stand. Schließlich betrat Herr Beier den Raum und der Unterricht begann. Maora bevorzugte einen Bass und setzte sich möglichst nah an Tim. Das bekam Takuto natürlich mit, der nur lächelte. „Maora versucht ihr Glück. Sieh mal.“ Flüsterte er Sarah zu. Diese schien von der roten E‑Gitarre so fasziniert zu sein, dass sie dafür jedoch kaum Interesse zeigte. Dann fing der Unterricht auch schon in vollen Zügen an. Herr Beier spielte sich als Dirigent auf und die Klasse war sein Orchester. Ein merkwürdiges Orchester mit E-Gitarren, Bässen und Schlagzeug. Das erste Zusammenspiel der Klasse war in der Tat ein Graus. Doch alles braucht seine Zeit und so wurden sie immer besser. Herr Beier merkte, dass Sarah an der E-Gitarre sehr gut spielte und zeigte ihr noch ein paar weitere Kniffe, Tricks und Handgriffe. Takuto zeigte ihr ebenfalls einige Dinge, die er gut beherrschte, schaute sich aber auch viele Sachen von ihr ab. Doch sie hatte einen ganz eigenen Stil an der Gitarre, da sie ja nie einen Lehrer hatte, der ihr zeigen konnte, wie normale Gitarristen das machen. Vielleicht war es aber ganz gut, dass sie nicht ganz normal war. Maora hingegen war am Bass eine Meisterin. Sie liebte dessen Sound. Doch sie kam nicht umhin, hin und wieder zu Tim rüber zu schielen. Sie fand seine Erscheinung einfach wunderschön. Seine hellen Haare, seine blauen Augen. Nach zwei Stunden folgte auch endlich die ersehnte Pause und die Studenten nahmen das Abendbrot zu sich, um sich für die letzte Hälfte des Tages zu stärken, in der wieder ein wenig Theorie mit Herrn Dewers auf dem Plan stand. Sarah und ihre Freunde betraten den Raum und setzten sich auf ihre Plätze. Ihre Sachen auspackend fiel Maora noch was ein, was sie ihre Freundin fragen wollte. „Ach Sarah. Da fällt mir ein. Am Montag hatte ich doch in der Aula zu dir was gesagt. Erinnerst du dich. Darauf… hattest du nicht geantwortet.“ Sarah überlegte kurz und sah sie dann an. „Ach du meinst, ob ich schon mal einen Freund im Stich gelassen habe.“ Maora nickte stumm und Sarah hielt kurz inne. Auch Takuto wandte sich ihr nun zu. „Ja, ich habe tatsächlich schon mal einen Freund im Stich gelassen und das nagt sehr an mir. Aber bitte… Bitte fragt nicht weiter nach.“ Erklärte Sarah mit traurigem Blick. Ihre Freunde erkannten, dass sie es ernst meinte und so einigten sich Maora und Takuto, nicht weiter danach zu fragen. „AH! Fast vergessen. Heute müssen wir die Briefumschläge für den Tag der Blumen abgeben.“ Fiel Maora ein, kramte ihren heraus und füllte die Karte aus. Zum Glück hatte sie das gesagt, denn auch Takuto und Sarah hatten das völlig vergessen. Auch sie kramten den Briefumschlag und die darin befindliche Karte heraus. Sarah überlegte und tippte sich mit einem Stift gegen die Stirn. [Oh je. Wem schicke ich denn eine Rose? Wenn ich Maora eine schicke, geht Takuto leer aus. Andersrum genauso. Das ist doch doof. … Hm. Da fällt mir ein, dass in seinem Zimmer keine Blumen stehen.] „Sagt mal, kann man jeder Person an der Hochschule eine Blume schicken? Egal wem?“ fragte sie dann. „Ja jeder. Er kann in eine andere Klasse gehen, er muss nicht mal am Abendstudium teilnehmen. Wenn du jemanden kennst, der am Tagesstudium teilnimmt, kannst du auch dem eine schicken.“ Erklärte Maora, die die Karte ausgefüllt hatte und in den Briefumschlag zurückgesteckt hatte. „Du kannst sogar dem Hausmeister eine schenken.“ Fügte Takuto hinzu, der insgeheim hoffte, Sarahs Rose zu bekommen. Diese nickte und füllte schließlich die Karte aus. Sie fügte auch eine Notiz an, die hoffentlich nicht vergessen würde. Maora nahm die Briefumschläge ihrer Freunde, stand auf und gab sie dem Lehrer. Letzter Abgabetermin war heute, schließlich musste noch alles organisiert und die Rosen gekauft werden. Das war jedes Jahr eine Herausforderung für die verantwortlichen Studenten, aber sie machten es gerne. Endlich Feierabend - Konnte man sagen und obwohl Sarah einen sehr anstrengenden Arbeitstag hinter sich hatte, war das Studium eher ruhig. Aber sie war ja noch mit dem Phantom verabredet, der ihr das Notenlesen weiter beibringen wollte. Sie öffnete eine Seite der Flügeltür und betrat sein Schreibtischzimmer. Doch er war nicht da. Wie gewohnt schloss sie leise die Tür hinter sich und sah sich um. Sie erreichte die Tür auf der anderen Seite des Zimmers und öffnete sie langsam. Sie lugte kurz hindurch. „Hallo?“ fragte sie vorsichtig, erhielt aber keine Antwort. Dann sah sie Erik in einer Couch sitzen und betrat schließlich das Zimmer. Als sie näher heran ging, merkte sie, dass er ein Buch in der Hand hielt und eingenickt war. Sie betrachtete ihn und dabei schossen ihr wieder unzählige Fragen durch den Kopf. Wieso versteckte er sich hier? War es wegen dem, was hinter seiner Maske war? Sarah konnte ihre Neugier nicht zähmen und streckte ihre Hand nach seinem Gesicht aus. Als sie die Maske berührte, öffnete er die Augen und sie hielt sofort inne. Er schrak auf und sie zog ihre Hand sofort zurück. „Was tust du?!“ schrie er sie an und warf das Buch wütend zur Seite. „Es tut mir leid. Ich wollte doch nur verstehen…“ erklärte sie mit zitternder Stimme. Wütend ging Erik sich seine schwarze Jacke holen, die er für gewöhnlich über dem weißen Hemd trug. Sarah kehrte währenddessen in den Schreibtischraum zurück. Sie fühlte sich nicht wohl, aber irgendwann musste er doch mal was sagen. Sie wusste ja noch nicht einmal seinen richtigen Namen. Dann betrat auch er das Zimmer und setzte sich an seinen Schreibtisch, wo wieder dutzende Blätter kreuz und quer herum lagen. Vorerst wagte keiner das Schweigen zu brechen und auf einmal fingen beide zur selben Zeit an. „Wieso hast du versucht, mir die Maske abzunehmen?“ „Wieso versteckst du dein Gesicht?“ Beide hielten inne und Sarah ergriff dann das Wort. „Wir sind Freunde. Okay? Und ich denke, Freunde sollten keine Geheimnisse voreinander haben, oder diese zumindest minimieren. … Schämst du dich so sehr wegen dem, was hinter der Maske ist?“ Sie sah ihn fragend an und er blickte in ihre blauen Augen. „… Die Maske verbirgt etwas aus meiner Kindheit. Etwas, weshalb ich eine Tat begann, auf die ich nicht stolz bin, aber die ich jeder Zeit wieder begehen würde, wenn ich könnte.“ Erklärte er nun. „… Eine Tat, die du begannen hast? Hm…“ Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Ihr war es unangenehm, weiter danach zu fragen und wieder schossen ihr viele Fragen durch den Kopf, die sie jedoch nicht aussprechen konnte, da sie sich nicht mal richtig in ihrem Kopf platziert hatten. Stattdessen ergriff Erik nun das Wort. Auch er hatte eine Frage an sie, die ihm schon lange auf der Zunge brannte. „Letzte Woche Freitag. Da hast du in der Aula diesen Song gespielt, woraufhin du auch zusammengebrochen bist.“ Sarah erinnerte sich und sie sah ihn kurz an. „Ich hatte dich schon mal danach gefragt. … Kannst du mir denn, … heute antworten?“ Aus Sarahs Augen verschwand jegliche Fröhlichkeit und sie wandte ihren Blick ab. Traurig sah sie mit geneigtem Kopf auf den Teppichboden und fing an zu erzählen. „Maora hatte mich am Montag gefragt, ob ich schon mal einen Freund im Stich gelassen habe. … Das habe ich.“ Fing Sarah langsam an und Erik stand aus seinem Stuhl wieder auf und sah sie an. „Ich war mit vier Freunden bei einem Konzert und es wurde sehr spät. Christopher, der für mich wie ein Bruder ist, seine Jugendfreundin Tina, ein weiterer guter Freund namens Bernd und… sie. Iris. Sie war eine so lebensfrohe Person und wie eine Mutter für mich. Eine Mutter, die ich nie hatte.“ Sie machte erneut eine Pause und ging einige Schritte auf den Kamin zu, auf dem viele Kerzen standen. Erik konnte dadurch ihr Gesicht leicht erkennen und auch die Tränen, die sich in ihren Augen sammelten. „Auf der Nebenstraße, die wir im Anschluss an das Konzert hinunter gingen, lauerte uns eine Gruppe Gangster auf. Sie waren zu Fünft. Meine Freunde waren sehr tapfer und stark. Sie konnten sich mit ihnen messen. Nur ich war das überflüssige Rad am Wagen. Ich konnte mich nicht wehren und wurde als Geisel mit einem Messer bedroht. Irgendwie konnten meine Freunde mich befreien, doch in einem unachtsamen Moment geschah es.“ Sie ballte die Hand zur Faust und ihre Emotionen waren deutlich im Gesicht zu erkennen. Die Wut, wandte sich schließlich in absolute Traurigkeit. „Er verlor völlig die Beherrschung und rannte Wut entbrannt mit dem Messer auf mich zu. Im letzten Moment sprang Iris dazwischen!“ Dann kamen Sarah die Tränen, die ihr nun unaufhaltsam das Gesicht runter liefen. „All unsere Bemühungen, sie zu retten waren vergebens. Als der Krankenwagen eintraf, konnten die Ärzte nur noch ihren Tod feststellen!“ Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und Erik lief sofort zu ihr und nahm sie in den Arm. Er hatte keine Ahnung von diesem Schmerz. Nicht mal ansatzweise hatte er gedacht, dass sie so einen entsetzlichen Schmerz mit sich herum trägt. Sie zitterte und weinte bitterlich. Nun tat es ihm leid, dass er so unbedingt eine Antwort haben wollte. Dadurch war sie gezwungen, sich an jedes Detail dieses grauenvollen Tages zurückzuerinnern. Es dauerte ein paar Minuten, bis Sarah wieder fähig war, etwas zu sagen. Noch immer in seinen Armen liegend erzählte sie dann: „… Die ursprüngliche Trägerin der Haarschleife, die ich jetzt trage, war Iris. Nach ihrem Tod sagten meine Freunde, ich solle sie als Andenken tragen. Anfangs tat ich es, doch die Bürde und der Schmerz wurde zu groß und ich legte sie wieder ab. Zum Beginn des Studiums legte ich sie dann wieder an.“ Er ließ sie wieder los und sah ihr in die Augen. Einen kurzen Moment verharrten sie in dieser Position, bis Sarah sich von ihm abwandte und sich an seinen Schreibtisch setzte. „Der Song, den ich spielte, ist von meiner Lieblingsband Luna Sea und heißt Mother. Iris war die einzige Mutter, die ich je kannte. Die Person die mich auf die Welt gebracht hat, war und ist ein Monster.“ Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und er wurde hellhörig. „Wie meinst du das?“ fragte er interessiert. „Barbara wollte mich schon töten, da war ich nicht mal geboren. Sie hat geraucht und zwar mehr als einmal, als sie mit mir bereits sichtbar schwanger war. Ein halbes Jahr nach meiner Geburt schlug sie mich und als ich vier war, hat sie mich wieder töten wollen. Du siehst also... So eine Person, kann man nicht Mutter nennen, oder?“ „Nein.“ Antwortete er leise. Er war sichtlich geschockt von den Dingen, die er da hörte. Vor allem letzteres kam ihm sehr vertraut vor und eigentlich wollte er ihr sein Geheimnis verraten, doch er hielt inne. „Also… Können wir mit dem Unterricht beginnen?“ Sie versuchte etwas zu lächeln und sah ihn an. Doch Erik sah missverständlich zurück. [Du trägst unermessliche Trauer in deinem Herzen. Tu nicht so, als ob nichts wäre!] dachte er sich und ging auf sie zu. Er legte seine Linke Hand auf die Stuhllehne und seine Rechte auf die Armlehne und beugte sich zu ihr runter. „Lass gut sein. Du bist doch heute nicht mehr im Stande dich zu konzentrieren.“ Sie sah ihn missverständlich an und erhob Einspruch. „Aber…!“ Er unterbrach sie sofort. „Es tut mir leid, dass ich dich zwang, dich an diese schrecklichen Dinge zu erinnern.“ Daraufhin schwieg sie und sah wieder auf die vor ihr liegenden Notenblätter. Stille kehrte ein und für einen Augenblick wagte sich keiner zu bewegen. [Dein Lachen ist eine Maske, um die Trauer zu verstecken, die dahinter ist. Die Sorglosigkeit, die du anfangs zeigtest ist eine Facette. Doch die Wahrheit ist schmerzhaft. Ich wünschte ich könnte deine Trauer lindern.] „Na gut. Ich geh dann mal. Vielleicht ist es wirklich besser so.“ sagte Sarah nun leise und stand auf. Sie entfernte sich von Erik, ohne sich noch mal zu ihm umzudrehen. „Erik.“ Sagte er kurz bevor sie die Tür erreichte. Sie blieb stehen und wandte sich ihm zu. Stumm sah sie ihn an und er lächelte etwas. „Ich heiße Erik.“ Sarah wusste im ersten Moment nicht, was sie davon halten sollte. Oder vielmehr, dauerte es sehr lange, bis sie begriff, was er gerade zu ihr gesagt hatte. Ihr verwundertes Gesicht, wich nun langsam ebenfalls einem leichten Lächeln. „Erik. Ein schöner Name für ein Phantom.“ Beide sahen sich an und verharrten wieder in dieser Situation. Dann nickte Sarah kurz mit dem Kopf und griff nach der Türklinke. „Wir sehen uns morgen. Dann will ich aber wieder ordentlich Resultate abliefern. Also, gute Nacht. Erik.“ Sagte sie freudestrahlend und verließ anschließend den Raum. Sie ließ ein nachdenkliches Phantom zurück, dem eine Träne über die linke Wange lief. Nachdem er ihren Schmerz gesehen hatte, war es ihm unmöglich, zornig darüber zu sein, dass sie versuchte ihm die Maske abzunehmen. Erschöpft setzte er sich wenig später in den Stuhl und öffnete eine Schublade seines Schreibtisches. Er holte ein paar Blätter heraus. Auf einigen waren Noten abgebildet und auf anderen standen von ihm geschriebene Worte. Er griff nach einer Konzertgitarre, die hinter ihm stand und fing an zu spielen. Sie ist ganz nah und doch so fern. Ein wunderbarer Stern. Das macht alles so schwer und irgendwann da geht’s nicht mehr. Die Lyrics setzten aus und einem kurzen Gitarrensolo folgte der Refrain. Man muss schweigen, wenn man nichts sagen kann. Du siehst mich an. Was siehst du dann? Die Antwort liegt längst in deiner Hand. Du siehst mich an. Was denkst du dann? Es war das erste Mal seit einiger Zeit, dass er wieder ein Lied geschrieben, gespielt und gesungen hatte. Sanft und mit viel Gefühl, aber gleichzeitig mit einer gewissen Stärke, sang er dieses Lied, welches er gestern erst fertig gestellt hatte. Sein Herz rührte sich und er unterbrach sein Spiel, als die Tränen unaufhaltsam losbrachen… Kapitel 11: Der Tag der Blumen ------------------------------ Kapitel 11: Der Tag der Blumen „Niemand sollte sein Leben ganz alleine leben.“ Nach einer Stunde grauer Theorie am Donnerstag Nachmittag, durften sich die Studenten des Spätstudiums wieder an den Instrumenten auslassen. Besonders Sarah freute sich darauf – ja sie war geradezu beschwingt. Von dem gestrigen Tiefpunkt hatte sie sich wieder erholt. Schließlich lebte sie schon eine ganze Zeit mit diesem Schmerz und hatte gelernt, ihn relativ schnell auszublenden. Sie sagte einmal zu ihrem Freund Hiroki, dass die Wunde eines Tages heilen würde. Eine Narbe würde aber für immer bleiben. Doch heute war sie richtig beschwingt. Die Tatsache, dass sie heute wieder auf einer E‑Gitarre spielen würde, machte sie überglücklich. Oder war es, vielleicht noch mehr? „Man, Saku. Warum bist du heute nur so gut drauf?“ fragte Maora sie in der Pause. Sarah lächelte ihre Freunde an. „Mein Freund kommt das Wochenende nach Rostock.“ Takuto fiel die Kinnlatte nach unten und er ließ den Kopf hängen. „Das ist doch schön und was macht ihr?“ fragte Maora interessiert, als sie sich an den Tisch setzte. „Keine Ahnung. Wir nehmen’s wie es kommt. Aber Mao-chan? Warum fragst du Tim nicht, ob er sich am Wochenende mit dir treffen will?“ schlug Sarah vor, als sie ihre Sachen auf den Stuhl packte und anschließend zur Bestelltheke ging. Maora hielt inne und Takuto versuchte sie zu ermutigen. „Den Mutigen gehört die Welt.“ Sagte er und klopfte ihr auf die Schulter. Ruckartig stand sie plötzlich auf und ihr Freund Takuto sah sie verdutzt an. Hatte er sie etwa wirklich überreden können? Das wäre wirklich eine Sensation gewesen. Doch plötzlich setzte sie sich wieder hin. „Nein, doch nicht. Heute noch nicht. Ich will erst sehen, wie er auf meine Rose reagiert.“ Sagte sie dann. Sarah kam gerade mit drei Portionen Pommes und reichlich Ketchup für die Drei zurück und stellte das Essen auf den Tisch. „Lasst es euch schmecken. Also Maora?“ Takuto schüttelte den Kopf. „Sie will bist morgen warten.“ Sarah sah ihre Freunde fragend an, doch im nächsten Moment fiel es ihr wieder ein. „Der Tag der Blumen. Oh man. Warum vergesse ich den nur immer?“ fragte sich Sarah und schlug sich mit einer Hand an den Kopf. Anschließend holte sie ihr Handy heraus und schrieb eine SMS. Neugierig luscherte Maora auf das Display, konnte aber kaum was lesen, da Sarah das Handy aus ihrer Blickzone zog. „Ach maaaa~n.“ nörgelte sie, während sie sich über ihre Pommes her machte. „Also, habt ihr schon eine Idee, was wir spielen wollen?“ fragte Takuto nun mit vollem Mund und Maora gab ihm einen Klapps. Sie hatten von Herrn Beier die Aufgabe bekommen, einen Song ihrer Wahl in der Aula zu performen. „Mit vollem Mund spricht man nicht!“ „Hm. Zuletzt hatten wir Rose of Pain zusammen gespielt. … Ich HABS!“ schrie Sarah nun, die ihre SMS verschickt hatte. Ihre Freunde sahen sie überrascht an. „… Ich will mit euch X Japans neusten Song spielen. Jade.“ Sagte sie zuversichtlich, aber wissend, dass dies eine große Herausforderung werden würde. Dies wussten auch die beiden Japaner. Doch davor ließen sie sich nicht entmutigen. „Gut, ich bin einverstanden. Ich übernehme den Bass und die Vocals. Ihr beide an den Gitarren und die Drums kriegen wir über Band eingespielt. Super!“ schlug Maora vor und trotz aller Bedenken, waren die Drei voller Tatendrang. Sie mussten das Wochenende nur ordentlich üben. Sie verabredeten sich für Samstag und Sonntag Nachmittag. Sarah würde auch ihren Freund mitbringen, dann könne dieser gleich als Jury herhalten. Es war ein sehr sonniger Freitag und fröhlich kam Sarah an der HMT an. Jenny und ihre Clique sahen sie und sprachen sie an. „Was freust du dich denn so, du Lurch und was hast du da in dem Beutel?“ fragte Jenny gehässig. Doch Sarah war so voller Vorfreude auf das Wochenende, dass nicht mal Jenny ihr die gute Laune vermiesen konnte. „Hallo Jenny und Co. Na, alles klar?“ sagte sie und ging unbeeindruckt an ihnen vorbei in den Praxisraum. Dort wurden die Blumen auf die Plätze der für sie bestimmten Person gelegt. Sarah ging zu ihrem Platz und war verwundert, dass dort viele Leute standen, was Maora und Takuto aufregte. „Was ist denn hier los?“ fragte Sarah, als diese an ihrem Platz ankam. „Wie hast du das gemacht? Wen hast du bestochen, um einen ganzen Rosenstrauß zu bekommen?“ fragte Linda eifersüchtig. Sarah hingegen verstand kein einziges Wort und drängte sich durch die Menge an ihren Stuhl. Auf ihren Platz lag ein ganzer Blumenstrauß voller roter, weißer und rosafarbener Rosen und eine einzelne rote Rose daneben, die allerdings leicht Takuto zugeordnet werden konnte. Sarah legte ihre Sachen ab und begrüßte ihre Freunde. „Würde mir das mal einer erklären?“ fragte Sarah, die selbst keine Ahnung hatte, wie dieser Strauß an ihren Platz gelangen konnte, der aber deutlich mit ihrem Namen beschriftet war. „Ich glaube das muss ich erklären.“ Fing Maora an, als sich die Menge von ihnen entfernte und sich Jenny zuwandte, die sich gerade an ihren Platz setzte. „Erklär’s mir. Ich dachte jeder hat nur eine Rose zum Verschenken.“ Sarah sah Maora an und hielt den Strauß in den Händen. „Jedes Jahr bekommt nur ein einziger Student einen ganzen Blumenstrauß geschenkt. Für besondere Leistung und Engagement. Mir ist jedoch nur bekannt, dass es ein Blumenstrauß mit verschiedenen Blumen war. Nie aber wurde einer nur mit Rosen verschenkt.“ Erklärte Maora, die selbst einige Fragen hatte. „Die einzelne Rose dort, ist von mir.“ Warf Takuto ein, doch das ging förmlich unter. „Ja, danke Takuto. Aber… Wer bestimmt denn, wer diesen einen Blumenstrauß bekommt?“ fragte Sarah und sah die Blumen an. „Die Lehrer in Zusammenschluss mit den verantwortlichen Studenten.“ Antwortete Maora, während Takuto schmollend an seinen Tisch saß und stur in die Luft starrte. Auf der anderen Seite des Klassenzimmers tratschten indessen einige Mädchen mit Jenny. Diese war sichtlich neidisch und gönnte Sarah diesen Strauß nicht. Sie ging förmlich in Neid unter. So sehr hatte sie sich gewünscht, dass sie dieses Jahr die Auserwählte ist. Dass ausgerechnet Sarah diesen dieses Jahr bekam, war für Jenny eine Katastrophe. Dann betrat Tim den Raum, zusammen mit zwei Freunden, zu denen auch Gregor zählte. Er hatte einige Rosen in der Hand, die ihm im Gang überreicht wurden. Maora sah sofort auf, ließ aber den Kopf hängen, als sie merkte, dass er so viele Rosen bekommen hatte. Er war sehr beliebt bei den Mädchen. Maora machte sich da wenig Hoffnung. Insgeheim hatte sie gehofft, sie wäre die einzige gewesen und er würde sie um ein Date bitten. „Ach man. Er hat ja so viele Rosen bekommen. Ich hab keine Chance.“ Sagte sie und ließ traurig den Kopf hängen. „Gib nicht auf, Mao-chan. Sprich ihn an.“ Schlug Sarah vor und versuchte ihrer Freundin Mut zuzusprechen. Jedoch vergeblich. Maora war auf einmal total mutlos. Sie wäre ja schon froh, wenn er unter all den Rosen, ihre finden würde und ihre Gefühle kennen würde. Doch dem war nicht so. Schließlich begann der Theorieunterricht mit Herrn Dewers, auf dem der Instrumentenunterricht mit Herrn Beier folgte. Auf den Gängen war es während der Unterrichtszeit ruhig und der Direktor kam gerade in der Schule an, als ihm seine Sekretärin eine gelbe Rose überreichte. Verwundert nahm er sie mit in sein Büro und las dort die beigelegte Karte. „Bitte weiterleiten. Sie wissen schon.“ Dem Direktor ging ein Licht auf und er musste lächeln. Er wusste genau, wem er die Rose geben sollte und legte sie vorsichtig bei Seite. „Also, wir treffen uns dann morgen! Ich freu mich schon. Das wird bestimmt ganz super toll! Vergiss nicht, deinen Freund mitzubringen.“ Sagte Maora und verabschiedete sich von Sarah. Takuto winkte nur lächelnd. „Ja ich freu mich auch. Bis dann.“ Sagte Sarah, die nicht mit ihnen auf den Ausgang zuging, sondern davor stehen blieb. „He, was ist los?“ fragte Takuto. „Ich hab noch was… vergessen. Wir sehen uns dann.“ Sagte Sarah, die natürlich nichts vergessen hatte, sondern noch mit Erik verabredet war zum Notenlesenunterricht. „Na gut. Sag mal was hast du denn da in dem Beutel?“ fragte Maora und schaute hinein, ebenso wie Takuto. „Blumen?“ Zum Glück hatte sich Sarah bereits eine gute Ausrede einfallen lassen. „Ja, die will ich dem Direktor schenken. Ihr wisst schon. Durch die Verwarnung muss ich mich ein wenig einschleimen, dann drückt er bei der nächsten vielleicht ein Auge zu.“ Tatsächlich kauften ihre Freunde ihr die Ausrede ab und verließen schließlich die Hochschule. Gerade als sich Sarah der Aula zuwenden wollte, wurde sie von Jenny sehr unsanft angerempelt und fiel zu Boden. „Aua…! Pass doch auf!“ sagte sie und hielt sich die rechte Hand. „Hoffentlich tat das ordentlich weh. Du Hässliche. Habe ein grauenvolles Wochenende. Bei den Aufgaben nächste Woche, werde ich dich Ausstechen. Du kleines Licht, bist doch nichts gegen mich! Deine lächerlichen Fähigkeiten an der Gitarre! Da stelle ich dich in den Schatten.“ Sagte Jenny, die sich zu Sarah runter beugte, um ihr das direkt ins Gesicht zu sagen. Sarah war erschüttert von dieser Kaltherzigkeit. Dann gingen Jenny und ihre Freundinnen an ihr vorbei und verließen die HMT. Sarah hingegen rappelte sich auf, schüttelte einmal den Kopf, schnappte sich ihre Sachen und den Blumenstrauß. Dann ging sie ohne Umwege zur Aula, um schließlich zu Erik zu gelangen. Dieser saß gerade an seinem Schreibtisch und war sehr in seine Arbeit vertieft. Nebenbei lief sehr leise Musik. Ganz vorsichtig betrat Sarah den Raum. „Hallo.“ Flüsterte sie und Erik sah auf. Nun konnte sie sehen, dass die gelbe Rose neben ihm lag und sie legte ihre Sachen ab. „Du hast die Rose bekommen. Der Direktor hat die Nachricht also verstanden. Freut mich, dass es geklappt hat.“ sagte sie lächelnd und setzte sich ihm gegenüber auf den Stuhl. „Vielen Dank. Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen.“ Antwortete er, ebenfalls lächelnd. „So? Dann willst du das hier wohl auch nicht haben?“ fragte Sarah und stand mit dem Beutel in der Hand auf. Sie holte vier kleine Blumentöpfe mit jungen Blumen heraus und stellte sie vor ihm auf den Tisch. Er sah die Blumen und anschließend Sarah verdutzt an. „Was soll das?“ „Na ja. Ich dachte mir, wenn du hier schon nicht rauskommen willst, oder kannst, dann bringe ich eben ein bisschen Leben und Natur zu dir. Mit Blumen wird das Zimmer noch viel schöner aussehen. Meinst du nicht auch?“ Sagte sie, als sie sich im Raum umsah. Erik sah sie schweigend an. Er verlor sich nun gänzlich in diesem Moment und er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Es war ganz still und nur das Lied aus den Lautsprechern hallte durch den Raum. Learn to be lonely. Life can be lived Life can be loved alone Der Song endete und die CD war zu Ende. Nun schweifte Sarahs Blick zu ihm. „Was war das denn für ein Lied?“ fragte sie ihn. „Das? Learn to be lonely von Minnie Driver.“ antwortete er, stand auf und ging einige Schritt auf ihre Sachen zu. „… Das Lied ist ja grauenvoll.“ Erkannte sie und er sah sie kurz fragend an. „Wieso?“ „Es ist grauenvoll traurig. Niemand sollte sein Leben ganz alleine leben. Ich weiß nicht. Alles in mir sträubt sich dagegen, daran zu glauben oder so etwas zu akzeptieren. Vielleicht komme ich deswegen hier her. … Das heißt, natürlich auch um von dir als Mentor zu lernen.“ Sie wandte sich ihm zu und sah, dass er den Rosenstrauß, den sie heute bekommen hatte, in der Hand hielt. „Huch. Das. Äh, ja, also…“ stotterte sie doch er unterbrach sie. „Hätte ich gewusst, dass deine Klassenkameraden deswegen so einen Wind machen, hätte ich dir den Strauß jetzt persönlich gegeben.“ Sagte er nun und sie sah ihn verdutzt an. „Hä?“ „Aber das kann ich ja jetzt auch noch tun.“ Ergänzte er und ging mit dem Strauß in der Hand auf sie zu, bis er vor ihr stand. „… Ich dachte die Lehrer bestimmen, wer den Strauß jedes Jahr bekommt?“ fragte sie und sah ihn mit überraschtem Blick an. „Der Direktor hat da ein entscheidendes Wort mitzureden und ich hatte ihn natürlich gebeten, dass du diesen bekommen sollst.“ Er lächelte sanft, als er den Satz beendete. „Dankeschön. Das ist lieb von dir. Krrr…“ Gerade als sie den Strauß persönlich von ihm in die Hände entgegen nahm, tat ihr die rechte Hand wieder weh. Sie musste ungünstig drauf gefallen sein, als Jenny sie angerempelt hatte. Vor Schmerzen hielt se sich das Gelenk. „Was ist los?“ fragte Erik besorgt. „Passt schon. Wird schon nicht so schlimm sein. Können wir mit dem Unterricht beginnen?“ sagte sie und setzte sich auf seinen Stuhl und nahm gleich einen Stift in die Hand, um ihren Tatendrang zu demonstrieren. Er legte den Strauß vorsichtig bei Seite, holte sich einen Stuhl und stellte diesen neben sie. „Na gut. Aber lass mich erst diese Blätter hier weg räumen.“ Sagte er, als er einige Blätter vor ihren Augen zusammen sammelte und sie in einer Schublade verstaute. „Was ist das? Woran arbeitest du gerade?“ fragte Sarah interessiert. „Das sind Songs, die ich schreibe, für eine Oper. Seit langer Zeit, habe ich auch dafür endlich wieder Ideen.“ „Das ist ja super! Weißt du, ich schreibe selber liebend gern Geschichten und Gedichte…“ Damit fing ein langer Abend an und sie ergänzten den üblichen Notenunterricht, der ohnehin fast beendet war, mit dem Austauschen von Ideen für Geschichten, Gedichte, Opern und Lyrics. Sie setzten sich bequem auf die im anderen Raum stehende Couch und nahmen viel Schreibzeug mit. Zusammen tüftelten sie herum, diskutierten und fingen schließlich sogar an, einen gemeinsamen Song zu schreiben. Am Ende des Treffens, musste sich Sarah wieder ein Privattaxi bestellen, da es bereits kurz vor Mitternacht war. Sie zog sich ihre Jacke an und schnappte sich ihre Sachen. „Maora, Takuto und ich werden nächste Woche übrigens wieder in der Aula spielen. Du kennst den Song wahrscheinlich nicht. Er heißt Jade. Ich bring dir Montag mal ein paar CDs mit, dann kannst du dir mal einen Eindruck verschaffen, was ich so höre.“ Schlug sie vor und sah ihn lächelnd an. Er lächelte zurück. „Ja, das klingt fair. Die Musik, die ich bisher gehört habe, kennst du ja bereits.“ „Ach ja und… Du bist nicht allein. Wir sind jetzt Freunde, klar?“ sagte sie noch mal mit Nachdruck, denn sie hatte Angst, dass er sich von diesem sehr traurigen Song runter ziehen lässt. Schließlich verabschiedete sie sich von ihm und Erik ließ den Tag auch langsam ausklingen. Im Bett liegend, dachte Erik daran, wann er ihr sein Geheimnis offenbaren würde. Sie waren nun gute Freunde und er fühlte, dass sie es unbedingt wissen musste. Nur hatte er keine Ahnung, wie er es ihr beibringen sollte und auch nicht, ob eine solche Nachricht nicht vielleicht sogar ihre Freundschaft gefährden würde. Als ihm dieser Gedanke kam, war er auf einmal fest davon überzeugt, ihr sein Geheimnis doch nicht zu verraten. Doch seine Gedanken sprangen immer hin und her und das die ganze Nacht. Die ganze Situation machte ihn wahnsinnig. Es war bereits 3 Uhr Nachts und Erik hatte noch nicht ein Auge zu getan. Schließlich gab er es auf, zog sich an und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und arbeitete weiter an seiner Oper, die wohl nie gehört oder gesehen werden würde. Doch das war ihm egal. Er musste dieser unermesslichen Kreativität einfach freien Lauf lassen. Schließlich hatte er alle seine Ideen in sein Werk eingearbeitet und er legte den Federhalter bei Seite. Wieder dachte er an sie und vertiefte sich kurz in einen schönen Gedanken. [Sie ist so wundervoll. Ich wünschte, ich könnte mehr Zeit mit ihr verbringen. ... Aber das geht nicht. Ich müsste hier raus und das kann ich nicht. Oder,… ich bringe sie hier her. Ob sie hier bleiben würde?] Er unterbrach diesen Gedanken sofort. [Wie kann ich so einen Gedanken überhaupt zulassen? Das Licht in Dunkelheit einsperren. Ich bin ein Mistkerl.] Dann stand er auf und ging zu seiner Musikanlage, wo er das Lied Learn to be lonely anspielte. Stumm blieb er davor stehen und rührte keinen Muskel. Sorgsam nahm er jedes Wort und jeden Ton dieses Liedes in sich auf. Du bist nicht allein. Wir sind jetzt Freunde, klar? Auf einmal kamen ihm Sarahs Worte in den Sinn und Tränen flossen sein Gesicht herunter. Seine Hände verkrampften und er hielt sich den Kopf. Er beugte sich und schließlich sackte er zusammen. Dieser Schmerz war grauenvoll und unerträglich geworden. Es war inzwischen nicht mehr nur allein der Schmerz der Vergangenheit, sondern auch der Schmerz der Gegenwart, die er zu ertragen hatte und er wusste nicht, wie weit er noch gehen konnte, bis er daran zerbrechen würde. Kapitel 12: Rückkehr in die Einsamkeit -------------------------------------- Kapitel 12: Rückkehr in die Einsamkeit „Unsere Herzen zeichneten einen Traum." Gerade war der Zug am Hauptbahnhof in Rostock eingefahren. Er stand auf, griff nach seinem Reisekoffer, der auf einen kurzen Aufenthalt hindeutete und ging auf die Türen zu. Es war früh am Morgen und noch ziemlich kalt. Bevor er den Zug verließ, versicherte er sich, dass sein Schal ordentlich fest saß und die Jacke zugeknüpft war. Anschließend setzte er den ersten Fuß auf den Bahnsteig, gefolgt vom zweiten Schritt. Er sah sich um. Ganz offensichtlich erwartete er jemanden und er sah auf seine Armbanduhr. Dann ging er einige Schritte auf den nächsten Ausgang zu, blieb aber auf dem Gleis, um seine Verabredung nicht zu verpassen. Doch das würde er nicht, denn sie kam gerade angelaufen. „Hiroki!“ schrie Sarah freudestrahlend und rannte ihren Freund in die Arme. Dieser lachte ebenfalls und umarmte sie herzlich. „Hallo, Sarah. Schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“ fragte der junge Mann und sah ihr in die Augen. Sie sah ihn ebenfalls an und steifte mit ihrer rechten Hand durch sein dunkles Haar. „Danke, mir geht es gut. Und dir? Bist du gut her gekommen?“ Man konnte den beiden ihre Verliebtheit wirklich ansehen. Das war wirklich erstaunlich. Sie waren nun über fünf Jahre ein Paar. Für beide war es die erste Liebe und wie es scheint, hatten beide gleich die große Liebe gefunden. Es hat nie einen Streit gegeben, den die beiden nicht umgehend geklärt hätten. Es war wirklich ein magisches Band zwischen Sarah und Hiroki. Selbst unter ihren Freunden wusste man, dass die beiden niemals zu trennen sein würden. Sarah harkte sich bei ihm ein und zusammen verließen sie den Hauptbahnhof. Schließlich hatten sie heute noch etwas zu tun und wenig Zeit. Sie hatte ihm schon geschrieben, dass sie heute mit Maora und Takuto einen Song proben müsste und er war natürlich dabei. Jede Zeit, die er mit ihr verbringen konnte, war ihm kostbar. Bevor sie sich auf den Weg zur Probe machten, legte Hiroki seine Sachen bei Sarah ab und aß mit ihr noch zu Frühstück. Er war schon ein paar mal bei ihr zuhause gewesen und Sarahs Vater kannte ihn schon gut. Er war sehr glücklich, dass seine Tochter jemanden gefunden hatte. Dann machten sie sich auf den Weg zu Maora, wo auch Takuto bereits eingetroffen war. Freudestrahlend öffnete Maora die Tür. „Hallo ihr Turteltäubchen!“ sagte sie fröhlich, begrüßte Sarah und anschließend ihren Freund. Takuto stand in der Tür, am anderen Ende des Ganges und verschränkte seine Hände. Er hatte einen wirklich sehr missgünstigen Gesichtausdruck aufgelegt und war ziemlich muffig drauf. Hiroki begrüßte er nur mit einem müden: „Hallo.“ „Also, darf ich vorstellen? Hiroki, mein Freund. Das sind meine beiden Freunde aus der HMT. Maora und Takuto.“ Sagte Sarah und stellte sie nun einander offiziell vor. Takuto war nicht begeistert, dass er dabei war doch er musste sich damit abfinden. Dann trieben sie zur Eile an, denn sie wollten ja was schaffen. Maora erwies sich als hervorragende Gastgeberin und sorgte sowohl an diesem Samstag, als auch am Sonntag für die Verpflegung aller Anwesenden. Sie lebte mit ihren Eltern in einem eigenen Haus, welches auch einen Musikraum beinhielt. Das machte ihr Zuhause zum perfekten Treffpunkt und die drei Musiker kamen tatsächlich ein ordentliches Stück voran. Sarah hingegen merkte einen leichten Schmerz in ihrer rechten Hand. Das hatte sie Jenny zu verdanken, doch irgendwie geschah es ihr ganz recht, dachte Sarah bei sich. Schließlich hatte sie Jenny eine blutige Nase verpasst. Hiroki merkte, dass seine Freundin Schmerzen zu haben schien und in einer kurzen Pause, sprach er sie drauf an. Er handelte sofort und fragte nach Verbandszeug, welches er von Maora bekam. Sarah setzt sich auf die Couch und Hiroki kniete vor ihr, um ihr die Hand zu verbinden. Als er damit fertig war, gab er ihr noch einen liebevollen Kuss darauf. „Damit es nicht mehr so weh tut.“ Sagte er und lächelte sie an. Sarah errötete etwas und lächelte liebevoll zurück. Dieser Augenblick blieb von Takuto und Maora nicht unbemerkt und Takuto begriff nun, dass Sarah wahrhaft glücklich mit Hiroki war. Er betrachtete ihr aufrichtiges Lachen, welches er zuvor nie so gesehen hatte. Und obwohl sie sich oft in seiner Nähe aufhielt, war er nicht neidisch. Er dachte, er würde es nicht ertragen, doch als er die beiden eine Weile betrachtete, war er nicht eifersüchtig, sondern gönnte ihnen dieses Glück. Er lächelte, schloss seine Augen und schloss dieses Kapitel für sich ab. Irgendwann würde er auch seiner großen Liebe begegnen und dann genauso glücklich sein, wie Hiroki. „Hey, schläfst du schon?“ fragte Maora und sah ihn an. Takuto öffnete seine Augen wieder und sah ihr ins Gesicht. Er schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Alles bestens.“ „Liebe… ist ein wahrhaft wundervolles Geschenk. Glaube mir.“ „Aber… Wie kann so etwas Wundervolles so weh tun?“ fragte Erik, der sitzend in seinem Schreibtischstuhl mit dem Direktor sprach. „Liebe ist wie eine Münze. Sie hat zwei Seiten. Nur eines ist gewiss; sie ist niemals einfach.“ Nun stand der Direktor auf, ging zu seinem Schützling und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Du musst entscheiden. Ich werde dich bei allem unterstützen. Sei unbesorgt.“ Ohne eine Antwort zu bekommen, wandte er sich von Erik ab, ging zur Tür und verließ das Zimmer schließlich. „Ich… will sie… nicht mehr sehen.“ „Wieso können wir die Zeit nicht festhalten? Wieso rennt sie immer davon, wenn wir zusammen sind?“ fragte Sarah, die sich an Hiroki angelehnt hatte. Sie saßen bei ihr zuhause auf der Wohnzimmercouch und sahen sich einen Film an, um den Sonntag ausklingen zu lassen. Morgen früh musste er wieder nach Hamburg zurück und die beiden würden wieder die Stunden zählen, bis sie wieder zusammen sein konnten. „Mein Herz zeichnete einen Traum, der so wunderschön war, dass ich nicht mehr aufwachen wollte. Schließlich traf ich dich in der Realität wieder und erzählte dir davon. Dann fingen wir an zusammen zu träumen. Unsere Herzen zeichneten einen Traum.“ Sarah musste lächeln, hörte Hiroki aber aufmerksam zu. „Du bist ein Poet, mein Lieber. Das sollst du doch mir überlassen.“ Schmunzelte sie. „Lass mich auch ein wenig kreativ sein. Dafür lasse ich dir die Musik. Damit kannst du mich dann verzaubern. Das ist deine Magie.“ Viel zu kurz war dieses Wochenende und müde kam Sarah auf ihrer Arbeit an. Mit viel Koffein schleppte sie sich durch den Arbeitstag und doch war sie noch am Nachmittag sehr müde. Erschöpft kam sie in der Hochschule an und schleppte sich in den Theorieraum. „Morgen….“ Sagte sie und setzte sich erschöpft an ihren Platz. „Morgen? Es ist 16 Uhr.“ Stellte Maora fest, hielt im nächsten Moment aber inne, als sie merkte, dass Sarah den Kopf auf den Tisch gelegt und die Augen zugemacht hatte. „Müde, hm? Tagsüber arbeiten, Nachmittags studieren und dann noch am Wochenende Proben. Das ist ziemlich anstrengend. Zum Glück hast du uns.“ Sagte Takuto dann und sah zu ihr. Doch sie regte sich nicht und Maora musste lachen. „Er ist wieder weg. Ich bin müde. Ich brauch Urlaub.“ Sagte Sarah leise. Dann betrat wie erwartet Herr Dewers den Raum und kaum hatte der Unterricht begonnen, setzte er seinen Studenten unerwartet einen Test vor die Nasen. Das kam wirklich sehr ungünstig für Sarah und trotzdem schien sie sehr Stoffsicher zu sein. Auch den Abschnitt des Notenschreibens, konnte sie nun ohne Schwierigkeiten ausfüllen. Der restliche Tag verging relativ ereignislos und glücklicher Weise ohne weitere Überraschungstests. Jenny musste sich mal wieder im Praxisunterricht in den Mittelpunkt stellen und gab einen selbst geschriebenen Song zum Besten. Was Maora auffiel war, dass Takuto nicht mehr ständig zu Sarah rüber sah und er auch keine Versuche mehr unternahm, sie anzuflirten. Als sie ihn darauf ansprach, erklärte er ihr, dass er seinen Frieden damit gefunden hat. Das machte Maora sehr glücklich, denn das bedeutete, dass die drei Freunde bleiben konnten, ohne dass irgendwas anderes zwischen ihnen stand. Sie hoffte, dass diese Freundschaft lange, wenn nicht sogar für immer halten würde und damit war sie nicht allein. Sarah empfand die Zeit mit den beiden als äußerst angenehm. Das ist ihr auch am Wochenende aufgefallen, als sie zusammen mit den beiden musizierte. Schließlich war auch der Studientag beendet. Sarah war wie gehabt äußerst langsam beim Einpacken ihrer Sache, um wieder die Letzte in der Aula zu sein, damit sie sich noch mit Erik treffen konnte. Da sie heute aber so erledigt von dem ereignisreichen Wochenende war, wollte sie ihm vorschlagen, den Privatunterricht heute ausfallen zu lassen. Sie betrat sein Zimmer und sah ihn an seinem Schreibtisch sitzen. Lächelnd ging sie auf ihn zu. „Hallo, Erik. Wie geht’s? Hey, beim heutigen Theorietest habe ich mich ganz gut geschlagen. Vor allem der Abschnitt, indem wir Noten lesen, schreiben und korrigieren sollten habe ich mich gut gemacht, denke ich. Das verdanke ich dir!“ Seltsamer Weise reagierte er kaum und sah sie nicht mal an. „Mh. Schön.“ Murmelte er vor sich hin, während er weiter an seinem Werken arbeitete. Sarah sah ihn verdutzt an. Es kam ihr komisch vor, wie er sich heute verhielt. Doch sie wollte nicht weiter nachfragen. Er schien heute nicht ansprechbar zu sein. Dann kramte sie in ihrer Tasche herum und holte ein paar CDs heraus. „Hier ich habe dir ein bisschen Musik mitgebracht. Ich hoffe sie gefällt dir.“ Sagte sie und reichte sie ihm, doch wieder reagierte er nicht. Also legte sie die CDs einfach auf den Tisch. „… Wenn das für dich in Ordnung ist, würde ich heute den Privatunterricht ausfallen lassen. Weißt du, ich hatte nämlich am Wochenende…“ erklärte sie, doch er unterbrach sie und ließ sein Stift auf den Tisch fallen. Es schien fast so als sei er genervt. „Schön. Lassen wir den Unterricht eben ausfallen und wenn wir schon dabei sind; du brauchst nicht wieder zu kommen.“ Sagte er mit etwas rauer Stimme, was sie von ihm nicht kannte. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken runter. „Ähm… Bitte? Habe ich… was falsches gesagt?“ fragte sie zögernd. Doch plötzlich schlug er voller Wut mit seinen Handflächen auf den Tisch, stand auf und schrie sie an. „Verschwinde und komm nie wieder!“ Sie zuckte zusammen und sah ihn missverständlich an. Unfähig etwas zu sagen, blieb sie einfach stehen. Sie hatte keine Ahnung, was das nun sollte und suchte die Schuld bei sich selbst. Doch sie konnte sich sein Verhalten einfach nicht erklären. Nur wenige Sekunden nach seinem letzten Satz, fuhr Erik fort: „Hast du mich nicht verstanden? …“ fragte er ruhig, aber zornig und ließ den Kopf währenddessen hängen. „Wieso denn? Ich verstehe nicht…“ stotterte Sarah, die nun anfing zu zittern. Dann hob er den Kopf wieder und schrie sie mit zorniger Stimme an. „Ich will dich nie wieder sehen! Verschwinde!“ Sie zögerte noch immer, doch plötzlich kam er um den Schreibtisch herum und drängte sie zur Tür zurück. „Was ist los?!“ schrie sie nun zurück und die Tränen sammelten sich in ihren Augen. Unfähig sie anzusehen, öffnete er die Tür neben ihr und drängte sie nach draußen. Als sie draußen war, schloss er die Tür und verriegelte diese. Sarah blieb stumm stehen. Die Tränen liefen ihr langsam übers Gesicht. „Was…“ fing sie nun leise an. „Was habe ich denn getan? Was soll das?!“ Dann klopfte sie gegen die Tür, versuchte sie zu öffnen, doch Erik hielt dagegen. „Was soll das, Erik? Was habe ich denn falsch gemacht? Ist was passiert? So sag doch was!“ Er antwortete ihr nicht. Es war ihm nun nicht mehr möglich etwas zu sagen, denn sonst hätte sie gemerkt, dass er unaufhaltsam weinte. Dieser Schritt tat ihm selbst unheimlich weh. Doch er musste es tun. Sarah versuchte es weiter. Immer wieder klopfte sie gegen die Tür, allerdings ohne eine Reaktion zu erhalten. Nur langsam bekam sie ihre Tränen in den Griff und nach einer halben Stunde, ging sie vor Erschöpfung in die Knie. Mit ihrer linken Hand, hielt sie die Türklinke fest. Weinend, lehnte sie ihre Stirn an die Tür. „Wieso tust du das? So rede doch mit mir. … Es ist nicht fair von dir, mich einfach so stehen zu lassen.“ Mit dem Rücken an der Tür stehend, hatte Erik das gehört. Er legte seinen Kopf zurück, sodass sein Hinterkopf die Tür berührte, blickte an die Decke und nahm seine Maske ab. [Ich möchte dein Licht nicht durch meine Finsternis verdunkeln. Jemand wie du, sollte nicht mit einem Mörder befreundet sein.] Kapitel 13: Zeit des Wandels ---------------------------- Kapitel 13: Zeit des Wandels „Sie macht sich wirklich Sorgen um dich.“ An diesem Dienstag regnete es den ganzen Tag wie aus Eimern und für Sarah war nichts wie es sonst war. Alles schien so leer und einsam zu sein. Sie reagierte nur langsam auf Fragen, träumte vor sich hin und schien sehr traurig zu sein. Auf Sticheleien von Jenny reagierte sie gar nicht und auch ihre sonstige Freude an der E-Gitarre, war wie verflogen. Im Instrumentenunterricht setzte sich Takuto wie üblich neben sie und sprach sie auf ihr Verhalten an. „Was ist denn los? Du bist heute irgendwie nicht du selbst.“ „Hm, mh. Tut mir leid, Takuto. Ich will nicht darüber sprechen.“ Antwortete sie bedrückt. „Können Maora und ich dir denn nicht helfen?“ „… Nein. Ich glaube nicht. Danke für deine Fürsorge.“ Antwortete sie und fiel wieder in Gedanken. [Was habe ich denn nur falsch gemacht? … Und was soll ich jetzt machen? Ich kann doch nicht einfach so tun, als sei nie was gewesen. Erik und ich sind Freunde. Ich gebe meine Freunde nicht einfach so auf. Hm. Vielleicht weiß der Direktor ja was, oder kann mir einen Hinweis geben.] Sie war fest entschlossen, am Ende des Tages zum Direktor zu gehen und so geschah es. Doch sie wurde von seiner Sekretärin abgewiesen. „Der Direktor ist heute nicht mehr da. Tut mir leid.“ Erklärte sie. „Kein Problem. Dann komme ich morgen wieder.“ Antwortete Sarah, schloss den Reißverschluss ihrer Jacke und verließ nachdenklich die HMT. Dort unterhielten sich Maora und Tim. Takuto stand etwas abseits und Sarah gesellte sich zu ihm. „Was ist hier los?“ fragte sie Takuto flüsternd. „Na ja. Das weiß ich auch noch nicht. Tim kam kurz nach uns aus der HMT und wollte mit ihr sprechen.“ Antwortete er und betrachtete Maora und Tim. Plötzlich verabschiedeten sich die beiden voneinander und freudestrahlend gesellte sich Maora zu ihren Freunden. Das konnte ja eigentlich nur eines heißen. „Hey, Maora. Was habt ihr denn das beredet?“ fragte Sarah sie. „Er hat mitgekriegt, dass ich ihm eine Rose geschenkt habe und er hat sich bedankt.“ Erklärte sie. „Und er will mit dir ausgehen?“ fragte Takuto nun neugierig. Doch Maora schüttelte horizontal den Kopf. „Nein, aber er sagte, dass er mich durchaus schon vorher bemerkt hat und er nicht sicher war, ob er mich ansprechen sollte, weil er dachte, Takuto und ich seien ein Paar. Nun will er mal drüber nachdenken. Stellt euch das vor!“ Maora war sehr glücklich, mit Tim gesprochen zu haben. Das war ein super Ausklang für diesen Dienstag. Zumindest für sie. Sich den Kopf auf dem Tisch aufstützend, saß Erik wieder an seinen Arbeiten. Doch es war ihm kaum möglich sich zu konzentrieren. Er dachte, dass es einige Tage dauern würde, dann würde es ihm besser gehen. Irgendwann, da war er sich sicher, würde der Schmerz vergehen. Es verging eine halbe Stunde. Für gewöhnlich, war er um diese Zeit mit ihr zusammen und brachte ihr das Notenlesen bei. Irgendetwas in ihm hatte gehofft, dass sie durch die Tür herein kommen würde und ihn anlächeln würde. Doch nach einer weiteren halben Stunde war ihm klar, dass er es wirklich geschafft hatte, sie von ihm fern zu halten. „Sie wird nicht kommen.“ Flüsterte er zu sich. Doch das war ihm ganz recht. Schließlich hatte er seine Gründe. Es war besser so. Am nächsten Tag fackelte Sarah nicht lange. Ohne Umwege ging sie in der ersten Pause zum Zimmer des Direktors und sprach mit ihm. Selbstbewusste betrat sie seinen Raum. „Wissen sie etwas? Wieso will er mich nicht mehr sehen?“ Sie verlor keine Zeit und stand vor dem Schreibtisch des Direktors. Dieser saß an seinem Platz und sah sie an. „Du solltest dich einfach damit abfinden. Es ist, wie es ist. Es ist seine Entscheidung. Also lass ihn in Ruhe und halte dich an dein Versprechen, niemanden etwas zu sagen.“ Dann schlug sie mit einer Handfläche auf den Tisch. „Letzte Woche sagten sie noch, ich solle mich um ihn kümmern und jetzt soll ich ihn in Ruhe lassen?! Wonach soll ich mich denn jetzt richten?“ Darauf antwortete er nicht. Er war überrascht von dieser Reaktion und außerdem hatte sie ja Recht. „Außerdem lasse ich meine Freunde nicht einfach ohne Erklärung links liegen. Klar? Also… Wenn er mich schon nicht sprechen will dann… Richten sie ihm aus, dass er Morgen in die Aula kommen soll. Da werden wir in den letzten beiden Unterrichtsstunden sein und Songs vortragen.“ Sagte sie und mäßigte ihren Ton wieder. Der Direktor hatte ein Einsehen. Das war nicht zu viel verlangt und er war gerührt von ihrer Fürsorge für Erik. Dann ging Sarah auf die Tür zu, doch bevor sie diese öffnete und das Zimmer wieder verließ, sagte sie: „Wir haben das ganze Wochenende geprobt. Es würde mich sehr glücklich machen, wenn er sich den Song anhören würde, denn ich finde, er passt zu ihm.“ Dann verließ sie das Zimmer und machte sich auf den Weg zurück in den Theorieraum. Sie war sichtlich erschöpft von den ganzen Strapazen der letzten Zeit. Es waren nicht mal drei Wochen vergangen, seitdem sie das Spätstudium angefangen hat und sie war jetzt mit noch mehr Problemen konfrontiert, nämlich, eine Freundschaft zu retten. Das alles nagte sehr an ihren Nerven und manchmal, überkam sie ein Gefühl der Schwäche. Doch sie gab dem nicht nach und kämpfte dagegen an. An ihrem Platz sitzend, las Maora interessiert die heutige Tageszeitung, als sie plötzlich auf einen Bericht stieß. „Hey, schau mal!“ sagte sie zu Takuto, der nun ebenfalls auf die Zeitung starrte. „Hier steht, dass die Ermittlungen im Falle des Familienmordes von Schwerin von vor sieben Jahren wieder neu aufgenommen wird. Offenbar gibt es neue Hinweise von der Schwester des Ermordeten.“ Fasste Maora zusammen. „Ja, ich erinnere mich an den Fall. Nach sieben Jahren meldet die sich? Was soll das?“ fragte Takuto, der sich gerade einen Schokoladenpudding genehmigte. „Keine Ahnung. Wer weiß, was in den Köpfen dieser Leute vor geht? Von dem Mörder fehlt nach wie vor jede Spur. Bis heute ist unklar, was genau sich in der Wohnung des Opfers abgespielt hat. Schon seltsam.“ Fügte Maora an und faltete nun die Zeitung zusammen, als Sarah sich neben sie, an ihren Platz setzte. „Na Leute. Ist was interessantes passiert? Also ich meine… weil du heute ne Zeitung dabei hast.“ Fragte Sarah, als sie ihre Sachen auspackte. „Ich lese jeden Tag Zeitung. Ich bin gerne auf dem Laufenden. Nur hatte ich heute noch keine Zeit zum Lesen gehabt.“ Erklärte Maora und Takuto sah desinteressiert zur Seite. Er war eher der Videospieltyp und interessierte sich nicht für Bücher. Zeitung fand er elendig langweilig. Darum nahm er davor immer großen Abstand. Dann betrat er Dewers den Raum und eröffnete den Unterricht, der damit begann, dass er die kürzlich geschriebene Arbeit austeilte. Er legte sie den Studenten auf die Tische und als Sarah ihre Bewertung sah, konnte sie ihren Augen erst gar nicht glauben. „Volle Punktzahl?!“ fragte sie ungläubig und Maora sah sie lächelnd an. „Streber.“ Kam von Takuto, der sich aber auch für sie freute. Für Sarah war es wie ein Wunder und andererseits, hatte sie einen guten Lehrer gehabt. An diesen musste sie nun wieder denken und sie hoffte inständig, dass er morgen in die Aula kommen würden. Sie hatte den Song Jade absichtlich vorgeschlagen, da dieser aufgrund des Textes sehr gut auf Erik passte. Sie wollte den Song für ihn spielen und dann hieß es auf einmal, dass sie ihn nicht mehr sehen durfte. Das war für sie alles noch immer unbegreiflich. Kurz vor Tagesende, begann es zu regnen und Sarah und ihre Freunde stellten sich auf einen ungemütlichen Heimweg ein. Der Direktor hingegen hatte sich unbemerkt zu Eriks Zimmer auf gemacht, um mit ihm zu sprechen und ihm eine Nachricht zu übermitteln. Er öffnete die Tür und seine Ohren vernahmen Musik, die er noch nie zuvor aus diesem Zimmer hat kommen hören. Er betrat den Raum und ging auf Erik zu, der regungslos vor seiner Musikanlage stand. „Was ist das für Musik?“ fragte der Direktor ihn nun. Doch vorerst erhielt er keine Antwort. Er hielt inne und lauschte der Musik, die ihm durchaus angenehm erschien. Einige Minuten vergingen, bis Erik ihm dann antwortete. „Ich vermisse sie.“ Sagte er leise. Der Direktor, der in ihm einen Sohn sah, schüttelte kurz mit dem Kopf, ging auf ihn zu und legte seine Hand auf seine Schulter. „Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst. Aber… sie hat mich gebeten, dir zu sagen…“ Er wurde von Erik unterbrochen. „Sie war bei dir?“ fragend sah Erik den Direktor an. „Ja. Sie war heute bei mir und fragte nach dir. Sie macht sich wirklich Sorgen um dich… Du sollst morgen Abend in die Aula kommen. Sie wird mit ihren Freunden dort auftreten.“ Erik schwieg. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er hatte sie einfach weggeschickt, er hatte sie angeschrien und trotzdem sorgte sie sich um ihn und ließ nichts unversucht, ihn wieder zu sehen und gleichzeitig respektierte sie seinen, zugegeben voreiligen Wunsch, ihn nicht mehr in seinem Zimmer aufzusuchen. Es war unmöglich. Das musste sich Erik nun eingestehen. Diesen Weg konnte er nicht gehen. Er musste sie auf jeden Fall wiedersehen. „Erik, hör zu. Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst. Es tut mir leid, dass ich dich nicht besser unterstützen kann. Ich habe mir in letzter Zeit viele Gedanken gemacht. Ich glaube, dass ich dir ein schlechter Onkel bin. Obwohl es mein Wunsch war, dich zu beschützen und ich dich deshalb hier her brachte, weiß ich nun nicht mehr, ob dieser Weg wirklich der richtige war. Ob dich die Polizei nun einsperrt oder ich. Wo ist der Unterschied? Wenn sie dich gefangen und verurteilt hätten, wärst du nach einigen Jahren wieder auf freiem Fuß gewesen. Ich… fühle mich so schuldig deswegen. Erik, es tut mir leid.“ Diese Gedanken gingen dem Direktor schon lange im Kopf herum und es wurde höchste Zeit, dass er sie aussprach. Erik zeigte Verständnis für ihn und beide merkten, dass die Zeit des Wandels gekommen war und beide wussten auch, dass es nicht leicht werden würde. Doch es war ein Schritt, den sie wagen mussten. Beide unterhielten sich bis spät in die Nacht, bis der Direktor sich schließlich verabschiedete und Erik allein ließ. Auch für ihn wurde es Zeit, den Tag zu beenden und sich schlafen zu legen, doch zuvor schnappte er sich seine Gitarre und setzte sich noch einmal in seinen Schreibtischstuhl. Dann fing er an, einen neu geschriebenen Song zu spielen. Es ist aus und vorbei. Ich will dich nur noch vergessen. Ich glaub’ so schaff ich es nicht. Denn wenn ich hier bleibt denk ich nur noch an dich. Ich vermisse dich. Jede Stunde mehr. Es geht nicht ohne dich. Fühl mich nur noch leer. Ich will nicht länger hier sein, doch ich weiß nicht wohin. Glaube mir, ich vermisse dich sehr. Erik wusste nicht genau, was er als nächstes tun sollte. Er kannte nur das Leben in diesen dunklen Räumen und auf einmal war ihm das nicht mehr genug. Er wusste nicht, ob er genug Kraft aufbringen konnte, aber er wusste, dass er sie wiedersehen musste. Doch sie würde eine Erklärung verlangen und das zurecht. Er wusste nur nicht, wie er es ihr beibringen sollte und ob sie danach überhaupt noch zurückkehren wollen würde. Das war auch der Grund, warum er sie weggeschickt hatte. Wieder drehten sich seine Gedanken im Kreis. Es schien alles so hoffnungslos. Es blieb ihm nur noch eines übrig. Den Lichtblick, den Sarah über einen Boten geschickt hatte, zu ergreifen und morgen zur Aula zu gehen. Kapitel 14: Jade ~ Die Maske fällt ---------------------------------- Kapitel 14: Jade ~ Die Maske fällt „Wenn wir ihn gut spielen, wird die ganze Magie des Liedes entfaltet.“ Am frühen Morgen dieses Donnerstags, dekorierten die Lehrer der Hochschule die Aula. Das war ein Wunsch von Frau Hampel gewesen, die von Herrn Beier erfahren hatte, dass die Studenten Auftreten würden. Sie sagte, dass zu einem guten Auftritt auch eine passende Atmosphäre gehörte, die das Gesamtbild abrundete. Herr Beier hingegen war eher der Grobmotoriker, doch er spielte einfach mit. Letzten Endes waren ihm die Resultate wichtig. Er sah sich die von den Spätstudenten abgegebenen Blätter an, auf denen geschrieben stand, was sie am Abend aufführen wollen würden und legte eine Reihenfolge fest. Am Nachmittag trudelten die Studenten des Spätstudiums langsam ein. Noch vor Unterrichtsbeginn trafen Maora und Takuto in der Cafeteria auf Sarah, die sich gerade eine Cola Light kaufte. „Hallo, Saku. Wie war dein Arbeitstag?“ fragte Maora und bestellte sich im Anschluss eine Fanta, während Takuto auf einen Snickers bestand. „Hi Leute. Ja, danke. Arbeit war ganz okay. Bereit für den heutigen Auftritt?“ „Aber sicher doch.“ Antwortete Takuto prompt. Er schien sehr selbstsicher zu sein. Kein Wunder, denn jeder für sich hatte zuhause noch mal ein bisschen geübt, soweit es denn möglich war. „Geben wir unser aller bestes. Klar? Ich will alles aus dem Song rausholen.“ Erklärte Sarah, der wohl sehr viel an dem Auftritt gelegen war. „Wieso ist dir der Auftritt so wichtig?“ fragte Takuto verdutzt. „Ganz einfach. Jade ist ein schöner Song und gleichzeitig sehr anspruchsvoll. Wenn wir ihn gut spielen, wird die ganze Magie des Liedes entfaltet. Das hoffe ich jedenfalls.“ Erklärte Sarah und ging im Anschluss auf den nächsten Unterrichtsraum zu, gefolgt von ihren Freunden. „Alles klar, Saku! Ich werd mein aller bestes geben!“ sagte Takuto übertrieben und salutierte. Daraufhin bekam er von Maora einen Ellenbogencheck in den Bauch. Ja, sie ging wirklich gar nicht zimperlich mit ihm um. Eine eigenartige Atmosphäre umgab heute die HMT. Irgendetwas lag heute in der Luft, das spürte Erik. Es schien, als würde eine Melodie durch die Gänge der Schule hallen, wenn die Studenten in den Räumen waren. Eine Melodie, die nach einem Text verlangte. Er ging zu seiner Anlage und legte eine weitere CD ein, die Sarah ihm mitgebracht hatte. Als der erste Song anspielte, machte die Anlage einige Macken, spielte dann aber einen kraftvollen Song an. Walk through the light to find the shadow Schon nach der ersten Zeile der ersten Strophe wurde Erik hellhörig. Welcher Song war das? Unglücklicherweise hatte Sarah keine Tracklist beigelegt. Doch wieder machte die Anlage Macken und zerstümmelte den Song förmlich, bis sie gänzlich den Geist aufgab. „Was soll denn das jetzt?!“ fragte Erik gereizt, der natürlich gar nicht begeistert davon war, dass seine Anlage ausgerechnet jetzt kaputt ging. Mutlos ging er zu seinem Schreibtisch und sank in den Stuhl. „Es ist vorbei. Was soll das denn alles bringen?“ Er hatte jeglichen Mut verloren und doch klammerte er sich an einen kleinen Funken Hoffnung. Er hoffte inständig, dass sie ihm wieder helfen konnte. Auf den heutigen Theorieunterricht, folgte die Pause, in der sich die Studenten auf den bevorstehenden Auftritt vorbereiteten. Sarah, Maora und Takuto saßen bereits an ihnen Stammplatz in der Cafeteria und sie waren etwas nervös. Jedenfalls waren es Maora und Takuto. Sarah schien zumindest äußerlich ruhig zu sein. „Das wird bestimmt… ganz toll.“ Sagte Maora, und Sarah sah sie verwundert an. „Bist du etwa aufgeregt? So kenn ich dich ja gar nicht.“ „Sonst wurden wir auch nicht so streng bewertet, wie heute. Herr Beier ist für seine strenge Zensierung bekannt. Frau Hampel ist dagegen sehr nett.“ Erklärte die Japanerin, doch auch das brachte Sarah nicht aus der Ruhe. Dann kam Jenny plötzlich zu ihnen und stellte sich neben Sarah. „Mach dich auf was gefasst. Mein Auftritt wird der beste sein, den diese Schule je zu Gesicht bekommen hat! Dagegen wird euer Auftritt nichts sein. Nicht erwähnenswert. Unbedeutend.“ Eigentlich gingen ihr Jennys Worte vollkommen am Gehörgang vorbei, nur dem letzten Wort musste sie widersprechen. Ruckartig stand Sarah also auf und sah Jenny in die Augen. „Unbedeutend? Keines Falls. Sei nicht so übermütig, Jenny. Mir ist es scheiß egal, ob unser Auftritt besser ist als deiner, aber unser Song hat sehr wohl Bedeutung und wir werden ihn gut spielen! Schraub deine dämliche Eifersucht ab und setze sie etwas tiefer.“ Alle, die das gehört hatten, auch Teile der Klasse, waren verblüfft von dieser Stärke, die Sarah nun zeigte. Es war die alte Stärke, die sie am ersten Tag zeigte und die nun wieder erwacht war. Sie hatte ein Ziel. Der Song den sie spielen würden, enthielt eine Botschaft, die sie an jemanden übermitteln wollte. Sie wusste nicht, ob er sie verstehen würde und ob er sie überhaupt mitbekommen würde, aber sie musste ihr Bestes geben. Das war alles, was sie tun konnte. Eingeschüchtert entfernte sich Jenny nun von dem Trio und ging mit ihrer Clique in die Aula. Sarah setzte sich währenddessen wieder hin und setzte ihre Mahlzeit fort. „Hut ab, Sarah. Das hätte ich dir nie zugetraut.“ Sagte Takuto verblüfft. „Ist doch wahr. Sie geht mir langsam mit ihrer scheiß Eifersucht auf den Keks.“ Antwortete Sarah und verteidigte ihren Standpunkt. Plötzlich setzten sich Tim und Gregor zu dem Trio, was die Drei verwunderte. „Richtig so. Mir geht das auch auf die Nerven. Endlich hat ihr jemand mal die Meinung gegeigt.“ Sagte Tim lächelnd und erhielt stummen Zuspruch von Gregor. Sarah, Maora und Takuto sahen ihre neuen Tischgesellen stumm an. „Jenny war schon immer sehr sonderbar. Ich kenne sie auch schon länger… Nun. Um ehrlich zu sein, ist sie meine Exfreundin.“ Erklärte Tim, woraufhin Maora die Kinnlatte auf den Tisch knallte. „Was?! Diese Zicke war deine Freundin?!“ fragte sie nun erschrocken. „Ja, was soll ich sagen? Ich fand sie damals süß und sie hat mich um den Finger gewickelt. Als ich merkte, was für eine Person sie wirklich war, hab ich schließlich den Schlussstrich gezogen und mich von ihr getrennt.“ Erklärte Tim weiter. „Es war eine schlimme Zeit.“ Ergänzte Gregor gelangweilt und die Gruppe musste herzhaft lachen. Das war eine eigenartige Situation, doch auf einmal merkten die Fünf, dass sie durchaus öfter miteinander abhängen konnten. Man könnte es fast als Beginn einer Freundschaft bezeichnen. Zugegeben, in einer sehr frühen Anfangsphase. Auf dem Weg in die Aula, blieben Tim und Maora einige Schritte zurück und unterhielten sich. Sarah ging mit Takuto und Gregor voran und sie spekulierten, was die beiden dort hinter ihren Rücken tuschelten. Doch plötzlich hielten sie an, als sie ein lautes „JAHU!“ von Maora hörten. Ruckartig drehten sie sich um und sahen, wie Maora Tim um den Arm fiel. „Ähm… Das sieht mir nach einem Happy End aus?“ fragte Sarah nun und die beiden jungen Männer neben ihr nickten stumm. Tatsächlich hatte sich Tim endlich dazu durchgerungen, einer Beziehung zwischen ihm und Maora eine Chance zu geben. Schließlich fand er sie sehr süß und das schon seit Langem. Dann kam Herr Beier auf sie zu und lief an ihnen vorbei. „Schnell, schnell. Ab in die Aula. Wir fangen gleich an!“ sagte er im Vorbeilaufen und die Studenten gingen im Eilschritt hinterher. Dort angekommen, fackelte Herr Beier nicht lange und eröffnete prompt den Unterricht. Tim und Gregor setzten sich zum ersten Mal zu Sarah, Maora und Takuto, wobei Maora natürlich darauf bestand, neben ihrem neuen Freund zu sitzen. Vorsichtig öffnete Erik die Geheimtür zum hinteren Teil der Bühne und ging zum Vorhang. Jenny war gerade auf der Bühne und sang, während ihre Freundinnen ihr musikalische Begleitung gaben. Dann riskierte er einen Blick auf die Sitzplätze und erblickte Sarah, die neben Takuto saß und zu Maora schaute. Es schien ihm so, als hätte er sie ewig nicht gesehen, dabei waren es nur zwei Tage. Vorsichtig zog er sich wieder zurück in eine dunkle Ecke, denn er musste immer darauf achten, nicht gesehen zu werden. Stattdessen hörte er einfach nur, was auf der Bühne und unter den Zuschauern vor sich ging. Die Darbietungen waren ihm herzlich egal und einige fand er sogar ungeheuerlich schlecht. Dann wurde er hellhörig als Herr Beier laut die Namen der nächsten rief. „Mariko, Kenji und Sarah. Dann zeigt mal, was ihr könnt.“ Das war sein Stichwort und Erik ging wieder zum Vorhang, um Sarah zu sehen und zu hören. Wissend, dass er da sein würde, sah sie zu ihm, als sie die Bühne betrat und nickte, als sie ihm kurz in die Augen sah. Dann griff sie nach einer E-Gitarre, die Takuto ihr reichte und hängte sich diese um. Kurz zupften die Drei auf den Instrumenten herum, um zu testen, ob sie funktionierten und richtig gestimmt waren. Wenig später ging es auch schon los. „Also Leute. …“ fing Maora an, hielt aber inne und sah zu Sarah. „Ich gebe das Wort an Sarah.“ Sagte sie nun spontan und machte Platz. Sarah selbst sah sie verdutzt an und schüttelte den Kopf. „Never ever!“ Doch Maora und die Zuschauer gaben ihr keine andere Wahl. Widerwillig stellte sie sich also vor das Mikrofon und sagte ein paar Worte. „Heute performen wir den neusten Song der japanischen Musiklegende X Japan! Er heißt… JADE!“ Den Titel des Songs schrie sie regelrecht in das Mikrofon und die teils gelangweilte Menge wurde wieder wach gerüttelt. Dann stellte sich Maora wieder vor das Mikro und Sarah an ihrem Platz und der Song spielte an. Die Gitarren setzten ein und schließlich begann Maora zu singen. Walk through the light to find the shadow, Schon als Erik die ersten Töne des Songs vernahm, kam er ihn bekannt vor. Doch erst nach der ersten Zeile registrierte er richtig, dass es das Lied war, bei dem seine Anlage heute schlapp gemacht hatte. Gebannt lauschte er jedem Ton, jedem einzelnen Wort und jeder gespielten Saite von Sarah. Schließlich setzte der Refrain ein und Maora setzte ihr ganzes Können in ihre Stimme. Til' you feel alive. ‘Cause you are beautiful, Your scars are beautiful, Like the jade. You’ll still shine, when you sink into the sea, When the bleeding scarlet jealousy, carves the way you believe. Über einen unauffälligen Schulterblick, sah Sarah zu Erik. Das war die Botschaft, die sie ihm mitteilen wollte und in seinem Gesicht sah sie Verwunderung und sie hoffte, dass er verstand, was sie ihm sagen wollte, auch wenn sie selbst die Worte nicht sprach. The art of life, Makes me wanna die in the colour of heaven. Dann war Sarahs Part dran, denn sie bestand darauf, das folgende Gitarrensolo zu übernehmen, denn sie wusste, dass ihr großes Vorbild dieses spielte. Mit Leidenschaft, Stärke und auch einer gewissen Wut spielte sie die Saiten und poste wie ein Profi. Dieser Moment gehörte ihr und obwohl sie den Song für Erik spielte, war sie in diesem Moment bei ihrem Vorbildgitarristen. Dann wurde es still und Takutos eher ruhiges Gitarrensolo folgte. Schließlich setzte Maora wieder mit den Lyrics ein. Oh, another day has come, Another friend has gone into the flame, It’s burning love, jibun de kirisaita mune no kizuato sae birei ni naru made. Nun ging es auf den Höhepunkt zu und Erik verstand die Botschaft. Gebannt lauschte er dem Song, der ihn magisch in den Bann zog. Aye, 'cause you are beautiful, Your scars are beautiful, like the jade, You’ll still shine, when you sink into the sea, When the bleeding scarlet jealously carves the way you believe, Now and forever, you’ll be loved, Let your destiny lead your heart Maora nahm ihre Hände vom Bass und griff das Mikro mit beiden Händen, um den Schluss des Liedes nicht zu verpatzen. My Jade Maora zog das A ebenso lang wie der Vokalist X Japans. Sie hatte intensiv dafür geprobt, denn sie fand, das es die schwierigste Stelle war und wusste nicht, ob sie es schaffen würde. Doch sie schaffte es und überaus erfolgreich beendeten die Drei den Song schließlich. Mit einem Mal war es ganz still. Die Drei sahen sich gegenseitig an und nickten lächelnd. Doch seltsamer Weise war vom Publikum nichts zu hören. Verdutzt sahen Maora, Takuto und Sarah zu ihren Mitstudenten hinunter, die sich aber nach wie vor nicht rührten und auch nichts sagten. Stumm stellten sie schließlich die Instrumente zurück an ihren Platz und in dem Moment, als sie den Zuschauern kurz den Rücken zudrehten, fingen diese an zu applaudieren, zu jubeln – ja sie standen sogar von ihren Plätzen auf. Auch Herr Beier erhob sich und klatschte. Ungläubig sah das Trio auf. Unfähig etwas zu sagen oder zu machen, standen sie einfach nur da und ließen sich bejubeln. Sie konnten nicht begreifen, was gerade geschah. In einem kurzen Moment, als Sarah sich wieder fing, schwenkte sie ihren Kopf nach rechts. Doch Erik war nicht da. Dann kam Herr Beier auf die Bühne und gab jedem einzelnen die Hand. „Das war atemberaubend. Wie echte Musiker. Wie echte Profis. Richtiger Song, anspruchsvoller Song und so super hingekriegt. Ich bin stolz auf euch. Gut gemacht!“ Nach diesen Worten, waren Maora, Takuto und Sarah sehr erleichtert und gingen schließlich lachend wieder an ihre Plätze. Dieser Auftritt war nur schwer zu überbieten und es stellte sich heraus, dass er nicht zu überbieten war. Herr Beier lobte die Drei am Schluss erneut für diese herausragende Leistung. Allerdings war es ihnen nun schon fast unangenehm, so oft gelobt zu werden. Die Studenten packten ihre Sachen und verließen fluchtartig die Schule. Nur Sarah ließ sich Zeit und ging wieder zum Geheimgang, um schließlich in Eriks Zimmer zu gelangen. Sie musste ihn einfach noch mal sprechen. Sie wusste nicht, woran sie war, ob er die Botschaft verstanden oder ob sie überhaupt etwas bewirkt hatte. Vorsichtig öffnete sie die Tür zu seinem Zimmer und sah durch den Türspalt. Er saß nicht an seinem Platz, was sie dazu veranlasste, die Tür gänzlich aufzumachen und das Zimmer zu betreten. Das forderte jedoch einigen Mut von ihr, denn sie wusste ja nicht, wie er reagieren würde. Dann sah sie ihn an seiner Anlage stehen und hielt inne. „Ich hatte das Lied heute Nachmittag anhören wollen, doch meine Anlage hat den Geist aufgegeben.“ Erklärte er mit leiser Stimme und starrte auf das Display. „Vielleicht besser so, denn so konnte ich die Botschaft besser übermitteln… Cause you are beautiful. Your scars are beautiful. Ich wollte dir sagen, dass…“ Er unterbrach sie. „Dass ich wundervoll bin? So wie ich bin? Auch mit dieser Narbe?“ Nun nahm er zum ersten Mal in ihrer Gegenwart die Maske ab und zeigte ihr die dahinter versteckte Narbe, die sich über die rechte Gesichthälfte ausbreitete. Erschrocken hielt sich Sarah die Hände vor den Mund. Doch schon im nächsten Moment wandte sich ihr Gesichtsausdruck in Mitleid und sie ging auf ihn zu. Sie hob ihre linke Hand und berührte die Narben. Im ersten Moment zuckte er. „Tut es noch weh?“ fragte sie und er sah sie an. „… Ja. Nicht direkt diese Narbe, aber das,…“ erklärte er und sie vervollständigte seinen Satz. „Aber das, was die Narbe auf der Seele angerichtet hat?“ Erik schloss die Augen und nickte. Sarah schüttelte entsetzt den Kopf. „Wie ist das passiert?“ fragte sie, doch sie erhielt darauf keine direkte Antwort. „Bitte verzeih mir. Ich war ein Dummkopf. Dich wegzujagen war ein Fehler. Bitte geh nicht wieder fort!“ flehte er sie an und seine Augen sammelten sich mit Tränen. Verständnisvoll sah sie ihn an und schenkte ihm ein Lächeln. „… Ich war doch nie weg. … Es… ist nicht wichtig, wie oft wie einander sehen. Es ist wichtig, wie oft wir an einander denken. Das macht wahre Freundschaft aus.“ Er verstand, was sie meinte, doch es war ihm unmöglich, nun klare Gedanken zu fassen. Es dauerte nur wenige Sekunden, als die Tränen aus ihm heraus brachen und er sie umarmte. Sarah war unfähig etwas zu sagen. Sie hielt es in dieser Situation angebrachter, zu schweigen und einfach für ihn da zu sein. Sie hatte ihn noch nie so bitterlich weinen sehen. Es würde noch einen anderen Moment geben, in dem sie die Wahrheit endlich erfahren würde. Aber nicht heute. Nicht an diesem Abend. Kapitel 15: Narben eines Mörders -------------------------------- Kapitel 15: Narben eines Mörders „Ich lasse dich nicht allein.“ Wieder neigte sich eine Woche dem Ende und nachdenklich machte sich Sarah auf den Weg zur Hochschule. Sie war gestern noch lange bei Erik geblieben. Doch er hatte unablässig geweint, bis er schließlich eingeschlafen war. Erik saß wie gewohnt an seinem Schreibtisch. Jedoch arbeitete er nicht an seinen Werken, sondern war in Gedanken versunken. Er wusste, dass er ihr heute alles sagen musste. Irgendwie. Er wusste nur nicht, wie er beginnen sollte. Sarah kam an der HMT an und ging desinteressiert an Jenny vorbei, die sich mit ihren Freundinnen unterhielt. Der Himmel zog sich langsam zu und es wurde wieder ziemlich kalt. Ohne Umwege ging Sarah zum Theorieraum, wo sie wie gewohnt Maora und Takuto traf. Maora begrüßte sie freudestrahlend und auch Takuto war guter Dinge. „Hallo, Leute.“ Grüßte Sarah recht bescheiden zurück. „Nanu? Ist was los?“ fragte Maora sie, als sich die Studentin auf ihren Stuhl setzte. Sie lächelte und sah ihre Freunde an. „Nein, nein. Alles in Ordnung, keine Sorge.“ „Also… Dafür, dass wir gestern einen so bombastischen Erfolg dargelegt haben, bist du heute aber ziemlich komisch drauf. Ist noch was passiert, als wir gestern weg waren?“ fragte Takuto sie nun, doch Sarah verneinte dies und schüttelte den Kopf. Ihre Stimmung besserte sich ein wenig, als sich in der Pause, wieder Tim und Gregor zu ihnen an den Pausentisch setzten. Ihre Runde war größer geworden und das brachte gleich bessere Laune unter das Trio. Doch trotzdem war da etwas, was Sarah bedrückte. Natürlich dachte sie an Erik. Sie fragte sich, wie sie ihm helfen könnte, doch ohne sein Geheimnis zu kennen, war das schwierig und sie konnte nur spekulieren. „WAS?! Du spinnst. Lass das Thema endlich ruhen und ruf mich nie wieder an!“ schrie der Direktor ins Telefon und legte den Hörer wütend auf. Er atmete schnell und auch sein Herz raste. Auf seiner Stirn sammelten sich die Schweißperlen und sein Gesichtsausdruck deutete auf Angst und Entsetzen hin. Seine Sekretärin betrat den Raum, denn sein Gebrüll war bis draußen zu hören. „Ist alles in Ordnung?“ fragte so höflich und etwas zurückhaltend. „Ja. Bitte gehen sie.“ Sagte er bestimmt und sie folgte stumm seinem Wunsch. Er sackte in seinen Stuhl zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Erik, der seinen Onkel teilweise gehört hatte, betrat nun durch die Geheimtür dessen Zimmer. „Was ist los?“ fragte er nun und ging zu ihm. „Deine Tante hat die Polizei wieder kontaktiert und weitere Hinweise zu dem Vorfall gegeben. Dadurch wurde der Fall wieder neu aufgerollt. Sie hat gerade angerufen und gefragt, ob ich etwas weiß. Ob ich dich irgendwo verstecke…“ erklärte der Direktor und schlug die Hände über den Kopf zusammen. Erik schrak auf. Jedoch war er unfähig, etwas zu sagen. Er war einfach nur schockiert und ballte eine Hand zur Faust. „Geht denn jetzt alles den Bach runter? Oder hat Sarah uns verraten?“ fragte der Direktor im Flüsterton, worauf Erik jedoch sofort antwortete. „Niemals! Das weiß ich ganz sicher. Ich kenne sie. So etwas würde sie nie tun. So ein Mensch ist sie nicht!“ Davon war er fest überzeugt und er hatte nicht den geringsten Zweifel daran. Auch der Direktor konnte das nicht glauben. Die Fäden verliefen zufällig jetzt alle zusammen. Doch die Lösung lag nicht vor. Der Direktor war ratlos. Wie letzten Freitag, endete der Studienabend mit Instrumentunterricht und wie jeden Freitag, verließen die Studenten fluchtartig die Schule. Nur Sarah ließ sich wieder Zeit. Sie war ein wenig nervös, denn sie musste heute unbedingt die Wahrheit erfahren. Ihre Aufregung war ihr anzusehen und das machte Takuto stutzig. Während sich Maora von Tim verabschiedete, stand Takuto neben Sarah, die ihre Sachen langsam zusammen packte. „Keine Sorge. Du kannst ruhig schon gehen, Takuto. Nicht nötig auf mich zu warten.“ Sagte sie und lächelte ihn an. Es kam ihm sehr spanisch vor, doch er ging zu Maora in den Eingangsbereich. Dort hielt er inne, als Maora sich ihm wieder zuwandte. Sie sah ihn verwundert an, als sie merkte, dass er einen nachdenklichen Blick aufgesetzt hatte. „Was ist los?“ fragte sie nun. „Ist dir aufgefallen, dass Sarah fast immer die letzte aus unserer Klasse ist, die die HMT verlässt. Sie bleibt immer bis zum Schluss und letzten Freitag ist sie noch mal zurück gegangen. Angeblich, weil sie etwas vergessen hat.“ erklärte er. Maora überlegte kurz und musste ihm zustimmen. Doch sie sprach dem wenig Bedeutung zu. „Ach, du hörst doch nur die Flöhe husten. Komm.“ Sagte sie und war im Begriff zu gehen, doch Takuto hielt sie am Arm fest. „Lass und heute noch einmal zurück gehen. Bitte. Nur damit ich mir das Wochenende darüber nicht den Kopf zerbreche, ja?“ Dagegen konnte Maora nichts sagen und sie verließen den Eingangsbereich in Richtung des Schulganges. Gerade als sie geradeaus in Richtung der Cafeteria gehen wollten, sahen sie die Tür zur Aula zufallen. Kurzerhand wandten sie sich also nach rechts und gingen den Gang hinunter zur Aula. Als sie die Tür öffneten, sahen sie, wie Sarah hinter dem roten Vorhang verschwand. Maora und Takuto glaubten ihren Augen nicht zu trauen. „Ich glaube, du hast recht gehabt. Irgendwas stimmt hier nicht.“ Erkannte Maora. Erik saß an seinem Schreibtisch und Sarah schloss leise die Tür hinter sich. Keiner rührte sich und sie sahen sich schweigend an. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten. Die letzten Tage und Wochen hatte sich viel ereignet. Schwierigkeiten, die es zu überwinden galt und glückliche Momente, die sie zusammen verbrachten. Dann stand Erik auf und entfernte sich ein paar Schritte von seinem Schreibtisch. Doch Sarah blieb weiter stumm. Sie wusste nicht, ob sie ihn schon wieder fragen sollte, denn irgendwann würde das auch nerven. Das wusste sie ja selbst. „Ich…“ fing Erik an und Sarah hörte ihm zu. Doch er stockte. „Ich weiß nicht wo ich anfangen soll.“ Sagte er und massierte sich kurz die Schläfen. „Es ist etwas passiert. Als ich ein Kind war. … Du sagtest, dass deine leibliche Mutter Barbara dich töten wollte. Nun, bei mir war es das gleiche mit meinem Vater.“ Erklärte er und sah sie an. Sarah schrak auf und sah ihn mit einem ernsten und doch fragenden Blick an. „… Was… ist passiert?“ fragte sie mit sanfter Stimme. Sie wollte ihn auf keinen Fall drängen und versuchte ihm das Gefühl zu übermitteln, dass egal, was er ihr nun sagen würde, sie an seiner Seite bleiben würde. „Mein Vater… dieser Bastard. Er war ein bestialischer Schläger. Über viele Jahre hinweg misshandelte er meine Mutter und mich. Es drang nie etwas nach Außen. Er war angesehener Chemielehrer an einem Gymnasium. Nie hatte ihn jemand im Verdacht, obwohl meine Mutter ihn anzeigte, reagierte keiner. Auf eine solche Anzeige folgten nur noch härtere Strafen. Ich vermeide es lieber, dir alle Details zu verraten. Es war schmerzhaft… Sehr schmerzhaft sogar. Ich war 15, als mein Vater an einem Freitagabend einmal mehr zu tief ins Glas geschaut hatte. Er überlegte sich, was wohl passieren würde, wenn er seinem Sohn im Schlaf Salzsäure übers Gesicht schüttet und tat es!“ Er ballte eine Hand zur Faust und Sarah ging einen Schritt auf ihn zu. „Wie grauenvoll.“ Flüsterte sie und lauschte wieder seinen Worten. „Es hieß, ich hätte in seinem Labor gespielt. Niemand fragte genauer nach! Ich bin mit 18 ausgezogen. Zu spät, wenn man das hört, aber ich blieb wegen meiner Mutter. Doch an diesem Punkt konnte ich nicht mehr. Zwei weitere Jahre vergingen, in denen ich sie nur wenige Male sehen durfte. Wir trafen uns immer außerhalb der Wohnung, um möglichst weit von diesem Mistkerl entfernt zu sein und in diesen wenigen Stunden waren wir glücklich. Doch eines Tages erhielt ich von ihr einen Anruf. Sie war total verzweifelt und weinte ohne Unterbrechung. Kurzerhand beschloss ich, zu ihr zu fahren und betrat die Wohnung. Ich suchte nach meiner Mutter und fand sie schließlich tot im Badezimmer.“ Sarah hielt sich vor Schreck die Hände vor den Mund. Ihre Augen sammelten sich mit Tränen. „Ich lief zu ihr, doch es war bereits zu spät. Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten und war schon ganz kalt. Neben ihr lag der Abschiedsbrief, in dem sie über die Folter und die Misshandlungen meines Vaters sprach. Wenige Minuten später, kam der Mistkerl dann nach Hause und sah mich, wie ich sie weinend in meinen Armen hielt. Und weißt du, was der Bastard dann sagte? … Hat diese Schlampe es also letztlich doch getan.“ Sarah lief eine Träne die Wange hinunter. Eine solch schreckliche Geschichte, hatte sie dahinter wirklich nicht vermutet, doch es schien nicht mal das Ende zu sein. Es zerrte sehr an Eriks Kräften, das sah sie ihm an. Doch plötzlich betraten Takuto und Maora den Raum. Verblüfft sahen sie sich um und gingen zu Sarah. „Was ist das hier?“ fragte Maora sie, während Takuto sich Erik zuwandte. „Meine Scheiße! Das ist er!“ schrie er und Sarah war nun doppelt irritiert. „Was macht ihr hier?! Wie habt ihr hier her gefunden?!“ fragte sie entsetzt und als sie sah, dass Takuto auf Erik zu ging, stellte sie sich schützend vor das Phantom. „Takuto! Was soll das? Bitte geht sofort wieder!“ flehte sie ihre Freunde mit zitternder Stimme an und die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Erik war unfähig zu reagieren. Er wusste nicht, was er in dem Moment denken sollte. „Das ist der Mörder von Schwerin! Two Face! Über ihn wurde in der Zeitung geschrieben! Die Polizei hat bis heute keine Spur von ihm.“ Erkannte Maora und sah entsetzt zu Erik, der sich nun beschämt die Hand vors Gesicht hielt und sich langsam ins nächste Zimmer zurück zog. „Was? Wieso Mörder?“ fragte Sarah leise und drehte sich zu ihm um. Er sah ihr in die Augen und konnte ihren Zweifel sehen. Das war der Moment, vor dem er sich am meisten fürchtete. Er griff die Türklinke zu seinem Schlafraum und ging hinein. Erschöpft erreichte er gerade so seine Couch. „Geh! Bitte. Ich kann nicht mehr!“ schrie er, aber Sarah ließ nicht ab und lief zu ihm. Doch plötzlich hielt Takuto sie fest und redete auf sie ein. „Sarah. Er ist ein Mörder! Er ist gefährlich!“ sagte er nun und Sarah schüttelte entsetzt den Kopf und riss sich von ihm los. Sie lief zu Erik und umarmte ihn. „Sei still. Takuto! Erzählt nicht so einen Unsinn und geht! Raus hier!“ schrie Sarah ihre beiden Freunde an. Maora stand entsetzt in der Tür. Takuto hingegen schien arges Interesse daran zu haben, Sarah von Erik zu trennen, da er sich um sie sorgte. Doch plötzlich fing Erik zu lachen an. Sarah ließ ihn los, hockte sich hin und sah ihn an. „Er hat Recht. Ich bin ein Mörder.“ Fing er leise an und Sarah sah ihn ungläubig an. Sie schwieg. Auch Maora und Takuto wagten es nun nicht, etwas zu sagen. „Ich bin ein Mörder! Nachdem mein Vater diesen Satz gesagt hatte, bin ich ausgetickt!“ Er wurde immer lauter und fasste Sarah an den Oberarmen. „Endlich war ich in der Position mich zu rächen, für all die Jahre, die er uns misshandelt hatte. Ich habe ihn verprügelt und gefoltert. Er sollte leiden, wie meine Mutter und ich. Schließlich habe ich mit einem Messer auf ihn eingestochen! Ja, ich bin ein Mörder!“ Er sah sie voller Zorn an und Sarah bekam Angst vor der Person, die ihr Mentor war und der sie vertraut hat. Sie stand auf und entfernte sich von ihm. Takuto zog sie zu sich heran und ging mit ihr einige Schritte rückwärts auf die Tür zu. Erik kniete schluchzend am Boden. Zusammengekauert wie ein kleines Kind. Das war der Augenblick, vor dem er die ganze Zeit Angst hatte. Jetzt würde sich Sarah von ihm entfernen, ob er wollte oder nicht. Eigentlich wollte er ihr die Geschichte gar nicht bis zum Ende erzählen, aber es ist alles anders gekommen. Er wurde als Mörder entlarvt, sein Versteck wurde gestürmt und er war nun wieder allein. Das Leben, wie er es kannte, war nun endgültig vorbei. Sarah sah ihn ungläubig an, aber nach allem was sie gehört hatte, konnte sie ihn irgendwie verstehen. Maora, Takuto und Sarah gingen nun im schnellen Schritt zum Ausgang zu. „Man Saku. Wie lange kennst du ihn denn schon? Wie hast du hier her gefunden? Du musst uns einiges beantworten.“ Erkannte Maora und in dem Augenblick, zogen alle Momente, die Sarah mit Erik erlebt hatte, vor ihrem inneren Auge vorbei. Sie hielt kurz inne und mit einem Ruck rannte sie dann zurück zu ihm. Takuto und Maora konnten so schnell nicht reagieren und liefen hinter her. Erik, der gerade im Begriff war aufzustehen, sah Sarah gerade noch so aus dem Augenwinkel anlaufen und im nächsten Moment fiel sie ihm um den Hals. „Was machst du da?“ fragte er weinend und mit zittriger Stimme. „Ich lasse dich nicht allein. Ich bleib bei dir. Wir sind doch Freunde!“ antwortete sie weinend und anschließend betraten Takuto und Maora den Raum wieder. „Sarah, komm jetzt! Er ist ein Mörder.“ Schrie Takuto sie an. Dann ließ Sarah von Erik ab und wandte sich Takuto zu. Ihre Augen waren schon ganz rot und voller Tränen, die ihr Gesicht bereits total durchnässt hatten. „Sei still, Takuto! Wenn die Umstände anders gewesen wären, wäre ich auch zum Mörder geworden! Ich wurde von meiner leiblichen Mutter auch misshandelt und ich habe, als ich älter war, auch einen heftigen Zorn gegen sie entwickelt. In meinen Träumen stelle ich mir manchmal sogar vor, sie zu töten.“ Takuto und Maora hielten inne und Sarah wandte sich wieder Erik zu und sah ihn weinend an. „Aber du würdest es nie tun, denn du bist nicht so eine missratene Drecksgeburt wie ich.“ Erkannte Erik und sah beschämt zur Seite. Über diesen Satz von ihm, war Takuto sehr verwundert. „So ein Unsinn. Du bist nicht missraten. Man hat dir nur keine andere Wahl gelassen. Bitte glaube mir. Ich kann dich verstehen. … Aber ich meine dich gut genug zu kennen, um sagen zu können, dass du kein gewissenloser Mörder bist, sondern im Affekt gehandelt hast.“ „Hm… so wie du Jenny wegen ihrer Äußerung eine verpasst hast?“ erkannte Maora und Sarah nickte bejahend. Erik kniff die Augen zu und musste die Tränen zurückhalten. Sarah umarmte ihn wieder, wusste nun aber auch nicht, was sie noch sagen sollte und weinte ebenfalls. Takuto und Maora waren nun unfähig etwas zu sagen. Die Misshandlung von Kindern war immer ein schwieriges und trauriges Thema und da konnten sie nicht mitreden. Sie versuchten sich vorzustellen, wie sie reagiert hätten, wenn ihre Eltern gewalttätig würden und mit einmal, konnten sie Erik nicht mehr böse sein. In der Zeitung stand steht’s nur das Oberflächliche, doch aus dieser Sicht betrachtet, sahen sie in ihm keinen Mörder mehr, sondern ein Opfer. Erik konnte noch immer noch richtig fassen, was gerade geschah. Er hatte sie weggeschickt, sie war entsetzt von der Wahrheit und entfernte sich von ihm und doch umarmte sie ihn gerade. Überrascht, aber froh über diesen Moment, legte er nun seine Arme um sie und drückte sie an sich. Er hatte solche Angst, sie würde gehen. „Ich danke dir.“ Flüsterte er ihr mit ruhiger, aber zittriger Stimme ins Ohr. Nun stupste Maora Takuto an und zerrte ihn wieder aus dem Zimmer. „Komm, Takuto. Lassen wir sie allein.“ Sagte sie mit ruhiger Stimme und Takuto schloss widerwillig die Tür. Sie gingen langsam auf die Ausgangstür zu. „Sollen wir Sarah wirklich bei ihm lassen?“ fragte er unsicher. „Na klar. Die beiden scheinen sich ja schon länger zu kennen. Aber… Ach man. Ist das kompliziert. Was machen wir denn jetzt?“ fragte Maora und verschränkte die Arme. Beide blieben stehen und sahen sich ratlos an. „Wenn wir jemandem davon erzählen, wird Sarah uns wahrscheinlich böse sein.“ erkannte Takuto und Maora musste ihm uneingeschränkt Recht geben. „Wir reden am Montag mit ihr und bis dahin, behalten wir das für uns. Einverstanden?“ schlug die Japanerin vor. „Meinst du nicht, er wird fliehen?“ fragte Takuto und sah sich zur Tür um. „Er wird seit sieben Jahren gesucht und außerdem; wo soll er denn hin? Da wird ein Wochenende mehr oder weniger auch nichts ausmachen. Sarah wird es dir nie verzeihen, wenn du ihn verrätst.“ Dem musste Takuto zustimmen und widerwillig verließ er mit Maora das Versteck und unbemerkt schlichen sie sich wieder aus dem Geheimgang. Ihnen war zwar nicht ganz wohl dabei, ihre Freundin mit einem Mörder allein zurück zu lassen, aber sie mussten ihm einfach vertrauen. Darüber hinaus wurde den beiden nun noch etwas anderes klar. Der Hausmeister hatte mal gesagt, dass er einige Male jemanden hat singen hören, konnte aber nicht feststellen, von wem oder von wo die Stimme kam. Irgendjemand sprach daraufhin von dem Phantom der Hochschule. Es wurde als schlechtes Gerücht abgestempelt und geriet in Vergessenheit. Der Hausmeister hörte die Stimme noch öfter und dazu wurden wohl auch das eine oder andere Mal Instrumente gespielt. Doch er behielt weitere Vorkommnisse für sich, um nicht noch mehr von den Studenten schikaniert zu werden. Offenbar war doch was an dem Gerücht dran. Erik und Sarah umarmten sich noch immer. Sie wollte bei ihm sein und ihm Trost spenden, so gut es ging. Er hingegen merkte, wie der Schmerz langsam leichter wurde und ein leichtes Gefühl sein Herz erwärmte. Sein Kopf wurde leichter, die Gedanken fingen an sich zu ordnen und alle Zweifel lösten sich im Nichts auf. Trotzdem konnte er nicht aufhören zu weinen. Nach einiger Zeit, lösten sie die Umarmung und sahen sich an. Während sich Sarah wieder beruhigt hatte, war sein Gesicht noch immer voller Tränen. Sie hob die linke Hand und nahm seine Maske ab. Zaghaft versuchte er sie daran zu hindern, gab dem aber schnell nach. Sie warf die Maske auf das Bett und sah ihn wieder an. Er weinte unablässig und hielt die Augen geschlossen. Sie legte beide Hände auf sein Gesicht und wischte seine Tränen weg. Ganz vorsichtig und behutsam… wie eine Mutter. Schließlich öffnete er seine verweinten Augen wieder und sah sie an. Er sah ihr Gesicht und verlor sich in ihren blauen, verständnisvollen Augen. Sie war immer für ihn da, sie hatte sich immer an ihr Versprechen gehalten. Nicht mal ansatzweise konnte er zum Ausdruck bringen, was er fühlte. Er hatte ihr so viel zu verdanken. „Du hast mir die Einsamkeit genommen. Du hast mir den Schmerz genommen. Danke, ist viel zu milde ausgedrückt. Sarah, ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Sagte er nun mit sanfter Stimme, schloss anschließend wieder die Augen und umarmte sie erneut. „Du hast viel durchgemacht. Lass uns gemeinsam eine Lösung finden.“ Antwortete sie leise und wieder war er froh von ihr zu hören, dass sie bei ihm bliebe. Das machte ihn unbeschreiblich glücklich. Kapitel 16: Intermezzo ~ Die Suche nach Hoffnung ------------------------------------------------ Kapitel 16: Intermezzo ~ Die Suche nach Hoffnung „Ein Detail, dass entscheidend ist für den gesamten Fall.“ Gleich am Samstagmorgen erhielten Takuto und Maora je einen Anruf von Sarah. Sie bat sie, nichts von Erik zu verraten und seine Existenz geheim zu halten. Am Montag wollte sie offene Fragen ihrer Freunde beantworten. Sarah war gestern noch sehr lange bei Erik geblieben. Um ihn zu trösten, um seine Tränen aufzufangen und um ihm Hoffnung zu geben. Nun musste eine Lösung her, an der sich die junge Frau den ganzen Samstagvormittag den Kopf zerbrach. Sie kam zu dem Schluss, dass sie alleine nicht weiter kam und so überlegte sie, welche Wege möglich wären. In ihrem bisherigem Leben hatte sie gelernt, dass es Sinn macht, mal anzuhalten und sich bewusst zu werden, wo man steht und welche Wege einem jetzt überhaupt zur Verfügung stehen. So tat sie es auch dieses Mal, doch es ging nicht um sie, sondern um Erik. Letzten Endes war es seine Entscheidung und sie konnte ihm lediglich Vorschläge unterbreiten. Doch diese Vorschläge musste Sarah erstmal finden. Es war ein sonniger Tag in der Hansestadt Rostock. Am Vormittag saß der Direktor wartend in einem Cafe in der Einkaufsstraße in der Innenstadt. Er trank seinen Kaffee und schien in Gedanken. Nach einigen Minuten des Wartens, beendete der Direktor sein Gedankenspiel und schaute auf die Uhr. In dem Moment stand eine Frau neben ihm, die sich schließlich auch zu ihm setzte. „Du bist also doch gekommen.“ Sagte sie und sah ihn an. Er war sichtlich nicht begeistert sie zu sehen und wollte es nur schnell hinter sich bringen. „Hier hast du 1.500 €.“ Fing er an, und reichte ihr unter dem Tisch einen Briefumschlag, voll mit Geldscheinen. Sie nahm ihn entgegen, hielt ihn aber unter der Tischplatte und überschlug grob. „Wie geht es dem Jungen?“ fragte sie nun. „Was soll das, Katarina? Ich habe nie behauptet, dass ich weiß, wo Erik steckt. Lass es einfach sein und zieh deine Anzeigen bei der Polizei zurück!“ sagte der Direktor zornig. „Du erwartest doch nicht ernsthaft, dass ich dir das abkaufe. Du weißt wo er ist, wenn du ihn nicht sogar selbst versteckst.“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch. „Sei endlich ruhig und lass den Blödsinn! Zieh die Anzeige zurück und lass es sein!“ wütend stand der Direktor auf und ging zur Theke. Dort entschuldigte er sich bei der Kellnerin für den Wutausbruch und bezahlte. Anschließend verließ er fluchtartig das Cafe und ließ Katarina allein zurück. Ihr war es letzten Endes egal, schließlich hatte sie das Geld bekommen. Doch auch sie hatte ihren Stolz und so hielt sie sich an die Vereinbarung und zog die kürzlich aufgegebene Anzeige bei der Polizei wieder zurück. Dennoch waren die Beamten stutzig und einige von ihnen ermittelten weiter. Der Fall war sieben Jahre alt. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als bereits bestehendes Material auszuwerten, doch das warf sogar jetzt noch einige Fragen auf. Nach langem Überlegen kam Sarah zu dem Schluss, dass sie das nicht alleine schaffen konnte. Sie brauchte Hilfe von ihren Freunden. Sie wusste, dass sie ihnen voll vertrauen konnte und griff nach ihrem Handy, um einige SMS los zu schicken. Sarah war nicht wohl bei dem Gedanken, jetzt weitere Außenstehende mit einzuweihen. Schließlich würde sie damit ein Versprechen brechen. Doch vielleicht musste sie gar nicht ins Detail gehen. Auf jeden Fall war es besser jetzt zu handeln, als die Hände in den Schoß zu legen. Am Sonntag machte sich Sarah früh auf den Weg, verriet aber ihrem Vater nicht, mit wem sie sich nun traf. Sie stieg in ein Auto ein, welches bereits vor ihrer Haustür wartete. Es waren Tina, Christopher und Bernd und gemeinsam fuhren sie zu einem kleinen Ort, in der Nähe von Rostock. Dort parkten sie neben einem Haus, welches in einer unauffälligen und ruhigen Wohnsiedlung stand. Ein seriös aussehender Mann, der auch an diesem Tag ansehnlich mit Hemd gekleidet war, öffnete die Tür. „Kommt rein.“ Sagte er. „Ey, Richard. Auch am Sonntag so manierlich gekleidet?!“ murmelte Bernd in der Lautstärke, die man von ihm gewohnt war. Sie setzten sich in die große Wohnstube, wo bereits Kaffee und Kekse auf dem Tisch bereit standen. Richard Timmers war ein ausgezeichneter Gastgeber und darüber hinaus Rechtsanwalt. Kaum hatten sie ihre Plätze eingenommen, richteten sie ihre Blicke auf Sarah. „Wieso hast du uns her bestellt? Worum geht es?“ fragte Tina nun und goss sich eine Tasse Kaffee ein. „Ich brauche eure Hilfe.“ Fing Sarah an, hielt aber inne, als zwei weitere Leute das Haus betraten. Richard stand auf und schüttelte den Kopf. „Klingeln ist euch ein Fremdwort, was?“ Es waren Kai und Kairi, die sich nun ebenfalls an dem Treffen beteiligten. „Ach was Richard. Privatsphäre ist für die beiden ein Fremdwort. Verlang nicht zu viel von den beiden.“ Ergänze Sarah lächelnd und setzte nun ihre Erzählung fort. „Habt ihr schon mal von diesem Fall gehört?“ fragte sie und legte ein paar Zeitungsartikel auf den Tisch. Ihre Freunde griffen danach und lasen sich die Überschriften durch. „Der Phantommörder von Schwerin. Ja ich erinnere mich.“ Erkannte Richard und Sarah fuhr fort. „Ich habe ihn gefunden.“ Ihre Freunde schraken auf, doch sie versuchte sie gleich zu beruhigen. „Hört bitte zu. Ich kann euch keine Einzelheiten verraten, denn ich habe ein Versprechen abgegeben. Aber glaubt mir eins: Die Geschichte ist weitaus komplizierter, als sie von außen scheint. Richard. Nehmen wir an, der Mörder hat im Affekt gehandelt und wusste nicht was er tat. Wie würde das den Fall verändern?“ Richard, der auf einem Sessel ihr gegenüber saß, verschränkte die Arme und fasste sich ans Kinn. Er überlegte kurz und antwortete schließlich: „Das wirft tatsächlich ein neues Licht auf den Fall. Aber es muss gründlich recherchiert und mit stichhaltigen Beweisen hinterlegt werden.“ Sarah nickte. „Richtig. Jetzt kommt ihr ins Spiel.“ Sie sah zu Kai und Kairi, die ihr in die Augen sahen. „Seit ihr in den Fall involviert? Ich habe gelesen er wurde neu aufgerollt?“ „Ja, richtig.“ Fing Kairi an. „Wir sind beide an den Ermittlungen beteiligt.“ „Könnt ihr euch noch mal auf die Suche nach neuen Hinweisen machen?“ fragte Sarah und wandte sich wieder der Runde zu. „Was ist? Es scheint als wolltest du den Mörder schützen?“ fragte Christopher nun. „Ja… Bitte vertraut mir. Ich weiß nicht, was ich tun kann, um ihm zu helfen, aber ich will nichts unversucht lassen. Glaubt mir, er ist kein kaltherziger Mörder. Ich will auch nicht, dass er, sollte er wirklich die Tat begannen haben, ungestraft davon kommt. Ich will einfach nur die ganze Wahrheit wissen. Vielleicht findet ihr noch etwas. Ein Detail, dass entscheidend ist für den gesamten Fall. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Ich habe das Gefühl, dass da noch mehr dahinter steckt.“ Erklärte Sarah mit bedrückter Stimme. Ihre Freunde verstanden sie und hielten wie immer zu ihr. Sarah konnte es nicht erklären. Aber irgendetwas sagte ihr, dass an dieser tragischen Geschichte noch mehr dran war. Eine wichtige Begebenheit, von der Erik auch nichts wissen konnte. „Wenn ich dich richtig verstanden habe, sollen wir also nicht die Ermittlungen und Ergebnisse behindern oder fälschen…?“ fragte Richard und Sarah unterbrach ihn sofort. „So ein Unsinn! Das würde euch nur selbst in Gefahr bringen. Ich will die ganze Wahrheit. Kai, Kairi. Hängt euch hinter!“ befahl sie nun, stand auf und sah die beiden mit ernstem Blick an. Diese salutierten nun vor ihr. „Jawoll, Sir!“ sagten sie salopp. Sarah war schon so lange mit den beiden befreundet, dass sie sich einen solchen Ton durchaus erlauben konnte und richtig ernst, war der Befehl auch nicht gemeint. Schließlich würden Kommissar Kraft und Kommissarin Wunderlich in dem Fall so oder so weiter ermitteln. Das Treffen setzte sich fort und sie tauschten sich noch ein wenig über den Mordfall aus. Schließlich wechselten sie jedoch das Thema und redeten über alles Mögliche. Sarah beispielsweise erzählte von ihrer Zeit in der HMT, ließ den Teil mit dem Phantom dabei aber aus. Die Stimmung war ausgelassen und heiter. Das war das erste Mal seit langer Zeit, dass alle wieder fast vollzählig zusammen waren und so miteinander reden konnten. Sie genossen diesen Moment und Sarah hoffte, er würde nie enden. Die neue Woche startete nebelig und trüb. Ebenso bedeckt wie der Himmel, war auch die Stimmung unter Maora, Takuto und Sarah. Sie wollten nach dem Unterricht alle zusammen zu Erik gehen, wo dann offene Fragen beantwortet werden würden. Darauf bestanden die beiden Japaner und Sarah musste wohl oder übel darauf eingehen. Wie schon letzte Woche, setzten sich Tim und Gregor in der Pause zu dem Trio. Tatsächlich entwickelte sich langsam eine Freundschaft zwischen ihnen. Trotzdem behielt das Trio das Geheimnis des Phantoms stillschweigend für sich und sie verloren kein einziges Wort über das Thema. Schließlich war die Zeit der Wahrheit gekommen und unbemerkt gingen Sarah, Maora und Takuto in den Geheimgang, um so zu Erik zu gelangen. Dieser war bereits informiert und stand den Fragen von Maora und Takuto ebenso offen entgegen, wie Sarah, die sich neben ihn setzte. „Also… Wie hat das angefangen? Erzähl von Anfang an!“ sagte Maora und sah Sarah an. Diese begann nun die Geschichte zu erzählen, wie sie Erik kennen lernte und er schaltete sich ein, wenn er was zu ergänzen hatte. Takuto und Maora waren ziemlich verblüfft über all diese Dinge, die sie da hörten. All das geschah quasi in ihrem Beisein und trotzdem hatten sie nie etwas bemerkt. „Ach! Dann warst du die verkleidete Fee?!“ erkannte Takuto schockiert und Erik nickte. Wieder war eine Frage mehr beantwortet. Lediglich den Teil mit Eriks und Sarahs Vergangenheit ließen sie aus. Diese Geheimnisse sollten, zumindest vorerst, in der Dunkelheit dieser Räume bleiben. An diesem Punkt waren sie sich einig. Schlussendlich blieb nur eine Frage offen, die Maora nun aussprach. „Und was machen wir jetzt? Du bist ein gesuchter Mörder. Du kannst nicht einfach hier raus spazieren und auf heile Welt spielen.“ Das war eine Tatsache, an der sich nun alle vier den Kopf zerbrechen durften. Zwar hatte Sarah noch keine Lösung, aber sie erzählte, dass sie bereits einiges in Bewegung gesetzt hatte. „Du hast…?“ fing Erik an und sah entsetzt zu ihr. „Keine Angst. Ich habe nichts von dir verraten. Zwei meiner Freunde sind Kommissare und an dem Fall dran. Sie werden bestimmt etwas finden, was dich entlastet. Hoffen wir das Beste.“ Erklärte Sarah und Erik war beruhigt, dass sie sich noch immer an ihr Versprechen hielt. Takuto dagegen schüttelte erschrocken mit dem Kopf. „Wie? Was? Kommissare? Sag mal, Saku. Was hast du denn für Kontakte?!“ Sarah kratzte sich verlegen am Hinterkopf und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Takuto fand diese Nähe zu Kommissaren ein wenig riskant, da sie Erik so leichter finden würden. Doch Sarah versicherte ihnen, dass sie ihren Freunden vertrauen konnte. Wenn nicht ihnen – dann niemandem. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis Kai und Kairi etwas herausfanden. Allerdings stießen sie auf keine neuen Details, sondern nur auf bereits bekannte Tatsachen, die Erik jedoch stark belasteten. Der Abschiedbrief seiner Mutter, würde ihn zumindest von der Anschuldigung ihres Mordes freisprechen. Der Mord an seinem Vater jedoch, stellte viele Fragen in den Raum. Während Sarah mit ihren Freunden in der HMT war und die Geschichte erzählte, waren Kai und Kairi im Revier, wo sie am Computer einige Daten überprüften. Kai trank gerade eine erfrischende Cola, als er leicht mit der Hand auf den Tisch schlug und entsetzt den Kopf schüttelte. „Was sind das nur für schlampige Arbeiten? Diese Spuren hier wurden übersehen. Kairi. Sieh dir das an.“ Sagte er in seinem Bürostuhl sitzend, als Kairi sich neben ihn stellte und auf den Bildschirm sah. „Das sind bislang unbekannte Spuren einer weiteren Person. Da war noch jemand in der Wohnung, als der Mord geschah. Der Abgleich mit unserem System wirft ein ganz neues Licht auf den Fall. Sieh!“ sagte Kai, drückte einige Tasten und das Profilbild eines bereits vorbestraften Mannes war auf dem Bild zu sehen. „Na sieh einer an. Den kennen wir doch.“ Erkannte Kairi und beide sahen sich verblüfft an. „Sarah hatte Recht. Da steckt mehr dahinter. Jetzt müssen wir nur noch Beweise finden, dass er der Mörder ist und nicht der Sohn Erik.“ Erkannte Kai und sah seine Kollegin an. Diese war ebenso überrascht wie er und gleichzeitig war sie zuversichtlich, dass das nun der ersehnte Hinweis war, nachdem Sarah gehofft hatte, dass er gefunden wird, wenn er denn existierte. Kapitel 17: Da capo ------------------- Kapitel 17: Da capo „Bitte gib gut auf dich Acht, mein Kind.“ An jenem Tag vor sieben Jahren in der Landeshauptstadt Schwerin, regnete es den ganzen Tag leicht vor sich hin. Kleine Pfützen auf den Bürgersteigen wurden immer größer. Die Kinder kamen von der Schule und öffneten sogleich ihre Regenschirme. Die berufstätigen Menschen fuhren mit der Bahn oder ihrem Auto zur Arbeit oder in den Feierabend. Es war ein ganz normaler Tag. In seiner eigenen Wohnung, saß Erik in seinem Arbeitszimmer und schuf einen neuen Song für eine Oper, an die er schrieb. Er verdiente sein Geld damit, seine Songs und andere Werke an Firmen zu verkaufen. Das gab ihm die Möglichkeit, so wenig wie nötig seine Wohnung verlassen zu müssen. Der Computer war mit dem angebundenen Internet das einzige Fenster zur Außenwelt. Er war in einem Forum eingeschrieben, wo er sich mit allen möglichen Leuten über Kunst und Musik austauschte. Doch mit drei Personen, hatte er immer wieder zu tun und so konnte er das schon eine Internetfreundschaft nennen. Es war sogar zu einem Treffen gekommen, was diese Freundschaft jedoch nicht gefährdete, wie Erik zunächst annahm. Sein Äußeres war gewöhnungsbedürftig, aber keines Falls abschreckend. So hatte es ihm einer seiner Bekannten gesagt. Darüber hinaus hielten ihn seine Freunde für ein wahres Genie. Er war begabt in Kunst, Musik und Architektur. Sein Talent stand außer Frage. Doch es sollte alles anders kommen. An diesem Nachmittag beendete er gerade einen siebenminütigen Song, an dem er wochenlang gearbeitet hatte. Er legte sein Arbeitszeug bei Seite und lehnte sich entspannt in seinen Stuhl zurück. Plötzlich klingelte das Telefon und er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Er stand auf und ging im schnellen Schritt ins Nebenzimmer, wo er sofort das Telefon griff. „Ja, hallo?“ „… Erik? Ich bin’s, deine Mutter.“ Er schrak auf. Sie weinte bitterlich, ihre Stimme zitterte und war kaum zu verstehen. Besorgt fragte er, was los sei, obwohl er es sich schon fast denken konnte. „Dein Vater… Er ist wieder ausgerastet.“ Sie musste schlucken und sich die Tränen aus dem Gesicht wischen, während sich Eriks Augen gerade mit solchen füllten. „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte.“ „Mam, so zieh doch endlich da aus!“ sagte Erik nun mit Nachdruck in den Hörer. „Wenn das so einfach wäre, mein Sohn. Er hat gedroht mich überall aufzufinden. Das würde gar nichts bringen. Die Angst würde bleiben. Aber solange ich hier bin, wird er dir nichts tun.“ Er wurde hellhörig. Sie erklärte ihm, dass es ihr gelungen war, einen geheimen Pakt mit ihrem Vater zu schließen. Sie würde bleiben und als Gegenleistung verzichtete er darauf, nach seinem Sohn zu suchen. In Eriks Gesicht sammelten sich die Zornesfalten und er ballte eine Hand zur Faust. „Erik. Hör mir gut zu mein Junge.“ Sagte sie nun mit ruhiger und mütterlicher Stimme. „Sollte mir etwas passieren, so zögere nicht die Stadt zu verlassen. Geh zu deinem Onkel nach Rostock. Er wird dir helfen. Er hat sich schon um dich gekümmert, da warst du noch ein ganz kleines Kind. Er ist mehr Vater, als es Jean je war. Glaube mir.“ „Was redest du da? Dir wird nichts passieren! Komm zu mir! Du kannst bei mir wohnen. Ich habe nicht viel Platz, aber es wird reichen! Besser als in der Hölle, in der du jetzt noch lebst.“ Nun floss ihm eine Träne das Gesicht herunter. Doch er riss sich so gut es ging zusammen, damit seine Mutter nicht merkte, dass es weinte. „Es tut gut, deine Stimme zu hören. Bitte gib gut auf dich Acht, mein Kind. Ich liebe dich!“ sagte sie und legte dann den Hörer auf. Erik schrak auf. Er hatte ein ganz ungutes Gefühl und obwohl alles in ihm sich sträubte diese Wohnung je wieder zu betreten, schnappte er sich kurzerhand seine Sachen und seinen Autoschlüssel und fuhr los. Außerhalb seiner vier Wände, trug Erik steht’s eine schwarze Maske, die seine Stirn, seine Augen und seine Wangen verdeckten. Das gab ihm den Spitznamen Phantom der Oper, welches, Gerüchten zu folge, vor Jahren in Paris gelebt haben soll. Dieses Gerücht wurde auch noch durch Eriks Nachnamen, der typisch französisch war, angeheizt. Er setzte sich in sein Auto und fuhr los. Die Fahrt führte ihn durch die ganze Stadt und dauerte ziemlich lang, da er in den Berufsverkehr kam. Immer wieder fing er an zu fluchen und konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Hecktisch stieg er aus dem Wagen aus, als er endlich bei der Wohnung seiner Eltern ankam. Er hatte sicherheitshalber seine alten Schlüssel behalten und betrat das Wohnhaus. In Windeseile rannte er das Treppenhaus hinauf in den vierten Stock und öffnete dort die Tür, die er geschworen hatte, nie wieder zu öffnen. „Mam?“ schrie er durch die Wohnung und betrat diese mit einem mulmigen Gefühl. Hecktisch ging er ins Wohnzimmer und als er dort niemanden fand in die Küche. Doch auch die stand leer. Alles war aufgeräumt wie immer. Der Fernseher lief und Erik sah sich ratlos um. Doch dann sah er, dass die Badezimmertür einen Spalt aufstand und das Licht darin eingeschaltet war. Er rannte hin und öffnete die Tür. Sein Atem stockte zugleich. Seine Hände fingen an zu zittern. Missverständnis breitete sich in seinem Gesicht aus, als er den bewegungslosen Körper seiner Mutter vor sich sah. Leblos hing sie über der Badewanne, in der rechten Hand ein Messer halten. Es dauerte einige Sekunden, bis Erik registrierte, dass vor der Badewanne einige Blutflecken um seine Mutter waren und als er schließlich zu ihr eilte sah er, dass die Badewanne voller Blut war. Er nahm sie in den Arm und fing an zu schreien. „Mam, bitte sag doch was!“ Aber sie war schon ganz kalt und ihr Gesicht war blass. Langsam wurde ihm bewusst, dass er seine tote Mutter im Arm hielt und fing nun an zu weinen. Er konnte es nicht fassen. Nein – er wollte es nicht fassen. Er öffnete seine verweinten Augen wieder und sein Blick fiel auf ein Blatt Papier, welches in seiner Reichweite lag. Mit zittriger Hand nahm er ihn auf. Es waren einige Blutspritzer auf dem Brief, aber er konnte ihn problemlos lesen. Das heißt, er hätte ihn problemlos lesen können, wenn seine Augen es ihm denn erlaubten. Doch die Tränen verhinderten dies und so gab sich Erik diesem Augenblick der Verzweiflung, nichts tuend hin. Es vergingen nicht mal fünf Minuten, als eine weitere Person die Wohnung betrat. Es war sein Vater, der das Licht im Badezimmer bemerkte und nun in der Tür stand. Er sah seinen Sohn, der den Körper seiner toten Frau in den Armen hielt. Da Erik mit dem Rücken zur Tür kniete, hatte er ihn noch nicht bemerkt. Erst als sein Vater Jean anfing zu reden, schrak der junge Mann auf und ein kalter Graus durchfloss seinen Körper. „Hm… Was soll man dazu sagen? Hat diese Schlampe es also letztlich doch getan.“ Sagte Jean nun herablassend und fing leicht zu lachen an. In Erik tobte nun ein erbitterter Kampf. Es schienen Elektrostöße durch seinen Körper zu fließen, die ihn im ersten Moment keine Möglichkeit der Reaktion gaben. Lediglich sein Blick war voller Hass, gemischt mit den Tränen der Verzweiflung. Zügig und doch behutsam legte er seine Mutter auf den Boden und dann ließ er seinem Zorn freien Lauf. Ruckartig stand er auf, drehte sich zu seinem Vater um und schlug ihn zu Boden. Dieser hatte noch nicht begriffen, dass er am Boden lag, als sein Sohn wieder ankam und erneut auf ihn einprügelte. Er hielt sich nicht zurück, er nahm keine Rücksicht und nach wenigen Schlägen blutete sein Vater aus der Nase und sein Gesicht zeigte bereits erste blaue Flecken. Sich noch am Boden drehend vor Schmerzen, sah Jean zu seinem Sohn auf, der nun aufgestanden war. Aber Erik zeigte keine Gnade. Seine Augen schienen rot zu leuchten, zumindest dachte das sein Vater und im nächsten Moment trat Erik ihm in die Rippen. Wieder und wieder und immer wieder. „Erik, hör auf!“ sagte sein Vater schließlich blutspuckend. Erik beugte sich zu ihm runter, fasste seinen Vater am Kragen und zog ihn zu sich heran. Mit verachtendem Blick und zorniger Stimme erwiderte er nun: „Du hast bei meiner Mutter und mir doch auch nie Gnade gekannt. Dieser Schmerz ist nicht mal annähernd mit unserem vergleichbar.“ Dann ließ Erik ihn wieder fallen und ging in die Küche, wo er sich das größte und schärfste Messer suchte, dass er finden konnte. Jean sah ihm nach und als er seinen Sohn mit einem Messer zurückkommen sah, versuchte er aufzustehen. Er versuchte sich an der Kommode hochzuziehen und drehte Erik den Rücken zu. In diesem Moment geschah es und Erik stach zu. Jean schrie vor Schmerzen auf, doch Erik schien es zu genießen. Er zog das Messer heraus und stach ein zweites Mal zu. Ein weiteres Mal wiederholte er es, bis der junge Mann nun endlich zur Besinnung kam und das Messer entsetzt fallen ließ. Er nahm einige Schritt Abstand von seinem Vater, der sich nun am Boden vor Schmerzen krümmte. Erik sah ihn zornig an. Doch dieser Moment währte nur kurz, denn als er seine Hände hob und sie ansah, wurde ihm plötzlich seine unwiderrufbare Handlung bewusst. Erschrocken über sich selbst, sammelten sich Eriks Augen nun erneut mit Tränen. Dann hörte er, wie jemand das Treppenhaus betrat und sein Herz fing an wie wild zu rasen. Er musste handeln. Kurzerhand lief Erik zurück ins Badezimmer, wusch sich kurz die Hände und andere Blutflecken grob aus und nahm den Abschiedsbrief seiner Mutter. Dann betrachtete er sie noch einmal kurz, bevor er dann aus der Wohnung lief und über einen Umweg das Haus verließ. „Schön und gut. Aber kannst du mir mal erklären, warum einige Chemikalien aus dem Labor des Vaters verschwunden sind? Das ergibt doch keinen Sinn. Welches Interesse sollte Erik denn daran haben?“ fragte Kairi, die gerade zusammen mit ihrem Partner Kai den Fall aufrollte und im Begriff war diesen zu lösen. „Und eben darum sagte ich, dass sei schlampige Arbeit. Auf dem Messer befinden sich noch weitere Fingerabdrücke, die übersehen oder nicht für Voll genommen wurden. Und diese Fingerabdrücke führen uns zu diesem Typen hier. Unserem bekannten und bereits gesuchten Mörder.“ „Ich erinnere mich. Seine Gang trieb sich ein Jahr zuvor in Rostock herum. … Die roten Schakale. Sie wurden nie gefasst, da man nie wusste, wo sie sich gerade rum trieben. Er ist der Mörder von…“ erkannte Kairi und nun fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Kai sah sie mit ernstem Blick an. „Iris.“ Mit lauten Gesprächen betraten die roten Schakale das Wohnhaus, bis der voraus gehende Mann sie zur Ruhe aufforderte. „Pssst. Ihr Hohlbirnen. Es muss nicht schon im vorneherein jemand auf uns aufmerksam werden.“ Sie gingen die Treppen hinauf und begegneten keiner Menschenseele. Drei Viertel der Wohnungen war mit alten Menschen besetzt, die sich kaum noch rühren konnten. Das wusste die Bande, um den Bandenchef Johnny natürlich, denn sie hatten gut recherchiert. Als sie im vierten Stock ankamen, merkten sie, dass die Tür zur Wohnung ihres zu besuchenden Exlehrers aufstand. Irritiert sah sich Johnny zunächst im Treppenflur um, bis er feststellte, dass die Luft rein war. „Mann, wir haben heute vielleicht ein Glück.“ Stellte einer seiner Mitglieder fest und mit einem etwas mulmigen Gefühl in der Magengegend betrat Johnny als erster die Wohnung. Er sah sofort den am Boden liegenden und jammernden alten Lehrer, nachdem er gesucht hatte. Kopfschüttelnd und siegessicher ging er auf ihn zu. „Wenn das nicht mein Glückstag ist. Da komme ich mit der Absicht her, sie zu foltern und zu töten, bin froh, dass mir alle Türen offen stehen und dann muss ich feststellen, dass mir schon jemand zuvor gekommen ist.“ Er kniete sich vor den geschwächten Mann hin, während seine Leute wie besprochen ins Zimmer mit den Chemikalien aufmachten. „… Was? Wer bist du?“ fragte Jean geschwächt. „Tu was und ruf einen Krankenwagen!“ forderte er ihn dann noch auf, nicht wissend, wen er da vor sich hatte. „Herr Chevallier. Erinnern sie sich etwa nicht an mich? Johnny? Sie haben mich in Chemie durchfallen lassen. Wegen ihnen bin ich von der Schule geflogen und mein Leben hat sich gänzlich verändert.“ Erklärte Johnny, der nun leicht zornig wurde und schließlich das blutige Messer erblickte. „Rede nicht so einen Unsinn, Junge. Hilf mir!“ Doch damit stieß der sterbende Mann auf taube Ohren. Johnny sah ihn nur verachtend an. Dann stand er auf und ließ von ihn ab. Er sah sich die wohl dekorierte Wohnung an und es vergingen einige Minuten, bis seine Leute aus dem Chemiezimmer wieder mit Sack und Tüten heraus kamen. Er wandte sich ihnen zu. „Habt ihr alles?“ „Jawohl!“ antworteten einige seiner Leute sofort und Johnny ging wieder auf seinen Lehrer zu. Er nahm das Messer und kniete sich wieder vor ihm hin. „Wissen sie, Herr Chevallier. Sie haben wirklich alles. Eine Frau, einen Sohn, einen guten Beruf, eine hübsche Wohnung.“ Doch plötzlich riskierte einer seiner Männer einen Blick ins Bad. „Ach du scheiße. Hier liegt ne tote Frau.“ Johnny grinste niederträchtig. „Okay, ich korrigiere mich. Sie hatten eine Frau, einen Sohn und so weiter. Aber das spielt jetzt ehe keiner Rolle mehr. Da ich sowieso bereits wegen Mordes gesucht werde, kommt es auf einen Toten mehr oder weniger auch nicht mehr an.“ Jean Chevallier glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Sein ganzes Leben zog auf einmal vor seinem geistigen Auge vorbei. Johnny hatte gar nicht so Unrecht. Er hatte alles und er hat alles verspielt. Dann holte Johnny zum Gnadenstoß aus und schnitt dem bereits schwer verletzten Mann die Kehle durch und besiegelte damit sein Schicksal. Anschließend flohen die roten Schakale unbemerkt und der nächste Nachbar, der vorbeikommen würde, würde einen Schock fürs Leben erleiden. Auf einmal öffnete sich die Tür zum Büro der beiden Kommissare und ein Kollege betrat mit einer wichtigen Eilmeldung das Zimmer. „Sie hatten Recht!“ fing er aufgeregt an und Kai und Kairi wandten sich ihm zu. „Die Todesursache waren nicht die drei Stiche am Rücken, sondern der Schnitt durch die Kehle.“ Kairi schüttelte nur den Kopf. „Das ist doch logisch, du Genie. Welche Wunden wurden ihm zuerst zugeführt?“ „Äh… ja.“ fing der junge und offensichtlich neu angestellte Kollege stotternd an und las den neuen Bericht aus der Gerichtsmedizin vor. „Zunächst wurde das Opfer mit drei Messerstichen in den Rücken schwer verletzt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 % hätte er das jedoch überlebt, hätte man ihn rechtzeitig gefunden. Noch als das Opfer lebte, wurde ihm einige Minuten später die Kehle durchgeschnitten, was zum schnellen Tod des Opfers führte.“ Ein weiterer Kollege betrat nun das Zimmer und legte seine Ergebnisse vor. Er übergab Kommissar Kraft ein Blatt Papier. „… Wie wir es uns gedacht haben. Wenige Minuten nach dem Mord, rief jemand von einer nah gelegenen Telefonzelle den Krankenwagen und bestellte diesen zur Wohnung des Opfers.“ Kairi nickte, bedankte sich bei den Kollegen und schickte diese wieder raus. „Das ist kein Zufall. Das war mit Sicherheit Erik. Bei einer Zeugenbefragung wird er uns das bestimmt bestätigen.“ Erkannte sie und erhielt Zuspruch von Kai. „Richtig. Das wird ihn noch mal mehr entlasten.“ Sie hatten es tatsächlich geschafft. Sie hatten den Fall gelöst und konnten sogar Beweise vorlegen. Um den endgültigen Beweis abzuliefern, mussten sie jetzt nur noch die roten Schakale finden und die gestohlenen Chemikalien sicher stellen. Sie waren sich sicher, dass sie Johnny finden würden, denn schon allein für den Mord an ihrer Freundin, musste er zur Rechenschaft gezogen werden. Das stachelte die beiden natürlich umso mehr an und sie fingen sofort mit ihrer Suche an. Kapitel 18: Die Mutter ---------------------- Kapitel 18: Die Mutter „Was sagt dir dein Herz?“ Noch völlig verstört von den gestrigen Ereignissen, war Erik auf den Weg nach Dresden. Während der langen Autofahrt, ging ihm vieles durch den Kopf. Ob sein Vater noch lebte? Ob der Rettungswagen, den er rief, noch rechtzeitig eingetroffen war? Er hatte so einen Zorn auf seinen Vater, dass er gar nicht anders handeln konnte. Aber jetzt schien es an ihm zu nagen. Er wollte nie so werden wie sein Vater und doch war er jetzt dessen Abziehbild. Das dachte er zumindest. Im Autoradio verfolgte Erik die Nachrichten. Als plötzlich über einen Mord in Schwerin berichtet wurde, drehte er die Lautstärke auf und hörte aufmerksam hin. „Gestern hat sich im Schweriner Stadtteil Lankow ein grauenvolles Ereignis abgespielt. Zwei Eheleute wurden den derzeitigen Nachrichten zufolge, tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Ermittlungen wurden aufgenommen.“ Erik konnte sich seinen Reim darauf machen und versuchte sich mit Musik abzulenken, indem er eine CD einlegte. Auf dem Rücksitz seines Autos, waren einige Sachen, die er schnell zusammengepackt hatte. Sein Kopf war voller Fragen und er wusste nicht genau, was ihm nun bevorstehen würde. Er wusste nur, dass er den letzten Wunsch seiner Mutter erfüllen musste. Endlich in der sächsischen Stadt angekommen, machte sich Erik ohne Umwege sofort auf den Weg zu seinem Ziel; der Dresdener Oper. Es war bereits dunkel und das Gebäude war nur noch eine halbe Stunde für Besucher geöffnet. Doch kaum hatte er das Gebäude betreten, wusste er nicht weiter. Er holte den Abschiedsbrief seiner Mutter heraus und las noch mal Zeile für Zeile, auf der Suche nach einem Hinweis. „Erik. Mein lieber, lieber Sohn. Bitte verzeih mir mein Handeln. Ich war dir eine schlechte Mutter. Viel zu spät habe ich gemerkt, was für einen Mann du zum Vater hast und als ich es erkannte, war es bereits zu spät dich aus seiner Reichweite zu bringen. Ich habe die friedliche Zeit genossen, als du ein Baby und Kleinkind warst. Dein Vater war nicht immer so ein Mensch. Es tut mir im Herzen weh, dass du ihn nie als den Mann kennen lernen konntest, in den ich mich einst verliebte. Ich hoffe, dass er sich ändert. Nur der Glaube dazu fehlt mir. Erik, wenn der Schmerz für dich unerträglich wird, wende dich an deinen Onkel. Er lebt derzeit in Rostock. Er wird dir helfen. Eine Sache solltest du noch wissen. Wie der Name Chevallier schon verrät, stammen unsere Vorfahren aus Frankreich. Ich weiß nicht, ob du mit dem Vorfall vertraut bist, der sich 1871 in Paris ereignet hat. Dein Ursprung, mein Kind, liegt dort. Wenn ich heute dein Gesicht ansehe, siehst du ihm ähnlicher, als sonst irgendeiner aus unserer Familie. Darum verrate ich dir ein Geheimnis. In der Dresdner Oper liegt ein Erbstück der Familie versteckt, dass von deinem Urgroßvater vor einigen Jahren dahin gebracht wurde. Du wirst es erkennen, wenn du es siehst. Als Hinweise gebe ich dir die Zahl 5. Und dann wirst du auch deine Verbindung mit dem Vorfall von 1871 verstehen. Ich wünsche dir von Herzen, dass du glücklich wirst. Ich liebe dich, mein Sohn.“ [Du wirst es erkennen, wenn du es siehst.] Doch das half ihm im Moment gar nicht und sah sich weiter um. Sein Weg führte ihn quer durch das ganze Gebäude und ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er hielt inne und dachte noch mal in Ruhe nach. [Als Hinweise gebe ich dir eine Zahl; 5.] Aber auch dieser Hinweis brachte ihn im Augenblick nicht weiter und schließlich wurde er von einem der Sicherheitsleute angewiesen, das Haus in einigen Minuten zu verlassen. Überrascht von Eriks maskiertem Gesicht, zog sich der Mann jedoch erschrocken schnell wieder zurück. Dieser sah sich um und nun fiel ihm auf, dass er bei den Logen angekommen war. Kurz innehaltend beschloss er nun, zur Loge Nr. 5 zu gehen und im schnellen Schritt, war er da auch im Nu angekommen. Er betrat die Loge und sah in den Opernraum und auf die Bühne. Er konnte sehen, dass die Leute langsam die Oper verließen und er musste sich beeilen. Er durchsuchte jede Ecke, hinter jedem Vorhand, allerdings ohne Resultat. Auch unter dem Stuhl sah er nach, aber auch das blieb ergebnislos. Doch auf einmal schien er eine Art Schalter gefunden zu haben und betätigte diesen. Erik staunte nicht schlecht, als sich ein Geheimfach am Stuhl öffnete. Er griff hinein und holte eine weiße Maske heraus. Verblüfft, erschrocken und irritiert sah er diese nun an und dutzende Fragen kreisten in seinem Kopf herum. Das war also das Erbe der Familie – das Erbe des Phantoms der Oper. Ruckartig aus einem Traum erwachend, öffnete Erik seine Augen und richtete sich an diesem Morgen auf. Er fuhr mit einer Hand durchs Gesicht und sah anschließend auf seinen Nachttisch, wo die weiße Maske lag. Er dachte zurück an jenen Tag, als er sie in der Oper fand. Von seinem Onkel, den er damals im Anschluss aufsuchte, erfuhr er von der Geschichte, die mit dieser Maske in Verbindung stand. Tatsächlich gab es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Phantom der Oper. Doch er wollte nicht so werden. Er wollte kein wahnsinniges Genie sein, der zum Mörder werden würde. Und doch, war er letzteres bereits. Zumindest dachte er das. Die Woche war sehr ruhig und er bekam oft Besuch von Sarah, Maora und Takuto. Das brachte ihn natürlich zwangsweise in die Situation darüber nachzudenken, ob er diese dunklen Gänge und Zimmer, in ein Leben außerhalb dieser Gemäuer eintauschen wollte oder nicht. Diese Entscheidung konnte ihm niemand abnehmen. „Ihr habt einen Song geschrieben?!“ fragte Maora überrascht, als das Thema zur Sprache kam. Während Takuto sich an einer Konzertgitarre zu schaffen machte, saß Erik an seinem Schreibtisch. „Ja, das heißt. Wir haben angefangen. Er ist aber noch nicht fertig. Wir wissen noch nicht einmal einen Titel.“ Erklärte er und plötzlich öffnete sich die Tür und Sarah trat ein. „Hallo, alle zusammen. Hier sind die China-Pfannen!“ sagte sie fröhlich und brachte in einer Plastiktüte, die von ihren Freunden bestellten Mahlzeiten mit. Takuto stand sofort auf, denn er hatte, wie er selbst sagte, einen Bärenhunger. Erik dagegen, kam zum ersten Mal in den Genuss einer China-Pfanne und er wusste nicht, was ihn erwartete. Die Stimmung war ausgelassen und heiter. Das Band der Freundschaft zwischen den Vieren vertiefte sich immer mehr. Das war für Erik das erste Mal in seinem Leben, dass er mit so vielen Leuten auf einmal zusammen war, wenn man mal die Schulzeit außen vorlässt. Sie musizierten zusammen, sie schrieben gemeinsam und auch der Spaß kam dabei natürlich nicht zu kurz. So verging die Woche fast wie im Flug. Am Freitag war dann auch endlich der gemeinsame Song von Erik und Sarah fertig. Es fehlte nur noch ein Titel, aber da wollten sich Maora und Takuto nicht einmischen und so verließen sie die Runde schon vorzeitig. „Alles klar! Schönes Wochenende euch beiden!“ sagte Sarah, bevor die Tür zuschnappte. Sie stand an Eriks Schreibtisch und hielt die Lyrics des Songs in der Hand. Sie betrachtete die Zeilen und überlegte sich einen Titel. Dann griff sie nach einem Bleistift und schrieb vier Worte in die Kopfzeile. Anschließend legte sie Erik das Blatt vor, der sich den Titel ansah. „… Ja. Das ist gut. Das gefällt mir sogar sehr gut. Den nehmen wir.“ Sagte er dann freudestrahlend und stand auf. Beide waren glücklich, dass ihre gemeinsame Arbeit nun endlich Früchte trug und sie den Song bald zusammen spielen würden. Während Sarah sich noch einmal das Blatt schnappte und die Lyrics verinnerlichte, stand Erik neben ihr und betrachtete sie stumm. Sollte er jetzt etwas sagen oder sollte er doch für immer schweigen? Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und im nächsten Moment nahm er sie ohne Vorwarnung in den Arm. Sarah war sehr verdutzt darüber. „Eh? Was soll das denn jetzt?“ fragte sie und musste etwas lachen, weil sie dachte, dass es seine grenzenlose Freude über die Fertigstellung des Songs war. „Pssst. Nicht jetzt.“ Fing er mit sanfter Stimme an. „Wir wissen nicht, was der Morgen bringt. Lass mich diesen Moment genießen. Bitte.“ Sie verstand was er meinte – oder glaubte es zumindest und so ließ sie es einfach, wie es war. Sarah dachte daran, was passieren würde, wenn Kai und Kairi keine positiven Nachrichten mitbringen würden und schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Stattdessen dachte sie an einen positiven Ausgang und fragte sich im nächsten Moment, ob er in Zukunft in Freiheit leben wollen würde, oder ob er sich so an die Dunkelheit gewöhnt hatte, dass er hier bliebe. Das konnte sie nur spekulieren und letzten Endes war es auch nicht ihre Entscheidung. Nach einigen Minuten, ließ er sie dann wieder los und sie setzten sich auf die Couch im Nebenraum. Dort wollte er mit ihr noch mal in Ruhe reden. Eine Sache, die er ihr nämlich noch nicht erzählt hatte, war, wie er zu der weißen Maske gekommen war und eben das holte er nun nach. In dem Zusammenhang zeigte er ihr auch den Abschiedsbrief seiner Mutter. Doch kaum hielt Sarah diesen in der Hand, sah sie ihn fragend an. „Was soll das? Das dürfte ich eigentlich gar nicht sehen. Das ist Familienintern. Das geht mich doch gar nichts an.“ Erklärte sie und er lächelte sie an, was Sarah jedoch nur noch mehr verwirrte. „Für mich zählst du bereits zur Familie.“ Sagte er dann. Er hatte eine solche Liebe in der Stimme, als er das sagte, dass es Sarah schon richtig unangenehm war und sie leicht errötete. Sie schüttelte den Kopf und faltete den Brief wieder zusammen. Dann nahm sie seine linke Hand und gab ihm den Brief zurück. „Nein. Das ist nicht für meine Augen bestimmt. Trotzdem vielen Dank für dein Vertrauen und deine lieben Worte.“ Sagte sie nun und lächelte ihn an. Kurz war es still, als Sarah dann wieder das Wort ergriff. „Die Mutter ist eine äußerst wichtige Person. Das denke ich zumindest. Du bist mit ihr Verbunden, noch bevor du diesen Planeten betrittst.“ „Ja, da muss ich dir sogar Recht geben. Was mich angeht, war ich immer mehr mit ihr verbunden, als mit meinem Vater. Wie ist das bei dir?“ fragte er interessiert und mit ruhiger, sanfter Stimme. Sie atmete einmal tief durch bevor sie antwortete. „… Ja, bei mir... Keine Ahnung. Ich kenne dieses Gefühl zur Verbundenheit mit der Mutter auch. Allerdings zu einer Person, die nicht meine leibliche Mutter war. Ich weiß gar nicht, ob man das gleichsetzen kann.“ „Was sagt dir dein Herz?“ fragte er nun und sah ihr tief in die Augen. Auf einmal erkannte sie, dass er wahnsinnig schöne blaue Augen hatte. Seltsam, dass es ihr erst jetzt auffiel. Ihr war nicht ganz wohl und sah schnell zur Seite. „… Ähm.“ Sie hatte fast vergessen, worüber sie gerade sprachen. „Iris… Sie war meine Mutter. Das sagt mir das Herz.“ Dann erfasste Stille den Raum und das Licht der Kerzen vermittelten einen fast unheimlichen Eindruck. Erik betrachtete die junge Frau noch immer und das merkte sie auch. Allerdings war ihr ganz und gar nicht wohl bei dem Gedanken. Wieder fühlte sie sich wie ein hilfloses Lamm, das nur darauf wartete, vom Wolf angefallen zu werden. „Sag es.“ Forderte er sie nun auf. Doch sie verstand natürlich nicht, was er damit meinte und sah ihn fragend an. „Was bedeute ich dir?“ fuhr er nun fort und sie musste schlucken. Wie kam er denn jetzt auf die Schiene? Eigentlich kannte er doch ihre Antwort bereits. „Wir sind Freunde und somit bedeutest du mir sehr viel.“ Das war die Auskunft, die er erwartet, aber nicht erhofft hatte. Erik schloss kurz die Augen und lächelte, als er den Kopf senkte. Sarah hingegen sah ihn nur fragend an. In seinem Inneren tobte ein Kampf, den sie jedoch nicht bemerkte. Den niemand bemerkte. Dann stand er auf und ging zur Tür, vor der er jedoch stehen blieb. Dann wandte er sich ihr zu. „Was wäre, wenn ich auch wahnsinnig werden würde?“ Sarah schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ „Was wäre, wenn ich dich hier einsperren und nicht mehr rauslassen würde?“ fragte er anschließend und schloss in dem Moment die Tür ab, um seiner Frage Nachdruck zu verleihen. Über diese Frage war Sarah nun wirklich sehr verwundert, musste allerdings schmunzeln und hielt sich den Handrücken an den Mund. „Dann würden meine Freunde die Tür eintreten und du bekämst mächtigen Ärger, mein Lieber.“ Sie lachte kurz ein wenig und sah ihn anschließend wieder an. Eigentlich erwartete sie nun eine Erklärung, was diese seltsamen Fragen sollten, doch die bekam sie nicht. Erik lächelte nun ebenfalls und schloss die Tür wieder auf. „Ja, das stimmt wohl. Ich hatte es auch nicht vor, keine Angst.“ Nun stand Sarah auf und ging auf ihn zu. „War mir klar. Ich habe auch nicht geglaubt, dass du so was tun würdest. Mach dir keine Gedanken darüber, Erik. Du wirst bestimmt nicht wahnsinnig werden. … Aber ich werd jetzt mal langsam gehen.“ Nun gingen sie wieder zurück in das Arbeitszimmer, wo sich Sarah die Jacke anzog und ihre Sachen schnappte. „Also dann. Ein schönes Wochenende.“ Sagte Erik nun, während sie den Reißverschluss schloss. „Ja, wünsche ich dir auch. Schönes…“ Sie hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als er plötzlich ganz dicht bei ihr stand und ihr einen Kuss aufs linke Augenlid gab. [Was? Was? Was?!] Sie trat einen Schritt zurück und errötete. „Für schöne Träume.“ Fing er an, erhielt aber keine Antwort. „War das zu aufdringlich?“ fragte er zögernd und sah kurz beschämt zur Seite. Sarah fasste sich langsam wieder, antwortete aber stotternd. „Ähm, nein. … Passt schon. … Alles bestens. Das kam nur so unerwartet. … Dir auch… schöne Träume.“ Noch immer etwas verdutzt über diese Aktion, wandte sie sich nun von ihm ab, verließ das Zimmer und schloss auch die Tür hinter sich. Er hingegen blieb stumm stehen und betrachtete die Tür. Fast so wie ein Wolf, der darauf wartete, dass das Lamm zurück kommt. Doch die Tür blieb zu und in Gedanken versunken wandte er sich wieder einem seiner vielen Projekte zu. Kaum hatte Sarah die HMT verlassen, erhielt sie einen Anruf ihrer beiden Freunde Kai und Kairi, die ihr das Resultat ihrer Ermittlungen mitteilten. Jetzt mussten sie nur noch den eigentlichen Mörder finden und fassen… Kapitel 19: Versiegelte Worte des Herzens ----------------------------------------- Kapitel 19: Versiegelte Worte des Herzens „Ich bin frei.“ Es verging eine weitere Woche, in der Kai und Kairi intensiv nach dem roten Johnny suchten, wie er inzwischen unter ihnen hieß. Diesen Namen hatte er zum einen dem Namen seiner Bande und zum anderen der Farbe seiner Haare zu verdanken. Eigentlich sollte ein solcher Mann sehr auffällig und leicht zu finden sein. Doch das war es nicht. Schließlich war er der Polizei nicht einmal in den sieben Jahren ins Netz gegangen. Doch in diesen Jahren, waren Kai und Kairi nicht beteiligt gewesen und tatsächlich kamen sie der Gang auf die Spur. Die Verhaftung der fünfköpfigen Bande verlief ohne besondere Vorkommnisse, obwohl sie sich energisch zur Wehr setzten. Unter der Aufsicht der Kommissare, wurden die roten Schakale Sarah und ihren Freunden vorgeführt. Sie identifizierten die Bande als jene, die vor acht Jahren ihre Freundin Iris tötete. Das Urteil des Gerichts war eindeutig und fiel vor allem für Johnny arg ins Gewicht. Er bekam lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung, da er auch bei der Anhörung keine Reue zeigte. Der Rest seiner Bande musste auch lange sitzen und so war er nicht alleine in seiner Zelle. Doch auch Katarina Pfeiffer, Eriks Tante, wurde wegen Erpressung zu einer saftigen Geldstrafe verurteilt. Schließlich kam es zur Verhandlung, in der Erik sich zu verantworten hatte und nur in Gegenwart des Gerichts, der Anwälte, der Kommissare, seines Onkels und seiner Freunde wurde das Urteil gesprochen. Der Richter fasste aufgrund vieler Tatsachen, ein relativ mildes Urteil ins Auge. Doch kurz bevor der höchste Richter den Hammer fallen ließ, erhoben sich Kai und Kairi und baten um eine persönliche Unterredung. Er willigte ein und sie zogen sich in den hinteren Raum zurück. Erik saß zitternd neben seinem Verteidiger, denn auf versuchten Totschlag stehen einige Jahre Haft. Das war ihm klar und er hatte kein gutes Gefühl. Sein Blick schweifte zu Sarah. Diese sah ihn lächelnd an und versuchte ihm somit Mut zuzusprechen. Als sich die Tür schließlich wieder öffnete und der Richter zusammen mit Kai und Kairi in den Saal zurück kam, nickten die beiden Kommissare ihr zu. In dem Augenblick lächelte Sarah äußerst zuversichtlich und der Richter sprach schließlich das Urteil. Mit dem leichten Gefühl der Freiheit, verließ Erik zusammen mit seinen Freunden den Gerichtssaal und blieb vor dessen Tür stehen. Er hob seine Hände in Brusthöhe und sah diese an. „Ich bin frei.“ Erkannte er und seine Freunde lachten ihn an. Takuto schlug ihn auf die Schulter und grinste frech. Anschließend fiel der Japaner Maora in die Arme und Erik sah sich um. Er suchte nach Sarah, doch stattdessen kam nun sein Onkel auf ihn zu und umarmte ihn. „Ich kann es gar nicht fassen. Ich kann es einfach nicht fassen. Es ist vorbei.“ Es dauerte einige Augenblicke, bis der Direktor Erik wieder loslassen und ihn anlächeln konnte. Auch er konnte die Tränen nicht zurückhalten, die nun vor Freude aus ihn losbrachen. Erik sah nun an seinem Onkel vorbei, denn Sarah kam gerade mit ihren Freunden aus dem Gerichtssaal auf sie zu. Sarah blieb vor Erik stehen und auch ihre Freunde blieben kurz hinter ihr stehen. Die junge Frau, sah ihren Freund in die Augen und lächelte stumm. Er wusste aber ebenso wenig, was er sagen sollte und so sahen sich die beiden stillschweigend an, bis schließlich der Direktor das Wort übernahm. „Frau Schmidt… Ich meine Sarah. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wir haben ihnen so viel zu verdanken. Wie kann ich ihnen nur danken?!“ Nun fiel er ihr auch vor Freude um den Hals und Sarah lachte. „Ich habe ihnen doch gesagt, dass ich mich um meine Freunde kümmere. Ohne meine Freunde, wäre ein derartiges Happy End, aber auch nicht möglich gewesen, also schütteln sie ihnen auch noch mal gründlich die Hände.“ Erwiderte Sarah nun, was der Direktor prompt in Angriff nahm. Obgleich der Direktor und Erik sehr glücklich waren, so drangen immer wieder einzelne Fragen in ihre Köpfe. Allen voran natürlich, mit welchen Argumenten, Kai und Kairi ein derartig positives Urteil bewirken konnten. Und außerdem, wie der Prozess so schnell stattfinden konnte, denn für gewöhnlich dauert so etwas sehr lange. Letztlich, nahmen sie es einfach so hin. Sie waren mehr als zufrieden. Schließlich, verließen sie das Gerichtsgebäude und bevor sich ihre Wege wieder trennten, bat der Direktor Sarah, Maora und Takuto, morgen in sein Büro zu kommen. Die Drei wunderten sich zwar, was er nun im Schilde führte, aber sie hatten das Gefühl, dass es etwas Gutes sein würde. Sarah setzte sich ins Auto und wurde von Kai und Kairi nach Hause gefahren. Mit verschränkten Armen saß sie auf dem Rücksitz. „Das lief ja besser als ich dachte. Was habt ihr dem Richter gesagt, dass er so ein mildes Urteil raus haut?“ „Das, meine liebe Luna-chan, behalten wir für uns. Du musst nicht alles wissen.“ Erklärte Kairi, frech grinsend. Sarah kannte die beiden einfach zu gut und wusste, dass wenn sie so einen Ton und so ein Grinsen aufsetzten, es völlig sinnlos war, weiter nachzufragen. Also beließ sie es dabei und dachte stattdessen an morgen. [Ein neuer Tag beginnt. Nach Jahren der Finsternis, geht nun endlich die Sonne wieder auf und erhellt den Weg in die Zukunft. Du bleibst für immer hier. Du bleibst für immer mein. Du bleibst für immer mein Licht des Morgens.] Am Abend des nächsten Tages saß Erik, wie immer an seinem Schreibtisch und arbeitete. Er war nun frei und doch war es ihm noch nicht sofort möglich, sich aus diesem Leben zu verabschieden. Schließlich hatte er das sieben Jahre lang geführt. Über all diese Jahre, hatte er vor allem an einem Werk gearbeitet. Es war eine gewaltige Oper, die bis vor einigen Monaten keinen Schluss kannte. Doch heute schrieb er die letzten Worte und setzte schließlich den letzten Punkt. Er legte den Stift bei Seite und nahm die Blätter in die Hand. „Sieben Jahre mussten vergehen, bis ich dich fertig stellen konnte. Ghost Love Opera.“ Er war sichtlich Stolz über seine Arbeit und dann huschte ein freudestrahlendes Lächeln über sein Gesicht. Auf einmal kam ihn in den Sinn, dass er dieses nun endlich veröffentlichen konnte. Er hatte die Hoffnung schon ganz aufgegeben, doch nun konnte er weiter träumen und seine Werke mit der Welt teilen. Dann nahm er den Stift noch einmal in die Hand und setzte unter die Überschrift seinen Namen. Plötzlich flog die Tür auf und lauthals betraten Maora und Takuto den Raum. Eigentlich konnte man es fast als Quietschen bezeichnen und Erik wollte sich gerade die Ohren zuhalten, als das aufhörte. Sarah dagegen war wesentlich gefasster, aber betrat ebenfalls freudestrahlend das Zimmer. Als Erik sie sah, stand er sofort auf und ging zu ihr. „Was ist denn mit denen los?“ fragte er sie nun lächelnd. „Nun ja. Wir waren heute beim Direktor und wir haben, als Dankeschön, Studienplätze für weitere drei Jahre bekommen.“ Erklärte sie und Erik sah sie überrascht an. „Heißt das, du bleibst weitere drei Jahre hier?“ fragte er. Sarah lächelte und bestätigte seine Frage mit einem stummen Nicken. Sie war nicht vorbereitet, auf das, was nun geschah. In überschwänglicher Freude, umarmte er sie wieder und hob sie in die Luft. „Uah! Was tust du?“ fragte die Studentin fast schreiend, die auf diese Reaktion nun wirklich nicht vorbereitet war. Er jedoch ließ sie nicht los und drehte sich mit ihr einmal um sich selbst. Ihr war das sehr unangenehm und als er sie noch einmal fest an sich drückte, schrie sie erneut. „Ah! Ich freu mich ja auch, aber bitte lass mich jetzt los.“ Flehte sie lachend und er gab ihrer Bitte schließlich nach. Sie sahen sich in die Augen, während Takuto sich zu ihnen gesellte und seinen Arm um Sarahs Schulter legte. „Also echt, Saku. Das ist ein starkes Stück. Das nenne ich mal ein Happy End.“ Sagte er. „Ghost Love Opera von Erik Chevallier.“ Las Maora nun vor und ihre Freunde sahen sich zu ihr um. „Was ist das?“ fragte Takuto nun und Erik ging zu Maora. „Das ist mein Lebenswerk, das ich nun endlich fertig gestellt habe.“ Erklärte er stolz und seine Freunde sahen ihn bewundernd an. Maora hatte nur die Überschrift gelesen und gesehen, wie viele Blätter das waren. Schon allein von der Größe dieses Werkes war sie beeindruckt. Doch dann schubste sie ein anderes Thema an, was ebenfalls vom Direktor angesprochen wurde. „Diesen Freitag gibt der Direktor eine riesige Party in der Aula!“ Erik sah sie fragend an. Davon wusste selbst er noch nichts. „Zur Feier eines glücklichen Ausganges. Offiziell wird es als Frühjahrsfest bezeichnet. Wir sollen dort auftreten.“ Fuhr Sarah nun fort und Takuto nickte zustimmend. „Das klingt gut. Ich seh es mir an.“ Antwortete Erik nun, doch das war nicht das, worauf seine Freunde hinaus wollten. Doch diese Erklärung überließen die beiden Japaner lieber ihrer deutschen Freundin. „Also, Erik. Ums genauer zu sagen, musst du es zwangsweise sehen. Weißt du, ich hatte mir gedacht, dass wir unseren Song vorführen.“ Erklärte Sarah und ging zu ihm. Doch er verstand nicht, worauf sie hinaus wollte. „Unser Song. Ja, aber was habe ich damit zu tun?“ Sarah schüttelte lächelnd den Kopf, nahm seine rechte Hand und legte sie in ihre. „Ich möchte, dass du mit uns auf der Bühne stehst.“ Erklärte sie und Zweifel breitete sich wieder in seinem Gesicht aus. „Weshalb zögerst du?“ fragte Takuto ihn nun. „Ich bin noch nicht bereit dafür.“ Antwortete Erik leise, doch Maora schlug ihm auf den Rücken und versuchte ihn zu überreden. „Irgendwann musst du anfangen. Pass auf, wir haben uns das so gedacht. Damit es nicht so auffällt, werden wir alle Masken tragen. Okay? Masquerade, so zu sagen.“ „Komm schon. Gib dir nen Ruck!“ drängte Takuto ihn nun. „Es ist unser Song. Wie sieht es denn aus, wenn ich ihn ohne dich vorführe?“ sagte Sarah nun und straf damit voll ins Schwarze. Erik machte nun keine Anstalten mehr und willigte ein. „Na gut. Machen wir es so.“ Nun freuten sich seine Freunde sichtlich und Maora und Takuto klatschten sogar mit einem High Five ab. Erik verschwieg seinen Freunden jedoch, dass Sarahs Worte alles waren, was er brauchte, denn ihre Worte, hatten viel Gewicht bei ihm. Das hatten sie schon immer. Wenig später, verließen Maora und Takuto die HMT und ließen Erik wieder mit Sarah allein. Er hatte darum gebeten, denn er wollte noch etwas mit ihr besprechen, was die beiden nicht hören sollten. Sarah wunderte sich zwar darüber, war aber auch froh darüber. Sie stand an seinem Schreibtisch und sah sich die Blätter zu dem Stück Ghost Love Opera an. „Was willst du jetzt tun?“ Sie machte eine kurze Pause und sah kurz zu Erik, der am Kamin stand. „Ich meine, du bist vom Gericht frei gesprochen worden. Du kannst jetzt hingehen, wohin du willst.“ „Ja, das ist richtig. Aber gib mir noch ein wenig Zeit. Ich habe schließlich sieben Jahre hier verbracht.“ Erklärte er, als er eine kleine Schachtel in der Hand hielt und diese öffnete. Sarah, die sich nun wieder dem Schriftstück widmete, zeigte Verständnis. „Du hast Recht. Es muss für dich komisch sein, auf einmal frei zu sein. Tut mir leid. Ich wollte dich nicht drängen.“ Sie las ein paar Zeilen und war fasziniert von seiner gewandten Wortwahl. Selbst studierte und hoch intelligente Leute, hatten teilweise nicht so einen Wortschatz. Sie staunte nicht schlecht und zeigte sich begeistert. „Erik, das ist ja atemberaubend. Dabei habe ich noch nicht mal alles gelesen.“ Erkannte sie und schien sich in das Werk vertiefen zu wollen. Es freute ihn aufrichtig, dass sie so viel Interesse dafür zeigte und ging mit einem Brief in der Hand auf sie zu. Er hielt kurz inne und betrachtete sie stumm, bis er sie unterbrach und ihr den Brief reichte. „Hier.“ Sarah sah auf, ließ von dem geschriebenen Stück ab und nahm den Brief entgegen. „Was ist das?“ fragte sie. „Das…“ fing er an und ging einen weiteren Schritt auf sie zu. „Das sind die Worte, die ich nicht wage auszusprechen.“ Sarah sah ihn erschrocken an und Verwunderung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. „Was?“ „Der Brief beinhaltet die Worte, die mir seit Langem auf der Seele brennen, die ich aber nicht wage auszusprechen. Ich weiß, was in deinem Herzen ist und ich respektiere das. Bitte öffne den Brief nur dann, wenn du sicher bist, dass du dessen Inhalt wirklich kennen willst.“ Erklärte er mit sanfter Stimme und ebenso sanftem Blick. Sarah wusste nicht, wie sie nun reagieren sollte. Sie fühlte sich eigenartig in seinen Bann gezogen und obwohl sie sich dagegen wehrte, wollte ein winziger Teil in ihr, dem nachgeben. Letztlich war ihr Herz jedoch stärker und mit der rechten Hand, fasste sie den Herzanhänger, den sie um den Hals trug. Sie kniff die Augen zu und schlug sich die Gedanken aus dem Kopf. Dann blickte Sarah ihm wieder ins Gesicht und lächelte. „Alles klar. Vielen Dank. Aber jetzt erzähl mir doch mal bitte, worum es in deinem Stück geht. Ghost Love Opera.“ Auf diese Bitte hin, fing Erik an zu erzählen und sie zeigte sich äußerst begeistert. Vor allem vom Anfang und vom Mittelteil war sie total angetan und vertiefte sich in das Meisterstück. Anschließend tauschten die beiden weitere Ideen aus, wie sie es schon oft getan hatten. Erik war von einigen ihrer Ideen sehr angetan und wollte mit ihr wieder einmal gemeinsam an einem Werk schreiben. Darüber hinaus, genoss er jede Sekunde, die er mit ihr verbringen konnte. Kapitel 20: Die Magie der Musik ------------------------------- Kapitel 20: Die Magie der Musik „Lasst uns die Musik für immer im Herzen tragen.“ Es war ein sonniger Freitag im März und der erste warme Tag des Jahres. Die letzten Spuren des Winters wurden von der Kraft der Sonne Stück für Stück beseitigt und die Natur erwachte langsam zu neuem Leben. Am Nachmittag warteten Maora und Takuto vor der Hochschule für Musik und Theater auf ihre Freundin Sarah. Diese begrüßte ihre Freunde herzlich, als sie gerade das Gelände erreichte. Von der anderen Seite kam im selben Moment Jenny mit ihrer Clique an. Maora, Takuto und Sarah wandten sich ihnen zu, hoben ihre Hände und winkten ihnen zu. „Hallo Jenny. Wie geht’s? Schöner Tag heute, nicht wahr?!“ Jenny und ihre Freundinnen waren so verwundert über diese Reaktion, dass sie stumm an ihnen vorbei gingen. Es war ihnen richtig unangenehm. Es schien als hätte das Trio den Spieß umgedreht und als Jenny das Gebäude betreten hatte, lachten sich die Drei gegenseitig an. „Die haben wir aber schön verarscht.“ Meinte Takuto und lachte von Herzen. „Ach was. Wir waren nur nett.“ Erkannte Maora und lachend gingen sie schließlich ebenfalls in die HMT. Heute war der Tag der Party, die vom Direktor kurzfristig angekündigt und organisiert wurde. Alle Studenten und Lehrkräfte waren eingeladen, um an diesem Ereignis teilzuhaben. In den Gängen wurden am Morgen Stände aufgebaut, wo sich die Leute leckere Mahlzeiten kaufen konnten, oder kleine Spiele machen und Preise gewinnen konnten. Die Stimmung war heiter und ausgelassen, was teilweise auch dem schönen Wetter zu verdanken war. Die am Abend verbliebenen Gäste, waren ausgewählte Lehrkräfte und Studenten. Sie waren zum Höhepunkt des Tages eingeladen, zu der eine Theateraufführung von Cinderella und eine musikalische Premiere gehörten. Während Jenny, Linda und andere Klassenkameraden das Theaterstück aufführten, zogen sich Maora, Takuto und Sarah ihre Klamotten an. Es waren ausgeliehene Stücke, die man eigentlich zum Fasching trägt. Der ganze Stil der Gruppe war ein kleines bisschen vom Barock-Stil inspiriert, damit die Masken, die sie alle trugen, zum Gesamtbild passten. „Oh man, ich komm mir so doof vor.“ Sagte Sarah, die sich im Spiegel der Frauentoilette betrachtete. Doch Maora, die sich noch schminkte, schüttelte nur mit dem Kopf. „Auch das gehört zur Musik. Ein bisschen Stil muss dabei sein.“ Sarah verstand was sie meinte. Sie dachte an ihre Lieblingsband und musste grinsen. „Oh ja. Style~ ist super wichtig. Gibt dem Auftritt den letzten Schliff. Uh! Ich bin aufgeregt. Das wird bestimmt ganz toll.“ „Willst du die Schleife trotzdem tragen?“ fragte Maora nun und Sarah sah sie an. „Ja. Die nehme ich nun nie wieder ab.“ Erklärte sie und bekannte sich damit zum Erbstück ihrer Mutter Iris. Sarah schloss die Augen und lächelte sanft, als sie an diese dachte. Schließlich waren die beiden fertig und verließen die Toilettenräume in Richtung Aula. Auf dem Weg dorthin, trafen sie Takuto und Erik. „Gut seht ihr aus! Richtig chic!“ erkannte Maora und lächelte die beiden Männer an. Takuto dagegen war überhaupt nicht begeistert von diesem Outfit und war pausenlos am meckern. Es kratzte ihm am Kragen, an den Armen, die Hose war zu eng und die Schuhe unbequem. Erik hingegen schien sich darin wohl zu fühlen und er sah richtig adrett aus. Er hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend, da er sich zum ersten Mal öffentlich zeigte. Doch da seine Freunde ebenfalls Masken trugen, fiel er nicht auf und diese Tatsache beruhigte ihn ein wenig. Plötzlich lief Sarah auf den Eingang zu, als sie ihre Freunde eintreten sah. Erik, Takuto und Maora sahen ihr nach. „Leute! Schön, dass ihr da seit!“ schrie sie voller Freude und fiel Tina um den Hals. Alle waren gekommen und Sarahs Freude zeichnete sich deutlich in ihrem Gesicht ab. Doch sie hatte keine Zeit, sich groß mit ihren Freunden zu unterhalten, denn ihr Auftritt näherte sich und Maora trieb sie zur Eile an. Während Sarahs Freunde also in die Aula gingen und sich auf ihre Plätze setzten, bereiteten sich Erik, Maora, Takuto und Sarah auf ihren bevorstehenden Auftritt vor. Sie hatten den Song ein paar Mal geprobt und hofften nun, dass sie bereit waren. Maora streckte eine Hand in die Mitte der Runde aus und forderte ihre Kollegen auf, auch je eine Hand drauf zu legen. „Das ist aber kitschig, Mao-chan. Das machen doch alle Musiker so.“ erkannte Sarah und weigerte sich zunächst. Ebenso wie Erik und Takuto, denen das auch peinlich war. Aber Maora wusste sich durchzusetzen und schließlich gaben sie nach. Wenn die Vier dauerhaft in einer Band bleiben und auftreten würden, dann wäre Maora auf jeden Fall Bandleader. Die aufgeweckte Japanerin hielt noch eine Ansprache, um die Gruppe auf den Auftritt einzustimmen, obwohl das eigentlich nicht nötig war. Aber folgende Sätze, blieben allen im Gedächtnis und im Herzen. „Dieser Auftritt ist nur der Beginn für ein neues Kapitel und weitere wundervolle Semester. Lasst uns heute Abend die Musik leben, wie nie zuvor. Wir alle sind Wunder. Lasst uns die Musik für immer im Herzen tragen, denn sie verbindet uns, wie ein magisches Band.“ Alle vier standen im Kreis und hatten ihre Hände aufeinander gestapelt. Einen kurzen Moment war es still und sie brannten diesen Moment in ihr Gedächtnis, auf dass sie sich für immer daran erinnern würden. Schließlich war die Bühne von den Theaterdekorationen geräumt, die Instrumente aufgestellt und die Schauspieler hatten die Bühne verlassen, um sich ebenfalls ins Publikum zu setzen. Nun betrat der Direktor die Bühne und hielt ein Mikrofon in der Hand. Es wurde still im Saal und die Zuschauer lauschten seinen Worten. „Die Hochschule für Musik und Theater hat wahrlich eine atemberaubende Anziehungskraft für Jung und Alt. Es ist mir eine unfassbare Ehre, ihr als Direktor zu dienen. Dieser Abend bedeutet mir sehr viel, denn dieser Abend ist der Schönheit der Musik und des Theaters gewidmet und jenen, die diesen Zauber in sich tragen. Die Faszination des Theaters, konnten wir eben schon haut nah miterleben. Nun kommt der Part der Musik und dazu erleben sie heute, hier und jetzt eine absolute Premiere. Doch bevor der Auftritt beginnt, lassen sie mich ihnen noch einen Satz mit auf den Weg geben und damit zitiere ich einen unserer Studenten. Musik entsteht und trägt man im Herzen. Mit diesen Worten wünsche ich Ihnen viel Spaß.“ Dann betraten Takuto, Maora, Sarah und schließlich auch Erik die Aula durch die bekannte Eingangstür und betraten die Bühne. Die Zuschauer klatschten, als sie sie sahen und waren sichtlich gespannt auf die folgende Darbietung. Maora schnappte sich sogleich die Bassgitarre, Takuto und Sarah die E-Gitarren und gemeinsam stimmten und prüften sie die Instrumente. Erik hingegen stellte sich ans Mikrofon und sah ins Publikum. Es war ein sonderbares Gefühl für ihn. Es war so außergewöhnlich, dass er es nicht beschreiben konnte. Aber dieses Gefühl musste er nun für einen Augenblick bei Seite schieben und sich auf den Auftritt konzentrieren. Dann gaben die Musiker ihr Zeichen und die nicht besetzten Instrumente wurden über Band eingespielt. Nach einem kurzen Intro, fing Erik an zu singen und das Publikum war fasziniert von seiner Stimme. The person that you were has died You’ve lost the sparkle in your eyes You fell for life - into its traps Now you wanna bridge the gaps Now you wanna bridge the gaps Now you want that person back Die Gitarristen waren gut aufeinander eingespielt und auch Maora machte einen sehr guten Job an ihrem Bass. Sie lebte jeden Ton und sah in einem kurzen Moment zu Tim hinüber, der sie anlächelte. Sie erwiderte mit einem Lächeln und spielte konzentriert weiter. Schließlich folgte der Refrain und die Zuhörer zeigten sich begeistert. Say “I am” Say “I am” Say “I am wonderful" Diese Worte wurden ein weiteres Mal gesungen und die erste Hälfte des Liedes war damit geschafft. Nun waren die Musiker voll in ihrem Element und alle Aufregung, Zweifel oder Unannehmlichkeiten verloren sich in Bedeutungslosigkeit. If what you’ve lost cannot be found And the weight of the world weighs you down No longer with the will to fly You stop to let it pass you by Don’t stop to let it pass you by You’ve gotta look yourself in the eye Sarah gab alles an der Gitarre und sie strahlte, als sie auf sah und zu ihren Freunden schaute. Diese hatten ihre Freundin selten so freudestrahlend lachen sehen. Doch das konnte noch überboten werden, denn nun betrat ein weiterer Gast die Aula, der gerade erst angekommen war. Es war Hiroki, dessen Blick sofort auf seine Freundin fiel. Say “I am” Say “I am” Say “I am wonderful” Oh you are Erik legte all sein Können in seine Stimme, die das Publikum in seinen Bann zog. Er traf jeden Ton überaus perfekt und seine charmante und zugleich an einigen Stellen kräftige Stimme, ließ das eine oder andere Frauenherz schmelzen. Cause we are all miracles wrapped up in chemicals We are incredible Don’t take it for granted, no We are all miracles Oh we are Schließlich näherte sich der Song langsam seinem Ende und die Musiker luden die Zuschauer dazu ein, nun auch mitzusingen. Obgleich einige die maskierten Leute nicht kannten und einer gänzlich unbekannt war, ließ sich jeder einzelne Zuhörer gefangen nehmen und sie sangen mit. Say “I am” Say “I am” Say “I am wonderful” Oh you are as war der Moment, in dem die Magie des Liedes entfaltet wurde. In diesem Augenblick, als alle Leute mitsangen, ergriff das Eriks Herz so sehr, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. Nicht vor Trauer, sondern vor unermesslicher Freude. Don’t take it for granted, no We are all miracles wrapped up, yeah we’re wrapped up Oh we are wonderful Der Song klang langsam über das Band aus, die Zuschauer standen umgehend auf und applaudierten. Sie waren sichtlich begeistert von diesem Auftritt, was die Musiker, die nun ihre Instrumente weg stellten, sehr freute. Takuto, Sarah, Erik und Maora stellten sich nun in einer Reihe auf und fassten sich an den Händen. Auch das kannten sie bereits von ihren Vorbildern und wenigstens einmal wollten sie das auch so machen. Dann rissen sie die Arme alle zusammen nach oben und ließen sich feiern. Dieser Moment gehört ihnen und sie genossen jede einzelne Sekunde. Das war das perfekte Happy End. Maora und Takuto waren auch weiterhin unzertrennlich, auch wenn Maora öfter Zeit mit Tim verbrachte. In dieser Zeit alberte Takuto mit Gregor rum, oder versuchte Sarah so nah wie möglich zu sein. Doch er hatte keine Chance bei ihr. Sarah nutzte ihr Studium voll aus und wurde eine fantastische Gitarristin. Darüber hinaus hatte sie nun viele Ideen für Geschichten und schickte eine davon sogar an einen Verlag. Ihre Freunde blieben ihr weiterhin erhalten und schließlich fasste sich ihr langjähriger Freund Hiroki ein Herz und die beiden verlobten sich endlich. Erik wurde zum stellvertretenden Direktor ernannt und würde später den Platz seines Onkels einnehmen. Er entwickelte neue Ideen, die für die HMT zukunftsweisend waren. Aber auch seine eigenen Werke kamen nicht zu kurz und so veröffentlichte er viele Geschichten, von denen einige sogar Bestseller wurden. Obgleich er nun Freiheit hatte und sich auch durchaus ab und an in der Öffentlichkeit blicken ließ, so vermiet er große Menschenansammlungen und lebte auch weiterhin in der Hochschule, dessen Gänge weiterhin geheim blieben. Epilog: 15 Jahre später ----------------------- Es regnete wie aus Eimern und die Bewohner der Hansestadt Rostock flüchteten sich ins Trockene. Dunkle Wolken verfinsterten den Himmel und ließen diesen Sommertag sprichwörtlich ins Wasser fallen. An einer Ampel wartend, saß ein Autofahrer, der sich mal wieder über alles und jeden aufregen musste. Auf dem Beifahrersitz saß seine Verlobte, die ihn versuchte zu beruhigen. Sie war an den Nachrichten interessiert und drehte die Lautstärke des Radios nach oben. „Von der seit einem Monat vermissten Gitarristin und Bestseller-Autorin Sarah-Luna Schmidt, fehlt nach wie vor jede Spur. Die Polizei sucht mit Nachdruck nach Hinweisen und bittet auch weiterhin die Bevölkerung um Mithilfe.“ Die Beifahrerin sah ihren Verlobten an, der sichtlich ergriffen von den Nachrichten war, denn die Ampel hatte bereits wieder auf grün geschaltet und er war noch immer nicht los gefahren. „Takuto. Es ist grün. Fahr los!“ sagte Marie und stupste ihn an. Er verzog keine weitere Miene und fuhr weiter. Er kannte die Nachrichten und jedes Mal wenn er sie hörte, packte ihn der kalte Graus. Der nun aufziehende Sturm, ließ das Wetter noch viel ungemütlicher werden und hohe Wellen peitschten an den Stadthafen. In der inzwischen ausgebauten Hochschule für Musik und Theater, waren bereits alle Angestellten und Studenten ins Wochenende geflohen. Nur im Büro des Direktors brannte noch das Licht und Stimmen drangen aus dem Raum. „Das ist nicht zu fassen. Sie kann doch nicht einfach so verschwinden.“ Erkannte Maora, die sich sichtlich Sorgen um ihre alte Freundin machte. „Und wenn sie nun einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist?“ fragte Tim, der jedoch sofortigen Widerspruch seiner Frau erfahren musste. „So ein Unsinn. Denk nicht mal daran!“ fuhr Maora ihn an, die sich so was nicht ausmalen wollte. Sie wollte daran glauben, dass ihre Freundin wieder unbeschadet zurück kam. Jedoch fehlte von Sarah jegliche Spur. Nicht einmal ihr Ehemann Hiroki, den Maora kurz nach dem Verschwinden kontaktiert hatte, konnte einen Hinweis geben. Sie schien vom Erdboden verschluckt worden zu sein. „Nun gut, Erik. Lass von dir hören.“ Verabschiedete sich Maora nun, mit deutlich bedrückter Stimme. Anschließend verließ sie mit ihrem Ehemann Tim das Büro und die HMT. Erik hingegen saß stumm an seinem Schreibtisch und sah ihnen noch eine Zeit nach, ohne eine Miene zu verziehen. Nach einigen Minuten, löschte er die Lichter, stand auf und ging durch die Geheimtür in sein eigenes Reich zurück. Er ging eine Wendeltreppe viele Stufen nach unten und erreichte schließlich einen langen Gang, an dessen Ende er eine Flügeltür erreichte. Er öffnete diese und betrat sein neues, größeres Heim, welches er sich über die Jahre geschaffen hatte. Doch letztlich, war es ihm nicht mehr möglich, die Ewigkeit allein zu verbringen… Erik ging in das großzügig ausgestattete Gewölbe und blieb schließlich an einer Säule stehen, die an einer Art Felsvorsprung stand. Er blickte hinunter auf das dort stehende Himmelbett. „Schlussendlich habe ich das Licht doch gefangen…“ Er ging einige Schritte auf eine Treppe zu, die ihm schließlich zu einer Art Abgrund führten, in der das große Bett stand. „Auf dass du meine Dunkelheit erhellst. Für immer.“ Schließlich stand er neben dem Bett und sah in das schlafende Gesicht der vermissten Sarah. Sie hatte seinen Brief geöffnet und gelesen und damit den Fluch wieder entfacht – Das wahre Erbe des Phantoms der Oper. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)