Voll erwischt von Papierkriegerin ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 Semesteranfang ca. 4 Monate später Zusammen mit den anderen Erstsemestern saß ich in der Vorlesung für Alte Geschichte. Der Dozent schien nett zu sein und uns nicht nur als Nummer zu sehen, der er irgendwie begreiflich machen musste, wie wichtig sein Fach für die Prüfung und unser restliches Leben war. Es war erstaunlich einfach gewesen, an der Universität aufgenommen zu werden. Es waren auch nicht so viele Studenten, wie ich angenommen hatte. Das war schön, da wir uns nicht wie andere Studiengänge in völlig überfüllte Hörsäle quetschen mussten. Gespannt lauschte ich den Ausführungen und machte fleißig Notizen. Dieses erste Semester würde harte Arbeit werden, aber ich hatte ein Ziel vor Augen und deshalb machte es mir nicht so viel aus. Bei manchen Gesichtern konnte man erkennen, dass es ihnen jetzt schon zu viel war. Der erste Tag verging erstaunlich schnell und ich machte mich mit etlichen Aufzeichnungen und Vorbereitungslisten auf den Weg. Da ich jetzt nicht mehr arbeiten ging, hatte sich ein Problem aufgetan. Meine Wohnung würde auf Dauer zu teuer werden und ich hatte beschlossen, mir ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft zu suchen. Ich hatte auch schon ein bisschen recherchiert und war auf ein interessantes Angebot gestoßen. Deshalb saß ich nun im Zug auf dem Weg in meine neue Vielleicht-Unterkunft. Bisher war ich immer zu Zeiten zurückgefahren, wenn der andere junge Mann nicht mit mir in der Bahn saß. Mein Interesse an ihm hatte sich bedauerlicherweise noch immer nicht gelegt, obwohl man dabei schon fast von einer Obsession sprechen konnte. Zu meinen Beobachtungen hatten sich neue Erkenntnisse gesellt. Er schrieb während der Fahrt oft in seine Unterlagen und schien insgesamt sehr fleißig zu sein. Wenn er schrieb, dann nur mit einem ramponierten, wirklich alt aussehendem Füllfederhalter, den er wie einen Schatz hütete. Er schien Bonbons in allen Variationen zu lieben, denn fast immer lutschte er einen, was meine nächtlichen Phantasien natürlich nicht sonderlich beruhigte. Seine Hände wiesen oft Kratzer und Abschürfungen auf, sodass ich mich fragte, ob er nebenbei noch arbeitete. Trotzdem waren seine Fingernägel sauber und gepflegt, zogen mich mehr als einmal in ihren Bann und ich musste meinen Blick gewaltsam losreißen. Insgesamt war er noch genauso spannend, wie in der ersten Minute und mir passte das immer noch genauso wenig. Aber ich hatte mich zumindest mit meinem unterschwelligen Drang angefreundet, ihn zu beobachten. Als wir an der Station vorbeifuhren, an der ich normalerweise ausstieg, zuckte sein Blick zu mir und ich fragte mich unwillkürlich, ob er bemerkt hatte, dass ich hier heraus gemusst hätte. Aber warum sollte das für ihn von Interesse sein? Bisher hatte er noch nicht zu erkennen gegeben, dass er gemerkt hätte, dass wir jeden Morgen den gleichen Weg hatten. Die Häuserfassaden vor dem Fenster lockerten sich nach und nach auf und wir kamen in einen Vorort. Bei der nächsten Station musste ich raus. So stand es zumindest in der Wegbeschreibung, die Konstantin mir geschickt hatte. Er klang in der E-Mail zumindest ganz nett und ich freute mich schon, da er geschrieben hatte, dass bisher nur er und sein jüngerer Bruder in der WG lebten. Das Zimmer klang auf jeden Fall vielversprechend und ich musste nur eine Station weiter fahren. Ich fand, das war durchaus akzeptabel. Als die monotone Stimme die nächste Station ansagte, holte ich schnell noch einmal den Plan hervor. Ich sollte mich links halten, wenn ich aus dem Bahnhof kam. Konstantin wollte mich abholen, da es wohl ein bisschen abseits lag und man sich leicht verlaufen konnte. Ja ... Vororte waren schon gruselig. Ich packte meinen Rucksack, als ich aus dem Augenwinkel bemerkte, dass auch mein Sitznachbar aussteigen wollte. Wir stellten uns nebeneinander vor die Tür, niemand sonst wollte in dieses verschlafene Nest. Als die Tür grün blinkte, drückten wir gleichzeitig auf den Knopf und mir war, als ob ein Stromschlag durch meinen Körper jagen würde. Erschrocken zuckte meine Hand zurück und mein Kopf war ganz wirr, während ich aus dem Zug stolperte. Ich stellte mich an die Bushaltestation und wartete dort, wie Konstantin es mir aufgetragen hatte. Ich hatte keine fünf Minuten gewartet, da wurde ich angesprochen. „Hi, bist du Jona?“ ein junger, wirklich gut aussehender Mann stand vor mir und streckte mir seine Hand zum Gruß entgegen, die ich zögerlich annahm. „Ja, bin ich. Konstantin?“ Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich ihn kannte. Seine Gesichtszüge waren sehr markant. Eine gerade Nase, volle Lippen, graue Augen und wuscheliges schwarzes Haar. Ich grübelte immer noch, da unterbrach er mich. „Nein, ich bin Philipp, Konstantin kommt gleich, er ist nochmal schnell zum Bäcker, wollte Kuchen holen, damit wir was zu futtern haben.“ Das Augenverdrehen konnte er prima, aber ich war froh, dass sein Bruder an meinen leeren Magen gedacht hatte. „Das ist wirklich nett von ihm. Ich hab einen Bärenhunger.“ „Das freut mich, denn ihr dürft die Sahnetorte ganz alleine essen. Der Bäcker hatte nichts anderes mehr da und ich mag solche Sachen nicht.“ Diese samtene, warme Stimme begrüßte mich und ich drehte mich um. Mir blieb beinahe das Herz stehen. Ich hab ja gesagt, ich brauche einen Herzschrittmacher, das konnte nicht gesund sein. Er war es wirklich! Zumindest wusste ich nun, warum mir Philipp so bekannt vorkam. Die Familienähnlichkeit war eigentlich unübersehbar. Ich hatte mich noch nicht von meiner Nahtoderfahrung erholt, als ich auch schon eine unverständliche Antwort stammelte. „Konstantin! Musst du dich immer so anschleichen? Du hast Jona zu Tode erschreckt. Er ist ganz blass geworden.“ Ach Philipp, wenn du wüsstest, dass dein Bruder Grund zahlreicher schlafloser Nächte war. Ich war kurz davor einfach umzudrehen und die Flucht zu ergreifen, da sprach Konstantin mich an. „Jona heißt du also? Du fährst jeden Morgen mit mir in der Bahn, oder?“ Seine Augen, die mich fragend anschauten, waren von einem dunklen Braun. Irgendwann bekam ich mit, dass eine Antwort von mir erwartet wurde. „Ähm ja, bin ich und genau, wir fahren jeden Morgen zusammen.“ Soviel konnte ich gefahrlos zugeben, ohne dass auffiel, dass ich ihn immer ausgiebig beobachtete. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich ihm überhaupt aufgefallen wäre, immerhin hatte er seine Nase meistens in einem Buch oder in seinen Unterlagen. „Wollen wir?“, sagte eine fröhliche Stimme und unterbrach mich in meinem Schwanken, ob ich nun abhauen oder mitgehen sollte. Aber einfach ohne eine Begründung zu verschwinden, wäre wirklich zu unhöflich gewesen. Ich konnte mir das Zimmer ja mal ansehen und mir zur Not irgendeine fiktive Ausrede ausdenken, warum ich es nicht wollte. Schlimm genug, dass ich im Zug schon nicht die Augen von ihm lassen konnte, wie sollte das erst werden, wenn wir unter einem Dach lebten? Aber vielleicht würde mich das auch von meiner Faszination kurieren, wenn ich merkte, dass er nur ein Mensch mit Fehlern und Makeln war und nicht die Perfektion meiner Phantasie. Ich trottete neben den beiden her und versuchte mir den Weg einzuprägen, obwohl ich Sekunden zuvor noch entschlossen gewesen war, das Angebot abzulehnen. Aber es war einfach zu verlockend, zu sehen, wie das Objekt meiner Begierde - ähm Erde an Gehirn! Auszeit! - lebte. Meine Träume waren in dieser Hinsicht mittlerweile ziemlich konkret geworden und ich hatte mir angewöhnt, jeden Gedanken daran sofort zu unterdrücken. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie Konstantin – jetzt hatte ich wenigstens einen Namen zu dem Gesicht – mich verlangend an sich drückte und seine weichen Lippen auf meine presste. Stopp! Falscher Gedankengang! Würde ich mich nicht selbst maßregeln, hätte ich schon öfter Probleme gehabt, denn die Tagträume häuften sich. Da ich diesen Gedanken im Moment natürlich nicht vertiefen wollte, wandte ich meine Aufmerksamkeit der Umgebung zu. Wir gingen an typischen Einfamilienhäusern vorbei, die oft in Doppelhaushälften unterteilt waren. Gepflegte Rasen und Blumenrabatten, die entweder von niedlichen Schoßhündchen oder etwas bedrohlich aussehenderen Hunderassen bewacht wurden, wechselten einander ab. Insgesamt war die Umgebung schon so einheitlich, dass ich mich nicht wunderte, dass man sich hier verlief. Schließlich sah alles gleich aus. Ich würde nie verstehen, was so viele Menschen an Klinkersteinen toll fanden. Wir waren circa zehn Minuten unterwegs, als sich vor uns ein großer Wald auftat. Dunkle Fichten nahmen den Laubbäumen jedes Licht, das sie für sich hätten beanspruchen können. Wir folgten der breiten Straße, die links und rechts von Bäumen gesäumt war und ich sog den klaren Waldgeruch ein. Das war eine nette Abwechslung zum Mief der Großstadt, obwohl mir die Geschäftigkeit fehlen würde. Nach weiteren fünf Minuten bogen wir rechts in den Wald ein. Ein befestigter, nicht besonders breiter Weg, der geradeso für ein Auto reichte, führte uns durch das Dickicht. An der kleinen Kreuzung war ein Schild mit dem Nachnamen der beiden angebracht. Lüning hießen sie also. Als wir die ersten Schatten des Hauses erblickten, haute mich der Anblick erst einmal um. „Das ist ja eine Villa! Und hier wohnt ihr ganz allein?“ Sie nickten. Völlig entgeistert starrte ich die beiden an. Ich hatte mit einer Wohnung in einem Block oder etwas Ähnlichen gerechnet. Konstantin hatte nur die Quadratmeterzahl des Zimmers und einige Ausstattungssachen angegeben, ohne Bilder. Sonst hätten sie sich vor Bewerbungen bestimmt nicht mehr retten können. Mein ganzes Leben lang hatte ich nur in Wohnungen gelebt. Die Vorstellung nun in einem Haus, vor allem ohne nervende Nachbarn, zu wohnen, hatte etwas Verlockendes. Die beiden Brüder machten auf mich auch nicht den Eindruck, dass sie besonders anspruchsvolle Mitbewohner wären. Die Entscheidung, ob ich einziehen durfte, lag jedoch bei ihnen. Wenn das Zimmer und der Rest auch so beeindruckend waren, dann war meine schon gefallen. Diese Chance würde ich mir bestimmt nicht entgehen lassen. Mit meinem anderen Problem – das ja eigentlich keines war! – würde ich schon irgendwie zurechtkommen. Konstantin schloss die Tür auf, die mit so einem alten Türklopfer ausgestattet war, den ich sonst nur aus Filmen kannte. „Wir haben das Haus von meinen Großeltern geerbt, die leider vor einem halben Jahr kurz nacheinander verstorben sind. Damit es nicht leer steht, haben wir beschlossen, es zu nutzen, aber selbst für zwei Personen ist es immer noch zu groß.“ Seine Stimme schlug mich sofort wieder in ihren Bann und gespannt lauschte ich seinen Ausführungen. „Das Haus wurde 1890 erbaut und ist an manchen Stellen schon marode. Also pass bloß auf, wo du hintrittst! Ich habe leider noch nicht alle morschen Dielenbretter austauschen können. Philipp ist mir dabei ja keine Hilfe, er hat nämlich zwei linke Hände.“ Leicht verärgert blickte er seinen Bruder aus diesen unglaublichen Augen an, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. „Du bist der, mit dem handwerklichen Geschick, vielleicht kann Jona dir ja zur Hand gehen?“, fragend schaute er mich an und zögerlich nickte ich mit dem Kopf. Seite an Seite mit Konstantin zu arbeiten, würde meine Phantasien bestimmt nicht dämpfen. „Ich kann es ja versuchen. Zumindest kann ich mit einem Hammer umgehen. Alles andere kannst du mir ja zeigen.“ Nun war es an mir Konstantin anzuschauen und mein Blick blieb prompt an seinen schönen Lippen hängen. An der leichten Kurve der Oberlippe und der vollen Unterlippe. Das musste echt aufhören! Er hingegen schien nichts von meinem gedanklichen Ausflug zu merken und verzog den Mund zu einem leichten Lächeln. Wenn ich gewusst hätte, dass dieses Lächeln dafür sorgen würde, dass Schmetterlinge in meinem Bauch Samba tanzten, hätte ich in dem Moment, als ich es noch konnte, bestimmt die Flucht ergriffen. Aber so erschütterte es mich bis in die Tiefen meiner Seele und ich hatte immer noch nicht begriffen, dass ich ein für alle Mal verloren war. „Natürlich zeige ich dir, was du machen musst. Wenn du nur ein Viertel besser bist als Philipp, bist du schon engagiert. Der kann nämlich null Komma gar nichts.“ Diese kleine Stichelei brachte er mit einem Ausdruck im Gesicht hervor, der deutlich zeigte, dass er seinen Bruder trotz aller Fehler liebte. Somit traten wir ein und ich verliebte mich auf den ersten Blick. Wir standen in einem Vorraum, von dem verschiedene Türen in andere Bereiche des Hauses führten und eine Treppe in die oberen Stockwerke. Die kunstvollen Verzierungen am Treppengeländer, das aus einem dunklen Holz bestand, die schmiedeeisernen Türklinken, die Bilder an den Wänden, die Figurinen auf den alten Kommoden, all das schlug mich in seinen Bann und in jeder Ecke entdeckte ich eine neue Kostbarkeit. „Komm! Ich zeige dir alles.“ Mit diesen Worten zog mich Philipp links durch eine Tür und tief in mir, war ich enttäuscht, dass nicht Konstantin mich herumführte. Doch das würde ich natürlich niemals zugeben. „Also Jona, hier das Herz eines jeden Hauses, die Küche! Wir haben sie vor zwei Monaten modernisieren lassen. Aber keiner von uns kann sonderlich gut kochen.“ Er stellte den Kuchen, den ihm sein Bruder zuvor noch in die Hand gedrückt hatte, auf einen kleinen Tisch vor dem Fenster, der mit Mühe und Not für vier Personen reichte. „Im Kühlschrank ist gerade nicht besonders viel. Wir kaufen immer zusammen ein, ist billiger, als alles doppelt zu holen. Gibt es irgendwas, das du nicht isst?“ Ich schüttelte den Kopf. „Schön.“ Von der Küche ging eine Tür ab und wir betraten ein riesiges Wohnzimmer. Es war extrem heimelig eingerichtet und ich konnte mich hier schon entspannte Nachmittage verbringen sehen. Vor der beigen Eckcouch lag ein großer flauschiger dunkelbrauner Teppich auf dem dunklen Parkettfußboden. Unter dem kleinen Glastisch lagen diverse Zeitschriften und sorgten dafür, dass es gemütlich aussah, obwohl es sonst überall sehr aufgeräumt wirkte. Der große Fernseher wirkte im ersten Moment fehl am Platz, da alle Möbel anscheinend ein Sammelsurium aus verschiedenen Flohmärkten, Erbschaften und Antiquitäten waren. Aber irgendwie fügte sich alles zusammen. Der Kamin sorgte natürlich auch sofort dafür, dass man sich geborgen fühlte und an gemütliche Abende vor prasselndem Feuer dachte. Lange Arme, die sich um einen legten und weiche braune Haare, die gegen die Wange strichen. Ich schüttelte den Kopf, diese dumme Angewohnheit musste wirklich aufhören. Diese Tagträumereien waren nicht hilfreich und außerdem absolut unwahrscheinlich. Außerdem wollte ich nicht auf einen Mann stehen! Jetzt musste ich nur noch mein Herz und meinen Verstand davon überzeugen, dass das auch wirklich mein Wunsch war. Die beiden hatten sich nämlich eindeutig gegen mich verschworen. Philipp lief weiter in den Raum und zeigte mir den Wintergarten. Das war wirklich ein Traumhaus, ich konnte es nicht fassen, dass ich vielleicht hier einziehen würde. „Im Winter ist es hier echt schön! Wenn du mal nach draußen schaust und dir einen verschneiten Garten und Wald vorstellst, wirst du das bestimmt verstehen.“ Ich mochte weder Winter noch Sommer besonders, aber auch ich musste zugeben, dass die Vorstellung des dunklen Waldes, gekleidet in helles Weiß, etwas für sich hatte. Der Garten war nicht sonderlich groß, gut das hieß, dass man nicht allzu viel Rasen mähen musste. Die eine Hälfte schien sowieso eher als Lager für Bretter zu dienen. Vermutlich, um die Dielenbretter auszutauschen. Wir nahmen den Weg zurück und gingen auf der rechten Seite in einen Raum, der das Arbeitszimmer sein musste oder die Bibliothek oder beides, denn er war von oben bis unten vollgestopft mit Büchern. Die Wände waren getäfelt und hohe Regale waren daran angebracht. Eine schmale Galerie führte um die obere Etage, die man über eine wacklig aussehende Wendeltreppe erreichte. Darunter stand ein großer Schreibtisch, der mit Papieren übersät war. „Das ist die Bibliothek, Konstantin benutzt sie, um zu lernen, aber vielleicht könnt ihr sie euch ja teilen. Keine Ahnung, wie er sich hier konzentrieren kann, nun ja mir liegt Lesen eh nicht so.“ Das Sofa mit der Leseecke sah richtig einladend aus, allerdings stellte ich mir gerade nicht vor, darauf mit einem Buch zu sitzen. Jona, reiß dich zusammen! Das ist Wunschdenken. Du bist jetzt hier mit Philipp, Konstantin ist nicht mal in deiner Nähe. „Komm, ich zeig dir das Bad, dann sind wir hier unten durch.“ Danach gingen wir die Treppe nach oben. Vom Flur führten vier Türen ab und noch eine schmale Treppe. Ich hatte Mühe mit Philipp Schritt zu halten, anscheinend konnte er es gar nicht erwarten, mir auch den Rest des Hauses zu zeigen. „Gehen wir zuerst in mein Zimmer?“ Ich wusste zwar nicht, warum ich auch die anderen Räume sehen sollte, aber ich nickte. Als wir eintraten, war es, als ob wir auf einen Schlag in die Gegenwart katapultiert worden wären. Jede Wand war zugekleistert mit Postern von Bands, die ich nicht kannte. Ein PC stand auf einem großen Schreibtisch und die Musikanlage war sicherlich teuer gewesen. Dazu kam ein Riesenfernseher, man konnte es auch übertreiben, an den diverse Spielkonsolen angeschlossen waren. „Du spielst doch, oder? Konstantin kann damit nichts anfangen, also bitte bitte sag ja!“ Flehend schaute er mich aus grauen Augen an, die in ihrer Form, denen seines Bruders ähnelten. Wieso sollte ich nein sagen? Verträumt dachte ich an braune Augen, die mich genauso ansehen würden. In dem Moment ging mir auf, dass das nicht die Antwort auf die Frage war, die Philipp mir gestellt hatte, sondern, warum mich so vehement dagegen wehrte, in einen Mann verliebt zu sein. Weil ich nicht wollte! Ich atmete gedanklich einmal tief durch. Völlig falscher Gedankengang. Konzentrieren. Ob er mir wohl auch das Zimmer seines Bruders zeigen würde? Aber wieso sollte er? Allerdings hatte er mir auch sein Reich gezeigt. Ich persönlich würde es als sehr unhöflich empfinden, wenn jemand mein Domizil ohne meine Erlaubnis betreten würde. Philipp war ja sehr hibbelig, aber so gut war er bestimmt erzogen. Auf den ersten Blick waren die Brüder sehr unterschiedlich, aber ich hatte vorhin schon gemerkt, dass ein enges Verhältnis zwischen ihnen bestand. Ich konnte mir vorstellen, dass das Zimmer von Konstantin sehr aufgeräumt und übersichtlich war. Oder es war voller Bücher. Er hatte zwar die Bibliothek, aber dort schienen seine heiß geliebten Fantasybücher nicht zu stehen. Zumindest hatte ich keine gesehen. Aber Philipp führte mich nun in mein vielleicht zukünftiges Zimmer. Nach der ganzen Herumführerei war es natürlich nichts Besonderes mehr. „Vier Steckdosen, W-LAN im ganzen Haus, ca. 20 Quadratmeter und wie gefällt es dir?“, gespannt schaute er mich an und ich wurde den Vergleich mit einer dieser Hunderassen nicht los. Wie hießen die doch gleich? Golden Retriever? Die Goldenen, die einen immer so treu doof anschauten. Ja, genau, das passte. „Gut, sieht ja fast aus wie deins, nur leer.“ Mehr wollte mit beim besten Willen nicht einfallen. „Gehen wir essen? Konstantin hat die Torte bestimmt schon angeschnitten.“ „Klar.“ Daraufhin gingen wir die Treppe wieder hinunter. Auf den Dachboden durften wir nicht, da Konstantin meinte, die Bretter waren zu morsch. Wie hatten die Großeltern nur so lange in einem baufälligen Haus leben können? Philipp hatte nebenbei erzählt, dass er sein ganzes Leben lang immer oft bei seinen Großeltern zu Besuch gewesen war und sich nie etwas verändert hatte. Irgendwie ist es ja schön, wenn es eine Konstante im Leben gibt, aber das war doch gefährlich, wenn hier nichts repariert wurde. Ich war ganz froh, dass Konstantin diesen Part übernommen hatte, denn ich hatte wenig Lust, mir den Hals zu brechen. Auf dem Weg nach unten versuchte ich mich davon zu überzeugen, dass ich nicht enttäuscht war, dass wir uns sein Zimmer nicht angesehen hatten. In der Küche angekommen, sahen wir, dass nicht nur Kuchen auf uns wartete, sondern auch frisch aufgebrühter, dampfend heißer Kaffee und Tee. „Also, Jona gefällt das Zimmer. Was machst du eigentlich beruflich? Nicht, dass du Schicht arbeitest, das wäre eher unvorteilhaft, wir müssen immer früh raus.“ Graue Augen richteten sich auf mich und die Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, da ich ihm anscheinend nicht schnell genug antwortete. Ich war jedoch noch von der anderen Präsenz im Raum überwältigt und antwortet nur mit einem: „Huh?“ „Philipp, lass ihn sich doch erst einmal setzen. Jedes Mal quatschst du die Leute gleich voll. Ich hab dir schon mal gesagt, dass du sie damit überfährst.“ Diese Stimme ging mir unter die Haut und ich war froh, dass ich einen langärmligen dünnen Pulli angezogen hatte, denn diese Gänsehaut wollte ich ihn garantiert nicht sehen lassen. „Ähm, nein, ich studiere. Vorher habe ich als Lagerarbeiter gejobbt. Wegen der Miete müsst ihr euch also keine Sorgen machen. Die Ersparnisse reichen noch eine Weile und ich will mir einen Nebenjob suchen.“ Ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, meinen Blick nicht die ganze Zeit zu Konstantin schweifen zu lassen. Er sah aber auch wirklich unverschämt gut aus. Dieses schwarze enge Shirt betonte seine schlanke Figur und ich schaute angestrengt aus dem Fenster. „Was studierst du denn?“ „Voderasiatische Archäologie. Läuft bisher ganz gut. Die Fahrzeit bis zur Uni ist zwar ein bisschen länger aber auszuhalten.“ „Dann gehst du ja auf die gleiche Universität wie Konstantin. Er studiert nämlich Geschichte.“ Bei diesen Worten verzog er sein Gesicht, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte. „Aha, und was machst du? Ausbildung, Abi?“, fühlte ich mich genötigt zu fragen. „Bald fertig mit Abi und danach werde ich Kulturwissenschaften studieren.“, gab er bereitwillig Auskunft. „Klingt … spannend.“ Auch wenn ich mir darunter nicht viel vorstellen konnte. Aber darüber klärte mich Philipp anschließend ausführlich auf. Das weitere Gespräch bestritten hauptsächlich wir zwei und Konstantin gab nur ab und zu ein Kommentar ab. Ich hatte nicht den Eindruck, als ob ihn sonderlich interessierte, worüber wir uns unterhielten. Überhaupt schien er eher gedankenverloren, während er an seinem Kaffee nippte. Immer, wenn er aus dem Fenster blicke, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck, als ob ihm nicht gefiel, woran er dachte. So verlief mein erster Besuch bei den Brüdern, mit dem Versprechen, mich sofort zu melden, sobald ich alles mit meiner alten Wohnung geregelt hatte. Diese Nacht schlief ich noch unruhiger als sonst, schließlich hatte ich nun einen Namen zu dem Gesicht, das mich in meinen Träumen verfolgte. Auch dort war er wenig gesprächig, doch die Anziehung hatte nicht nachgelassen, sondern eher zugenommen. Ob es wirklich eine gute Idee war, bei den beiden einzuziehen? Mein Verstand machte mir ja jetzt schon einen Strich durch die Rechnung, wenn ich ihn davon zu überzeugen versuchte, dass ich Konstantin absolut nicht anziehend fand. Ich hatte den beiden gesagt, dass ich am nächsten Abend nach der Uni Bescheid sagen würde. Im Prinzip hatten wir uns schon entschieden. Ich musste nur noch klären, wie ich die Sachen aus meiner alten Wohnung dorthin bekommen würde. Alles konnte ich sowieso nicht mitnehmen, einlagern wollte ich es nicht und so teilten sich meine Freunde das, was übrig blieb. Mein heiß geliebter Schreibtisch musste natürlich mit. Das Bett würde ich wohl entsorgen müssen, da seine besten Tage bereits gezählt waren. Meinen Kleiderschrank nahm ich auch mit, die Regale aus dem Wohnzimmer, sowie die Anbauwand. Mein Sofa hatte sich schon Dom geschnappt. Es war ein großer Streit darüber ausgebrochen, da es echt wunderbar gemütlich und groß war. Die Kündigung hatte ich schon geschrieben, musste nur noch abgeschickt werden. Auf die Rennerei mit der Ummeldung hatte ich zwar keine große Lust, aber es musste sein. Dafür wurde ich reichlich belohnt, nicht nur, dass ich in ein Traumhaus einziehen durfte, nein das Objekt meiner Begierde würde mit mir zusammenleben. Ich musste nur dafür sorgen, dass er davon nichts mitbekam. Ich glaubte nämlich kaum, dass ihm meine Aufmerksamkeit willkommen gewesen wäre. Ich würde ja sehen, ob ich mit dieser Situation zurechtkam, ansonsten musste ich wohl schweren Herzens ausziehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)