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Delilah – Die Liebe einer Wölfin

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, jetzt ist es soweit. Ich kann die Buchstaben kaum noch auf dem Bildschirm sehen, aber ich hab dieses wichtige Kapitel endlich fertig geschrieben. Ich hoffe, die Mühen und Anstrengungen haben sich auch gelohnt.
Aber lest selbst.

Alles Liebe
Eure Darky Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe grade festgestellt, dass der letzte Kommentar aus dem Jahre 2012 stammt und dann auch noch von einer Person, die abgemeldet ist. Da fragt man sich manchmal schon, was man falsch macht... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Salix - ich muss dir danken. Jetzt weiß ich, dass es doch noch Leben im Animexxuniversum gibt und mehr wollte ich eigentlich gar nicht. :)
Ich kann dich sehr gut verstehen und daher bin ich auch absolut keine der Autoren, die ständig um Aufmerksamkeit betteln. Ich empfinde das selbst als ziemlich nervig, aber es war wirklich mal wieder sehr schön, Feedback zu bekommen, gerade weil die letzten Kapitel so unglaublich mühsam waren.
Also danke noch mal, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich werde dir das nicht vergessen.

Liebe Grüße
Darky Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
ACHTUNG: An alle diejenigen von euch, die die Geschichte Dark Circle von meiner Freundin und mir nicht kennen und somit nicht wissen, wie es mit Deli und ihren Jungs weitergeht, möchte ich wärmstens ans Herz legen, den Epilog einfach nicht zu lesen.
Wenn euch die Geschichte gefallen hat und ihr mit dem Ende zufrieden seid, dann kann ich euch nur empfehlen, es hiermit auf sich beruhen zu lassen.

Ich habe wirklich sehr lange und sehr intensiv darüber nachgedacht, welchen Epilog ich nun schreiben soll, aber mich dann doch am Ende für diesen entschieden, weil es unbestreitbar irgendwann mal einen zweiten Teil von Delilah geben wird, aber ich momentan nicht die Kraft und den Willen habe, mich damit auseinanderzusetzen. Ich kann euch schon jetzt sagen, dass es noch lange dauern könnte, bis die ersten Kapitel des zweiten Teils kommen.

Also auch für alle diejenigen, die wissen, wie es weiter geht: Wenn ihr nicht frustriert auf einen zweiten Teil warten wollt, dann lasst auch ihr den Epilog am Besten aus.

Ich danke euch dafür, dass ihr mich so lange und geduldig durch die Geschichte begleitet habt, vor allem den fleißigen Reviewschreibern, die mich immer unterstützt und zu motivieren versucht haben.
Tausend Dank. Ihr wisst, wie viel mir das bedeutet hat.

Ich wünsche euch noch alles Liebe und Gute.

Eure Darklover
Komplett anzeigen

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1. Kapitel

„Delilah Bennet, stets zu Diensten.“

Sie streckte ihre Hand dem großen dunkelhaarigen Mann mit der immer noch blutenden Unterlippe vor sich entgegen und schüttelte sie mit angemessenem Händedruck, nachdem Nataniel Hunter – zumindest stellte er sich mit diesem Namen vor – die Geste erwiderte. Er war zwar eine Raubkatze, aber davon hatten sie ihre wölfischen Gene noch nie abhalten können, wenn es darum ging, einen schönen Mann zu würdigen.

„Diese Dienste würden wir gerne in Anspruch nehmen, Süße.“

Ihre Lippen umspielte ein aufgesetztes Lächeln, nachdem sie ziemlich offensichtlich mit den Augen gerollt und somit genau das ausgedrückt hatte, was auf dem Gesicht ihres Gegenübers deutlich zu erkennen war. Immerhin hatte nicht er diese Worte ausgesprochen, sondern einer der beiden Typen, die hinter ihr aufgekreuzt waren, nachdem sich jeder von ihnen ein Bier von der Bar geholt hatte.

Wie schade. Delilah hatte gehofft, diese Idioten würden dort bleiben und sich bis zur Besinnungslosigkeit besaufen, nachdem sie sich schon ordentlich vor der Kneipe mit Nataniel und auch noch mit den beiden Muskelbergen Khan und Bruce geprügelt hatten, die bereits an ihrem Tisch in einer abgelegenen Ecke Platz genommen hatten und sich mit den billigen Servietten etwas Blut von der einen oder anderen Blessur tupften.

Eine Szene, die sie durchaus genossen hatte, denn zugegeben: Delilah war ein absoluter Testosteron-Junkie. Umso mehr Muskeln und Schwänze, umso besser.

Die Zwillinge, die sich Werwölfe nannten, waren da allerdings eine Ausnahme. Sie waren zwar ebenso intensiv an der Prügelei beteiligt gewesen und auch nicht schlecht gebaut, hatten aber nicht die Art Anziehungskraft auf sie, wie zum Beispiel der vierte Mann im Bunde, der bisher schweigsam an Nataniels Tisch gesessen hatte und so wenig mit seinem teuren Anzug in diese schmierige Bar passte, wie sie in einen Chor jungfräulicher Kirchenmäuschen.

Seine schwarzen Augen und der kühle Blick ließen sie auf genau die richtige Art frösteln, die es ihr an einer anderen Stelle heiß werden ließen. Zudem war er ziemlich gut gebaut, und wenn alles an ihm so groß war, na dann: Halleluja!

„Dumme Sprüche könnt ihr auch noch später klopfen, nachdem ich euch mein Anliegen unterbreitet habe“, verkündete Nataniel gelassen, woraufhin Delilah ihm ein liebenswürdiges Lächeln schenkte und lautlos mit ihren Lippen ein 'Danke' formte, nachdem er sie davor bewahrt hatte, irgendetwas auf diese lächerliche Anmache zu erwidern. Stattdessen rutschte sie zu den beiden älteren Kraftpaketen auf die Bank, um sich anzuhören, was er zu sagen hatte.

Delilah wusste zwar nicht genau, mit was sie es bei den beiden Männern zu tun hatte, aber bei demjenigen mit den braunen Haaren – sie war sich nicht ganz sicher, ob es Khan oder Bruce war – bildete sie sich fast den Geruch nach Grizzly ein. Den anderen konnte sie nicht identifizieren, aber er trug auf jeden Fall auch ein Tier in sich.

Es würde sie also wahnsinnig interessieren, was der schwarzäugige Schönling im Anzug unter seiner menschlichen Haut verbarg. Doch da nahm ihr feiner Geruchsinn nicht das geringste Anzeichen von Tier wahr. Seltsam.

Einer der Werwölfe platzierte seinen zugegeben knackigen Hintern direkt auf einen Stuhl neben ihr, womit ihre Hoffnung starb, etwas mehr Abstand zwischen sich und diese aufdringlichen Welpen zu bringen, da sie kaum noch mit einer Pobacke auf der Bank neben dem Grizzly Platz hatte. Erst, nachdem er ein bisschen Platz machte, da sie ihm vermutlich zu sehr auf die Pelle rückte, konnte sie sich entspannter hinsetzen und Nataniel zuhören, der sich ebenfalls auf einen Stuhl niedergelassen hatte.

Erst nach dem er die Runde einander vorstellte, wurde Delilah auf die unscheinbare Frau neben ihm aufmerksam.

Nicht, dass sie diese vorher völlig übersehen hätte, aber da diese kein Mann war, war sie einfach nicht so sehr auf ihrem Radar hervorgestochen.

Eine Eule, dem Geruch nach zu urteilen. Eine ziemlich schweigsame Eule, wenn man bedachte, dass sie noch kein einziges Mal den Mund aufgemacht hatte. Stattdessen wirkte die Frau eher so, als säße sie mitten in einer Gruppe von Teufeln in der Hölle und müsste jeden Moment befürchten, mit einem Dreizack in den Hintern gepikt zu werden.

Da hast du dir eindeutig die falsche Gegend ausgesucht, Schätzchen, dachte Delilah in Gedanken grinsend, ehe sie sich wieder auf die Männer konzentrierte.

Nataniel stellte sie als Francys vor. Der Anzugträger hieß Ryon, mit Bruce und Khan hatte sie am Ende doch richtig gelegen, und dass die Zwillinge James und Dean hießen, hätte sie gar nicht wirklich wissen müssen.

„Also, ihr habt sicher schon alle etwas von der Moonleague gehört“, begann Nataniel in ernstem Tonfall, nachdem er etwas die Stimme gesenkt hatte.

Zustimmendes Brummen kam von allen Seiten, Delilah selbst sagte nichts dazu. Ja, sie hatte zwar schon einmal etwas von dieser Organisation gehört, die Gestaltwandler aufspürte und registrierte, aber ihr selbst hatten die Typen noch nie an den Pelz gewollt. Dafür war sie einfach zu vorsichtig, zudem gab es auch noch genug andere Leute, die genauso unangenehm werden konnten und nicht unbedingt einer Organisation angehören mussten.

Trotzdem hörte Delilah aufmerksam zu, denn als Mitglied der Gestaltwandlergemeinschaft betraf es sie am Ende ja doch irgendwie, obwohl sie seit jeher eine Einzelgängerin war.

„Eine Gruppe Menschen, Gestaltwandler und außergewöhnlich Begabte wollen der Moonleague endgültig das Genick brechen oder sie zumindest so weit in ihrer Arbeit zurückwerfen, dass sie sich sogar in ein paar Jahren noch nicht davon erholt haben werden. Es wird Zeit, diesem Abschaum einen Strich durch die Rechnung zu machen, nachdem sie unser Blut schon zu oft vergossen und uns schon zu lange kontrolliert haben.“

In Nataniels Stimme schwang etwas mit, das Delilah schmerzlich an eigene Verluste erinnerte und sie den Blick senken ließ, um für einen Moment die Maserung des Tisches zu betrachten, ehe sie sich wieder zusammenriss und erneut Haltung annahm. Sie war schließlich kein kleines Mädchen mehr!

„Wir haben bereits einen ausgeklügelten Plan, doch es fehlt noch ein Schlüsselelement, weshalb ich Leute wie euch suche, um mir dabei zu helfen.“

Nataniel bedachte jeden in der Runde mit einem intensiven Blick, doch er bettelte nicht, sondern breitete stattdessen noch deutlicher eine seltsame Aura von Autorität und Stärke um sich herum aus.

Nicht, dass es Delilah wirklich berühren würde, aber sie wusste plötzlich, mit was sie es hier zu tun hatte.

Er war ein Alphamännchen, wie es sie auch bei ihrer Art gab und obwohl sie gerade der Artunterschied davon abhielt, sich dem unterzuordnen, war doch nicht zu leugnen, dass es sie ebenso einnahm, wie zum Beispiel auch die beiden Werwölfe. Statt dumme Sprüche zu klopfen oder einen weiteren Blick in Delilahs großzügigen Ausschnitt zu werfen, waren sie ungewohnt gefasst und schienen wirklich zu zuhören, was Nataniel zu sagen hatte.

Ein Grund, warum die Raubkatze mit einem Mal für sie völlig uninteressant als möglicher Bettgefährte wurde. Sie würde sich niemals von einem Alphamännchen unterdrücken lassen, mochte es noch so subtil sein.

„Was beinhaltet dieses Schlüsselelement?“

Die Frage kam von Ryon und das war das erste Mal, dass sie ihn sprechen hörte. Seine Stimme wäre angenehm gewesen, wenn auch nur ein Funke an Emotion darin mitgeschwungen wäre, doch das tat es nicht.

Uff, wenn der auch so kalt im Bett ist, holt Frau sich noch Frostbeulen an Stellen, wo man sie eigentlich nicht kriegt!

Delilah unterdrückte sofort den Gedanken, schließlich ging es hier um etwas Ernsthaftes, auch wenn es sie am Ende nicht wirklich betraf. Sie wusste sich schließlich inzwischen zu wehren und glaubte auch nicht, dass sie irgendwann in Zukunft der Moonleague in die Finger geraten könnte. Aber Vorsicht war ja bekanntlich besser als Nachsicht, also rief sie sich erneut zur Ordnung.

„Ein Ablenkungsmanöver“, beantwortete Nataniel schließlich die Frage und setzte sofort dazu an, das näher zu erklären.

„Meine Leute wollen den Hauptcomputer der Moonleague zerstören und das können sie nur, wenn in dem Gebäude, wo sich dieser Computer befindet, so viel Chaos herrscht, dass sie dort unbemerkt hineinkommen können.“

„Wir sind dabei! Wird sicher eine geile Aktion.“

Dean und James klatschten begeistert in die Hand des anderen und schon war der Eindruck von Ernsthaftigkeit bei ihnen wieder verflogen. Stattdessen sah man ihnen an, wie sehr sie darauf brannten, irgendwo Chaos zu stiften.

Um sich mögliche Folgen einer Augen-Muskel-Erkrankung zu ersparen, verkniff Delilah es sich, schon wieder mit den Augen zu rollen. Denn sie hatte das Gefühl, dass sie das wohl noch öfter tun würde, wenn sie länger mit diesem Frischfleisch zu tun hatte.

Bei den anderen drei Männern kam auf jeden Fall nicht so viel Enthusiasmus auf, denn vermutlich waren die nicht so naiv oder schlichtweg verblödet, mögliche Gefahren einfach als harmlos abzutun. Allerdings kniffen sie auch nicht, was Delilah auch nicht erwartet hätte.

„Und wie genau soll das Ablenkungsmanöver aussehen?“, wollte nun Bruce wissen und stellte somit die Frage, die auch sie interessierte.

Gespannt lehnte sie sich etwas vor, denn obwohl Delilah auf gar keinen Fall eine Heldin war und auch nicht sein wollte, so käme es ihr doch ganz gelegen, mal wieder die Sau, besser gesagt, den Wolf herauszulassen, gerade jetzt, da sie schon bald wieder ihre Horrortage haben würde und daher jegliche Form von Anstrengung, die nicht mit einem Bett zu tun hatte, begrüßen konnte. Es würde sie auf andere Gedanken bringen, als nur den auf wilden Sex und das wäre in ihrer derzeitigen Gesellschaftsrunde absolut keine schlechte Sache.

Am Ende könnte sie noch bei diesem Grizzly landen, der zwar sicherlich reich an Erfahrung war, aber eigentlich nicht dem Typ entsprach, auf den sie sonst so stand. Da wären ihr sogar die Frostbeulen willkommen.

Gott, hoffentlich ließ ihre Hitze noch etwas auf sich warten!

 
 

***

 

Als Delilah aus dem Taxi stieg und neben den Männern Aufstellung nahm, die sich ebenfalls auf dem Bordstein zu ihr gesellten, musste sie ein anerkennendes Pfeifen gerade so unterdrücken und damit auch leider einmal den Zwillingen zustimmen.

Hammer Schuppen!“, tönte es geradezu synchron aus den Mündern der beiden Brüder und drückte trotz ihres beschränkten Wortschatzes genau das aus, was auch sie insgeheim dachte.

Sie alle begafften die Fassade eines mehrstöckigen Luxushotels, in dem sie unglaublicherweise heute und vielleicht noch die kommenden Tage übernachten würden.

Niemals hätte Delilah damit gerechnet, eine solche Unterbringung für die Nacht zu bekommen, dafür, dass sie Nataniels Bitte, wie der Rest der Truppe, zugestimmt hatte. Hätte sie das gewusst, hätte es nicht einmal das geringste Zögern gegeben. So eine Chance schlug man einfach nicht aus, wenn man sonst mit einem muffigen Bett und einem Kerl, dessen Namen man am nächsten Morgen nicht einmal mehr wusste, vorlieb nahm, um nicht auf der Straße schlafen zu müssen.

Tatsächlich kam es Delilah so vor, als hätte sie soeben den Jackpot geknackt!

Erst Ryons Hände und sein Sakko auf ihren Schultern rissen sie wieder aus ihrem kleinen Tagtraum. Kurz blickte sie zu dem unterkühlten Hünen hoch und bedauerte es, dass er so ganz und gar keine sexuellen Signale aussandte, auf die sie hätte anspringen können. Seine Geste machte lediglich deutlich, dass ihr nuttenähnliches Outfit für so einen Nobelschuppen einfach nicht angebracht war und er etwas dagegen zu tun gedachte.

Nun, ihr sollte es recht sein. Für eine Nacht in diesem Hotel hätte sie wesentlich mehr getan, als sich nur zu bedecken.

Und diese Ansicht bestätigte sich immer mehr, als sie einige Minuten später den Flur zu ihren Zimmern entlang schritten und Delilah still vor sich hinlächelnd die Schlüsselkarte zu ihrem eigenen Zimmer in Händen umklammert hielt, als könne jeden Moment jemand kommen und ihr den kleinen Schatz wieder wegnehmen.

Das würde die erste Nacht seit einer denkwürdigen Zeitspanne sein, in der sie endlich einmal ein Bett für sich ganz alleine hatte. Da störte es sie noch nicht einmal, dass die Zwillinge das Zimmer direkt neben dem ihren hatten.

„Falls du jemanden brauchst, der dir dein Kissen aufschüttelt und dir eine Gutenacht-Geschichte vorliest, weißt du ja, wo du uns findest.“

Immer noch mit einem glücklichen Grinsen im Gesicht drehte sich Delilah abrupt zu den beiden Brüdern herum, woraufhin ihr Lächeln noch breiter wurde. Selbst diese beiden Kindsköpfe konnten ihr ihre Laune nicht verderben.

„Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich heute Nacht einen Fußwärmer brauche, werde ich mich gerne an die etwas erfahreneren Modelle in diesem Stockwerk wenden. Trotzdem danke für das Angebot. Gute Nacht.“

Mit diesen Worten öffnete sie ihre Tür und schloss sie hinter sich, bevor auch nur noch ein Wort der Brüder an ihr Ohr dringen konnte. Sollten sich die Kerle doch gegenseitig die Stange halten, wenn sie es so nötig hatten, sie jedenfalls würde jetzt Julia Roberts in Pretty Woman imitieren, nachdem sie das gigantische Ausmaß der Badewanne wahrgenommen hatte. Es wäre eine Schande gewesen, dem nicht nachzugehen.

 
 

***

 

„Oh, Gott!“

Sie stöhnte in scheinbar höchster Ekstase auf, auch wenn es nicht den üblichen Grund dafür hatte. Bis unters Kinn reichte ihr das wohlig warme Wasser. Dichte wattige Schaumwölkchen umhüllten sie knisternd und ein Duft von herrlicher Vanille umspielte ihre feinen Sinne.

Das hier war durchaus ein orgiastisches Erlebnis für sie. Denn, wann war das letzte Mal gewesen, dass sie mehr als eine flüchtige Dusche genommen hatte, geschweige denn ein ausgedehntes Schaumbad?

Um ehrlich zu sein, konnte sich Delilah nicht mehr daran erinnern.

Der übliche Sauberkeitsablauf bedeutete, dass sie sich kaum damit Zeit ließ, das Wasser in den fremden Duschen warm werden zu lassen, um sich rasch zu waschen, ehe sie auch schon nach dem nächstbesten, nicht immer frischen Handtuch griff, um sich so schnell wie möglich abzutrocknen und wieder anzuziehen. Denn es gab eines, das sie genauso sehr verabscheute, wie das Gefühl neben einem fremden, womöglich im Lichte des hellen Tages auch noch hässlichen Kerls zu erwachen, dessen Arm sogar im Schlaf noch ihren Körper begrabschte, als wäre er sein Eigentum – nämlich diesem besagten Kerl auch noch am Morgen in wachem Zustand zu begegnen. Daher ergriff Delilah stets rechtzeitig die Flucht, um in Ruhe und alleine zu frühstücken.

Wie sehr sie also das hier genoss, konnte sie nicht in Worte fassen.

Erst lange, nachdem ihre Finger schon längst runzelig geworden waren und sie kaum noch die müden Augen offenhalten konnte, kämpfte Delilah sich aus der riesigen Badewanne, kuschelte sich in ein himmlisch weiches Handtuch und fiel schließlich völlig erschöpft in das noch gigantischere Bett.

Träge und absolut zufrieden wühlte sie sich nackt unter die Decke und verschwendete nur einen kleinen Gedanken daran, dass sie morgen so früh wie möglich noch ein paar ihrer Sachen aus dem Spind im nahegelegenen Hallenbad holen sollte, um sich zum Frühstück etwas anständiger kleiden zu können.

Weit kam sie nicht bei dem Gedanken, ehe sie mit dem Kopf tief im duftigen Kissen vergraben einschlief.

2. Kapitel

„So früh schon unterwegs?“

Delilah zuckte leicht erschrocken zusammen und hätte beinahe die prallgefüllte Reisetasche fallen gelassen, in der sie gerade auf der Suche nach ihrer Schlüsselkarte herumgewühlt hatte, während sie auf den Fahrstuhl wartete.

Da sie die Stimme allerdings gleich erkannte, ließ sie ihr Unternehmen für einen Moment bleiben und spähte stattdessen über ihre Schulter.

Zugegeben, es wunderte sie doch sehr, einen der Zwillinge so früh am Morgen in der Hotellobby zu sehen, noch dazu ganz ohne seine andere Hälfte, die ihm normalerweise nicht von der Seite zu weichen schien, als wären sie im Grunde untrennbar. Umso merkwürdiger war es also, dieses Mal nur einem der Brüder gegenüberzustehen, dabei war dieser auch noch im Bademantel.

Delilahs Verwunderung wurde immer größer, je länger sie den Werwolf anstarrte, der unverschämt zurückgrinste.

Das Pling des ankommenden Fahrstuhls rettete sie zum Glück vor einer Genickstarre und sie trat rasch zwischen die sich öffnenden Türen hindurch, um irgendwelchen weiteren Anmachsprüchen zu entkommen.

Zu ihrem Grauen gesellte sich der Werwolf jedoch mit einem noch breiteren Grinsen dazu und drückte den Knopf für ihr gemeinsames Stockwerk.

„Ich hätte euch eigentlich für Langschläfer gehalten“, rutschte es Delilah schließlich doch heraus, nachdem sich die Türen wieder geschlossen hatten. Auf die Frage von vorhin ging sie dabei nicht ein.

Und für kleiner.

Ihr Blick huschte kurz unauffällig an ihm hoch, so dass ihr der Größenunterschied noch mehr auffiel. Was wohl daran lag, dass sie gestern ihre Highheels angehabt hatte und heute nur gemütliche Ballerinas trug. Was sie demzufolge noch kleiner machte, als ohnehin schon. Aber selbst wenn sie keine beeindruckenden 1,58 m klein gewesen wäre, hätte der Kerl sie immer noch bei weitem überragt. Er war mehr als einen Kopf größer als sie.

„James ist der Langschläfer in der Familie. Ich bevorzuge es, mich schon morgens ein bisschen sportlich zu betätigen.“

Also wurde sie da gerade von Dean angemacht, dessen Tonfall mehr als nur zweideutig gewesen war.

Gut, dass sie heute Morgen mit dem richtigen Fuß aufgestanden war, sonst hätte sie ihm ein für alle Mal gezeigt, dass er bei ihr nie und nimmer mit solchen Sprüchen landen konnte. Auch, wenn er zugegebenermaßen mit den feuchten und zerstrubbelten Haaren nicht schlecht aussah. Was sie wieder auf die Frage brachte, was er hier überhaupt so früh schon tat. Aber sie wollte ihn eigentlich nicht danach fragen. Stattdessen musterte sie ihn noch ein bisschen gründlicher von der Seite und begann auch unauffällig in der Luft zu schnuppern.

Er roch nach Mann, Wolf und Chlorwasser.

Erstaunt hob sich eine ihrer fast weißblonden Augenbrauen, ehe sie den Blick ganz abwandte und erst jetzt bemerkte, dass er sie die ganze Zeit über durch die spiegelnde Fahrstuhltür beobachtet hatte.

Sofort sackte ihre erhobene Augenbraue wieder herab und ihr Blick verdüsterte sich für einen Moment, ehe Delilah entschied, dass es ihr egal war.

Sie starrte zurück.

Der Fahrstuhl gab ein erneutes Pling von sich und die Türen glitten auseinander, was ihren Blickkontakt unterbrach und Delilah dazu zwang, wieder in die Gänge zu kommen.

„Bis später.“

Sie schulterte ihre Reisetasche von neuem und stahl sich vor Dean aus dem Fahrstuhl, um so schnell wie möglich zu ihrem Zimmer zu kommen.

„Wir sehen uns beim Frühstück“, rief er ihr beinahe lachend hinterher, als amüsiere ihn ihr schneller Abgang über die Maßen.

„Darauf kannst du Gift nehmen“, knurrte sie so leise, dass er sie nicht hören konnte, ehe sie lauter über die Schulter hinweg zurückrief: „Und hör auf, mir auf den Hintern zu starren!“

Hastig kramte sie erneut nach ihrer Schlüsselkarte, konnte sie aber nicht schnell genug finden, da war Dean auch schon an der Tür neben ihr und schnalzte lasziv mit der Zunge.

„Dann solltest du aufhören, damit in der Gegend herumzuwackeln, Süße. Außerdem ist das hier ein freies Land.“

Bevor sie noch etwas darauf erwidern konnte, war der Kerl auch schon in seinem Zimmer verschwunden und ließ sie da im Flur stehen, wie bestellt und nicht abgeholt.

„Kleiner Scheißer!“, fluchte sie erneut leise vor sich hin und fand endlich diese verdammte Karte, die sie etwas zu hart in den dafür vorgesehenen Schlitz rammte.

Ihre Tasche landete hart neben dem Waschbecken am Boden, ehe sich Delilahs Finger fest um das kühle Porzellan krallten und sie sich gereizt in die blaugrauen Augen starrte.

Eigentlich war es ihr ja egal, dass der Penner ihr auf den Hintern gestarrt oder sie da so einfach im Flur stehengelassen hatte. Was sie wirklich sauer machte, war mehr der Umstand, dass sie sich dazu hatte hinreißen lassen, den Kerl auch noch durchzuchecken. Etwas, das sie bei diesen kleinen Milchbubis nicht vorgehabt hatte, da die beiden vermutlich erst vor kurzem offiziell Alkohol trinken durften. Aber selbst das konnte sie nicht wirklich beeindrucken, benahmen sie sich schließlich immer noch wie Kleinkinder auf der Jagd nach dem süßesten Eis am Stiel.

Doch am meisten regte es sie auf, dass ihr auch noch gefiel, was sie da gesehen hatte!

Deans Augen waren von einem warmen Karamellbraun, beinahe wie flüssiger Honig und passten perfekt zu seinen kurzen kastanienbraunen Haaren, die lässig in alle Richtungen von seinem Kopf abgestanden hatten. Die Spitzen noch ganz feucht vom Chlorwasser, da er vermutlich im Hotelpool ein paar Bahnen geschwommen war.

Mal von dem stechenden Gestank nach Chlor abgesehen, hatte sein Geruch sie allerdings am schwersten getroffen.

Er roch nicht nur nach dem Körper eines jungen gesunden Mannes, sondern auch ein bisschen nach nährstoffreicher Walderde, herber Baumrinde und dem moschusartigen Geruch eines männlichen Wolfes. Alles so dezent verpackt, dass es sie beinahe nach einer weiteren Kostprobe verlangt hätte, anstatt sie, wie bei einem penetranten Gestank, auf Distanz zu bringen.

Delilah war sich dabei sogar verdammt sicher, dass nur die feine Nase eines Tieres diese durchaus attraktiven Duftnoten wahrnehmen konnte und Dean für einen gewöhnlichen Menschen tatsächlich nur, wie ein gesunder Mann riechen musste.

Mit einem letzten Blick stieß sie ein tiefes Seufzen aus, ehe sie sich zu ihrer Tasche beugte und nach dem Kulturbeutel griff, aus dem sie ihre Haarbürste zog.

Ihre eigenen Haare neigten nämlich auch dazu, ungewollt in alle Richtungen abzustehen, nachdem sie noch nicht die Gelegenheit gehabt hatte, sich richtig zu frisieren.

Viel konnte man mit den kurzen, weißblonden Haaren, die ihr gerade mal bis zu den Ohren gingen, ohnehin nicht anfangen, aber sie waren pflegeleicht und das war bei ihrem Lebenswandel wirklich verdammt praktisch.

Nachdem ihre Frisur wieder so saß, wie sie es gewohnt war, nahm Delilah ihr Schminktäschchen zur Hand, um ihre strahlend blauen Augen noch mehr mit großzügig aufgetragenem schwarzen Kajal hervorzuheben.

Heute Morgen hatte sie sich nicht wirklich geschminkt, sondern nur die noch verbliebenen Reste von gestern entfernt. Was sie daran erinnerte, dass Dean sie so gesehen hatte.

„Und wenn schon.“

Unbekümmert zuckte sie mit den Schultern, wusste sie doch, dass sie auch ohne die ganzen Schönheitsartikel gut aussah und sich nur deshalb schminkte, um andere Leute zu provozieren.

Außerdem liebte sie diese kleinen Zauberartikel!

Nachdem ihre strengen Pflegeeltern ihr nicht einmal Nagellack, geschweige denn ein bisschen Lipgloss erlaubt hatten, genoss Delilah es nun in vollen Zügen, ihre Lippen zu bemalen, leicht ihre Augenlieder in einer erdigen Farbe zu betupfen und ihre Wimpern aufzupuschen.

Mit dem Make-up zufrieden wühlte sie lange in ihrer Reisetasche herum, um ein angemessenes Outfit fürs Frühstück zu finden. Allerdings war das bei ihrem Kleiderstil alles andere als einfach, weshalb Delilah ein bisschen tricksen musste.

Sie konnte zwar nicht mit lang und züchtig aufwarten, aber dafür hatte sie ein halbwegs schlichtes Top mit dem farblich dazu passenden Rock in einem dunklen Beige. Erdtöne waren normalerweise nicht ihre Favoriten, da sie es gerne auffallend mochte, aber zumindest würden die Farben darüber hinwegtäuschen, wie tief der Ausschnitt ihres Oberteils ging und wie groß der Abstand zwischen ihrem Rocksaum und den Knien war. Oder vielleicht auch nicht.

Da Delilah zu dem Outfit keine wirklich passenden Schuhe hatte, entschied sie sich für ihre absoluten Lieblinge – schwarze Wildlederstiefel. Die gingen ihr bis über die Knie und würden hoffentlich die Fläche nackter Haut auf ihren Oberschenkeln etwas dezimieren. Außerdem hatten sie genug Absatz, damit sie nicht gar so weit zu den Zwillingen aufsehen musste.

Eine silberne Kette, die zwischen dem Tal ihrer gut verpackten Brüste reichte und kleine dazu passende Kreolen rundeten das Bild ab.

Als sich Delilah anschließend im Spiegel betrachtete, musste sie breitgrinsen.

„Das hat doch schon was von einer Edelnutte.“

 
 

***

 

Oh Gott, hab ich einen Kohldampf. Ich könnte glatt ein ganzes –

Delilah stoppte nicht nur in Gedanken, sondern auch das Geräusch ihrer Absätze auf Marmorboden stockte kurz, ehe sie sich von dem Anblick der beiden Werwölfe am Eingang zum Speisesaal wieder erholt hatte.

Sie hätte wohl besser barfuß gehen sollen, dann wären die Brüder vielleicht nicht so schnell auf sie aufmerksam geworden, kaum, dass sie den Fahrstuhl verlassen hatte. Aber so klebten die Blicke der beiden wie Kletten an ihr und sie machten noch nicht einmal den Versuch, ihre offensichtliche Musterung von Delilahs heutigem Outfit zu verbergen.

Dean lehnte sich daraufhin ein Stück zu seinem Bruder und raunte ihm etwas leise zu, woraufhin James grinsend nickte, ehe ihr beide mit einer flinken Bewegung den Weg versperrten, als Delilah die Bälger ignorierend an ihnen vorbeiziehen wollte.

Woher sie wusste, dass Dean der mit dem weißen, und James der mit dem schwarzen Shirt war, konnte sie nicht sagen. Aber sie war sich fast sicher.

An ihrem Ärger änderte das trotzdem nichts. Sie hatte einen gewaltigen Hunger und würde sich sicherlich nicht von diesen beiden Idioten davon abhalten lassen, sich gratis den Bauch vollzuschlagen.

„Lasst mich gefälligst durch“, knurrte sie nicht gerade freundlich, aber immer noch gefasst. Woraufhin sich die beiden Brüder einen kurzen Blick zuwarfen, die Arme wie Türsteher vor der Brust verschränkten und den ebenso unnahbaren Gesichtsausdruck aufsetzten.

Beeindruckend muskulöse Arme, ohne gleich an Steroide zu erinnern, wie Delilah fand. Sie würde die Jungs dennoch eher als sportlich bezeichnen. Was jetzt aber absolut nicht relevant war.

Essen – das war momentan ihr einziges Verlangen.

„Was kriegen wir dafür?“

Das kam von James, den sie sogleich giftig anfunkelte.

„Ein paar aufs Maul und dazu noch einen Nachschlag unter die Gürtellinie, wenn ihr euch nicht gleich verzieht.“

Beide begannen sie verschmitzt zu grinsen, was Delilahs Laune unter den Gefrierpunkt jagte.

Wenn sie Hunger hatte, war nicht mit ihr zu spaßen, was die beiden überhaupt nicht zu schnallen schienen.

„Sie hat Krallen“, stellte Dean offensichtlich zufrieden fest.

„Und Reißzähne“, stimmte James seinem Bruder ebenso zu.

„Sie ist anwesend, ihr verdammten Welpen!“ Dieses Mal war tatsächlich ein Knurren in Delilahs Ton herauszuhören und sie trat noch einen Schritt näher, während ihre Hand sich um die kleine Handtasche krallte.

Welpen?

Das kam von beiden gleichzeitig.

Dean kam mit seiner fast einschüchternden Größe ein Stück näher. „Süße, gib uns ein paar Minuten und wir –“

„– zeigen dir, was erwachsene Männer sind.“ James rückte ebenso nach, so dass Delilah fast versucht war, den einen Schritt wieder zurückzuweichen, doch sie blieb standhaft.

Von diesen Kids würde sie sich nicht einschüchtern lassen.

„Ihr würdet einen erwachsenen Mann noch nicht mal erkennen, wenn euch ein harter Schwanz ins Gesicht gehalten wird. Also verpisst euch gefälligst und heult einer anderen die Ohren voll.“

Am besten einer Kindergärtnerin.

Delilah musste unweigerlich schmunzeln, konnte es sich aber gerade noch verkneifen.

„Oh Baby, für dich würden wir sogar den Mond anheulen.“

Diese beiden waren echt sowas von –

„Das tut ihr doch sowieso, also zieht eure Schwänze ein und sucht wo anders nach einer läufigen Hündin. Ich bin nicht an zwei Welpen wie euch interessiert.“

Mit diesen Worten drängte sie sich zwischen den Zwillingen durch und musste für einen Moment den Atem anhalten.

Deans Geruch war ihr vorhin vom Fahrstuhl noch vertraut, aber James’ Duft war ...

Scheiße.

Wo Dean eine deutlich herbe und männliche Note hatte, war James wesentlich subtiler, während er dafür von einer Geruchsmischung eingehüllt wurde, die sie an ein prasselndes Lagerfeuer, frisch geschnittenes Holz und getrocknetes Wildgras erinnerte. Und immer wieder lag darüber der deutlich anziehende Geruch von Wolf.

Delilah wüsste nicht, für welchen Duft sie sich lieber entscheiden würde, da beide sie anzogen.

Von dieser Tatsache so verwirrt, ignorierte sie einfach den Spruch, den die Zwillinge ihr hinterherriefen, während sie ihr zu dem Tisch folgten, an dem bereits Kahn und Bruce mit überladenen Tellern platzgenommen hatten.

Gott war sie froh, diese beiden Bulldozer zu sehen, bei denen sie nicht Gefahr lief, angemacht zu werden, weshalb sie den beiden auch ein strahlendes Lächeln und ein fröhliches „Guten Morgen“ schenkte, bevor sie zu dem riesigen Buffet abdriftete.

Was ihr verbaler Gegenangriff nicht geschafft hatte, gelang dem köstlich aussehenden Essen offenbar ohne Mühe.

Die Zwillinge hielten endlich die Klappe und luden sich selbst riesige Berge an Essen auf ihre Teller.

Da war wohl noch jemand hungrig.

Endlich besänftigt trug Delilah ihre Ausbeute zum Tisch zurück und setzte sich neben Bruce, sich dabei der Blicke anderer Hotelgäste durchaus bewusst. Aber das war ja schließlich zu erwarten gewesen.

Sie bemerkte daher erst das kleine Gerangel hinter sich, als sie gerade zu Essen beginnen wollte und dabei unweigerlich Khans Blick einfing, der irgendetwas hinter ihr anvisierte.

Delilah musste sich ein Stück zurücklehnen, um zu sehen, dass die Zwillinge auf halbem Weg zu ihrem Tisch stehen geblieben waren und deutlich gestikulierend auf sie deuteten, während sie sich über irgendetwas stritten.

Es war ein ebenso seltener, wie merkwürdiger Anblick. Eigentlich hätte Delilah angenommen, die beiden Kerle wären sich in absolut jeder Sache einig und es gäbe nichts, worüber sie sich streiten könnten.

Sie schien das allerdings zu ändern und konnte nicht umhin, dabei Schadenfreude zu empfinden, als der Streit immer deutlicher wurde und sich die beiden Brüder schon fast in die Haare kriegten, obwohl sie immer noch so leise sprachen, dass selbst ihr feines Gehör das Gespräch nicht mitverfolgen konnte.

Zu schade.

Trotzdem wartete Delilah geradezu darauf, dass einem der Brüder am Ende der Kragen platzen würde und dieser seinem Zwilling das Essen um die Ohren drosch. Doch stattdessen wurden sie mit einem Schlag wieder friedlich, nachdem Dean irgendein Argument eingeworfen hatte, das James offenbar für ziemlich gut hielt.

Plötzlich fiel der verschwörerische Blick der beiden auf Delilah.

Sofort drehte sie sich wieder herum und versuchte das Kribbeln in ihrem Nacken zu ignorieren, als die Zwillinge sich nun doch noch zu ihnen gesellten.

Es war James, der sich friedlich zu ihrer Rechten neben sie setzte, was sie absolut nicht überraschte. Sie hatte gewusst, dass zumindest einer der beiden neben ihr sitzen würde.

Was sie dann aber wirklich überraschte, war James’ Hand, die nach ihrer Stuhlkante griff und sie zu sich heranzog.

Gerade wollte sie ihn anschnauzen, was das denn sollte, als zu ihrer Linken Dean mit einem leeren Stuhl in der Hand aufkreuzte und sich seelenruhig auf den freigewordenen Platz setzte, so dass sie nun direkt zwischen den Zwillingen saß. Oder besser gesagt, von ihnen eingekeilt wurde. Das Holz der drei Stühle berührte sich immerhin dabei.

Sprachlos von so viel Dreistigkeit wusste Delilah für einen Augenblick gar nicht, wie sie reagieren sollte und als sie sich so weit gefangen hatte, dass sie die beiden anschnauzen konnte, ignorierten die sie in stiller Eintracht und verschlangen stattdessen überraschend manierlich ihr Frühstück.

Das ... Diese ... Verdammt!

Wütend griff Delilah wieder nach ihrer Gabel und begann ebenfalls zu essen, während sie diese verdammten Idioten wie Luft behandelte. Die beste Entscheidung, die sie in solch einem Fall treffen konnte und als sich schließlich auch noch Ryon, Nataniel und eine ihr fremde Frau, die dem Anschein nach seine Gefährtin und doch menschlich war, dazu gesellten, war der Ärger schon fast wieder vergessen.

Stattdessen dachte Delilah an die Mission, die sie heute Nacht hatten und wie sehr sie sich schon darauf freute, mal so richtig ihren Frust ablassen zu können, nachdem die Zwillinge sie heute schon so sehr zur Weißglut getrieben hatten.

Diese Moonleague-Bastarde taten ihr bei diesem Gedanken schon fast leid.

3. Kapitel

„Warum hast du den überhaupt mitgenommen?“, verlangte James zu wissen, nachdem er seiner Neugier wohl einfach nicht mehr hatte habhaft werden können.

Armes Bürschchen.

„Ich steh auf harte Knüppel, was sonst?“

War das nicht offensichtlich?

Zärtlich strich Delilah über die kühle und glatte Oberfläche des metallenen Baseballschlägers, den sie sich an ihrem freien Nachmittag noch von einem der naheliegenden Sportgeschäfte 'geborgt' hatte, bevor man sie hier mit sechs Kerlen auf engstem Raum in einen rostigen Lieferwagen einer Paketserviceagentur verfrachtet hatte.

Schließlich war sie mit ihren kleinen Fäusten nicht unbedingt gefährlich, und solange sie sich nicht verwandeln durfte, wollte sie nicht gänzlich unbewaffnet herumlaufen. Außerdem genoss sie es, die Zwillinge absichtlich zu reizen und zu ärgern, als Rache für die Aktion von heute Morgen am Frühstückstisch und wie es schien, gelang ihr das auch.

Keiner der beiden Brüder konnte lange genug den Blick von ihrer Oberweite nehmen, die nur von der Tatsache so deutlich in Form gedrückt wurde, dass das schwarze Top mit dem Playboy-Bunny vorne drauf mehr als eine Nummer zu eng war und somit nicht viel Spielraum für ihre weiblichen Vorzüge ließ. Aber um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, hatte sie das Top knapp unterhalb ihrer Brüste abgeschnitten, so dass es nicht viel Bewegung bedürfte, um sie komplett zu entblößen. Zudem konnte hier niemandem entgehen, dass sie keinen BH trug. Was allerdings mehr praktische Gründe hatte, anstatt das Testosteron in diesem winzigen Wagen noch höher schnellen zu lassen.

Immerhin war Delilah sich darüber im Klaren, dass die Klamotten diese Nacht vermutlich nicht überstehen würden und so viele BHs hatte sie nicht, wenn man bedachte, wie teuer die Teile waren. Also fiel ihr nicht einmal im Traum ein, auch nur einen davon der Gefahr auszusetzen, zerrissen zu werden. Vorher lief sie lieber nackt herum.

Und da sie schon den BH weggelassen hatte, war es auch schon egal, dass sie kein Höschen trug, was man sowieso nicht erkennen konnte. Trotz der knappen Hotpants.

„Na, wenn das so ist, Baby. Wieso legst du das Spielzeug dann nicht weg und begnügst dich mit was richtig Hartem?“

Ha! Der Spruch hatte ja kommen müssen.

Vollkommen zufrieden grinste Delilah in sich hinein und bemerkte dabei, dass auch Khan, der ihr gegenübersaß, nicht zu schmunzeln versuchte, dann auch noch etwas zu Bruce raunte, ehe beide mit den Augen rollend die Köpfe schüttelten.

Da waren die Herren sich wohl einig und Delilah konnte einfach nicht widerstehen, da sie das einfach ausnutzen musste.

„Sorry, Jungs. Aber bevor ich mich mit zwei Milchbubis wie euch abgebe, schiebe ich lieber eine Nummer mit einem von den beiden. Das sind wenigstens richtige Männer.“

Delilah schenkte den beiden älteren Gestaltwandlern ein entwaffnendes Lächeln, um ihnen zu zeigen, dass es nicht ernst gemeint war, was diese eher zu amüsieren schien, als sie zu ärgern. Immerhin wandten sich darauf die Zwillinge beleidigt von ihr ab, wobei sie absolut synchron knurrten: „Na, wenn du es lieber mit Opas treibst, bitte.

Beinahe befürchtete Delilah schon, die Worte würden die Bulldozer dazu anleiten, den Kleinen ein paar Manieren einzuprügeln, doch zum Glück einigten sie sich mit Blicken darauf, dass es hier definitiv zu eng für eine Abreibung war.

Um allerdings nichts Gegenteiliges herauszufordern, hielt nun auch sie den Mund und konzentrierte sich lieber darauf, was schon bald geschehen würde.

Allein der Gedanke an die bevorstehende Aktion trieb ihren Puls in die Höhe und machte sie ganz kribbelig. Sie spürte schon, wie ihr das ansteigende Adrenalin einen feinen Anflug von Schweißtröpfchen auf die Haut trieb, da die Luft hier drin alles andere als kühl war.

Daran, dass sich die Haltung der Zwillinge neben ihr deutlich versteifte, konnte sie erkennen, dass ihnen das nicht entgangen war.

Innerlich verfluchte Delilah dann doch ihre große Klappe, denn sie spürte nur allzu deutlich, dass sich da neben der hochschießenden Anspannung auch noch etwas anderes aufbaute. Etwas das sehr viel mehr mit ihren Hormonen, als mit der bevorstehenden Gefahr zu tun hatte.

Aber noch war der Punkt nicht überschritten, sodass es auch für andere männliche Exemplare ihrer Gattung deutlich bemerkbar und vielleicht auch entsprechend anregend wurde.

Zum Glück. Sie hockte hier auf engstem Raum mit sechs Kerlen in einem Lieferwagen, und obwohl keiner von ihnen zur Gattung einfacher Wolf gehörte, waren sie doch Männer mit hyperempfindlichen Geruchsnerven, die auf Reize reagierten, ob nun gewollt oder nicht. Das lag in ihrer Natur.

Natürlich gab es noch den logisch denkenden Verstand und sie traute auch zwei Drittel von ihnen zu, dass sie diesen benutzten, wenn es sein musste. Bei den Zwillingen war sich Delilah jedoch nicht so sicher.

Tja. Sollten sie ruhig versuchen, sie anzugrabschen. Sie wollte ohnehin schon immer wissen, wie es war, jemanden mit bloßen Händen zu kastrieren. Das könnte sie dann bei dieser Gelegenheit bis ins kleinste Detail herausfinden.

Vom Beifahrersitz hörte sie Nataniel plötzlich „Showtime“ sagen, woraufhin auch schon der Motor des Wagens ansprang und sich dieser in Bewegung setzte. Delilahs Finger umklammerten den metallenen Baseballschläger in gespannter Erwartung.

Sie wusste, was zu tun war. Nataniel hatte es ihnen ausführlich beim Mittagessen erklärt und zu ihrem Leidwesen auch die Einteilung der kleinen Gruppen übernommen.

Während er mit Ryon den zweiten Stock des Gebäudes aufräumen durfte und Khan sich zusammen mit Bruce um das Erdgeschoss kümmerte, war sie gezwungen, sich mit den Zwillingen zusammenzuschließen und den ersten Stock zu übernehmen. Sobald die Stockwerke gesäubert waren, durften die Gruppen sich nach Lust und Laune weiter nach oben vorarbeiten und dabei so viel Chaos und Lärm veranstalten wie nur irgend möglich. Aber sie sollten zusammenbleiben. Keine Alleingänge.

Verdammt!

Noch ein Punkt auf ihrer Liste, den sie an den Köpfen der Moonleague-Typen abarbeiten würde.

Ryon bremste den Wagen so abrupt ab, dass sie beinahe auf Deans Schoß gelandet wäre, was sie nur noch mehr für den Kampf reizte.

„Na dann Mädels. Lassen wir es mal so richtig krachen!“, stieß sie laut in die Runde, und obwohl Ryon alles andere als ein Mädel war, nahm er sie beim Wort. Mit einem harten Ruck schlug er den Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal bis zum Boden durch, sodass sie nun fast auf James landete, ehe sie sich an der angeschraubten Sitzbank festklammern konnte, auf der sie saß.

Keine Sekunde zu früh, denn schon krachten sie mit voller Wucht durch die Glastüren des Moonleague-Gebäudes und lösten damit sofort Alarm aus.

„Vergesst nicht: Erst wandeln, nachdem der Rauch sich ausbreiten konnte, klar?“, ermahnte Nataniel sie noch ein letztes Mal, ehe er auch schon zeitgleich mit Bruce die Tür aufriss und nur kurz innehielt, damit dieser seine selbst gebastelten Rauchbomben in die große Lobby verteilt werfen konnte, woraufhin sich sofort dichter Rauch ausbreitete.

Delilah wartete noch, bis alle Männer aus dem Wagen gesprungen waren, ehe sie unter ihren Sitz griff und den Ghettoblaster hervorzog, den sie sich natürlich auch extra für diese Mission 'ausgeborgt' hatte.

Danach kam sie ebenfalls in die Gänge, schlich sich allerdings zunächst noch an den Silhouetten der Moonleague-Bastarde vorbei, die in die Empfangshalle geströmt kamen wie eine Horde aufgebrachter Ameisen, und stellte den Ghettoblaster so auf den Empfangstresen, dass diesem nicht gleich etwas passieren konnte. Aber vermutlich hatten die Leute hier ohnehin andere Sorgen, wenn man nach dem Stöhnen und Ächzen ging, das deutlich die Luft erfüllte. Ebenso wie befriedigende Klatschlaute, wenn eine dieser riesigen Pranken der Bulldozer ins Schwarze traf.

Delilah begann breit zu grinsen.

„Jetzt sorgen wir hier mal so richtig für Stimmung!“, rief sie mehr zu sich selbst und drückte auf Play.

Sofort donnerte Rob Zombie mit 'Living Dead Girl' auf voller Lautstärke durch die Halle und riss sie mit den harten Rhythmen regelrecht mit.

Den Baseballschläger mit beiden Händen fest umschlungen stürzte Delilah sich ins Gefecht und traf schon beim ersten Schwinger einen Typen in Anzug und mit einer Knarre in der Hand, bevor dieser sie gegen sie richten konnte.

Das dumpfe Stöhnen konnte man über den Lärm hinweg zwar nicht hören, aber der Typ ging dennoch wie ein Sack Kartoffeln zu Boden.

Elegant sprang sie einfach über ihn hinweg, erwischte einen anderen Angreifer mit voller Wucht in der Seite und rannte auch schon weiter, ohne zu sehen, wie dieser auf die Knie sank.

Nataniel hatte ihr gesagt, sie sollte mit den Zwillingen den ersten Stock säubern und verdammt noch mal, so sehr ihr das auch gegen den Strich ging, sie würde es dennoch tun. Schließlich war das hier kein Kindergeburtstag, obwohl sie sich mit dem Baseballschläger so vorkam, als würde sie statt auf bewaffnete Kerle auf Piñatas eindreschen, nur ohne die Süßigkeiten als Füllung.

Trotzdem waren das scharfe Waffen, die da immer wieder auf sie gerichtet wurden, und spätestens, als eine Kugel ganz knapp an ihr vorbeizischte und in die Wand einschlug, wurde ihr das auch so richtig klar.

Delilah hatte keine Ahnung, wo die Brüder waren, aber nach den Bewusstlosen zu urteilen, die über die Feuertreppe verstreut herumlagen, konnten sie nicht allzu weit sein.

Also lief sie weiter die Stufen hinauf in den ersten Stock, und gerade als sie die Feuertür aufstieß, ging das Licht aus, ehe sofort die Notbeleuchtung ansprang und alles in ein dumpfes Grün tauchte, das ihren Augen keine Probleme bereitete, leider aber auch immer noch hell genug war, um den menschlichen Augen zu genügen.

Kaum dass Delilah in den Gang gespäht hatte, zog sie auch schon wieder den Kopf zurück und spürte ein leichtes Brennen auf ihrer Wange, als die winzigen Splitter der Kugel sie trafen, die neben ihrem Gesicht in die Feuertür eingeschlagen war.

Wenn sie nicht ohnehin schon auf hundertachtzig gewesen wäre, so wäre es spätestens jetzt so weit gewesen.

Mit einem Tritt stieß sie noch einmal die Feuertür auf, holte mit dem Baseballschläger aus und warf ihn in die Richtung, in der sie vorhin den Schützen ausgemacht hatte, ehe sie auch schon wieder in Deckung ging und auf das Geräusch eines metallenen Baseballschlägers lauschte, der auf einem menschlichen Kopf aufschlug.

Sie musste nicht lange warten, da drang es auch schon an ihre Ohren und sie schoss endlich aus dem Treppenhaus in den Flur und an einem weiteren bewusstlosen Typen vorbei, der dieses Mal auf ihr Konto ging.

In irgendeinem Büro auf dieser Etage konnte sie die Zwillinge wüten hören, die es sich auch jetzt nicht verkneifen konnten, dämliche Sprüche zu klopfen, die Delilah zum Glück nicht genau verstand. Zudem hatte sie ohnehin alle Hände voll zu tun, als plötzlich neben ihr eine Tür aufgerissen wurde und sie beinahe mit dem Lauf einer weiteren Waffe Bekanntschaft gemacht hätte.

Im letzten Moment ließ sie sich einfach zu Boden fallen und der Schuss ging ins Leere.

Bevor dieser hinterlistige Schweinehund von einem Anzugträger auch nur mit der Wimper zucken konnte, stieß sie ihm die Füße in die Knie, so dass es lautstark krachte und der Penner schreiend nach hinten fiel.

Vermutlich tat Delilah ihm sogar einen Gefallen damit, dass sie ihm noch einen rechten Haken verpasste, der besser als jedes Schmerzmittel wirkte.

Etwas traf sie so unvermittelt und hart in die Seite, dass sämtliche Luft aus ihren Lungen getrieben und sie gegen einen Aktenschrank geschleudert wurde.

Schwarze Flecken tanzten für einen Moment vor ihren Augen, ehe sie immer noch um Atem ringend hochblickte und einen zweiten Anzugträger erkennen konnte, der sich hinter der Tür versteckt hatte.

Nur allein dem Umstand, dass er ihr auf die nun voll entblößten Brüste starrte, hatte sie es zu verdanken, dass er noch nicht mit seiner Waffe in der Hand auf sie zielte. Es war genau die Sekunde des Zögerns, die sie brauchte, um auf alle Vieren hochzukommen und sich zu verwandeln.

Ihre Kleidung flog in Fetzen von ihr ab, als sie sich mit gefletschten Zähnen auf diesen elenden Bastard stürzte und sie tief in dessen Arm trieb, bis die zerstörten Sehnen seiner Hand die Waffe nicht länger halten konnten.

Delilah dachte nicht darüber nach, dass sie da Blut in ihrem Maul schmeckte und ihr nächster tierischer Instinkt es war, dem Kerl an die Kehle zu gehen, um ihn von einem weiteren Angriff abzuhalten.

Hätte sie darüber nachgedacht, sie wäre über sich selbst entsetzt gewesen.

Sie hatte noch nie getötet.

Doch im Gegensatz zu der menschlichen Seite in ihr schien die Wölfin sehr genau zu wissen, in welcher Gefahr sie sich befand. Denn kaum entwich ihrem Opfer ein letzter gurgelnder Laut, kamen auch schon weitere Schritte auf sie zu und sie konnte sich gerade noch rechtzeitig herumdrehen, um einer weiteren Kugel auszuweichen. Mit einem Satz auf einen der Schreibtische und von dort aus direkt auf die Tür zu eliminierte sie auch diese Gefahr, doch sofort kam die nächste auf sie zu. Dieses Mal konnte sie nicht rechtzeitig ausweichen und spürte auch schon, wie es heiß durch das weiße Fell und ein Stück der Haut darunter in ihrem Nacken brannte.

Ihr entkam ein schmerzvolles Aufheulen, doch es war mehr die Überraschung, als der Schmerz gewesen, der sie für eine Sekunde lähmte, ehe sie aus dem Stand heraus auf den Schützen zu rannte, Haken schlagend dem Kugelhagel auswich und schon dazu ansetzte, auch diesem Kerl an die Kehle zu springen. Allerdings kam ihr ein riesiger Schatten zuvor und stampfte den Wichser regelrecht in den hässlichen Linoleumboden.

Delilah konnte nicht mehr bremsen und rammte mit voller Wucht den riesigen rotbraunen Wolf, an dem sie einfach abperlte, als wäre sie nichts weiter als ein kleiner Wassertropfen. Dass dem nicht so war, sagten ihr ihre protestierenden Knochen, als sie gegen die Wand schlitterte und ziemlich wütend wieder auf die Beine kam.

Sie biss Dean nicht gerade sanft in die verdammt große Schnauze, nachdem er es auch noch wagte, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, da es doch schließlich seine Schuld war, weshalb ihr der Schädel gerade mächtig dröhnte.

Zumindest das hatte gesessen, denn er wich mit einem Winseln zurück und rieb sich mit der riesigen Pranke über die leicht zerkratzte Nase.

Ein erheitertes Schnauben machte sie auf James aufmerksam, der nur ein paar Schritte entfernt im Gang stand und sie beobachtet hatte.

Erst jetzt bemerkte Delilah, wie riesig die Werwölfe wirklich waren.

Vorhin hatte sie gedacht, es läge nur daran, dass sie einfach auch in ihrer Wolfsgestalt ziemlich klein war, aber da hatte sie nur im Ansatz Recht behalten.

Die Brüder waren mindestens dreimal so groß wie normale Wölfe und hatten auch ebenso viel mehr Muskelmasse. Sie wirkten dennoch nicht massig, sondern auch elegant und wendig, obwohl sie natürlich genau das mit ihrer Größe waren.

Delilah musste es wissen. Sie war schließlich mit voller Wucht in diese Wand aus Muskeln gerannt.

Na toll. Jetzt kam sie sich noch kleiner vor. Das wurde ja immer besser!

Immer noch stocksauer schickte sie auch ein warnendes Knurren an James, ehe Delilah an Dean vorbei schlüpfte auf die Feuertür zu, um nach weiteren Opfern zu suchen, an denen sie ihren Ärger auslassen konnte.

Dass der erste Stock gesäubert war, sagte ihr die unheimliche Stille, die nun über den Büroräumen lag, also lief sie weiter die Treppen nach oben.

Natürlich dauerte es nicht lange, bis die Brüder ihr folgten, doch ehe diese sie einholen konnten, war sie auch schon in den Fluren und Gängen des verzweigten Gebäudes verschwunden, um nach weiterem Ärger Ausschau zu halten.

Den fand sie schließlich auch und sie hatte alle Hände beziehungsweise Pfoten voll zu tun, dabei nicht noch mehr Löcher in ihrem schneeweißen Pelz zu bekommen. Aber wenigstens konnte sie das überraschend beeindruckende Auftreten der Zwillinge für eine Weile aus ihrem Kopf verbannen.

 
 

***

 

Ihre Augen brannten und tränten um die Wette, sodass sie am liebsten den Versuch aufgeben wollte, etwas zu sehen. Doch sie musste etwas sehen, wenn sie nicht jeden Augenblick dem Allmächtigen gegenübertreten wollte. Ihre krampfenden Augenlieder schienen da allerdings anderer Meinung zu sein. Selbst mit Gewalt konnte sie diese nicht dazu bringen, offenzubleiben. Dabei war das noch nicht einmal das Schlimmste.

Hustend und keuchend hatte sie sich unter einem Schreibtisch in einer dunklen Ecke versteckt, aber auch ohne etwas wittern zu können – das konnte sie im Augenblick genauso wie ihre Sicht vollkommen vergessen – wusste sie, dass ihr Fluchtweg von ihrem eigenen Blut markiert worden war. Es würde also nicht mehr lange dauern und er hätte sie gefunden.

Verzweifelt rieb sich Delilah erneut mit ihrer Pfote über die schmerzenden Augen, doch das Pfefferspray hatte sie eiskalt und voll erwischt. Das Reiben machte es nur noch schlimmer. Selbst der Hustenreiz wollte und wollte einfach nicht nachlassen, obwohl sie sich alle Mühe gab, denn die Laute, die sie ungewollt ausstieß, verrieten sie noch mehr als das Blut, das aus der Schnittwunde an ihrer Schulter lief.

Sie war so dumm. So verdammt dumm!

Nur, weil der Kerl keine Waffe gehabt hatte, mit der er auf sie schießen konnte, hatte sie ihn für ungefährlich gehalten, bis er sie eines Besseren belehrt hatte. Zuerst war er mit dem Pfefferspray auf sie losgegangen und danach mit einem Messer.

Irgendwie war es ihr dennoch gelungen, von ihm loszukommen und blind und würgend dieses Versteck zu finden. Doch das würde nicht reichen. Sie wusste es. Spätestens als die Tür zu dem kleinen Büro aufschwang und die verschwommenen Umrisse eines Mannes den Rahmen ausfüllten.

Delilah hielt den Atem an in der verzweifelten Hoffnung, dass er sie vielleicht trotzdem nicht unter dem Schreibtisch finden würde. Doch das war eine ebenso dumme Idee gewesen, wie alle ihre Entscheidungen in den vergangenen zehn Minuten.

Dadurch, dass sie die Luft anhielt, forderte sie den Hustenreiz erst recht heraus und sie wurde keine Sekunde später regelrecht davon durchgeschüttelt.

Zwischen erstickten Atemzügen konnte sie hören, wie die Tür zufiel und ihre vage Hoffnung zerschellte an dem Geräusch eines Schlüssels, der in seinem Schloss herumgedreht wurde.

Nein!

Schwere Schritte näherten sich seelenruhig ihrem Versteck.

NEIN!

Eine grobe Hand packte ihren bebenden Hinterlauf. Obwohl Delilah nach ihr schnappte, gingen ihre Zähne ins Leere.

Mit einem brutalen Ruck wurde sie unter dem Schreibtisch hervorgezerrt, und noch bevor sie auch nur einen Muskel rühren konnte, trat ein harter Armeestiefel in ihre Weichteile.

Ein qualvolles Aufheulen war alles, was ihrer Kehle entwich, ehe sie endgültig keine Luft mehr bekam.

Blut rauschte laut in ihren Ohren, während ihr Herz verzweifelt und hart gegen ihren eingeschnürten Brustkorb donnerte.

Ihr Körper war ein einziger Schmerz und nicht einer ihrer Muskeln tat das, was sie ihm befahl, weshalb sie sich auch nicht rühren konnte, als der nächste Tritt ihr die paar winzigen Luftreserven, die sie in ihrer Lunge hatte sammeln können, mit brachialer Gewalt wieder hinaustrieb.

Wie ein Echo auf das knirschende Geräusch ihrer Rippen rammte etwas von außen mit voller Kraft die verschlossene Tür des Büros und ließ diese regelrecht in ihren Angeln erzittern. Sekunden später erbebte sie unter einem weiteren Ansturm von Neuem.

Delilah konnte es sehen, wenn auch nicht mehr hören. Dazu dröhnte ihr Schädel viel zu laut und selbst der winzige Sichtstreifen, den sie ihren Augenlidern mühsam abverlangte, wurde im nächsten Moment von einer heranrasenden Stiefelspitze vollkommen eingenommen.

Sterne explodierten vor ihren geschlossenen Lidern, während zugleich ihr Kopf brutal in den Nacken geschleudert und ihr Hinterkopf von einem harten Gegenstand abgefangen wurde.

Mit einem Schlag verschwanden der Schmerz und die Lichter.

4. Kapitel

„Am liebsten würde ich diesen elendigen Hurensohn noch einmal in Stücke reißen!“

Leises Murmeln, das den Worten nichts von seiner Schärfe nahm, drang wie durch einen dichten Nebel zu ihr vor.

Ein zustimmendes Knurren, das beinahe neben dem Klang des fremden Herzschlags und dem Rauschen ihres eigenen Blutes in ihren Ohren unterging.

Es war dunkel und warm. Tröstlich.

Ein gedämpftes Klingeln kämpfte sich durch die wattige Hülle, die ihren Körper umgab, gefolgt von dem leisen Säuseln auseinandergleitender Türen. Fremde Muskeln spannten sich unter ihr und um sie herum an, einen Herzschlag später wurde sie unsanft durchgeschüttelt.

Schmerzvoll winselte sie auf, versank jedoch noch in der gleichen Sekunde wieder in erlösendes Nichts ...

Eine sanfte Berührung an ihrer Stirn weckte sie erneut, doch der glühende Feuerball hinter ihren verklebten Lidern hielt sie davon ab, aufzusehen.

Alles tat weh. Selbst das Atmen.

„Delilah, komm schon, werd wach!“ Die vertraute Stimme ebenso drängend wie das immer noch zärtliche Streichen über ihre schmerzende Schnauze.

Sie lockten sie damit schon eine ganze Weile. Erst jetzt wurde sie sich dessen bewusst.

„Du musst dich verwandeln! Bitte!“

Musste sie? Zu spät erkannte sie den Gedanken, der es auslöste.

Bereits angeschlagene Knochen verschoben sich, Fell zog sich zurück, wurde von nackter Haut besiegt. Krallen wurden zu Finger. Läufe zu Füßen. Ein schmerzerfülltes Aufheulen zu einem erstickten Schrei.

„Ach, du heilige Scheiße!“

Sie wollte fliehen. Weg von dem Schmerz. Weg von dem verbrennenden Licht.

„Halt sie fest!“

Nein!

Verzweifelt riss sie die Augen auf. Das gleißende Licht versengte ihre Netzhaut, fuhr durch ihre geweiteten Pupillen direkt in ihren schmerzenden Kopf und explodierte.

Ein weiterer Fluch, der von ihrem Schrei verschluckt wurde.

Ihre Glieder erschlafften ...

 

Sie lehnte vornüber gebeugt an einer großen Schulter und wurde von zusätzlichen Händen gestützt. Wasser flüsterte leise vor sich hin, und nur gedämpft drang ein Lichtschein zu ihr herüber.

Zu schwach um sich zu wehren, ließ sie es zu, dass man ihre Lider auseinanderzwang und kühlendes Nass darüberlaufen ließ.

Es war unangenehm und doch lindernd.

Das Brennen verschwand allmählich.

Ansonsten war es still. Über allem lag lediglich das ständig begleitende Rauschen in ihren Ohren.

Nach einer schier endlos langen Zeit wurde das Wasser abgedreht und sie wieder aufgerichtet.

Für einen Augenblick lang trafen gerötete graublaue Augen auf vor Überraschung geweitetes Karamellbraun.

Ihr Magen schien plötzlich einen bockigen Sprung zu machen. Im nächsten Moment zerrte sie sich mehr schlecht als recht, aus dem warmen Griff und drehte sich weg, um sich würgend zu übergeben.

Beinahe wäre sie auch noch darin gelandet, hätten nicht starke Hände nach ihr gegriffen und sie von der verschmutzten Stelle wegzogen.

Ihr Kopf rollte scheinbar ohne jeglichen Halt in ihrem Nacken und wurde letztendlich von einer nackten warmen Brust gebremst.

Leben kam in ihre Umgebung, doch sie war zu müde, um ihre Augen noch einmal zu öffnen, dennoch war sie sich des feuchten Tuchs nur allzu deutlich bewusst, das ihr sanft über den Mund wischte und sie säuberte.

„Schlaf ruhig“, raunte es leise an ihr Ohr und brachte den Brustkorb an ihrem pochenden Hinterkopf sanft zum Vibrieren. „Den Rest erledigen wir.“

Der Duft von in der Sonne getrocknetem Wildgras kämpfte sich langsam in ihre Nase, als sie dem Vorschlag nur allzu gerne nachkam.

 

Ein Ziepen und Brennen an ihrer Schulter. Gedämpftes Murmeln und warme Hände in ihrem Nacken.

Immer noch war da dieses Dröhnen und Rauschen in ihren Ohren, begleitet von einem dumpfen Druck in ihrem Kopf.

Köstliche Flüssigkeit wurde ihr sanft zwischen die Lippen gedrängt. Vertrieb den grässlichen Geschmack von Blut und Tod aus ihrem Mund. Löschte das starke Brennen in ihrem Hals und beruhigte ihren Magen.

Sie wurde erneut mit großer Sorgfalt bewegt. Spürte es kaum. Ergab sich vollkommen dem Gefühl der Geborgenheit.

„Schlaf weiter.“

Dieses Mal ein sanft geflüsterter Befehl.

Warmer Atem, der über ihre Wange streichelte.

Sie gehorchte.

 
 

***

 

Delilah kuschelte sich enger in die beschützende Umarmung ihres Vaters.

Ihr Rücken tat weh. Sie hatte mal wieder mit der streunenden Katze gekämpft, die ab und an wie ein Penner auf der Suche nach etwas zu Essen um ihr Haus strich, ohne Angst vor dessen Bewohnern zu haben. Alt, dürr und gemein war sie, aber allen voran hinterlistig.

Delilah hatte oft mit ihr gekämpft, und ihr Vater sich darüber beklagt, warum sie sich überhaupt mit dem Vieh abgab, bis die Katze eines Tages nicht mehr um ihr Haus schlich. Auch den Tag darauf und den darauf kam sie nicht. Sie kam nie wieder.

An dem Blick ihres Vaters konnte sie es erkennen, auch wenn sie es noch nicht verstand. Die Katze war seinetwegen fort und konnte nun nie wieder ihre Krallen in Delilahs Rücken schlagen. Dennoch tat ihr Rücken weh.

Delilahs Fingerspitzen wanderten auf der Suche nach noch mehr Halt über warme nackte Haut. Mit einem zufriedenen Seufzen schmiegte sie ihre Wange dagegen. Sie hatte ihn so vermisst.

Warmherber Duft drang in ihre Nase. Sehnsüchtig sog sie den Geruch nach frischer Walderde und ...

Sie erstarrte.

Die Witterung ihres Vaters hatte zwar wie bei jedem immer wieder leicht variiert, doch die Grundnoten blieben meistens gleich, wenn er seiner täglichen Routine nachging.

Ihr Vater hatte nach Leder und Pferd gerochen, und nicht nach ...

Delilah riss ihre Augen auf.

Die Brust ihres Vaters war stets von blonden Haarlocken beherrscht gewesen. Diese hier war nackt, wenn auch nicht weniger vernarbt und heller als der stark gebräunte Teint von der vielen Arbeit in der Sonne.

Langsam entzog sie sich der lockeren Umarmung, immer noch die Augen auf den nackten Brustkorb vor sich gerichtet, ohne auch nur einmal zu blinzeln.

Sie hielt erneut inne, als sie auch mit ihrem Rücken gegen warme Haut stieß, und wurde sich erst jetzt des dritten Arms bewusst, der um ihre Taille geschlungen war.

Schweiß brach auf ihrer Stirn aus, während ihr Herz wie wild zu schlagen begann.

Sie war gefangen zwischen zwei Körpern, deren Geruch ihr zwar vertraut war, jedoch nicht so sehr wie der ihres Vaters. Außerdem ... Ihr Vater war schon lange tot.

Für einen flüchtigen Moment wollte so etwas wie Panik in ihr aufsteigen, da sie die Situation nicht verstand. Ebenso wenig, wie die Tatsache, dass sie zwischen zwei halbnackten Männern in einem üppigen Bett lag, ohne sich daran erinnern zu können, wie sie dort hingekommen war.

Sie hatte es noch nie mit zwei Männern gleichzeitig getrieben ...

Doch je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr Zeichen fand sie, die ihr deutlich machten, dass hier keine wilde Orgie stattgefunden hatte. Zunächst einmal war sie nicht nackt und auch die beiden Männer nicht. Sie trugen immerhin noch ihre Hosen. Außerdem lag der Geruch von kaltem Essen, Rauch und Blut in der Luft. Dezent zwar nur, aber dennoch deutlich.

Sex roch anders.

Trotzdem konnte sie das nicht beruhigen, und das Dröhnen in ihrem Kopf wurde wieder stärker. Ihre Gedanken rasten und versuchten die verschwommenen Eindrücke der letzten Stunde irgendeiner Logik zuzuordnen, während ihre Finger vorsichtig durch ihr Haar über den Hinterkopf strichen und auf einer riesigen Beule innehielten.

Kurz blitzte das Bild einer heranschießenden Stiefelspitze in ihren Erinnerungen auf.

Scharf sog sie die Luft ein, als noch mehr Bilder auf sie einstürmten und sie endgültig zum Zittern brachten.

Der Arm an ihrer Hüfte bewegte sich zusammen mit der Matratze unter ihr, als das Gewicht in ihrem Rücken sich verlagerte.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.

Delilah erstarrte unter der Berührung wie ein verängstigtes Kaninchen in seinem Erdloch, den Jäger schon ganz nah bei sich spürend.

„Delilah?“

Warmer Atem, der ihren Nacken streifte.

Ihre Augen wurden noch größer.

„Sie ist wach.“

Delilahs Blick schoss ohne sich zu bewegen weiter nach oben und traf auf den karamellfarbener Augen, die ihr bisher noch nie so erschöpft vorgekommen waren.

Irgendetwas in ihren Augen brachte die Arme um sie herum dazu, sich langsam zurückzuziehen und in einer Geste der Kapitulation zu verharren. Nur die Hand blieb auf ihrer Schulter.

„Vergiss das Atmen nicht.“

Dean musterte besorgt ihr Gesicht, ehe sein Blick sich hob und er den Mann hinter sich anfunkelte.

„J, lass sie los, Mann!“

Ein Moment des Zögerns, dann war auch das Gewicht auf ihrer Schulter verschwunden.

Sofort schoss Delilah von der Matratze hoch, verhedderte sich mit den Beinen im Laken und fiel ziemlich würdelos aus dem Bett, und zugleich auf den Boden der Tatsachen.

Delilah!

Da, sie taten es schon wieder! Nicht ein Ton, der zu früh oder zu spät erklang. So spontan und doch synchron wie zuvor. Delilah bezweifelte nämlich, dass die Brüder das vorher einstudierten. Umso mehr wunderte sie diese Leistung.

„Delilah geht’s dir gut?“

„Sag doch was!“

Die Wange auf den weichen Teppichboden gepresst, ein Bein immer noch auf dem Bett, lag sie da in ihrer unglücklichen Bauchlandung und wunderte sich über den ungewohnt besorgten Tonfall in den Stimmen der Brüder. Irgendeine Sicherung in ihrem Gehirn musste wohl durchgebrannt sein. Denn anstatt noch mehr Panik zu schieben, überkam sie deswegen der übermächtige Drang, zu lachen.

„Autsch“, war ihre nüchterne Antwort, ehe sie tatsächlich zu kichern anfing, obwohl ihr das ihr Rücken mit wütenden Bissen in die Schulter quittierte.

Es war ihr scheißegal, und sie rollte sich herum, um zu den Brüdern aufsehen zu können, die sie anglotzten, als wäre sie ein frisch gelandeter Alien auf Urlaub.

„Mund zu, es zieht.“

Eine Hand gegen ihre schmerzenden Rippen gepresst, wurde ihr Kichern zu einem Lachen.

Das ist nicht witzig!

Kurz hielt sie inne, betrachtete die ernsten Gesichter und schüttelte sich plötzlich endgültig vor Lachen, bis ihr alles wehtat und Tränen in den Augen standen.

Die Zwillinge warfen sich daraufhin noch besorgtere Blicke zu, anstatt in ihr Lachen mit einzustimmen.

Keiner sagte etwas.

Ihr Lachen verschwand. Nun wurde auch sie todernst.

Den Blick an die Decke gerichtet wischte sie sich eine der Lachtränen von der Wange und wunderte sich, dass es mehr wurden anstatt weniger.

Auch der dicke Kloß in ihrer Kehle war gerade eben noch nicht da gewesen, ebenso wenig wie der Gedanke, dass sie beinahe ...

Bevor die Zwillinge vom Bett aufstehen und zu ihr konnten, rollte sich Delilah wieder herum und kam selbst auf die Beine, wenn auch für einen Moment noch recht wackelig.

„Entschuldigt mich“, hauchte sie leise, damit die Brüder nicht hörten, wie ihre Stimme brach.

Schnell brachte sie die Badezimmertür zwischen sich und die Zwillinge und drehte zur Sicherheit auch noch den Schlüssel herum, ehe sie an dem harten Holz hinab zu Boden glitt und ihr Gesicht in ihren Händen vergrub.

Sie schluchzte leise, doch die Tränen waren ebenso schnell versiegt, wie sie gekommen waren, und was blieb, war dieses grauenvolle Zittern in ihren Knochen und die entsetzliche Gewissheit, nur knapp dem Tode entkommen zu sein.

Wenn Dean und James nicht gekommen wären, hätte der Kerl ... Er hätte sie umgebracht.

Schaudernd schlang Delilah ihre Arme um die angewinkelten Knie und verbarg ihr Gesicht dahinter. Auf das leise Klopfen nach einer Weile reagierte sie nicht. Ebenso wenig wie auf die besorgten Fragen der Brüder.

Erst als diese ihr vorschlugen, zu gehen, wenn ihr das lieber war, erstarrte Delilah erneut, unfähig zu sagen, wie sehr sie sich wünschte, nicht alleine zu sein.

Doch sie blieb stumm und kurze Zeit später, war es auch im anderen Raum still geworden.

Mit einem Schlag fühlte sie sich so einsam, wie schon lange nicht mehr. Dennoch war sie nicht in der Lage, dagegen etwas zu unternehmen.

 

Wie lange sie dort gesessen und leer in die Gegend gestarrt hatte, wusste Delilah nicht, und es war auch nicht wichtig, denn sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Wäre da nicht der immer stärker werdende Drang nach Bewegung in ihr gewesen, sie hätte wohl noch bis in alle Ewigkeit so dasitzen können. Doch so zwang sie sich auf die Beine, ignorierte das stechende Kribbeln in ihren eingeschlafenen Muskeln und schlurfte zum Waschbecken hinüber, um sich den trockenen Mund auszuspülen, und sich auch gleich das Gesicht zu waschen.

Als sie das Wasser abdrehte und hochblickte, stockte ihr beinahe der Atem bei ihrem Anblick.

Ihre Augen waren so gerötet, wie nie zuvor – eine Nachwirkung des Pfeffersprays –, und obwohl es schon sehr gut verheilt war, konnte sie immer noch die schwachen Reste eines einstmals blühenden Veilchens um ihr linkes Auge erkennen, dort, wo der Stiefel sie getroffen haben musste.

Es schauderte sie bei dem Gedanken, was sie noch alles an sich entdecken würde, weshalb sie auch zögerte, den Blick weiter hinabwandern zu lassen. Doch als sie es endlich schaffte, war sie tatsächlich überrascht.

Sie trug ein viel zu großes Shirt und Shorts, die definitiv nicht ihr gehörten. Auch diese zu groß, sodass sie sich gerade noch so an ihre Hüften klammern konnten.

Verwirrt fiel ihr Blick ganz zu Boden, dort, wo ihre Reisetasche ungeöffnet vor ihr lag, so wie sie diese, vor einer Ewigkeit wie es schien, zurückgelassen hatte.

Dort wären genug frische Sachen gewesen, um ihr etwas überzuziehen, doch offenbar hatten die Zwillinge davor zurückgescheut, in ihren Sachen zu wühlen. Selbst in dieser Ausnahmesituation. Und zugegeben, so gemütliche Schlabberklamotten hätte sie ohnehin nicht besessen.

Einem weiteren Gedanken folgend zog sie sich langsam das Shirt über den Kopf und legte es zur Seite, um das betrachten zu können, was darunter lag.

Wieder wollte ihr der Atem stocken, doch Delilah zwang sich zur Ruhe. Was sie da sah, war schon so weit abgeheilt, dass es bestimmt nicht mehr mit dem zu vergleichen war, was man vorher vorgefunden hatte.

Sie war grün und blau geschlagen und auf den Rippenbögen ihrer linken Seite zeigte sich sogar jetzt noch ein tiefblauer etwa handgroßer Fleck, der äußerst empfindlich reagierte, obwohl sie sehr vorsichtig mit den Fingerspitzen darüberstrich.

Es schien Nichts gebrochen zu sein, doch der Färbung nach zu urteilen, mussten ihre Rippen ganz schön geprellt worden sein.

Das Ziehen in ihrer Schulter ließ sie sich schließlich langsam herumdrehen.

Zu Delilahs Überraschung wurde sie hier nicht gleich mit einem weiteren Anblick geschockt, denn ein großes Wundpflaster klebte über ihrem linken Schulterblatt, das sie nach einigem Zögern langsam ein Stück abzog, um darunterblicken zu können.

Der Schnitt war lang und immer noch an den Rändern in wütendem Rot gefärbt, doch die Heftpflaster taten ihre Arbeit und hielten die Wunde zusammen, ohne genäht worden zu sein. Bei einem Menschen hätte das wohl nicht ausgereicht, doch bei ihr war das etwas anderes. Sie würde nur noch eine Weile vorsichtig sein müssen, wenn sie keine allzu große Narbe zurückbehalten wollte. Aber eine Narbe würde bleiben.

Eine Lappalie im Vergleich dazu, dass sie noch am Leben war.

Ihre Finger zitterten, als Delilah das Wundpflaster wieder auf ihre Haut drückte, was nicht allein an den vergangenen Stunden lag. Sie war unruhig und je mehr sie sich langsam wieder zu festigen begann, desto fahriger schien sie zu werden. Es schien völlig unlogisch zu sein, und dennoch war es ihr auch vertraut. Im Moment wollte sich ihr wirrer Verstand allerdings nicht damit beschäftigen. Ebenso wenig mit den anderen Dingen, die ihr durch den Kopf gingen. Also zog sie sich langsam auch die Shorts aus, nahm noch einen kurzen Umweg zur Toilette und setzte sich anschließend in die riesige Badewanne, in die sie nur so viel Wasser einließ, wie nötig war, um sich gründlich waschen zu können, ohne das Wundpflaster an ihrem Rücken zu durchnässen. Was eine ziemliche Herausforderung darstellte, da sie nach einer gründlichen Überprüfung ihrer Haare, entschied, sie sich ebenfalls zu waschen.

Wäre es alleine um den Staub gegangen, der darin hing, hätte Delilah noch darauf verzichtet. Aber ein paar der eingetrockneten braunen Flecken rochen stark nach altem Blut und waren alles, was sie an Überzeugung brauchte.

Es dauerte lange, bis sie wieder aus der Wanne kam. Eine Zeit, in der ihre körperliche Unruhe immer größer geworden war, anstatt durch diese vertraute Tätigkeit abzunehmen.

Während sie sich abtrocknete, wurde ihr zunehmend wärmer. Nicht auf eine Art, als hätte sie Fieber, aber auch nicht einfach als Resultat des heißen Wassers.

Als Delilah wieder vor dem Spiegel stand und aus ihrem Kulturbeutel Zahnbürste und Zahnpasta herauskramte, fiel etwas klimpernd ins Waschbecken.

Erst das vertraute Plastiketui in ihrer Hand öffnete ihr mit einem Schlag die Augen.

Ihr Eisprung würde schon bald einsetzen.

Es war keine gute Zeit für sie, um alleine zu sein. Verletzungen hin oder her, sie hatte schon Schlimmeres ertragen, um dem sehr viel quälenderen Gefühl ihrer aufpeitschenden Hormone irgendwie zu entkommen oder wenigstens entgegenzuwirken.

Langsam, fast ehrfürchtig legte Delilah das Etui gut sichtbar zur Seite und putzte sich die Zähne, während ihr Blick mehrmals darauf fiel, obwohl sie sich dazu zwang, nicht hinzusehen.

Danach kämmte sie sich die Haare, cremte sich ein und tat auch sonst alles, was zu ihrer täglichen Körperpflege dazugehörte, doch immer wieder zog es ihren Blick zu dem schwarzen Etui. Selbst ihre Gedanken kreisten nur noch darum, und je mehr sie es zuließ, umso deutlicher kam ihr Körpergefühl durch die Schmerzen hindurch.

Immer verzweifelter fragte sie sich, was sie jetzt bloß tun sollte.

Mit ihrem derzeitigen Gesicht konnte sie nicht einfach irgendeinen Kerl anbaggern und darauf hoffen, dass er sich nicht angewidert von ihr abwandte, und bei jenen, die so eine Verletzung nicht abschreckend fanden, sollte sie sich eher Sorgen machen.

Außerdem ... sie wollte nicht schon wieder ein fremdes Gesicht für emotionslosen Sex, nur damit ihr Uterus glücklich war. Im Augenblick war sie sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt einem Fremden begegnen wollte.

Delilah fühlte sich immer noch spürbar verletzlich, nachdem ihr ihre eigene Sterblichkeit mit so ausschlagkräftigen Argumenten vor Augen geführt worden war, und während sie so das sauber aufgeräumte Badezimmer betrachtete, kamen auch noch andere Gefühle in ihr hoch. Welche, die nichts mit ihren Hormonen zu tun hatten.

Langsam schlang Delilah ihre Arme um sich und betrachtete die Stelle vor der Dusche, an der sie gekauert war, als einer der Brüder ihr die brennenden Augen mit Wasser ausgespült hatte, während der andere sie festhielt.

Sie erinnerte sich auch mit einem tiefsitzenden Schamgefühl daran, wie sie sich hatte übergeben müssen, und da nichts mehr davon zu sehen war, mussten sich die Zwillinge wohl auch darum gekümmert haben.

„Seltsam ...“

Das hätte sie den beiden nicht zugetraut. Ebenso wenig die ernsten Gesichter, die ihr heute beim Aufwachen begegnet waren.

Delilah hatte die Brüder bisher noch nie ernst erlebt und es war merkwürdig, wie gut es sich anfühlte, das über sie zu wissen.

Vielleicht sollte sie ...?

Wieder fiel ihr Blick auf das Etui und ließ sie überlegend erstarren.

Nein. Die Zwillinge hatten sie allein gelassen. Sie ...

Aber doch nur ihretwegen, oder nicht? Damit sie sich wieder in Ruhe sammeln konnte, oder?

Doch selbst wenn, würde einer von ihnen bereit sein, mit ihr zu schlafen?

Ja, natürlich hatten die Brüder oft genug ihre Meinung zu diesem Thema geäußert, aber das waren doch nur blöde Anmachsprüche gewesen. Etwas, das Delilah kaum hätte ernstnehmen können. Und dennoch ...

Langsam lösten sich Delilahs Arme und sie griff so vorsichtig nach dem Etui, als könne sie jeden Augenblick ein Stromschlag treffen.

Nachdenklich ließ sie sich auf den Rand der Badewanne nieder und drehte die kleine Plastikbox zwischen ihren Fingern.

Ein Versuch war es wert.

Sowohl Dean als auch James trafen ihren Geschmack, was Männer anging. Und obwohl sie sich bei solchen Kindsköpfen nicht allzu große Leistungen im Bett vorstellen konnte, so hatte sie es schon oft wesentlich schlechter getroffen.

Von Kerlen angefangen, denen sie den Weg zeigen musste, nachdem sie deren blinde Herumstocherei überdrüssig geworden war, über Typen, die sich eigennützig ein paar Augenblicke lang an ihr abarbeiteten, ehe sie auch schon zum Abschluss kamen, ohne sie auch nur einmal richtig angesehen zu haben, bis hin zu ihrer absoluten Lieblingssorte von Männern, die es zwar schaffte, sie einigermaßen anzuheizen, doch gerade wo es für sie interessant wurde, fertig wurde und dann direkt und ohne Rücksicht auf ihr Recht zu Atmen auf ihr einschlief.

Zum Glück war sie eine Wölfin, sonst hätte sie tatsächlich noch befürchten müssen, einmal dabei einen Erstickungstod zu erleiden.

Also im Lichte dieser Glanzleistungen betrachtet, konnten die Zwillinge auch nicht viel schlimmer sein. Zudem mochte sie es, wie die beiden rochen. Was man von einigen Kandidaten vor ihnen nicht unbedingt behaupten konnte.

„Und was jetzt?“, fragte sie unsicher das Etui in ihren inzwischen reglosen Händen.

Die einzige Antwort, die sie bekam, war eine weitere hormonelle Woge, die sie dazu brachte, ihre Beine etwas zusammenzudrücken und das sachte Kribbeln dazwischen zu ignorieren.

Leise schnappte der Deckel des Etuis auf und legte den Blick auf eine kleine Kappe aus Silikon frei.

Wie oft ihr diese kleine Barriere schon die Nacht gerettet hatte, konnte Delilah gar nicht mehr zählen. Und obwohl die Handhabung des Diaphragmas Anfangs alles andere als leicht gewesen war, so könnte sie jetzt doch gar nicht mehr darauf verzichten. Zum einen war es schwer, während der aufkeimenden Gefühle an ein Kondom zu denken und zum anderen brachte jedes hormonelle Verhütungsmittel schmerzhafte Nebenwirkungen mit sich, auf die sie gerne verzichtete.

Sie konnte also dankbar sein, dass es diese Erfindung gab. Blieb also nur noch die Frage, ob diese heute Nacht auch zum Einsatz kam, oder Delilah sich allein unter ihrer Bettdecke dem drängenden Verlangen der Natur hingab, was ebenso unbefriedigend sein würde, wie es anstrengend war.

Letzten Endes hatte Delilah sich dafür entschieden, sicherheitshalber zu verhüten, falls sie ihrem eigenen Körper in den folgenden Stunden nicht genug vertrauen konnte und sie sich vielleicht doch zu den Zwillingen schlich, obwohl sie das nicht vorhatte.

Nein, stattdessen würde sie diese heikle Zeit in ihrem Bett verbringen und versuchen, noch etwas die Vorzüge dieses kostenlosen Hotelzimmers zu genießen. Ein paar gute Filme und etwas Anständiges zu Essen könnten sie durchaus davon abhalten, dem Ruf der Natur zu folgen.

Allerdings wurden sämtliche ihrer Pläne mit einem Schlag zunichtegemacht, als sie das Badezimmer verließ und die Brüder erneut schlafend auf ihrem Bett vorfand, lediglich vom flackernden Schein des Fernsehers beleuchtet, der lautlos irgendeine Dauerwerbesendung für Schmuck zeigte.

Damit dürfte wohl die Entscheidung endgültig gefallen sein.

Vorsichtig trat Delilah näher ans Bett und zog James die Fernbedienung aus der Hand, um den Fernseher auszuschalten.

5. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

6. Kapitel

Wie lange sie bereits wach dalag, Deans Atem auf ihrer Brust spürte, der im Schlaf seine Stirn an ihren Hals geschmiegt und einen Arm um ihre Taille geschlungen hatte, wusste sie nicht. Lange hatte sie James’ leises Schnarchen nahe an ihrem Ohr gelauscht, dessen Arme sie so vollkommen umschlungen hielten, dass sie sich wie in einem menschlichen Kokon gehüllt vorkam. Beschützend und mehr als nur einfach angenehm.

Delilah wollte nicht, dass es endete.

Im verzweifelten Versuch das Unausweichliche noch etwas hinauszuschieben, hatte sie damit begonnen, Deans Nacken sanft zu kraulen und obwohl er sich bei ihrer ersten Berührung nur noch enger an sie gedrückt hatte, war er doch nicht wach geworden.

Delilah wusste nicht, ob sie das gut oder schlecht finden sollte. Es hätte ihre Entscheidung vielleicht noch beeinflusst. Doch beide Männer schliefen einen tief erschöpften Schlaf, der nicht ihr allein gebührte, wie sie wohl wusste, aber das machte es nur noch schwerer.

Sie hatten ihr das Leben gerettet. Sie hatten ihr diese Nacht gerettet, in der sie sich ohne die Leidenschaft der beiden Brüder unbefriedigt auf dem Bett hin und her geworfen hätte – vollkommen ihren Hormonen ausgeliefert.

Doch in ihrem Körper war es ruhig, auch wenn es da noch die eine oder andere Stelle gab, die dumpf vor sich hin pochte und sich meldete, sobald sie auch nur einen Muskel rührte. Das war es also nicht, was sie noch in diesem Bett hielt. Es waren diese beiden Männer an ihrer Seite.

Nachdenklich drückte Delilah ihre Nase in Deans fingerlanges Haar, schloss die Augen und sog in tiefen Atemzügen seinen unvergleichlichen Duft ein.

Sein eigener Geruch war immer noch stark, aber inzwischen durchzogen von ihrer eigenen Witterung, was ihr unerklärlicherweise ein tiefes Gefühl der Befriedigung gab. Zeigte es doch, mit wem er diese Nacht verbracht hatte und sie war sich fast sicher, bei James würde es ihr nicht anders ergehen.

Es war schon seltsam, dass sie die beiden rein äußerlich betrachtet, keinen Augenblick lang auseinanderhalten könnte, sahen sie doch so absolut gleich aus. Selbst ihr Haarschnitt war identisch. Aber dank ihrer feinen Nase konnte sie die Brüder sogar mit geschlossenen Augen voneinander unterscheiden und sie war sich fast sicher, dass ihr auch ein einziger Kuss die Person dahinter verraten würde.

Sehr viel mehr als das wusste sie nicht über die Brüder. Weder wie alt sie nun wirklich waren, noch was sie für gewöhnlich taten, wenn sie nicht gerade einer Frau das Leben schwer machten oder es retteten.

Das war vielleicht auch gut so.

Delilah wollte sich die Illusion dieser Nacht bewahren und unter einer besonders guten Erfahrung in ihren Erinnerungen abspeichern. Mehr stand ihr nicht zu und mehr konnte sie auch gar nicht zulassen.

Sie musste gehen, und zwar möglichst bald. Noch bevor die Zwillinge aufwachten und unangenehme Fragen gestellt wurden, die sie nicht beantworten wollte. Oder bevor man sie hochkant rausschmiss, was sie aber irgendwie von den Brüdern nicht erwarten würde. So schätzte Delilah sie nicht ein, aber sie wollte sich auch nicht vom Gegenteil überzeugen lassen, also schob sie Dean schließlich schweren Herzens langsam Stück für Stück von sich weg, bis er sie von selbst losließ und sich auf die andere Seite drehte, um das Kissen unter seinem Kopf zu umschlingen und mit einem tiefen Seufzer weiter zu schlafen.

Überrascht hielt Delilah noch einmal in James’ Armen inne, während sie Deans bloßen Nacken anstarrte.

Es war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen, aber er hatte sich in Form eines Tribals mit zusätzlicher Verzierung den Anfangsbuchstaben seines Namens in den Nacken stechen lassen. Das D war nicht schwer zu erkennen und würde sicherlich sogar bei genauerem Hinsehen unter einem Hemdkragen hervorschauen.

Delilah fragte sich, warum er sich dieses Tattoo hat machen lassen, doch das würde eine der Fragen bleiben, die sie wohl nie beantwortet bekommen würde. Auch wenn sie es gerne gewusst hätte.

Sich der knappen Zeit bewusst, die ihr noch bis zum Morgengrauen blieb, obwohl durch die geschlossenen Rollos und Vorhänge auch jetzt noch nichts von draußen hindurchdrang, nahm sie James’ Arm von ihrer Taille und schob auch sein Bein zurück, das sich mit ihren verhakt hatte, ehe sie vollkommen aus seiner Umarmung schlüpfen konnte.

Er brummte unwillig und bewegte sich im Schlaf, als würde er sie suchen. Schnell drückte sie ihm eines der Zierkissen in die Arme, das er fest an sich presste und schließlich sein Gesicht darin vergrub.

Ihre Nerven flatterten, während sie darauf wartete, dass er wieder still wurde und sein leises Schnarchen, das mehr einem lauten Atmen glich, erneut erklang. Erst dann wagte sie es, sich auch von dem dünnen Bettlaken zu befreien und es über die Brüder zu ziehen, ehe sie es endlich aus dem Bett schaffte.

Ihre Beine waren zittrig und sie konnte nun deutlich die Hinterlassenschaften der beiden Männer zwischen ihren Schenkeln spüren, weshalb sie es riskieren würde, sich vor ihrem Verschwinden noch schnell zu waschen.

Leise stahl sie sich ins Badezimmer und drückte lautlos die Tür hinter sich zu.

Wenn Werwölfe auch nur halb so gute Ohren hatten wie sie, dann würde sie sehr leise sein müssen, um die Brüder nicht zu wecken. Sollten sie allerdings auch einen ebenso tiefen Schlaf haben, müsste sie sich nicht allzu große Sorgen machen.

Delilah ließ es am Ende einfach darauf ankommen, indem sie sich in die Badewanne hockte und mit wohltuend warmem Wasser gründlich abbrauste.

Während sie sich abtrocknete, konnte sie immer noch die Witterung der beiden Brüder auf ihrer Haut wahrnehmen, die selbst dem Wasser standgehalten hatte.

Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht, als sie sich frische Unterwäsche überstreifte und dann nach einer Jeans und einem Stricktop griff, um sich fertig anzuziehen. Auf Make-up konnte sie im Augenblick verzichten, obwohl sie zumindest die noch immer leicht verblassenden bunten Stellen um ihr Auge herum gründlich abdeckte.

Der Rest ihrer Sachen war schnell eingepackt, da sie nicht viel in der kurzen Anwesenheit in diesem Hotel benutzt hatte.

Das ausgeliehene Schlabbershirt und die Shorts, die einem der Brüder gehören mussten, legte sie zusammengefaltet auf den Waschtisch. Doch kaum, dass sie mit der Reisetasche zur Tür gehen wollte, drehte sie sich noch mal herum und nahm die Kleidungsstücke an sich. Sie hatte nichts so Gemütliches, und obwohl das für ihre Verhältnisse wirklich erbärmlich war, wollte sie doch auch irgendwie etwas von den Brüdern behalten. Einfach so zur Erinnerung.

Vorsichtig steckte sie ihren Kopf ins andere Zimmer und versicherte sich gründlich davon, dass die Zwillinge noch tief und fest schliefen. Erst dann schlich sie sich durchs Zimmer zur Tür und stellte dort lautlos ihre Tasche ab.

Delilah hatte wieder ihre Ballerinas an, weshalb sie keinen Laut machte, als sie zu dem großen Bett hinüberschlich und davor in die Hocke ging.

Hätte Dean in diesem Augenblick die Augen geöffnet, er hätte sie direkt angesehen, doch er tat es nicht und sie ließ ihn nicht aus den Augen, um sicherzugehen, dass das auch weiterhin so blieb, während sie nach seiner Hose fasste und die Taschen durchwühlte, bis sie endlich fand, was sie suchte.

Sein Portemonnaie war aus dunklem Leder und von der vielen Benutzung ganz weich. Es hatte ein paar undefinierbare schwarze Flecken an der Außenseite, die leicht chemisch rochen. Allerdings konnte sie den Geruch nicht deutlich zuordnen und Delilah hatte auch nicht die Zeit dafür, sich damit eingehend zu beschäftigen. Stattdessen klappte sie die Geldbörse auseinander, und obwohl sie es eigentlich auf etwas Bargeld abgesehen hatte – was ihr schon jetzt ein unerwartet schlechtes Gewissen bescherte – konnte sie doch nicht anders und zog seinen Führerschein so weit heraus, dass sie seinen vollständigen Namen lesen konnte – Dean McKenzie

Er war gerade mal vor knapp zwei Monaten 23 Jahre alt geworden.

Scheiße.

Die Brüder waren also tatsächlich noch so blutjung, wie sie die beiden eingeschätzt hatte. Okay, sie war zwar nur vier Jahre älter, aber gerade in dieser Phase des Lebens machte das doch noch einen Unterschied aus. So empfand Delilah es zumindest.

Nachdenklich schob sie den Führerschein wieder zurück und hob das Portemonnaie näher an ihr Gesicht heran, um besser sehen zu können. Da war ein Bild – sie konnte nicht sagen, ob darauf Dean oder James zu sehen war – auf jeden Fall stand einer der beiden vor so einer Art Werkstatt und grinste breit in die Kamera. Während über dessen Hinterkopf eine fremde Hand emporragte und mit gespreizten Zeige- und Mittelfingern Hasenöhrchen in die Höhe hielt. Das Bild war offensichtlich nur die Hälfte eines ganzen und genau dort abgeschnitten, wo dem Betrachter gezeigt worden wäre, wessen Hand das war, die da diese lustige Geste machte.

Delilah betrachtete dieses Bild und den darauf gezeigten Mann lange, ehe eine leichte Bewegung auf dem Bett sie hochschrecken ließ.

Vollkommen erstarrt wartete sie darauf, dass Dean aufwachen und sie so sehen würde, doch er drehte sich lediglich wieder auf den Rücken und schlief weiter.

Mit rasendem Herzen nahm sich Delilah, was sie wollte und steckte die Brieftasche wieder feinsäuberlich zurück in Deans Gesäßtasche.

Obwohl sie ihr Glück schon viel zu sehr überstrapaziert hatte, schlich Delilah um das Bett herum, um auch in James’ Hosentasche zu wühlen. Sein Portemonnaie unterschied sich rein äußerlich nur von der Farbe her von dem seines Bruders und er hatte in einer Schlaufe eine kleine Kette eingehakt, die mit der Jeanshose verbunden war. Der Inhalt war so ziemlich gleich, bis auf die Tatsache, dass das enthaltene Foto nun die andere Hälfte des Bildes zeigte. Auch wenn die Darstellung sich nicht wirklich unterschied. Auch hinter diesem Hinterkopf wurde eine Hand mit Hasenöhrchen hochgehalten und das breite Grinsen war identisch mit dem seines Bruders.

Es brachte Delilah zum Lächeln, ehe sie auch James’ Geldbörse zurücksteckte und sich erhob. Verblüfft verharrte sie mitten in der Bewegung, ehe sie sich ein Stück über das Bett beugte, so dass sie James’ Nacken besser sehen konnte.

Tatsächlich!

Auch er hatte das gleiche Tattoo wie sein Bruder, nur mit dem Unterschied, dass es ein verschnörkeltes J war.

Ob die beiden das zur leichteren Unterscheidung gemacht hatten? Immerhin hatte keiner von ihnen ein Muttermal im Gesicht, so dass man daran vielleicht einen Unterschied hätte erkennen können, wie sie es schon ab und an mal bei einem anderen Zwillingspärchen gesehen hatte.

Auch diese Frage blieb unbeantwortet, denn sie musste jetzt wirklich dringend gehen. Inzwischen hatten die ersten Vögel bereits zu singen begonnen und zumindest von Dean wusste sie, dass er kein Langschläfer war.

Eilig hastete Delilah zu ihren Sachen und legte den Riemen ihrer Reisetasche über ihre gesunde Schulter, ehe sie leise die Tür öffnete und noch einen letzten Blick zurück auf das riesige Bett warf.

Sie würde diese beiden Männer ehrlich vermissen.

Dann ging sie.
 

Delilah atmete erst auf, als sie in einem Bus sitzend die Stadt hinter sich gelassen hatte. Wohin genau die Reise ging, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie lange genug in dieser Stadt gewesen war und es nun an der Zeit wurde, weiterzuziehen. Außerdem war so die Wahrscheinlichkeit geringer, den beiden Brüdern wieder über den Weg zu laufen. Ein Gedanke, der sich zwiespältig äußerte, denn einerseits wollte sie sofort zurück und sich noch ein bisschen an die beiden kuscheln, vielleicht auch ein ausgelassenes Frühstück mit ihnen genießen und danach noch ein paar weitere Zärtlichkeiten austauschen ...

Doch andererseits könnte alles nach dieser Nacht genauso gut in einem Alptraum enden. Sie hatte es schon mehrmals erlebt, dass sie im Schutze der Nacht wie im siebten Himmel geschwebt und sich dabei sogar ein bisschen in den Mann verliebt hatte. Morgens war sie dann wachgelegen, hatte Luftschlösser gebaut und von einem wesentlich ruhigeren Leben geträumt, in dem sie nicht von Ort zu Ort und von Bett zu Bett ziehen musste, nur um irgendwie mit Gelegenheitsjobs über die Runden zu kommen.

Und wenn dann auch ihr Bettgefährte wach geworden war und sie eigentlich schon an ein gemütliches Frühstück zu zweit im Bett gedacht hatte, verkehrte sich ihr Glück ins Gegenteil. Denn sie war schon mehrmals kühl und distanziert zur Tür hinausgebeten worden. Manchmal sogar noch mit einem Geldschein, den man ihr in die Hand gedrückt hatte und somit noch deutlicher den Status klar machte, den sie in dieser Nacht eingenommen hatte.

Delilah mochte ja Vieles sein, aber sie war keine Prostituierte.

Ihre Kleidung mochte ja dagegen sprechen, aber sie selbst entschied, mit wem sie es tat und wann. Niemand sonst!

Von diesen Gedanken betrübt, lehnte sie ihren Kopf an das kühle Glas der Fensterscheibe und starrte in die vorbeiziehende Landschaft hinaus.

Sie dachte wieder an Dean und James.

Was die beiden ihr vermittelt hatten, war so anders gewesen, als diese grässlichen Erinnerungen und genau deshalb hatte sie gehen müssen. Um diesen zerbrechlichen Traum nicht zu zerstören.

Langsam tasteten ihre Finger über die Tasche ihrer Jeans, wo sie den Inhalt der beiden Brieftaschen sorgfältig hineingesteckt hatte.

Vorsichtig zog sie die beiden Bildhälften heraus und hielt sie so aneinander, dass sie endlich ein Ganzes ergaben.

Wieder musste sie lächeln. Die beide strahlten geradezu vor Lebensfreude. Kein Wunder, dass den Zwillingen immer ein lockerer Spruch auf der Zunge lag. Sie schienen ihre Zufriedenheit mit Löffeln gefressen zu haben und sie waren nicht geizig damit. Das hatten sie Delilah sehr stark spüren lassen.

Vielleicht, in einer weit entfernten Zukunft, schaffte sie es eines Tages, ebenso offen und locker mit der Welt umzugehen, wie sie es taten.

Aber es würde hart werden, denn Delilah sah ein, dass sie endlich etwas in ihrem Leben ändern musste. Erst die Tatsache, dass sie beinahe gestorben wäre, hatte ihr ihr verschwenderisches Tun deutlich gemacht.

Delilah warf noch einen Blick auf das Foto, ehe sie die beiden Teile wieder sicher verstaute.

Sie würde es wenigstens versuchen.

7. Kapitel

„Du siehst nicht gut aus.“

Mit dem Katzenfutter in der Hand hielt Delilah für einen Moment inne, ehe sie die Dose zu den anderen ins Regal räumte und nach einer weiteren griff.

„Ich fühl mich auch nicht so gut.“

Sich das einzugestehen war wesentlich schwieriger, als es ihrer Arbeitskollegin Lily mitzuteilen. Denn in Lilys Augen konnte jeder mal krank werden und es wäre das Natürlichste der Welt. Doch für Delilah bedeutete das nichts Gutes.

Sie war noch nie krank gewesen. Kein einziges Mal. Sie wusste nicht einmal, wie sich Schnupfen anfühlte. Geschweige denn eine Grippe. Dafür waren ihre Gestaltwandlergene bisher zu stark gewesen. Selbst wenn sie sich einen rostigen Nagel durch den Fuß gerammt hätte, wäre nichts weiter passiert, als das die Wunde von selbst heilte. Ohne Blutvergiftung oder irgendeiner Art von Infektion.

So hatte die Natur sie nun einmal geschaffen. Umso merkwürdiger war es daher also, dass sie dieses Mal versagt zu haben schien.

„Warst du schon beim Arzt?“

Delilah stellte die letzte Dose ins Regal, warf anschließend die leere Verpackung zu den anderen in den dafür zweckentfremdeten Einkaufswagen und drehte sich erst dann zu Lily herum, um ihr eine Antwort zu geben.

Die kleine schwarzhaarige Asiatin war gerade dabei, Vogelfutter einzusortieren, hatte aber offenbar schon länger in ihrer Tätigkeit innegehalten und sie beobachtet.

„Nein. So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich bin einfach nur erschöpft. Du weißt schon, der Umzug und all das.“ Sie machte eine hilflose Geste.

Die kleine Frau mit den schokoladenbraunen Augen schien nicht recht überzeugt.

„Aber du wohnst doch jetzt schon seit knapp einem Monat dort.“

Delilah lächelte freudlos und schob sich eine Strähne ihres weißblonden Haars hinters Ohr, ehe sie sich auf ein paar Säcke voll Katzenstreu setzte, die noch ausgepackt und eingeräumt werden wollten.

„Wow. Einen Monat und ich hab immer noch kein Bett.“

Dafür hatte sie es zumindest so weit geschafft, dass die Bruchbude, die sie sich gerade mal so von ihrem winzigen Gehalt leisten konnte, von Tag zu Tag wohnlicher wurde.

Gestern hatte sie sich nach der Arbeit noch die halbe Nacht um die Ohren gehauen, um den Backofen so weit von ranzigem verkrusteten Fett zu reinigen, dass sie sich darin eine Pizza warm machen konnte, ohne sich gleich dabei zu vergiften. Ihr taten jetzt noch die Hände von dem aggressiven Reinigungsmittel weh, und wenn sie nur an die schleimige Pampe dachte, wurde ihr schon wieder schlecht.

„Echt nicht? Worauf schläfst du dann bitteschön?“

Lily schien ehrlich schockiert zu sein, was Delilah nun doch ein bisschen zum Lächeln brachte.

„Auf der Matratze, die ich mir vor zwei Wochen geleistet habe. Davor habe ich mich mit einem Schlafsack zufriedengegeben.“

Und selbst das war ihr noch lieber gewesen, als auch nur ein einziges Mal in einem fremden Bett, neben einem fremden Mann aufzuwachen.

Sie hatte es anfangs noch versucht, als sie einfach keine Wohnung hatte finden können. Aber Männer neigten nun einmal dazu, nicht gerade großzügig zu Frauen zu sein, die zwar nach einer netten Party mit zu ihnen gekommen waren, aber nicht mit ihnen schlafen wollten. Manche hätten sie vermutlich gleich vor die Tür gesetzt, wenn Delilah sich in ihrer Not nicht noch mit einem Blowjob ausgeholfen hätte. Aber selbst das widerte sie inzwischen so sehr an, dass sie es nicht einmal tun könnte, wenn sie wieder auf der Straße landen würde. Eher schlief sie im Wolfspelz mitten im Wald.

Eine Matratze war dahingehend der absolute Luxus für sie.

„Na du bist ja extrem. Wieso hast du dir denn noch kein Bett gekauft?“

Allein diese Frage reichte dazu aus, Delilahs Lächeln von den Lippen zu wischen und ihre Augen mit Tränen zu füllen. Rasch stand sie auf und begann die Katzenstreu auszupacken, damit Lily nicht sah, wie sie sich zusammenreißen musste.

Trotzdem war ihre Stimme ruhig und klar, als sie antwortete, ohne das beschämende Gefühl zuzugeben, das sie erfüllte.

„Ganz einfach. Weil ich noch nicht das Bett meiner Träume gefunden habe und ich mich nicht mit weniger zufriedengeben werde.“

In Wahrheit konnte sie es sich einfach nicht leisten, sondern musste schon froh sein, wenn sie ein paar von den kürzlich abgelaufenen Lebensmitteln umsonst mit Heim nehmen durfte und sich dadurch Geld sparen konnte. Geld für das sie so hart, wie noch nie arbeiten musste. Aber dafür war es ehrlich verdient und sie fühlte sich dabei nicht wie ein elendiger Schmarotzer.

Zum ersten Mal in ihrem Leben stand sie wirklich auf eigenen Beinen.

„Also ich würde mir trotzdem wenigstens ein Übergangsbett besorgen. Kein Wunder, dass du erschöpft bist, wenn du keinen anständigen Schlaf kriegst.“

Oh ja, das klang nach einer typischen Antwort von ihrer pragmatisch denkenden Lily. Die erste Frau, für die sie so etwas wie freundschaftliche Zuneigung zu entwickeln begann, obwohl sie sich außerhalb ihrer Arbeitszeit nicht sahen. Aber währenddessen war schon oft genug gelacht und geschnattert worden, bevor sie sich wieder einmal zusammenrissen, ehe der Filialleiter ihnen einen finsteren Blick zuwerfen konnte.

„Ich schlafe wie ein Bär im Winterschlaf. Daran liegt es nicht, glaub mir“, verteidigte Delilah ihr kleines luxuriöses Matratzenlager.

„Vermutlich liegt es einfach daran, dass ich gestern noch eine lange Auseinandersetzung mit dem Backofen hatte.“

„Also das –“

Lily brach ab und stellte das Vogelfutter so hastig zu dem anderen ins Regal, dass ihr beinahe wieder alles entgegengekommen wäre. Aber auch Delilah bemühte sich um einen professionellen Eindruck, während sie den Schritten des Filialleiters lauschte, der keine Sekunde später an ihnen vorbeiging und sie sachlich grüßte, ehe er auch schon wieder verschwunden war.

Kaum waren die Schritte verklungen, entspannten die beiden Frauen sich wieder merklich.

„Tut mir leid, wenn ich dir das so offen ins Gesicht sage, Schätzchen. Aber du siehst schon länger als seit heute blass aus. Also kann's nicht nur an deinem Backofen liegen. Hast du denn sonst noch irgendwelche Beschwerden, außer Erschöpfung?“

„Nein.“

Delilah schüttelte den Kopf und hob einen weiteren Sack Katzenstreu ins Regal, ehe sie leicht zusammenzuckte, als ihr ein weiteres unangenehmes Ziehen durch die Brüste schoss, obwohl das Plastik sie durch den Stoff ihrer Kleidung hindurch nur flüchtig gestreift hatte.

Etwas das in letzter Zeit schon öfters passiert war und sie vorher noch nicht erlebt hatte.

Einen Moment rang Delilah mit sich, aber schließlich war Lily auch eine Frau. Vielleicht wusste ja sie, was das zu bedeuten hatte.

„Tun dir manchmal die Brüste weh?“

Lily hielt überrascht inne, weshalb Delilah extra so tat, als müsse sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren, ohne den plötzlich musternden Blick ihrer Kollegin zu beachten.

„Kommt darauf an", meinte die kleine Asiatin vorsichtig.

„Worauf?“

Delilah versuchte den Tonfall einfach zu ignorieren, obwohl sich das nicht gut anhörte. Was wenn es was Ernsthaftes war? Brustkrebs vielleicht? Oh Gott, dabei hätte sie gedacht, dass Gestaltwandler keinen Krebs bekommen konnten. Aber vielleicht ja doch und sie war bisher nur einmal wegen des Diaphragmas beim Frauenarzt gewesen, und nicht, um sich gründlich untersuchen zu lassen. Sie –

„Ob ich meine Tage kriege oder schwanger bin.“

Die Katzenstreu glitt aus Delilahs plötzlich kraftlosen Fingern, fiel zu Boden und eine Woge aus Sand breitete sich zu ihren Füßen aus, nachdem das Plastik aufgeplatzt war.

Delilah bemerkte es noch nicht einmal. Stattdessen starrte sie mit rasendem Herzen ihre Finger an und versuchte diese Information zu verdauen.

Lily kam näher.

„Wann hattest du denn das letzte Mal deine Tage?“, wollte sie vorsichtig wissen, als ahnte sie etwas, das Delilah noch gar nicht erfassen konnte.

Ihre Stimme klang seltsam tonlos, als sie ohne lange zu überlegen antwortete: „Keine Ahnung. Seit ich hier arbeite, auf jeden Fall noch nicht.“

„Also seit fast zwei Monaten", sprach Lily das aus, was Delilah noch nicht einmal zu denken wagte.

„Hast du sie denn sonst regelmäßig bekommen?“, hakte sie einfühlsam nach.

Delilah konnte nur noch nicken, da ihr plötzlich ein riesiger, staubtrockener Kloß im Hals steckte.

Kleine warme Finger umschlossen ihre, die plötzlich ganz kalt geworden waren, und zwangen sie dazu, in die schokoladenbraunen Augen ihres Gegenübers zu sehen.

„Und hattest du seit deiner letzten Periode Sex?“

Delilahs Pupillen waren riesig, während sie ihre Kollegin anstarrte und schließlich kaum wahrnehmbar nickte.

Sie hatte Sex gehabt. Sogar mit zwei Männern. Gleichzeitig. Aber sie hatte doch –

„Ich benutze ein Diaphragma!“, brach es plötzlich aus ihr heraus, als würde diese Tatsache alle anderen einfach fortwischen.

Lily nickte einfühlsam, als habe sie verstanden und lächelte sanft und vorsichtig: „Aber trotzdem ist auch das nicht hundertprozentig sicher. Kein Verhütungsmittel ist das.“

„Aber ...“, versuchte Delilah es noch einmal kleinlaut, ehe erneut Tränen in ihren Augen aufwallten und ihr schließlich heiß über die Wangen liefen. Die ersten Tränen seit Jahren, die nichts mit einer vorangegangenen Nahtoderfahrung zu tun hatten. Auch das war nicht normal für sie.

„Ach, Schätzchen. Jetzt mach dir doch nicht gleich so einen Kopf.“

Lily wischte ihr die Tränen fort und redete unablässig auf sie ein, als wäre Delilah nichts weiter, als ein kleines Kind und um ehrlich zu sein, genau so fühlte sie sich in diesem Augenblick.

„Du weißt doch nicht sicher, ob du nicht doch einfach nur deine Tage kriegst. Mach einfach einen Test und danach kannst du dir immer noch Gedanken darüber machen, wenn er positiv ausfällt. Okay?“

Obwohl Lily sie nur zu trösten und zu beruhigen versuchte, klammerte Delilah sich an diese Worte, wie an einen Strohhalm der sie vorm Ertrinken bewahren sollte, und da sie hier direkt an der Quelle für Schwangerschaftstest saßen, ließen die beiden Frauen auch gleich alles stehen und liegen, um mit ein paar Testschachteln in der Mitarbeitertoilette zu verschwinden.
 

„Der hier zeigt ein Smiley.“

„Echt?“

Delilah riss Lily das Stäbchen mit dem darin enthaltenen Teststreifen aus der Hand und starrte auf den lächelnden Smiley herab, der sie auszulachen schien.

Positiv.

Sofort warf sie den Test in den nächsten Mülleimer, als würde sie sich sonst noch die Finger daran verbrennen, ehe sie hoffnungsvoll zu Lily hinüberspähte, vor der eine Reihe weiterer Teststäbchen auf dem Waschtisch lagen.

Um ganz sicher zu gehen, hatte Delilah auf so viele Teststreifen verschiedenster Marken gepinkelt, als hinge ihr Leben davon ab.

„Der hier braucht zwar noch eine Minute, aber von der bisherigen Farbe her zu schließen, ist er auch positiv – Sie sind alle positiv“, erklärte Lily ruhig, während sie Delilah tief in die Augen sah.

„Du bist schwanger, Delilah.“
 

***
 

Das Ticken der hässlichen Schuluhr, die sie in einem Mülleimer gefunden und bei sich in der Wohnung aufgehängt hatte, drang durch die dünne Decke bis an ihre Ohren und schien selbst noch ihr Herz zu durchdringen.

Es war die einzige Konstante in ihrem derzeitigen Leben, obwohl es eine Weile so ausgesehen hatte, dass es nicht das Einzige bleiben würde. Aber nach dieser Nachricht ...

Vielleicht hätte sie es ohnehin nie geschafft, sich ein richtiges Leben aufzubauen und das würde ihr jetzt erst recht nicht mehr gelingen.

Delilah hatte sich lang und breit informiert, um nach der letzten Rettungsleine zu greifen, die ihr in dieser Situation blieb, doch schon bald stand fest, dass sie sich diese nicht leisten konnte.

Die Pille danach hätte sie sich gerade noch so leisten können, aber dafür war ihr Zustand schon zu weit fortgeschritten und nur Gott wusste, ob das Zeugnis eines Werwolfs und eines Gestaltwandlers so etwas nicht doch mit einem müden Lächeln überlebte.

Eine Abtreibung kam ebenfalls nicht in Frage. Nicht nur, dass die Eigenkosten sehr viel höher und über ihrem maximalen Limit waren, sie hätte sich dazu auch in die Obhut menschlicher Hände begeben müssen und vielleicht wäre sie da nicht nur keine Sekunde lang dieses Ding in ihr los geworden, sondern auch noch ihre Freiheit. Für den Rest ihres Lebens gefangen in einem Versuchslabor.

Nein, das würde sie nicht riskieren.

Auch eine Adoption kam nicht in Frage. Sie würde nicht einmal diesem Ding ein Leben unter menschlichen Pflegeeltern wünschen. Nicht nach allem, was sie mit ihren Eigenen hatte miterleben müssen.

Aber sie konnte es auch nicht behalten. War sie doch nicht einmal fähig, für sich selbst zu sorgen.

„Scheiße ...“

Delilah rollte sich auf ihrer neuen Matratze zu einem noch engeren Ball zusammen und erneut kamen ihr die Tränen, obwohl ihre Augen schon komplett ausgedörrt zu sein schienen. Zumindest brannten sie dementsprechend.

Sie hatte ja schon viele Dummheiten in ihrem Leben gemacht, aber das hier war der absolute Gipfel.

„Scheiße!“

Mit einem wütenden Knurren trat sie gegen die Wand neben sich und ignorierte den darauf einschießenden Schmerz in ihren Zehen. Dennoch trat sie nicht noch einmal zu. Stattdessen benutzte sie dieses Mal ihre Faust.

„Scheiße! Scheiße!! Scheiße!!!“

Das heftige Pochen ihrer Fingerknöchel ging in einem weiteren Heulkrampf unter, der sie so heftig durchzuschütteln begann, dass sie glaubte, der Boden würde unter ihr schwanken.

Inzwischen wusste sie, dass ihre Hormone daran schuld waren und natürlich auch ein bisschen diese beschissene Lage.

Irgendetwas streifte ihre Wange und Delilah beruhigte sich zumindest so weit wieder, dass sie das Stück Papier nicht unwirsch von sich fegte, sondern stattdessen zitternd zwischen die Finger nahm, um nachzusehen, was das eigentlich war.

Sofort knotete sich ihr Hals erneut zu, als sie das zusammengeklebte Bild von den Zwillingen sah, die ihr fröhlich wie eh und je entgegen grinsten.

Es musste sich von der Wand gelöst haben, wo sie es stets beim Einschlafen und Aufstehen sehen konnte, um sich immer wieder ein Beispiel daran zu nehmen und neuen Mut zu schöpfen, wenn sie einmal verzweifelt war.

Lange starrte sie das Bild unter verschwommenen Blick an, ehe sie es zur Seite legte, um sich wieder unter der Bettdecke zu verstecken.

Delilah war so verzweifelt wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Da konnte auch das Bild nichts mehr daran ändern.

Was sollte sie jetzt bloß tun?

8. Kapitel

Es regnete schon seit Stunden in Strömen vom tiefschwarzen Himmel herab und die gewaltigen Gewitterwolken hingen so tief über der Erde, als wollten diese sie verschlucken, während wütende Blitze das Zwielicht für den Bruchteil einer Sekunde erhellten.

Der Boden war schon längst aufgeweicht und zu schlammigen Pfützen zerflossen.

Die Zwillinge störte das wenig, da sie sogar das schwere Schiebetor zur Autowerkstatt ein gutes Stück weit offen gelassen hatten und völlig unberührt von dem schlechten Wetter plaudernd vor sich hinarbeiteten.

Einer stand unter einem neuen VW, der sich auf einer Hebebühne befand und der andere beugte sich gerade weit über das Herz eines Chevys, so dass er beinahe von der offenen Motorhaube verschluckt wurde.

Mit einer Taschenlampe bewaffnet, musterte er eine Weile eine schwer einsehbare Stelle.

„Und was hat Dad jetzt zu deinem Vorschlag gesagt?“

Kurz hielt der andere Zwilling – die Hände kopfüber am Unterboden des VWs und mit einem Schraubenschlüssel ausgestattet – inne, ehe er das Gesicht finster verzog und mit kräftigen Bewegungen gegen den Rost ankämpfend weiterschraubte.

„Na, was glaubst du, J? Das, was der alte Kerl immer sagt. Nenn mir mal eine Idee, die ihm gefallen hätte.“

„Hm.“

James richtete sich wieder auf und steckte die Taschenlampe in eine seiner zahlreichen Hosentaschen, während er ein kleines ölverschmiertes Bauteil in seinen Fingern betrachtete.

„Dabei fand ich die Idee gar nicht soo abwegig.“

Ein schmutziger Lappen traf ihn am Hinterkopf und wischte das breite Grinsen aus James’ Gesicht.

„Na wenigstens habe ich Ideen, im Gegensatz zu anderen gewissen Personen, die ich hier nicht namentlich nennen will.“

Dean hatte sich vom Unterboden abgewandt und hielt den Schraubenschlüssel nun mehr wie einen Schlagstock, während er demonstrativ James’ Namen in seine Hand hustete und diesen damit dürftig zu tarnen versuchte.

James packte den schmutzigen Lappen und warf ihn an seinen Absender zurück. Woraufhin sein Bruder lediglich etwas zur Seite ausweichen musste, um dem Geschoss zu entkommen.

„Ich habe sehr wohl Ideen!“

„Ja, wenn es darum geht, ein Kochrezept abzuwandeln. Das ist wirklich eine großartige Leistung, Hausmütterchen.“

Sorgfältig legte James das kleine Bauteil zur Seite, um es später wieder zu finden, ehe er nach einem Radkreuz griff und es Dean an die Brust setzte, der den Schraubenschlüssel noch fester mit den Fingern umschloss und ungerührt dem Blick seines Bruders begegnete.

„Wenigstens lass ich nicht alles anbrennen und jammere dann herum, dass es ungenießbar ist und ich bald verhungern muss.“

Dean schnaubte.

„Und ich muss nicht ständig wegen meiner Kochkünste um Anerkennung betteln!“

„Wann soll ich das gemacht haben?“

James’ Augen begannen zu funkeln.

„Gestern bei den Blaubeerpfannkuchen. Vorgestern beim Pilzragout. Vorvorgestern war’s der gebackene Hase. Davor das Schokoladensorbet und davor –“

Blitzschnell schlug Dean seinem Bruder mit dem Schraubenschlüssel das Radkreuz aus der Hand und duckte sich zur Seite weg. Allerdings nicht schnell genug, denn James erwischte einen der Träger von Deans Latzhose und riss seinen Bruder für einen Schwitzkasten zu sich herum.

Dem Werwolf war nur kurz einen Moment des Triumphs gegönnt, denn keine Sekunde später lag er mit dem Bauch auf dem Boden, Deans Knie im Rücken und ein Bein zwischen dessen Händen festgenagelt.

„Soll ich schon mal anfangen, bis zehn zu zählen?“

Unwillkürlich entkam ihr ein Lachen.

Sofort schossen die Blicke der beiden Brüder hoch und in ihre Richtung. Offenbar hatten die Zwillinge sie endlich bemerkt. Wie sie da so im strömenden Regen dastand, nass bis auf die Knochen, die Ballerinas bis zum Knöchel im Schlamm versunken. Ihre eine Hand lag locker am Riemen ihrer Reisetasche, während die andere das zerknitterte Bild hielt, das genau diesen Ort hier zeigte.

Sie zitterte am ganzen Körper, und obwohl ihr elendig zu Mute war, musste sie doch ungewollt grinsen, als sie die völlig entgleisten Gesichter von James und Dean sah, die immer noch in dieser albernen Pose festhingen, ohne sich dessen bewusst zu sein.

„Delilah?“

Sie hatten es also immer noch drauf. Schön zu wissen.

Langsam hob sie ihre Hand zum Gruß.

„Hi, Leute", meinte sie vorsichtig.

Dann brach sie in Tränen aus.
 

„Hier.“

James drückte ihr einen dampfenden Becher mit dunkler Flüssigkeit in die Hand und setzte sich ihr gegenüber auf die Couch, wo auch schon sein Bruder hockte, um sie eingehend zu betrachten. Dem Geruch nach war es heiße Schokolade. Delilah hatte gar nicht gesehen, wie er sie zubereitet hatte.

Kein Wunder. Ihre zittrigen Finger waren auch sehr viel interessanter gewesen und hatten verhindert, dass sie die Brüder zu lange ansehen musste. Denn das fiel ihr von Minuten zu Minute immer schwerer, je mehr sie sich um sie kümmerten.

Während James in der Küche tätig gewesen war, hatte Dean ihr eine flauschige Decke geholt und über die Schultern gelegt. Ihre Schuhe hatte sie schon auf der Veranda ausgezogen, dafür steckten ihre eisigen Zehen jetzt in dicken Wollsocken, die ihr um mindestens zehn Nummern zu groß waren.

„Ich fass es nicht, dass du hier bist.“

Delilah zuckte zusammen, ehe sie vorsichtig den Blick hob, doch James sah nicht so aus, als wäre an seinen Worten irgendetwas Negatives gewesen. Viel mehr lag Unglauben in seinem Blick. Sie konnte es nur allzu sehr verstehen.

„Was ist passiert? Und wie hast du uns hier überhaupt finden können?“

Deans Tonfall klang schon wesentlich beherrschter und daher auch sehr viel zielgerichteter.

Delilah hätte sich zwar gewünscht, keine Fragen beantworten zu müssen, aber sie war auch darauf vorbereitet, es dennoch zu tun. Das war einfach unvermeidlich gewesen.

„Ich habe euch damit gefunden.“

Sie zog das durchweichte und abgenutzte Bild aus ihrer Hosentasche, um es Dean zu geben. Der musterte es kurz und gab es an James weiter, dessen Gesicht sich wie bei einer plötzlichen Erkenntnis aufhellte.

„Jetzt weiß ich wenigstens, wohin das Foto verschwunden ist. Ich wusste ja gar nicht, dass deins auch weg war, D.“

Dean zuckte nur gelassen mit den Schultern, während er Delilah immer noch eindringlich ansah und offenbar mehr als nur diese flüchtige Antwort erwartete.

„In euren Führerscheinen stand auch noch euer Geburtsort. Das hat die Sache deutlich eingegrenzt", gab sie zögerlich zu und war im Nachhinein enorm froh, dass die Fotos das Einzige gewesen waren, was sie den Brüdern entwendet hatte, mal von den Shorts und dem Shirt abgesehen.

„Ich will lieber nicht wissen, was du eigentlich in unseren Brieftaschen gesucht hast.“

Für einen Moment konnte sie Deans Blick noch standhalten, doch dann schrumpfte Delilah auf dem bequemen Couchsessel noch mehr in sich zusammen und wünschte sich beinahe, man könnte sich in einem Becher voll heißer Schokolade ertränken.

„Mann, D! Das ist doch jetzt völlig egal. Wäre ja nicht das erste Mal, dass dich eine ausgenommen hätte.“

Obwohl Delilah glaubte, dass James es nur gut gemeint hatte und seinen Bruder wegen seiner Worte tadeln wollte, fühlte sie sich nur noch beschissener.

Die Tasse auf ihrem Knie abgestellt und mit einer Hand gestützt, verbarg Delilah ihr Gesicht hinter der anderen Hand, um die neuen Tränen ihrer hormonellen wie auch gefühlsmäßigen Folter zu verbergen.

Draußen im Regen hatten die Jungs es nicht so deutlich sehen können, aber jetzt würden sie es.

Sie war absolut am Ende und je länger sie in der Nähe der beiden Brüder war, umso schwerer fiel es ihr, auch nur einen Punkt der Dinge, die sie ihnen hatte sagen wollen, anzusprechen. Von der Nachricht, dass sie von einem von ihnen schwanger war, wollte sie gar nicht erst anfangen. Es erschien ihr im Augenblick unmöglicher denn je, das laut auszusprechen.

Jemand nahm ihr den Becher aus der Hand, bevor dieser auf dem Boden landen konnte, und hockte sich vor sie hin.

Delilah musste nicht aufsehen, um zu wissen, dass es James war. Dean dicht hinter ihm.

Gott, wie sehr sie diese Gerüche doch vermisst hatte!

Langsam zog James ihr die Hand vom Gesicht weg und versuchte von unten zu ihr heraufzusehen, wofür er sich ganz schön verrenken musste, da er immer noch zu groß war.

„Deli? Schau mich an, bitte.“

Dieses unerwartete Kosewort war der einzige Grund, weshalb sie die Kraft aufbrachte, hochzublicken und James in die Augen zu schauen.

Am liebsten hätte sie sich einfach an seinen Hals geworfen und darum gebettelt, er möge sie vor dieser bösen Welt beschützen. Doch sie konnte es nicht. Je mehr sie sich an diesen Wunsch klammerte, umso weniger konnte sie ihn umsetzen.

Stattdessen saß sie steif und zitternd da und wischte sich mit der Decke über ihre nassen Wangen.

„Was ist passiert? Und wieso bist du damals einfach ohne ein Wort abgehauen?“

Diese Augen ... Diese warmen karamellfarbenen Augen hypnotisierten sie beinahe.

„Ich ...“

Sie konnte einfach nicht wegschauen.

„Ich wollte nicht riskieren, dass ihr mich am nächsten Morgen einfach vor die Tür setzt.“

Die Brüder warfen sich einen langen Blick zu, ehe James den ihren wieder gefangennahm.

„Und ich bin hier ... Weil ich hoffte, dass ... dass ihr mich auch jetzt nicht ... vor die Tür setzt. Denn ...“

Delilah atmete hicksend einmal so tief ein, wie es ihr möglich war.

„Denn ich weiß nicht, wo ich sonst hin kann ...“

Nun riss sie sich doch von James’ Blick los und starrte stattdessen auf die Decke, in die sie ihre Finger gekrallt hatte.

„Ich bin verzweifelt, okay? Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll ...“ Und das zuzugeben war die schlimmste Niederlage ihres bisherigen Lebens.

Eine Weile sagte niemand etwas und Delilah war sich fast sicher, dass wieder viele Blicke ausgetauscht wurden, doch anstatt schließlich doch noch vor die Tür gesetzt zu werden, drückte ihr James wieder den inzwischen nur noch warmen Becher Schokolade in die Finger.

„Trink. Das wird dich so lange aufwärmen, bis Dean dir ein Bad eingelassen hat.“

Überrascht schaute sie hoch und musste feststellen, dass Dean tatsächlich nicht mehr im Raum war. Er musste sich hinausgeschlichen haben.

James hatte es sich dafür vor ihr auf dem gläsernen Couchtisch bequem gemacht und seine fast schon lässige Haltung, beruhigte sie irgendwie, während sie ihm immer noch mit großen Augen zuhörte.

„Wir haben beschlossen, dass du vorerst hier bleiben kannst, vorausgesetzt du haust nicht einfach wieder ab. Ein bisschen mehr Östrogen in dieser Bude kann nämlich wirklich nicht schaden. Und du musst versprechen, nichts von dem, was damals im Hotelzimmer zwischen uns Dreien passiert ist, unserem Dad zu sagen. Der würde uns sonst mit bloßen Händen kastrieren!“

Bei dem Gesichtsausdruck den James machte, glaubte sie ihm das aufs Wort. Aber nicht nur deshalb fiel es ihr nicht schwer, das Versprechen abzugeben. Alles was momentan verhinderte, auf den eigentlichen Grund ihres unerwarteten Besuchs zu kommen, begrüßte das kleine feige Etwas in ihr, das zurzeit die Oberhand über sie hatte.

„Ich verspreche es und ... danke. Ich weiß gar nicht, wie ich euch jemals dafür danken kann.“

Vermutlich nicht unbedingt mit einem Baby.

Wieder sank ihre Stimmung ins Bodenlose und Delilah wollte gerade einen Schluck von dem Getränk nehmen, als James sich vorbeugte und ihr tief in die Augen schaute, so dass sie in der Bewegung regelrecht erstarrte.

„Es ist schon Dank genug, wenn ich nie wieder diese Tränen sehen muss ...“

Delilah blieb wortwörtlich der Mund offen stehen. Nie hätte sie einen so gefühlvollen Satz von James, geschweige denn von Dean erwartet. Umso überraschender war es, doch so etwas zu hören.

Auch James schien sich dessen plötzlich sehr bewusst zu sein, denn er sprang auf seine Füße, räusperte sich vernehmlich und stürzte dann regelrecht aus dem Wohnzimmer, um nach Dean zu sehen, wie er ihr noch im Davonlaufen erklärte.

Vielleicht würde am Ende doch noch alles gut werden ...

Oder eher fror die Hölle zu.

Delilah hatte es gerade einmal geschafft, zwei Schlucke von ihrem Getränk zu trinken, da hörte sie schon die Vordertür aufgehen und schwere Schritte den Flur entlang donnern.

Sie war noch nicht einmal richtig auf den Beinen, da füllte ein riesiger Schatten den Türrahmen aus und als würde sie sich in einem billigen Horrorfilm befinden, zuckte draußen auch noch in genau dieser Sekunde ein Blitz, der das Licht- und Schattenspiel auf dem extrem vernarbten Gesicht mit gewaltigem Eindruck hervorhob.

Die Tasse fiel zu Boden, als Delilah mit einem spitzen Schrei und einem großen Satz zuerst auf den Couchsessel und dann direkt dahinter sprang, um ihn zwischen sich und den furchteinflößenden Mann zu bringen.

Keine Sekunde später hörte sie schwere Schritte die Treppe herunterpoltern und die Zwillinge tauchten hinter dem Riesen auf, ehe sie sich beide mit einem „Hi Dad“ an ihm vorbeischoben und Delilah besorgt ansahen.

Langsam beruhigte sie sich wieder. Sie hatte sich nur erschreckt, und obwohl sich an den Narben im Gesicht von Deans und James’ Vater in den letzten Sekunden nichts geändert hatte, so wirkten sie doch nicht mehr so grotesk wie noch unter dem schlechten Einfluss des Gewitters. Zudem glaubte sie, vertraute Züge darin erkennen zu können und somit noch mehr eindeutige Beweise für die Verwandtschaft zu den Brüdern.

Früher musste der Mann genauso gut ausgesehen haben wie seine Söhne, wenn nicht sogar beeindruckender. Immerhin überragte er die beiden noch um zusätzliche Zentimeter.

„Wer ist das und was tut sie hier in meinem Haus?“, durchbrach eine tiefe grollende Stimme das Schweigen und trieb damit Delilahs Puls schlagartig noch weiter in die Höhe. Unwillkürlich wich sie ans Fenster zurück und senkte den Blick.

Sie war zwar nie unter Wölfen aufgewachsen, aber jeder ihrer Instinkte riet ihr, diesen Mann mit gebührendem Respekt zu begegnen und so viel Unterwürfigkeit an den Tag zu legen, wie sie nur konnte. Das könnte ihr am Ende noch den Pelz retten, denn sie hatte es definitiv mit einem Alpha zu tun.

„Dad!“

„Seit unserem 21. Geburtstag ist das unser Haus und hör gefälligst auf, unsere Gäste zu erschrecken!“

Dean hatte sich vor seinem Vater aufgebaut, was fast lächerlich wirkte, da er zu dem Mann hochblicken musste, während James sich so hinstellte, dass er diesem die Sicht auf Delilah versperrte, während er beschwichtigend die Hände hob.

„Ihr Name ist Delilah. Sie ist eine alte Freundin und wird für ein paar Tage hier bleiben, okay. Wie lief’s bei der Versammlung?“

Einen Moment lang drückten eisblaue Augen die Temperatur im Raum noch etwas runter, ehe sich der Riese mit einem unverständlichen Knurren abwandte und irgendwo im Haus verschwand.

„So gut also, ja?“

Dean schüttelte den Kopf, als hätte er keine andere Antwort erwartet und drehte sich wieder herum.

„Werwölfe – was gibt’s da noch zu sagen?“

„Korrekt, Mann.“

Die Brüder stießen ihre Fingerknöchel aneinander, ehe sie einfach so taten, als wäre nichts geschehen.

„Dein Bad ist fertig, wenn du willst und deine Tasche haben wir auch schon hoch ins Gästezimmer gebracht.“

„Mach dir keine Gedanken wegen des Scherbenhaufens, um den kümmere ich mich.“

Damit ging James rüber in die Küche, um etwas zum Saubermachen zu holen, während Dean irgendetwas von „Braves Hausmütterchen“ murmelte und ihr mit einer Geste zu verstehen gab, mit ihm zu kommen.

Nur zögerlich und sehr viel verwirrter als zuvor, löste Delilah sich von ihrem Platz, wickelte die Wolldecke noch fester um ihren bebenden Körper und folgte dann Dean durchs Haus, immer in der Angst, sein Vater könnte jeden Moment wieder auftauchen und ihr am Ende einen Tritt zur Tür hinausversetzen.

Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?

9. Kapitel

Sie war vom Duft frischgekochten Kaffees wachgeworden, und obwohl Delilah zunächst unentschlossen in dem unglaublich gemütlichen Bett liegengeblieben war, hatte sie sich nach mehrmaligem Hin- und Herüberlegen dazu entschlossen, doch aufzustehen und sich diesem neuen Tag zu stellen.

Aus Angst, sie könnte dem furchteinflößenden Dad der Zwillinge begegnen, hatte sie zuerst lange an der Tür gelauscht, ob die Luft auch wirklich rein war. Aber bis auf leise Geräusche aus der Küche war es ruhig und der Kaffee lockte wirklich unglaublich intensiv.

Also schlich sie sich auf nackten Sohlen aus dem Gästezimmer, immer darauf bedacht, dass keine der alten Dielen unter ihren Füßen knarrte, schob sich langsam an der Wand entlang die Treppe hinunter und blieb noch einmal stehen, um zu lauschen.

Es hörte sich so an, als wäre nur eine Person in der Küche und wenn sie sich wegen des Kaffeegeruchs nicht vollkommen täuschte, glaubte sie, James zu wittern.

Sicher war sie sich zwar immer noch nicht, aber sie wollte auch nicht dabei erwischt werden, wie sie wie ein Dieb durchs Haus schlich. Also raffte sie all ihren Mut zusammen, streckte den Rücken gerade und betrat den Wohnbereich des Hauses.

James lehnte lässig neben der Kaffeemaschine, in der einen Hand einen dampfenden Becher, in der anderen die Morgenzeitung und las gerade irgendeinen Artikel.

Er trug nichts weiter als rote Shorts mit schwarzen Pfotenabdrücken darauf.

„Guten Morgen", begrüßte sie ihn leise und kam nur zögerlich näher.

Delilah war sich nicht sicher, wie derzeit der Stand der Dinge zwischen ihnen war, da die beiden Brüder gestern nicht mehr mit ihr gesprochen hatten, nachdem sie direkt nach dem Bad auf dem Bett eingeschlafen war. Vielleicht hatten sie ihr Angebot inzwischen wieder zurückgezogen, nachdem die drei Männer genügend Zeit zum Diskutieren gehabt hatten.

Delilah hatte Angst, dass sie noch vor dem Frühstück wieder verschwinden musste, obwohl James ihr gestern noch etwas anderes gesagt hatte. Natürlich könnte sie dann immer noch die Babybombe hochgehen lassen, aber wenn es sich vermeiden ließ, wollte sie dieses Thema noch etwas weiter hinauszögern und vorher die richtigen Worte finden. Auch wenn es die vermutlich gar nicht gab.

„Hey, na gibt’s denn so was? Endlich mal jemand, der länger schläft als ich!“, begrüßte James sie fröhlich, nachdem er sie bemerkt hatte und wenn das Delilah nicht ein bisschen beruhigte, so tat es sein breites Lächeln auf jeden Fall. Allerdings wollte ihr nicht ganz der Blick gefallen, mit dem er sie einen Augenblick später musterte.

Verwirrt blickte sie an sich herab und stockte.

Fuck!

Das Einzige, was von ihren Klamotten trocken geblieben war, war ihr Pyjama ganz unten in der Tasche gewesen und der bestand nun einmal schon seit einigen Wochen aus roten Boxershorts und einem schwarzen Schlabbershirt.

Delilah hatte die Klamotten schon so oft getragen und gewaschen, dass sie gar nicht mehr darüber nachdachte, wem sie eigentlich gehörten, sondern als ihre eigenen ansah. Dementsprechend war sie gerade voll ins Fettnäpfchen getreten.

„Ich ...“, begann sie zu erklären, aber James winkte noch breitergrinsend ab.

„Du kannst sie behalten. Dir stehen sie sowieso viel besser und was das Shirt angeht, glaube ich nicht, dass Dean es allzu sehr vermisst. Der hat genug davon.“

So ganz wollte Delilah sich noch nicht entspannen, aber das war ohnehin nichts Neues.

„Also gehören die Boxershorts dir?“, wollte sie zur Sicherheit noch einmal wissen und wagte sich nun doch ganz an die Küchentheke heran.

„Klar. Dean würde so was nie anziehen. Das wäre unter seiner Würde. Kaffee?“ James legte die Morgenzeitung weg und stellte seinen Becher zur Seite, ehe er zu einem der Küchenschränke hinüber ging und eine frische Tasse hervorholte, um ihr wohl ebenfalls von dem köstlich duftenden Kaffee einzuschenken. Allerdings kam Delilah gerade noch rechtzeitig wieder in der Realität an.

„Ähm ... Nein, danke. Könnte ich vielleicht stattdessen ... heiße Schokolade haben? Aber nur, wenn’s dir nicht zu viele Umstände macht.“

Denn sie durfte ja keinen Kaffee mehr trinken. Hatte sie zumindest irgendwo gelesen und obwohl sie dieses Ding in ihrem Bauch immer noch nicht wirklich wahrhaben konnte, so war ihr doch bewusst, dass sie es austragen würde. Es wäre dem neuen Leben gegenüber nicht fair, ihm den Weg in diese Welt noch zusätzlich zu erschweren. Zumindest das war Delilah diesem kleinen Etwas schuldig.

„Ach, das mach ich doch gerne für dich.“ James stellte die Kaffeekanne wieder zurück und begann stattdessen einen kleinen Topf auf den Herd zu stellen und etwas Milch darin einzufüllen.

„Setz dich doch", gab er ihr mit einem knappen Nicken in Richtung Hocker zu verstehen, ehe er einen Schneebesen in die Hand nahm, um die Milch umzurühren.

Verwirrt tat Delilah, was er ihr gesagt hatte und setzte sich an die Theke, während sie feststellte, dass es hier keine Mikrowelle gab und er die Milch tatsächlich auf altmodische Weise warm machte. Aber sie ließ es unkommentiert, war sie doch froh, dass James wieder ein bisschen Süßholz raspelte. Das verminderte die Chance, dass er sie gleich rauswerfen würde.

„Wenn Dean keine Boxershorts mag, was hat er denn dann sonst an? Ich versteh gar nicht, wie er die nicht mögen kann", versuchte sie ein unverfängliches Gesprächsthema zu finden, um bloß nicht in eine gänzlich andere Richtung zu steuern. Schließlich würde es sie nicht wundern, wenn James schon bald das Thema von gestern Abend wieder aufgriff.

Ihm entkam ein leises Lachen, das sich sehr gut anhörte.

„Die sind ihm zu weit geschnitten. Mein Brüderchen mag’s nicht so luftig untenrum, also bevorzugt er Retroshorts. Du weißt schon. Die Teile, die Unterhosen ähneln, nur mit etwas längeren Beinen.“ Während er die Milch im Topf umrührte, betrachtete Delilah ausgiebig das Tattoo in seinem Nacken. Sie hatte es nicht vergessen und das würde sie wohl auch nie, ebenso wenig wie den dazu gehörigen Mann.

„Hm ... Das hätte ich nicht gedacht. Immerhin seid ihr euch so –“

„– ähnlich?“ James entkam ein leises Schnauben, ehe er aus einem anderen Schrank eine metallene Dose holte, die wohl das Kakaopulver enthielt.

„Ähm ... ja", bestätigte sie vorsichtig.

„Ein weitverbreiteter Irrtum.“ Er stellte den Herd ab, nach dem die Milch zu kochen begonnen hatte, und schüttete sie in den Becher, den er zusammen mit einem kleinen Löffel vor ihr abstellte.

Plötzlich war James so verdammt nahe, dass Delilah versucht war, ein Stück zurückzuweichen, aber das wäre nicht gerade höflich gewesen und sie wollte keine Schwäche zeigen, war sie doch so schon verunsichert genug. Also blieb sie standhaft und ließ es zu, dass er ihr über die Theke hinweg tief in die Augen blickte, die Arme dabei auf der Holzplatte abgestützt, den Bauch dagegengelehnt.

„Eigentlich hätte ich gehofft, dass wenigstens du unser Äußeres durchschaust.“

Sein Tonfall war ruhig und kein bisschen enttäuscht, aber es lag auch noch etwas anderes darin, das sie nicht zuordnen konnte und sie irgendwie dazu herausforderte, sich zu verteidigen.

„Ich kann euch jederzeit auseinanderhalten.“

„Wirklich?“ Er begann zu lächeln.

„Ja.“ Ihr Tonfall wurde selbstsicherer, woraufhin James sich ein bisschen weiter vorlehnte und ihr somit noch näher kam. Sie bräuchte sich ihm nur ein Stück entgegen zu lehnen und sie könnte ihn –

„Auch wenn du blind wärst und keinen Geruchssinn hättest?“ James’ Stimme war nur noch ein leises Raunen, das ihr einen Schauder den Rücken hinabjagte.

Könnte sie die Brüder ohne diese Sinne immer noch auseinanderhalten? Delilah war sich fast sicher, also nickte sie: „Ja. Auf jeden Fall.“

„Interessant. Und wie würdest du das anstellen?“

Er gab einfach nicht auf, während seine karamellfarbenen Augen sie so sehr in den Bann zogen, dass für diesen Augenblick alle Sorgen von ihr abzufallen schienen. Doch gerade als Delilah versucht war, ihm in einem praktischen Versuch zu zeigen, wie sie ihn von seinem Bruder auseinanderhalten konnte, begann ihr Bauch lautstark zu knurren.

Kurz sahen sie sich beide verdutzt an, ehe James zu lachen anfing und ihr damit ebenfalls ein Lächeln entlockte.

„Tut mir echt leid. Manchmal vergesse ich meine Manieren. Was willst du frühstücken?“ Er ging zu dem riesigen Kühlschrank hinüber und öffnete eine der Türen. Innen drin war jeder Zentimeter mit allem möglichen Essen vollgestopft, so dass Delilah beinahe die Augen herausfielen. Nie, niemals im Leben hatte sie je einen so gut gefüllten Kühlschrank gesehen.

„K-keine Ahnung. Worauf hättest du denn Lust? Oder hast du schon gefrühstückt?“, wollte sie immer noch ganz perplex wissen, ehe sie wenigstens den Mund wieder zuklappen konnte.

„Nein, ich hab extra auf dich gewartet und ich hätte Lust auf Pfannkuchen, Rühreier und Speck. Reizt dich irgendwas davon?“

„Ja!“

Machte der Kerl Scherze? Was konnte man an Pfannkuchen, Rühreiern und Speck nicht reizvoll finden? Allein beim Gedanken daran lief ihr das Wasser im Munde zusammen. Wann hatte sie zuletzt denn so ein ausgiebiges Frühstück gehabt?

James schenkte ihr ein breites Grinsen über seine Schulter hinweg, während er immer noch lässig vor der geöffneten Kühlschranktür stand und sie seine Kehrseite ausgiebig betrachten konnte. Im Augenblick war ihr Blick jedoch ohne Zweifel auf die richtigen Köstlichkeiten gerichtet.

„Geht’s noch ein bisschen genauer?“, half er ihr ein bisschen auf die Sprünge.

„Ich nehme einfach alles, was du nimmst.“

„Das ist aber eine ganz schöne Menge. Sicher, dass du damit fertig wirst?“

Nun war es an ihr, breit zu grinsen.

„Wollen wir wetten? Wer verliert, macht den Abwasch!“

„Ha! Die Wette gilt. Danke für den freien Tag im Küchendienst.“
 

Zwei Stunden, einen Berg voll Blaubeerpfannkuchen, Rühreiern und Speck später, ließ sich James geschlagen gegen die Lehne seines Stuhls fallen und schob seinen Teller von sich weg.

„Ich geb’s auf. Du hast gewonnen. Oh Gott, ich platz gleich.“

Er schlug sich eine Hand auf seinen nackten Bauch, dem auch das viele Essen nichts von seiner ästhetischen Form genommen hatte, aber Delilah verstand durchaus, was er damit andeuten wollte und grinste breit, nachdem sie sich noch einen Löffel Schokopudding in den Mund geschoben hatte.

„Jetzt schon? Wir haben doch grade erst angefangen.“

Was natürlich eine Lüge war und obwohl ihr Tonfall es nicht im Geringsten verriet, stand auch sie kurz vorm Platzen. Aber der Schokopudding mit Sahne war einfach zu lecker, um ihn wegzuwerfen. Also kämpfte sie sich noch durch den Plastikbecher, während James ihr einen ungläubigen Blick von der Seite zuwarf.

„Ich fass es nicht. Wie kann so viel Essen in so was Kleines reinpassen?“

„Hey!“ Sie gab ihm einen sachten Schubs gegen die Schulter und sah ihn gespielt böse an.

„Ich bin nicht klein, nur zierlich gebaut.“

„Fragt sich wie lange noch, wenn du so weiter machst.“

Sie erstarrte und sofort war James bewusst, dass er sie gerade beleidigt hatte. Zumindest musste er glauben, dass das der Grund für ihre Reaktion war. Leider irrte er sich da.

Delilah hatte keine Angst, jemals fett zu werden, dafür war ihr Stoffwechsel zu hoch, aber sie würde bald zunehmen. Das war unausweichlich.

„Deli, das meinte ich nicht –“, wollte er schon mit einem bis dahin noch nie vor ihr gezeigten Welpenblick ansetzen, doch Delilah fuhr ihm einfach über den Mund.

„Was dann wohl zweifelsohne deine Schuld sein wird, da du so verdammt gut kochst.“

Sie stieß ihm ihren Zeigefinger gegen die Brust und funkelte ihn noch mal gespielt böse an, was er allerdings dank seiner Worte falsch verstand.

„Also beschwer dich nicht, wenn ich wegen deiner Kochkünste schon bald in die Breite gehe. Immerhin ist das ein Kompliment an den Koch.“

Sie lächelte, obwohl sie innerlich total zitterte. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, um den Brüdern das mit dem Baby zu sagen. Ein paar Wochen noch, dann würde langsam etwas zu sehen sein.

James hingegen saß noch immer in seinem Fettnäpfchen und schien ihrem Lächeln nicht ganz glauben zu wollen, weshalb Delilah demonstrativ die letzten Reste des Schokopuddings auslöffelte und ihn dann gelassen ansah.

„Wo sind eigentlich die Anderen?“

Hoffentlich half ihm ein Themenwechsel weiter, und obwohl James für ein paar Sekunden noch immer vom schlechten Gewissen angenagt wurde, begann er sich schon bald wieder zu entspannen und die Teller zusammenzustellen.

„Die sind mit dem Abschleppwagen in Beaver Creek, um ein Auto zu holen. Das wird den ganzen Tag dauern.“

Irgendwie wurde ihr beim letzten Satz unglaublich leicht ums Herz. Dann musste sie dem alten Herrn der beiden Brüder nicht so schnell wieder begegnen.

„Und warum bist du nicht mitgefahren?“

Delilah half ihm, den Tisch abzuräumen und alles in die Küche zu tragen.

„Dad braucht dafür nur einen von uns, und da ich der bin, der kochen kann, hat Dean beschlossen, dass ich mich besser um dich kümmern kann als er.“

Wieder erschien ein kleines Lächeln auf ihren Lippen.

„Das ist sehr nett von dir.“

„Verwechsle nett nicht mit eigennützig.“

Er grinste sie auf seine entwaffnende Art von der Seite her an. Sie hätte sich nur ein Stück zu ihm hinüberlehnen müssen, um mit ihrer Schulter seinen Arm zu berühren, so nah war er, aber es waren seine Worte, die sie fragend die Augenbraue hochziehen ließen.

„Eigennützig? Das musst du mir genauer erklären.“

Was auch immer sie für Ängste hatte ausstehen müssen, seit ihrer Ankunft gestern und diesem Moment hier, die letzten beiden Stunden hatten sie zumindest so weit beruhigt, dass sie keinen baldigen Rausschmiss mehr fürchtete.

Delilah war sich zwar ihrer Lage noch nicht sehr sicher, aber zumindest fühlte sie sich wohl genug, dass ihr Tonfall als vage flirtend bezeichnet werden konnte. Eine Reaktion auf die Art, wie James mit ihr schon die ganze Zeit über sprach.

Er drehte sich ganz zu ihr herum und sah mit diesem besonders intensiven Blick auf sie herab: „Nun, sieh es doch mal so: Anstatt zu arbeiten, habe ich dank dir einen freien Tag und das ist das erste Mal, dass ich dich nicht mit meinem Bruder teilen muss ...“

Sofort wurde Delilah vorsichtig. Sie konnte es zwar nicht leugnen, dass sie James gerne berührt, sich an ihn gekuschelt und vielleicht sogar geküsst hätte, so sehr sehnte sie sich nach einer warmen Geste, aber sie hatte auch nicht vergessen, was da unter ihrem Herzen ruhte und dass der Vater durchaus der andere Bruder sein könnte. Was wenn Dean und nicht James der Vater des Dings in ihr drin war und sie gerade Gefahr lief, den falschen näher an sich heranzulassen?

Bevor sie auch nur weiter darüber nachdenken konnte, zog James sich zurück und begann Wasser in die Spüle zu lassen.

„Mach dir nichts draus. Morgen kannst du dich mit Dean begnügen und ich fahre mit Dad. Wir haben’s ausgeknobelt.“

Mit diesen Worten begann er sehr enthusiastisch die Teller zu spülen, während Delilah das Gefühl hatte, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Aber an seinem Gesichtsausdruck war nichts abzulesen und sie wagte es nicht, danach zu fragen, also schnappte sie sich schließlich ein Geschirrtuch und begann das nasse Geschirr abzutrocknen und zu stapeln, da sie nicht wusste, wohin die Sachen gehörten.

„Das Essen war wirklich lecker. Wo hast du das gelernt?“

Es war zwar nur ein Versuch, das unangenehme Schweigen zu brechen, aber Delilah interessierte sich wirklich dafür, und obwohl James sich mit einer Antwort Zeit ließ, war sie doch sehr froh darüber, dass er überhaupt etwas sagte.

„In einem Kochkurs in Great Falls. Damals war ich so um die sechzehn.“

„Wirklich?“

Erstaunt hielt sie in ihrer Tätigkeit inne und sah den Mann neben sich neugierig an. Das hätte sie James gar nicht zugetraut. Nicht in diesem Alter, wo er doch sicher ganz andere Dinge im Kopf gehabt hatte.

Er sah sie immer noch nicht an, sondern arbeitete einfach weiter.

„Ja. Ich konnte den Fraß von Dad nicht mehr ertragen, also hab ich mich dazu genötigt, wenigstens die Grundlagen zu lernen und erstaunlicherweise hat es mir dann auch zunehmend Spaß gemacht. Jetzt probiere ich gerne herum, und obwohl mich Dean ständig damit aufzieht, treibt er es doch nie zu weit. Dafür schmeckt’s ihm zu gut.“

Langsam schlich sich nun doch so etwas wie ein Lächeln auf seine Lippen. Offenbar erinnerte er sich an etwas und seine Bewegungen begannen, ruhiger zu werden.

Sie hatte ihn also auf andere Gedanken gebracht. Das war gut.

Delilah nahm einen weiteren Teller entgegen und trocknete ihn gründlich ab, während sie James gestand: „Ich kann gar nicht kochen. Ich hab’s nie gelernt und hatte auch nie die Möglichkeit dazu.“

Dabei sollte man doch meinen, Frauen könnten so etwas im Schlaf. Aber da hatte sie definitiv in den falschen Gentopf gegriffen.

Nun hielt James inne und warf ihr von der Seite einen undefinierbaren Blick zu.

„Deine Mutter hat es dir nie beigebracht?“, fragte er überraschend vorsichtig.

Delilah schüttelte leicht den Kopf.

„Meine richtigen Eltern starben, als ich vier war und von meinen Pflegeeltern bin ich abgehauen, ein paar Monate, bevor ich volljährig wurde. Danach gab’s niemanden, der es mir hätte beibringen wollen.“

James schwieg einen Moment. Vermutlich wusste er nicht, was er auf diese gnadenlos ehrliche Antwort sagen sollte, umso mehr überraschte es sie, als er doch sprach.

„Wir haben unsere Mutter auch sehr früh verloren. Allerdings ist sie nicht gestorben, sondern mit einem anderen Kerl abgehauen. Einer der kein Werwolf war und somit besser zu ihr passte.“

Obwohl es schon lange her zu sein schien, glaubte Delilah doch immer noch ein bisschen Wut aus James’ Worten herauszuhören, und wenn man bedachte, wie sehr es ihn und seinen Bruder verletzt haben musste, von ihrer Mutter zurückgelassen zu werden, würde es sie nicht wundern. Auch sie war noch oft wütend auf ihre Eltern, da diese sie einfach allein gelassen hatten.

„Also ist deine Mutter kein Werwolf?“

Wie seltsam. Als sie die Brüder in ihrer anderen Form gesehen hatte, hätte sie niemals daran gezweifelt, Vollblutwerwölfen gegenüberzustehen. Verglich man sie allerdings mit ihrem Vater, fiel einem schon ein gewisses Maß an Friedfertigkeit bei den Brüdern auf. Aber das konnte auch am Charakter liegen.

„Nein. Sie ist ein Mensch. Ein Grund, wieso unser Dad es nicht gerne sieht, wenn wir etwas anderes als Werwolffrauen mit nach Hause bringen.“

Daher also die Abneigung.

Verdammt! Dann hatte sie doch schon von vornherein verloren und sie würde diesem Kerl auch noch einen Mischlingsenkel zur Welt bringen. Es würde sie nicht wundern, wenn er ihr deshalb gleich nach der Geburt das Fell über die Ohren ziehen würde, immerhin hatte sie sich als Nicht-Werwolf an seine Söhne herangemacht!

„Und, äh ... Bringt ihr oft welche nach Hause?“

Das war ein weiterer Punkt, der sie unerklärlicherweise ziemlich reizte. Allein der Gedanke, einer der beiden könnte ...

Reiß dich zusammen, Delilah! Sie sind schließlich nicht dein Eigentum!

Aber sie sollten es sein ...

Schnauze!

„Eifersüchtig?“

Ertappt hätte Delilah beinahe den letzten Teller fallengelassen, aber sie konnte ihn gerade noch im Sturz auffangen und dann vorsichtig zu den anderen auf den Stapel legen.

„Dafür müsstest du dich schon sehr viel mehr ins Zeug legen", meinte sie herausfordernd, die Fäuste in die Hüften gestemmt, obwohl das nicht sehr viel Eindruck machte, da sie ziemlich weit zu James aufsehen musste, der inzwischen wieder ein sehr schalkhaftes Glitzern in den Augen hatte.

„Wirklich?“

Er kam näher.

Ja!

Nein!

Rasch drückte sie ihm das feuchte Geschirrtuch gegen die Brust und wich einen halben Schritt zurück, um nicht in die dumme Situation zu kommen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun sollte oder in der sie einfach etwas zuließ.

„Ja. Beim Abendessen zum Beispiel. Außerdem hätte ich gerne eine Führung, nachdem wir uns was Richtiges angezogen haben.“

Sie lächelte so unschuldig wie möglich und James nahm es zum Glück locker hin.

„Lässt sich bestimmt machen.“

Er hängte das Geschirrtuch über den Griff des Backofens und nahm den Tellerstapel in die Hand, um ihn wegzuräumen.

Delilah ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen, sondern packte James’ Hände mit den Tellern, beugte sich so weit vor, wie sie konnte, und hauchte ihm einen Kuss auf die Brust, da sie nicht weiter hinaufreichte.

„Ich habe das Frühstück mit dir sehr genossen. Danke!“

Bevor der Werwolf noch etwas darauf erwidern konnte, rauschte sie wie ein Wolf auf der Jagd ab, um zu sehen, was von ihren Sachen schon trocken genug war, um sie für einen Ausflug ins Freie anziehen zu können. Denn heute war ein schöner Tag und nach der anstrengenden Reise war Delilah einmal froh, wenn sie sich einmal wieder frei bewegen konnte, nachdem sie einige Tage in dem einen oder anderen Bus hatte verbringen müssen.

10. Kapitel

„Also lass mich das jetzt noch mal kurz zusammenfassen.“ Delilah bückte sich nach einem kleinen, etwa handtellergroßen Stein und drehte ihn anschließend in ihren Händen, während sie den Blick über den kleinen Fluss hinaus in die weite Ebene einer Graslandschaft bis zur Silhouette einer Bergkette wandern ließ.

„Ihr habt zwar eine kleine Ranch, die für meine Begriffe immer noch beachtliche Ausmaße annimmt, seid aber schon seit zwei Generationen Mechaniker und lasst deshalb andere Rancher einen Teil eures Landes als Pacht bewirtschaften. Warum habt ihr euch denn gegen die Landwirtschaft entschieden?“

Sie hob fragend eine Augenbraue und sah zu dem Mann an ihrer Seite hoch, der ebenfalls einen Stein in den Händen hielt. „Nicht, dass ich mir dich beim Kuhmelken vorstellen könnte.“ Sie grinste, da sie es sich doch irgendwie vorstellen konnte und die Szene vor ihrem inneren Auge ein Bild für Götter war.

„Mann, da tust du mir jetzt aber Unrecht. Ich hab schon so einige Kühe bearbeitet, nur eben keine tierischen.“ James wagte es auch noch, dabei schweinisch zu grinsen, doch bevor sie ihm dafür in die Seite boxen konnte, holte er mit seinem Arm Schwung und schleuderte den flachen Stein übers ruhige Wasser, so dass dieser mehrmals auf der Oberfläche des Flusses aufkam und schließlich mit einem dumpfen Laut unterging.

Delilah wollte es ihm nachmachen, doch ihr Stein ging sofort mit einem fast schon verhöhnenden Laut unter. Sie war in der Stadt groß geworden. Sie hatte irgendwie gar nichts anderes erwartet, dennoch bückte sie sich nach dem nächsten Stein und versuchte dieses Mal einen besonders flachen zu finden, während James sich endlich zu einer Antwort durchringen konnte.

„Wir sind Werwölfe und da liegt es nahe, dass wir nicht wirklich fürs Kühehüten gemacht sind. Aber einmal davon abgesehen, starb unser Grandpa noch vor unserer Geburt und Dad hatte schon immer ein großes Interesse an Autos. Nicht unbedingt was das Fahren angeht, sondern mehr was unter der Haube steckt, die Idee dahinter und wie sie umgesetzt wird. Technisches Interesse eben.“

James forderte sie mit einem Blick dazu auf, endlich ihren Stein zu werfen und Delilah kam dem nach, obwohl sie mehr an dem Gehörten interessiert war.

Auch dieses Mal landete ihr Stein beim ersten Mal im Wasser, was sie nicht weiter wunderte, also richtete sie ihre Aufmerksamkeit lieber wieder auf ihren Begleiter.

„Dann habt ihr wohl die Mechaniker-Gene von ihm geerbt.“ Und die nächste Generation von McKenzie-Mechanikern wuchs bereits heran. Oh Gott, allein der Gedanke...

„Und wieso hat euer Vater dann trotzdem die Ranch behalten? Ich kann mir vorstellen, dass sie auch so noch viel Arbeit macht, die ihr zusätzlich zu eurer Werkstatt schaffen müsst.“

Dieses Mal ließ sich James mit einer Antwort Zeit, während er sich auf den Boden hockte und nach weiteren flachen Steinen suchte. Drei davon drückte er Delilah schließlich in die Hand, die anderen beiden behielt er für sich.

„Versuch den Stein mit nur drei Fingern festzuhalten und so flach wie möglich übers Wasser zu schießen. Etwa so.“ Er zeigte es ihr noch einmal vor und dieses Mal sprang sein Stein sogar viermal über die spiegelnde Oberfläche, ehe er versank. Wieder sah James sie auffordernd an und wieder ging ihr Versuch daneben. Aber anstatt die Geduld zu verlieren, lächelte er nur.

„Die meiste Arbeit erledigen die anderen Rancher, an die wir den größten Teil des Landes verpachtet haben. Das bringt und sowohl Zeit als auch Geld und was den Rest angeht, so kannst du mir glauben, dass D und ich ab und zu ganz froh sind, einmal aus der Werkstatt raus zu kommen. Das ist auch der Grund, wieso Dad die Ranch behalten hat. Die Wiesen zusammen mit dem Wald sind ideal, um sich mal im Pelz austoben zu können und nicht gleich fürchten zu müssen, als Wildbret im Sun River Diner zu landen.“

„Und du meinst, das bringt was? Ich bin mir ziemlich sicher, dass euch einige Provinztussis sicher auch so zum Anbeißen finden.“ Delilah schenkte James ein gutmütiges Lächeln, woraufhin er ihr breit grinsend einen sanften Knuff in die Seite gab und somit ihren nächsten Wurf verpfuschte, der vermutlich ohnehin wieder nichts geworden wäre.

Langsam begann es sie nun doch zu frustrieren. Bei ihm sah es immer so leicht aus!

„Bist du dir sicher, dass nur die hiesigen Provinztussis dieses Verlangen spüren?“ James trat dicht hinter sie, drückte ihr den letzten Stein in die Hand und korrigierte ihren Griff solange, bis er damit zufrieden war.

Er war so verdammt nahe, dass sie die Wärme seines Körpers in ihrem Rücken spüren konnte und sein Duft so herrlich intensiv in ihre Nase stieg, bis ihr tatsächlich beinahe das Wasser im Munde zusammen lief, als wäre das ihre Antwort. Dennoch hielt sie still und ließ sich nichts anmerken, während seine Fingerspitzen ihren nackten Arm entlang strichen und ihn im richtigen Winkel ausrichteten. Jeder von ihm berührte Zentimeter Haut schien dabei zu prickeln.

Delilah war sich ziemlich sicher, dass sie gerade das Verlangen hatte, ein bisschen an James zu knabbern. Gott, wie schaffte er es nur immer, dass ihre Sorgen und Ängste von einer Sekunde auf die andere so weit in den Hintergrund rückten, als wären sie nur mikroskopisch klein und würden nicht wie ein Damoklesschwert ständig über ihrem Kopf bzw. über ihre Bauch schweben?

„Also?“ Er hauchte es gegen ihr Ohr und war dabei so nahe, dass seine Lippen beinahe ihre Haut berührten. Dabei legte sich seine andere Hand auf ihren Bauch.

Beinahe hätte sie den Stein fallen gelassen, doch James umschloss Delilahs Hand genau in diesem Moment und ihr gefror der Atem in der Brust, während ihr Herz wie wild zu rasen begann. Der schier unerträgliche Drang sich an ihn zu schmiegen, seine Arme um ihren Körper zu schlingen und sich von ihm beschützen zu lassen, war so gewaltig, dass sie sich keinen Millimeter mehr rühren konnte in der Angst, diesem Verlangen am Ende zu erliegen. Und doch war da dieses Ding unter seiner Hand, das sie davon abhielt.

„Bitte...“ Es kam ihr nur geflüstert über die Lippen und Delilah konnte keinen Moment später mehr sagen, was diese Bitte eigentlich enthielt. Vielleicht den Wunsch, er würde ihren Gedanken endlich folgen, oder der verzweifelte Versuch, wieder etwas Abstand und sichereren Boden unter ihren Füßen zu gewinnen. Sie wusste es einfach nicht.

James nahm ihr die Entscheidung am Ende ab, in dem er mit ihr zusammen den Arm zurück zog, ausholte und mit Schwung den Stein warf, so dass er zweimal über die Wasseroberfläche hüpfte und dann verschwand.

Delilah empfand keine Freude deswegen. James hatte sie sofort losgelassen und war zurück getreten. Sie fühlte sich plötzlich verdammt einsam und allein, obwohl er immer noch da war.

„Komm. Ich zeig dir meinen Lieblingsplatz.“ Damit drehte er sich um und ging. Er blickte nicht einmal zurück, um zu sehen, ob sie ihm überhaupt folgte. Doch das tat sie, wenn auch erst nach kurzem Zögern.
 

Von einem breiten Deckenbalken hing ein verstaubtes und zerrissenes Spinnennetz und bewegte sich leicht im Wind. Irgendwo in der Nähe brachte sich eine Feldmaus in Sicherheit und im verwitterten Gebälk der windigen Holzhütte waren mehrere Holzwürmer dabei, ihr Zuhause noch weiter auszubauen. Es war angenehm warm und trocken. Selbst nach dem heftigen Niederschlag von gestern und es duftete. Gott, wie sehr es hier duftete!

Langsam drehte Delilah sich zur Seite, um James ansehen zu können, der gedankenverloren an die Decke starrte, nachdem sie bisher nichts zu seinem Lieblingsplatz gesagt hatte. Dabei lagen sie hier schon eine ganze Weile in gemütlichen Kuhlen aus Heu, von fremden Blicken durch noch mehr Heu abgeschirmt. Und genau das war wohl auch der Grund, wieso dieser Mann so gut nach getrockneten Wildblumen roch. Delilah kannte sich zwar nicht wirklich damit aus, aber das hier musste ein ganz besonderer Schnitt gewesen sein.

Fast hätte sie James auf diese Erkenntnis angesprochen, doch sie ließ es am Ende bleiben, schloss ihren Mund wieder und bettete ihren Kopf auf ihren Arm, während sie ihn beobachtete.

Die Sonne ließ seine kurzen Haare rötlich erscheinen, so dass sie mehr einem Kastanienbraun glichen und seit ihrer ersten Begegnung war er um eine Spur brauner geworden. Delilah vermutete, dass in der Zeit dazwischen auch hier der Sommer endgültig Einzug gehalten hatte und die Brüder wieder etwas mehr draußen zu tun hatten. Sicher wusste sie es natürlich nicht.

„Ich frage mich die ganze Zeit, was dich so niederdrückt.“, begann er vollkommen unvermittelt zu sprechen, ohne den Blick von der Decke zu nehmen.

Sofort schlug Delilah die Augen nieder und zog sich auch Emotional wieder vollkommen in sich zurück. Sie konnte es ihm nicht sagen. Noch nicht.

„Ich habe dich noch nie so ... so verletzlich gesehen, selbst dann nicht, als dieser verdammte Wichser dich halb tot geprügelt hat.“

Sie erinnerte sich noch sehr lebhaft an den schweren Stiefel in ihrem Gesicht und zuckte zusammen.

„Delilah, ich muss es wissen. Hat ... hat dir jemand wehgetan? Musstest du deshalb von dort weg, wo du hergekommen bist?“ James hatte sich zu ihr gedreht und seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht. Sie spürte es genau, aber sie konnte ihn nicht ansehen, dafür aber umso deutlicher die Ernsthaftigkeit und Sorge in seinen Worten hören.

Mit zittriger Hand zupfte sie einen Halm aus dem zusammen gedrückten Heu und begann ihn nervös zwischen den Fingern hin und her zu drehen.

Sie schüttelte schwach den Kopf, während die Welt vor ihren Augen schon wieder zu verschwimmen drohte, als wäre in ihr seit beginn dieser Schwangerschaft ein Damm gebrochen, den sie einfach nicht mehr kitten konnte.

Verzweifelt kämpfte sie gegen die Tränen an und spürte doch im nächsten Moment, wie sie ihr heiß über die Wangen liefen, gefolgt von James’ Hand, die sie sanft berührte. Er hatte sich weiter zu ihr gebeugt und zwang sie dadurch regelrecht dazu, ihn anzusehen.

„Bitte, James... I-Ich kann... Ich kann einfach nicht... Ich-“ Es war kaum mehr als ein Flüstern.

„Was, Deli? Was kannst du nicht?“ Sein Blick, seine im Sonnenlicht honigfarbenen Augen durchdrangen sie, drängten sie, verlangten nach einer Antwort.

Sie drohte daran zu zerbrechen und wenn das geschah, dann würde sie wie ein zerbrochenes Gefäß den verborgenen Inhalt – ihr Geheimnis – preisgeben. Aber sie hatte Angst. So gewaltige Angst, dass er sie dann davon jagen würde. Dass sie endgültig auf der Straße landen und sich vielleicht nie wieder von dieser Zurückweisung erholen würde. Sie könnte es nicht ertragen, noch einmal so in Stich gelassen zu werden.

Bei diesem Gedanken stieg plötzlich Panik in ihr auf. Sie durfte das nicht zulassen! Sie durfte keinen der Brüder zu nahe an sich heran lassen! Wenn sie es tat, würde alles am Ende nur noch unerträglicher werden!!

„Nein!“ Mit einem Ruck riss sie den Kopf zurück, um James’ Hand zu entkommen, die viel zu warm und angenehm ihre Haut berührt hatte.

Delilah warf sich im Heu herum, um so schnell wie möglich Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, doch da packten große Hände sie, zogen sie unerbittlich zurück und an eine warme Brust, während sie sich heftig zu wehren begann.

Sie war ein Gestaltwandler. Sie war stärker als eine gewöhnliche Frau aber für einen Werwolf nicht stark genug. Dennoch gab sie nicht auf.

Delilah rammte James in ihrer Verzweiflung ihren Ellenbogen in den Magen – was ihn aufkeuchen ließ – und zielte bereits unter die Gürtellinie, ehe er sie so zu fassen bekam, dass seine Beine sich um ihre wickelten und sie vollkommen bewegungsunfähig wurde.

Zunächst versuchte sie trotzdem noch, sich zu befreien, doch schließlich gab sie ihren Widerstand auf und ließ es geschehen, während noch mehr Tränen über ihre Wangen liefen.

Erst nachdem James sich sicher war, dass sie ihm nicht mit einer ruckartigen Kopfbewegung die Nase oder den Kiefer brach, drückte er sanft sein Kinn gegen ihr Haar und lockerte seinen Griff etwas.

„Schon okay. Du musst es mir nicht sagen und auch nicht jetzt. Aber du musst diesen Scheiß so bald wie möglich rauslassen, bevor er dich noch mehr auffressen kann, okay?“ Er flüsterte es nur, während sein Daumen über ihren Handrücken streichelte. „Bitte lass dich nicht so davon fertig machen. Ich bin nämlich gar nicht gut im Umgang mit weinenden Frauen.“

Delilah lachte leise und ein bisschen hysterisch, aber sein hilfloser Tonfall half ihr tatsächlich etwas. Ebenso wie sein beschützender Griff.

Sie hatte sich wirklich wild gebärdet und ihn nicht geschont, dennoch hatte er ihr kein einziges Mal wehgetan. Auch jetzt tat er es nicht. Ganz im Gegenteil. Seine Berührung war warm und obwohl sie so ungewohnt war, hatte sie das Gefühl, sich nur allzu schnell daran gewöhnen zu können.

Eine Weile rührte sich niemand, nur James’ Daumen strich unablässig über ihren Handrücken, während ihre Tränen ebenso schnell versiegten, wie sie gekommen waren. Delilah hasste es, wegen der Schwangerschaftshormone ein emotionales Wrack zu sein, aber es würde vorbei gehen. Wenn sie Glück hatte sogar schon bald, nachdem ihr Körper sich endgültig umgestellt haben würde.

Als Delilah den nächsten Schritt im Kopf mit sich selbst lang und breit ausdiskutiert hatte, löste sie sich etwas aus James’ Griff - wobei er sie dieses Mal ohne zu zögern los ließ – drehte sich zu ihm herum und kuschelte sich an seine breite Brust, um ihr Gesicht in seinem T-Shirt zu verbergen.

Hier war sein Geruch am intensivsten und jagte ihr zugleich einen warmen Schauer den Rücken hinab, gefolgt von einem vagen Zittern, als er erneut die Arme um sie schlang und sie noch näher an sich heran zog.

Nun streichelte er ihren Rücken hinab, kraulte ihren Nacken und war so unerwartet zärtlich, wie sie es eigentlich nicht von einem Mann gewohnt war. Schon gar nicht von einem, der ansonsten immer die große Klappe aufriss und den Breiten markierte.

Langsam begann Delilah zu glauben, dass das nur einen Teil seiner Persönlichkeit darstellte und es da noch sehr viel mehr zu entdecken gab.

Von dieser Erkenntnis ermutigt, zog sie ihre Hände zwischen ihren Körpern hervor und strich zögerlich mit ihren Fingerspitzen über James’ Seiten. Da er jedoch keine Anstalten machte, sich deswegen irgendwie anders zu benehmen oder ihr auszuweichen, berührte sie ihn schließlich mit der ganzen Hand. Zuerst die Hügel und Täler seiner Seiten entlang und dann nach hinten, über seinen Rücken hinauf zu seinen Schulterblättern, wo sie ihre Finger gegen seine Muskeln drückte, um sich an ihm fest zu halten, während sie sich von sich aus noch etwas in die Länge ausstreckte, um diesem Mann noch näher kommen zu können.

Ihr Ohr lag flach auf seiner Brust und während sie unter seinem Arm hindurch einen Lichtstrahl im Heuhaufen betrachten konnte, hörte sie seinen kräftigen Herzschlag, der verräterisch schnell für einen ruhenden Körper ging. Aber bei weitem nicht so schnell, wie ihr eigenes Herz schlug.

Delilah spürte, wie James seine Nase in ihr Haar drückte und tief die Luft einsog. Einen Moment lang behielt er den Atemzug in seinen Lungen, ehe er ihn langsam wieder entließ und sich dabei merklich entspannte. Seine ganze Haltung begann lockerer zu werden und je mehr sie das tat, umso mehr wurde ihr bewusst, dass diese Situation auch für James nicht so leicht sein konnte, wie sie gedacht hatte. Obwohl er so gut damit umging.

„Ich musste meine Wohnung aufgeben.“, gestand Delilah ihm schließlich ganz leise und ihr Herz schien dabei noch einen Gang höher zu schalten. Doch James blieb auch dabei völlig ruhig.

„Meinen Job ebenfalls, was heißt, dass ich jetzt obdachlos bin.“ Sie seufzte und wunderte sich selbst darüber, wie leicht es ihr fiel, zumindest das zuzugeben. Vielleicht, weil es für sie nichts allzu Neues war, nur die Enttäuschung darüber war dieses Mal anders. Größer und frustrierender.

„Nein, bist du nicht.“ James widersprach ihr so selbstsicher, dass sie nun doch den Blick heben und ihn fragend ansehen musste. Beinahe bereute sie es. Der Ausdruck seiner Augen bohrte sich tief in sie, an einen Ort, wo es nur selten jemand hin schaffte und ein unergründliches Gefühl erfüllte ihren Bauch und den Rest ihres Körpers. Delilah begann sich wieder unbehaglich zu fühlen, dieses Mal war es jedoch irgendwie anders als sonst.

„Bin ich nicht?“, hakte sie nach, bis sie sich ins Gedächtnis rief, dass sie sich mit ihren Lebensumständen wohl besser auskannte als er. Also wiederholte sie es noch einmal mit fester Stimme: „Doch bin ich.“

Nun begann er ob so viel Sturheit zu lächeln und schüttelte dreist den Kopf. „Nein, denn du bist jetzt hier und du kannst solange bleiben, wie du brauchst, bis du wieder auf die Beine, oder sollte ich besser sagen, auf die Pfoten kommst. Das würde ich nicht gerade als obdachlos bezeichnen.“

Meinte er das ernst? „Aber... Ich habe keinen Job! Ich kann euch nicht einmal Unterhalt bezahlen!“

James zuckte wenig beeindruckt davon mit den Schultern. „Wenn das alles ist, worüber du dir Sorgen machst, können wir gerne einen Deal machen, wenn du dich dann besser fühlst.“

Einen Deal? Doch nicht etwa... Nein! Auch wenn sie die Jungs gern hatte und sogar von ihnen schwanger war, sie würde sich nie mehr in ihrem Leben dazu herablassen, körperliche Gefälligkeiten gegen ein Dach über den Kopf und drei warme Mahlzeiten am Tag einzutauschen. Lieber verhungerte sie unter einer Brücke!

„Was auch immer du dir gerade für einen Mist durch den Kopf gehen lässt, lass es bleiben, bevor ich mich noch beleidigt fühlen muss. Ich habe von einem Deal gesprochen und nicht dein Erstgeborenes als Opfer verlangt.“

Delilah erbleichte, ehe sie sich hastig von James losmachte und auf Abstand ging, was ihr einen saftigen Fluch von ihm einbrachte, als er ihren Gesichtsausdruck sah.

„Verdammt, Deli! Was hab ich jetzt schon wieder Falsches gesagt? Du siehst mich an, als würde ich dich gleich killen.“

Sie brachte keinen Ton hervor, sondern starrte ihn einfach weiter an, was ihm noch einen weiteren derben Fluch entlockte, ehe er sich aufsetzte, einmal tief Luft holte und sich übers Gesicht fuhr, als müsse er sich sammeln. Was offenbar wirkte, denn als er dieses Mal den Mund aufmachte, war er wieder ruhig: „Hör zu. Machen wir es doch einfach so – du kannst so lange hier wohnen wie nötig, aber dafür will ich, dass du dich mit mir zusammen in die Küche stellst und kochen lernst. Du hast selbst gesagt, dass es dir bisher keiner hat beibringen wollen und ich finde das als Gegenleistung gar nicht schlecht. Immerhin könnte dann einmal die Chance bestehen, dass ich dann nicht von D aufgezogen werde und glaub mir, so einfach sich das jetzt für dich anhört, du wirst mich noch oft genug verfluchen, wenn du dir nur oft genug in die Finger schneidest. Gewöhn dich besser daran. In den nächsten Wochen wirst du mehr Pflaster als Finger an den Händen haben.“

War das sein ernst?, fragte sie sich schon wieder, während Delilah James’ Gesichtsausdruck genau musterte. Es lag keine Lüge in seinen Augen und auch nicht in der Luft. Sie hätte Unehrlichkeit gewittert. Da war sie sich sicher.

Aber wenn er das wirklich ernst meinte, dann hatte sie ihn gerade automatisch wie alle anderen Männer in eine ganz finstere Schublade gesteckt und dass vollkommen zu unrecht.

Scheiße.

„Entschuldige, wegen meiner Reaktion von vorhin, aber manchmal bin ich einfach nur eine blöde Kuh. Der Deal klingt toll, auch wenn ich nicht wirklich sehen kann, was du davon haben solltest.“

Da war es wieder. Er lächelte.

„Wie schon gesagt, ich hab schon so einige Kühe in meinem Leben bearbeitet, aber du gehörst definitiv nicht dazu.“ Er streckte seine Hand aus und hielt sie ihr hin. „Haben wir einen Deal?“

Delilah erwiderte sein Lächeln langsam und packte seine Hand. „Ja, wir haben einen Deal.“

James sollte Recht behalten, denn sie war tatsächlich irgendwie erleichtert deswegen. Aber auch darüber, dass er sie tatsächlich hatte positiv überraschen können.

11. Kapitel

Delilah hörte als erstes den schweren Abschleppwagen in die Einfahrt fahren und wurde sofort so nervös, dass sie fast den Krug mit der frisch gemachten Limonade verschüttet hätte. Etwas Saft schwappte über Deans Teller, bevor sie die Limo sicher abstellen konnte.

Der Tisch war bereits feinsäuberlich gedeckt, also schnappte sie sich ein Geschirrtuch und legte Deans Teller wieder trocken, damit das Steak, das James gerade in der Pfanne briet, später nicht schwimmen lernen musste. Außerdem wollte sie, dass alles perfekt war. Immerhin war mit Dean auch sein Vater wieder zurückgekommen und da hatte sie schon allein deshalb versagt, dass sie kein Werwolf war. Sie wollte nicht noch auf andere Weise unangenehm vor dem Hausherrn auffallen. Selbst wenn das Haus den Brüdern gehörte.

Darum zupfte sie auch noch einmal prüfend den Kragen ihrer hellblauen Bluse mit den kurzen Ärmeln zurecht. Eines ihrer neueren Kleidungsstücke und somit wenig aufreizend im Vergleich zu ihren restlichen Kleidern. Man sah noch nicht einmal den Ansatz ihrer Brüste und auch die ausgebleichte Jeans saß hoch genug auf ihrer Hüfte, so dass nur dann ein schmaler Streifen Haut zwischen Bluse und Hose zu sehen war, wenn sie die Arme nach oben streckte und dazu hatte sie nun wirklich keinen Anlass. Es sei denn, der alte Werwolf drohte sie zu erschießen. Dann wäre das aber genau genommen nicht ihre Schuld.

Gott, sie war so verdammt nervös!

„Hier, du kannst schon mal den Salat auf den Tisch stellen.“ James drückte ihr die große Porzellanschüssel in die Hand und zwinkerte ihr zu. Klar, er war ein Werwolf. Die konnten Angst ebenso gut riechen wie sie.

Zur Hölle noch mal, das war doch wirklich-

„Hi, Leute. Hier riechts aber gut. Was gibt’s denn?“

Dean kam lässig zur Tür herein geschlendert und ging schnurgerade auf seinen Platz zu, um sich ein Glas Limo einzuschenken und es in einem Zug zu leeren.

„Steak. Medium-rosa.“, kam es als Antwort aus Richtung des Herds, während Delilah die Salatschüssel neben dem Brotkorb abstellte und Dean anlächelte.

„Und Kartoffelsalat. Blutig.“ Ihr Lächeln wurde breiter, als er zuerst den Inhalt der Schüssel musterte und dann seinen Blick fragend auf sie richtete.

Nun hob Delilah doch ihre Hände, aber nicht hoch genug, um ihren Bauch zu entblößen, auch wenn Dean das im Augenblick nicht einmal aufgefallen wäre, da er stattdessen ihre Finger mit den vielen Pflastern daran bewunderte.

„Kartoffelschäler?“, vermutete er.

„Und das Zwiebelmesser.“, bestätigte sie nickend. „Wobei das unter schwierigen Umständen einzuordnen war, da ich beim Schneiden der Zwiebeln gar nichts mehr sehen konnte. Ich finde es immer noch total unfair, dass ich dabei heulen musste und du nicht.“ Damit warf sie einen finsteren Blick zu James hinüber, der nur breit grinsend das nächste Stück Fleisch ins heiße Fett gleiten ließ.

Delilah nahm den Limonadenkrug wieder in die Hand, um Dean nachzuschenken.

„Und? Habt ihr den alten Bentley mitnehmen dürfen? Baujahr 1961 oder? Mein Gott, da war ich noch nicht einmal auf der Welt.“ Kopfschüttelnd stellte sie den Krug wieder auf seinen Platz zurück, dieses Mal ohne etwas daneben zu kleckern.

„Ehm ... ja. Woher weißt du-“

„James hat mir erklärt, was du und dein Dad in Beaver Creek genau gemacht habt. Ein Auto abholen, kann ja schließlich Vieles bedeuten, also habe ich noch einmal nachgefragt und als ich nicht wusste, was so Besonders an diesem Bentley sein sollte, hat er mir lang und breit erklärt, was der Unterschied zwischen Altschrott und einem ziemlich teuren Sammlerstück ist.“

Sichtlich beeindruckt pfiff Dean anerkennend durch seine Zähne, ehe er noch einen Schluck von der Limonade nahm und das Glas dann wegstellte.

„Ich hätte nicht gedacht, dass dich das überhaupt interessiert.“ Er ging zur Spüle hinüber, um sich gründlich die Hände zu waschen.

Die beiden Brüder plötzlich so nahe zusammen zu sehen, war irgendwie verwirrend, obwohl sie zum Teil bei jedem die Tätowierung im Nacken erkennen konnte. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie James heute so lange alleine gesehen hatte und ihn dadurch inzwischen besser kannte, als seinen Bruder, obwohl sie sich bis aufs Haar glichen.

„Ach stimmt ja. Du hältst mich sicher für so eine Großstadt-Barbie, für die du sogar den Mond anheulen würdest. Ich hab’s nicht vergessen.“

Und vielleicht stimmte das auch. Zumindest konnte sich Delilah noch gut an eine Zeit erinnern, da waren Make-up, Markenklamotten und teurer Schmuck das größte für sie gewesen. Bis sie irgendwann erkannt hatte, dass sie das Zeug nur deshalb von ihren Freunden geschenkt bekommen hatte, um neben ihnen eine gute Figur zu machen. Viel Hirn hatte sie dabei nicht beweisen müssen, sondern einfach nur gutes Aussehen. Und je weniger sie mit den Typen zu reden hatte, umso kürzer waren ihre Beziehungen, bis es am Ende nur noch Sex gab und keine Gefühle. Das war am Unkompliziertesten und für beide Parteien genau das angestrebte Ziel.

Im Augenblick konnte sie sich das nur noch schwer vorstellen.

„Wir haben dich nie für eine hirnlose Barbie gehalten, oder J?“

„Wäre es so gewesen, wir hätten dich nicht einmal angesprochen.“ James drehte das Steak in der Pfanne um, ehe er sich schräg zu ihnen stellte, damit er besser am Gespräch teilhaben konnte. Dean trocknete sich gerade die Hände an einem Geschirrtuch ab und lehnte wie James heute Morgen wie selbstverständlich neben der ausgeschalteten Kaffeemaschine. Offenbar war das ein heiß begehrter Anlaufplatz.

„Und wofür habt ihr mich dann gehalten?“, wollte sie viel zu neugierig wissen, wobei sie sich im nächsten Augenblick schon dafür verfluchte. Aber ihre Angst vor der möglichen Antwort war nichts zu dem eiskalten Schauer, der ihr plötzlich den Rücken hinunter jagte, als sie eine grollende Stimme hinter sich hörte.

„Offensichtlich nicht für eine billige Nutte, die nur hinter ihrem Geld her ist. Sonst wärst du wohl kaum hier.“

Delilah fuhr so schnell herum, dass sie beinahe vom Hocker gefallen wäre und sah sich plötzlich Auge in Auge dem Vater der Brüder gegenüber, der sie eiskalt anstarrte. Er war so nahe, dass sie die unzähligen Narben in seinem Gesicht einzeln zählen und doch nicht richtig zuordnen konnte. Vielleicht kamen sie von Kratzern, aber manche sahen eher aus wie längst verheilte Bissspuren und dem Kerl fehlte sogar ein fingernagelgroßes Stück seines rechten Ohres.

Der Mann war ein Berg aus Muskeln und sicherlich an die zwei Meter groß. Er warf sogar einen Schatten auf sie, während ihm aus jeder Pore der Geruch von Abneigung und Aggressivität entströmte.

Delilah war unfähig sich zu rühren. Sie konnte nur immer wieder das ängstliche Wimmern hinunter schlucken, das ihr in der Kehle steckte.

Seine Hände waren riesig und so entspannt sie auch an ihm herab hingen, so schnell konnte sich das bestimmt auch von einer Sekunde auf die andere ändern. Was auch geschah, als sein Blick sie unvermittelt frei gab und sich auf eine Stelle hinter sie richtete. Er ballte die Hände zwar nicht zu Fäusten, aber seine Finger zuckten bedrohlich und plötzlich lag ein tiefer vibrierender Ton in der Luft, der von allen Seiten auf sie einzudringen schien.

Sie wurde auf ihrem Hocker immer kleiner, während das Knurren immer mehr anschwoll.

„Es reicht, Dad!“ Das kam von Dean und sein Tonfall jagte ihr eine weitere Gänsehaut über den Körper. Das klang so ganz und gar nicht mehr nach dem kindsköpfigen Welpen, als den sie ihn kennen gelernt hatte.

„Sie ist nicht Mom, okay?“, lenkte James etwas ruhiger ein, was aber der Aggression im Raum keinen Abbruch tat. Ganz im Gegenteil, vorhin hätte sie den Vater der beiden nur für gereizt gehalten, doch jetzt war er stinksauer.

„Ich will euch draußen sprechen! Sofort!

Konnte eine Stimme vor Kälte das Blut in einem Körper gefrieren lassen? Delilah wollte es fast glauben, so sehr erschauderte sie unter der Stimme des Älteren.

Für einen erschreckenden Moment lang, in dem alles möglich zu sein schien, sogar ein brutales Blutbad, rührte sich niemand. Doch dann gingen die Zwillinge an ihr vorbei und ihr Vater folgte ihnen, nachdem er ihr noch einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte, der sie regelrecht auf dem Hocker fest pinnte.

Erst als sie die Eingangstür ins Schloss fallen hörte, wagte Delilah einen tieferen Atemzug und sofort begann sie am ganzen Leib zu zittern.

Das war nicht einfach nur Abscheu. Das hier war Hass!

Der Gestank von verbranntem Fleisch stieg ihr plötzlich in die Nase und zwang sie aus ihrer Starre.

„Scheiße!“

Delilah sprintete zum Herd hinüber, zog die Pfanne von der glühenden Platte und stellte den Ofen aus, ehe sie den Deckel auf das rauchende Stück Etwas knallte, das sich da in den Pfannenboden eingebrannt zu haben schien. Aber es war schon zu spät, denn der ganze Raum stank bereits nach Rauch, also lief sie zu einem der Fenster hinüber und riss es auf, um frische Luft herein zu lassen und da konnte sie ihn plötzlich hören – den Streit, der ausschließlich von ihr handelte.

„...macht sie eigentlich hier?“

„Sie braucht unsere Hilfe.“

Ein Schnauben, das nicht unmissverständlicher hätte sein können. „Das brauchen sie immer und dann saugen sie dich so lange aus, bis du nicht mehr weißt, wo oben oder unten ist.“

„Delilah ist nicht so. Sie ist keine von diesen falschen Tussis, die Männer was vorspielen, um sie dann auszunehmen!“

Es klang so verdammt überzeugt!

Delilah schluckte schwer und sie war versucht, das Fenster wieder zu schließen, obwohl es immer noch in der ganzen Küche nach Verbranntem stank.

Gehörte sie denn wirklich nicht zu jenen Frauen? Hatte sie nicht schon oft Männer für ihre eigenen Zwecke missbraucht?

Was sollte es dieses Mal anderes machen?

Etwa die Schwangerschaft?

Dachte sie tatsächlich nur an das Wohl dieses Dings in ihrem Bauch oder auch an ihr eigenes?

Vielleicht sogar hauptsächlich nur an ihr eigenes?

Delilah hörte nur noch für einen Moment lang zu, während der Vater der Brüder immer bessere Argumente gegen sie aufbrachte. Wenn er so weiter machte, würden seine Söhne dem bestimmt bald nachgeben. Das wollte sie auf keinen Fall live miterleben, also ging sie vom Fenster weg, packte das gebratene und genießbare Fleisch in Folie und stellte es zum Warmhalten ins Backrohr, so wie James es ihr gezeigt hatte. Danach verließ sie die Küche, um auf ihr Zimmer zu gehen. Doch die plötzlich aufkommende Übelkeit ließ sie regelrecht die Treppe hinauf und direkt ins Bad stürmen, wo sie sich würgend über die Kloschüssel hängte.

Eigentlich war seit Beginn der Schwangerschaft immer nur ein wiederkehrendes Übelkeitsgefühl aufgetreten und auch das nicht unbedingt morgens. Eigentlich war das jetzt sogar das erste Mal, dass sie sich tatsächlich hatte übergeben müssen. Sie konnte sich also eigentlich glücklich schätzen.

Warum war ihr dann schon wieder nach Heulen zu Mute?

Bevor das Wasser wieder in Sturzbächen über ihre Wangen schießen konnte, raffte Delilah sich hoch, betätigte die Klospülung und wusch sich das Gesicht, nachdem sie sich auch gründlich den Mund ausgespült hatte. Danach ging sie in ihr Zimmer zurück, holte die leere Reisetasche unter dem Bett hervor und begann die wenigen Kleiderstapel wieder einzupacken, die sie vor wenigen Stunden erst feinsäuberlich in den leeren Schrank geräumt hatte.

Besser sie war schon fertig, wenn man sie vor die Tür setzte. Denn Delilah hatte es schon gewundert, dass die Brüder es überhaupt wagten, ihrem Vater zu widersprechen. Bestimmt knickten sie dieses Mal ein, wenn dieser nur genug Druck auf sie ausübte. Sie jedenfalls hatte eine Scheißangst vor dem Kerl!

Delilah war gerade dabei, den Reißverschluss ihrer Tasche zu zuziehen, als es leise an ihre Tür klopfte und die Zwillinge herein kamen, nachdem sie nicht geantwortet hatte.

Ein Blick genügte und sie wussten Bescheid, dennoch stellte Dean die überflüssige Frage, was sie eigentlich vorhatte.

„Ich gehe. Noch heute. Irgendwas wird mir schon noch einfallen. Macht euch darüber also keinen Kopf. Ich werde euch nicht länger auf die Nerven gehen.“ Und was ihre Schwangerschaft anging, konnte sie den beiden die Nachricht ihrer Vaterschaft auch immer noch nach der Geburt mitteilen. Das lief ihr also nicht davon. Sie hatte eben nur gehofft, sich einfach im letzten Schwangerschaftstrimester nicht zu sehr anstrengen zu müssen, da das nicht gut für das B-

Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss und die Zwillinge postierten sich davor, als wären sie zwei wütende Türsteher, die dafür sorgen müssten, dass keine uncoolen Leute in den VIP-Bereich kamen.

„Du bleibst hier!“

Dieses Mal gingen sie ihr mit diesem synchronen Getue beinahe auf die Nerven. Sie machten es immerhin nur noch schlimmer.

„Euer Vater will mich nicht hier haben und selbst ihr müsst doch wohl zugeben, dass ich euch nur von eurem normalen Leben abhalte.“

Delilah schulterte entschlossen ihre Tasche und machte einen Schritt auf die Tür zu. „Lasst mich durch.“

„Vergiss es!“ Dean schaltete auf stur.

„Du hast uns um Hilfe gebeten und die werden wir dir bestimmt nicht verweigern. Außerdem haben wir einen Deal und den hast du heute schon mehrmals mit Blut besiegelt, also bleib gefälligst dabei!“ Und James schien wütend zu sein.

„Aber...“

„Kein Aber! Mein Bruder nimmt Versprechen dieser Art verdammt ernst. Ich übrigens auch und was unseren Dad angeht, so haben wir einmal Klartext mit ihm gesprochen. Er ist nicht mehr Rudelführer von Great Falls und kann damit auch nicht mehr jeden herum kommandieren, wie es ihm passt. Es wird ohnehin Zeit, dass er das einmal zu akzeptieren lernt. Außerdem hat er kein Recht, dich so scheiße zu behandeln. Er kennt dich noch nicht einmal!“

Verdammt, Dean!

Delilah wollte ihm ja glauben, aber sie kannte sich selbst nur allzu gut und deshalb lag er so was von falsch!

„Ihr kennt mich genauso wenig.“ Eigentlich hätte es fest und entschlossen klingen sollen, doch es kam nur leise und schwach über ihre Lippen. Sie machten es ihr doch nur noch schwerer. Schließlich wollte Delilah gar nicht von hier weg. Aber sie ertrug auch dieses Hin und Her nicht länger. Entweder sie konnte ohne Wenn und Aber bleiben, oder sie ging.

Diese Ungewissheit und die Ängste hielt sie einfach nicht mehr aus.

„Nein, wir kennen dich nicht.“, bestätigte James, doch bevor sie den Mund aufmachen konnte, gab er ihr zu verstehen, dass er noch nicht fertig war.

„Aber das Wenige, das wir über dich wissen, reicht uns vollkommen, um dir helfen zu wollen. Und ich spreche sicher nicht nur für mich allein, wenn ich sage, dass ich dich gerne besser kennen lernen möchte.“

Delilah ließ ihre Schultern sinken.

„Aber warum? Ich stelle euch noch nicht einmal die Chancen auf eine Nummer mit mir in Aussicht.“

Beinahe hätte sie damit gerechnet, dass die Brüder sich deswegen kurz mit Blicken austauschten, doch sie taten es nicht, sondern sahen sie nur umso ernster an.

„Uns ist schon klar, dass du einen schlechten Eindruck von uns haben musst.“, begann James zu erklären, doch Dean war es, der den Gedanken weiterführte.

„Immerhin haben wir dich offen angegraben und nach dem zu urteilen, was danach im Hotelzimmer gelaufen ist, warst du dem Spaß auch nicht abgeneigt. Aber wir sind erwachsen und können sehr wohl zwischen Fleischeslust und einer ernsten Notsituation unterscheiden.“

„Die Tage in der Stadt waren für uns so eine Art Auszeit. Alles war möglich und wir hatten nichts zu verlieren, in dem wir unser Interesse auf ein paar schöne Stunden offen zeigten.“ James trat von der Tür weg und kam direkt auf sie zu.

Delilah musste stark dem Drang widerstehen, nicht vor ihm zurück zu weichen.

„Aber eigentlich solltest du spätestens nach dem Kampf im Moonleague-Gebäude wissen, dass wir keine notgeilen Böcke sind, die auf Teufel komm raus einen wegstecken müssen.“

Er nahm ihr die Tasche von der Schulter und stellte sie zurück aufs Bett.

Nun kam auch Dean näher und sah mit einem beruhigenden Lächeln auf sie herab.

„Bitte bleib und zwar zu den Bedingungen die dir zusagen. Man kann nämlich durchaus mit uns verhandeln.“

„Genau. Außerdem musst du noch gewaltig viel in der Küche lernen, bis du nicht mehr Gefahr läufst, dir einen Finger abzuschneiden.“

Delilah sah einen nach dem anderen fragend an. „Also kann ich wirklich bleiben? Ohne Wenn und Aber, bis ich etwas Eigenes gefunden habe?“

Beide Brüder nickten synchron und dieses Mal entlockten sie ihr damit ein Lächeln.

„Gut, da das jetzt geklärt ist, können wir jetzt endlich essen? Ich falle sonst noch vom Fleisch.“ Für James schien damit das Thema vom Tisch zu sein.

„Du mit deinem Waschbärbauch doch nicht!“ Dean grinste schelmisch und duckte sich einfach unter James’ Schlag weg. Auch für ihn war offenbar alles damit gesagt.

Delilah folgte den beiden in einem angemessenen Sicherheitsabstand. Es hätte sie nicht gewundert, wenn die beiden balgenden Brüder die Treppe hinunter gefallen wären. Doch zu ihrer unendlichen Erleichterung geschah nichts dergleichen und auch der Vater der beiden war nirgends zu sehen. Vielleicht war der Abend ja doch noch irgendwie zu retten.

12. Kapitel

Dieses Mal war alles anders.

Sie war immer noch total erschöpft und brachte kaum die Augen auf, obwohl die Sonne bereits seit geraumer Weile ihre Wange streichelte.

Doch es fehlten der frische Kaffeeduft und die leisen Geräusche in der Küche. Stattdessen roch ihr Kissen nur nach ihr selbst und das Haus schien wie ausgestorben zu sein.

Von James und dem Oberwerwolf wusste sie, dass sie schon sehr früh aufgebrochen waren, um nach Ersatzteilen für den 61iger Bentley zu fragen. Immerhin gab es die meisten davon nicht mehr in handelsüblichen Läden. Verständlich bei dem Alter. Aber von Dean fehlte – soweit Delilah das von ihrer Position aus beurteilen konnte – jede Spur.

Ein mühsamer Blick auf die Uhr ließ sie ins Kissen stöhnen. Es war beinahe zehn Uhr; für Dean musste das Frühstück schon seit Stunden zurück liegen. Im Bett war er also garantiert nicht mehr.

Umso frustrierender fand sie es, dass sie in letzter Zeit zu einem Langschläfer mutiert war und das, obwohl sie gestern Abend schon früh die Segel gestrichen hatte. Sie war einfach total erschöpft gewesen und das passierte ihr inzwischen auch nicht zum ersten Mal. Ein weiterer Nachteil ihrer Schwangerschaft und der Stress in letzter Zeit trug da sicherlich auch nicht zur Besserung bei. Immerhin fühlte sie sich auch nach neun Stunden Schlaf, immer noch wie erschlagen.

Da Dean ganz eindeutig irgendwo draußen unterwegs sein musste, zog Delilah sich gezwungenermaßen und in einem unglaublichen Schneckentempo gleich eine kurze Hose und ein harmloses Top über, bevor sie die Treppe nach unten in die Küche schlurfte. So sehr nach Kaffee lechzend, dass es schon fast eine Qual war, ihn nicht trinken zu dürfen. Aber Gott sei Dank war die Kaffeekanne ohnehin leer. Was sie gleich zu ihrem nächsten Bedürfnis brachte und den Ort, an dem sie es befriedigen konnte – der Kühlschrank.

An der metallenen Tür waren mit ein paar Magneten, die aussahen wie kleine Sportwagen, Zettel mit Notizen und irgendwelche Rechnungen angeheftet worden, so dass die kleine Notiz, die an sie gerichtet war, beinahe unterging. Ihr war sie auch nur deshalb aufgefallen, weil ihr Name dort stand.
 

Delilah – Frühstück ist im Kühlschrank. Greif einfach zu. J

PS.: Dean – wenn du irgendwas davon wegfrisst, dann reiß ich dir die Eier ab, verstanden Bruderherz?!
 

Mit einem Schmunzeln öffnete Delilah die Tür und staunte nicht schlecht, als sie die große Ansammlung an Plastikbehältern vor sich sah. Wie zum Teufel sollte sie das alles alleine hinunter bringen? Das reichte doch für eine ganze Footballmannschaft!

Wenn man jedoch ihren Appetit vom gestrigen Morgen bedachte, dann war es wohl das Beste einfach nach der ersten Tupperbox mit ... Obstsalat und dem Teller mit den übrigen Blaubeerpfannkuchen von gestern zu greifen. Sie würde sich schon zu helfen wissen. Eins nach dem anderen.
 

Bewaffnet mit zwei Schokocroissants, die sie in eine Serviette gewickelt hatte, machte sich Delilah eine halbe Stunde später auf die Suche nach Dean.

Da sie fast nichts anderes erwarten würde, ging sie zuerst in die Werkstatt, um dort nach ihm zu suchen. Es war also keine große Überraschung, als sie ihn tatsächlich ein weiteres Mal unter der Hebebühne vorfand.

Wieder schraubte er irgendetwas an dem VW herum.

„Lust auf einen kleinen Brunch?“, begrüßte sie ihn und schlängelte sich an diversen Autoteilen vorbei auf ihn zu.

„Hey, guten Morgen.“ Dean legte den Schraubenschlüssel weg und wischte sich die Hände an einem Lappen ab, während sein Blick zielgenau das Gebäck in ihren Händen anvisierte.

„Ehm... Nein, danke. Ich würde meine Eier gerne noch etwas länger behalten.“

Also hatte er die Notiz auch gelesen.

Delilah wunderte sich ein bisschen darüber, dass Dean sich so strickt an die Anweisungen seines Bruders hielt, obwohl ihm fast die Augen heraus fielen, so sehr starrte er das Gebäck an.

Eigentlich hätte sie eher gedacht, die beiden würden sich niemals eine Gelegenheit entgehen lassen, sich gegenseitig zu ärgern. Gerade das brachte sie nur noch mehr zum Lächeln.

„Schon okay. Deinen Eiern zuliebe, werde ich deinem Bruder kein Wort davon verraten. Also greif zu. Die sind beide für dich.“

Kurz zögerte Dean noch, doch dann nahm er ihr vorsichtig eines der Croissants ab.

„Meine Eier werden’s dir danken und ich natürlich auch. Danke.“

Zufrieden damit, dass er mit solch einem Genuss in das französische Gebäck biss, sah sie sich etwas in der Autowerkstatt um. Inzwischen lagen viele Teile feinsäuberlich ausgebreitet am Boden auf einer fleckigen Plane.

Dean musste bereits mit den Hühnern aufgestanden sein, wenn er das alles seit gestern geschafft hatte. Andererseits kannte Delilah sich nicht wirklich damit aus. Deshalb konnte sie nur schwer einschätzen, wie lange man für so etwas brauchte.

„Gut geschlafen?“

Delilah schreckte aus ihren Gedanken hoch und musste sofort wieder grinsen. Dean hatte einen Schokoklecks im Mundwinkel und schien ihn noch nicht bemerkt zu haben.

„Wie ein Stein, danke.“ Was sie wirklich wunderte, denn eigentlich schlief sie nirgendwo besonders gut aber in diesem Bett schon. Vielleicht weil es das erste richtige Bett war, das sie seit Jahren für sich alleine hatte. Zumindest klang die Erklärung für sie plausibel.

„Und was arbeitest du an dem VW?“

Dean war gerade mit dem ersten Croissant fertig, weshalb sie ihm gleich das zweite aufdrängte, bevor er ablehnen konnte.

Der Schokoklecks war immer noch da und schien sie regelrecht anzustarren.

„Der Benzintank ist kaputt und um den austauschen zu können, muss ich erst das ganze Zeug runter montieren, das mir im Weg ist. Und dann natürlich alles wieder retour.“

Von ihrer Geste ermutigt, biss er dieses Mal noch herzhafter hinein und obwohl es nur so eine Kleinigkeit war, fühlte Delilah eine gewisse Befriedigung dabei, Dean glücklich gemacht zu haben.

„Klingt nach viel Arbeit.“ Sie musste sich zwingen, nicht länger seinen Mundwinkel zu begaffen, also suchte sie nach Ablenkung.

„Kommt es bei euch denn auch mal vor, dass Schrauben übrig bleiben, nachdem ihr alles zusammen gebaut habt?“

Dean schüttelte sehr überzeugt den Kopf und schluckte erst einmal hinunter. „Dad würde uns lynchen, wenn er das herausfindet.

Ich meine, klar gibt es da Schrauben, die meiner Meinung nach völlig überflüssig sind, aber wer nicht genau arbeitet, der darf sich nicht wundern, wenn einem die Kunden davon rennen. Außerdem hat Dads Geschäft einen Ruf zu verlieren und mein Bruder und ich sind gerade dabei unseren eigenen aufzubauen.“

Ja, das klang in ihren Ohren nach sehr guten Argumenten.

„Wie gesagt: Klingt nach viel Arbeit.“

Dean war inzwischen auch mit dem zweiten Croissant fertig – er hatte die beiden Teile weggeputzt, als könnte James jeden Moment auftauchen und ihn dabei erwischen – weshalb Delilah es nicht länger aushielt und sich des Schokoklecks annahm, um auch den letzten Beweis zu vernichten.

„Halt still.“

Dean tat es, ohne zu zögern, so dass sie mit ihrem Daumen den Klecks wegwischen und ihn sich dann selbst genüsslich einverleiben konnte.

Was Dean einen fragenden Blick entlockte. „Du hättest mir auch einfach die Serviette geben können.“

Delilah grinste schelmisch und streckte ihm die Zunge raus. „Das hätte aber nicht annähernd so gut geschmeckt.“

Bevor Dean noch etwas darauf erwidern konnte, wandte sie sich dem VW zu, um den Mann an ihrer Seite von ihrem kleinen Ausrutscher abzulenken.

„Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen? Teile halten oder so?“

„Klar.“ Dean stimmte sofort zu. Also hatte er sich wieder von dem Schokoklecksattentat erholt und keine falschen Schlüsse daraus gezogen. Sehr gut. Das hätte sie auch gar nicht gewollt.

Nein, sie hatte ganz andere Pläne und die sahen so aus, dass sie so viel über die Brüder erfahren wollte, wie sie nur konnte.
 

Delilah hätte trotzdem nicht gedacht, dass es so interessant sein könnte, ein Auto zu zerlegen. Aber tatsächlich war es nicht nur interessant, sondern machte auch noch großen Spaß.

Dean hatte so eine lockere Art, ihr die Dinge zu erklären und dabei bewies er eine Engelsgeduld, wenn sie nicht sofort mit den Begriffen zurecht kam und ihm schon ab und an mal das falsche Werkzeug brachte.

Die Zeit verging wie im Flug und gerade weil sie so einträchtig miteinander arbeiteten, kam Delilah nicht ein einziges Mal dazu, an ihre Schwangerschaft und das ganze Drumherum zu denken.

In diesen Stunden war sie einfach nur glücklich und spätestens als Dean das Radio lauter drehte, um zu ‚Who let the dogs out’ zu tanzen, musste sie aus ganzem Herzen lachen, wie sie schon lange nicht mehr gelacht hatte. Es war ein herrliches Gefühl und hielt auch während des anschließenden Essens an, für das es langsam Zeit geworden war.

Sie machten mehr so eine Art Stehbuffet vor dem Kühlschrank, was sie ebenfalls immer wieder zum Lachen brachte, da Dean nebenher kleine Geschichten aus James Kindertagen erzählte.

Das war seinem Bruder gegenüber zwar nicht immer fair, aber Dean erzählte ebenso viele Geschichten über sich selbst, so dass es am Ende ausgeglichen blieb. Zudem waren die beiden auch damals schon unzertrennlich gewesen und somit nicht auseinander zu denken.

Das Einzige was Delilah mit der Zeit leicht zu irritieren begann, war die Tatsache, dass Dean sie kein einziges Mal über ihr Leben ausfragte. Er ging zwar darauf ein, wenn sie etwas von sich aus erwähnte, hakte aber nie so weit nach, dass es ihr unangenehm hätte werden können. Denn es gab überraschend Vieles, über das sie nicht reden wollte.

James war da weniger zurückhaltend gewesen, auch wenn er keinesfalls rücksichtslos vorgegangen war, aber eben auch nicht so feinfühlig wie Dean.

Der überraschte sie hingegen erneut, als er nach dem Essen nicht mit ihr zurück in die Werkstatt ging, um an dem VW weiter zu arbeiten, immerhin hatten sie es inzwischen geschafft, den neuen Benzintank am Unterboden zu montieren, sondern eine ganz andere Richtung einschlug.

„Du hast gesagt, James hat dir seinen Lieblingsplatz gezeigt. Jetzt zeig ich dir meinen.“, war alles was er auf ihren fragenden Blick hin zu sagen hatte, denn damit führte er sie ein ganzes Stück die Wiese hinterm Haus entlang, bis sie an einem verwitterten Holzzaun ankamen und er völlig unvermittelt sein ölverschmierte Shirt über den Kopf zog, um es über den Zaun zu hängen und anschließend auch noch seinen Gürtel zu öffnen.

Für einen Moment war Delilah so perplex, dass sie Dean einfach nur dabei zusehen konnte, wie er sich die Hose auszog und ebenfalls zum Rest seiner Sachen hängte.

Jetzt verstand sie auch, was James mit Deans Vorliebe für Retroshorts gemeint hatte und während sie den knackigen Po in der eng anliegenden, schwarzen Unterhose anstarrte, vergaß sie ganz, was sie Dean eigentlich hatte fragen wollen. Nämlich was der Strip überhaupt sollte.

Erst als er gerade dabei war, sich auch noch dieses letzte Kleidungsstück auszuziehen, kam sie wieder zu sich.

„Wieso lieferst du mir hier eine ziemlich schlecht eingeübte Stripshow ab?“, verlangte sie zu wissen, während sie sich dazu zwingen musste, nur noch die Region über Deans Schultern zu betrachten und ja nicht die Gegend abwärts davon mit ihren Augen zu erkunden.

Obwohl Dean so höflich war und sich wenigstens nicht zu ihr herum drehte, als er vollkommen nackt war. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, was sie mit so viel unerwarteter Nacktheit anfangen sollte. Andererseits waren diese Pogrübchen so unglaublich-

Delilah riss ihren Blick nach oben, als Dean sie über seine Schulter hinweg angrinste.

„Du kannst mir so folgen, wie du bist, aber ich zieh mir lieber den Pelz über.“

Und das tat er dann auch.

Mit einem Satz sprang er über den Holzzaun und verwandelte sich so gekonnt und schnell, dass er auf vier gewaltigen Pfoten wieder aufkam.

Nur durch zwei dicke Querbalken getrennt, stand nun ein riesiger Werwolf vor ihr und starrte sie aus goldbraunen, klugen Augen abwartend an, während Delilah überlegte, für welche Kleiderordnung sie sich entscheiden sollte.

Eigentlich wäre es dumm, ihm in menschlicher Gestalt folgen zu wollen, käme sie ihm doch sicherlich nicht einmal als Wolf hinterher, wenn er es so wollte.

Trotzdem kam ihr auch kurz der Gedanke, ob eine Verwandlung dem kleinen Etwas unter ihrem Herzen nicht schaden könnte. Wäre sie ein herzloses Miststück, sie würde es gerade deshalb tun, doch wenn Delilah den Gerüchten glaubte, war eine Verwandlung vor allem am Anfang der Schwangerschaft völlig harmlos. Soweit sie zumindest gehört hatte. Also was sollte sie tun?

Dean begann unter der Hitze der Sonnenstrahlen zu hecheln, drängte sie allerdings auch jetzt nicht zu einer raschen Entscheidung.

Sie sollte es wenigstens versuchen. Wenn irgendetwas nicht stimmen oder sie sich nicht gut fühlen sollte, würde sie sofort abbrechen, aber bis dorthin wollte sie sich einfach nicht von ihrem Zustand aufhalten lassen. Immerhin war sie das letzte Mal bei dem Kampf im Moonleague-Gebäude in ihrem Pelz gewesen und das war inzwischen schon viel zu lange her, wenn man bedachte, wie schnell die Zeit verging.

Dean war sogar so höflich, sich umzudrehen, als Delilah sich nun doch auszuziehen begann. Sie tat es rasch und ohne viel darüber nachzudenken, während sie ihre Sachen neben den seinen über den Zaun hängte. Danach ging sie auf alle Viere, um sich langsam und vorsichtig zu verwandeln, immer darauf achtend, wie sie sich dabei fühlte.

Natürlich tat die Metamorphose weh, aber das war ein vertrauter Schmerz, den sie alle hinnahmen, wenn sie sich verwandeln wollten. Also war alles in Ordnung.

Delilah schlüpfte einfach unter dem Zaun hindurch, als sie fertig war, da sie sich nicht sicher war, ob sie so einen weiten Sprung überhaupt schaffen konnte. Immerhin war Dean in seiner derzeitigen Form dreimal so groß wie sie. Da war das etwas völlig anderes.

Er gab ein empörtes Knurren von sich, als sie ihm sanft in den Schwanz kniff und dann unter ihm hindurch in Richtung Wald preschte. Ihren Ängsten zum Trotz fühlte es sich toll an, endlich wieder einmal diese Art von Freiheit zu genießen und sie war schon gespannt darauf, was Dean ihr zeigen wollte. Doch erst einmal holte er locker mit wenigen Sätzen auf und sie lieferten sich ein unfaires Wettrennen durch den Wald. Unfair deshalb, da sie vier ganze Sprünge machte, während er nur einen für die gleiche Distanz brauchte, aber er drosselte sich zumindest so weit, dass sie ihn nicht verlieren konnte.

Es dauerte nicht lange und Delilah war völlig aus der Puste. Nicht nur, dass sie schon lange nicht mehr ihre täglichen Runden gelaufen war, obwohl sie es liebte zu laufen, sie war auch körperlich einfach nicht mehr so fit, wie sonst und das war nur allzu verständlich, bedachte man die Umstände. Dennoch war es nervend, dass sie sich schließlich lautstark hechelnd hinlegen musste, während Dean einfach nur da stand und sie mit funkelnden Augen angrinste.

Eigentlich konnten Wölfe ja nicht grinsen und Werwölfe schon gar nicht, aber er schaffte es dennoch, diesen Eindruck zu vermitteln.

Für seine dreiste Art konnte Delilah ihn nur anknurren, was er mit einem seltsamen laut quittierte, das einem wölfischen Kichern gleich kam. Dennoch setzte er sich zu ihr und wartete ab, bis sie wieder zu Atem gekommen war. Danach ging er es wesentlich langsamer an und obwohl sie nicht miteinander auf herkömmliche Weise sprechen konnten, begann er ihr sein Revier zu zeigen.

Dean führte sie einige Pfade entlang, die er und sein Bruder oft benutzten, wenn sie durch den Wald streiften; ab und zu einfach nur um nach dem Rechten zu sehen, andere Male wieder um nach den Wildwechselpfaden zu sehen. Und so wie Delilah es verstand, jagten die beiden Brüder auch immer wieder einmal eines der größeren Tiere, die hier durch die Wälder zogen. Ob sie ihre Beute dann auch auffraßen, wusste sie nicht. Aber sie nahm es stark an, da sie nicht glaubte, dass die Brüder im Umgang mit ihrem Revier so verschwenderisch sein konnten.

Irgendwie wurde ihr wieder leicht schlecht bei dem Gedanken, dass sie in dieser Form auch rohes Fleisch problemlos fressen könnte und als Kleinkind hatte sie das auch sicher das ein oder andere Mal getan, aber jetzt könnte sie das nicht mehr. Zumindest nicht, wenn nicht ihr Leben davon abhinge.

Zum Glück lenkte Dean sie erfolgreich davon ab, denn es fiel ihr nicht zum ersten Mal auf, dass er an Büschen und Bäumen schnupperte und dann fast mit einem Seufzen daran vorbei zog, als müsse er es sich verkneifen, die Stellen neu zu markieren.

Delilah war ein Wolf, sie konnte also die alten Duftmarken durchaus wittern und fand es ziemlich witzig, dass sie ihn mit ihrer Anwesenheit davon abhielt. Sie hätte zu gerne einmal gesehen, wie ein so riesiger Werwolf einen kleinen schutzlosen Busch ertränkte.

Bei diesem Gedanken musste sie nun tatsächlich auf wölfische Art lachen und zog somit Deans Aufmerksamkeit auf sich. Sofort blieb sie unter seinem gespielt bösartigen Blick stehen, zog den Schwanz etwas ein und drückte sich leise winselnd mit dem Bauch gegen den Boden, ehe sie ihn im nächsten Moment hinterrücks ansprang.

Gott, war der Kerl riesig!

Delilah schaffte es kaum auf seinen Rücken und hätte Dean sich nicht sofort fallen gelassen, sie wäre einfach auf der anderen Seite wieder hinunter gerutscht. Da sie sich ja schwer an ihm festbeißen konnte.

Obwohl der Größenunterschied so enorm wie der zwischen einem kleinen Welpen und einem ausgewachsenen Wolf war, balgten sie sich bis nur so das Laub um sie herum hoch flog.

Sie schenkten sich nichts und doch blieb es ein harmloses Spiel, in dem sie sich auch immer wieder abwechselnd gegenseitig jagten und wieder einfingen.

Noch nie hatte Delilah sich auf diese Weise mit einem erwachsenen Mann unterhalten. Wenn man das überhaupt Unterhaltung nennen konnte. Es war mehr ein Spiel und es endete im kühlenden Nass eines kleinen Weihers.

In einem Moment hatte sie noch festen Boden unter ihren Pfoten, im nächsten landete sie bis über beide Ohren im Wasser und was zuvor die Hitze und die Atemnot nicht geschafft hatten, gelang diesem überraschenden Ortswechsel.

Delilah ließ sofort von Dean ab, schleppte sich ans Ufer zurück und auch ohne sich selbst sehen zu können, wusste sie, dass sie mit dem nassen Fell wie weiße Zuckerwatte auf vier Streichhölzern aussehen musste, da ihr Haarkleid alles an Volumen eingebüßt hatte.

Ein menschliches Lachen bestätigte diesen Eindruck auch noch.

Ein ziemlich männliches Lachen, wenn sie schon dabei war.

Dean, dieser verdammte-!

Er stand da nackt in einem Gewässer, bei dem das Licht der Sonne bis auf den Grund reichte und wurde immer noch von einem tiefen Lachen durchgeschüttelt.

Sie wusste ja, dass sie wie ein nasser Köter aussah, aber das war definitiv zu viel Gelächter für ihren Geschmack. Mit einem gewaltigen Satz sprang Delilah zurück ins Wasser und die daraus resultierende Flutwelle brachte ihn wenigstens zum Verstummen.

„Das war nicht witzig!“, schimpfte sie nur leicht verärgert, während sie sich die Hände vor die Brüste hielt, da Dean nicht allzu viele Einblicke erhalten sollte.

„Doch, ich fand schon. Du hättest mal deinen Gesichtsausdruck sehen sollen, als du wie ein Floh aus dem Wasser gesprungen bist.“

Für diese Aussage klatschte sie ihm einen Schwall Wasser ins Gesicht. „Bin ich nicht!“

„Bist du doch!“ Er konterte sofort und sie kam noch nicht einmal dazu, sich das Wasser aus den Augen zu wischen, da traf sie schon der nächste Schwall, weshalb sie sich auf den Rücken warf und ihm mit ihren Füßen so viel Wasser entgegen schleuderte, wie sie konnte, bis er eines ihrer Beine schnappte und sie ein Stück an sich heran zog, so dass Delilah schon wieder unter ging. Doch wenn er glaubte, sie würde so leicht aufgeben, dann hatte sich dieser Werwolf geschnitten.

Er konnte sie im Wasser nicht gut genug festhalten, wenn er ihr nicht weh tun wollte, also entwand sie sich seinem Griff, spritzte ihn so sehr mit Wasser voll, dass er für einen Moment in die Defensive gehen musste und ehe er es sich versah, hatte sie von hinten ihre Arme um seinen Hals geschlungen und ihn unter die Wasseroberfläche gedrückt, nachdem ihre Zehen dafür gesorgt hatten, dass seine Kniekehlen mit genügend Druck einknickten.

Keinen Moment später spürte sie Arme, die ihren Körper aus dem Wasser hoben und sie mit etwas Schwung wieder los ließen.

Der Kerl hatte sie tatsächlich geworfen!

„Na warte!“

Die Balgerei ging von vorne los, weshalb Delilah keinen Gedanken daran verschwendete, dass keiner von ihnen beiden mehr den Wolfspelz trug. Das Gefühl war immer noch das Gleiche und das war für sie im Moment das Einzige was zählte.

13. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

14. Kapitel

Delilah träumte. Unruhig warf sie sich im Bett herum, versuchte sich instinktiv von der aggressiv aufgeladenen Stimmung in der Luft zu verstecken, doch ein unbestimmtes Gefühlsgewitter umkreiste sie lauernd, als warte es nur noch darauf, Blitze auf sie herab zischen zu lassen.

Jemand stritt sich vor ihrem Fenster. Zunächst leise und gedämpft, doch die Stimmen wurden lauter, wütender, bis sie abrupt mit einem Stöhnen abbrachen.

Schweiß brach ihr in der darauffolgenden Stille überall am ganzen Körper aus und ließ sie die Bettdecke wegstrampeln.

Als plötzlich ein bestialisches Knurren durch das dicke Glas des Fensters zu ihr hindurch drang, bekam sie es mit der Angst zu tun. Eine Gänsehaut kroch über ihren Körper, während das aggressive Knurren immer weiter anschwoll und plötzlich schien sich das zusammengebraute Gewitter mit geballter Macht zu entladen. Kampfgeräusche wurden laut, schmerzvolles Jaulen wechselte sich mit wütendem Knurren ab und der Klang, als würden immer wieder schwere Körper zu Boden geworfen werden, mischte sich darunter.

Ihr Atem ging flach und hektisch, während ihr Herz wie wild gegen ihren Brustkorb donnerte.

Ein lauter Knall zerriss die Luft. Delilah fuhr in ihrem Bett hoch. Das Blut raste an ihren Ohren vorbei und erst als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, konnte sie die Stille um sich herum wahrnehmen.

Immer noch saß ihr eine unbestimmte Angst im Nacken, doch langsam erfasste sie erneut die Müdigkeit und sie ließ sich wieder erschöpft zurück in das Kissen sinken, während sie die Decke auf halber Höhe ihren Körper hoch zog.

Der Traum war bereits vergessen.
 

Oh Gott, sie hatte mit Dean geschlafen!

Delilah hatte noch nicht einmal die Augen aufgeschlagen, da kam diese Erkenntnis beinahe wie eine Eingebung über sie und das war absolut kein gutes Gefühl. Ihr Unterbewusstsein musste sich schon gestern klar darüber gewesen sein, sonst hätte sie Dean nicht schon vor der Dusche aus dem Zimmer geschickt mit der Ausrede, dass sie ziemlich erschöpft sei und sich gleich hinlegen wollte. Auch wenn es die Wahrheit gewesen und sie tatsächlich sofort auf der Stelle eingeschlafen war, kaum dass sie sich ihren Pyjama übergezogen hatte.

Aber wovor sie gestern so gemütlich hatte flüchten können, davon wurde sie jetzt mit voller Wucht wieder eingeholt. Wie blöd konnte man eigentlich sein? Sie war gerade einmal drei Tage hier und schlief schon mit einem der Brüder. Das war selbst für sie ein neuer Rekord in Sachen Dummheit. Vor allem, da sie sich nicht zu intensiv mit ihnen hatte einlassen wollen.

Delilah war zwar keinesfalls so dumm, zu glauben, dass Sex irgendwie bindend wäre, sonst hätte sie auch nicht erst mit all den anderen Kerlen in ihrem Leben schlafen dürfen, aber sie konnte selbst nicht leugnen, dass wiederholte Intimität mit der Zeit immer komplizierter wurde und gerade das konnte sie sich im Augenblick ganz und gar nicht leisten.

"Scheiße!" Was war nur in sie gefahren?

Sie hätte Dean noch nicht einmal küssen sollen! Bereits das war ein Fehler gewesen, allerdings einer bei dem es ihr nur sehr schwer fiel, ihn zu bereuen. Denn sie liebte die Art, wie er küsste. Bei Deans Küssen hatte man das Gefühl, er könne ewig so weiter machen. Als hätte er alle Zeit der Welt und wäre sich doch bewusst, wie einmalig dieser Moment war, den es daher umso mehr auszukosten galt. Und das war noch nicht einmal alles. In jeder seiner Bewegungen konnte man trotzdem die Kraft erahnen, die dicht unter der Oberfläche lauerte und nur darauf wartete, entfesselt zu werden.

Entfesselt. Ja, das war das richtige Wort. Denn die Art, wie er sie gegen die Wand gevögelt hatte, konnte man nicht mit gemütlichem Blümchensex vergleichen. Viel mehr waren sie übereinander hergefallen wie wilde Tiere. Dean war dabei sanft geblieben und hatte ihr auch nicht wehgetan, aber selbst bei ihm schien eine Sicherung durchgebrannt zu sein. Immerhin hatte er ihr zuvor noch unmissverständlich mitgeteilt, dass er sie nicht anrühren durfte. Er hatte am Ende sehr viel mehr als das getan, wie Delilah sich immer noch allzu deutlich bewusst war.

Allein der Gedanke daran brachte ihr Blut bereits wieder in Wallung und überzeugte sie mehr denn je davon, dass Deans Küsse mehr mit ihr angestellt hatten, als ihr einfach nur zu gefallen. Er hatte etwas in ihr geweckt, das seit Wochen im Tiefschlaf gelegen hatte, vielleicht sogar schon sehr viel länger.

Gerade deshalb durfte das nicht noch einmal geschehen. Aber wie sollte sie ihm das klar machen, jetzt nachdem sie ihn schon so weit an sich heran gelassen hatte? Und dann war da ja auch immer noch sein Bruder…

"Verdammt." Delilah rollte sich zu einem Ball zusammen und starrte aus dem Fenster. Es konnte noch nicht allzu lange hell sein. Die Sonne stand noch viel zu tief.

James hatte sie bisher zwar nicht so offen angemacht, wie damals in der Großstadt, aber sie hätte schon sehr blind sein müssen, um nicht zu bemerken, dass er zumindest offen für Gelegenheiten gewesen wäre, wenn sie diese hätte ergreifen wollen. Er war ihr ohne Scheu nahe gekommen und für einen kurzen Moment lang, waren sie sich sogar verdammt nahe gekommen, als sie an seiner starken Schulter Schutz gesucht hatte.

Jetzt im Nachhinein betrachtet, kam es ihr so vor, als hätte sie ihn für ihre Zwecke ausgenutzt. Das konnte selbst die Tatsache nicht mildern, dass sie sich normalerweise nie zu dieser Art von Nähe hinreißen ließ. Ein bisschen Kuscheln nach dem Sex war okay, aber aus einem anderen Grund als ihrer Lust hatte sie sich noch nie so an einen Mann geschmiegt. Zumindest nicht, seit ihr wirklicher Vater gestorben war und sie somit jegliche Rückzugsmöglichkeit verloren hatte. Seit dem war sie ihre eigene Festung gewesen und das sollte auch weiterhin so bleiben. Ganz egal, ob sie bei James für einen kurzen Moment einen Aussetzer gehabt hatte. Auch das würde nie wieder passieren.

Obwohl es natürlich ein Fehler gewesen war, machte sich Delilah bewusst, dass sie hier gerade dabei war, aus einem kleinen Ausrutscher ein riesiges Drama zu kreieren. Das einzige wirkliche Drama, was sie und die Brüder anging, war ihre Schwangerschaft. Dagegen war alles andere einfach nur nichtig und das sollte sie auf keinen Fall vergessen.

Dean hatte sie gestern allerdings sehr gekonnt dazu gebracht, es zu vergessen…

"Ach, Mist."

Langsam setzte sie sich im Bett auf und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Es war noch nicht einmal halb acht.

Vielleicht gewann sie endlich ihren alten Schlafrhythmus zurück. Sie konnte es nur hoffen. Genauso wie sie hoffte, dass Dean die Sache nicht so ernst nahm und es einfach nur als das ansah, was es nun einmal gewesen war – guter Sex. Nicht mehr und nicht weniger.
 

Es fiel Delilah erst auf, als sie sich anzuziehen begann und selbst da musste sie einen Moment lang überlegen, was nicht stimmte.

Eine seltsame Stimmung lag in der Luft. Es war nichts Greifbares und doch sträubten sich ihr mehrmals die Nackenhaare. Es war vollkommen still. Beinahe totenstill. Auf jeden Fall eine andere Art von Stille, als die gestrige und je länger diese Stille anhielt, umso unwohler fühlte sie sich.

Genau aus diesem Grund schlich Delilah eher die Treppe hinunter, als dass sie ging und zuckte schon bei dem kleinsten Knarzen der alten Dielenbretter zusammen. Als wäre sie ein Verbrecher auf der Flucht und obwohl sie ihr Verhalten selbst als lächerlich empfand, konnte sie doch nichts dagegen tun.

Ihr Herz sackte ihr endgültig in die Kniekehlen, als sie den Vater der Zwillinge am Küchentisch sitzend mit einer Zeitung in der Hand vorfand. Sofort blieb sie wie angewurzelt stehen und jeder Muskel in ihrem Leib begann sich zu verspannen.

Delilah war sich sicher, keinen Laut von sich gegeben zu haben, dennoch blickte der Werwolf genau in diesem Moment von seiner Zeitung hoch und schenkte ihr einen langen unergründlichen Blick, der definitiv in die Kategorie ungemütlich eingeordnet werden sollte. Er wirkte noch nicht einmal überrascht.

"Guten Morgen." Seine Stimme war rau und düster, fast wie ein bedrohliches Knurren.

Delilah zuckte zusammen und für einen Moment fühlte sie sich an den Alptraum von letzter Nacht erinnert. Plötzlich war ihr Mund wie ausgetrocknet. Nur mühsam brachte sie eine halbwegs anständige Erwiderung zu Stande und selbst dabei stotterte sie.

"G-Guten Morgen." Am liebsten wollte sie sich sofort ins nächste Erdloch stürzen. Aber selbst dazu war sie nicht fähig. Sie stand da wie festgewachsen.

Eine zerrissene Augenbraue hob sich langsam. Hellte verblüffender Weise aber auch den finsteren Gesichtsausdruck etwas auf. "Kaffee?"

Delilah überlegte verzweifelt, während sie sich so unauffällig wie möglich ihre klatschnassen Handflächen an ihrer Jeans abwischte. Scheiße. Sie konnte doch wohl schlecht ablehnen, wenn er ihn ihr schon anbot, oder? Und das bisschen Koffein würde ohnehin ziemlich schnell wieder von ihrem Körper abgebaut werden. Einmal konnte doch nicht schaden.

"Ehm…" Verdammt noch mal, krieg endlich dein Maul auf! "Ja, danke."

Sie wollte schon zur Kaffeemaschine losstarten, als der riesige Werwolf sie erneut dazu brachte, wie angewurzelt stehen zu bleiben, da er ihr zuvor kam und selbst aufstand. In aller Ruhe holte er einen Becher aus dem Schrank, goss etwas von dem duftenden Kaffee hinein und drehte sich mit der Tasse in der Hand zu ihr herum.

"Milch und Zucker?"

Delilah hoffte, dass ihr Gesichtsausdruck nicht einmal halb so entgeistert aussah, wie sie sich fühlte. Sie konnte zunächst nur nicken, doch als sich wieder diese verwegene Augenbraue hob, als wäre diese gleichgesetzt mit einem Fragezeichen, fügte sie noch rasch hinzu: "Drei Stück Zucker, bitte."

Kommentarlos holte der Werwolf eine Zuckerdose aus dem Schrank, gab die drei Stück Zucker in den Kaffeebecher, stellte auch noch einen kleinen Löffel hinein und brachte dann alles zusammen mit der Milch an den Küchentisch. Direkt neben seinem eigenen angestammten Platz am Kopfende des Tischs.

Heilige Scheiße!

Das war eine unmissverständliche Aufforderung, sich direkt neben ihn hinzusetzen. Und selbst wenn nicht, wäre es wohl verdammt unhöflich gewesen, sich ans andere Ende des Tisches oder gleich in einen ganz anderen Raum zu setzen, nur um ihm aus dem Weg zu gehen.

Jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt, als sie sich dazu zwang, zum Tisch hinüber zu gehen und sich neben den Furcht einflößenden Vater der Zwillinge zu setzen.

"Danke.", presste sie rasch hervor, ehe sie sich damit ablenkte, etwas Milch in den Kaffee zu tun, bis er die gewünschte Helligkeit aufwies. Nervös sprang Delilah keine Sekunde später wieder auf, um die Milch zurück in den Kühlschrank zu stellen.

Den alten Werwolf störte das wenig. Er hatte sich bereits wieder hinter seine Zeitung begeben und dafür war sie ihm überaus dankbar.

Natürlich fühlte sie sich immer noch nicht wohl in seiner Nähe, aber solange er mit der Zeitung beschäftigt war, würde er seine Aufmerksamkeit wohl nicht wieder auf sie richten. Delilah hatte schließlich nicht vergessen, wie er sie bisher behandelt hatte und der Streit hing auch noch viel zu präsent in ihren Gedanken herum, um sich entspannen zu können. Es wunderte sie sogar ziemlich, dass er ihr heute Morgen so 'freundlich' gesonnen war. Sie hatte keine Ahnung, womit sie das verdient hätte. Erst recht nicht, wenn man die Ereignisse des gestrigen Tages bedachte.

Sofort versteifte sich Delilahs Körper noch mehr, so dass sie es kaum schaffte, den Kaffee leise umzurühren, so sehr zitterten ihre Finger, während sie überlegte, ob der Werwolf von dem Quickie mit einem seiner Söhne wusste.

Gott bewahre, sie hoffte nicht!

Wo waren die Brüder überhaupt? James könnte vielleicht noch schlafen, aber Dean musste auf jeden Fall schon auf den Beinen sein. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, schon jetzt mit ihm zu reden, bevor er zu viel in die Sache hinein interpretierte, obwohl sich Delilah fast sicher war, dass er keiner der Typen war, die deshalb gleich an eine feste Beziehung dachten. Da müsste sie sich schon sehr in ihm täuschen.

Eine Weile blieb sie noch sitzen, ohne auch nur einen Schluck von dem Kaffee getrunken zu haben. Sie hing ihren Gedanken nach und merkte dabei selbst nicht, wie sie sich wenigstens ein bisschen entspannte. Doch jedes Mal wenn der alte Werwolf die Zeitung umblätterte, war ihre Anspannung wieder da und dieses Hin und Her begann sie ziemlich schnell wieder zu ermüden. Außerdem hatte sie Hunger, doch solange der Kerl in der Küche saß, wollte sie sich nicht einfach vom Inhalt des Kühlschranks bedienen. Also stand sie schließlich auf, bedankte sich noch einmal für den Kaffee und trat zusammen mit der Tasse den Rückzug an. Sie würde Dean suchen, um klarzustellen, dass das gestern eine einmalige Sache gewesen war und nicht noch einmal vorkommen würde.

Schon als sie das Haus verließ, konnte sie laute Musik aus der Werkstatt wummern hören, die ihr den Weg wies. Dean hatte sich offenbar bereits an die Arbeit gemacht und das bestätigte ihr auch der VW, der nun in der Sonne glänzend auf einem der freien Parkplätze stand.

Sie verspürte beinahe den Drang, sich die Ohren zuzuhalten, als ihr Eminem dröhnend laut entgegen brüllte, kaum dass sie die Tür zur Werkstatt geöffnet hatte. Selbst der Kaffee in ihrer Tasse schien zu vibrieren.

Auf den ersten Blick konnte sie keinen der Brüder entdecken, bis sie beinahe über ein Paar Beine stolperte, das unter einem uralten Bentley hervor lugte. Das Auto war tatsächlich so beeindruckend, wie sie anhand von James' Erzählungen angenommen hatte, auch wenn sie niemals so viel Geld für so ein Teil ausgeben würde.

Delilah war sich nicht sicher, zu wem die Beine gehörten, da der Geruch der Werkstatt den des Mannes beinahe überdeckte. Doch als sie sich neben dem Auto in die Hocke begab, stieg ihr der vage Duft von Moos und Walderde in die Nase, untermalt von einem sehr dominanten Geruch nach männlichem Wolf. Er war sogar stärker, als sie ihn in Erinnerung hatte.

Beinahe hätte sie den Kaffee fallen gelassen, als Dean regelrecht unter dem Auto hervor schoss und sie vor Schreck aus dem Gleichgewicht brachte. Gerade noch so konnte sie sich mit der flachen Hand an der Tür des Bentleys abfangen, um nicht auf dem Po zu landen.

Delilah wollte schon zu einer grimmigen Begrüßung ansetzen, als ihr regelrecht die Spucke wegblieb, während sie Deans Gesicht anstarrte. Sie war sich ziemlich sicher, dass der breite Riss in seiner immer noch leicht geschwollenen Unterlippe gestern noch nicht dagewesen war. Genauso wie der leuchtendrote Kratzer an seinem Hals.

"Was ist passiert?", wollte sie immer noch leicht atemlos wissen, woraufhin Dean fragend die Stirn runzelte, sich etwas aufrichtete, nach einer kleinen fleckigen Fernbedienung griff und den Lärmpegel auf erträglichem Maße herunter drehte.

"Hi. Was hast du gerade gesagt?" Er setzte sich auf den kleinen Wagen, mit dem er vorhin noch unter dem Bentley gelegen hatte und tat so, als wäre nichts gewesen. Dabei sahen die Wunden selbst für werwölfische Verhältnisse noch frisch aus.

"Ich wollte wissen, ob du dir morgens gerne einen kleinen Fight gönnst." Bei dem Gedanken bekam sie erneut eine Gänsehaut und sie wurde schon wieder an ihren Alptraum erinnert. Dean hingegen sah sie zunächst auch weiterhin fragend an, bis sie mit dem Zeigefinger an ihre Unterlippe tippte und er endlich begriff.

Für einen Moment schien er sich nicht entscheiden zu können, wie er reagieren sollte, doch schließlich zuckte er einfach mit den Schultern.

"Eigentlich nicht." Mehr gab es da offenbar seiner Meinung nach nicht zu sagen. Stattdessen glitt sein Blick zu dem immer noch dampfenden Kaffee in ihrer Hand und Delilah hielt ihm die Tasse hin. Sie würde es ja doch nicht über sich bringen, einen Schluck davon zu trinken.

"Ist aber mit drei Stück Zucker." Sie mochte das Getränk eben gerne süß, auch wenn diese Zeiten erstmal vorbei waren.

"Kein Problem. Ich trinke ihn fast in jeder Variante." Dean nahm ihr die Tasse aus der Hand und lächelte sie auf eine Weise an, die ihr sofort wieder dieses bestimmte Kribbeln im Bauch verursachte. Selbst die verletzte Unterlippe konnte sie nicht von dem Gedanken abhalten, ihn noch einmal küssen zu wollen.

Vergiss es!

"Danke." Er hatte gerade einmal einen Schluck genommen und wollte ihr den Becher wieder zurück geben, ehe Delilah abwehrend den Kopf schüttelte und sich aus der Hocke erhob.

"Nein, trink ruhig aus." Das war besser, als ihn wegzuschütten. "Also, was ist passiert?", bohrte sie noch einmal nach, da sie sich nicht so leicht abspeisen lassen wollte. Immerhin kamen Deans Verletzungen ja nicht einfach von irgendwo her.

Dean kam ebenfalls auf die Beine, nahm noch einmal einen großen genüsslichen Schluck von dem Kaffee, während er sie dabei beobachtete und dann ihrem Blick auswich.

"Ein Unfall."

Ja, klar und seit Neuestem verwandelte sie sich in ein pinkfarbenes Schaf. Glaubte er denn wirklich, sie würde ihm das so einfach abkaufen?

Offenbar nicht, denn er wich ihr noch weiter aus, in dem er an ihr vorbei zu einer Werkbank ging, den Kaffee dort abstellte und an irgendeinem Schuhkarton großen Teil herum zu schrauben begann. Gut, dann würde sie eben nicht weiter nachfragen. So dringend wollte sie es nun auch wieder nicht wissen. Sie hatte schließlich noch andere Punkte im Kopf, die angesprochen werden sollten.

"Also, Dean. Wegen gestern…" Sie sah, wie sich sein Körper auf subtile Weise anspannte, obwohl sich an seinen Bewegungen nichts änderte. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein.

"Ja?" Auch seine Stimme verriet nichts, sondern war ruhig und gelassen wie zuvor.

Delilah nahm einen Schraubenschlüssel in die Hand und drehte ihn so, dass sie die Nummer darauf lesen konnte. Dean hatte ihr gestern erklärt, wo sie diese fand, um die Größe bestimmen zu können. Er selbst hatte das meistens auch mit bloßem Auge erkannt, aber er arbeitete auch schon sehr viel länger mit diesem Werkzeug.

"Ich wollte nur sagen, dass ich nicht genau weiß, was da in mich gefahren ist, obwohl es mir gefallen hat. Ich denke nur nicht, dass wir das in nächster Zeit wiederholen sollten. Ich meine, ich… Das war einfach nicht … geplant und es…" Sie verstummte. Irgendwie kam sie sich gerade so vor, als würde sie mit Dean schlussmachen und das war nun wirklich nicht der Fall.

Delilah atmete einmal tief durch und umschloss das harte Metall in ihren Händen fester. "Ich meine, wir hatten zwar Sex. Schon wieder. Aber deshalb sollten wir keine große Sache daraus machen." So, damit war es raus. Jetzt war es an Dean seine Meinung dazu zu äußern, allerdings machte er mehr den Eindruck, als hätte er ihr gar nicht zugehört. Stattdessen schraubte er noch eine Weile an dem ihr unbekannten Teil herum und gerade, als sie ihn fragen wollte, ob er verstanden hatte, legte er den Schraubenzieher weg, drehte sich zu ihr um und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Werkbank. Sein Gesichtsausdruck war zwar nichtssagend, aber Delilah hatte dennoch ein ungutes Gefühl im Bauch, obwohl sie nicht sagen konnte, wieso.

"Also wollen wir doch zuerst einmal klarstellen, dass ich es war, der in dich gefahren ist und daher ist es mir durchaus nicht entgangen, dass es dir gefallen hat. Aber trotzdem danke, dass du mir auch noch die Bestätigung gegeben hast. Das erleichtert mich ungemein."

Wäre Delilah eine andere, sie wäre bei Deans Worten rot angelaufen, doch stattdessen fragte sie sich, ob sein letzter Satz sarkastisch gemeint gewesen war. Es hatte sich nicht so angehört. Zudem lag ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Sie war sich aber trotzdem nicht sicher.

"Zweitens haben wir auch beim ersten Mal keine große Sache daraus gemacht und ich sehe keinen Grund, das jetzt zu ändern, obwohl ich froh bin, dass wir es dieses Mal nur zwischen uns beiden ausmachen konnten." Das Lächeln wurde größer, während er sich von der Werkbank abstieß und näher kam. Delilah wusste sofort, was er damit meinte, obwohl sie selbst nicht wirklich sagen könnte, was ihr nun besser gefallen hatte. Der Dreier mit Dean und seinem Bruder zusammen, oder der Quickie hinter dem Werkzeugschuppen mit ihm alleine. Eigentlich waren beide Male Fehler gewesen, die sie keines Falls noch einmal wiederholen durfte. Und wenn man es genau nahm, dann war der Dreier sehr wohl eine große Sache gewesen, die durchaus noch zum Thema werden würde, aber im Augenblick war sie froh, dass Dean nichts davon ahnte. Es wäre der falsche Zeitpunkt gewesen, ihm jetzt von der Schwangerschaft zu erzählen.

"Und drittens halte ich dich für eine Frau, die sehr genau weiß, was sie will." Dean blieb dicht vor ihr stehen und hob sanft ihr Kinn an, während er ihr auf genau jene Weise tief in die Augen blickte, wie sie es schon im Wald bei ihm erlebt hatte. Das Kribbeln wurde heftiger und ihr ganzer Körper fühlte sich mit einem Mal an, als stünde sie unter Strom. Ihr verräterischer Mund bettelte geradezu darum, von ihm geküsst zu werden und einen Moment später tat er es sogar, wenn auch nur flüchtig.

"Du musst dich nur noch entscheiden."

Einen Augenblick lang war sie zu überrascht, um weder auf den Kuss noch auf seine Worte reagieren zu können. Delilah ließ es sogar zu, dass Dean einen Schritt zurück trat und die Distanz zwischen ihnen somit vergrößerte. Er sah sie an, doch das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden. Als hätten die ihren es einfach weggewischt.

Delilah kam wieder zu sich und machte selbst auch noch einen Schritt zurück. Wenn sie Dean richtig verstanden hatte, überließ er es ihr, ob sie aus der Sache mehr machte oder nicht und genau das wollte ihr ganz und gar nicht gefallen. Obwohl sie nicht sagen könnte, warum sie so empfand. Aber es war besser so. Das wusste sie.

"Gut, dann wäre das geklärt." Delilah wurde das Herz schwer, während sie sich äußerlich weiter von Dean zu distanzieren versuchte, obwohl ihre Instinkte etwas ganz anderes verlangten. Aber ihre Hormone hatten hier nichts mehr zu melden. Sie hatte schließlich schon genug Probleme am Hals.

"Ich halte dich dann mal nicht länger von der Arbeit ab. Bis später."

Natürlich war es feige von ihr, die Flucht anzutreten, aber etwas räumlicher Abstand von diesem Mann konnte nicht schaden. Ganz im Gegenteil, wenn er sie auch nur ein paar Sekunden länger geküsst hätte, wäre die Sache vermutlich ganz anders verlaufen und das wollte sie auf keinen Fall noch einmal riskieren. Ihr Herz raste noch immer.

Mit knurrendem Magen machte sie einen Bogen um das Haus, um nicht Gefahr zu laufen, Deans Vater zu begegnen und wurde dabei von einem seltsamen Geräusch angelockt, das sie nicht sofort zuordnen konnte.

Als sie auf der anderen Seite des Hauses um die Ecke bog, traf sie überraschend auf James, der gerade mit solch einer Leichtigkeit eine Axt schwang, als wöge sie nicht mehr als eine Spielzeugrassel. Die Wucht des Aufpralls war jedoch so enorm, dass das Holzstück auf dem Block vor ihm sauber in zwei Hälften auseinander und ein Stück weit weg flog.

Delilah wollte ihn gerade begrüßen, als sie die Kratzer und blauen Flecken auf seinem entblößten Rücken entdeckte und sie endlich begriff.

Sie hatte nicht geträumt.

15. Kapitel

Sein nackter Oberkörper glänzte bereits vor Schweiß in der Morgensonne, obwohl diese gerade erst an Kraft zulegte und es für diese Jahreszeit sogar noch empfindlich kühl war. Das Spiel der Muskeln auf seinem Rücken wäre faszinierend gewesen, hätten die leuchtendroten Krallenspuren nicht davon abgelenkt. Auch die blaugrüne Färbung an einigen Stellen war ein echter Hingucker. Delilah konnte immer noch nicht glauben, dass James‘ Erscheinungsbild zu den grässlichen Lauten aus ihrem Alptraum passen sollte. Gerade weil sie sich wünschte, es wäre anders. Denn allein der Gedanke daran, er und sein Bruder könnten sich absichtlich gegenseitig so verletz haben, bereitete ihr Übelkeit.

„James?“ Sie kam ein paar Schritte näher, blieb dann aber stehen, als er kurz in der Ausholbewegung inne hielt.

„Delilah.“, begrüßte er sie tonlos. Die Axt in seinen Händen sirrte auf das nächste Holzstück nieder und spaltete es mühelos entzwei. James machte sich nicht einmal die Mühe, sich zu ihr herum zu drehen, stattdessen arbeitete er einfach weiter. Es war nicht zu übersehen, dass er sauer war. Selbst sein sonst so angenehmer Geruch enthielt den beißenden Unterton von Wut und brannte ihr leicht in der Nase.

Er wusste es also. Doch das Schlimmste daran war, dass es ihm etwas auszumachen schien. Verdammt!

Delilah wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Dean sofort über jedes intime Detail vor seinem Bruder auspacken würde, aber noch weniger damit, dass James deswegen sauer sein könnte. Immerhin waren sie weder zusammen, noch hatten sie sonst irgendein Anrecht aufeinander. Wenn man es einmal ganz objektiv betrachtete, so konnte Delilah im Grunde genommen wählen, wen sie wollte und es wäre ihre alleinige Entscheidung. Warum nur fühlte sie sich dann schuldig wegen James?

Vielleicht weil er es war, der ihr das Kochen beibringen wollte. Oder weil er ihr als Erster seine Schulter zum Ausheulen geliehen und sie zum Dableiben bewegt hatte. Zudem war er es gewesen, der sie nach ihrem Befinden gefragt hatte, ob sie darüber reden wollte oder nicht, es schien ihn zu kümmern, wie es ihr ging. Dean war da anders gewesen. Er hatte sie nicht auf ihre Sorgen angesprochen, sondern völlig davon abgelenkt. Was sie davon halten sollte, wusste sie nicht. Im Moment war es auch nicht wirklich wichtig. Es war James, der vor ihr stand und nicht sein Bruder.

„Danke übrigens für das Frühstück gestern. Vor allem der Fruchtsalat war sehr lecker.“, versuchte sie noch einmal seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Wieder hielt er kurz inne, sagte dieses Mal jedoch überhaupt nichts, sondern ließ stattdessen einfach die Axt – wenn das überhaupt noch möglich war – mit noch größerer Kraft niedersausen. Das Holz flog in einem weiten Bogen zur Seite und landete irgendwo im hohen Gras.

In aller Ruhe schnappte er sich das nächste Holzstück, stellte es auf den Holzblock und zerhackte es, ganz so als stünde sie nicht hinter ihm und versuchte mit ihm zu reden. Er ignorierte sie.

Delilah hätte jetzt natürlich einfach gehen und ihn ausspinnen lassen können, aber sie wollte nicht noch länger diese seltsame Stimmung in der Luft ertragen müssen und zugleich hätte sie gerne gewusst, ob die beiden Brüder sich tatsächlich wegen ihr geprügelt hatten. Also wartete sie ab, bis James die Axt nicht gerade bedrohlich in den Händen schwang, schlüpfte an ihm vorbei und stellte sich auf der anderen Seite wohlweißlich aus der Schussbahn.

Mit einem noch größeren Knoten im Magen nahm sie zur Kenntnis, dass James einen blutigen Riss an seiner rechten Augenbraue hatte. Nicht tief genug, um am Ende so eine Narbe wie bei seinem Vater zu hinterlassen, aber dennoch ein weiteres Indiz darauf, dass ein Kampf stattgefunden haben musste.

„Ich habe Dean schon gefragt, ob er sich morgens gerne einmal einen Kampf gönnt. Wie sieht’s denn da bei dir so aus?“ Schluss mit den höflichen Floskeln. Delilah ging auf Angriff über, obwohl sie nicht wusste, ob das bei einem gereizten Werwolf eine so gute Idee war. Sie würde es wohl herausfinden müssen.

James sah nicht einmal hoch, sondern arbeitete einfach weiter, wobei man sich ohnehin fragen könnte, für was er das hier tat. An der ganzen Hauswand entlang waren bereits Unmengen von zerkleinertem Holz gestapelt, das locker für einen ganzen Winter reichen würde. Es war also nicht so, als müsste er jetzt dringend damit fertig werden. Noch dazu hatten sie Sommer.

„Also?“ Delilah verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn finster an, so dass ihr sein flüchtiger Blick keinesfalls entgehen konnte. Für einen Moment fröstelte es sie. Das Karamellbraun seiner Augen schien jede Wärme verloren zu haben. Vielleicht hatte sie sich das aber auch nur eingebildet. James‘ Blick war wirklich nur sehr flüchtig gewesen.

„Es war ein Unfall.“ Zack. Das nächste Holzstück musste dran glauben.

„Ja, natürlich und ich bin in Wahrheit ein Fünf-Sterne-Koch der sich aus reinem Spaß immer wieder in die Finger schneidet. Sag mal, für wie blöd haltet ihr mich eigentlich?“

Der Blick, den er ihr daraufhin zuwarf, war alles andere als nett. Delilah musste sich stark zusammen nehmen, um sich nicht von James‘ finsterer Stimmung mitreißen zu lassen.

Eine Weile sagte niemand etwas und das war auch besser so. Ihr wären ohnehin nur unschöne Worte über die Lippen gekommen und dabei war sie sich sehr wohl bewusst, dass das James gegenüber kein bisschen fair war. Er hatte schließlich nichts getan. Sie war hier die Schuldige, darum schluckte sie ihren Stolz hinunter und ließ ihn erst einmal in Ruhe weiter arbeiten, während ihr Blick über die weiten Wiesen bis hin zur weit entfernten Bergkette hinüber glitt. Immer mehr verfluchte sie sich für ihr Verhalten am vergangenen Tag. Früher wäre ihr das völlig am Arsch vorbei gegangen. Sie hätte den Quickie genossen und wäre weiter gezogen, aber das konnte sie nun nicht mehr, schließlich betraf es sie nicht mehr alleine.

Ihre Hand wanderte langsam zu ihrem flachen Bauch, während sie sich gegen das bereits gestapelte Holz lehnte und immer weiter ihre Gedanken schweifen ließ. Hier draußen, wo sie zum ersten Mal den Eindruck von richtiger Freiheit gewann, kam sie sich sogar noch kleiner vor als ohnehin schon. Aber zugleich schienen mit ihr auch ihre Sorgen etwas geschrumpft zu sein. Vielleicht lag es aber auch mehr an der Gesellschaft als an der Landschaft. Sie war sich einfach nicht sicher.

„Es tut mir leid, James.“ Ihre Stimme war leise und von ehrlicher Reue erfüllt. Sie konnte ihn noch nicht einmal ansehen.

„Ich habe Dean schon gesagt, dass es ein Fehler war, der nicht wieder vorkommen wird. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los war.“ Vielleicht aber doch, allerdings konnte sie nicht alles was sie tat, auf ihre Hormone schieben, so gerne sie das wollte.

„Das ist natürlich trotzdem keine Entschuldigung.“ Sie seufzte schwer, ehe sie tief die herrlich frische Luft und den Geruch nach frisch geschnittenem Holz in ihre Lungen einsog. Delilah schloss die Augen und genoss für einen Moment die angenehmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht, während ihr James‘ Duft in der Nase kitzelte und langsam die Wut daraus verflog.

„Sei ehrlich, habt ihr euch wegen mir geprügelt?“, versuchte sie es noch einmal vorsichtig, war sich aber sicher, keine Antwort darauf zu bekommen. Umso erschrockener riss sie die Augen wieder auf, als James plötzlich vor ihr stand und einen großen Schatten auf sie warf.

„Nein. Ich sagte doch schon. Es war ein Unfall.“ Er kam so nahe, dass die Landschaft völlig hinter seinen breiten Schultern verschwand und als er seine Arme hob, suchte sie für einen Moment fast panisch nach der Axt in seinen Händen, doch das Werkzeug hatte er zum Glück in den Holzblock gerammt und seine Hände waren leer, als sie sich neben ihrem Gesicht abstützten. Irgendwie nahm ihm das trotzdem nichts an der Bedrohlichkeit die er heute Morgen regelrecht herausschwitzte.

Delilahs Herz schlug ihr bis zum Hals und Adrenalin jagte ihr in Wellen durch die Venen. James hingegen wirkte plötzlich sehr ruhig, während er eingehend ihr Gesicht studierte und sie dabei mit seinem Körper zwischen sich und dem Holz in ihrem Rücken gefangen hielt.

Plötzlich war das Flattern in ihrem Bauch wieder da.

Kein Wunder. James war das Ebenbild von Dean. Da konnte es schon mal vorkommen, dass ihr Gehirn bei dem ganzen emotionalen Stress in letzter Zeit etwas verwechselte. Noch dazu, wenn James‘ Blick ebenso einnehmend sein konnte, wie der seines Bruders. Aber sein Geruch war vollkommen anders.

Delilah schloss nicht nur deshalb die Augen, um James‘ intensiven Blick zu entgehen, sie wollte sich dadurch auch deutlicher bewusst machen, dass er es war, der da vor ihr stand und tatsächlich könnte sie die beiden Brüder anhand ihrer Gerüche auf keinen Fall verwechseln. Es war James der da gerade ungeniert an ihrem Haar schnupperte, eine Strähne zwischen seine Finger nahm und wieder los ließ, so dass die Spitze ihre Wange kitzelte.

„Du hast Recht. Das ist keine Entschuldigung für dein Verhalten.“

Was? Wie kam er denn jetzt auf-

Warme, weiche Lippen legten sich auf ihren Mund. Überrascht riss Delilah die Augen auf und wollte schon dagegen protestieren, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm und ihr vollends den Atem raubte. Er drängte sich gegen ihren Körper, küsste sie mit einer derart intensiven Leidenschaft und Dominanz, bis sie nur noch ihn wahrnehmen und an sonst nichts anderes mehr denken konnte. Seinen Geschmack, seinen Geruch, seine harten Brustmuskeln, die sich gegen ihre Handflächen pressten. Er war einfach überall! Doch so schnell wie es begonnen hatte, endete es auch wieder.

James ließ sie so unvermittelt los, dass sie nach vorne taumelte und sich am Holzstoß in ihrem Rücken festhalten musste, um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren.

Fassungslos starrte sie ihr Gegenüber an. Sein Atem ging ebenso schwer wie der ihre, doch es lag etwas in seinem Blick, das sie absolut nicht deuten konnte. Und um ehrlich zu sein, im Moment wollte sie das auch gar nicht. Delilah hatte schon genug damit zu tun, sich von dem Überfall zu erholen, doch eigentlich war es nicht James‘ dreistes Vorgehen, das sie so aus der Fassung brachte, sondern viel mehr das, was er dadurch in ihr ausgelöst hatte.

Zur Hölle mit ihm, sie zitterte am ganzen Körper!

Delilah reagierte schneller, als ihr Verstand mitkommen konnte. In der einen Sekunde war sie noch halb gegen das Holz in ihrem Rücken gesunken, in der nächsten richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und holte aus.

Der flammend rote Handabdruck auf James‘ Wange schenkte ihr nicht die Befriedigung, die sie sich erhofft hatte. Ganz im Gegenteil, im nächsten Augenblick tat es ihr bereits leid, ihn geschlagen zu haben. Aber da war sie auch schon um die nächste Hausecke gelaufen und kurze Zeit später im Wald hinter der Wiese verschwunden.
 

Delilah kämpfte mit den Tränen, während sie ungeschickt durchs Unterholz brach, immer wieder an Büschen und Zweigen hängen blieb und schließlich völlig den Halt verlor. Sie fiel der Länge nach hin und ein Schmerz durchzuckte ihre Hüfte, als sie sich den Knochen an einer Wurzel anstieß. Das war der Moment in dem der Damm endgültig brach.

Delilah kam nicht einmal mehr dazu, sich ihre Kleider auszuziehen, stattdessen zerriss es sie einfach und mit ihr zusammen den Stoff, der sie umhüllte.

Kurz blieb sie stehen, um sich die Fetzen abzuschütteln, doch dann preschte sie auf allen Vieren los, als hinge ihr Leben davon ab. In ihrer Brust tobte eine Bestie. Sie wollte schreien, um sich schlagen, weinen. Doch nichts davon konnte sie tun. Ihr blieb nichts anderes übrig, als immer weiter zu laufen.

Wieso hatte er das getan? Wieso hatte er sie geküsst, obwohl er doch das von Dean und ihr wusste? Sie hatte doch gesagt, dass es ein Fehler gewesen war, der nie wieder vorkommen würde!

Ein tiefes Grollen drang aus ihrer schmerzenden Brust und sie beschleunigte ihr Tempo noch mehr. Versuchte den heftigen Gefühlen in sich drin davon zu laufen. Es gelang ihr nicht.

Verflucht noch mal, mit seiner Wut hätte sie irgendwie umgehen können, aber nicht damit! Oh Gott, sie hatte ihn auch noch dafür geschlagen. Aber er hatte doch… Er hatte sie…

Delilah kam schlitternd zum Stehen.

Verdammt, JAMES!

Ein langgezogenes Heulen drang lautstark aus ihrer Kehle und hallte weit durch den Wald. Vögel stoben erschrocken auf; selbst der Wind schien den Atem anzuhalten, während das Heulen andauerte, sich immer weiter in die Länge zog und schließlich verstummte.

Kraftlos und schwer keuchend ließ sich Delilah auf einem Sonnenfleckchen zu Boden fallen, um sich erst einmal wieder zu beruhigen. Das Heulen hatte gut getan, was sie nie erwartet hätte, aber sie hatte es bisher auch noch nie versucht.

Ihr Atem ging immer noch keuchend, als sie den Antwortruf eines anderen Wolfes vernahm. Nun nicht direkt den eines gewöhnlichen Wolfes. Selbst hinter diesem Heulen schien mehr zu stecken, als ein einfaches Tier, aber es war trotzdem unverkennbar.

Delilahs Nackenfell sträubte sich widerwillig als Reaktion darauf und eigentlich sollte sie sich aufraffen, um die Stelle zu verlassen, die sie mit ihrem Heulen markiert hatte, doch ihre Beine schmerzten immer noch von der ungewohnten Belastung. Außerdem war sie bereits einmal weggelaufen. Sie würde es nicht wieder tun. Also wartete sie.

Es dauerte nicht lange und ein riesiger Schatten näherte sich beinahe lautlos und gegen den Wind, so dass ihre feine Nase ihn nicht wittern konnte. Delilah war sich trotzdem sicher, dass es James war, der sie verfolgt hatte. Unwillkürlich drang ein grollendes Knurren aus ihrer Kehle und sie hob leicht die Lefzen.

Gott, es war ja nicht so, dass ihr der Kuss nicht gefallen hätte! Ganz im Gegenteil, wie bei Dean schien er etwas in ihr ausgelöst zu haben, nur mit der geballten Wucht von James‘ Gefühlen und damit konnte sie im Augenblick überhaupt nicht gut umgehen.

James näherte sich ihr langsam mit gesenktem Kopf. Ihr Knurren wurde lauter und er hielt in der Bewegung inne. Seine goldenen Augen lagen unergründlich auf ihr, war es doch in dieser Form noch schwieriger, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Er kam noch näher, begann sie immer weiter mit seiner schieren Masse zu überragen, obwohl er immer noch außer Reichweite ihrer Reißzähne wäre.

Delilah erhob sich rasch auf ihre Pfoten, stand steif mit aufgerichteten Ohren und Rute da und sträubte zusätzlich noch mehr ihr Nackenfell, aber natürlich war das ein kläglicher Versuch, größer erscheinen zu wollen. Im Vergleich zu dem Werwolf vor sich war sie nur ein winizges Appetithäppchen das ihm zu imponieren versuchte.

Es war gut, dass sie in dieser Form nicht auf menschliche Art und Weise kommunizieren konnten. Delilah hätte ihm am Ende verbal den Kopf abgerissen, obwohl sie es zugleich bedauern würde. Aber was fiel ihm auch ein, sie so aufzuwühlen, nachdem sie damit abgeschlossen hatte, keinem der Brüder mehr zu nahe zu kommen? Glaubte er denn, sie tat das mit Leichtigkeit und aus purem Vergnügen? Nein, es war ganz und gar kein Vergnügen für sie, sich zwei Männern zu entziehen, die sie körperlich anzogen und bei denen sie endlich einmal das Gefühl hatte, sicher zu sein. Und dann küsste James sie auch noch. Als würde ihr Körper nicht schon von alleine genug durchdrehen.

Er wagte es noch einen Schritt näher zu kommen, woraufhin ihre Drohgebärden noch weiter zunahmen. Es überraschte Delilah selbst, wie gut es ihr gelang, wölfisches Verhalten zu zeigen, war sie doch für gewöhnlich nicht so vertraut mit ihrer pelzigen Seite. Aber sie hatte es im Blut und spürte es in jeder Faser ihres Körpers. Sie musste nicht einmal darüber nachdenken. Das war wirklich erstaunlich. Genauso wie die Tatsache, dass James bei ihrer lächerlichen Drohung nicht schon längst einen Lachanfall gehabt hatte. Er war so verdammt riesig!

Gerade diese Herausforderung reizte sie noch mehr, weshalb Delilah mit wildem Knurren auf ihn zukam, um zu sehen, wie er reagierte. Überraschenderweise am Ende vollkommen anders, als sie erwartet hätte.

James legte die Ohren an, senkte den Kopf weiter herab und ließ seinen Schwanz so weit zu Boden sinken, dass er ihn sich gerade noch nicht zwischen die Beine klemmte. Von dieser Geste ermutigt, kam sie noch näher und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass sie immer weiter zu ihm aufsehen musste. Dabei starrten sie sich unverwandt gegenseitig in die Augen.

Für einen Moment zögerte er noch, doch dann ließ sich James langsam zu Boden und zur Seite fallen, so dass er ihr seinen entblößten Hals entgegen streckte und sich ihr völlig ergab.

Ruhig und zugleich angespannt lag er da, während er ihre Reaktionen beobachtete, als würde er darauf warten, was nun als Nächstes kam. Doch da war sie selbst überfragt. Delilah hatte nicht damit gerechnet, dass sie überhaupt etwas bei diesem Riesen bewirken konnte. Aber zumindest ließ das Chaos in ihr langsam nach und was zurück blieb war nur noch frustrierende Unentschlossenheit. Delilah hatte einfach keine Ahnung, was sie tun, wie sie reagieren sollte. Denn eigentlich hatte sie die Brüder aufgesucht, um ihnen die Nachricht ihrer Schwangerschaft mitzuteilen und sie darum zu bitten, wenigstens solange bei ihnen bleiben zu können, bis es überstanden war.

Sie hatte sich ausgemalt, dass sie während der nächsten Monate genügend Zeit haben würde, sich eine Lösung für ihr Problem auszudenken. Vielleicht kannten die Brüder jemanden, der ein Gestaltwandlerkind adoptieren würde. In dieser Hinsicht hätte sie weniger Bedenken gehabt, da diese Leute wissen würden, was es mit dem Kind auf sich hatte. Ganz anders als bei ihren eigenen Pflegeeltern, vor denen sie ihr wahres Wesen immer hatte verstecken müssen, seit sie vier war. Delilah nahm nicht an, dass die Brüder das Kind selbst großziehen würden und sie selbst wäre einfach nicht in der Lage dazu. Sie konnte sich selbst kaum am Leben erhalten, wie sollte sie sich da um etwas so Hilfloses wie einem Baby kümmern können? Nein, sie würde das niemals schaffen.

Doch all ihre bisher geschmiedeten Pläne fielen ins Wasser, wenn sie sich über ihre Schwangerschaft weiter ausschwieg. Sie hätte es den Brüdern schon am ersten Tag sagen sollen. Oder wenigstens dem Tag darauf, doch je länger sie wartete, umso komplizierter wurden die Dinge und als sie jetzt in James‘ Augen blickte, seine unterwürfige Art betrachtete, wurde ihr klar, dass sie es nicht konnte. Die Brüder waren so verdammt ahnungslos. Was würde es für sie bedeuten, zu hören, dass einer von ihnen Vater wurde?

Gott, sie wollte gar nicht erst darüber nachdenken. Sie würde ihnen ihr unbekümmertes Leben ruinieren. Die Lebendigkeit ihrer Jugend und des Leichtsinns, dem sie noch nicht entwachsen waren.

Sie … konnte das einfach nicht…

Delilah ließ ihre Haltung fallen und den Kopf hängen. Sie konnte James nicht länger in die Augen sehen. Würde sie an Wunder glauben, sie würde um eines beten. Aber so…

Sie zog sich immer weiter vor James zurück, der sich inzwischen aufrecht hingelegt hatte und verkroch sich im Schutze einiger ausladender Farnwedel, um sich dort zusammen zu rollen. Vielleicht ließ er sie ja in Ruhe in Selbstmitleid baden, wenn sie ihn nur lange genug ignorierte.

Tatsächlich kam er näher, wagte es aber nicht, zu nahe zu kommen. Er fiebte fragend, doch das einzige, das ihm antwortete, war ihr knurrender Magen. Eine Weile stand er noch unschlüssig da, bis er sich offensichtlich endlich entschieden hatte und schließlich davon lief, um sie alleine zu lassen.

Delilah war zum Heulen zu Mute, doch weder gab sie einen Laut von sich, noch konnte sie in dieser Form richtig weinen, also ertrug sie das Gefühl der Einsamkeit und versuchte an nichts mehr zu denken. Das war das Beste, was sie im Moment tun konnte, feige wie sie war.
 

Sie musste eingenickt sein, denn sie bemerkte seine Anwesenheit erst, als er schon dicht hinter ihr hockte. Delilah fuhr hoch und war überrascht einen nackten Mann, statt eines riesigen Werwolfes vor sich zu sehen.

„Bist du bereit, dich heute an einem Hasenbraten zu versuchen?“ James hielt zwei tote Hasen in die Höhe und das winzige Lächeln, das seine Lippen umspielte, war so zögerlich, wie sie es bei ihm noch nicht gesehen hatte. Er war zwar nicht gut darin, das Thema zu wechseln, jedoch immer noch besser als sie. Außerdem bot er ihr damit die Chance, über den Kuss und die darauffolgende Ohrfeige hinweg zu sehen und in der Normalität weiter zu machen.

Delilah erhob sich langsam, musterte noch einmal sein zerzaustes Erscheinungsbild – die Verletzungen waren schon in ihrem Heilungsprozess weiter voran geschritten - und vermied es dabei, weiter als bis zu seinem Bauchnabel hinab zu wandern. Er hatte überhaupt keine Scheu vorm Nacktsein und seit dem Tag mit Dean, wusste sie auch warum. Es war einfach vollkommen natürlich.

Delilah verwandelte sich direkt vor James zurück und zupfte ihm anschließend einen kleinen Zweig aus den Haaren, ehe sie ihm wieder in die Augen blickte. „Wenn du die Zwiebeln schneidest, dann ja.“

Sein Lächeln wurde breiter. Das Flattern in ihrem Bauch kehrte zurück und dieses Mal war sie sich sicher, dass es nicht an seinem Äußeren lag, das dem seines Bruders so sehr glich.

„Abgemacht.“ Und damit drückte er ihr einen der beiden toten Hasen in die Hand.

16. Kapitel

Hi, an alle, die die Hoffnung bisher noch nicht aufgegeben haben.

Es tut mir wirklich schrecklich leid, dass ich euch solange habe warten lassen. Aber ums gleich kurz zu sagen, mich hat eine üble Schreibblockade gepackt, dann noch Troubles in der Arbeit und zu guter Letzt auch noch eine Verletzung an der Hand.

Nun, die Schreibblockade ist vorbei, derzeit hab ich 'Urlaub' und die Hand ist auch wieder in Ordnung. Es kann also nur noch besser werden.
 

Und damit hoffe ich, dass das hier erst der Anfang von weiteren Kapiteln sein wird, die so schnell wie es geht folgen werden. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.

Eure Darklover
 

******
 

Delilah erinnerte sich noch sehr genau an die verhassten Abendessen, die sie mit ihren Pflegeeltern täglich hatte über sich ergehen lassen müssen.

Nach einem mindestens ein minutenlangen Tischgebet, bei dem sie mit gesenktem Haupt ihren arttypischen Hunger bändigen und ihren Bauch davon abhalten musste, lautstark zu knurren, waren die paar wenigen Worte am Tisch gewechselt worden, die erlaubt waren, um sich gegenseitig die Speisen oder den Brotkorb zu reichen. Ansonsten hatte das kühle Klappern des Bestecks auf den Tellern den Ton vorgegeben und wehe einer von ihnen hätte dabei dem anderen auch nur einen flüchtigen Blick zugeworfen, anstatt in frommer Andacht den Kopf geneigt zu halten und im Geiste Buße zu tun, für die kleinen Sünden, die sie alle tagsüber angesammelt hatten.

Allzu oft war Delilah dabei der Drang überkommen, ihrer Pflegemutter die Kohlsuppe über den Kopf zu schütten, oder ihren Pflegevater einen Fleischkloß direkt auf die blankpolierte Scheibe seiner Halbglatze zu schießen, nur um dieser kühlen Nichtachtung zu entkommen.

Es war ihr erstaunlicherweise tatsächlich gelungen, ihre Sehnsüchte für sich zu behalten, solange sie mit diesen Menschen hatte unter einem Dach leben müssen, doch umso schwerer fiel es ihr jetzt, die niederdrückende Stille am Tisch der drei Werwölfe zu ertragen.

Wie sie es überhaupt geschafft hatte, mit James die Hasenbraten zuzubereiten, ohne auch nur ein Wort über den Kuss oder ihre darauffolgende Reaktion zu verlieren, war ihr immer noch ein Rätsel. Zugleich hatte ihr James Hoffnungen gemacht, sie könnten bald wieder vollkommen ins Reine kommen, nachdem er ihr mit seiner altbekannten Geduld alles gezeigt und wie versprochen sogar die Zwiebeln geschnitten hatte. Ganz so, als ob nichts gewesen wäre.

Dass etwas vorgefallen war und sie sich gewaltig geirrt hatte, merkte Delilah allerdings spätestens dann, als sich alle am Tisch versammelt hatten.

Von Elija McKenzie – dem Vater der Zwillinge – war sie es gewohnt, dass er sich schweigsam gab und es war auch wirklich nicht mehr als seine Anwesenheit nötig, um seine geballte Präsenz immer noch ungebremst abzubekommen; aber dass die Brüder sich weder ansahen noch ein Wort miteinander wechselten, obwohl sie sich direkt gegenüber saßen, glich einer völlig verdrehten Weltordnung. Normalerweise nutzten die Jungs den Anlass dazu aus, selbst noch mit vollem Mund über Autos, Autoteile oder den fragwürdigen Sinn von elektronischen Klobrillen zu diskutieren.

Heute wehte allerdings nicht einfach nur ein kühles Lüftchen am Tisch, sondern vielmehr ein ausgewachsener Blizzard. Der alte Werwolf ließ sich davon nicht in seiner Mahlzeit stören, auch wenn Delilah glaubte, manchmal seinen kurzen Blick auf sich zu spüren, was sie nur noch mehr dazu brachte, unbehaglich in ihrem Essen herum zu stochern. Sie hatte zwar großen Hunger, aber die Stimmung am Tisch zwang ihren Appetit gnadenlos in die Knie. Mehrmals war sie versucht, irgendetwas zu sagen. Vielleicht ein unverfängliches Gespräch zu beginnen, oder sogar die Babybombe hochgehen zu lassen, nur um dieses Schweigen zu durchbrechen. Doch letzten Endes schwieg sie genauso wie alle anderen nur mit dem Unterschied, dass es ihr nicht noch mehr hätte bewusst sein können, dass das alles ihre Schuld war.

Wenn sie es nicht ohnehin schon wüsste, wäre ihr spätestens jetzt klar geworden, dass es ein gewaltiger Fehler gewesen war, mit Dean zu schlafen. Sie hätte dabei auch an James und dessen Gefühle denken müssen. Aber wie hätte sie auch wissen können, dass Dean sofort über ihren Ausrutscher auspacken würde, oder es seinen Bruder so sehr mitnahm? Wäre sie an seiner Stelle gewesen, hätte sie den Mund gehalten. Aber vielleicht wusste sie auch einfach nicht, wie Zwillinge tickten. - Nein. Sie war sich sogar sicher, dass sie es nicht wusste. Immerhin hatte sie noch nicht einmal eine Vorstellung davon, wie es war, Geschwister zu haben. Als Einzelkind war ihr diese Erfahrung vorenthalten worden. Allerdings hätte sie ohnehin keinem anderen ihre Kindheit gewünscht, auch wenn es manchmal vielleicht leichter gewesen wäre, die Gefühle und Gedanken mit jemanden teilen zu können, der sie auch verstehen konnte.

So aber trug sie die Bürde alleine und wurde es nicht leid, sich in Gedanken für ihren Fehler selbst zu kasteien. Immer mehr bekam sie das Gefühl, dass sie wohl nie gut darin sein würde, etwas richtig zu machen, sondern lediglich immer von einem Desaster ins nächste zu tappen. Ein Wunder, dass sie es überhaupt bis hierher geschafft hatte.

Mit zittrigen Fingern legte Delilah das Besteck auf ihren Teller. Das Essen war am Ende doch noch vorbei. Die Stimmung endgültig im Keller und zum Nachtisch gab es einen zerbrochenen Saftkrug, der sich einfach ihren Fingern entwand, als sie beim Tischabräumen behilflich sein wollte.

Die Zwillinge und sie erstarrten sofort bei dem Krach. Zum Glück hatte der alte Werwolf den Raum bereits verlassen, so dass sie sich nur noch mit den Brüdern auseinandersetzen musste. Doch diese stierten ebenso wie sie, ein bisschen unschlüssig auf den Scherbenhaufen.

Es war nicht so, als wüsste keiner von ihnen, was sie jetzt tun sollten. Viel mehr schien das kleine Chaos bezeichnend für die heutige Stimmung zu sein und jeder im Raum war sich dessen nur allzu deutlich bewusst.

Delilah bewegte sich als Erste und wollte sich soeben bücken, um die Scherben aufzusammeln, als James sie am Arm berührte und sie davon abhielt.

Allerdings sah er dabei Dean mit einem unergründlichen, aber ernsten Gesichtsausdruck an, der seinen Blick erwiderte.

"Big Horns?"

"Darauf kannst du einen lassen. Zehn Minuten?"

"Sagen wir fünfzehn. Ich mach' hier noch die Sauerei weg."

"Alles klar. Ich fahr den Wagen vor."

"Okay."

Damit wandte James sich den Scherben zu und Dean schnappte nun seinerseits Delilahs Arm und zog sie regelrecht die Treppe hoch zu ihrem Zimmer.

"Zieh dir was Bequemes über. Wir machen einen drauf. In fünfzehn Minuten treffen wir uns draußen."

Mit dieser dürftigen Erklärung ließ er sie stehen und verschwand in seinem eigenen Zimmer. Delilah wollte nicht einmal behaupten, auch nur die Hälfte von dem Gesagten eben verstanden zu haben. Aber so wie sie die Dinge interpretierte, ging es nicht darum, ob sie dabei mitmachen wollte oder nicht sondern nur, dass sie schnell genug fertig zu sein hatte.

Nach allem was sie sich in letzter Zeit geleistet hatte, wollte sie sich dem nicht widersetzen. Also versuchte sie wenigstens dieses Mal nicht unangenehm aufzufallen, nachdem James auch noch ihren Dreck wegmachen musste, obwohl das eigentlich ihre Sache gewesen wäre.

Da Delilahs Auswahl an Kleidung in letzter Zeit noch mehr eingeschränkt worden war, dauerte es auch nicht lange, sich schnell etwas anderes überzuziehen. Eine schlichte Bluse in hellblau und stinknormale Jeans mussten reichen, um in einer ländlichen Gegend einen drauf zu machen, obwohl sie keine Ahnung hatte, was die Brüder genau darunter verstanden und ob sie da überhaupt mitmachen wollte bzw. durfte. Sie würde sich auf alle Fälle etwas einfallen lassen müssen, sollte dabei Alkohol im Spiel sein.

Schnell noch zupfte sie sich die Haare zurecht, tupfte noch etwas rot angehauchten Lipgloss mit Beerengeschmack auf ihre Lippen und zog sich die inzwischen wieder sauberen Ballerinas über. Ihre abgewetzte Lederhandtasche musste für den Zweck genügen und für mehr hätte die Zeit ohnehin nicht mehr gereicht, denn sie wollte auf keinen Fall diejenige sein, auf die man warten musste.
 

In der irrtümlichen Annahme, sie würden mit dem alten Pick-up fahren, den die McKenzies normalerweise für gewöhnliche Besorgungen benutzten, die nichts mit Autos zu tun hatten, wartete Delilah schon einmal neben dem Wagen und überprüfte im Seitenspiegel noch einmal ihr Aussehen.

Sie glaubte tatsächlich die Erste zu sein, bis ein schnurrender Motor hinter ihr sie vom Gegenteil überzeugte. Dean war der Schnellste von ihnen allen gewesen und seine Wahl des fahrbaren Untersatzes war tausendmal besser als die ihre.

Delilah verstand nicht viel von Autos. Aber sie konnte durchaus einen schneidigen Schlitten von einer gewöhnlichen Karre unterscheiden.

Der blutrote Mustang mit den schwarzen Aluminiumfelgen gehörte definitiv zu den Hinguckern unter den Autos. Sie hatte ihn bisher noch nie auf der Ranch gesehen, weshalb die Brüder ihn wohl nur für besondere Zwecke heraus holten und bei dem Glanzstück, das sie hier hatten, würde Delilah das auch keine Sekunde lang wundern.

Sie trat näher an das Auto heran, als Dean sich über den Beifahrersitz lehnte und ihr die Tür aufmachte: "Steig ein."

Er klappte den Sitz zurück, so dass sie auf der Rückbank des Wagens platznehmen konnte. Von außen betrachtet, hätte sie dem Auto noch nicht einmal eine Rückbank zugemutet, aber zierlich wie Delilah war, hatte sie sogar mehr als genügend Platz.

Bewundernd strich sie über das kühle Leder der Sitze. Es war so schwarz wie die Felgen und hätte sich bestimmt tagsüber ziemlich schnell in der Sonne aufgeheizt, wenn nicht sämtliche Scheiben – Windschutzscheibe ausgenommen – getönt gewesen wären.

Auch die Armaturen konnten sich mehr als nur sehen lassen.

"Beeindruckt?"

Delilah sah hoch und begegnete Deans Blick im sportlichen Rückspiegel. Unwillkürlich entkam ihr das erste Lächeln an diesem Abend.

"Sehr. Wenn man bedenkt, dass ihr damit bestimmt genauso viele Frauen abschleppt, wie normalerweise kaputte Autos."

"Nicht genauso viele." In Deans Augen machte sich ein amüsiertes Funkeln breit, auf das Delilah sofort ansprang. "Ach, wirklich nicht?"

Er begann zu grinsen: "Nein, die Quote der abgeschleppten Frauen ist definitiv höher, als die der kaputten Autos."

"Angeber." Delilah schubste Dean mit einem breiten Lächeln sanft gegen die Schulter, ehe sie sich im gemütlichen Sitz zurück lehnte und sich anschnallte. Genau in dem Moment öffnete James die Beifahrertür und konnte gerade noch das breite Grinsen seines Bruders miterleben.

"Hab ich was verpasst?" Er glitt in den Sportsitz und schloss die Tür.

"Noch nicht." Dean fuhr los und sein Ton war mehr als bedeutungsschwer.

Wieder fragte sie sich, wo es nun hinging und was sie von dieser unerwarteten Wendung des Abends zu halten hatte, denn obwohl die Brüder wieder miteinander sprachen, war dennoch eine gewisse Anspannung zwischen ihnen zu spüren. Und auch in Delilah wuchs die Spannung, je weiter sie sich von der Ranch entfernten. Was würde der Abend noch alles mit sich bringen?
 

Irgendwo zwischen dem ausgestorbenen Kaff von Sun River und der Großstadt Great Falls lag verborgen in einem kleinen Wäldchen und der Weite des unbewohnten Landes eine Bar wie sie typischer nicht hätte sein können. Zumindest von außen machte der Schuppen mit dem flackernden Neonlicht einer Bierwerbung an der Wand, den blickdichten Fenstern und der leicht schmuddeligen Fassade keinen sehr einladenden Eindruck. Dennoch standen vor der Bar eine höchst beeindruckende Anzahl an Autos und Motorräder, die man in dieser Gegend nicht erwartet hätte.

Mehr als nur skeptisch ließ sich Delilah von James aus dem Wagen helfen und folgte den Brüdern dann dichtauf, während sie ihre Umgebung im Auge behielt. Unzählige Gerüche lagen in der Luft. Nicht immer die Besten und dennoch musste man auch die guten Düfte von solidem aber guten Essen schätzen, die einem manchmal um die Nase schmeichelten.

Ein Geräusch in der Dunkelheit jenseits des beleuchteten Parkplatzes ließ sie leicht zusammen zucken und in die Richtung spähen. Viel konnten ihre Augen nicht ausmachen, dennoch war sie beruhigt, als sie nur einen Kerl erkennen konnte, der in den Büschen gerade sein Bier wieder los wurde.

"Ich weiß. Es sieht nicht nach viel aus. Aber wart's erst mal ab, bis du drin bist." James schob sie zwischen sich und seinem Bruder, während sie über den Parkplatz marschierten. Vielleicht weil er ihre Unbehaglichkeit spürte. Vielleicht hatte es aber auch andere Gründe und sie sollte sich erst Recht Gedanken über ihre Umgebung machen.

Jetzt reiß dich mal zusammen, Mädl! Du warst schon in viel härteren Schuppen. – Da war ich aber auch noch nicht schwanger. – Na und? Hast du deshalb deinen rechten Haken verloren? – Auch wieder wahr…

Delilah schulterte ihre Tasche neu und straffte sich. Sie würde den Teufel tun und wegen der Schwangerschaft verweichlichen. Oder besser gesagt, endgültig verweichlichen. Soweit kam's noch! Auf gesunde Ernährung und Alkoholverbot achten, gut und schön. Aber ein paar aufdringlichen Typen konnte sie immer noch uneingeschränkt aufs Maul hauen, wenn es sich ergab. Allerdings hoffte sie doch, dass es heute Abend nicht einer der Jungs sein würde. So taff Delilah sich gerne im Augenblick gab, das würde sie bestimmt nicht über sich bringen. Dafür schuldete sie den beiden viel zu viel.

Die Musik mit dem deutlichen Einschlag von Country wurde lauter, blieb aber noch bei einem angenehmen Pegel, selbst als Dean ihr die Tür aufhielt und sie auch endlich verstand, was James mit "Big Horns" gemeint hatte. Denn über dem Eingang der Bar hing ein riesiger Schädel eines Longhornrindes oder was auch immer solche mächtigen Hörner hervorbrachte.

Das Licht im Innenraum der Bar war angenehm gedämpft und soweit Delilah das erkennen konnte, hing keine dichte Rauchfahne in der Luft, die sie dazu gezwungen hätte, den Abend draußen zu verbringen. Dafür drang grollendes Gelächter aus einer Ecke der Bar an ihr Ohr; in einer anderen wurde ausgelassen getanzt und irgendwo musste ein Fernseher mit einem Sportevent laufen, denn sie konnte mehrere Leute jemanden Anfeuern hören. Doch was ihr am Deutlichsten auffiel, war der Geruch nach Werwolf, dem alles hier anhaftete.

Dean und James hatten sie tatsächlich in eine Werwolfbar geschleppt!

Jetzt wunderte es sie auch nicht mehr, dass die zwei sich wie Bodyguards verhielten und sie sicher durch das überraschend große Angebot an Karohemden und Jeanshosen direkt an die rustikale Bar lotsten, ohne dass sie von jemandem angerempelt worden wäre. Dafür war sie den beiden wirklich dankbar. Denn mit ihrer Größe ging sie hier unter den ganzen Werwölfen beinahe unter. Vielleicht hätte sie doch die hohen Schuhe anziehen sollen. Aber sie bezweifelte stark, dass das etwas genützt hätte. Sie war eben nur eine gewöhnliche Wölfin und ebenso gewöhnlich gebaut.

Delilah setzte sich auf den einzigen freien Barhocker und gewann so endlich wieder etwas an Überblick, während sich die Jungs an ihren beiden Seiten aufstellten.

"Also, es wird Zeit, dass wir dir einmal unsere Gebräuche erklären.", begann James ohne Umschweife und lehnte sich mit einem verwegenen Lächeln lässig gegen die Theke. Das war so viel besser, als seine Wut von heute Morgen zu spüren, auch wenn sie nicht wusste, was nun jetzt auf sie zukommen würde. Delilah hatte immer noch daran zu kauen, dass sie hier in einer Werwolfbar saß. Ob sie noch weitere Überraschungen verkraftete, würde sich wohl erst noch zeigen.

Dean tat es seinem Bruder gleich, schwieg aber zu dem Gesagten und ließ seinen Bruder die Sache regeln.

"Die Regeln heute Abend sind ganz einfach. Dean ist der Chauffeur. Er bezahlt alles, was wir hier konsumieren und der wichtigste Punkt überhaupt: Er wird eine Runde auf 'Blueballs' drehen."

Deans Zähneknirschen ließ sie zu ihm aufsehen. Er sah nicht besonders glücklich über diese Regeln aus und es wunderte Delilah doch sehr, dass er sich nicht dagegen auflehnte. Sie begann die Sache immer weniger zu verstehen. Vor allem wer oder was 'Blueballs' war. Also schenkte sie James nur einen fragenden Blick: "Und warum?"

Was für Gebräuche waren das denn?

"Ganz einfach." James schlug mit der flachen Hand zweimal auf den Tresen und weckte somit die Aufmerksamkeit des Barmanns, ehe er sich wieder ihr zuwandte. "Weil mein Bruderherz Scheiße gebaut hat und er das nur so wieder grade biegen kann."

"So sieht's aus." Dean richtete sich an den beeindruckend bulligen Kerl hinter der Theke, der sie mit dem roten Karohemd nur noch schwach an einen Holzfäller erinnerte. Eher kam ihr der Vergleich mit einem Bären in den Sinn, obwohl er eindeutig ein Werwolf war. " Hi, Cliff. Einmal Whiskey mit Eis, eine Coke und was trinkst du, Deli?" Dean sah sie fragend an, um ihre Bestellung zu erfahren, dabei begann sie doch gerade erst zu begreifen, welche Scheiße James gemeint hatte, die sein Bruder gebaut hatte und sich mit der Tatsache abzufinden, dass sie hier vielleicht doch nicht mit einem einfachen rechten Haken davon käme. Eher mit einem großkalibrigen Gewehr und genug Munition für eine ganze Armee.

Völlig neben der Spur nannte sie einfach das Erstbeste, was ihr einfiel, nur um es dann gleich wieder zu vergessen.

Dean zog daraufhin seine Augenbraue hoch, nannte Cliff aber ohne weitere Vorbehalte ihre Bestellung. Delilah kümmerte es nicht weiter. Stattdessen dachte sie darüber nach, dass Dean gerade die Scheiße ausbadete, in die sie ihn hinein geritten hatte. Das war alles andere als fair, aber sie konnte im Augenblick auch nichts dagegen unternehmen. Sie hatte nicht genügend Kohle, um so einen Abend bezahlen zu können, noch war sie fähig, ein Auto zu fahren, um die beiden wieder nach Hause zu bringen und auch wenn sie nicht wusste, wer oder was 'Blueballs' war. Sie war sich fast sicher, dass sie auch damit nicht fertig werden würde.

Wenn hier also jemand tief in der Scheiße saß, dann war sie das. Denn sie würde all das, nie und nimmer zurück zahlen können, was sie den beiden Jungs mehr und mehr zu schulden begann. Nicht einmal, wenn sie dafür sorgen könnte, dass die beiden den Abend hier nie vergessen würden.

17. Kapitel

Delilah hätte vor Erleichterung beinahe aufgeseufzt, als sie einen winzigen Schluck von dem Getränk nahm, das der Barmann ihr hingestellt hatte. Sie hatte zu ihrem eigenen Glück nur Mineralwasser bestellt, anstatt gleich mit einer Mischung aufzuwarten, die sie nicht hätte anrühren dürfen. Vielleicht hatte Dean sie deshalb so komisch angesehen, weil er sie eher für eine Frau hielt, die sich gerne einmal etwas Härteres gönnte? Nun ja, wenn man ihre allererste Begegnung bedachte, dann wunderte sie das überhaupt nicht. Welche Frau trieb sich schließlich sonst in einer absolut zwielichtigen Bar herum, vor der sich ein Haufen Wandler prügelten und trank dann nur Wasser?

"Und wie geht’s jetzt weiter?", wollte sie schon mutiger wissen, obwohl so viele Werwölfe auf so engem Raum sie durchaus immer noch einschüchtern konnten. Aber sie war einmal taff gewesen. Wurde Zeit dass sie sich wieder daran erinnerte, nachdem ihre Welt so derartig auf den Kopf gestellt worden war, wie sie es sich nie hätte erträumen können.

"Also zunächst einmal, wird Dean seinen Teil der Abmachung einhalten und Blueballs 'Hallo' sagen. Der Rest ergibt sich dann meistens von selbst. Wirst schon sehen." James grinste auf eine Art, die Delilah nicht so recht gefallen wollte. Irgendwie schadenfroh und dann doch mit schlichter Belustigung. Dean selbst rollte nur genervt mit den Augen, stellte seine Coke wieder auf den Tresen zurück und schnappte Delilahs Hand, um sie vom Hocker zu ziehen.

"Komm mit. Die Show darfst du dir auf keinen Fall entgehen lassen." Er schob sie näher an sich heran und beugte sich weiter zu ihrem Ohr, damit nur sie den nächsten Satz hören konnte: "Und dafür schuldest du mir nachher einen Tanz."

"Aber, ich kann doch gar nicht-", wollte Delilah schon protestieren, doch Dean winkte einfach ab. "Dafür ich und jetzt komm."

Obwohl James dicht hinter ihr war, musste sie nun wirklich aufpassen, nicht einfach in der Werwolftraube die sich vor irgendetwas Sehenswertem gebildet hatte, unter zu gehen. Genau aus dieser Richtung waren die Pfiffe und Anfeuerungsrufe gekommen, die Delilah zunächst auf einen Fernseher mit Sportkanal geschoben hatte, doch plötzlich trat Dean vor ihr zur Seite und gab den Blick auf etwas vollkommen anderes frei.

Es war ein mechanischer Rodeobulle, wie sie es schon einmal im Fernsehen gesehen hatte und jetzt wusste sie auch, warum die Kerle hier so begeistert pfiffen.

Auf dem Bullen saß eine schwarzhaarige Werwölfin in einer so kurzen und engen Jeans, dass sogar Hotpants Anstoß daran genommen hätten. Ihre nackten Beine wirkten dadurch noch länger und da sie auch noch hin und her geworfen wurde, bekam hier jedermann immer wieder ihren Knackpo zu sehen. Mal ganz von den großen Titten abgesehen, die in dem knappen Top nur so hin und her hüpften. Das ganze wurde gekrönt von einem echten Cowboyhut, den sie mit einer Hand festhielt, während das mechanische Tier unter ihr Bocksprünge machen konnte, wie es wollte. Die Frau wurde einfach nicht abgeworfen. Ganz im Gegenteil. Sie schien das alles gewaltig zu genießen.

"Scheiße, ist das Naddy?"

Delilah sah zu James hoch, der vollkommen gebannt auf die Frau starrte, die gerade in ihrer Sympathie einen rekordverdächtigen Absturz hinlegte.

"Jepp. Das ist Nadine. Ich wusste gar nicht, dass sie wieder in der Stadt ist."

Dean ließ ebenfalls nicht die Augen von der Frau, schien aber deutlich weniger beeindruckt von ihr zu sein wie sein Bruder. Sein Blick war … nüchtern, wenn man das überhaupt so nennen konnte. James war schließlich nicht betrunken, hatte er doch noch nicht mal das eine Glas Whiskey ausgetrunken. Aber er war definitiv gerade in seiner eigenen Welt.

"Ganz schön gewachsen, die Kleine, was?" Dean rempelte seinen Bruder mit einem wissenden Grinsen hinter ihrem Rücken an. James konterte noch nicht einmal, sondern zuckte nur mit den Schultern.

"Ein bisschen. Auf jeden Fall hat sie Blueballs immer noch voll im Griff. Nach der Vorstellung musst du dich aber gewaltig ranhalten, Bruderherz."

Okay, James war wieder zurück, denn der verbale Schlenker hatte gesessen. Trotzdem kam sich Delilah plötzlich wie unsichtbar vor und DAS nervte gewaltig.

"Woher kennt ihr sie?" Fragen kostete ja schließlich nichts und vielleicht konnte sie sich wenigstens wieder ein bisschen bemerkbar machen, obwohl sie neben dieser Werwölfin nur den Kürzeren ziehen konnte. Selbst wenn sie ihre sexiesten Klamotten angehabt hätte.

Dean war so gnädig, ihr zu antworten: "Wir sind zusammen aufgewachsen. Gleicher Kindergarten. Gleiche Schule, aber nach der High School sind ihre Eltern weggezogen und seitdem haben wir sie nicht mehr gesehen."

Oh Shit. Das klingt gar nicht gut, Mädl. Nein, ganz und gar nicht gut.

"Wart ihr befreundet?" Eigentlich wagte Delilah gar nicht, noch näher nachzuhaken, aber die Worte verließen ihren Mund, bevor sie etwas dagegen unternehmen konnte.

Dean lachte kurz auf, aber nicht unbedingt amüsiert: "Kommt darauf an, wie man befreundet definiert. Als wir noch in dem Alter waren, wo wir keine Mädchen mochten, haben wir sie ständig geärgert und sie hat es uns dann heimgezahlt, als wir älter waren."

Plötzlich wurde er ernst und seine Stimme war unter dem ganzen Gejohle kaum noch zu verstehen, als er sie senkte: "James mag sie und ich… Naja, ich respektiere das."

Im Klartext: Dean konnte sie nicht ausstehen. Allerdings erzählte er ihr nicht, warum er einmal völlig anderer Meinung war als sein Bruder.

Diese Nadine verlor noch weitere Symphatiepunkte bei Delilah, obwohl sie die Frau noch nicht einmal gesprochen hatte. Dabei würde das vielleicht gleich der Fall sein, denn Blueballs drehte noch einmal voll auf, bevor er stehen blieb und die junge Werwölfin unter lauten Jubelrufen und Pfiffen leichtfüßig von ihm runtersprang und sich vor der Menge mit einem selbstsicheren Lächeln verbeugte.

Verdammt, die Frau war um fast einen Kopf größer als sie!

"Los, D. Zeig uns, was du drauf hast." James gab der Frau hinter dem Steuerungspult des mechanischen Bullen ein Zeichen und schob dann seinen Bruder in Richtung Blueballs.

"Ich drück dir die Daumen.", rief Delilah ihm schnell nach, woraufhin er ihr ein warmes Lächeln schenkte, ehe er sozusagen seine Strafe antrat und weiterer Jubel ertönte, allerdings bei weitem nicht mehr so laut, wie vorhin noch. Auch die Werwolftraube hatte sich deutlich gelockert und Delilah wurde nicht mehr so von den Umstehenden eingeschlossen.

Sie sah, wie Nadine und Dean höfliche Blicke austauschten, aber das war's dann auch schon und die Werwölfin verließ endgültig das Rampenlicht, während er sich so eine Art Kissen mit Loch in der Mitte von der Dame am Steuerpult abholte.

Gerade als Delilah den Sinn dieses Kissens erkannte, nachdem Dean sich lässig auf den Bullen geschwungen und es sich als Schutz zwischen seinen Schritt und Blueballs gestopft hatte, tauchte Nadine direkt neben ihr auf, um James anzusprechen.

"Hi, Jay-Jay. Lange nicht mehr gesehen."

Delilah war es bisher noch nie passiert, dass sie bei einer Person, die sie noch nicht einmal kannte, das unbändige Gefühl überkam, die Zähne zu fletschen und lautstark zu knurren. Aber allein Nadines Stimme schien ihre Nerven blank zu legen und Delilah schaffte es gerade noch, das Zähnefletschen in ein Lächeln umzuwandeln.

"Hi, Naddy. Seit wann bist du denn wieder in der Stadt?"

James bekam gar nicht mit, wie es für seinen Bruder schließlich ernst wurde und der mechanische Bulle noch sehr umsichtig hin und her zu bocken begann, aber langsam an Tempo zulegte. Sie ignorierte er ebenfalls einfach.

"Kaum 'ne Stunde." Wusch. Die Tussi warf sich so eindeutig das lange schwarze Haar über die Schulter, dass Delilah sie am liebsten daran gepackt und einmal kräftig gezogen hätte.

"War ja klar, dass es dich zuerst hierher verschlägt." James' Lächeln wurde breiter. Er sprang sofort darauf an, während Dean langsam zu kämpfen hatte, sich auf Blueballs oben zu halten.

"Natürlich. Ich liebe diesen Laden und-"

Delilah hörte nicht länger zu. Stattdessen drehte sie sich endgültig zu Deans Bullenkampf herum und tat das, was sie ihm versprochen hatte. Sie drückte ihm allerdings nicht nur kräftig die Daumen, sondern feuerte ihn auch ordentlich an, was auch die umstehenden Werwölfe dazu motivierte, es ihr noch mal richtig gleich zu tun. Innerhalb kürzester Zeit klingelten ihre Ohren von dem Geschrei, aber als Dean schließlich geschlagen auf der Matte landete, war es das wert.

Delilah lief sofort zu ihm.

"Alles klar bei dir?", wollte sie besorgt wissen, doch Dean grinste sie nur von unten herauf an. "Dieses Mal hätte ich ihn beinahe gehabt."

"Klar hättest du." Sie begann zu lächeln und hielt ihm die Hand hin, die er sofort ergriff, um sich hochhelfen zu lassen.

"Oh, Scheiße. Das Teil hat's echt in sich." Dean krümmte sich schon nach dem ersten Schritt leicht und fasste sich zwischen die Beine, woraufhin einige Lacher zu hören waren.

"Ja, ja. Lacht ihr nur.", rief er laut in die Runde. "Als wär's euch schon mal besser ergangen."

Nun, Deans Grinsen schien es auf jeden Fall nichts anhaben zu können, obwohl Delilah jetzt kapierte, warum sie den Bullen Blueballs nannten. Sie konnte es sich bildlich vorstellen, was sie in Anbetracht der Situation besser sein ließ.

"Wenn du auch mal eine Runde drehen willst nur zu. Mich kriegt da heute auf jeden Fall keiner mehr rauf."

Delilah versteifte sich kurz, während sie Dean zurück auf sicheren Boden brachte. "Nein, danke. Ich hab' schon vom Zusehen genug."

"Glaub ich dir gerne. Wo ist James?" Er sah sich suchend im Raum um, konnte seinen Zwilling jedoch nirgends finden. " Sag bloß, der Penner hat die ganze Show ver-" Dean erstarrte und fluchte keine Sekunde später wie ein echter Vollblutwerwolf.

Delilah folgte seinem Blick und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan. James stand dicht an dicht mit Nadine in einer eher schummrigen Ecke mit seinem Drink in der Hand und schien sich angeregt mit ihr zu unterhalten. Wobei man nicht den Eindruck hatte, als ginge es um ein Thema über das man ausführlich diskutieren konnte.

Mit einem Mal drohte ihre Stimmung endgültig ins Bodenlose zu fallen, bis Dean sie unvermittelt an der Schulter berührte und ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zog.

"Komm, lass uns was trinken und danach löst du deine Tanzschuld bei mir ein. Ich will nicht, dass meine Eier umsonst so in die Mangel genommen worden sind." Er war vollkommen ruhig und lächelte sogar wieder, so als würde es ihn plötzlich nicht mehr kümmern, dass James ihn einfach so hängen ließ. Aber Delilah wusste, dass es ihm gegen den Strich ging und verdammt noch mal, ihr ebenfalls!

Aber gerade deshalb und weil sie kein Recht hatte, eifersüchtig zu sein, folgte sie Dean zurück an den Tresen und nahm erst einmal ein paar tiefe Züge von ihrem bisher kaum angerührten Mineral. Dean blieb auch weiterhin bei Coke und überraschte sie damit, dass er sie so leicht von der Tussi und seinem Bruder ablenken konnte, wie es nur ihm gelang.

"Ich glaube einfach nicht, dass du nicht tanzen kannst.", begann er unvermittelt. "Gib's zu. Das ist doch nur eine Ausrede, oder?"

"Nein, ehrlich nicht. Ich meine, das bisschen Herumgezappel in der Disco kann man nicht wirklich als Tanz bezeichnen und was anderes habe ich nie gelernt. Es überrascht mich allerdings, dass du es offensichtlich kannst. Gesehen habe ich ja noch nichts davon."

Dean nahm noch einen kräftigen Schluck von seiner Coke, ehe er sie breit anlächelte. "War das eine Aufforderung, dir sofort mein Können zu beweisen? Von mir aus kann's gleich losgehen."

"Wow, stopp." Sie hob abwehrend die Hände. "Das war es definitiv nicht. Außerdem will ich deinen Eiern noch eine kleine Schonpause gönnen, also bleib sitzen."

Dean setzte einen überlegenden Gesichtsausdruck auf, ehe er offen zu lächeln begann. "Ich denke, etwas zu warten, kann wirklich nicht schaden. Du hast Recht. Meine Eier werden es dir auf jeden Fall danken. Wieder einmal."

Damit brachte er sie nun doch zum Grinsen. Das Gehänge eines Kerls war normalerweise kein Thema, über dass sie sich so auslassen konnte, aber bei Dean wirkte es irgendwie. Er schaffte es dabei Humor zu zeigen, aber nicht anzüglich zu werden und das gefiel ihr sehr an ihm. Diese Unbefangenheit, die sie in seiner Nähe trotz allem hatte, war sehr angenehm, aber leider überkam sie auch immer wieder der Drang, sich umzudrehen und einen Blick in diese schummrige Ecke zu werfen, die sein Bruder da mit dieser Tussi in Beschlag genommen hatte.

Eine Weile konnte sie sich ja noch davon ablenken, aber als der Drang zu übermächtig wurde, blieb ihr nichts anderes übrig, als Deans Hand und damit die Flucht zu ergreifen.

"Wenn deine Eier bereit sind, dann bin ich es auch."

Er verstand sie sofort richtig, trank noch den letzten Rest der Coke aus, ehe er das Glas entschlossen auf den Tresen stellte und sie in eine gänzlich andere Richtung als der schummrigen Ecke direkt zur kleinen Tanzfläche zog.

Die Countrymusik kam aus einer Musikbox, neben der es sich ein älterer Werwolf mit Cowboyhut bequem gemacht hatte, um immer wieder neue Lieder auszuwählen, damit die Stimmung hier nicht einfach so abriss.

Dean nickte ihm zur Begrüßung zu, drehte sich dann aber zu ihr herum und stellte sich dicht vor sie.

"Linke Hand auf meine rechte Schulter, die rechte gibst du mir." Er zeigte ihr, was er meinte, in dem er Delilahs Hände in seine nahm, die eine an die richtige Stelle an seiner Schulter legte und die andere mit seiner festhielt. Danach berührte seine freie Hand sie sanft im Rücken, was ihr endgültig bewies, wie ernst es ihm mit dem Tanzen war. So manch andere Kerle hätten es nicht so genau genommen und ihr gleich direkt auf den Po gefasst.

Das nächste Lied lief zwar schon längst und ein paar Pärchen hüpften im Takt um sie herum, aber davon ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen.

"Lass dich einfach von mir führen und sieh bloß nicht auf deine Füße. Das bringt dich nur durcheinander."

"Ehm, ookay." Jetzt würde Delilah sicher erst recht auf ihre Füße sehen und zugegeben; Dean hatte ganz schön große Treter, wenn er ihr also damit auf die Zehen stieg, war das nicht gerade eine Kleinigkeit.

"Nicht nachdenken, Deli.", raunte Dean ihr ins Ohr, ehe er ohne Vorwarnung loslegte.

Im ersten Moment bekam sie fast Panik, als er sie rückwärts führte und sie nicht sehen konnte, wo es hinging. Außerdem riss es ihren Blick dabei regelrecht zu Boden und auf ihre Füße, die keine Ahnung hatten, wo sie hingehen sollten, um Dean nicht im Weg zu sein.

"Delilah, sieh mich an." Dean umfasste ihre Taille mit einem Arm, während er die andere Hand dazu benutzte, ihr Kinn wieder in die Waagerechte zu bringen.

Scheiße, er blieb dabei noch nicht einmal stehen oder wurde langsamer. Es glich fast einem Wunder, dass sie ihm noch nicht auf die Füße getreten war.

Sofort suchte ihre freigewordene Hand seine Brust und wollte ihn stoppen, doch Dean fing sie einfach mit einem Lachen wieder ein und riss sie weiter mit sich. Gut, genaugenommen riss es sie nicht hin und her, sondern viel mehr war es ein Schwingen und obwohl sie anfangs total steif dabei war, wurde es besser, als sie ihm in die Augen sah und dieses so warme Karamellbraun auf sie einwirkte.

Delilah wurde entspannter, nachdem es auch am Ende des ersten Liedes noch keine Massenkarambolage zwischen ihrer beider Füße gegeben hatte. Nach dem zweiten Lied, begann ihr die Sache sogar Spaß zu machen und nach dem dritten hatte sie die schwarzhaarige Tussi schon längst aus ihren Gedanken verbannt. Stattdessen lag ein heiteres Lächeln auf ihren Lippen und ein wahnsinnig heftig knisterndes Gefühl in ihrem Bauch. So ausgelassen hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt.

Delilah wurde sich allerdings nach und nach immer deutlicher bewusst, wie nahe sie Dean im Augenblick war und wie nahe sie sich beide erst gestern noch gekommen waren.

Der Gedanke hätte sie eigentlich ernüchtern sollen, aber inzwischen hatte die Musik auf langsam geschaltet und sie spürte nur zu deutlich, Deans warme Hände auf ihrem Körper und wie er sie nun deutlich langsamer hin und her wiegte, während ihre eigenen von sich aus zu seiner Taille gewandert waren, um sich dort fest zu halten.

Delilah war nicht dumm und leider nicht naiv genug, um nicht die Anziehung zu spüren, die zwischen ihnen wie kleine Funken hin und her sprang. Sie hätte es vielleicht ignorieren können, wenn sie gestern nicht mit ihm geschlafen oder ihn überhaupt geküsst hätte. Aber so fühlte es sich an, als hätte der gestrige Tag sie nur noch sensibler diesen Berührungen gegenüber gemacht und das machte sie verdammt noch mal nervös.

Bevor sie dem Drang erliegen konnte, sich einfach an Deans warme Brust zu schmiegen, löste sie sich vollständig von ihm und trat zur Sicherheit noch einen Schritt zurück, obwohl das Lied noch nicht vorbei war. Aber sie konnte das einfach nicht länger.

"Es tut mir leid, Dean. Aber können wir nach Hause fahren?" Sie hatte genug von diesem Abend und das musste er ihr auch ganz deutlich ansehen, denn er widersprach nicht. "Natürlich. Ich gebe nur noch James Bescheid. Warte hier."

Delilah nickte kurz und stellte sich an den Rand der Tanzfläche, um zu warten, während Dean in der Menge verschwand.

Es dauerte keine fünf Minuten, da kam er auch schon wieder zu ihr zurück. Alleine.

"Wo ist James?"

"Hat noch andere Pläne für heute Abend. Wir können also fahren." Dean nahm ihre Hand und dieses Mal war sie froh, dass er sie auch nicht los ließ, als sie über den nur mäßig beleuchteten Parkplatz gingen.

Delilah hatte das Gefühl, als könnte sie plötzlich fallen, würde er sie nicht festhalten.
 

"Was ist los, Delilah? Du warst die ganze Fahrt über so still." Dean stellte den Motor ab, machte aber keinerlei Anstalten, auszusteigen und auch sie zögerte für einen Moment.

"Ich bin nur müde. Das ist alles." Nein, das war bei weitem nicht alles, trotzdem öffnete sie die Wagentür, um endgültig die Flucht anzutreten.

Was sollte sie Dean auch erzählen? Dass es sie durcheinander brachte, in seiner Nähe zu sein, weil sie ihn trotz ihres Entschlusses immer noch wollte? Oder dass sie eifersüchtig auf die schwarzhaarige Werwölfin war, die höchstwahrscheinlich gerade ihre Bekanntschaft mit James besonders gründlich auffrischte? Wie könnte sie ihm jetzt von der Schwangerschaft erzählen, wo sich das alles doch zu einem immer größer werdenden Haufen voller Probleme entwickelte, mit dem sie einfach nicht mehr fertig wurde? Gar nicht und das war auch ein Problem.

Im Haus war es still und alle Lichter waren aus, weshalb wenigstens der alte Werwolf ihr den Gefallen tat und nicht auf der Bildfläche erschien. Eigentlich hatte Delilah vorgehabt, sofort in ihr Zimmer zu gehen, um sich unter der Bettdecke zu verkriechen, doch bereits im Flur konnte sie noch die Reste ihres Abendessens wittern, weshalb sie kurzentschlossen in der Wohnküche das Licht anmachte.

Wie sie erwartet hatte, war der Abwasch noch nicht erledigt worden, obwohl wenigstens das Geschirr schon feinsäuberlich gestapelt zum Spülen bereit stand. Also ließ sie Spülwasser ein und krempelte währenddessen die Ärmel ihrer Bluse hoch. Vielleicht würde Delilah die Arbeit gut tun, um auf andere Gedanken zu kommen und wenn sie schon sonst nichts zu ihren Unterhalt beitragen konnte, dann wenigstens das.

Kaum dass sie mit dem Abwasch begonnen hatte, kam Dean in die Küche und schnappte sich ein Geschirrtuch, um ihr zu helfen, ohne jedoch noch einmal zu versuchen, ein Gespräch zu beginnen. Stattdessen arbeiteten sie eine Weile einträchtig nebeneinander her, bis sie selbst es war, die das Schweigen brach.

"Warum hast du es ihm gesagt?" Delilah versuchte es nicht anklagend klingen zu lassen, aber sie konnte Dean dabei auch keinen Moment lang ins Gesicht schauen, obwohl sie immer noch das Bild von heute Morgen vor Augen hatte, als der Riss in seiner Unterlippe noch deutlich zu sehen gewesen war.

Dean hielt für einen Moment in seiner Tätigkeit inne, ehe er betont langsam den Teller in seiner Hand an den dafür vorgesehenen Platz stellte. Er fragte nicht einmal nach, was genau sie denn meinte, also musste er es ganz genau wissen.

"Wir haben keine Geheimnisse voreinander.", erklärte er schließlich leise und schnappte sich den nächsten Teller. Auch sie arbeitete weiter, obwohl sie gerne noch einmal gefragt hätte, warum genau sie sich geprügelt hatten. Sie wollte jedoch nicht noch einmal angelogen werden und inzwischen konnte sie es sich auch irgendwie denken, was es damit auf sich hatte. Ein Grund mehr, warum sie das mit James so irritierte. War das mit dieser Nadine nun sein Ernst, oder eher die Rache dafür, dass sie mit seinem Bruder geschlafen hatte? Gott, sie wusste es einfach nicht. Genauso wenig, wieso sie das überhaupt so sehr beschäftigte.

"Warum hast du damals die Fotos mitgehen lassen?"

Delilah ließ vor Überraschung beinahe den Topf in ihren Händen fallen, also legte sie ihn vorsichtig zurück ins Wasser, wo sie ihn behutsam zu schrubben begann, während sie über Deans Frage nachdachte. Wie er jetzt darauf kam, war ihr nicht klar, aber er hätte es nicht auf den Tisch gebracht, wenn es ihn nicht beschäftigen würde.

"Ich … weiß es nicht genau." Zumindest war sie sich nicht mehr so sicher. Inzwischen war so viel passiert und das Bild hatte immer mehr an Bedeutung für sie gewonnen.

"Ich denke, ich wollte einfach etwas haben, das mich an diese Tage erinnern würde. An die Zeit, als ich beinahe gestorben wäre und ich so absolut gründlich wachgerüttelt worden bin."

"Wovon?" Dean hatte aufgehört, Geschirr abzutrocknen und sah sie stattdessen abwartend an. Zunächst begriff Delilah nicht, da sie immer noch mit seiner Frage beschäftigt war, doch dann fiel ihr Blick auf ihre ruhenden Hände und dass es für ihn nichts mehr gab, was er hätte abtrocknen können.

Langsam zog sie den sauberen Topf aus dem Wasser und reichte ihn an Dean weiter.

"Von der Art wie ich davor gelebt habe." Es fiel ihr unglaublich schwer, das zuzugeben, aber sie konnte ihre Worte nicht stoppen. "Ich habe in meinem Leben schon so viel Zeit verschwendet und absolut nichts erreicht. Allerdings ist mir das erst an diesem einen Tag so richtig klar geworden…"

"Verstehe."

Ob er das wirklich tat? Delilah hatte da so ihre Zweifel, wenn man bedachte, wie das Leben der Brüder im Gegensatz zu ihrem aussah. Es war ein Unterschied wie Tag und Nacht.

"Und warum hast du uns beide gewollt und nicht bloß einen von uns?", wollte er weiter wissen. Seinem Tonfall entnahm man keinerlei Gefühlsregung, die ihn irgendwie in die eine oder andere Richtung verraten hätte. Ja, sie könnte sogar schwören, dass er sich vollkommen ruhig und gelassen anhörte, obwohl diese eine Frage absolut ausreichte, um eine Welle an Adrenalin durch ihren Körper zu jagen. Warum fragte er sie das?

"Ich…" Sie kam ins Stocken. Es wollte ihr einfach nicht über die Lippen und es half dabei auch überhaupt nicht, dass er kaum einen halben Meter von ihr entfernt da stand und auf weiteres Geschirr wartete, das sie ihm momentan nicht geben konnte, da ihre Finger zu sehr im Spülwasser zu zittern begonnen hatten. Das Thema war einfach so verdammt nahe an dem wahren Grund ihrer Anwesenheit hier, dass es ihr die Sprache verschlug.

"Warum, Deli?" Er kam noch näher und berührte ihr Kinn um ihren Blick auf sich zu ziehen. "Du hättest James wegschicken können. Oder mich. Warum hast du dich für uns beide entschieden?"

Diese Augen… Verdammt, diese Augen!

"Weil…" Das Zittern begann sich auch auf ihren Körper auszubreiten, während ihr das Herz bis zum Hals schlug.

"Es … war für mich einfach keine Frage der Entscheidung. Nicht zwischen dir und ihm."

Sie konnte genau erkennen, dass sich bei ihren Worten etwas in Deans Augen veränderte. Aber nicht genau was. Zudem berührte er sie immer noch am Kinn, so dass sie den Rest seiner Gesichtszüge nicht wirklich lesen konnte. Dafür war er schon viel zu nahe und sie konnte mit jeder Faser ihres Körpers spüren, dass er sie küssen wollte, doch er tat es nicht. Stattdessen ließ er sie schließlich los und trat zurück, so dass sie endlich wieder tiefer durchatmen konnte.

"Geh ruhig ins Bett, Delilah. Ich mach' das hier schon fertig." Seine Stimme klang rau und leicht belegt, doch sein Blick war ernst und unergründlich.

"Ich…" Sie zögerte noch einen Moment. Deutlicher hätte er sie wohl nicht mehr entlassen können, also senkte sie den Blick und trocknete sich noch rasch die Hände an dem feuchten Geschirrtuch ab.

"Danke. Gute Nacht."

"Nacht."

Es wollte ihr die Nackenhärchen zu Berge stellen, als sie sich umdrehte und selbst dann noch seinen Blick auf ihrem Rücken zu spüren glaubte, als sie schon längst in ihrem Zimmer verschwunden war.

Was zum Teufel war das gerade gewesen?

18. Kapitel

Oh Mann. Auf wie viele unterschiedliche Arten konnte man seine Wäsche denn bitte schön waschen? Dass man die Temperatur und die Schleuderstärke einstellen konnte, war sogar für Delilah klar und das ergab für sie auch Sinn, aber was sollten all die anderen Knöpfe und Funktionen bedeuten?

Ratlos starrte sie die Waschmaschine der Familie McKenzie an. Sie hatte Dean zwar gefragt, ob sie ihre Wäsche waschen durfte, aber außer einem "Ja, klar." war nichts von ihm gekommen. Keine Hilfestellung, noch nicht einmal seine Anwesenheit als Verstärkung. Stattdessen hatte er sich wieder unter dem Wagen verkrochen, an dem er auch schon gestern gearbeitet hatte und so wie sie diese Art der knappen Unterhaltung interpretierte, würde er auch noch eine ganze Weile nicht mehr darunter hervor kommen. Delilah war also auf sich allein gestellt, denn James war selbst um zehn Uhr morgens noch nicht zu Hause erschienen.

Eine Tatsache, die ihr überhaupt nichts ausmachte. Absolut nicht.

Das Einzige, was sie hier wirklich nervte, war die Annahme, sie könne mit einer Haushaltswaschmaschine genauso gut umgehen, wie mit den einfach zu handhabenden Teilen im Waschsalon, nur weil sie XX-Chromosomen besaß. Leider weit gefehlt.

"Komm schon, Baby. Sei schön brav und fang an zu waschen." Vorsichtig drückte Delilah den ON-Knopf, nur um erneut auf dem Display ein gesperrtes Schlosssymbol zum Aufleuchten zu bringen.

"Verdammt noch mal!" Sie konnte sich gerade noch genug beherrschen, um nicht gegen die Maschine zu treten.

"Probleme mit der Technik?"

Erschrocken wirbelte sie herum. Ihr Herz sackte sofort deutlich spürbar in den Magen als sie den Mann erkannte, der da den Türrahmen komplett ausfüllte.

Elija McKenzie lehnte lässig mit verschränkten Armen dagegen; wie immer einen grimmigen Ausdruck auf dem vernarbten Gesicht und sah sie auf eine Weise an, als würde er sie vollkommen durchschauen. Sie hätte in voller Skimontur vor ihm stehen können und würde sich immer noch nackt fühlen. Noch dazu hatte sie den Eindruck, als stünde er nicht erst seit einer halben Minute dort.

Scheiße. Hatte er sie etwa beobachtet?

"Man sollte doch meinen, dass eine geschickte Wölfin wie du, die bestimmt schon ziemlich viel in der Welt herumgekommen ist, so etwas Simples wie eine Waschmaschine im Griff hat." Er lächelte grimmig, löste sich dann mit einem Ruck vom Türrahmen und kam direkt auf sie zu, ohne auch nur einmal die eisblauen Augen von ihr zu nehmen.

Wie schon bei seinen Söhnen, schien sein intensiver Blick sie festzuhalten und selbst wenn er sie nicht so eindringlich angesehen hätte, würde seine bloße Gegenwart dazu ausreichen, sie bewegungsunfähig zu machen.

Eigentlich hätte Delilah gedacht, dass sie damit inzwischen abgeschlossen hatten, nachdem die letzten Tage so ruhig in seiner Gegenwart verlaufen waren. Sie hatte sogar fast schon begonnen, sich in seiner Nähe ein bisschen zu entspannen. Was für einen riesigen Fehler sie mit dieser Nachlässigkeit gemacht hatte, musste sie nun am eigenen Leib erfahren. Der alte Werwolf blieb so dicht vor ihr stehen, dass er einen Schatten auf sie warf und sein Atem sogar ihre Haare bewegte.

Delilah war sich nicht zu schade, zu zugeben, dass sie plötzlich eine Scheißangst hatte, doch sie wagte es nicht einmal zu blinzeln.

"W-Wie b-bitte?" Ihre Stimme war nur noch ein Krächzen und es verschlug ihr endgültig den Atem, als der Kerl sich mit seinen riesigen Pranken an der Waschmaschine abstützte und sich auch noch zu ihr herabbeugte, so dass seine Lippen beinahe ihren völlig schutzlosen Hals berührten, während seine Arme sie regelrecht gefangen hielten.

Delilah konnte die werwolfstypische Hitze seines Körpers deutlich auf ihrer Haut spüren und zweifelte keine Sekunde daran, dass er ihr so ohne weiteres die Kehle herausreißen könnte, während sie noch nicht einmal die Kraft aufbrachte, sich gegen seine Annäherung zur Wehr zu setzen.

Sie war vollkommen erstarrt.

Elija McKenzie – der Großvater ihres ungeborenen Kindes – sog tief den Atem ein und brachte sie damit nun endgültig zum Beben. Er würde sie jeden Augenblick umbringen oder ihr zumindest gewaltige Schmerzen zufügen. Da war sie sich fast sicher. Seine Ausstrahlung war da einfach kompromisslos.

"Ich habe dich beobachtet." Er hob leicht den Kopf und zwang sie damit, ihm wieder in die Augen zu sehen. Seine Stimme war viel zu ruhig, um normal zu sein.

Es war die schiere Angst, die es ihr überhaupt ermöglichte, seinen Blick zu erwidern.

"Ich habe darüber nachgedacht, warum du hier bist und ob es dir selbst überhaupt bewusst ist, was du da mit dir herumschleppst."

Was? Wusste er etwa, dass-

"Inzwischen bin ich mir sicher, dass du es weißt und darum wundert es mich doch sehr, dass du meinen Söhnen immer noch nichts davon erzählt hast, obwohl du dir alle Mühe gibst, sie gegeneinander aufzustacheln." Er schnaubte finster. "Meine Geduld ist jetzt am Ende. Ich werde es nicht zulassen, dass du den beiden noch mehr zusetzt oder einem meiner Söhne irgendein Kind andrehst, nur damit du den Ballast los bist und anschließend wieder in der Weltgeschichte herumhuren kannst!"

Wut flammte in seinen Augen auf. Wut, die sie umbringen konnte, wenn sie nicht endlich den Mund aufbrachte, um ihm alles zu erklären. Immerhin machte sie das nicht mit Absicht und es war kein Kuckuckskind, sondern das Kind von einem seiner Söhne!

"D-Das-"

"Sei still!" Er fuhr ihr einfach verbal über den Mund.

Inzwischen war der gesamte Raum erfüllt von seiner geballten Aggressivität, so dass sie kaum noch atmen konnte.

"Ich gebe dir noch bis Ende der Woche Zeit, es ihnen zu sagen. Solltest du bis dahin nicht mit der Wahrheit heraus gerückt sein, werde ich persönlich dafür sorgen, dass du keinen Fuß mehr auf mein Land setzten wirst, egal was sie davon halten. Hast du mich verstanden?!"

Sein Blick bohrte sich in den ihren. Es musste Delilah irgendwie gelungen sein, wenigstens zu nicken, obwohl sie ihren eigenen Körper nicht mehr zu spüren glaubte. Stattdessen war sie wie festgefroren, selbst als der Werwolf endlich von ihr abließ und verschwand. Erst als plötzlich die Waschmaschine in ihrem Rücken zum Leben erwachte, gaben ihre Füße unter ihr nach und sie rutschte an dem kalten Metall zu Boden.

Delilahs Augen brannten und ihr Körper bebte so stark, wie sie es noch nie erlebt hatte, doch sie war auch zu geschockt, um klar zu denken, oder gar zu weinen. Die panische Angst saß ihr immer noch in sämtlichen Knochen, während die Waschmaschine in ihrem Rücken seelenruhig ihrer Arbeit nachging.
 

Erst der Schleudergang hatte sie genug durchgerüttelt, um Delilah wieder auf die Beine zu zwingen. Sie fühlte sich immer noch wie betäubt und mehr als zittrig, als sie mit dem Korb voller feuchter Wäsche den Wirtschaftsraum verließ, um sie hinterm Haus auf die Wäscheleine zu hängen, aber wenigstens konnte sie sich wieder bewegen.

Dem alten Werwolf begegnete sie dabei nicht mehr, was auch gut so war, denn eine weitere Art dieser Begegnung würde sie heute nicht mehr verkraften. Sie wurde kaum mit der letzten fertig.

Unfähig auch nur einen zusammenhängenden Gedanken zu denken, hängte Delilah wie ein Zombie ihre wenigen Sachen auf und als sie damit fertig war, blieb sie einfach unschlüssig stehen.

Was sollte sie jetzt tun?

Die Frage bezog sich nicht nur auf jetzt, sondern war so weitreichend, dass eine sofortige Antwort darauf noch schwieriger zu finden war, obwohl … eigentlich hatte sie ohnehin keine andere Wahl, nicht wahr?

Das Geräusch eines Wagens in der Einfahrt drang zu ihr durch, doch zunächst war es ihr gleichgültig, bis Delilah wieder einfiel, dass es James sein könnte. Nun da sie mit so überzeugenden Mitteln zur Wahrheit gedrängt worden war, sollte sie die Gelegenheit ergreifen und es den Zwillingen sagen. Ohne Wenn und Aber. Die Angst vor dem Vater der beiden saß im Augenblick noch tief genug, um ihr gar keine andere Wahl zu lassen. Also stellte sie den leeren Wäschekorb auf der Veranda ab und marschierte auf die Werkstatt zu. Der Wagen war inzwischen wieder verschwunden, aber James' Witterung hing noch frisch in der Luft. Allerdings nicht nur seine.

Wieder wollten sich Delilahs Nackenhaare sträuben, doch für Eifersucht hatte sie im Augenblick die wenigste Kraft, also schluckte sie das Gefühl wieder hinunter.

"Na endlich. Das wurde aber auch Zeit, dass du hier mal aufkreuzt. Was sollte eigentlich die Scheiße gestern?"

Das Geräusch eines klirrenden Schraubenschlüssels ließ Delilah mitten im Schritt verharren. Sie musste noch nicht einmal in die Nähe des halb geöffneten Tores kommen, um den Gestank von aufkeimender Wut zu wittern.

Nein, bitte. Nicht schon wieder…

"Reg' dich ab. Es ist schließlich Sonntag und außerdem bist du der Letzte, der mir einen Vortrag über irgendwelchen Scheiß halten sollte." James ging direkt am Eingang der Werkstatt vorbei direkt zu dem kleinen Kühlschrank, den sie dort hatten, um sich ein Bier heraus zu holen. Inzwischen rollte Dean unter dem Wagen hervor, um gleichauf mit seinem Bruder zu sein. Keiner der beiden bemerkte, wie sie da mitten in der Einfahrt stand und dem Streit unter Geschwistern zuhörte.

"Seit gestern ist die Sache erledigt und das wüsstest du, wenn du auch nur eine Sekunde deine Augen von Nadine gelassen hättest."

"Ach, das sagt gerade der Richtige. Wir wären gar nicht erst in die Situation gekommen, wenn du deine Finger von Delilah gelassen hättest." James schnaubte verächtlich, während er sein Bier ruppig an der Kante des Kühlschranks öffnete und Delilah bei Erwähnung ihres Namens endgültig in Deckung ging.

"Verrat mir eines, J. Würde dich das Ganze überhaupt jucken, wenn Nadine ein paar Tage früher aufgekreuzt wäre? Glaub nicht, ich könnte sie nicht an dir riechen und so wie ich euch beide kenne, habt ihr bestimmt die ganze Nacht lang gefickt wie die Karnickel. Also tu nicht so, als würde die Sache zwischen Deli und mir dich irgendwie beschäftigen. Nicht nachdem du sie gestern einfach so für dieses Weib hast stehen lassen!"

"Was sollte ich denn sonst tun? Euch beim Händchenhalten zusehen? Oder wie ihr euch gegenseitig mit Blicken fickt, während ihr so tut, als würdet ihr tanzen? Hast du überhaupt auch nur die geringste Ahnung, wie sie dich ansieht?! Erzähl mir also nicht, das wäre einfach nur Sex gewesen. Für dich vielleicht, aber für sie garantiert nicht. Delilah hat sich entschieden und oh Wunder, der Glückliche bist wieder einmal du, Bruderherz."

"Nein, das hat sie noch lange nicht."

Deans Einwand klang nicht nur durch die Entfernung schwach, dennoch reichte selbst diese Distanz nicht dazu aus, die Worte weniger schmerzhaft zu machen und trotzdem konnte Delilah sich nicht dazu durchringen, einfach zu gehen.

"Erzähl das jemandem, der es dir auch abkauft. Mir brauchst du damit auf jeden Fall nicht auf den Sack zu gehen. Also wenn du willst, dass ich dir mit dem Wagen helfen soll, hältst du jetzt besser die Klappe."

Jemand trat gegen eine Tonne und ließ sie damit erschrocken zusammen fahren.

"Du bist so ein verdammter Idiot! Manchmal kann ich echt nicht glauben, dass wir tatsächlich verwandt sind! Nur zu, geh und fick diese Schlampe, wenn du glaubst, dass es dir dadurch besser geht, aber komm später nicht zu mir angekrochen, wenn sie dir wieder einmal das Herz bricht. Und nur zu deiner Information: Mit dem Wagen komm' ich ganz gut alleine klar, also nimm dein Bier und verpiss dich aus unserer Werkstatt. Für heute hab ich genug von deiner Fresse."

"Ha, dann verhäng am besten alle Spiegel, verdammter Arsch!"

Delilah schlug sich die Hand vor dem Mund, um keinen Ton von ihren Lippen entweichen zu lassen, während James kaum zwei Schritte an ihr vorüber rauschte und sie in seiner Wut nicht einmal im Schatten neben dem Eingang bemerkte. Er verschwand einfach im Haus, ohne sich umzusehen und auch aus der Werkstatt konnte sie nur noch ein paar Sachen fliegen hören, ehe wieder Ruhe einkehrte.

Ihre Welt verschwamm vor ihren Augen, doch bevor auch nur der erste Schluchzer ihre Kehle verließ, war Delilah schon weit genug entfernt, um sich nicht zu verraten.
 

Das dumpfe Geräusch des Steins, der im Wasser versank, klang genauso hol und nichtssagend, wie das betäubte Gefühl in ihrer Brust. Delilah war stundenlang zu Fuß unterwegs gewesen. Hatte einfach nicht stehen bleiben können, obwohl sie die meiste Zeit kaum etwas während der Heulkrämpfe hatte sehen können. Es glich fast einem Wunder, dass sie es trotz der verstopften Nase bis hierher geschafft hatte.

Deans Weiher lag immer noch so friedlich da, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte. Selbst im roten Schein der untergehenden Sonne.

Sie konnte nicht mehr zurück.

Hatte Delilah vor ein paar Stunden noch geglaubt, sie wäre ängstlich genug, um sich endlich dieser einen Aussprache zu stellen, so gab es hier und jetzt nichts mehr, das ihr noch so viel Angst machen konnte, um sie dazu zu zwingen. Hier an diesem friedlichen Ort war sie endlich zur Ruhe gekommen. Natürlich würden ihre Probleme deshalb nicht verschwinden, sondern immer noch auf sie warten, wenn sie zurückkam, aber umso länger sie hier saß, umso öfter fragte sie sich, ob sie das überhaupt noch konnte.

Delilah hatte die Brüder noch nie so miteinander reden hören. So wütend und boshaft. Es hatte ihr beinahe so viel Angst gemacht, wie das Gespräch mit ihrem Vater davor. Wie konnte sie auch nur annähernd glauben, in diesem Haus noch willkommen zu sein? Dean war vielleicht noch die einzige Person an ihrer Seite, doch so wie sich James heute gebärdet hatte, bezweifelte sie, dass auch nur ein winziger Rest von dem Wolf übrig geblieben war, der sich ihr gestern noch unterworfen hatte. Was ihr im Moment sogar am Meisten zu schaffen machte.

Delilah verstand ihn einfach nicht. Gestern Abend schien doch noch alles in Ordnung gewesen zu sein. Bevor sie in dieser Bar gewesen waren, hatte er ihr geduldig wie eh und je gezeigt, wie man Hasenbraten machte. Er hatte dabei weder besonders gekränkt, noch sauer gewirkt. Ja, vielleicht hin und wieder ein bisschen abwesend, aber nichts worüber sie sich allzu große Gedanken gemacht hätte, war er doch immer noch zum Scherzen aufgelegt. Doch was war jetzt? Jetzt kam er die ganze Nacht nicht nach Hause und wenn er es tat, stritt er sich mit seinem Bruder, als hätte der ihm gewaltig in die Eier getreten. Noch dazu hatte er tatsächlich mit dieser Nadine geschlafen. Anders konnte man nicht den intensiven Geruch der Werwölfin an ihm erklären.

Allein der Gedanke ließ sie wütend die Hand um den nächsten Stein ballen, der in weitem Bogen übers Wasser flog, um irgendwo in der Dämmerung zu verschwinden.

Es war Delilah durchaus klar, warum er das getan hatte, wenn sie Deans Worten glauben konnte. Scheinbar empfand James etwas für diese Frau und nachdem sie sich so lange nicht mehr gesehen hatten, mussten eben wieder alte Gefühle hochgekocht sein. Aber was sie sich nicht erklären konnte, war ihre enorme Eifersucht auf diese Werwölfin. Delilah konnte sich zwar oft genug einreden, dass sie James einfach nur auf ihre Weise vor dieser Tussi beschützen wollte, da sie diese Frau keine Sekunde lang sympathisch gefunden hatte, aber im Grunde war es doch nur eine Lüge. Sie war eifersüchtig und daran ließ sich nicht rütteln. Auch wenn es so viel leichter wäre, sich Dean vollends zuzuwenden. Sein Interesse an ihr war so subtil, wie seine Küsse zärtlich waren. Er machte keine große Sache daraus; hatte sich ihr aber deutlich mitgeteilt.

Gut, zugegeben gestern Abend war nach ihrem Gespräch etwas in ihm vorgegangen, das sie nicht verstand, aber heute Morgen war beim Frühstück alles normal verlaufen und er hatte sie – wieder einmal – gekonnt von der Abwesenheit seines Bruders abgelenkt, obwohl sie das die ganze Zeit zu beschäftigen drohte. Darum hatte sie ihm auch durchaus seine Ruhe zugestanden, nachdem er auf seine Art mitgeteilt hatte, er würde den ganzen Tag mit dem Wagen beschäftigt sein. Bei Gott, ihr selbst ging genug im Kopf herum. Es wäre egoistisch gewesen, ihm nicht ebenfalls die Möglichkeit zum Nachdenken zu geben. Genau darum hatte es auch weh getan, als James behauptet hatte, Delilah wäre die Einzige gewesen, die bei dem Sex etwas empfunden hätte und es tat auch jetzt noch weh.

Ach, verdammt. Sie wusste einfach nicht mehr was sie glauben oder tun sollte und inzwischen war auch noch die Sonne endgültig unter gegangen.

Delilahs Nachtsicht war zwar gut, aber sie war sich trotzdem nicht mehr sicher, ob sie auch im Dunkeln den Weg zurück finden konnte, oder ob sie das überhaupt wollte. Es wäre so viel einfacher, wenn sie einfach nur hier sitzen bleiben könnte.

Das leise Geräusch eines knackenden Zweiges ging beinahe in ihrem tiefen Seufzer unter, an dem sie sich fast verschluckte, da sie es trotzdem gehört hatte. Sofort war sie auf den Beinen und spähte in die tiefen Schatten zwischen den Bäumen, die alles und jeden einfach zu verschlucken schienen.

Langsam ging sie in die Hocke, um ein kleineres Ziel abzugeben und sie würde sich sicherlich kein Beispiel an den schlechten Horrorfilmen nehmen und laut fragen, ob da jemand sei. Denn dass jemand hier war, spürte sie auch so, auch wenn ihre Nase noch zu verstopft war, um etwas wittern zu können.

Langsam und ohne auch nur das kleinste Geräusch von sich zu geben, begann sie ihre Bluse aufzuknöpfen und sie sich von den Schultern zu ziehen. Während sie auch langsam den BH auszog, ließ sie den Waldrand keine Sekunde lang aus den Augen. Das Knacken hatte sich zwar nicht widerholt, aber sie glaubte etwas in den Schatten gesehen zu haben. Etwas verdammt Großes hatte sich darin bewegt. Hoffentlich kein Bär auf Nahrungssuche. Gab es hier überhaupt Bären?

Scheiße!

Ihre Nerven lagen blank, als sie endlich auch die Hose abstreifen und sich verwandeln konnte. Danach ging alles verdammt schnell. Delilah stürzte sofort in die andere Richtung aus der das Geräusch gekommen war, um vor diesem was auch immer es war zu fliehen. Allerdings kam sie nur ein paar Meter weit, da traf ein schweres Gewicht sie im Rücken und nagelte sie regelrecht auf dem Boden fest. Heißer Atem strich über ihren Nacken und in ihrem Augenwinkel konnte sie das wenige Licht auf blanke Reißzähnen fallen sehen. Mehr brauchte es nicht, um sie wieder ein paar Stunden in der Zeit zurück zu versetzen.

Delilah begann um ihr Leben zu kämpfen.

19. Kapitel

Delilah wehrte sich mit allem, was ihr in dieser Form zur Verfügung stand. Sie trat, biss und schlug wie wild um sich, obwohl sie kaum etwas damit erreichen würde und gerade deshalb überraschte es sie doch sehr, wie leicht es ihr fiel, den um so vieles größeren Angreifer abzuschütteln. Ganz so als würde er absichtlich den taktischen Fehler begehen und sein Gewicht von ihr nehmen, nachdem sie sich so stark zu wehren begonnen hatte.

Einen harten Tritt mit ihren Hinterläufen setzte sie dennoch drauf, um auf Nummer sicher zu gehen, ehe sie sich vollends befreien konnte, während ihr Angreifer sich winselnd zurück zog, da ihre letzte Attacke wohl voll ins Schwarze getroffen hatte.

Delilah wartete nicht erst ab, bis dieser sich wieder erholt hatte, sondern sprintete auf der Stelle los. So etwas wie ein Triumphgefühl konnte sie auch noch später zulassen, sobald sie wieder in Sicherheit war.

"Verdammte Scheiße! Und ich dachte immer, du meinst es gut mit meinen Eiern."

Sie stockte. Dean?!

Ihr Verstand und ihr Instinkt gingen mit einem Schlag in eine vollkommen andere Richtung, so dass sie im vollen Lauf aus dem Tritt kam, stolperte und mit der Schnauze voran einen kleinen Graben in den Boden pflügte. Wenigstens blies ihr die Bruchlandung die Nase frei, so dass sie auch endlich wieder etwas wittern konnte und oh Überraschung, es roch hier tatsächlich nach Deans wölfischer Seite. Wäre besser gewesen, sie hätte das schon früher gewusst.

Erde und halb verrottete Tannennadeln spuckend kam Delilah wieder auf die Pfoten, schüttelte sich kurz und machte eine Kehrtwende, um Dean das Fell über die Ohren zu ziehen, nachdem er ihr so einen verdammten Schrecken eingejagt hatte. Für einen Moment hatte sie tatsächlich geglaubt, sein Vater würde lieber gleich mit ihr aufräumen, anstatt noch eine Woche länger zu warten.

Keine zwei Meter von Dean entfernt, der immer noch nackt am Boden kauerte, verwandelte sie sich wieder zurück. Das wölfische Vokabular war ihr im Augenblick eindeutig zu dürftig, um damit etwas Brauchbares anfangen zu können.

"Sag mal, hast du sie noch alle?"

"Das Gleiche könnte ich dich fragen. Blueballs fühlt sich dagegen wie 'ne sanfte Massage an." Dean kam stöhnend auf die Beine und atmete einmal tief durch, ehe er sie mit seinem Blick an Ort und Stelle festpinnte. "Aber einmal ganz davon abgesehen, wie du meine Kronjuwelen behandelt hast - kannst du mir vielleicht erklären, warum ich stundenlang im Wald herumrennen musste, um dich zu suchen? Oder hast du auch nur die geringste Ahnung davon, welche Sorgen ich mir gemacht habe, nachdem ich dich nirgendwo auf der Ranch habe finden können? Noch nicht einmal einen Zettel mit einer kurzen Nachricht darauf, wo du vielleicht stecken könntest?"

Es waren nicht Deans Worte oder sein Schmerz, sondern sein ruppiger Tonfall, der ihr vollkommen die Luft herausließ. Es klang danach, als hätte er sich ernsthaft Sorgen um sie gemacht und irgendwie hätte sie das am Ende doch nicht erwartet.

"Es … es tut mir leid. Ich hab nicht daran gedacht, dass ich irgendwie vermisst werden könnte." Hatte sie wirklich nicht und zum Dank dafür, dass er sich Sorgen um sie machte, schnauzte sie Dean auch noch an und misshandelte seine Weichteile. Das hatte sie wieder einmal super hingekriegt.

Deans Stimme wurde zwar ruhiger, aber in seinen Augen stand noch deutlich die Wut und sie bildete es sich sicherlich nicht nur ein, dass sein Körper leicht bebte.

"Nein, das hast du offensichtlich nicht. Überhaupt bekomme ich langsam den Eindruck, dass du dir nie darüber Gedanken machst, obwohl du das auf jeden Fall einmal versuchen solltest. Denn dann bekommst du vielleicht einmal eine Ahnung davon, wie es ist, wenn man am nächsten Morgen aufwacht und die Person, um die man sich gekümmert hat, einfach ohne ein Wort verschwunden ist."

Langsam kam er näher. Den Blick immer noch auf sie gerichtet. Seine Züge hart und ernst. "Ich garantiere dir, dieses Gefühl vergisst man nie. Ganz besonders dann nicht, wenn man zuvor - zum ersten Mal überhaupt in seinem Leben - damit beschäftigt war, sich um ein Leben zu sorgen, das nicht das eigene oder das eines geliebten Bruders ist."

Dicht vor ihr blieb er stehen.

Delilah musste ihren Kopf in den Nacken legen, um weiterhin in seine Augen sehen zu können, in denen sich so viele Gefühle abspielten, wie sie es von Dean gar nicht gewohnt war. Eigentlich hatte sie eher den Eindruck, er würde sich mit seinen Gefühlen immer zurück halten, aber im Augenblick war nicht viel davon zu erkennen, denn auch seine Worte trafen sie tief.

"Das … wusste ich nicht…", gab sie leise zu und Delilah hätte es auch nicht geglaubt, wenn jemand anderes ihr das über die Brüder erzählt hätte. Doch in Deans Blick war kein Platz für Lügen, nur für die Wahrheit und noch ein paar anderen Dingen, die sie nicht einfach übersehen konnte.

Er streckte die Hand aus, schob sie in ihren Nacken und zog sie nicht gerade sanft zu sich heran. Nackte Haut traf auf nackte Haut, doch es war der Ausdruck seiner Augen, der Delilah am Intensivsten berührte.

"Das ist mir klar. Ansonsten würdest du ein bisschen mehr Rücksicht auf James oder mich nehmen. Also lass dir besser einen verdammt guten Grund einfallen, wieso wir jetzt beide hier nackt im Wald stehen und erzähl mir nicht, du hättest dich verlaufen. Das kaufe ich dir nämlich nicht ab."

Delilah schob so unauffällig wie möglich ihre Hände zwischen Deans Körper und ihren nackten Brüsten, die eindeutig nicht nur darauf oder auf die kühle Abendluft reagierten, während sie seinem Blick standhielt und nach einer Antwort suchte.

"Ich … musste einfach raus; mir dringend die Beine vertreten und nachdenken." Und das war nicht einmal gelogen, wenn auch nicht unbedingt die volle Wahrheit. Was Dean sehr wohl zu spüren schien.

"Und weiter?" Er hob seine andere Hand, um ihr etwas Dreck von der Wange zu wischen, allerdings ohne sie dabei zu lange aus den Augen zu lassen.

Delilah atmete so tief ein, wie es ihr in ihrer derzeitigen Lage möglich war, ohne dabei zu viel von Dean zu berühren, auch wenn das kaum etwas brachte. Er war so verflucht nahe und jede Zelle in ihr, schien das ganz genau zu wissen.

"I-Ich habe euren Streit gehört."

Dean hielt in seiner Bewegung inne und Delilah begann seinem Blick auszuweichen. Er ließ es ihr jedoch keine Sekunde lang durchgehen. Stattdessen wanderten seine Finger unter ihr Kinn und hoben es an, so dass sie wieder gezwungen war, ihn anzusehen.

"Was genau hast du gehört?"

Sie zögerte. "Alles."

Für einen Moment sah er sie vollkommen regungslos an, doch dann entkam ihm ein tiefer Seufzer und Dean ließ sie wieder los.

"Das tut mir leid."

Die plötzliche Kühle und die Leere unter ihren Händen waren nicht nur für ihren Körper verwirrend. Auch ihr Verstand brauchte einen Augenblick, um wieder in die Gänge zu kommen.

Delilah schlang ihre Arme um sich selbst. Nicht, dass ihr kalt gewesen wäre, schließlich hatte sie Gestaltwandlergene in sich, aber es war eben nicht mehr die Art von Wärme, die sie gerade eben noch hatte spüren können.

"Und was genau davon tut dir leid?"

"Alles?" Dean lächelte freudlos und begann sich den Nacken zu reiben. Eine Angewohnheit die sie bei ihm schon mehrmals beobachtet hatte, wenn er angespannt war. "Ein Streit unter Brüdern sollte auch unter Brüdern bleiben. Aber dafür ist es jetzt wohl schon zu spät."

"Also streitet ihr euch öfter?"

"Gelegentlich wenn wir mal wieder komplett anderer Meinung sind, aber meistens haben wir es gut im Griff."

Delilah könnte sich dafür ohrfeigen, dass sie bei Deans Geständnis beinahe erleichtert aufgeatmet hätte. Immerhin hatte sie befürchtet, dass nur sie es geschafft hatte, die Brüder so sehr zu spalten, dass sie sich gegenseitig anschrien. Was allerdings nichts daran änderte, dass sie dieses Mal der Grund für die starken Differenzen zwischen den Brüdern war und der Gedanke alleine brachte sie wieder auf den Boden der bitteren Tatsachen zurück.

"Gibt es denn keine Möglichkeit, das Kriegsbeil wieder zu begraben? Ich meine, ich weiß, dass ich mich zwischen euch gedrängt habe, aber ich will nicht, dass ihr euch deswegen in die Haare kriegt."

Dean hörte auf seinen Nacken zu massieren und sah sie dafür an, als hätte sie gerade etwas vollkommen Unverständliches gesagt.

"Deli, deine Person in allen Ehren, aber inzwischen hat das nicht mehr rein mit dir alleine zu tun und solange mein Bruderherz nicht wieder von selbst zur Vernunft kommt, kann man sowieso nicht mehr anständig mit ihm reden. In Eingeschnappt sein ist er nämlich Weltmeister."

Deshalb fühlte sie sich jetzt aber auch nicht besser und langsam begann ihr auch ihre Nacktheit etwas unangenehm zu werden.

"Stört's dich, wenn ich wieder meine Sachen anziehe?"

"Wenn es dich nicht stört, dass ich meine gar nicht dabei habe?"

Ehm, ja. Das hatte sie sich schon fast gedacht.

"Was sollte eigentlich dieser Überfall? Du hast mir damit einen wahnsinnigen Schrecken eingejagt. " Delilah setzte sich in Bewegung und achtete darauf, immer ein Stück vor Dean herzugehen, oder zumindest nicht zu ihm hinüber zu spähen, wenn er neben ihr war. Die Schatten hatten das meiste bisher verdeckt, aber nun da sie sich bewegten, fiel auch immer wieder einmal ein fahler Strahl des aufgehenden Mondes auf sie herab und da gab es dann wirklich keine Rätsel mehr zu lösen.

"Tut mir ja wirklich leid, aber anders hätte ich dich nicht erwischt. Hätte ich mich zuvor zurück verwandelt, um dich zu rufen, wärst du schon zu weit weg gewesen, immerhin hattest du es verdammt eilig, während ich mich noch voll und ganz auf deine Fährte konzentriert habe. Außerdem dachte ich, du würdest mich ohnehin gleich am Geruch erkennen. Was sollte eigentlich die Paranoia? Hier gibt’s Meilenweit nur Rehe und Hasen."

Ihre Sachen lagen noch dort, wo Delilah sie zurück gelassen hatte, weshalb sie auch einer Antwort auswich, in dem sie so tat, als müsse sie sich aufs Anziehen konzentrieren. Was auch nicht ganz falsch war, denn Dean drehte sich weder um, noch sah er in eine andere Richtung. Sie konnte seinen Blick deutlich auf sich spüren, selbst dann noch, als sie ihm den Rücken zukehrte, um in Ruhe die Bluse zuknöpfen zu können, ohne dabei ständig die falsche Reihenfolge zu nehmen.

"Euer Dad ist ganz schön furchteinflößend." Sie versuchte es locker klingen zu lassen, obwohl ihr allein bei dem Gedanken daran noch immer ein kalter Schauer über den Rücken lief. Aber wenigstens schien Dean den Zusammenhang nicht zu begreifen, sondern es als Themenwechsel anzusehen, auf den er auch einfach so einging.

"Das ist der Alpha in ihm. Er mag zwar kein Rudel mehr unter sich haben, aber er ist dazu geboren zu führen und zu leiten und das legt man am Ende der Führungszeit nicht so einfach ab. Man lernt damit zu leben, auch wenn's manchmal ganz schön hart werden kann, wenn da keine Gefährtin ist, die-" Er sprach nicht weiter.

"Die was-?" Delilah schloss den letzten Knopf und drehte sich langsam zu Dean herum, der nun doch den Blick über den still daliegenden Weiher schweifen ließ, während er in Gedanken wohl bei seiner Mutter war.

Delilah hatte den Unterschied zwischen einer gewöhnlichen Ehefrau und einer Gefährtin noch nie begriffen. Aber sie wurde immer wieder darin bestätigt, dass es da offenbar einen gab. Einen großen sogar.

"Die ihn besänftigt… Zwei kleine Jungs, die nur Dummheiten im Kopf haben, sind dafür nämlich nicht gerade geeignet." Dean stieß einen tiefen Seufzer aus.

Und eine Frau, die seiner Meinung nach einen seiner Söhne zu einem alleinerziehenden Vater machen wollte, so wie seine Gefährtin es mit ihm getan hatte, wäre ebenfalls nicht dafür qualifiziert. Dass Elija ein geborener Alpha war, hatte Delilah nicht gewusst, aber langsam begann sie seine riesige Wut auf sie zu begreifen. Selbst wenn ihr das nichts von ihrer Angst vor ihm nehmen konnte.

Deans gedankenverlorenes Schweigen und der emotionsreiche Tag waren wohl nur der Ansporn dazu; ganz sicher sogar lag es jedoch an ihrem Egoismus und dem Gefühl der Einsamkeit, die sie dazu brachten, wieder und wieder Fehler zu begehen. So auch jetzt, als sie sich schließlich vor Dean stellte, die Arme um seinen nackten Rücken schlang und ihre Wange gegen seinen Brustkorb drückte.

Warum überraschte es sie überhaupt, dass er ohne zu zögern und ohne Wenn und Aber einfach seine Arme um sie schlang und sie ebenfalls fest hielt? Kompromisslos und ohne gleich irgendeine Wertung hineinzulegen?

Dean schien im Gegensatz zu ihr so ganz genau zu wissen, was er wollte und sein schneller werdender Herzschlag dicht an ihrem Ohr machte die Sache nicht gerade leichter. Dabei begann auch ihr Herz dank seiner Nähe und Wärme zu rasen.
 

Es fühlte sich nur wie wenige Sekunden an, obwohl sie bestimmt minutenlang so dastanden und sich gegenseitig umarmten. Inzwischen war die Hitze von Deans Körper auch auf sie übergegangen, was vermuten ließ, dass Werwölfe sogar noch eine Spur wärmer als Gestaltwandler waren, oder es einfach ganz speziell an ihm lag. Delilah tippte eher auf Letzteres, aber es wäre nicht sehr klug, das genauer herausfinden zu wollen.

Natürlich war sie es, die sich zuerst von Dean löste und sie beide somit aus dieser kleinen Welt riss, die gerade für wenige Augenblicke nur ihnen beiden gehört hatte. Aber es war einfach besser so. Oder zumindest versuchte sie sich das einzureden.

"Wir sollten langsam zurück." Seine Stimme klang belegt und nicht gerade überzeugt. Vielleicht fiel es ihr deshalb so leicht, dagegen zu protestieren.

"Und wenn ich noch länger hierbleiben will?" Delilah drehte Dean den Rücken zu und machte ein paar Schritte in Richtung Weiher, in dem sich nun auch die Sterne und der Mond spiegelten.

"Ich will noch nicht gehen, Dean." Sie konnte einfach noch nicht. Allerdings konnte sie von ihm auch nicht erwarten, dass er bei ihr bleiben würde. Immerhin trug er nur sein Adamskostüm. Er würde zwar nicht frieren, aber-

"Dann bleiben wir."

Überrascht blickte sie über ihre Schulter zu ihm zurück. Dean machte es sich gerade im Ufergras gemütlich und streckte sich der Länge nach auf dem Rücken aus, so dass er sie oder die Sterne besser beobachten konnte.

Der Kerl besaß tatsächlich nicht das geringste Schamgefühl. Trotzdem würde sie sich jetzt kein Weinblatt zum Zensieren herbei wünschen. Seine Lässigkeit brachte sie sogar zum Lächeln.

"Und es macht dir wirklich nichts aus?" Delilah drehte sich nun doch wieder voll und ganz zu ihm herum und konnte nicht verhindern, dass sie einen flüchtigen und doch rein 'medizinischen' Blick auf seine Körpermitte warf. Zumindest äußerlich betrachtet, hatte er durch ihren Tritt keinen Schaden genommen.

"Nein. Absolut nicht."

Sein Tonfall war alarmierend, so dass Delilahs Blick sofort wieder in die Höhe und zu seinem Gesicht schoss. Er grinste sie tatsächlich amüsiert an, ehe er die Hand nach ihr ausstreckte. "Komm her, oder willst du mich noch länger anstarren? Nicht, dass ich etwas dagegen hätte. Ganz und gar nicht."

"Warum wundert mich das nicht?" Delilah ergriff seine Hand und ließ sich von ihm neben sich ins Gras ziehen.

Er hatte seinen Arm ausgestreckt, so dass sie ihren Kopf darauf ablegen konnte, machte aber keinerlei Anstalten, sie näher an sich heran zu ziehen. Stattdessen war sein Blick geradeaus auf die Sterne gerichtet, während sie sein Gesicht betrachtete.

"Du machst das nicht zum ersten Mal, oder? Ich meine, dass du dir hier die Sterne ansiehst."

"Nein. Ich bin gerne hier zum Nachdenken. Auch wenn's manchmal die ganze Nacht dauert."

Das konnte sie sich gut vorstellen. Der Ort hatte auch auf sie eine beruhigende Wirkung.

"Und worüber denkst du so nach?"

Dean warf ihr einen flüchtigen Blick von der Seite zu, ehe er wieder in den Himmel starrte.

"Und du?"

Darüber, dass du der Vater des Kindes sein könntest. Dass ich nicht den Mut aufbringe, es dir zu sagen. Oder dass mich das mit deinem Bruder zu gleichen Teilen verwirrt und verärgert…

Dabei war das nur die Spitze der Dinge, die sie alles in letzter Zeit beschäftigten.

Dean begann leise zu lachen. "Du bist genauso gesprächig wie ich. Wenn das so weiter geht, werden wir uns noch eine Beschäftigung suchen müssen, bei der man nicht reden muss."

"Hm." Was konnte man darauf schon erwidern, schließlich hatte er recht.

"Also gut, ich fange an." Dean drehte sich zu ihr auf die Seite und schon sein Blick alleine genügte, um es in ihrem Bauch ordentlich knistern zu lassen.

"Ich denke an meinen Bruder und dass er gerade dabei ist, wieder einen riesen Fehler zu machen."

Das Knistern ließ nur geringfügig nach, da es von einer Welle an Adrenalin übertrumpft wurde.

"Ich denke, ich bin der gleichen Meinung. Obwohl ich diese Frau nicht einmal kenne, ist sie mir total unsympathisch. Was ist deine Ausrede?"

"Als sie das letzte Mal mit ihm zusammen war, hat sie ihn mit anderen Typen betrogen – mich eingeschlossen."

"Was?" Delilah arbeitete sich auf die Ellenbogen hoch und starrte Dean entgeistert an, obwohl sie selbst absolut kein Recht hatte, über ihn zu urteilen. Sie hatte schon ganz andere Dinge mit Kerlen angestellt, die ihr vollkommen gleichgültig waren. Also sollte sie von ihrem hohen Ross wieder herunter kommen. Aber es war nicht das, was sie so sehr aufbrachte, sondern der Gedanke daran, dass Nadine auch mit Dean geschlafen hatte. Am liebsten würde sie der Schlampe hier auf der Stelle den Kopf abreißen.

"Entschuldige. Erzähl weiter." Langsam bettete sie ihre Wange wieder auf seinen immer noch ausgestreckten Arm und versuchte ruhig zu bleiben.

Dean nahm ihr ihren Ausbruch nicht übel, auch wenn er damit begonnen hatte, mit seiner anderen Hand Grashalme zu Köpfen.

"Ich weiß selbst, wie scheiße das war. Glaub mir. Aber zu der Zeit hatte ich nicht gewusst, dass James mit ihr zusammen war. Der Kerl hat mir ja nie etwas erzählt, wenn es um Mädchen ging."

"Und warum nicht? Ich dachte, ihr hättet keine Geheimnisse voreinander." Das wunderte sie doch sehr.

Dean riss derweil einen weiteren Grashalm aus, um ihn Stück für Stück kürzer zu machen.

"Früher war das anders. Wir waren anders. Als wir in die Pubertät kamen, verging eigentlich kein Tag, an dem wir uns nicht gestritten hätten. Meistens ging's dabei um Mädchen und seinem Vorwurf, ich würde sie ihm alle wegnehmen. Was totaler Blödsinn ist, wenn du mich fragst. Schließlich kann ich nichts dafür, dass wir in dieser Sache den gleichen Geschmack haben. Aber J lässt sich nicht von dem Gedanken abbringen. Schon gar nicht, wenn's um seine Naddy geht. Er glaubt heute noch, es wäre alles meine Schuld und sie wäre das Opfer dabei."

Ja, sicher. "Und wie kommt er darauf?"

Es folgten ganze Grasbüschel die geköpft wurden, bis Delilah sich ein Herz fasste und ihre Hand auf die seine legte, um ihn davon abzuhalten.

Dean zögerte zunächst noch, nahm dann aber ihre Hand in die seine und hielt sie fest. Den Blick immer noch auf das geköpfte Gras gerichtet.

"Ihre Version der Geschichte lautet so, dass sie mich mit ihm verwechselt hat und ich sie nicht über den Irrtum aufgeklärt habe, während wir … es getan haben. Daraufhin war ich der Böse, sie das Opfer und all die anderen Kerle, mit denen sie in dieser Zeit ins Bett gestiegen ist, wurden völlig unter den Teppich gekehrt. James hat wochenlang kein Wort mehr mit mir gesprochen. Erst als sie ihm das mit dem Umzug erzählt hat und er am Boden zerstört war, war er wieder bereit, mit mir zu reden."

Von wegen verwechselt. Verdammte Drecksschlampe. Delilah müsste man schon die Nase brechen, ehe sie die beiden auch nur flüchtig verwechseln könnte.

"Und was ist deine Version der Geschichte?"

Langsam hob Dean den Blick, um ihr in die Augen sehen zu können. Sie sah sehr wohl, wie leid es ihm tat, aber auch die Wut auf diese Frau war nicht zu übersehen.

"Sie wollte J und mir eins auswischen, weil wir früher immer so gemein zu ihr waren. Also hat sie mich angebaggert und ich war blöd genug, um darauf reinzufallen. Zu der Zeit hatte ich nur Sex im Kopf. Aber das hat sie mir damit gewaltig ausgetrieben. Sie ist übrigens auch der Grund, wieso wir unseren Anfangsbuchstaben im Nacken tätowiert haben. Damit keiner uns je wieder verwechseln kann."

"Sollte der- oder diejenige irgendwas an der Nase haben." Das konnte sie sich einfach nicht verkneifen.

"Genau das." Kurz huschte ein flüchtiges Lächeln über Deans Lippen, ehe er wieder ernst wurde und damit begann, mit seinem Daumen über ihren Handrücken zu streicheln. Allerdings mehr unbewusst, als absichtlich, da seine Gedanken noch in ganz anderen Gefilden kreisten.

"Und du glaubst, diese Nadine hat sich in den Jahren kein bisschen verändert?", wollte sie von ihm wissen, obwohl Delilah nicht einmal im Entferntesten auf die Idee kam, die Schlampe irgendwie zu vertreten.

"Nein, glaube ich nicht. Aber es ist ohnehin egal. J wird mir in dieser Sache keine Sekunde lang zuhören oder gar glauben. Er ist verknallt oder bildet es sich zumindest ein. Also ist er nicht wirklich zurechnungsfähig."

"Klingt endgültig."

"Leider."

Delilah schloss die Augen, seufzte leise und zog schließlich Deans Hand an ihre Brust, um sie zusammen mit ihrer anderen Hand besser halten zu können. Eine Weile sagte niemand etwas.

"Dean?"

"Hm?"

"Besteht denn die Möglichkeit, euch demnächst noch einmal zusammen zu erwischen?"

"Schon möglich." Dean richtete sich weiter auf, was auch Delilah dazu brachte, wieder ihre Augen zu öffnen. "Allerdings hoffe ich, dass das nicht jeden Augenblick der Fall sein wird."

Er war plötzlich so nahe. Sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt und sie konnte spüren wie seine freie Hand sich auf ihren Hinterkopf legte. Ihre Gedanken schienen mit einem Mal wie weggeblasen zu sein. Stattdessen begann Delilahs Herz wie wild in ihrer Brust zu hämmern.

Sie wollte Dean fragen, was er denn vor hatte, doch er kam ihr zuvor.

"Ich habe wirklich versucht, dir die Entscheidung zu überlassen. Aber langsam glaube ich, dass du dich gar nicht entscheiden kannst."

Dean allerdings hatte keine Probleme damit. Er küsste sie, obwohl sie zunächst gar nicht reagierte. Er küsste sie sogar, als sie sich von ihm abwenden wollte und verdammt, er küsste sie erst Recht, als sie ihren Widerstand aufgab und es endlich zuließ.

20. Kapitel

Dean hielt sich nicht zurück. Er wusste, was er wollte und machte kein Geheimnis daraus. Delilah konnte es in jedem seiner Küsse spüren. Wie könnte sie daher diese Intensität nicht erwidern? Es war unmöglich, obwohl sie auch jetzt dieses Gefühl der Zerrissenheit in sich spürte. Aber die Lippen dieses Mannes schafften es zumindest, sie vorerst von jedem Gedanken abzulenken, der nichts mit dem hier zu tun hatte.

Ihre Hände fuhren süchtig durch sein Haar; hielten sich in seinem Nacken fest und nicht allzu selten, war sie es, die ihn wieder enger an sich heran zog, um die Küsse intensiver zu gestalten. Ihr Körper bog sich dem seinen und seinen Händen entgegen. Er streichelte sie, verwöhnte sie und machte sie immer süchtiger nach ihm. Delilah konnte spüren, wie Deans Herz raste, wie die Hitze seiner Haut zunahm und er zunehmend mehr von ihr zu fordern begann. Doch damit war er nicht alleine.

Erst als sie immer hungriger über Dean herfiel, ihn auf den Rücken festnagelte und sich anschließend auf ihm wieder fand, kam sie langsam wieder zu sich. Delilah musste sich regelrecht von seinen Lippen losreißen, um genug Kraft aufzubringen, ihren Gefühlen Einhalt zu gebieten. Alles in ihr schrie nach diesem warmen, kräftigen, jungen Körper.

Ihr Atem ging nur noch stoßweise, während sie sich ein paar feuchte Strähnen aus dem Gesicht strich und ihr Herz immer noch wie wild dahin galoppierte.

Scheiße. Wenn Dean das noch einmal mit ihr machte, würde sie vielleicht nicht mehr rechtzeitig aufhören können. Schließlich hatte sie nie behauptet, ihn nicht zu wollen und obwohl sie das in letzter Zeit sehr gut hatte verdrängen können, strömte da immer noch eine beachtliche Menge an Blut durch ihren gesamten Körper, die er gerade regelrecht zum Kochen gebracht hatte. Alles an ihr schien empfindlich zu prickeln und sie verspürte den Drang, Dinge mit ihm zu tun, von denen er ganz bestimmt äußerst angetan wäre und genau deshalb musste das aufhören.

"Es tut mir leid, aber ich kann das nicht." Die Wölfin in ihr heulte frustriert auf, doch Delilah verpasste ihr einfach einen Maulkorb. Normalerweise äußerte sie sich sonst auch nie.

Vorsichtig stieg sie wieder von Dean herunter und vermied es dabei peinlichst genau, an ihm entlang nach unten zu sehen. Sie wusste auch so, dass es ihn ebenfalls nicht kalt gelassen hatte.

"Es ist wegen J, oder?" Er richtete sich ebenfalls auf und zog die Beine an. Sein Blick ging direkt an ihr vorbei ins Leere. Er sah ebenso mitgenommen aus, wie sie es mit Sicherheit tat, allerdings machte es ihn umso attraktiver.

"Ich werde nicht einmal so tun, als ob ich das wirklich verstehe." Er schnaubte deutlich frustriert. "Was ist es? Dein schlechtes Gewissen? Falls ja, dann muss ich dich wohl nicht erst daran erinnern, was er gestern Nacht getrieben hat. Oder mit wem."

"Glaubst du, das weiß ich nicht?!" Delilah fuhr Dean mit einem Knurren an, bevor sie sich bremsen konnte. Ihre Eifersucht war absolut das Letzte, aber es änderte nun einmal nichts an ihren Gefühlen und die schnappten gerade vollkommen über. Sogar die sonst so stille Wölfin in ihr, war so nahe, dass sie deren Atem im Nacken zu spüren glaubte. Und das war völlig verrückt.

Unfähig nach diesem leidenschaftlichen Aufwärmprogramm still sitzen zu bleiben, sprang sie auf und begann am Ufer des Weihers auf und ab zu tigern.

Manchmal wäre es wirklich besser gewesen, wenn man ihr nicht die Fähigkeit zu fühlen gegeben hätte. Das würde nicht nur ihr sondern auch so manch anderen einiges an Herzschmerz ersparen.

"Und wieso gehst du dann nicht zu ihm und holst ihn dir? Nadine mag ja als seine Ex-Freundin noch einiges an Einfluss haben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du keine Probleme hättest, ihn umzustimmen." Dean klang nicht glücklich, obwohl er es gut unter seiner stoischen Ruhe verbergen konnte.

"Ach ja?" Delilah blieb prompt stehen und drehte sich ruckartig zu ihm herum, während sie ihre Hände in die Hüften stemmte. "Einmal davon abgesehen, dass ich daran meine Zweifel habe, vergisst du dabei aber jemanden."

"Und wer soll das sein?", knurrte er wenig interessiert und köpfte lieber wieder eine ganze Armee von Grashalmen. Wenn er so weiter machte, könnte er sich damit bald ein Nest in seiner Größe bauen.

"Dich - verdammt noch mal!", zischte sie plötzlich wütend, obwohl sie das selbst nicht mehr wirklich verstand. Gott, wie sie diese Gefühlsachterbahn hasste. Aber zumindest schien er bei diesem Argument wieder hellhörig zu werden.

"Und was habe ich damit zu tun? Wenn du J unbedingt vögeln willst, dann nur zu. Ich werde dich sicher nicht davon abhalten."

Autsch. Das hatte gesessen.

"Also wäre es dir vollkommen egal?" Delilah konnte es nicht auf sich beruhen lassen. Sie musste einfach nachbohren. Egal wie sehr es weh tat.

"Scheiße, verdammt!" Dean sprang so unvermittelt auf, dass sie zusammen zuckte. "Natürlich wäre es mir nicht egal! Immerhin weiß ich ganz genau, was ich will. Aber es wäre mir immer noch lieber, du würdest dich von ihm vögeln lassen und dabei einen sauberen Strich ziehen, als an ihn zu denken, während du mit mir zusammen bist. Beim ersten Mal hast du das doch auch sauber hingekriegt!" Sein Körper bebte.

"Ja, aber da war er auch dabei!", konterte sie ohne großartig darüber nachzudenken. Es war wirklich ein verdammt mieses Argument, aber im Augenblick hatte sie es ohnehin nicht so mit vernünftigen Argumenten. Sie wusste ja nicht einmal, worauf sie eigentlich hinaus wollte. Dean schien da allerdings anderer Ansicht zu sein, denn er sah sie plötzlich unangenehm kühl an und auch seine Stimme war mehr als klirrend. Das Zittern wurde stärker.

"Dann willst du einfach nur wieder einen Dreier?" Seine Augen hatten absolut nichts Sanftes mehr, stattdessen schienen sie vor Wut zu glühen.

"Was?" Ihr fiel fast die Kinnlade herunter. "Nein!" Hatte er sie denn noch alle?

"Was zum Teufel willst du dann?" Bei Dean brannte offenbar endgültig eine Sicherung durch, denn er kam auf sie zu, packte sie bei den Schultern und stand scheinbar kurz davor, ihr ein bisschen Vernunft hinein zu schütteln. Es hätte sie noch nicht einmal gewundert, wenn er sie mit einem wölfischen Zähnefletschen angeknurrt hätte, so dicht schien seine andere Seite hinter seinen Augen zu lauern. "Spuck's endlich aus! Bin ich dir nicht gut genug? Brauchst du 'ne größere Herausforderung im Bett? Was ist es? Was verdammt noch mal hindert dich daran, dich einfach nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren?"

Es war zu viel. Einfach viel zu viel.

"Ich weiß nicht, wer der Vater ist!" Sie schrie es ihm regelrecht ins Gesicht.

"Was?" Sein Griff wurde locker. Seine Pupillen weiteten sich. Die Info begann anzukommen.

"Ich bin schwanger, okay?!" Delilah machte sich von ihm los und trat einen Schritt zurück. Dean leistete keinerlei Gegenwehr, stattdessen starrte er sie einfach nur mit offenem Mund an, ohne zu blinzeln oder zu atmen. Selbst sein Wolf schien völlig platt zu sein.

"Es ist bei diesem einen Mal im Hotelzimmer passiert. Darum weiß ich nicht … wer von euch beiden der Vater ist. Ich… Verdammte Scheiße noch mal, ich wollte das alles doch überhaupt nicht!"

Nun brannten auch bei ihr ein paar längst überfällige Sicherungen durch. Delilah begann zu schreien und zu fluchen, während sie vollkommen außer sich hin und her stampfte, bis ihr der Hals und die Füße weh taten und sie sich einfach ins Gras fallen ließ, um wieder einmal leise vor sich hin zu weinen. Langsam hatte sie nicht einmal mehr dafür die Kraft. Sie fühlte sich so verdammt elend.

Eine ganze Weile regte sich gar nichts. Weder bei ihr, noch bei Dean, bis er sich schließlich leise neben sie setzte und sein Kinn auf den Knien abstützte, während er regelrechte Löcher in den Weiher starrte. Seine Gedanken rasten, das konnte man sehen, aber er sagte kein Wort, stattdessen saß er einfach nur da.

Irgendwie war sie für diese Reaktion dankbar. Etwas anderes hätte sie vermutlich nicht mehr gepackt.
 

"Wie lange weißt du es schon?"

Deans ruhige Stimme riss sie aus ihrem Dämmerschlaf. Inzwischen hatte sich Delilah wieder soweit beruhigt, dass sie sogar im Sitzen eingenickt war.

"Seit etwa zwei Wochen." Sie musste ein Gähnen unterdrücken, doch sie wurde nur allzu schnell wieder wach und wischte sich ein paar getrocknete Tränen von den Wangen.

"Dad wird uns umbringen." Dean begann wieder seinen Nacken zu bearbeiten. Äußerst gründlich.

"Er weiß es schon, allerdings denkt er, es sei nicht von euch." Delilah zog den Kragen ihrer Bluse weiter hoch. Der Gedanke an den alten Werwolf ließ sie auf eine Weise frösteln, die nichts mit Temperaturschwankungen zu tun hatte.

Dean hielt inne und warf ihr einen skeptischen Blick zu. "Du hast es ihm als Erstes gesagt?"

"Verdammt, nein!" Sie lachte. Es klang allerdings ganz schön hysterisch. "Keine Ahnung woher er es weiß. Vielleicht sieht er es mir an, oder er kann es wittern. Was weiß ich."

"Und J?"

"Er weiß es nicht."

"Wann willst du es ihm sagen?"

Delilah ließ den Kopf hängen und seufzte schwer. "Morgen… Übermorgen… Oder wenn er grade mit dieser Schlampe bei der Sache ist… Keine Ahnung."

Es brachte Dean ebenfalls zum Lachen. Auch wenn es nicht besonders fröhlich klang. "Das würde ihm sicher die Tour vermasseln."

"Ja, nicht wahr?" Sie könnte schon wieder heulen. An allem hier war einfach Garnichts komisch.

Verstohlen wischte sie sich eine Träne weg, doch es saßen bereits wieder weitere in der Reserve und warteten nur darauf, dass sie kapitulierte.

Völlig unvermittelt legte Dean ihr seinen Arm um die Schultern und zog sie dieses Mal richtig zu sich heran, so dass sie vollkommen von seiner Hitze umhüllt wurde. Das machte es ihr nicht gerade leichter, die Tränen zurück zu halten, aber wenigstens musste sie jetzt keine Angst mehr haben, dass er sie einfach alleine lassen würde. Nicht nachdem er alles erfahren hatte und dennoch bei ihr geblieben war.

Trotzdem zögerte sie einen Moment, ehe sie sich endlich dazu durchringen konnte, die Arme um seinen Rücken zu schlingen und sich noch tiefer in seine Umarmung zu flüchten. Dabei störte es sie kein Bisschen, dass er immer noch vollkommen nackt war. Die direkte Wärme seiner nackten Haut war sogar beruhigend.
 

Die Vögel hatten schon eine ganze Weile damit begonnen, sich gegenseitig mit Liedern zu übertrumpfen, doch Delilah hatte sich lediglich in der Umarmung herum gedreht und ihr Gesicht gegen die warme, weiche Brust geschmiegt, der ein unglaublich köstlicher Duft entstieg und sie wieder beruhigt weiter schlafen ließ.

Erst als auch wärmende Sonnenstrahlen ihre Haut kitzelten und die lebende Decke auf ihr, sie enger an sich zog und ein zufriedenes Seufzen von sich gab, wurde sie richtig wach.

Delilah musste ihren Kopf etwas in den Nacken legen, um an der Wand von Muskeln und nackter Haut vorbei in den Himmel schauen zu können. Sonnenlicht tanzte durch das Blätterdach der Bäume über ihnen und hie und da war auch ein klarer blauer Himmel zu erkennen.

So vorsichtig wie möglich, um Dean nicht zu wecken, schob sie sich ein bisschen von ihm weg, obwohl der Arm um ihren Körper sie sofort wieder enger an sich heranziehen wollte. Allerdings schlief er tief und fest, was man an seinem entspannten Gesichtsausdruck deutlich erkennen konnte.

Dean schien keine Anstalten zu machen, in nächster Zeit aufzuwachen, also konnte sie es wagen, sich ganz von ihm zu lösen.

Kurz hielt Delilah inne, als ein tiefes Grollen seiner Brust entstieg, doch bis auf den unzufriedenen Eindruck, schien er immer noch fest zu schlafen und er ließ sie sogar kurz darauf los, so dass sie endgültig aufstehen konnte.

Es hatte beinahe so geklungen, als hätte sein Wolf sie angeknurrt.

Erst als Delilah auf den Beinen war, erlaubte sie sich tiefer durchzuatmen und ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Fast sofort stürmten von allen Richtungen die unterschiedlichsten Empfindungen auf sie ein. Zum einen war sie erleichtert, dass Dean endlich von der Schwangerschaft erfahren hatte. Andererseits hatte er ihr jedoch noch kein wirkliches Feedback auf diese Offenbarung hin mitgeteilt, so dass sie nicht wusste, woran sie nun bei ihm war. Aber zumindest bei einer Sache war sie sich sicher: Dean würde sie nicht damit alleine lassen. Weiß Gott, hatte er in der letzten Nacht Gelegenheiten genug gehabt und er war dennoch bei ihr geblieben, obwohl sie nicht einmal wusste, wie sie in die Waagerechte gekommen waren. Sie musste wohl an seiner Brust eingeschlafen sein.

Delilah wandte sich mit einem tiefen Seufzen von ihm ab und stellte sich direkt ans Ufer des Weihers, wo sie sich in die Hocke begab, um etwas von dem klaren, kühlen Wasser zu trinken. Dort konnte sie auch sehen, dass Dean ihr gestern nicht vollkommen das Gesicht gesäubert, sondern sie noch den ein oder anderen Fleck im Gesicht hatte.

Sie war sich nur allzu deutlich darüber bewusst, dass sie diesen Mann einfach nicht verdiente. Immerhin kümmerte er sich um sie, wie es bisher niemand mehr seit dem Tod ihrer wirklichen Eltern getan hatte. Er machte sich Sorgen, suchte sie stundenlang und obwohl sie ihm immer wieder einen Korb verpasste, blieb er doch an ihrer Seite. Selbst als er das mit der Schwangerschaft erfahren hatte und dass genauso gut sein Bruder der Erzeuger sein könnte.

Kurz warf Delilah einen flüchtigen Blick über ihre Schulter, ehe sie zügig ihre Bluse aufknöpfte und sich auch den Rest der Kleidung abstreifte, um nicht nur etwas gegen die Schmutzflecken in ihrem Gesicht zu tun, sondern gleich ein Bad im Weiher zu nehmen. Es war zwar etwas kalt, aber dafür wohltuend erfrischend. Ihre Gedanken konnte es dennoch nicht vertreiben.

Gott, er war so wütend gewesen!

Natürlich hatte sie Dean schon ein paar Mal in seiner tierischen Form gesehen, aber noch nie war der Werwolf in ihm so nahe unter der menschlichen Oberfläche gewesen. Sie hatte sogar für einen Moment befürchtet, er könne tatsächlich die Beherrschung verlieren. Und dabei verstand sie ihn doch so gut. Wenn er auch nur annähernd die gleiche Eifersucht auf seinen Bruder verspürte, wie sie auf Nadine, dann musste schon der Gedanke daran, dass sie an James dachte, während Dean sie küsste, hart für ihn sein.

Darum hatte sie doch versucht, es nicht einmal so weit kommen zu lassen, aber er hatte sie mit seinem Kuss einfach so derart überrumpelt, dass sie sich dem nicht hatte entziehen können und selbst jetzt, während sie bis zur Hüfte in kühlem Wasser stand und den Rest mit ihren Händen benetzte, spürte sie das Feuer seines Verlangens in sich.

Sie wollte ihn berühren, ihn küssen und … Stopp! Schluss! Aus! Ende! Sie durfte das nicht länger tun. Nicht einmal in Gedanken!

Delilah hielt es für ungefähr zwei Sekunden lang aus, nicht daran zu denken. Dann kamen auch schon wieder die Stimmen, die ihr einreden wollten, dass ebenso Dean der Vater sein könnte und es dann doch absolut keinen Grund gäbe, ihn nicht zu wollen. Denn das tat sie doch. Warum also sollte sie den Fehler begehen und sich von ihm abwenden, wo doch James ohnehin nichts auf diese Art von ihr wissen wollte?

Ihr entkam erneut ein tiefer Seufzer, während Delilahs Hand direkt auf ihrem flachen Bauch zum Liegen kam. Sie konnte sich immer noch nicht wirklich vorstellen, dass sich dort schon bald etwas sichtbar abzeichnen könnte und doch war sie sich nur zu deutlich der Zerrissenheit deswegen bewusst.

Dean oder James? James oder Dean? Nicht einmal mit dem bloßen Verstand konnte sie in eine bestimmte Richtung tendieren. Nicht, wenn sie an James' Kochunterricht dachte und wie er sie immer wieder dabei zum Lachen brachte, selbst wenn sie etwas falsch gemacht hatte.

Und ihr Herz musste sie gar nicht erst fragen. Denn das wollte immer mehr den einfachsten Weg nehmen und sich für beide entscheiden. Aber das war einfach nicht möglich…

"Delilah? … Delilah!"

"Hier!" Sie drehte sich ruckartig herum, da Dean sich fast panisch angehört hatte, allerdings konnte sie sich ein winziges Schmunzeln nicht verkneifen, als sie ihn so aufgelöst sah.

In seinem braunen Haar hingen noch Reste von seiner gestrigen Grashinrichtung, er hatte auch einen dementsprechenden Abdruck an der Wange und seiner Miene nach zu urteilen, wurde er gerade erst richtig wach. Zumindest Letzteres änderte sich schlagartig, als sein Blick ihrer Stimme folgte und er sie sah.

Seine Augen wanderten einmal an ihr auf und ab, bevor sie die Arme vor die Brüste legen und ihm jeden weiteren Blick darauf verwehren konnte. Was eigentlich ziemlich unfair war, denn er bot ihr uneingeschränkten Einblick auf alles und sie musste wieder einmal feststellen, dass es wirklich nichts an ihm gab, das sie nicht wollte.

"Sorry." Er senkte den Blick und rieb sich über die Augen. "Ich dachte, du wärst schon wieder einfach abgehauen."

Delilah wurde schlagartig wieder ernst. Klar musste er das annehmen. Wäre immerhin nicht das erste Mal. "Tut mir leid. Ich wollte nur etwas baden und dich nicht deswegen aufwecken."

"Schon gut." Er gähnte herzhaft. "Ist ohnehin meine Schuld, dass ich so lange geschlafen habe. Hätte eben nicht die halbe Nacht wach bleiben dürfen."

Den letzten Satz flüsterte er mehr an sich selbst gerichtet als an Delilah. Sie hatte ihn trotzdem verstanden und irgendwie beunruhigte es sie, allerdings lenkte Dean sie mit seiner Frage wieder von dem Thema ab.

"Hast du was dagegen, wenn ich auch reinkomme? Irgendwie habe ich so das Gefühl, dass ich nicht nur im Gesicht Grasflecken habe." Er grinste schief und zupfte einen Grashalm aus seinen Haaren.

"Klar." Delilah drehte sich sicherheitshalber wieder um und wartete darauf, dass Dean ebenfalls in den Weiher stieg, allerdings passierte nichts, bis es ihr einschoss. "Ich meine: Klar, komm rein.", warf sie hastig hinter her und starrte auf ihre Zehen, die halb in hellem Schlamm steckten. Der Boden hatte fast die Konsistenz von Sand, aber eben nur fast. Es fühlte sich auf jeden Fall nicht unangenehm oder eklig an. Obwohl sie da ohnehin nicht allzu zimperlich war. Immerhin hatte sie schon auf viel schlimmeren Böden gestanden. Wenn sie da an die Wohnung von diesem einen Kerl mit der-

"Fühlt sich gut an, oder?"

Delilah fuhr erschrocken hoch und stieß dabei schmerzhaft mit dem Hinterkopf auf etwas Hartes, das gerade noch nicht hinter ihr gestanden hatte. Auch ihr Ellenbogen traf auf Widerstand.

Ein schmerzhaftes Stöhnen.

Entsetzt machte sie eine halbe Pirouette und erstarrte sofort, als sie Dean sah, der sich mit geschlossenen Augen, das Kinn rieb und offenbar um Beherrschung rang.

"Verdammt, Dean! Es tut mir so leid. Du hast mich erschreckt und-"

"Lass gut sein. Langsam gewöhne ich mich dran." Er öffnete die Augen und sah sie mit hochgezogener Augenbraue an, während er prüfte, ob an seinem Unterkiefer noch alles heil war.

"Verdammt, Deli. Du hast 'nen ganz schön harten Hinterkopf und dein Ellenbogenschwinger ist auch nicht zu verachten. Mit dir sollte man sich besser nicht anlegen." Er begann zu grinsen und streckte die Hand nach ihr aus, um vorsichtig ihren Hinterkopf zu berühren. "Bei dir wenigstens noch alles dran?"

"Um mich musst du dir keine Sorgen machen." Sie strich vorsichtig über die gerötete Stelle an seinem Kinn. "Tut es sehr weh?"

Das Grinsen verwandelte sich in ein Lächeln. Er neigte den Kopf soweit, dass seine Lippen ihre Fingerspitzen berührten und er ihr einen Kuss darauf hauchen konnte. "Das ist es mir wert." Dieses Mal lag nicht die geringste Spur von Wut in seinen goldbraunen Augen.

Scheiße, noch mal. Er stand vor ihr. Direkt vor ihr! Selbst nachdem er endlich die Wahrheit kannte, war er immer noch da. Immer noch bei ihr. Wieso würdigte sie das nicht endlich?!

War sie ein so beschissenes Miststück, dass sie nicht einmal auf das Drängen ihrer Wölfin hin etwas tun konnte? Wollte sie wirklich das, was sie vor sich hatte, für das was sie nicht haben konnte, stehen lassen? Denn mal ehrlich, das mit James war jetzt schon unsicher genug. Wie wackelig würde es erst werden, wenn er die volle Wahrheit erfuhr?

"Deli? Alles in-"

Sie packte ihn ohne noch weiter nachzudenken im Nacken und zog ihn zu sich herunter, um seine Lippen mit ihrem Mund zu versiegeln. Kurz brachte sie ihn damit aus dem Gleichgewicht, doch Dean fing sich nur allzu schnell wieder und schlang die Arme um sie, während er sie halb aus dem Wasser hob, um ihr den Kuss noch weiter zu erleichtern, bei dem er ohne zu zögern mitmachte.

Zunächst war ihr Kuss vor Verzweiflung hart und stürmisch, um ihre Einwände wie ein Wirbelsturm hinwegfegen zu können, bis sie sich Deans Anziehung nicht länger verschließen konnte und der Kuss sanfter und zärtlicher wurde.

Delilah schlang die Arme um seinen Nacken und schloss die Augen. Sie begann es zu genießen. Was im Grunde nicht schwer war, wenn man es nur zuließ.

Sein vorsichtiges Knabbern an ihrer Unterlippe war erregend und das Gefühl wurde noch gesteigert, als er statt seiner Zähne seine Zungenspitze benutzte, um ihre Lippen zu verwöhnen, bis sie immer empfänglicher für ihn zu werden schienen.

Delilah ließ ihn endlich ein, woraufhin Dean sie noch enger an sich heran zog und er plötzlich mit einer derartigen Intensität den Kuss beherrschte, dass ihr der Atem stockte. Als hätte sie ihn damit von unsichtbaren Ketten befreit.

Das Knistern in ihrem Bauch war mit einem Schlag wieder da. Ihr Nacken begann zu kribbeln und sie konnte kaum noch ihre Finger kontrollieren, die sich in seinen Rücken bohrten, um sich an ihm festzuhalten.

Dean stöhnte rau, ließ aber nur kurz von ihr ab, um nach Luft zu schnappen, ehe er wieder über sie herfiel. Das Ganze ging allerdings nur solange gut, bis ihnen beiden endgültig der Atem ausging.

Schwer atmend und mit einem leichten Schwindelgefühl, ließ Delilah ihre Stirn gegen Deans Halsbeuge sinken. Er keuchte ebenso laut wie sie und war auch der Grund für die Unterbrechung. Sie hätte noch etwas länger durchgehalten und er ganz bestimmt auch, doch er war es gewesen, der zuerst aufgehört hatte und sobald wieder genug Blut in ihrem Hirn war, würde sie sich auch über seinen Beweggrund Gedanken machen. Momentan jedoch war sie einfach nur froh, sich an ihn lehnen und die Hitze seiner Haut direkt an der ihren spüren zu können.

Unvermittelt hob er sie aus dem Wasser heraus, so dass sie sich reflexartig noch fester an ihn krallte, um nicht herunter zu fallen. Auf ihren fragenden Blick hin, meinte er nur: "Wenn wir so weiter machen, besteht am Ende noch die Gefahr, dass wir ertrinken."

Es war ein Scherz, allerdings lächelte er nicht. Ganz im Gegenteil. Seine Miene war… Sie konnte ganz deutlich wieder das Tier hinter seinen Augen sehen.

Dean fiel es offenbar nicht schwer, mit ihr durch das Wasser zu waten, die Stufe zum Ufer zu erklimmen und sie noch ein kleines Stück weiter weg in frisches Gras zu legen.

Fast schon erwartete sie, dass er sich sofort wieder über ihre Lippen hermachen würde, doch das tat er nicht. Stattdessen blickte er sie eindringlich an, während seine große Hand flach auf ihrem Bauch lag. Ob bewusst oder unbewusst, wusste sie nicht.

"Bist du bei mir?"

Die Frage kam so überraschend, dass sie gar nichts begriff. "Was?"

Dean sah sie noch eindringlicher an, als ohnehin schon. "Sei ehrlich. Bist du jetzt in diesem Augenblick bei mir, oder denkst du schon wieder an meinen Bruder? Denn wenn ja, werde ich deine Sachen packen und sofort auf der Stelle mit dir nach Hause gehen."

Sie starrte ihn mit großen Augen an.

Und was wenn nicht?
 

***
 

So meine Lieben. Da bin ich mal wieder. Also zuerst mal, meinen Händen gehts so lala, war heute aber beim Arzt und hab mich krankschreiben lassen. Hab auch eine gute Salbe gekriegt, also dürfte die Sache bald durchgestanden sein. Und da ich jetzt sozusagen noch eine weitere Woche Urlaub habe, werde ich zum Glück noch genug Zeit haben, hier weiter zu schreiben. Denn sogesehen gehts meinen Händen gut genug zum Tippen und das ganze Zeug in meinem Kopf will endlich raus.

Ich hoffe daher, ihr bleibt weiter am Ball und lasst euch überraschen, was sonst noch so alles auf euch zu kommt. Hab noch so einiges im Ärmel. *g*
 

Viele liebe Grüße

Eure Darklover

21. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

22. Kapitel

"Oh. Mein. Gott!" Delilah schloss genießerisch die Augen, lehnte sich zurück und seufzte in reinstem Hochgenuss. Erst als das Gefühl langsam vorbei ging – zum Glück aber auch noch einen wunderbaren Nachgeschmack hinterließ – sah sie wieder hoch direkt in Deans Gesicht, der sie auf eine Art und Weise anstarrte, die sie fragend die Augenbraue hochziehen ließ.

"Was?" Sie nahm dieses Mal das ganze Einmachglas zur Hand und drückte es in der Befürchtung, er könnte es ihr noch wegnehmen, wenn sie nicht schnell genug war, gegen ihre Brust.

"Ach nichts." Dean winkte gelassen ab, ohne allerdings die Augen von ihr oder dem Glas an ihrer Brust zu nehmen. "Ich kann nur nicht glauben, dass ich auf ein paar Rollmöpse eifersüchtig bin." Er biss herzhaft in sein bis zum Bersten gefülltes Sandwich und kaute nur so viel, wie wirklich nötig war, um nicht daran zu ersticken, während er an ihr vorbei die Kühlschranktür ergriff, um noch einen weiteren prüfenden Blick auf die besorgniserregend schnell schwindenden Vorräte zu werfen.

Delilah hatte das Glas mit den Rollmöpsen, also machte sie ohne zu murren Platz und setzte sich auf die Anrichte, so dass sie in Ruhe ihre neueste Lieblingsspeise verputzen konnte. Dabei hatte sie immer gedacht, sie würde Rollmöpse hassen und ihr war bis jetzt auch immer allein vom säuerlichen Geruch schlecht geworden, jetzt allerdings gab es kaum noch etwas, das ihren Geruchssinn mehr erfreute und ihr das Wasser fast in Sturzbächen im Munde zusammen laufen ließ. Die Teile waren einfach der Hammer!

Außerdem hatte sie ebenfalls einen gewaltigen Hunger, da sie seit gestern früh nichts mehr gegessen und dazwischen auf die eine oder andere Art auch noch ein paar zusätzliche Kalorien verbrannt hatte.

Dean hatte sich gerade einmal eine Jeans übergezogen, während sie noch immer in den gleichen Klamotten wie gestern, über den Kühlschrank hergefallen war. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, denn dieses Mal würden sie wirklich einkaufen gehen müssen, um die ganzen Vorräte wieder aufzustocken.

Der Küchenbereich sah aus wie ein Schlachtfeld. Überall türmten sich leere und penibel sauber geleckte Tupperboxen auf jeder freien Fläche, die sich hatte finden lassen. Aufgerissene Folien, Plastikknöllchen und ein ganzer Berg von Brotkrumen bildeten auf der Kücheninsel ein beeindruckendes Miniaturlandschaftsbild, dessen Herzstück ein eingedrückter Milchkanister darstellte, den Dean so gierig geleert hatte, dass sich das harte Plastik partout nicht mehr ausbeulen wollte und untermalt wurde das Ganze durch halb zerkleinertes Gemüse, das sie für die Sandwiches hergenommen hatten.

"Teilst du mit mir den Schokopudding?" Dean riss sie aus ihrer gedanklichen Exkursion, als er mit dem Kopf wieder aus den Untiefen des zweitürigen Kühlschranks auftauchte und ihr einen Plastikbecher hinhielt, während er die Kühlschranktüren wieder schloss. So oft wie diese heute schon benutzt worden waren, würde es sie wirklich nicht wundern, wenn der Kühlschrank eine ganze Weile damit zu kämpfen hätte, um wieder anständig abzukühlen.

"Klar." Delilah stellte das inzwischen leere Glas mit den Rollmöpsen weg – keine allzu leichte Aufgabe in Ermangelung eines freien Platzes – und nahm den Pudding entgegen, während sie sich eine geistige Notiz machte, unbedingt noch mehr von diesen Fischen im Glas zu besorgen.

Kurz mühte sie sich mit dem Aluminiumdeckel ab, der natürlich gleich in drei Teile zerriss, rutschte dann noch ein Stück auf der Arbeitsfläche zurück und zog die Besteckschublade direkt unter sich hervor, um zwei kleine Löffel herauszufischen. Was Dean dank ihrer Akrobatik vorübergehend vom Essen abhielt, da er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Also die perfekte Verhandlungsbasis.

"Wie viel willst du davon ab? 90 zu 10? Wobei ich natürlich die Neunzigprozent kriege und du den Rest."

"Hey, so war das nicht abgemacht." Deans Protest ging fast in dem letzten Bissen seines Sandwiches unter, den er schnell hinunter würgte, um beide Hände frei zu haben und nach dem Pudding angeln zu können, den sie ihm immer wieder entzog.

"Darum verhandeln wir ja." Sie versteckte ihn hinter ihrem Rücken, damit er nicht doch noch rankam.

"Ich wäre auch unter Umständen mit 80 zu 20 einverstanden.", gab sie sich großzügig und lächelte frech.

"Ach ja?" Dean kam näher, bis er mit dem Bauch gegen ihre Knie stieß. Er beugte sich vor und stütze sich dabei mit den Armen an der Kante der Arbeitsfläche ab. "Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass mich Sex immer verdammt hungrig macht?" Er knurrte es beinahe. Doch es war keine Drohgebärde, sondern nur gespielt. Das konnte man in seinen Augen sehen. "Du willst doch nicht, dass ich noch vom Fleisch falle, oder?"

Mhmmm...Yummy… Selbst mit diesem winzigen Krümel am Kinn war er sexy. Da vergaß sie doch sofort, dass es hier um Pudding ging, wo ihr doch gerade ganz andere Dinge in den Sinn kamen.

Delilah legte Löffel und Pudding in ihrem Rücken zur Seite und fuhr mit einer Hand in Deans Nacken, während sie ihre Beine öffnete und ihn nahe an sich heran zog. Mit der anderen Hand wischte sie ihm den Krümel vom Kinn, ehe ihr Daumen neckisch über seine Unterlippe strich. Einmal sah sie an seinem nackten Oberkörper hinab, der immer noch eine Spur ihrer Fingernägel aufwies, auch wenn sie schon dabei waren, wieder zu verblassen.

"Nein, du hast recht. Das will ich wirklich nicht. Dann eben 70 zu 30, vorausgesetzt ich bekomme eine Entschädigung in Form von Lippenbekenntnissen." Delilah schloss die Augen, rieb sanft ihre Nase an seiner und ließ ihre Lippen vorerst nur hauchzart über Deans Mund gleiten, ehe sie … erstarrte.

Delilah riss so schnell ihren Kopf zurück, dass sie ihn sich am Hängeregal in ihrem Rücken anstieß. Aber sie spürte es gar nicht. Stattdessen sah sie an Dean vorbei in Richtung Tür, dort wo gerade eben eine frische Witterung hereingeweht worden war. Getrocknete Wildblumen, frisches Holz und der brennende Hauch von Wut.

Um ehrlich zu sein wusste Delilah nicht, was sie mehr traf. James' unerwartetes Auftauchen und wobei er sie ertappt hatte, oder sein Anblick der im Augenblick besonders verwirrend war, da er ja seinem Bruder zum Verwechseln ähnlich sah. Da halfen noch nicht einmal ihre unterschiedlichen Gerüche die Verknotung in ihren Gehirnwindungen etwas zu lockern.

Delilah weigerte sich, so zu reagieren, als wäre sie gerade bei einem Betrug erwischt worden. Klar hatte James sie überrascht, aber das würde jetzt nicht bedeuten, dass sie Dean von sich stieß und irgendwelche Entschuldigungen stammelte. Natürlich wollte ein Teil von ihr genau das tun, aber sie würde ganz bestimmt nicht darauf hören.

"Guten Morgen." Sie brach als Erstes das drückende Schweigen. "Willst du frischen Kaffee? Ist gerade fertig geworden." Delilah nahm den Pudding wieder zur Hand, drückte ihn Dean in die Finger und schob diesen etwas von sich weg, damit sie aufstehen konnte. Kurz warf sie ihm einen flüchtigen Blick zu und flüsterte: "Aber wehe du futterst mir meinen Anteil weg." Sie zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ihr im Augenblick ganz und gar nicht danach zu Mute war. Danach holte sie einen Kaffeebecher aus dem Regal, nahm die Kaffeekanne zur Hand und drehte sich mit beidem zusammen zu James herum, der sich immer noch nicht vom Fleck gerührt hatte. Ebenso wenig wie Dean, wenn man's genau nahm.

"Also?" Sie hielt beides mit einem Werbespotlächeln hoch und wartete mit gespannten Nerven auf eine Reaktion, während es hinter James' Stirn gewaltig arbeitete.

Er musste gerade erst aufgestanden sein, da seine Haare in alle Richtungen abstanden und er nur eine Boxershorts trug. Außerdem konnte man noch einen Teilabdruck von seinem Kissen an seiner Wange erkennen. Es war also offensichtlich, dass er die Nacht hier verbracht hatte und da sie nicht glaubte, er hätte schon geduscht, musste er alleine gewesen sein. Denn von der Werwölfin war nichts an ihm zu riechen.

"Ja, bitte.", grummelte er fast gezwungen. Er klang nicht glücklich.

Delilah musste sich stark zusammen reißen, ihr schlechtes Gewissen am Boden zu halten. Schließlich hatte er doch diese verdammte Schlampe und das machte sie ebenfalls nicht glücklich. Es war also so oder so nicht fair. Trotzdem lag ihr seine geknickte Stimmung schwer im Magen.

Obwohl ihre Finger leicht zitterten, schaffte sie es unfallfrei den Kaffee in den dafür vorgesehenen Becher zu schütten und die Kanne wieder an ihren angestammten Platz zurück zu stellen. Sie schob James auch noch den Zucker hin, legte einen kleinen Löffel neben den Becher und ging zum Kühlschrank hinüber, um auch noch etwas Sahne zu holen, da die Milch ja inzwischen alle war. Erst jetzt löste James sich von seinem Platz bei der Tür und kam näher.

Zwar konnte sie es nicht sehen, aber Delilah glaubte, seinen Blick auf sich brennen zu spüren, besonders dort wo ihr Blusenkragen nicht den gewaltigen Bluterguss an ihrem Hals verbergen konnte, der von Deans Biss stammte.

Gerade als sie sich wieder herumdrehte, fing sie James' Blick ein und Dean machte sich äußerst gründlich dadurch bemerkbar, dass er kaum hörbar zu knurren begann. Delilah stieß ihm ihren Ellenbogen in die Seite, was ihn wieder zum Verstummen brachte, aber der Pudding in seinen Händen quoll langsam über den Rand des Plastiks hinaus, so fest hielt er ihn in der Hand.

Für den Moment musste sie das einfach ignorieren, denn wenn sie sich jetzt mit beiden Brüdern gleichzeitig befasste, würde das hier kein gutes Ende nehmen. Also schenkte sie James so ruhig wie möglich von der Sahne ein, bis die Tasse fast überging, da er einfach nicht stopp sagte und blickte ihm dann offen in die Augen, während sie die Verschlussklappe wieder einrasten ließ.

Sie wusste nicht, was sie zu ihm sagen sollte. Hierfür gab es weder Erklärungen, noch war es nötig. Alles was James wissen musste, konnte er mit eigenen Augen sehen und da sie noch keine Zeit gehabt hatte, gründlich zu duschen, würde Deans intensiver Geruch an ihr ihm auch noch den Rest beantworten.

Keiner rührte sich. Alle standen sie nur da, wie zu Wachsfiguren erstarrt und man bekam das Gefühl, in den nächsten Sekunden wäre alles möglich. Die Anspannung in der Luft war hochexplosiv.

Es war der Drang, sowohl Dean als auch James zu beschützen, der Delilah den Mut dazu gab, noch einmal den Mund aufzumachen.

"Ich mache hier gleich sauber, damit alles fürs Mittagessen bereit ist. Vielleicht könnte man etwas mit Nudeln und Gemüse machen. Etwas Fleisch ist auch noch im Kühlschrank. Ich bin mir sicher, daraus kann man was Leckeres machen, oder was meinst du?"

Delilah brachte es nicht übers Herz, offen das auszusprechen, was ihr auf der Zunge lag. Nämlich dass sie immer noch mit James kochen und von ihm lernen wollte und ihr die Frage auf der Seele brannte, ob auch er das noch wollte. Daher hatte sie so allgemein gesprochen und darum hatte sie ihm dabei nicht mehr in die Augen sehen können. Gott, wie sie das hasste!

"Danke für den Kaffee." Er sah sie nicht einmal an, sondern starrte seinem Bruder finster in die Augen. James warf es ihr einfach so hin, nahm schließlich seinen Becher in die Hand, ohne Zucker hinein getan zu haben, obwohl er ihn sonst immer mit zwei Löffel Zucker trank und verließ den Raum, ohne sich auch nur noch einmal umzudrehen.

Genauso gut hätte er ihr eine über den Schädel ziehen können. Das Gefühl wäre das gleiche gewesen. Mit einem Mal fühlte Delilah sich wahnsinnig benommen und sie musste sich am Tresen abstützen, um nicht einfach umzufallen. Ihre andere Hand lag zitternd auf ihrem Bauch, während sie ins Leere starrte und sich wieder zu fangen versuchte. Ihr Brustkorb war wie zugeschnürt und auch ihre Kehle brannte, aber am Schlimmsten war dieser Schmerz in ihr, der keinen Ursprung zu haben und ebenso wenig körperlich zu sein schien.

"Deli?" Im Augenwinkel nahm sie Dean wahr, der die Hand nach ihr ausstrecken wollte.

"Warum hast du ihn angeknurrt?" Ihre Stimme klang hol und die Hand erstarrte mitten in der Luft, ehe er sie zur Faust ballte und wieder runternahm.

Delilah hob den Blick. Sah ihn an. Fragend.

Deans Kiefer mahlten aufeinander, als ringe er um die richtige Antwort. Er musste sich offensichtlich dazu zwingen.

"Mir hat nicht gefallen, wie er dich angesehen hat." Er wandte sich ab und begann einen Stapel Tupperboxen in den Geschirrspüler zu räumen.

Soweit war es also schon gekommen…

"Ich versteh es einfach nicht." Delilah straffte sich. Ihre Stimme gewann wieder an Kraft.

"Er ist dein Bruder, Dean. Ihr seid Zwillinge. Ihr liebt euch doch und bisher hatte ich immer den Eindruck, nichts könnte euch auseinander bringen. Warum zum Teufel soll ausgerechnet ich das zustande bringen?" Sie drehte sich zu ihm herum.

Seine Hände arbeiteten schneller, ruckartiger. Das Drahtgestell der mittleren Schublade erzitterte bereits bedenklich bei jeder Box, die er hinein knallte. Als keine mehr übrig war, hielt er inne. Scheinbar unschlüssig, doch dann hob er den Blick und sah ihr direkt in die Augen. Der Werwolf lag in ihnen, aber sie konnte auch sehr deutlich den Mann darin erkennen. "Ich liebe meinen Bruder und würde mein Leben für ihn geben, aber genau deshalb habe ich auch das Recht, ihn manchmal hassen zu dürfen. Ich erwarte gar nicht erst, dass du das verstehst."

Er richtete sich auf und sah zu Boden, ehe er seinen Nacken zu massieren begann und einmal tief Luft holte, um sich offenbar wieder zu fangen.

"Ich kapier zur Zeit auch nicht besonders viel.", gestand er schließlich schwer seufzend. "Aber zumindest Eines weiß ich ganz sicher. So wenig ich es auch bisher begreifen kann, so verdammt sicher bin ich mir auch, dass es mir scheißegal ist, ob du von ihm oder von mir schwanger bist. Ich fühle mich verantwortlich und ich will verdammt sein, wenn ich deshalb den Schwanz einziehe."

Dean nahm die Hand runter und sah sie eindringlich an. Delilahs Herz raste ohnehin schon, aber bei diesem Blick wurde ihr auch noch ganz anders. Das war nicht Dean. Nicht der ungehobelte, immer einen lockeren Spruch auf den Lippen habende Dean, den sie kennen gelernt hatte. Das, was da aus den Augen ihres Gegenübers hervor blickte, war eine sehr viel ältere Version davon.

Delilah war wie gelähmt, als er auch noch näher kam und auf sie herab blickte. Seine Stimme war ruhig und doch voller unterdrückter Gefühle. Genau deshalb jagten ihr seine nächsten Worte kalte Schauer über den Rücken.

"Ich bin mir verdammt sicher, wie J auf diese Neuigkeit reagieren wird und genau deshalb geht er mir gerade ziemlich auf den Sack. Dass er sich so scheiße benimmt und du das einfach so schluckst. Es regt mich auf, dass du dich in seiner Nähe wie ein Köter benimmst, der um die Aufmerksamkeit seines Herrn bettelt, egal wie oft der ihn mit Füßen tritt!"

Sie war sprachlos und das so vollkommen, dass sie ihn einfach nur anstarren konnte und nicht einmal zusammen zuckte, als Dean sich schließlich fluchend von ihr abwandte, die Tür zum Geschirrspüler zuknallte und irgendwas von Arbeit grummelte, ehe er aus der Küche stürmte.

Er hatte noch sehr viel mehr sagen wollen. Das hatte sie im Gefühl. Aber Delilah war froh, dass er sich dagegen entschieden hatte. Sie musste ohnehin erst einmal das bisher Gesagte verdauen. Keine besonders leichte Aufgabe.
 

Sie hatte genug Zeit, Deans Worte zu Tode zu analysieren, während sie die Küche wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück versetzte. Aber obwohl Delilah das Gesagte immer wieder in ihrem Kopf hin und her schob, machte es das alles nur noch schlimmer, statt besser. Je länger sie darüber nachdachte, umso weniger Sinn schien es zu ergeben, aber am Härtesten war die Sache mit dem Köter zu verdauen.

Sie war eine Wölfin verdammt und nicht einfach irgendein Köter! Außerdem hatte Delilah nicht den Eindruck, sie würde sich vor James erniedrigen oder lächerlich machen. Sie wollte doch einfach nur nicht, dass sich die Gesamtsituation noch mehr zuspitzte und die Brüder sich an die Kehle gingen. Nicht wegen ihr.

Aber natürlich hatte sie das wieder einmal gewaltig versaut. Trotzdem wollte sich nicht so recht Reue in ihr einstellen, wenn sie an diesen Morgen am Weiher dachte. Ganz im Gegenteil. Es fühlte sich richtig an, auch jetzt noch und es hatte definitiv etwas in ihr verändert.

Genau deshalb irrte sich Dean. Er musste sich einfach irren.

Delilah hängte das nasse Geschirrtuch über den Griff des Backrohrs und sah sich noch einmal gründlich um, ob sie auch wirklich nichts übersehen hatte. Danach verließ sie die Küche, um auf ihr Zimmer zu gehen. Was sie jetzt vor allem Anderen brauchte, war eine schöne, heiße Dusche, um den Kopf wieder frei zu bekommen, denn dieses Mal würde sie nicht den Schwanz einziehen. Delilah musste mit James reden, auch wenn sie dank Deans kryptischer Andeutungen nun erst recht nicht mehr sagen konnte, wie er auf die Nachricht in Bezug auf ihre Schwangerschaft reagieren würde.

Sie hatte Angst, dass es nichts Gutes sein würde.

23. Kapitel

Delilah verbrachte den restlichen Vormittag damit, ihre Wäsche von der Leine zu nehmen, sie ordentlich zusammen zu legen und zu veräumen. Danach machte sie sich im Haus auf die Suche nach Arbeit, da sie im Augenblick keinen der drei Werwölfe über den Weg laufen wollte, die in der Autowerkstatt beschäftigt waren. Sie hatte genug mit sich selbst zu tun, um sich jetzt mit einen der anderen herumschlagen zu wollen.

Allerdings war es James, der ihr die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gehen wollte, während sie das Haus gründlich saugte – alle privaten Zimmer, in die sie noch nicht eingeladen worden war, ausgenommen – etwas Staub wischte und sich sogar dazu überwinden konnte, das untere Bad zu putzen, in dem gerne die drei Herren wüteten.

Zugegeben, sie hatte schon Schlimmeres gesehen, aber Männer sahen einfach nicht den Dreck, der Frauen regelrecht ins Auge sprang. Von daher gab es trotzdem noch einiges zu tun, obwohl die Männer an sich nicht schlampig waren. Das konnte sie nun wirklich nicht behaupten. Vermutlich war das ein Resultat eines langjährigen Jungesellenhaushalts, der gelernt hatte, auch ohne eine gute Fee zu funktionieren. Zumindest fand Delilah nichts, was auch nur annähernd auf eine längere Anwesenheit eines weiblichen Wesens hingewiesen hätte.

Natürlich musste Delilah sich eingestehen, vielleicht nicht sehr gut mit der Waschmaschine zurecht zu kommen, oder wie genau man nun den Geschirrspüler bediente. Aber ihre Adoptiveltern waren streng gewesen, was Ordnung anging und daher fand sie trotzdem immer noch etwas im Haus der Werwölfe zu putzen. Im Grunde war das ohnehin nichts weiter als Beschäftigungstherapie, um nicht allzu viel nachdenken zu müssen. Aber so konnte sie sich wenigstens auch nützlich machen, wenn sie schon sonst nichts als Gegenleistung für die Gastfreundschaft tun konnte.

Gegen Mittag wurde dann endlich die Haustür geöffnet und Delilah war schon halb auf der Treppe nach unten in der Hoffnung, James hätte es sich mit dem Kochen doch noch anders überlegt. Allerdings wäre sie beinahe die restlichen Stufen hinunter gefallen, als Elijas mächtiger Umriss den Türrahmen ausfüllte und sie automatisch vor Angst zu erstarren drohte.

Delilah konnte sich gerade noch fangen, polterte die restlichen Stufen weniger elegant hinunter und blieb kaum einen Meter vor dem riesigen Werwolf stehen. Sein Blick war schneidend kalt und so finster, dass es selbst das Licht im Flur zu dimmen schien. Aber überraschenderweise hob ihre Wölfin trotzig den Kopf und knurrte ihn an, während Delilah sich straffte und sich dazu zwang noch eine Sekunde länger in diese abweisenden Augen zu blicken, bis Dean hinter seinem Vater hereinkam und sie einen Grund hatte, wegzuschauen.

Elijas Ultimatum hatte nun weniger an Bedeutung, da zumindest Dean von ihrem Geheimnis wusste und er noch keine Anstalten gemacht hatte, sie wegzuschicken. Ganz im Gegenteil.

Aber ob das irgendetwas gegen den Entschluss seines Vaters ausrichten konnte, wusste sie nicht. Sie durfte auch nicht darauf hoffen, wenn sie sich nicht blind auf jemanden verlassen wollte.

"Etwas Warmes zu Essen gibt es leider nicht.", meinte sie an Dean gewandt, da sie sicherlich nicht freiwillig das Wort an Elija richten würde. Eher biss sie sich die Zunge ab. Selbst jetzt noch fühlte sie sich total hilflos in seiner Nähe und dass er sie zum Zittern brachte, fand sie auch nicht gerade prickelnd. Daher war sie froh, als der riesige Werwolf mit einem unbestimmten Brummen an ihr vorüber und in die Küche ging.

"Alles okay bei dir?" Dean riss ihre Aufmerksamkeit an sich, die bis gerade eben noch auf den breiten Rücken seines Vaters geheftet war. Er wollte sie berühren und Delilah konnte es nicht verhindern, dass sie vor ihm zurück zuckte. Sofort ließ er seine Hand wieder fallen und seine Miene wurde ausdruckslos.

Delilah senkte den Blick und strich unbewusst über die Stelle, wo er sie gebissen hatte.

"Alles in Ordnung. Ich…" Sie hatte nur eine Scheißangst vor seinem Vater, obwohl sie das nicht zugeben konnte und gerade fiel ihr ein, dass der Kerl es sicherlich nicht gerade locker aufnehmen würde, wenn er erfuhr, was Dean und sie da im Wald getrieben hatten. Oder hinter dem Werkzeugschuppen. Und wenn es heute Morgen für James schon so eindeutig gewesen war, wollte sie gar nicht wissen, was Elija bereits alles mitbekommen hatte. Immerhin, im Augenblick roch sie nur noch schwach nach Dean, da sie sich gründlich geduscht hatte und man könnte es mit viel Glück darauf schieben, dass eben das ganze Haus nach ihm und den anderen beiden Männern roch. Aber sobald er den Biss sah, würde auch der alte Werwolf die richtigen Schlüsse ziehen.

Delilahs Stimme wurde zu einem Flüstern, während sie Dean bittend ansah: "Können wir das auf später verschieben?" Sie machte mit dem Kopf eine eindeutige Geste in Richtung Küche, der Dean mit den Augen folgte, ehe er sich deutlich entspannte und sogar zu grinsen anfing.

"Klar."

Gott sei Dank. Er hatte verstanden. Delilah atmete erleichtert auf, ehe sie das Thema wieder auf sicheren Boden lenkte.

"Wie gesagt, es gibt nichts Warmes zu Essen. Aber die kalte Küche ist geöffnet." Sie schenkte Dean ein Lächeln und streifte flüchtig mit ihren Fingerspitzen seinen Handrücken, ehe sie voraus in die Küche ging und erneut die Enttäuschung über James' Entscheidung hinunter zu schlucken versuchte.
 

Bewaffnet mit einem großen Teller, auf denen sich gut gefüllte Sandwiches zu einer Pyramide stapelten, marschierte Delilah eine Weile später entschlossen auf die Autowerkstatt zu, während die beiden anderen Männer am Tisch noch mit ihrem Hunger beschäftigt waren. Sie selbst hatte noch keinen allzu großen Hunger gehabt, weshalb sie die Zeit lieber genutzt hatte, um für James etwas zu machen, das man auch bedenkenlos essen konnte. Immerhin hatte er noch nicht einmal gefrühstückt und auch wenn er in den Hungerstreik gegangen sein sollte, so konnte sie die Szene von heute Morgen nicht einfach auf sich beruhen lassen. Die Sandwiches waren daher ein guter Vorwand, um ihre Anwesenheit zu rechtfertigen. Außerdem wollte sie Deans Unmut nicht umsonst auf sich gezogen haben, da er sehr wohl mitbekommen hatte, für wen sie da so viele Sandwiches machte.

In der Werkstatt war es kühler als draußen, aber angenehm. Das kleine Radio, zu dem Dean schon getanzt hatte, lief wie immer, allerdings mit ungewohnt leiser Lautstärke. Drei Wagen unterschiedlicher Bauart standen unfertig herum. Dem einen fehlten die Reifen; dem anderen stand die Motorhaube weit offen und beim dritten Wagen konnte sie nicht genau erkennen, was ihm fehlte, aber Funken sprühten darunter hervor und auch wenn sie dieses Geräusch nicht oft hörte, so war sie sich sicher, dass James gerade irgendetwas schweißte.

Delilah lief also um den letzten Wagen herum, stieg über James' Beine hinweg und ging dann mit dem Teller in den Händen in die Hocke. Kurz wartete sie, doch als er nach einer Minute immer noch keine Anstalten machte, seine Arbeit zu unterbrechen, stellte sie den Teller auf eine umgedrehte Ölwanne ab und berührte James' Knie.

Die Tatsache, dass er nicht zusammenzuckte, bestätigte ihr, dass er sie sehr wohl bemerkt, aber ignoriert hatte. Und auch jetzt, da sie sich deutlich bei ihm bemerkbar gemacht hatte, zögerte er noch einen Moment, ehe er unter dem Wagen hervor rollte, das Schweißgerät zur Seite legte und die Schutzmaske vom Kopf zog. Dabei standen ihm alle Haare zu Berge, was ihm zugegeben, ziemlich gut stand. Trotzdem war es immer noch verwirrend, wie sehr er Dean ähnelte. Ein Grund, wieso sie ihm nicht lange in die Augen schauen konnte. Es waren die gleichen, wie die seines Bruders. Aber der Ausdruck darin war ein vollkommen anderer.

"Was ist?", wollte er kühl wissen, nachdem sie nur geschwiegen hatte.

Delilah versuchte seinen Tonfall zu ignorieren, während sie den Teller mit den Sandwiches in die Hand nahm und ihm unter die Nase hielt.

"Ich dachte, du hast vielleicht Hunger." Punkt. Sie würde ihm sicherlich nicht unter die Nase reiben, wie viel Mühe sie sich mit den Sandwiches gemacht hatte. Immerhin waren das seine Lieblingssandwiches. Zumindest hatte er es ihr erst unlängst verraten.

"Für mich?" Sein Blick war ziemlich ungläubig und auch skeptisch. Er misstraute ihr so offensichtlich, dass es ihr einen Stich gab. Aber davon würde sie sich jetzt sicherlich nicht fertig machen lassen. Immerhin meinte sie das hier ernst und wollte ihn nicht einfach verarschen.

"Klar. Ich hätte natürlich auch noch mit Senf deinen Namen darauf schreiben können, aber ich glaube, das wäre dann etwas zu viel des Guten gewesen." Zumal James eher ein Fan von Majonäse war.

Man merkte ihn an, wie sehr es hinter seiner Stirn arbeitete. Offenbar wog er gerade alle Möglichkeiten gegeneinander ab, anstatt einfach zuzugreifen.

"Die sind auch nicht vergiftet. Versprochen.", versuchte sie ihm weiter auf die Sprünge zu helfen.

"Oh und ehe ich es vergesse…" Delilah balancierte den Teller auf einer Hand, während sie mit der anderen in die Bauchtasche ihres dünnen Pullovers griff und eine ungeöffnete Cola-Dose hervor zauberte.

"Hier." Beides hielt sie ihm nun mit einem ehrlichen Lächeln hin.

Einen Moment zögerte James noch, doch dann legte er die Schutzmaske zur Seite, wischte seine Hände sorgfältig an einem frischen Tuch ab und griff schließlich nach dem Teller.

"Warum tust du das für mich?", wollte er wissen, ehe er noch etwas zögerlich vom obersten Sandwich abbiss.

Sie konnte es ihm nicht verdenken. Bei ihren Kochkünsten wäre sie auch skeptisch, aber so schlimm konnte es nicht sein, da er gleich noch einen Bissen nach schob. Dieses Mal herzhafter. Sie hatte also doch nicht falsch gelegen. Er musste einen gewaltigen Hunger haben.

"Weil du Hunger hast und ich nicht angenommen habe, dass du vorhattest, bald etwas dagegen zu unternehmen." Delilah zog die umgedrehte Ölwanne zu sich heran, wischte kurz mit den Fingerspitzen darüber, ob sie auch halbwegs sauber war und ließ sich dann darauf nieder.

"Außerdem wollte ich mit dir reden und da ich dich offenbar aus deiner Küche vertrieben habe, musste ich eben zu dir kommen."

James warf ihr nur einen kurzen Seitenblick zu, ehe er sich mit dem Rücken gegen den Wagen lehnte und sich über das nächste Sandwich her machte.

"Und über was willst du reden?" Sein Tonfall allein machte ihr klar, dass es in seinen Augen nichts gab, worüber er im Moment mit ihr reden wollte, aber auch seine Haltung war … angespannt.

Oh Gott. Wollte sie ihm wirklich jetzt von der Schwangerschaft erzählen? Vermutlich würde er an seinem Sandwich ersticken, wenn sie es tat. Außerdem war sein ganzes Gehabe nicht besonders ermutigend. Aber sie war es ihm schuldig und vermutlich würde er es noch schlechter auffassen, wenn Dean es schon zu lange vor ihm wusste. Trotzdem. Die Worte wollten ihr kaum über die Lippen kommen.

"Es gibt da etwas, das du wissen musst.", begann sie vorsichtig, verstummte allerdings sofort, als sie James' Schnauben hörte.

"Seit heute Morgen weiß ich mehr, als ich wissen wollte. Also wenn du darauf anspielst, dann lass es."

Delilah erstarrte unter dem verbalen Seitenhieb, den er ihr verpasst hatte. Sie musste sich stark zusammenreißen, um nicht plötzlich wütend zu werden, aber es wollte ihr kaum gelingen. Nur mit Müh und Not konnte sie ruhig weiter sprechen: "Ich werde mich sicherlich nicht dafür entschuldigen, dass ich Dean mag. Außerdem hast du kein Recht dazu, dich deshalb so aufzuführen. Schließlich hast du ihn einfach so im 'Big Horns' für diese Frau stehen lassen, während er auf Blueballs seine Schulden bei dir abgearbeitet hat." Ihre Stimme wurde nun doch etwas schärfer. "Schulden, die eigentlich nur deinem verletzten Ego entsprungen sind und selbst darauf kannst du dich jetzt nicht mehr berufen, nachdem du so offensichtlich diese Nadine gevögelt hast!"

Allein bei Erwähnung dieses Namens, wollten sich ihr die Nackenhärchen aufstellen und auch ihre sehr präsente Wölfin knurrte aggressiv in ihrem Kopf. Bei der Vorstellung, wie James dieses Miststück fickte, wollte sie irgendwo ihre Krallen reinschlagen, aber sie hielt sich noch zurück, zumal sie jetzt auch bei James deutlich die Wut wahrnehmen konnte.

Inzwischen war der Teller halb leer, als er ihn nun ruckartig zur Seite stellte und ihr das Cola langsam aus den Fingern zog, während er sie wütend anfunkelte.

"Lass gefälligst Nadine aus dem Spiel." Die Dose gab ein Zischen von sich, als er sie öffnete und Delilah wünschte sich, sie hätte sie vorher ordentlich durchgeschüttelt, so allerdings biss sie sich gereizt auf die Unterlippe, um nichts Falsches zu sagen, während er in großen Zügen trank, ehe er ihr den nächsten Seitenhieb verpasste.

"Im Gegensatz zu dir hatte sie nie das Bedürfnis meinen Bruder zu vögeln. Und weißt du was?" James beugte sich ein Stück weit zu ihr hinüber, so dass sie noch deutlicher seine Witterung unter all dem Öl und Metallgeruch wahrnehmen konnte. "Das ist ein verdammt gutes Gefühl."

Delilah wollte ihn ohrfeigen. Sie wollte ihn bei den Schultern packen und ordentlich schütteln, damit er wieder zu klarem Verstand kam. Immerhin glaubte sie der Geschichte, die Dean ihr über Nadine erzählt hatte, aber James tat es offensichtlich nicht. Genau so, wie sein Bruder gesagt hatte.

Die Wut auf diese Frau schwoll noch weiter an, bis Delilah glaubte, daran zu ersticken. Nur mit aller Macht konnte sie das Gefühl für den Moment zur Seite drängen, um sich auf James zu konzentrieren. Sie wollte nicht mit ihm streiten. Sie wollte so viele andere Dinge tun, aber er ließ ihr so gut wie gar keine andere Wahl.

"Und darum spielst du jetzt den beleidigten Werwolf? Schafft es die Frau etwa nicht, dich glücklich zu machen?" Nach allem was Delilah über sie gehört hatte, würde sie das überhaupt nicht wundern.

Beinahe kippte sie nach hinten, als James plötzlich von seinem Platz hoch fuhr. Nur am Rande nahm sie wahr, das die Cola-Dose davon rollte und ihren Inhalt auf den Boden verteilte, während goldbraune Augen so nahe vor ihrem Gesicht schwebten, dass sie deren Hitze auf ihrer Haut zu spüren schien.

Ihr Körper begann unter der unbequemen Haltung, in der sie sich gerade so aufrechthalten konnte, zu zittern, aber sie wagte es nicht, sich zu rühren, solange James sich so bedrohlich vor ihr aufgebaut hatte, als wolle er jeden Moment auf irgendetwas einschlagen.

Dank Dean konnte sie inzwischen sehr genau den Werwolf hinter der menschlichen Maske erkennen. Delilah hatte wirklich keine Ahnung, warum ihre Worte das Tier so sehr herausgefordert hatten. Aber James ließ ihr auch keinen Moment lang die Zeit, um darüber nachzudenken. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, ordentlich auszuteilen.

"Was weißt du schon von Glück?", knurrte er sie an und kam noch näher, so dass ihre Hände sich noch mehr an den Rand der Ölwanne klammerten, um nicht endgültig den Halt zu verlieren, da sie keinen Millimeter nachgab.

"Außerdem habe ich dir schon einmal gesagt, dass du Nadine gefälligst da raushalten sollst. Sie geht dich nichts an!"

Ihr logischer Verstand wollte sich bei dieser offenen Drohung verabschieden und sich in irgendeine Ecke hocken und flennen. So wütend hatte sie James noch nie gesehen und zugleich strahlte er eine Bedrohlichkeit aus, die sich wie feine Nadelstiche auf ihrer Haut anfühlten. Vermutlich wäre es das Klügste gewesen, sich jetzt sofort auf den Rücken zu werfen und so viel Unterwürfigkeit zu zeigen, wie sie nur konnte, damit er sie nicht am Ende als Nachtisch verputzte. Aber ihre menschliche Seite hatte die Rechnung ohne ihre Wölfin gemacht und die zog nicht einfach den Schwanz ein. Stattessen packte Delilah James am Kragen, um besseren Halt zu bekommen, während sie dem lodernden Blick ungebrochen standhielt.

"Ich weiß nur eines." Ihre Stimme war eine einzige Drohgebärde nahe seiner Lippen. "Wenn dieses Miststück es wagen sollte, dir weh zu tun, dann mach ich es fertig!" Ihr Griff verstärkte sich, als er sie grob im Nacken packte.

"Das-", begann er grollend.

"-ist ein Versprechen!", beendete sie für ihn den Satz, dieses Mal direkt an seinen Lippen. Die Berührung schien endgültig die Fesseln seiner Beherrschung zu zerreißen, die ihn bis gerade eben noch gehalten hatten. Sein Mund presste sich hart auf den ihren. Schien sie für alles bestrafen zu wollen, das James ihr insgeheim vorwarf und doch zwang es sie nicht in die Knie. Ganz im Gegenteil. Ihre Wut stand der seinen in nichts nach, weshalb sie den Kuss mit gleicher Intensität erwiderte, aus dem Verlangen heraus alle Küsse, die er je mit dieser Schlampe ausgetauscht hatte, restlos auszulöschen.

Sie strich mit ihrer Zunge über seine Lippen. Wollte sie auseinander zwingen, um ihn vollends zu erobern und als er das nicht sofort zuließ, biss sie ihn in die Unterlippe, bis er mit einem Stöhnen nachgab. Ihre Zähne gerieten aneinander. Sie schmeckte den Hauch von Blut und dann war da nur noch sengende Hitze, als ihre Zungen sich wild zu umwerben begannen, ihr Atem sich vermischte und die Wut sie beide zu verbrennen drohte.

Die Ölwanne rutschte endgültig unter ihr weg. Sie landete am Boden. James direkt auf ihr. Seine Hände schienen plötzlich überall zu sein und bei Gott, sein Gewicht fühlte sich so verdammt gut auf ihrem Körper an, während sie nur noch mehr nach seinem Mund gierte und ihm beinahe den Kragen seines Shirts zerriss, so fest umklammerte sie es. Gezwungenermaßen ließ sie den Stoff los, nur um ihre Finger in James' Haar zu vergraben und daran zu ziehen, wenn er gnadenlos ihre Brüste erkundete und sie damit noch wilder machte. Es tat weh und dann doch nicht. Sie konnte es nicht beschreiben und wollte es auch gar nicht. James' ließ sie ohnehin keinen einzigen klaren Gedanken fassen, als er sich auch noch zwischen ihre Beine drängte und die feste Naht seiner Jeans durch den dünnen Stoff ihrer Leggins hindurch über ihr Zentrum rieb.

Delilah stöhnte auf und bog sich ihm entgegen, während ihre Finger über James' Nacken kratzten und er von ihren Lippen abließ, um mit seiner Zunge einen glühenden Pfad über ihren Hals zu ziehen.

Sein plötzliches Erstarren riss auch sie wieder ein Stück weit in die Realität zurück. Allerdings war James es, der sich mit einem wütenden Knurren von ihr los machte und so schnell auf die Beine kam, als hätte er sich an ihr verbrannt.

Delilah brauchte etwas länger, um das Rauschen in ihren Ohren und den Schwindel in ihrem Kopf abzuschütteln, ehe sie sich auf den Hintern hochkämpfen konnte. Zunächst begriff sie gar nichts. Weder wie es hatte soweit kommen können, noch warum es so schnell zu Ende gegangen war. Aber sie musste nur James' Blick folgen, um wenigstens auf Letzteres eine Antwort zu bekommen. Ihr Pulli war im Ausschnitt eingerissen und gab somit den Blick auf Deans Biss frei. Im Grunde war das alles, was sie wissen musste, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber sie war noch zu verwirrt, um jetzt darüber nachdenken zu können. Stattdessen galt ihre volle Aufmerksamkeit James, der plötzlich wütend herumfuhr und mit voller Wucht gegen einen Werkzeugwagen trat, so dass dieser gegen die Wand krachte und einen Teil seines Inhalts ausspuckte. Dann richtete sich sein Blick wieder auf sie und dieses Mal war er tatsächlich der Grund, warum sie zu zittern begann.

"Verdammt, Deli! Warum musstest du dich für ihn entscheiden?!", fuhr er sie an. Seine Worte klangen so endgültig und zudem waren sie so falsch. Aber vermutlich würde er das nie verstehen.

Delilah richtete sich den Kragen, während sie leise und tonlos erwiderte, ohne ihn anzuschauen: "Nein, J. Im Gegensatz zu dir, habe ich mich noch lange nicht entschieden."

Damit drehte sie sich um und verließ die Werkstatt. Sie fühlte sich wie ein Zombie, während sie die Strecke zum Haus zurück legte, die Tür öffnete und schließlich die Stufen hoch stolperte, um in ihr Zimmer zu gelangen.

Da sie die Tür abgeschlossen hatte, musste sie auch nicht reagieren, als sie eine Weile später Deans leises Klopfen hörte. Stattdessen vergrub sie sich noch tiefer unter der Bettdecke und gab sich vollkommen dem Gefühl der Leere hin, die James' Berührungen zurückgelassen hatten.

24. Kapitel

Delilah konnte sich nicht lange unter ihrer Bettdecke vergraben und die Welt um sich herum ausschließen, obwohl sie es nur allzu gerne für immer getan hätte. Doch das kleine Etwas in ihrem Bauch – das auch so schon für genug Trubel sorgte – machte ihrer aufkommenden Melancholie ein jähes Ende, in dem es sie auf eine sehr wirksame Art und Weise aus dem Bett zwang. Delilah übermannte eine Übelkeit, die nur einen Schluss zuließ und daher zögerte sie auch keine Sekunde, sondern lief so schnell sie konnte in das kleine Bad, um sich über die Kloschüssel zu hängen.

Es kam zwar nicht häufig vor, dass sie sich übergeben musste, aber für den Fall der Fälle ließ sie schon aus Gewohnheit den Klodeckel hochgeklappt, um keine wertvollen Sekunden zu verlieren, wenn es hart auf hart kam. Diese Strategie machte sich bezahlt, so dass Delilah einige Minuten später nur die Spülung zu betätigen brauchte und die Zähne putzen musste, um alle Spuren ihrer Übelkeit zu beseitigen.

Das Übelkeitsgefühl hatte zwar nachgelassen, aber sie fühlte sich immer noch elend, als sie zurück zu ihrem Bett schlurfte und es einfach nicht über sich brachte, sich darauf fallen zu lassen. Wer wusste schon, wann sie das nächste Mal daraus hervor gekrochen kam. Außerdem hatte sie etwas zu erledigen.

Dean war vor einer ganzen Weile in sein Zimmer gegangen und seither hatte er es nicht wieder verlassen. James hingegen hatte den 1. Stock nicht einmal betreten, obwohl sie ihn kurz einmal im Erdgeschoss hatte hören können. Irgendwo war auch der alte Werwolf unterwegs, aber momentan war sie mit Dean alleine im Haus. Vielleicht war das auch besser so.

Langsam und mit einem Zögern, das sie einfach nicht ablegen konnte, während sich ihre Gedanken überschlugen, überquerte Delilah mit wild klopfendem Herzen den Flur. Dabei kam sie an James' Zimmer vorbei, das genau neben dem ihren lag und das sie noch nie betreten hatte. Aber seine Witterung hing unverkennbar in der Luft, auch wenn es schon Stunden her sein musste, dass er das letzte Mal hier gewesen war.

Delilah versuchte die Erinnerungsfetzen abzuschütteln, die bei seinem Geruch in ihr hochkommen wollten, während sie sich dazu zwang, weiter zu gehen. Auf die Tür zu, die weiter hinten im Flur direkt gegenüber lag.

Es gelang ihr nicht vollkommen. Sie konnte immer noch James' brennende Küsse auf ihrem Mund fühlen. Wie er sie rau und besitzergreifend berührt hatte. Wie sich ihre Finger in seinem Haar angefühlt hatten…

Ihre Finger zitterten erneut, als sie leise an Deans Tür klopfte und von stiller Selbstverachtung aufgefressen zu werden drohte, während sie wartete. Dean hatte das nicht verdient. Auch wenn es nur ein Ausrutscher gewesen war, so konnte Delilah doch nicht leugnen, dass diese ganzen Emotionen nicht auch einen Grund gehabt hatten und der hatte eben auch mit Deans Zwillingsbruder zu tun, ob sie es nun wollte oder nicht.

Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, wieso sie sich nicht einfach für Dean entscheiden konnte.

Sein "Herein" klang abwesend aber neutral. Was sich damit erklärte, dass er gerade in einer Zeitschrift vertieft war, als sie das Zimmer betrat und die Tür leise wieder hinter sich schloss.

Auch Deans Zimmer hatte sie noch nie gesehen und dementsprechend schwer fiel es ihr, sich nicht gründlich umzuschauen. Delilah wusste zwar nicht, womit sie hätte rechnen müssen, da sie schon zu viele 'Männerbuden' gesehen hatte, um direkt von dem Besitzer auf die Einrichtung schließen zu können, weil das bisweilen unmöglich war, aber sie war dann am Ende doch positiv überrascht.

Deans Reich war eine Mischung aus chaotischer Studentenbude und sauber aufgeräumter Junggesellenfestung. Die Wände waren voll mit verschiedensten Postern von sportlichen Autos in allen möglichen Variationen. Dazwischen hingen feinsäuberlich ausgearbeitete Skizzen von auseinandergenommenen Autoteilen und egal wie intensiv sie auch danach suchte, sie fand keine Hinweise auf knapp bis gar nicht bekleidete Damen in aufreizender Pose. Stattdessen waren da Fotos von ihm und seinem Bruder mit ihrem Vater. Von Freunden und auch weiblichen Bekanntschaften. Ansichts- und benutzte Kinokarten. Eine kleine Fahne vom hiesigen High-School Basketballteam und diverse kleinere gerahmte Sportauszeichnungen.

Das Mobiliar bestand aus einem riesigen verspiegelten Schrank, in dem sich das große Doppelbett spiegelte, auf dem Dean gemütlich ausgestreckt lag. Neben dem Schrank stand ein Schreibtisch, der wohl schon längst nicht mehr zum Lernen sondern zum Studieren von kleineren Autoteilen benutzt wurde. Denn auch jetzt hatte Dean ein mechanisches Teil auf Zeitungspapier ausgebreitet, das sie nicht identifizieren konnte. Feinere Werkzeuge lagen daneben, ebenso wie aufgeschlagene Fachzeitschriften.

Zwei kleinere Topfpflanzen erfreuten sich auf der breiten Fensterbank neben dem Bett bester Gesundheit – was bei Männern schon sehr viel aussagte, sofern man es nicht mit einem Botaniker zu tun hatte – und darunter stand ein äußerst einladend wirkender Sitzsack. Das alles wurde von mehreren Regalen mit CDs, einer Stereoanlage, vereinzelt angehäuften Büchern und mehreren Baskettballtrophäen abgerundet.

Alles in allem wirkte die Einrichtung weder überladen, noch wirklich geordnet. Aber Delilah kam trotzdem zu dem Schluss, dass sie das Zimmer äußerst gemütlich und sogar in gewissem Sinne gepflegt fand. Zwar lagen die ein oder anderen Klamotten herum, aber der Boden war staubfrei und nirgendwo gammelten irgendwelche Essensreste vor sich hin. Ein Zustand den einige Männer nicht als selbstverständlich betrachteten.

"Willst du dich nicht setzen?"

Deans Stimme riss sie aus ihrer überaus gründlichen Beobachtung und ein Blick genügte, um zu wissen, dass er sie im Gegenzug auch schon eine Weile beobachtet haben musste. Die Zeitschrift, in der er vorhin noch so vertieft gewesen war, lag jetzt verkehrt herum auf dem Nachttisch, während er einen Basketball in den Händen hielt, der vorher definitiv noch nicht da gewesen war.

"Also?" Er hob fragend eine Augenbraue, woraufhin Delilah endlich in die Gänge kam und sich für den Sitzsack entschied. Sie hätte sich auch an den Schreibtisch oder aufs Bett setzen können, aber das schien ihr irgendwie nicht richtig.

"Du hast das Abendessen verpasst.", durchbrach Dean schließlich das aufkommende Schweigen, da sie keinen Ton von sich hatte geben können, nachdem sie schwer auf den weichen Sitzsack gesunken war.

Kurz schenkte sie ihm einen flüchtigen Blick, um abzuwägen wie seine Gefühlslage aussah, da sie seinen ruhigen Worten nichts entnehmen konnte und daher auch nicht wusste, wie viel er von dem was zwischen James und ihr vorgefallen war, mitbekommen hatte. Aber das hatte bei Dean wenig zu sagen. Er konnte stinkwütend sein und trotzdem immer noch ruhig bleiben.

Er sah sie allerdings nicht an, sondern den Ball den er auf seinen Knien balancierte und nur ab und zu mit einem seiner Finger wieder ins Gleichgewicht brachte.

"Ich … hatte keinen Hunger.", gab sie schließlich zu, was ja irgendwie auch stimmte. An Essen hatte sie die letzten Stunden ganz bestimmt nicht gedacht, was dank ihrer Brechorgie wohl auch besser so gewesen war.

"Nach heute Morgen fällt mir das schwer zu glauben." Er warf ihr einen eindeutigen Blick zu, den sie unter anderen Umständen vielleicht als Neckerei hätte auffassen können, aber weder war da ein Lächeln in seinem Mundwinkel, noch war sie in der Stimmung um darauf angemessen zu reagieren.

Sie blieben beide ernst.

Wieder kam Schweigen auf, das dieses Mal auch Dean nicht unterbrach und so blieb es wohl an ihr, mit der Sprache herauszurücken. Immerhin war sie ihm eine Erklärung schuldig. In mehrerer Hinsicht.

"James ist weg, oder?", wagte sie vorsichtig zu fragen, um das Gespräch langsam in die Richtung zu drängen, die ihr ganz und gar nicht behagte. Aber es war ihre eigene Schuld. Hätte sie sich besser zusammen gerissen, wäre das jetzt kein Problem. Sie hätte James die Sandwiches gebracht und dadurch vielleicht etwas Frieden zwischen ihnen beiden stiften können, anstatt den Graben noch tiefer zu buddeln, der ohnehin schon zwischen ihnen lag.

"Ja." Zum Glück ersparte Dean ihr Einzelheiten bezüglich des derzeitigen Aufenthaltsortes seines Bruders. Sie konnte es sich auch so denken, wo James mal wieder hingegangen war und alleine daran zu denken, machte sie schon wieder rasend.

Delilah setzte sich bequem in einen Schneidersitz und ließ die Hände locker auf ihren Schenkeln liegen, während sie die Augen schloss, als wolle sie gleich meditieren. Aber eigentlich versuchte sie nur ihre angespannte Haltung zu lockern und etwas Ruhe in ihren Körper zu bringen, der schon wieder gefährlich nahe an der 180 Grenze lag. Nun, eigentlich war das nicht ihr Körper sondern ihre Wölfin, die in ihrem Kopf rumorte, als würde allein Nadines Name sie immer wieder mit Tollwut anstecken. Dieses Miststück war wirklich verdammt gut darin.

"Willst du mir verraten, was vorgefallen ist?"

Delilah zuckte zusammen und öffnete schnell wieder die Augen. Dean sah sie immer noch nicht an, aber auch der Ball in seinen Händen bewegte sich nicht mehr. Er war merklich angespannt.

"Wie kommst du darauf, dass-?", begann sie zögerlich, verstummte jedoch sofort wieder, als sein Blick sich nun doch auf sie richtete. Er war nicht wütend oder bösartig, sondern einfach nur sehr sehr eindringlich.

"Du riechst nach ihm.", begann er zu erklären, nachdem er sich wieder auf den Ball konzentrierte und diesen auf seinem rechten Zeigefinger kreiseln ließ.

"Außerdem ist dein Pulli am Rücken dreckig." Der Ball wechselte von einer in die andere Hand. "Und James hatte frische Kratzspuren am Hals und im Nacken, als ich ihn nach dem Mittagessen gesehen habe." Er warf den Ball direkt gegen den verspiegelten Schrank, doch anstatt dass etwas in die Brüche ging, fing Dean ihn einfach mühelos wieder auf. "Mal von seiner miesen Stimmung völlig abgesehen." Der Ball hielt inne, während sich goldbraune Augen fragend an sie wandten.

Dean wollte eine Erklärung.

Delilah wusste nicht wo sie anfangen oder wie genau sie es ihm erklären sollte. Sie wusste ja noch nicht einmal, warum ihre Gefühle bezüglich der Brüder so hin und her gerissen waren. Normalerweise hatte sie keine Probleme damit, sich nur auf einen einzigen Mann zu konzentrieren. Schließlich hatte sie sich bisher immer für treu gehalten, sofern sie es einmal ein paar Wochen lang mit einem Kerl ausgehalten hatte. Aber seit sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, war nichts mehr so, wie es einmal gewesen war. Und selbst für sie wurde ihr Verhalten langsam immer unberechenbarer. Hinzu kam auch noch die immer deutlichere Präsenz ihrer Wölfin in ihrem Kopf, die sich nicht einfach ignorieren ließ.

"Wir haben uns gestritten.", gestand sie nach längerer Pause, in der sie ihre Fingerspitzen äußerst gründlich gemustert hatte, um Deans Blick auszuweichen, doch nun hob sie den Kopf, um sich noch einmal in seinem Zimmer umzusehen, während sie ihre Gedanken zu ordnen versuchte.

"Irgendwie sind wir auf diese verdammte Nadine gekommen." Die Wölfin begann lautstark bei Erwähnung dieses Namens in ihrem Kopf zu knurren und Delilah hatte Mühe ihre Hände ruhig zu halten.

"Er hat sie verteidigt – natürlich – und meinte, sie ginge mich nichts an und ich sollte sie gefälligst da raushalten." Ihr sträubten sich sämtliche Nackenhärchen und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Wieder kam ihr nur allzu deutlich der Streit in Erinnerung und was darauf gefolgt war.

Delilah zog ihre Knie eng an ihre Brust und schlang so fest die Arme darum herum, dass sie kaum noch Luft bekam. Aber es war besser, als jeden Moment aufzuspringen und auf irgendetwas einzuschlagen, zumal das hier Deans Zimmer war und sie kein Recht hatte, sich so aufzuführen. Dennoch war sie so verdammt wütend auf James, diese beschissene Schlampe und allen voran auf sich selbst, dass sie das Gefühl hatte, jeden Moment explodieren zu müssen.

Wieder glaubte sie James' brennende Küsse zu schmecken und seine dreisten Finger auf ihrer Haut zu fühlen. Es machte sie schier wahnsinnig, dass sie sich immer noch danach sehnte, obwohl sie das alles und mehr von Dean haben könnte, der sie nicht mit einer anderen Frau quälte. Ganz im Gegenteil war dieser Morgen so absolut wunderbar gewesen, dass sie sich selbst dafür lynchen könnten, was sie daraus gemacht hatte.

Sie hatte Dean hintergangen und das schmerzte sie am Meisten, vor allem weil sie es nicht hatte kommen sehen und irgendetwas dagegen hatte tun können.

Ja, es klang so einfach, etwas zu unterlassen, wenn man wusste, dass es falsch ist! Aber das Schlimmste war doch, dass es sich nicht falsch angefühlt hatte. Nicht zu diesem Zeitpunkt, aber schon wenige Augenblicke später. Und dafür musste sie jetzt wohl oder übel gradestehen.

"Es ging alles so schnell.", zwang sie sich weiter zu erzählen. " Ich konnte ihm noch nicht einmal von der Schwangerschaft erzählen." Vielleicht wäre die ganze Sache dann ganz anders ausgegangen, wenn sie es nicht so dermaßen verbockt hätte!

Nun traten ihr auch noch Zornestränen in die Augen und das war der Punkt, an dem ihre Gefühle endgültig durchdrehten und es einfach nur noch so aus ihr heraussprudelte. Delilah sprang auf und begann wie ein Wolf im Käfig hin und her zu laufen, auf der Suche nach einem Ausweg, wo es keinen gab.

"Wir haben uns geküsst, verdammt!", stieß sie aufgebracht hervor, während dicke Tränen ihre Wangen hinab kullerten. Egal ob der alte Werwolf sie hören konnte oder nicht. Im Augenblick sollte sich Elija besser nicht in ihre Nähe wagen, wenn er noch an seinen Eiern hing.

"Scheiße! Ich weiß noch nicht mal, wie es dazu gekommen ist!" Sie warf verzweifelt die Hände in die Höhe. " In einem Moment streiten wir uns; im nächsten liegen wir bereits wild knutschend am Boden und nur dein Biss an meinem Hals hat ihn letztendlich davon abgehalten, noch weiter zu gehen, denn um ehrlich zu sein-" Sie wischte sich wütend mit dem Ärmel ihres Pullovers übers Gesicht, was nicht besonders viel half, wenn man bedachte, wie ihre nächsten Worte lauteten und ihre Gefühlswelt dazu stand. "Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wann ich mich hätte … bremsen können." Ihre Stimme sank zu einem kaum hörbaren Flüstern herab. Es tat ihr so leid. "Ich wünschte, das alles wäre nie passiert!" Und mit alles meinte sie tatsächlich alles.

Nach diesem Geständnis war es, als würde die Welt den Atem anhalten. Verstärkt wurde dieses Gefühl auch noch dadurch, dass Dean bisher keinen Ton von sich gegeben oder sonst wie reagiert hatte, obwohl sie ihn immer hatte im Augenwinkel sehen können.

Erst nachdem das tobende Gefühlsgewitter überstanden war und Delilah wieder von Verzweiflung gepackt in die Tiefe gezogen wurde, schaffte sie es, ihm einen flüchtigen Blick zuzuwerfen, ehe sie sich zurück zu dem Sitzsack schleppte und sich so schwer darauf fallen ließ, dass es unwahrscheinlich war, sich in nächster Zeit wieder davon zu erheben.

Dean hatte sie nicht angesehen. Er schien gar nichts gesehen zu haben, obwohl seine Augen auf den Ball vor ihm geheftet waren, den er so fest zwischen seinen Fingern hielt, dass seine Knöchel weiß hervortraten und diesem beinahe eine Eiform aufzwangen. Vielleicht würde er auch jeden Augenblick platzen. Der Ball – nicht Dean, obwohl das eigentlich auch nicht auszuschließen war.

Die Sekunden verstrichen. Wurden zu Minuten, in denen er sich immer noch keinen Millimeter bewegt hatte und genau diese Art der Nicht-Reaktion war sogar noch schlimmer, als alles andere, mit dem sie hätte rechnen können, wenn sie die Zeit gehabt hätte, darüber nachzudenken.

Er würde sie rauswerfen. Schwangerschaft hin oder her, nach dieser Aktion würde sie es nur allzu gut verstehen, wenn er sie nicht mehr in seinem Leben haben wollte.

Eigentlich wollte sie nicht, denn Dean bedeutete ihr ebenso viel wie James, der sie so leicht rasend machte, aber es wäre wohl für alle Beteiligten besser, wenn sie ginge. Elija würde sich bei dieser Neuigkeit bestimmt auch einmal zu einem Lächeln durchringen können. Vielleicht war es sogar ganz gut, dass sie das nicht mehr miterlebte. Sie konnte es sich bei dem alten Werwolf ohnehin nicht vorstellen.

Trotzdem tat der Gedanke – Dean und James zu verlassen - so verdammt weh, dass sie es kaum auf die Beine schaffte. Mehr schlecht als recht stolperte sie in Richtung Tür, blind von einem erneuten Tränenschleier in ihren Augen, den sie auch nicht einfach wegblinzeln konnte. Doch gerade, als sie nach dem Türknauf greifen wollte, zuckte sie erschrocken zurück, als der Basketball den Türrahmen traf und haarscharf an ihr vorbei zu Boden ging. Keine Sekunde später spürte sie Deans heißen Atem im Nacken.

"Wenn du deinen Arsch auch nur einen Millimeter über die Türschwelle schiebst, kann ich für nichts mehr garantieren."

Seine Stimme war ein einziges beherrschtes Grollen, das ihr eine Gänsehaut verursachte, ehe er sie herumriss und mit dem Rücken aufs Bett stieß. Die Matratze hatte kaum dazu Gelegenheit, sie weich abzufedern, da wurde sie auch schon von Deans Körper tiefer hinein gedrängt. Sein Geruch hing überall in der Bettwäsche und unter anderen Umständen hätte sie das sogar begrüßt, war sein Duft doch immer irgendwie beruhigend für sie, aber im Augenblick fühlte Delilah sich vollkommen gefangen. Allen voran sein wölfischer Blick hielt sie von jeglichem Protest ab, den sie ohnehin nicht gehabt hätte. Denn langsam bekam sie den Eindruck ihre Wölfin war hier die Wahnsinnige und nicht ihre Hormone oder ihr logisch denkender Verstand. Denn das Tier war vollauf begeistert von Deans aggressiver Reaktion. Was sie nur bedingt nachvollziehen konnte. Denn eine Reaktion war ihr definitiv lieber als gar keine Reaktion. Nur wusste sie nicht, was ihr als Nächstes blühte und das bereitete ihr doch Sorgen, weshalb sie sogar unbewusst die Hände auf ihren Bauch legte, um ihn zu schützen.

Dean sah es und lehnte sich langsam zurück, damit er sie nicht mehr gar so arg bedrängte, obwohl er immer noch auf ihren Oberschenkeln saß, so dass sie sich nicht von der Stelle rühren konnte.

"Glaubst du ernsthaft, ich würde dir etwas antun?", wollte er immer noch gereizt wissen und auch der Ausdruck seiner Augen strafte seine Worte Lügen, womit es kein Wunder sein dürfte, dass sie seiner Aussage nicht traute.

Eine Hand wanderte wieder in seinen Nacken und er rang sichtlich um Beherrschung, ließ sie dabei aber keine Sekunde lang aus den Augen.

"Ja, verdammt! Ich bin angepisst wegen dem, was du mit meinem Bruder getrieben hast, aber deshalb würde ich dir trotzdem niemals schaden wollen."

Als Beweis nahm er seine Hand wieder herunter und legte beide Hände so locker wie möglich auf seinen Oberschenkeln ab, aber das änderte immer noch nichts an der Tatsache, dass er auf ihr drauf saß und sie nicht gehen ließ.

"Und was willst du dann?", verlangte sie leise zu wissen; wollte sie ihn doch nicht noch mehr reizen. Seine Wut lag so deutlich in der Luft, dass es beinahe in ihrer Nase brannte und auch wenn ihre Wölfin ganz anders fühlte, so sagte ihr rationeller Verstand, sie sollte besser zusehen, dass sie wieder mehr Abstand zwischen sich und dem Werwolf brachte.

Dean verzog das Gesicht, als hätte er ihre Gedanken gelesen, was ihn noch mehr aufzubringen schien. "Dich! Verdammt noch mal, ist das denn so schwer zu verstehen? Oder glaubst du ernsthaft, ich würde all den Scheiß dulden, den du mir aufzwingst, wenn es nicht so wäre?"

Es brauchte einen Moment, bis sein Geständnis in ihren Gehirnwindungen ankam, doch dann sah sie schon fast verzweifelt zu ihm hoch. Wieso konnte er sie nicht einfach gehen lassen? Es wäre doch auch für ihn so vieles leichter!

"Aber warum, Dean? Ich tu dir weh. Ich hintergehe dich und du kannst nicht einmal wissen, ob ich nicht doch von James schwanger bin. Außerdem, so sehr ich mir auch wünschte, es wäre anders … ich mag ihn ebenso stark, wie ich für dich empfinde…"

Das war schon mehr, als sie hatte sagen oder sich selbst eingestehen wollen, weshalb sie nun nur noch verzweifelter versuchte, von Dean und seinem intensiven Blick wegzukommen. Doch alles was sie damit erreichte, war, dass er ihre Hände nahm und sie neben ihrem Kopf in die Matratze presste, während er sich wieder so dicht über sie beugte, dass sein Atem über ihre Haut strich.

"Glaubst du ernsthaft, das spielt für mich eine Rolle?"

Sie konnte ihn nur verwirrt ansehen. Was meinte er denn damit? Natürlich spielte das alles eine Rolle. Es passte vorne und hinten einfach nicht zusammen!

Dean atmete einmal tief durch, ehe er eine ihrer Hände los ließ, um mit einer Strähne ihres weißen Haares zu spielen und sehr viel ruhiger hinzufügte: "Der Gedanke, Vater zu werden, löst etwas in mir aus, das ich weder beschreiben kann, noch wirklich kapiere. Aber diesem Gefühl – meinem Tier ist es scheißegal, ob das Baby nun von James oder mir ist. Es ist von unserem Fleisch und Blut und das ist alles was zählt. Hinzu kommt, dass mir in meinem ganzen Leben noch keine Frau untergekommen ist, die diese ganzen verrückten Dinge mit mir anstellt, selbst wenn sie nicht einmal in der Nähe ist."

Seine Hand streichelte über ihre Wange, während sein Blick sie unverwandt festhielt, als wolle er sicher gehen, dass sie ihm auch wirklich zuhörte. Doch die Sorge war völlig unbegründet. Delilah hing geradezu mit rasendem Herzen an seinen Lippen. Das was er ihr da zu sagen versuchte, war mehr als sie gedacht hätte. Mehr als ihr je jemand gesagt hatte. Umso schwerer fiel es ihr daher, es wirklich zu begreifen.

"Du bringst mich sogar dazu, mich mit James zu prügeln. Wer würde das denn sonst schaffen?" Dean lächelte freudlos und sein Blick wurde um eine Spur dunkler, als seine Finger ihren Hals hinab zu dem zerrissenen Ausschnitt ihres Pullis glitten. "Es macht mich wahnsinnig, zu wissen, dass er dich berührt und geküsst hat. Aber viel schlimmer wäre es, wenn es nicht mein Bruder gewesen wäre, der das getan hat. Ich glaube, ich müsste denjenigen umbringen."

Ein tiefes Grollen brachte seinen gesamten Brustkorb zum Vibrieren, aber es waren seine Worte, die ihr mehr Sorgen machten. Er hatte vollkommen ernst geklungen.

Vorsichtig, um ihn ja nicht zu erschrecken, hob Delilah ihre freie Hand an sein Gesicht und versuchte seinen Blick wieder auf sich zu ziehen. Es gelang ihr erst nach mehreren Sekunden, nach dem das Knurren in seiner Kehle wieder verschwunden war.

"Genau darum sollte ich gehen, damit-"

"NEIN!"

Dean schlang seine Arme um sie und hielt sie so fest, dass sie sich wie in einem viel zu engen Käfig vor kam, aber sie wagte nicht dagegen zu protestieren, waren seine Zähne doch viel zu dicht an ihrem Hals. Zumindest konnte sie seine Lippen auf ihrer Haut fühlen bei jedem Wort, das er sagte: "Kapierst du es denn immer noch nicht? Ich will dich! Und wäre ich mir nicht vollkommen sicher, dass ich dir auch irgendetwas bedeute, dann würde ich dich sogar eigenhändig in James' Arme treiben, nur damit du in meiner Nähe bleibst. Aber…" Er hob den Blick und der Wolf in seinen Augen schien sie direkt anzustarren, während ihre eigene Wölfin zurück starrte. "…du bist hier bei mir. Das muss doch auch etwas bedeuten, oder?"

Sie glaubte immer noch nicht, es ganz zu begreifen. Aber wenigstens in einer Sache konnte sie ihm von ganzem Herzen zustimmen.

Delilah strich vorsichtig seinen Rücken hinauf zu seinem Nacken, um dort ihre Finger in seinem Haar zu vergraben. Es fühlte sich ebenso toll an wie bei James. Aber nicht etwa, weil Dean sich wie James anfühlte, sondern weil er Dean war. Genauso wie er es gewesen war, der diese schönen Stunden mit ihr am Weiher verbracht hatte, die sie auch jetzt nicht bereute und wohl auch nie bereuen würde.

"Es tut mir leid, dass ich dir immer wieder wehtue.", hauchte sie ihm leise zu, während ihre Augen sich schon wieder mit Tränen füllten. Doch dieses Mal waren es diejenigen von der guten Sorte. Immerhin war sie glücklich, bei Dean sein zu können, selbst jetzt noch.

"Aber du hast recht. Ich bin hier bei dir." Sie schmiegte sich an ihn und wollte ihn am liebsten nie wieder los lassen. "Und im Augenblick würde ich nirgendwo anders sein wollen…"

Dean entzog sich ihr daraufhin leicht, damit er sie ansehen und ihr eine Träne wegwischen konnte. "Sicher?"

Sie musste lächeln. "Sicher." Dann nahm sie seinen Kopf zwischen ihre Hände und zog ihn wieder zu sich herunter, damit sie ihm auch noch auf andere Weise gründlich davon überzeugen konnte, dass sie es ernst meinte.

Er wollte sie immer noch. Wie unglaublich war das denn?

Dean musste sich nicht lange darum bitten lassen. Er schien sogar ganz froh zu sein, dass er ihr nach einer Weile den Pulli ausziehen konnte, der immer noch so stark nach seinem Bruder roch. Aber das änderte sich schon bald. Dafür sorgte er. Äußerst gründlich sogar.

25. Kapitel

Hallo meine Lieben.

Eigentlich hatte ich ja vor, mich in diesem Kapitel wieder einmal bei den fleißigen Reviewschreibern zu bedanken, aber ich werde es ein weiteres Mal verschieben müssen, denn es erscheint mir mehr als nur makaber, das zu tun. Lest selbst und ihr werdet wissen, was ich damit meine.
 

Darklover
 

***********
 

Dean bewegte sich leicht in ihrem Rücken; seine Arme zogen sie enger gegen seine Brust und ein Bein schob sich noch weiter zwischen die ihren, ohne dass es sie allerdings gestört hätte. Er schlief noch tief und fest, was ihr sein regelmäßiger Atem, der ihren Nacken leicht kitzelte, nur bestätigte. Eigentlich Grund genug, um selbst noch ein paar Stunden Schlaf dranzuhängen, nachdem sie die halbe Nacht wach gewesen waren, aber Delilah fand keine Ruhe mehr.

Schon eine ganze Weile sah sie ein paar Staubpartikeln dabei zu, wie sie im Schein der ersten Strahlen der Morgensonne tanzten und herumwirbelten. Genauso wie ihre Gedanken es taten.

Das hier erinnerte sie zu sehr an den Morgen danach im Hotelzimmer, um nicht daran zu denken. Vor allem, da einer fehlte...

James war nicht mehr nach Hause gekommen. Selbst als ihr Geist und ihr Körper von Dean vollkommen beansprucht worden waren, hätte sie es bemerkt. Da war sie sich sicher. Nicht sicher war sie sich allerdings darüber, was sie als nächstes tun sollte. Dean hatte ihr gestern etwas zu erklären versucht, das sie auch jetzt noch immer nicht ganz verstand und von dem sie nicht genau wusste, wie sie damit umgehen sollte.

Er wollte sie – selbst wenn er noch so viel dafür hinnehmen musste, konnte das nichts an seiner Entscheidung ändern. Das hatte er ihr gestern überdeutlich klar gemacht. Nicht zuletzt damit, dass er sie in der vergangenen Nacht immer wieder für sich beansprucht und in Besitz genommen hatte.

Sie trug an den verschiedensten Stellen ihres Körpers sein Zeichen; wofür sie jeden anderen Mann mit bloßen Händen kastriert hätte, aber nicht so bei Dean. Anstatt sich an seinen rauen Knabbereien zu stören, hatte es ihre Lust nur noch gesteigert und dabei war ihre Wölfin so dicht an die Oberfläche gekommen, dass es einem Wunder glich, sich nicht dabei verwandelt zu haben.

Doch obwohl man meinen könnte, die Wölfin würde nach so einer stürmischen Nacht selig schlafen, konnte Delilah sie manchmal in ihrem Kopf leise winseln hören jedes Mal, wenn sie selbst ein schweres Seufzen unterdrücken musste.

Es wäre so Vieles einfacher, wenn sie sich einfach voll und ganz auf Dean einlassen könnte. Wenn ihre Gedanken nur noch um ihn kreisen und ihre Gefühle nur noch ihm alleine gehören würden. Bestimmt könnte sie sich dann auch in ihn verlieben, denn er machte es ihr nicht gerade schwer. Aber da war nun mal dieses Gefühl in ihrer Brust, als würde selbst bei einem solchen Übermaß an Hingabe und Zuneigung noch immer etwas fehlen.

Delilah liebte Deans Duft. Das tat sie wirklich. Aber je mehr sie darüber nachdachte, umso deutlicher wurde sie sich darüber im Klaren, dass sie das Aroma von nährstoffreicher Walderde, Moos und Rinde ebenso wenig von seiner Wolfswitterung trennen konnte, wie vom Duft getrockneter Wildblumen, frisch gehackten Holzes und einem prasselnden Kaminfeuer.

Er roch nicht nach seinem Bruder, aber genau das war das deutlichste Zeichen dafür, dass dieser fehlte.

Sie hatte sie getrennt, entzweigerissen, außenander gejagt und das geschwisterliche Band zwischen ihnen geschwächt. Delilah konnte nur hoffen, dass sie hierbei mehr hineininterpretierte, als es wirklich den Tatsachen entsprach, aber selbst wenn es so wäre, so war der Bruch dennoch deutlich zu erkennen. Und genau das war der einzige wirklich einleuchtende Grund, weshalb sie sich nicht völlig auf Dean konzentrieren konnte. Ihre eigenen Gefühle für James könnte sie womöglich noch ignorieren oder hinnehmen, wenn es sein musste, aber wie würde er darauf reagieren?

Würde ihm das alles nichts bedeuten, dann hätten sich die Brüder weder gestritten, noch ginge er ihr dann so gründlich aus dem Weg. Auch die Leidenschaft, mit der er sie geküsst hatte, konnte er ihr nicht einfach so vorgespielt haben. Nein, Delilah war sich sicher, dass sie James nicht egal war und so sehr das einem selbstsüchtigen Teil in ihr auch gefiel, so machte es die ganze Sache erst wirklich kompliziert.

"Wenn die Zahnrädchen in deinem Kopf noch lauter rattern, brauche ich zum Schlafen bald Ohrstöpsel."

Dean drückte seine Nase in ihr Haar und sog genussvoll die Luft ein, während seine Hände nun deutlich ihren nackten Körper berührten und nicht einfach nur locker im Schlaf. Eine davon blieb auf ihrem Bauch liegen, um dort mit seinen Fingern sanfte Kreise zu ziehen.

Ach ja, wie hatte sie das nur vergessen können? Die Schwangerschaft war auch eine Komplikation, die bei allem mitspielte.

Delilah legte ihre eigene Hand auf die von Dean und schob sie lieber höher zwischen ihre Brüste, dort wo ihr Herz langsam wieder zu rasen begann.

"Schlaf wird überbewertet." Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als seine Lippen die empfindliche Stelle hinter ihrem Ohr streiften und sie kitzelten.

"Nach gestern Nacht kann ich dem nur schwer widersprechen."

Seine Stimme war noch rau vom Schlafen und verursachte ihr einen prickelnden Schauer, der ihre Wirbelsäule hinab lief. Ihr Körper hatte den rauen Tonfall noch nicht vergessen und wie er sich vor wenigen Stunden noch als Begleiter von Lust und Erregung geäußert hatte.

"Dann lass es.", seufzte sie nur noch leise, ehe es in ein Schnurren überging, als Deans Mund ihren Hals und ihre nackte Schulter mit Küssen zu bedecken begann, während seine Hände sie nun sehr viel intensiver streichelten. Er schaffte es immer wieder, sie die Welt um sich herum gründlich vergessen zu lassen.

Unter anderen Umständen hätte sie dem sanften Druck seines harten Fleisches an ihrem Po kaum Beachtung geschenkt, wusste sie doch, dass das nicht ihr Verdienst war. Es war morgen und Dean strotzte nur so vor Jugend und Kraft. Allerdings war an seinen Liebkosungen nicht viel falsch zu verstehen und sie selbst konnte auch nicht leugnen, dass es sie nicht so einfach kalt ließ, nackt an ihn gekuschelt dazuliegen. Dafür hatte er ihr gestern zu gründlich gezeigt, was man mit diesem Zustand alles anstellen konnte.

Ihre Erinnerung kehrte in sehr anschaulichen Bildern zurück und obwohl sie auf keinen Fall mehr die Ausdauer von gestern besaß, umfasste sie dennoch Deans hartes Fleisch und streichelte und massierte es, bis sie selbst bereit war, ihre Schenkel weiter für ihn zu teilen und Dean in sich aufzunehmen.

Auch er war an diesem Morgen weit davon entfernt, in irgendeiner Form getrieben zu werden und so blieben seine Küsse und Berührungen zärtlich und sanft, während er sie auf eine Art und Weise nahm, die tiefer ging als alle anderen Male davor.
 

James tauchte – für seine Verhältnisse – pünktlich zur Arbeit auf, um an dem Wagen weiter zu arbeiten, der offenbar in seine Zuständigkeit fiel. Abgesehen von dem einen oder anderen sachlichen Gespräch mit seinem Vater, blieb er für sich und schenkte ihr keinen einzigen Blick. Auch Elija ignorierte sie weitestgehend, obwohl sie bei ihm immer das Gefühl hatte, er würde im Stillen vor sich hin brüten, jedes Mal wenn er sie mit Dean zusammen sah.

Eigentlich sollte sie das ja beunruhigen, aber da Dean die einzige Person im Umkreis von unzähligen Meilen war, die überhaupt ein Wort mit ihr wechselte, wäre es dumm gewesen, ihm aus dem Weg zu gehen. Außerdem wollte sie das gar nicht. Je mehr die anderen sich vor ihr zurückzogen, umso näher kam sie Dean. Vor allem, da sie ihn an diesem Morgen gebeten hatte, ihr irgendeine Arbeit zu geben, damit sie sich wenigstens irgendwie dafür revanchieren konnte, so von seiner Familie abhängig zu sein.

Zunächst hatte er sich geweigert und ihr zu erklären versucht, dass es nicht nötig sei, aber Delilah blieb stur und kam ihm mit dem Argument, dass ihr vor Langeweile sonst noch die Decke auf den Kopf fiel. Also stimmte er schließlich zu.

So kam es, dass sie im Laufe der Woche dabei half Reifen zu wechseln, neue Reifen aufzuziehen, sie zu wuchten und den Luftdruck zu kontrollieren. Danach war Öl- und Luftfilterwechseln angesagt. Flüssigkeiten wurden erneuert oder nachgefüllt. Dichtungen ausgetauscht und auch die ein oder andere Beule im Blech geglättet.

Delilah stellte sich dabei nicht gerade ungeschickt an und sie hätte auch nicht gedacht, dass ihr diese Art von Arbeit tatsächlich Spaß machen konnte. Vor allem da sie dabei oft stundenlang ihre Sorgen vergessen konnte, weil sie sich so auf ihre Hände konzentrierte und auf das, was diese taten.

Auch nachts war Dean da, um sie davon abzulenken, wie sehr es ihr immer mehr zusetzte, dass James sich so beschissen verhielt. Nicht unbedingt mit Sex, denn von der ungewohnten Arbeit spürte sie Muskeln, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass sie sie besaß. Aber sie unterhielten sich oft lange über Autos und obwohl viele Fragen sicherlich ziemlich naiv und unwissend waren, so hatte Delilah immer weniger Scheu, sie ihm zu stellen, da er sie ihr alle bis ins kleinste Detail beantwortete. Allein das reichte meistens schon aus, um dabei einzuschlafen. Er nahm es ihr nicht übel.
 

Es war Samstag – ein Tag vor Ablaufen des Ultimatums und wie zu erwarten war, hatte sie James noch immer nicht über ihre Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt. Aber wie zum Teufel hätte sie das auch bewerkstelligen sollen? Einfach so nebenbei beim Ölwechsel einwerfen?

Denn genau das war die einzige Zeit, in der sie ihn wirklich zu Gesicht bekam, nämlich während der Arbeit. Ansonsten war er immer unterwegs, nicht immer mit Nadine, wie sie mit einer verdrehten Befriedigung im Bauch feststellen konnte, aber auch so machte er sich rar. Vor allem nachts.

Sie bekam also nicht einmal die Chance, es ihm zu sagen und so wie die Sache nun zwischen ihnen beiden aussah, war das vielleicht gar nicht das Schlechteste.

Dennoch fiel es ihr schwer, sich wegen des alten Werwolfs und seiner Bedingung Sorgen zu machen, während sie mit Dean die langen Reihen an Verkaufsregalen abschritt, um endlich das Angebotsdefizit im heimischen Kühlschrank und der Vorratskammer auszugleichen.

So kam sie auch wieder einmal unter Leute und auch wenn das noch lange nicht hieß, dass sie eine Sightseeing-Tour durch Great Falls machten, so war das doch bei weitem besser, als ständig nur auf der Ranch herumzuhängen und ständig die gleichen Gesichter zu sehen. Außerdem war Dean einfach klasse!

Ihm beim Shoppen zuzuschauen war der reinste Genuss, nicht nur deshalb hatte sie den Einkaufszettel fest in der Hand und überließ den Rest ihm, sondern auch weil er ihn bei dem ganzen Herumgealbere sicher verloren hätte.

Wenn Delilah also nicht mit der Liste oder seinem knackigen Hintern beschäftigt war, den sie immer gut im Blick hatte, da er einen zweiten Einkaufswagen vor ihr her schob, dann kam er ihr mit völlig unerwarteten Aktionen. Wie jetzt zum Beispiel, als er sich zwei Dosen Sprühsahne unterschiedlicher Marke aus dem Regal schnappte, sich zu ihr herumdrehte und sie ernsthaft ansah.

"Bist du gegen eine von den beiden allergisch?" Er hielt ihr die Dosen entgegen, damit sie noch genauer die Aufschrift lesen konnte.

"Nein.", antwortete sie vorsichtig, weil sie nicht genau abschätzen konnte, worauf Dean da eigentlich hinaus wollte. "Wieso?"

Daraufhin begann er verschmitzt zu grinsen, warf gleich beide Dosen in seinen Einkaufswagen und ging weiter. "Nur so."

Ja, ganz bestimmt.

Delilah wollte ihn zur Rede stellen, aber da war er bereits um die nächste Ecke verschwunden und als sie ihn eingeholt hatte, war er auch schon völlig in die kniffliche Auswahl von Frühstücksflocken versunken. Sie konnte nur mit einem Schmunzeln an ihm vorüberziehen und sich wieder der Liste in ihrer Hand widmen. Denn wenn sie in Deans Tempo weiter einkauften, würden sie damit nie bis zum Ladenschluss fertig werden. Also versuchte sie schnell und gründlich die Punkte auf dem kleinen Zettel abzuarbeiten, bevor Dean sie wieder einholen und von Neuem ablenken konnte.

Sie schaffte es sogar bis zur Frischobst- und Gemüseabteilung, ehe starke Arme sie von hinten umfingen und ihr der Duft von Mann und Wolf vermischt mit ihrem eigenen in die Nase stieg.

"Hab dich.", flüsterte er ihr leise ins Ohr und drückte sich für einen Moment an sie, ehe er sie wieder gehen ließ, nachdem er ihr einen Kuss auf die Wange gehaucht hatte.

Dean war schon längst mit der Auswahl an Obst und Gemüse beschäftigt, bevor Delilah überhaupt wieder richtig zu sich kam. Sie war es einfach nicht gewohnt, so von einem Mann behandelt zu werden und dahingehend überraschte Dean sie immer wieder damit. Mehr noch als mit seinem angeborenen Witz und Charme.

"Du sollst die Melonen nicht begrabschen, sondern dagegen klopfen, wenn du wissen willst, ob sie reif genug sind.", tadelte sie ihn schon ein paar Atemzüge später mit einem Lächeln, weil er sie einfach mit seiner Art dazu provozierte. Bei so viel Hingabe wie er die üppigen Wassermelonen behandelte, könnte sie glatt neidisch werden. Also nahm sie ihm das Obst lieber aus der Hand und klopfte einmal mit den Knöcheln dagegen, während sie lauschte.

"Siehst du? Klingt nicht gerade hohl, also nimm besser eine andere."

"Und wo bliebe dann der Spaß?" Er grinste sie breit an.

"Vielleicht sollte ich mal gegen deine Birne klopfen und sehen, ob da überhaupt was drin-"

Delilahs Blick glitt an Dean vorbei, ehe ihr der Atem in der Brust gefror. Nur seiner schnellen Reaktion war es zu verdanken, dass die schwere Wassermelone ihr nicht die Zehen brach, nachdem ihre Finger sie nicht mehr hatten halten können.

Vorsichtig legte er diese wieder zurück, ehe er ihr die Sicht versperrte und besorgt in ihre Augen sah. "Was ist los?"

Delilah brachte keinen Ton heraus, stattdessen sträubten sich ihr sämtliche Nackenhärchen, während sie fest die Zähne zusammenbiss und immer noch durch Dean hindurch zu starren schien. Das Bild vor ihren Augen schien sich auf ihre Netzhaut eingebrannt zu haben.

Endlich drehte er sich zu der Szene um und gab den Blick dadurch wieder frei. Sie konnte genau erkennen, als er die beiden ebenfalls erblickte, als Deans Körper sich deutlich anspannte.

Nadine stand in einigen Metern Entfernung an einen Mann gelehnt da, mit dem sie sich scheinbar nicht auf eine bestimmte Schokoladesorte aus dem Süßigkeitenregal einigen konnte, vor dem sie standen. Was sie allerdings nicht davon abhielt, seinen Prachthintern äußerst gründlich mit einer Hand zu bearbeiten, während die seine schon leicht unter ihrem knappen Top verschwunden war. Sie kicherten und flüsterten miteinander. Tauschten eindeutige Blicke aus, die eigentlich sämtliche Schokolade vor ihnen zum Schmelzen hätten bringen müssen.

Der einzige Haken an dieser Liebelei – wenn man es denn überhaupt als solchen bezeichnen konnte – war, dass es sich bei diesem Mann nicht um James handelte. Eigentlich war er Delilah sogar völlig fremd.

"Vielleicht haben die beiden miteinander schlussgemacht und J hat es uns nur noch nicht gesagt.", versuchte Dean das Gesehene irgendwie zu interpretieren, obwohl es äußerst dürftig klang.

"Und das glaubst du wirklich?"

"Nein."

Sie ebenfalls nicht und das brachte sie zur Weißglut, wenn sie daran dachte, was das Drecksstück James damit antat. Ihre Wölfin war außer sich!

"Na warte. Die Schlampe kann was erleben!" Delilah stürmte ohne nachzudenken los. "Ich werde ihr jeden Eierstock einzeln herausreißen und ihr damit das verfickte Maul stopfen!"

"Klingt wirklich gut, aber das solltest du besser für nächstes Mal aufheben, Deli! Wenn nicht ein ganzes Kaufhaus zusehen kann!" Dean fing sie schnell wieder ein und hielt sie mit beiden Armen zurück, während sie hilflos und sich gegen den Griff wehrend dabei zusehen musste, wie die Schlampe sich mit ihrem Lover aus dem Staub machte.

"Nein verdammt! Lass mich los!" Sie begann sich heftiger zu wehren und damit bekam sie nun die Aufmerksamkeit von sämtlichen Leuten in der Nähe.

"Delilah, hör auf! Sie ist es nicht wert!"

"Aber James ist es!", schrie sie beinahe, da sie bisher noch nicht genug Aufmerksamkeit erregt hatte.

"Ja, ich weiß." Deans Worte waren nur noch ein Flüstern, als er sie zu ihren Einkaufswägen zurück zerrte.

Delilah ließ ihren Widerstand fallen. Sein Tonfall hatte sie getroffen… Nein, wenn man es genau nahm, hatten ihre Worte ihn getroffen… Verdammt!
 

Nach diesem Ereignis war die Stimmung so derart im Keller, dass beide die ganze Heimfahrt über kein einziges Wort miteinander wechselten, sondern tief in den eigenen Gedanken versunken waren. Aber auch so war klar, dass weder Dean noch sie selbst wussten, was sie als nächstes tun sollten.

Sollten sie es James sagen? Wusste er es vielleicht schon? War die Beziehung vielleicht wirklich aus?

Delilah wusste es einfach nicht und sie war bestimmt die letzte Person, die James auf Nadines Seitensprung aufmerksam machen sollte. Er würde ihr bestimmt kein Wort glauben, nachdem er vor Jahren noch nicht einmal seinem eigenen Bruder geglaubt hatte. Also würde auch Dean in dieser Hinsicht kaum einen Erfolg haben.

Aber irgendetwas mussten sie doch tun, oder nicht? Sie konnten James doch nicht einfach so im Unwissenden lassen…

Da er sich allerdings sowieso schon wieder aus dem Staub gemacht hatte, als sie vom Einkauf zurückkamen, lag die Sache vorübergehend auf Eis und Delilah beschloss, sich lieber um Dean zu kümmern. Dem sie heute wieder einmal ganz schön heftig in die Eier getreten hatte. Bildlich gesprochen natürlich, ansonsten hatte sie sich mit körperlicher Gewalt zurück gehalten. Die wäre ohnehin besser bei Nadine aufgehoben.
 

Der Sonntag kam und die Situation hatte sich um keinen Deut gebessert. Ganz im Gegenteil saß ihr jetzt auch noch sehr deutlich das Ultimatum des Alten im Nacken, da sie bisher auch nicht mit Dean darüber gesprochen hatte. Natürlich war Delilah sich fast sicher, dass er nicht zulassen würde, wie Elija sie in ihrem Zustand vor die Tür setzte, aber eben nur fast und da ihre Hormone zusammen mit ihrer Wölfin im Augenblick endgültig verrücktspielten, konnte sie auch nichts gegen diese Angst tun. Außer sich mit Arbeit ablenken.

Da Dean und sein Vater in der Werkstatt tätig waren und sie dem alten Werwolf keinesfalls gleich die Gelegenheit dazu geben wollte, ihr mit dem Ultimatum zu kommen, hatte sie sich im Haus verschanzt. Eine hervorragende Wahl, wenn man bedachte, dass sie sich seit heute Morgen schon zweimal hatte übergeben müssen und das dritte Mal vielleicht nicht mehr lange auf sich warten ließ.

Dieser ganze Scheiß mit dem Ultimatum, James und allen voran Nadine machten ihr ganz schön zu schaffen. Nervlich gesehen war sie seit gestern jenseits von Gut und Böse und ihre rastlose Wölfin machte es nicht besser!

Wenigstens hatte sie sich inzwischen mit der Waschmaschine anfreunden können, was zumindest einen kleinen Lichtblick versprach.

Also schnappte Delilah sich den Korb mit der feuchten Wäsche – dieses Mal nicht nur ihre eigene – um sie hinter dem Haus aufzuhängen. Denn im Gegensatz zu ihrem finsteren Gemüt herrschte draußen herrlichster Sonnenschein. Die angenehm warme Brise schien da nur noch die Spitze des Eisbergs an fröhlicher Stimmung zu sein, die genau ihre eigene rammte und daran zerbarst. Keine Chance. Dieses Mal brachte sie nichts vom Kurs der mörderisch gelaunten Schwangeren ab.

Als sie nur noch ein paar Socken und Shorts aufzuhängen hatte, konnte sie einen Wagen in die Einfahrt fahren hören. Vermutlich ein weiterer Kunde, obwohl das am Sonntag doch recht ungewöhnlich schien, aber was wusste Delilah schon wirklich vom McKenzie-Geschäftssinn. Dass die drei Männer ständig am Arbeiten waren, weil es ihnen Spaß machte, ließ sich ja ohnehin nicht leugnen. Sogar sie brachte mehr Interesse für den Zustand eines abgefahrenen Sommerreifens auf als für die feuchte Wäsche. Trotzdem gehörte auch das erledigt.

Nachdem der letzte Socken an der Leine baumelte, packte sie den leeren Wäschekorb unter den Arm und wollte gerade wieder zurück ins Haus gehen, als ihr ein nur allzu vertrautes Geräusch von der Einfahrt entgegen wehte. Zusammen mit dem Geruch nach fremden Werwolf.

Nadines Kichern war sowohl mädchenhaft wie auch sexy. Die perfekte Kombination bestand darin, dass es sich sowohl unschuldig, wie auch sinnlich anhörte und Delilah damit gekonnt schockgefrieren konnte.

Ihre Nasenflügel bebten und ihre Pupillen erweiterten sich, während zwei Paar Füße einfach so an ihr vorbei liefen, ohne sie hinter dem großen Bettlacken zu entdecken. Nicht einmal dann, als sie die Wäscheleine umrundet hatten, bemerkten sie Delilah, dafür waren sie viel zu sehr in die Nähe des anderen versunken, während sie sich wieder entfernten. Jedoch nicht sehr weit.

James blieb mit Nadine unter einem Baum mit ausladender Blattkrone stehen. Dem einzigen im näheren Umkreis der Gebäude, weshalb er bestimmt eine tiefere Bedeutung hatte, über die Delilah im Augenblick nicht nachsinnen konnte.

Sie konnte nur eines tun und selbst das fiel ihr schwer. Ihre Lungen wollten sich kaum unter jedem erzwungenen Atemzug ausdehnen. Stattdessen war es, als wirke ein unglaublich schweres Gewicht auf ihren Brustkorb ein, während ihr schmerzhaft pochendes Herz genau diesem zu entkommen versuchte.

Tränen brannten ihr in den Augen, die keine Sekunde lang von James' Hand ablassen konnten, die er Nadine in den Nacken schob, um sie näher an sich heran zu ziehen. Er spielte mit ihrem langen schwarzen Haar, flüsterte ihr Worte ins Ohr, die nur für sie bestimmt waren und als wäre das nicht genug, küsste er sie schließlich auch noch. Zuerst auf den Hals, dann auf die Lippen.

Als Nadine diese Geste auch noch erwiderte, zerbrach etwas in Delilah, woraufhin sie den Wäschekorb fallen ließ und sich ganz zu der Szene herumdrehte. Weibliche Finger strichen James über die Oberarme, Schultern und breite Brust, während der Kuss immer inniger wurde und auch die zarten Hände sich weiter vorwagten; tiefer drangen. Sie berührten seinen-

Mit einem wilden Heulen drehte ihre Wölfin endgültig durch.

Gerade noch stand sie in sicherer Entfernung zu dem Paar in der Wiese neben dem Wäschekorb, im nächsten krallten sich ihre Finger bereits in schwarzes, seidiges Haar und rissen den Körper daran brutal zurück. Hauptsache weg von James.

"Nimm deine verdammten Pfoten von ihm, du dreckige Fotze!" Sie stieß Nadine mit dem Rücken voran zu Boden und stürzte sich keinen Augenblick später gefährlich knurrend auf die Schlampe, um ihr ein neues Gesicht zu verpassen. Weit kam sie nicht, da wurde sie auch schon von hinten gepackt und weggezerrt. James sagte irgendetwas zu ihr, aber in ihrem Kopf war kein Platz für seine Worte, stattdessen gebärdete sie sich wie wild, entschlüpfte dabei fast seinen zupackenden Händen, während diese Hure fassungslos den blutigen Kratzer auf ihrer Wange berührte und ihren Blick schließlich auf sie richtete und damit auch all ihre Wut.

Delilah keuchte schmerzerfüllt auf, als ein Bein sich in ihren Bauch rammte und ihr damit sämtliche Luft aus den Lungen trieb. Hätte James sie nicht fest gehalten, sie wäre in sich zusammen gesackt, doch schon einen Moment später hatte sie sich wieder soweit erholt, dass sie ihn zumindest verstehen konnte.

"-ihr verrückt?! Was soll der Scheiß?" Er drehte sich mit ihr in den Armen herum, so dass Nadine nicht noch einmal einen Angriff auf sie starten konnte, während er sie festhielt.

"Das gleiche könnte ich dich fragen?! Wer ist die Schlampe überhaupt? Verdammt, mein Gesicht!"

"Schlampe?!", rief Delilah immer noch leicht atemlos, ehe sie sich wie wild in James' Griff zu winden begann, so dass er nur noch fester zupackte und ihr keine andere Wahl mehr ließ. "Die einzige Schlampe hier bist du! Dreckige HUUURE!"

Das letzte Wort endete in einem wilden Heulen, als ihre Kleider zerrissen und sie mit der Wölfin Eins wurde. James war darauf nicht gefasst gewesen und ließ sie vor Überraschung fallen, so dass Delilah sich mit gebleckten Zähnen erneut auf Nadine stürzen konnte.

Unglücklicherweise riss diese in letzter Sekunde ihren Arm hoch, so dass sich ihre Fänge nur in deren Unterarm vergruben, anstatt in ihre Kehle, ehe beide auf dem Boden aufschlugen.

Nur einen Atemzug später wurde sie von gewaltigen Hinterläufen zur Seite gekickt. Sofort kam sie wieder auf die Beine um sich auf den Werwolf zu stürzen, der zwar weiblich, aber leider nicht um sehr vieles kleiner, als seine männlichen Artgenossen war. Die Wölfin ließ sich dennoch nicht davon einschüchtern und griff an, ehe Nadine vollständig auf die Pfoten kommen konnte. Sie schnappte nach dem relativ verletzlichen Ohr und verbiss sich darin, bis sie erneut Blut schmecken konnte und ein jämmerlicher Schmerzenslaut die Luft zerriss. Delilah wurde wild hin und her geschleudert, getreten und sogar gebissen, bis sie gezwungen war, loszulassen, ehe das Ohr endgültig Schaden nehmen konnte. Ein bisschen mehr und es wäre abgerissen.

Beinahe glaubte sie sämtliche Knochen knirschen zu hören, als sie erneut am Boden aufschlug und dieses Mal liegen blieb, während schwarze Flecken vor ihrem Sichtfeld tanzten.

Das tödliche Grollen einer wildgewordenen Werwölfin rollte wie eine gewaltige Dampfmaschine heran, nur um im nächsten Moment von einem zweiten, größeren Werwolf zur Seite gerissen zu werden, der aus dem Nichts gekommen war – James.

Den Lauten nach war der Kampf kurz und eindeutig. Nadine unterlag, aber James war ja auch nur der Friedensstifter.

Gerade als Delilah wieder auf die Beine gekommen war, mischte sich auch noch Deans Werwolf ein, den wohl der Lärm alarmiert hatte. Bevor er allerdings bei ihr ankam, hatte Delilah sich bereits wieder in einen Menschen zurück verwandelt und wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht, nachdem sie einmal gründlich ausgespuckt hatte. Sie strich Dean nur kurz über die Stirn, um ihn zu beruhigen.

"Mir fehlt nichts." Das war gelogen. Aber er sollte ihr besser dieses Weib aus den Augen schaffen, bevor sie schon wieder den Drang verspüren konnte, ihr auch noch das zweite Ohr zu durchlöchern.

"Schaff das Miststück weg, ich muss mit deinem Bruder allein reden." Delilah hatte extra die Stimme gehoben, damit auch wirklich alle Beteiligten sie hören konnten. Nur dank James, stürzte sich Nadine nicht noch einmal auf sie, deren zerrissenes Ohr zufriedenstellend blutete.

Delilah würdigte sie keines Blickes mehr, stattdessen fixierte sie nun den Werwolf neben ihr. "Sofort!"

Dean zögerte einen Moment unentschlossen, ehe er wild knurrend auf Nadine zu ging und sie damit antrieb in die Gänge zu kommen. James wollte scheinbar protestieren, fing sich aber nur eine wilde Drohgebärde von seinem Bruder ein, die ihn von der Werwölfin wegjagte. Erst als beide um die Ecke verschwunden und sie mit James alleine war, verwandelte auch er sich wieder zurück. Er war stinksauer, worin er ihr rein gar nichts voraus hatte, auch sie war fuchsteufelswild.

"Hat dir Dean etwa das Gehirn herausgevögelt?! Was zum Teufel stimmt nicht mit dir?!", brüllte er sie tatsächlich an, was Delilah unbeeindruckt über sich ergehen ließ, während sie auf ihn zu humpelte. Ihr tat alles weh, vor allem der Tritt in ihren Bauch hatte gesessen.

"Was mit mir nicht stimmt?", bellte sie ebenso wütend zurück. "Das gleiche solltest du dieses einohrige Flittchen fragen, die es offensichtlich zu ihrer persönlichen Sportart gemacht hat, dich möglichst gründlich zu verletzen! Glaubst du ernsthaft, ich schaue einfach dabei zu, wie sie dich hinter deinem Rücken hintergeht?" Delilah wischte sich noch einmal über den Mund und entdeckte frisches Blut auf ihrem Handrücken. Offenbar hatte sie leichtes Nasenbluten, was sie jetzt nicht wirklich kümmerte. Stattdessen fuhr sie ruhiger fort: "Nein, das kann ich nicht. Tut mir leid, James. Aber dafür bedeutest du mir einfach zu viel."

Sie blickte wieder zu ihm hoch, konnte aber nur Unglauben und Schmerz in seinen Augen erkennen.

"Würde ich dir tatsächlich auch nur irgendwas bedeuten, dann hättest du Nadine und mich in Ruhe gelassen. Du hast doch Dean! Was willst du denn noch? Warum quälst du mich so? Reicht es denn nicht, dass er schon wieder alles gekriegt hat, was er wollte?!"

Delilah zuckte unter seinen Worten zusammen, aber nicht nur deshalb. Sie biss sich auf die Unterlippe und versuchte flacher zu atmen, da alles andere den Schmerz nur verschlimmerte. Sie presste ihre Hand auf den Bauch und zwang sich zu einer knappen Erwiderung: "Was meinst du damit?" Sie wusste es wirklich nicht so genau. Aber das Denken fiel bei laufender Nase nun einmal nicht so leicht.

James sah es, ging kurzerhand zu seinen eigenen zerfetzten Kleidern hinüber und schnappte sich ein Stück seines ehemaligen Shirts, um es ihr hinzuhalten. Delilah nahm es kommentarlos entgegen und wartete immer noch auf eine Antwort, während sie sich den Stoff unter die Nase drückte.

Allein das Thema schien ihn wieder mehr aufzubringen, was wohl gut war, denn es sprudelte nur so aus ihm heraus, während er wütend auf und ab marschierte.

"Dean kriegt doch immer alles in den Rachen geschoben! Das war schon immer so, seit unserer Geburt, nur weil er der Ältere ist. Und tatsächlich ist er mir bei dem einzigen Mal, bei dem ich ihn darum gebeten habe, er solle mir einmal die Führung überlassen, in den Rücken gefallen!"

Delilah war fassungslos. "Das ist es also? Deshalb spielst du den beleidigten Werwolf, nur weil du nicht als Erstes dran warst? Was bin ich denn? Ein beschissener Spielautomat?!"

Zumindest das ließ ihn wieder in seiner Bewegung innehalten. "Du willst es nicht kapieren, oder?"

"Nein, ich kapier's tatsächlich nicht. Klär mich doch bitte mal auf!", giftete sie ihn an, immer noch wütend wegen seiner Worte.

James' Blick zuckte an ihr herab, woraufhin er leise schnaubte. "Vielleicht ein andermal, wenn du nicht gerade wegen deiner Tage völlig unzurechnungsfähig bist!"

"WAS?!" Sie wollte ihm eine scheuern. Das war wohl das Sexistischste, das sie je gehört-

Sie erstarrte mitten in der Bewegung, als ihr die volle Bedeutung seiner Worte plötzlich bewusst wurde.

Pures Entsetzten kroch ihre Wirbelsäule hoch, als sie endlich bewusst registrierte, wie etwas Warmes ihre Schenkel hinab floss.

Delilah wagte nicht nach unten zu schauen aus Angst, was sie dort sehen könnte, also ließ sie die Hand auf ihrem Bauch tiefer gleiten und eintauchen in die warme, klebrige Nässe. Als sie sie wieder zurück zog, waren ihre Finger vollkommen von frischem Blut bedeckt.

"Oh Gott!" Sie presste sich den Stofffetzen auf den Mund, während sie am ganzen Körper zu beben begann und nun doch einen flüchtigen Blick an sich hinab warf, was sie endgültig in die Knie zwang.

Sie krümmte sich unter Schmerzen zusammen und presste ihre Hände gegen den krampfenden Bauch, in dem Versuch das alles ungeschehen zu machen.

Sie würde es… Das Baby…! Sie… NEIN!

26. Kapitel

Die Schmerzen waren die schlimmsten, die sie je in ihrem Leben hatte ertragen müssen und doch waren sie nichts im Vergleich zu dem Wissen, was sie auslöste.

Sie war dabei, es zu verlieren. Es – ihr Baby!

"Nein, bitte nicht!" Ihre Stimme war pures Entsetzen. Tränen wollten sich ihren Weg ins Freie bahnen, doch Delilah kämpfte sie mit eisernem Willen zurück, während sie sich wieder aufraffte, nur um erneut in die Knie zu gehen, als ein weiterer Schwall frischen Blutes den Boden unter ihr tränkte.

"Deli! Verdammt, was ist los?! Das ist doch nicht normal!" James berührte sie an der Schulter; wollte ihr vermutlich nur helfen, doch sie ertrug das Gefühl nicht länger.

Die Wölfin schnappte mit gebleckten Zähnen nach ihm, im gleichen Moment als Delilah seine Hand wegschlug. "Fass mich nicht an!"

James wich so erschrocken vor ihr zurück, als hätte sie ihm direkt ins Gesicht geschlagen, aber darum kümmerte sie sich nicht länger, stattdessen versuchte sie noch einmal auf die Beine zu kommen. Sie schaffte es allerdings nur die paar Meter hinüber zur Wäscheleine, ehe sie von einer weiteren Schmerzwelle überrollt und in die Knie gezwungen wurde. Ihre Hände umklammerten ein feuchtes Handtuch, dass sie sich zwischen die Beine presste, während die Welt um sie herum sich zu drehen begann...

"Deli! Komm schon!" Deans Stimme drang unablässig auf sie ein und brachte sie dazu, ihre Augenlieder wieder auseinander zu zwingen, obwohl es ihr unglaublich schwer fiel. Er kniete neben ihr und stützte mit einem Arm ihren Oberkörper, während er ihr mit der anderen Hand nicht gerade sanft die Wangen tätschelte, aber sofort damit aufhörte, als sie wieder zu sich kam.

Sie musste für ein paar Minuten weggetreten sein, denn er war bereits wieder vollständig angezogen. Was sie von James nicht behaupten konnte, der auf ihrer anderen Seite hockte und dessen Gesicht jegliche Farbe verloren hatte.

Vielleicht war sie doch nicht so lange ohnmächtig gewesen.

Eine neue krampfartige Schmerzwelle durchzuckte ihren Unterleib und ließ sie gequält aufstöhnen, ehe sie sich noch schwerer in Deans Berührung sinken ließ. Ihr ganzer Körper bebte und die aufsteigende Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu, so dass sie kaum richtig atmen konnte. Es tat so unglaublich weh!

"Deli, was ist los?" Dean hatte noch nie so besorgt ausgesehen. Dabei schien er das klebrige Handtuch zwischen ihren Beinen noch gar nicht richtig bemerkt zu haben.

Sie konnte ihm nicht antworten. Stattdessen krümmte sie sich erneut zusammen und war nicht länger dazu in der Lage, ein Schluchzen zu unterdrücken. Tränen liefen heiß ihre Wangen hinab, während der Rest von ihr immer kälter zu werden schien.

"Was hast du mit ihr gemacht?!", schrie Dean seinen Bruder an, als er von Delilah nicht die erhoffte Antwort bekam.

"Nichts! Sie hat sich mit Nadine angelegt!", verteidigte sich James vehement, aber die Sorge war auch in seiner Stimme zu hören, als er weiter sprach. "Sie blutet. Zuerst dachte ich, sie hätte ihre Tage, aber… Schau es dir selbst an."

James wollte nach dem Handtuch greifen, doch Dean packte grob sein Handgelenk und hielt ihn davon ab.

"Fass sie nicht an!" Es war ein tiefes Knurren. Eine Drohung die sein Bruder nicht missverstehen konnte, also zog er seine Hand wieder zurück und ließ Dean selbst das Handtuch zwischen ihren Beinen ein Stück wegziehen.

Delilah konnte spüren, wie es immer noch blutete und presste daher instinktiv ihre Schenkel zusammen, aber er war stärker und sie verlor den Kampf nur allzu schnell.

"Nein!", entfuhr es Dean beinahe atemlos. Er zuckte zusammen und drückt das Handtuch sofort wieder gegen die Blutung.

Für einen Moment wirkte er verloren, orientierungslos und sichtlich schockiert. Zu entsetzt, um irgendetwas zu tun, doch dann trat der wilde Ausdruck unermesslicher Wut in sein Gesicht und der Werwolf in ihm wurde nur noch von einer hauchdünnen Schicht menschlicher Haut zurückgehalten.

"Ich schwöre dir, wenn sie das Baby verliert, dann ist die Schlampe als nächstes dran!", drohte er unheilverkündend.

Dean schob seinen freien Arm unter ihre Knie und hob sie endgültig vom Erdboden hoch. Die Bewegung war so entsetzlich, dass Delilah beinahe wieder das Bewusstsein verlor und dennoch konnte sie James' bestürztes "Was?" hören.

Dean ignorierte seinen Bruder einfach und trug sie so vorsichtig wie möglich im Laufschritt Richtung Werkstatt. "Dad!"

"Was soll das heißen?!" James schloss zu ihnen auf. "Was für ein Baby?"

Dean ignorierte ihn weiter, während er nach ihrem Vater rief, der irgendwo in der Werkstatt mit dem Metallschneider zugange war und vermutlich kein Wort hören konnte. Dean rief erneut und dieses Mal so laut, dass ihre Ohren klingelten und sie gequält die Augen zusammen presste. Doch dieses Mal schien Elija ihn doch gehört zu haben.

"Ich will jetzt verdammt noch mal sofort wissen, was du damit meinst!", schrie nun auch James beinahe, woraufhin sein Bruder gereizt zu ihm herumfuhr.

"Sie ist schwanger, kapiert?! Darum ist sie hier, weil einer von uns beiden sie geschwängert hat!"

Diese Information brachte James nun doch zum Schweigen und einen Augenblick später trat auch der dritte McKenzie zu ihnen.

"Was zum-" Elija musste nicht weiter sprechen. Stattdessen musterte er nur kurz das Bild vor sich, erfasste auch sofort das blutige Handtuch und die restlichen Blessuren an Delilahs nacktem Körper und zu guter Letzt den verzweifelten und flehenden Ausdruck in Deans Augen.

Als ehemaliger Alpha wusste er, was zu tun war und stellte daher keine Fragen, sondern gab Befehle.

"James, du ziehst dir was über. Dean, gib sie mir. Wir müssen sie zu Young bringen."

"Was? Aber seine Praxis ist in Chester. Das sind zwei Stunden Fahrt!"

Deans Arme schlossen sich eine Spur fester um ihren Körper, was sie kaum noch wahrnahm. Delilah konnte die Stimmen nur noch wie durch einen Puffer hören und auch die Schmerzen hatten nachgelassen, was vielleicht an ihrem nachlassenden Bewusstsein lag.

"Hol den Mustang aus der Garage. Damit brauchen wir nur eine und jetzt gib sie mir."

Dean zögerte noch ein letztes Mal, ehe er sie an seinen Vater weiter gab. Delilah war noch nicht einmal mehr dazu in der Lage, dagegen zu protestieren. Stattdessen fiel ihre Stirn gegen Elijas harte Brust und das Einzige was sie noch wahrnehmen konnte, war seine tiefe und überraschend wohltuende Stimme. Sie verstand die Worte nicht, aber sie beruhigten sie. Seine ganze Nähe beruhigte sie. Allen voran der beeindruckende Geruch eines Alphawolfes.

Ihr Vater hatte auch so ähnlich gerochen…
 

Die Fliehkraft drückte sie gegen eine warme Schulter, als das Auto wieder einmal zu schnell eine Kurve nahm. Reifen quietschten. Nicht zum ersten Mal wie Delilah wusste, aber erst jetzt bekam sie es wieder bewusst mit. Dennoch hätte sie auf der Stelle weiter schlafen können.

Sie war so unglaublich erschöpft und sie fror erbärmlich, wogegen auch der warme Körper unter ihr und die weiche Decke, in die sie gehüllt war, nichts ausrichten konnten. Die Kälte kam von innen und schien sich dort hartnäckig eingenistet zu haben.

Es war nicht das ständige Hin und Her oder die Kälte, die sie geweckt hatten, sondern die halblaute Diskussion der McKenzie-Männer, die schon seit einer ganzen Weile in vollem Gange zu sein schien.

"Es ist mir scheißegal, wie es dazu gekommen ist." Das war Elija. Der Richtung seiner Stimme nach zu urteilen, sorgte er hier für die turbulente Autofahrt.

In einer anderen Situation wäre es ihr unangenehm gewesen, sich in seinen Händen zu wissen, aber im Augenblick konnte sie ohnehin nicht klar denken, dafür waren die Schmerzen einfach zu groß.

"Ich will einfach nur Eines wissen: Besteht auch nur die geringste Chance, dass es einer von euch war, der sie geschwängert hat?"

Schweigen antwortete ihm, allerdings spürte Delilah deutlich, wie Dean sich unter ihr verspannte. Kein Wunder. Ihr ging es ähnlich.

"Dean?"

"Ja."

"Ja.", bestätigte auch James, obwohl er es immer noch kaum zu fassen schien.

Der alte Werwolf schnaubte hörbar entrüstet. "Ich hätte nicht gedacht, dass ihr beide so dumm seid und nicht merkt, wann eine Frau fruchtbar ist. Noch dazu dieselbe!"

Sie könnte nicht sagen, woran er sich mehr störte. Die Dummheit seiner Söhne, oder die Tatsache dass sie beide mit ihr geschlafen hatten. Was er wohl dazu sagen würde, wenn er dahinter kam, dass es auch noch zur selben Zeit passiert war?

Wieder kam Schweigen auf, das dieses Mal nicht von einem der Zwillinge gebrochen wurde.

"Euch ist hoffentlich klar, dass sie es gewusst haben muss und trotzdem mit euch ins Bett gestiegen ist."

Plötzlich wurde die Stille erdrückend, auch wenn Delilah spürte, das Dean etwas sagen wollte.

"Ich habe ... verhütet...", protestierte sie schwach, da sonst niemand für

sie einstehen wollte. Irgendwie kam ihr das alles so seltsam unwirklich vor.

Überrascht zuckte Dean unter ihr zusammen.

"Deli, du bist ja wach..." Seine Stimme drang leise an ihr Ohr. Die Erleichterung die in seinen Worten mitschwang war dennoch deutlich heraus zu hören. "Wie fühlst du dich?"

Was für eine dumme Frage. Meinte er das wirklich ernst?

"Be...schissen...", antwortete sie dennoch, aber kaum hörbar. Ihr fehlte sogar die Kraft, um die Augen zu öffnen und das Bisschen Reden entzog ihr auch die restlichen Energiereserven.

"Blutet sie immer noch?", wollte James vom Beifahrersitz her wissen, woraufhin Dean vorsichtig die Decke zur Seite schlug und den Stoff zwischen ihren Beinen ein Stück weit wegzog.

Mit einem Seufzen drückte er ihn ihr wieder zwischen die Schenkel und zog die Decke gründlich um sie herum fest.

"Nicht mehr so stark wie vorhin noch, aber es hat auch noch immer nicht aufgehört."

"Scheiße, wenn das so weiter geht, dann-"

"Sei still!"

"Aber sie ist schon so verflucht blass, dass-"

"Ich sagte, du sollst deine Fresse halten!", fuhr Dean seinen Bruder an, ehe er sie noch enger an seine Brust zog.

"Wie lange brauchen wir noch, Dad?", wollte er gereizt wissen, während seine Finger umso zärtlicher über ihre kalte Wange strichen. Sie spürte es kaum und auch das Gespräch kümmerte sie nicht länger.

Sie war so unglaublich müde.

"Ungefähr noch eine halbe Stunde."

"Kannst du nicht schneller fahren?" In Deans Stimme schwang ein Flehen mit, das dem eines hilflosen Kindes gleich kam, das bei seinen Eltern Schutz suchte. Sie wünschte, sie hätte ihre wirklichen Eltern noch. Wie gerne hätte sie sich jetzt in die beschützende Umarmung ihres Vaters verloren.

Der Wagen beschleunigte noch mehr, woraufhin Dean sie noch fester an sich gedrückt hielt.

"Deli? Du musst wach bleiben, hörst du? Bleib bei mir!"

Sie spürte seine Hand auf ihrer Wange nicht mehr. Seine Worte wurden immer undeutlicher und kamen wie aus weiter Ferne.

Es war so schön warm hier und friedlich. Sie konnte sich dem nicht länger entziehen.

Dean sagte noch etwas zu ihr, aber Delilah hatte bereits wieder das Bewusstsein verloren.
 

Sie wurde auf einer harten Unterlage abgelegt. Jemand blendete mit einer Lampe ihre Augen. Das Summen von bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Stimmen brandete über sie hinweg, während Hände sie berührten, abtasteten und den Schmerz in ihr von Neuem aufflammen ließen.

Delilah fuhr mit einem schwachen Schrei hoch, entwand sich den Händen und fiel wieder auf den harten Untergrund zurück, da sie sich nicht lange aufrecht halten konnte. Weitere Hände dämpften ihren Fall, ehe sie sich noch mehr verletzen konnte und erst jetzt, da sie in das grelle Licht einer OP-Lampe blinzelte, wurde ihr klar, wo genau sie sich befand - in einem Krankenhaus!

Nein! Das durfte einfach nicht wahr sein, sie hatten sie in ein Krankenhaus gebracht! Das bedeutete die Vorstufe eines Versuchslabors!

Delilah begann um ihr Leben zu kämpfen. Viel Kraft hatte sie nicht mehr, aber das letzte Bisschen setzte sie noch dazu ein, um die Hände des fremden Mannes von sich zu stoßen und sich der anderen zupackenden Hände zu erwehren. Niemals würde sie freiwillig ein Versuchskaninchen werden!

Man drückten sie auf den OP-Tisch zurück und Deans Gesicht schob sich in ihr Sichtfeld.

Er machte da auch noch mit? Wie konnte er sie nur so verraten!

Er sagte etwas zu ihr, doch inzwischen konnte Delilah nur noch ihr eigenes Blut in den Ohren rauschen und das wilde Pochen ihres rasenden Herzschlags hören. Gehetzt und viel zu flach atmend, starrte sie in die sowohl vertrauten Gesichter, wie auch in das des ihr fremden Mannes der soeben eine Spritze aufzog und sie damit in noch mehr Panik versetzte.

Noch einmal versuchte Delilah sich mit letzten Kräften dagegen zu wehren, aber sie hatte keine mehr und die McKenzies waren mit ihrem Griff gnadenlos. Der Fremde trieb ihr die Spritze in die Armbeuge, beugte sich über Delilah und blickte sie prüfend an. Auch er sagte etwas zu ihr, aber inzwischen wurde ihr Sichtfeld wieder kleiner und jeder ihrer verkrampften Muskeln entspannte sich unwillkürlich. Sie glitt in einen tiefen, traumlosen Schlaf, der endlich Frieden zu versprechen schien und doch wehrte sie sich solange dagegen, wie sie nur konnte, auch wenn sie am Ende verlor.
 

Delilahs Hand fuhr auf der Suche nach Deans Körper über die Matratze und griff ins Leere. Vielleicht lag er ja hinter ihr, nur zu weit entfernt, um ihn berühren zu können. Also wollte sie sich umdrehen, aber irgendwie schien ihr dafür völlig die Kraft zu fehlen. Schon ihr Arm hatte sich wie bleiern angefühlt.

Hatte sie gestern etwa zu viel getrunken und nun einen Kater? Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Was zum Henker hatte sie gestern nur getrieben?

Vergebens versuchte Delilah ihrem Gehirn ein paar Informationen abzuringen. Ihr Kopf war ebenfalls zu schwer und lag tief in einem Kissen versunken, das überhaupt nie mit Dean in Berührung gekommen zu sein schien. Seltsam. Überhaupt war der Geruch im Raum komisch. Irgendwie steril und es stank auch leicht nach Desinfektionsmittel.

Gequält versuchte Delilah ihre Augenlider auseinander zu zwingen und schaffte es erst beim dritten Anlauf. Als ihr Blick eine seltsame Metallstange einfing, an der ein durchsichtiger Beutel mit dunkelroter Flüssigkeit hing und sie dem daran befestigten Schlauch bis unter ihre Bettdecke folgte, begann sie mit einem Mal zu begreifen.

Ein Bad in Eiswasser hätte sie nicht gründlicher zu sich kommen lassen.

"Nein..." Delilah zog langsam ihre Beine in fötaler Haltung an, beide Hände dabei auf ihren Bauch gepresst.

Für einen Moment wusste ihr Körper nicht, wie er reagieren sollte. Zuerst kam das Zittern, dann ein stacheliger Ball in ihrer Kehle und Tränen liefen heiß ihre Wangen hinab, aber es kam kein Ton über ihre Lippen.

Sie hatte es verloren. Ihr Baby. Anders konnte es nicht sein, dafür war viel zu viel Blut geflossen.

Delilah war selbst erstaunt wie stark dieses Wissen schmerzte, dabei fühlte sich ihr Körper stumpf und irgendwie falsch an. Sie hatte keine körperlichen Schmerzen, aber es war dennoch beinahe unerträglich.

Ihre anfänglichen Wünsche waren also doch noch wahr geworden. Doch viel zu spät, wie sie jetzt mit Entsetzen erkennen musste. Denn sie wünschte sich von ganzem Herzen, es wieder ungeschehen machen und das Baby retten zu können, aber auch dafür war es wohl schon viel zu spät.

Es war fort…

Was sollte sie jetzt nur tun? Sie hatte das Baby verloren und damit ihre Freiheit wieder zurück erlangt, aber…

"Es tut mir so leid!" Nun begann Delilah doch zu schluchzen und aus dem Zittern wurde ein heftiges Beben. Für ihr Baby hätte sie jede Freiheit aufgegeben. Das wusste sie jetzt, aber es war schon zu spät. Viel zu spät und das Gefühl des Verlustes war gewaltig!

"Delilah?"

Sie zuckte zusammen und hielt in ihrem Schluchzen inne; drehte aber zumindest den Kopf etwas, um über ihre Schulter sehen zu können.

Dean und James saßen auf einfachen Holzstühlen. Dazwischen ein kleiner Tisch mit getrockneten Blumen darauf. Die fremden Gerüche lagen zu intensiv in der Luft, als dass sie die Brüder hätte sofort wittern können. Außerdem lief ihr vom Weinen die Nase, weshalb sie Dean nur dadurch von James auseinander halten konnte, dass in seinem Gesicht nur Sorge lag. James hingegen wirkte auch deutlich schuldig. Sie konnte ihm nicht mehr direkt in die Augen schauen, also drehte sie sich wieder herum und schloss ihre eigenen wieder.

"Verschwindet. Alle beide.", flüsterte sie leise. Sie konnte ihren Anblick jetzt nicht ertragen. Nicht mit dem Wissen im Herzen, Schuld am Tode ihres eigenen Kindes zu haben, das auch eines von einem der beiden gewesen wäre.

Oh Gott…

Niemand rührte sich.

Was hatte sie nur getan?

"Ich sagte, ihr sollt VERSCHWINDEN!" Delilah fuhr hoch und zu den Zwillingen herum. Schmerz schoss in ihre Armbeuge, doch sie ignorierte ihn, während sie unter tränennassem Blick die Brüder wütend anfunkelte, obwohl die Wut eigentlich nur ihr selbst galt.

"Haut ab! Ich will euch nicht sehen, verdammt noch mal!" Sie schrie immer noch und es tat ihrer Kehle weh, aber was waren schon diese Schmerzen, zu dem einen der ihr Herz auffraß?

Endlich standen die Brüder auf, warfen sich betroffene Blicke zu und verließen auf ihren Wunsch hin wortlos das Zimmer. Erst als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, ließ sie endgültig los.

Delilah schlug die Hände vors Gesicht und begann nun haltlos zu weinen und sich dabei vor und zurück zu wiegen, aber es hörte einfach nicht auf. Es tat so unglaublich weh!
 

Wie lange sie sich ihrer Trauer hingab, wusste sie nicht, aber mit der Zeit war sie wieder auf die Matratze zurück gesunken und aus dem heftigen Schluchzen nur noch stille Verzweiflung geworden.

Auch jetzt liefen noch Tränen haltlos über ihr Gesicht, aber für alles andere fehlten ihr bereits wieder die Kräfte, also schloss sie die Augen und hoffte, erneut ohnmächtig zu werden und diesem Schmerz in ihr drin zu entfliehen, aber den Gefallen tat ihr Körper ihr nicht.

Als nach einer Weile sich die Tür zu ihrem Zimmer wieder öffnete, war sie schon zu erschöpft, um dagegen zu protestieren. Selbst als sie kurz die Augen aufschlug, um zu sehen, wer sie störte, erhob sie keinen Einspruch. Es war ein fremder Mann in weißer Arztkleidung und mit einer Akte im Arm. Sein Gesicht war verdammt jung und zugleich wirkten seine intensiven grün-blauen Augen uralt und weise. Etwas das überhaupt nicht zusammen zu passen schien, aber das kümmerte sie im Moment herzlich wenig. Sein sanftes Lächeln wirkte beruhigend, auch wenn es seine Wirkung bei ihr fast gänzlich verfehlte.

"Hallo. Ich bin Dr. Richard Young, aber Sie können mich gerne Young nennen." Der Fremde zog sich einen der Besucherstühle näher an ihr Bett heran und ließ sich darauf nieder.

Delilah schwieg, während sie den Arzt nicht aus den Augen ließ. Er war kein Mensch, so viel konnte sie bereits sagen, aber das war auch schon alles, was sie halbwegs beruhigen konnte. Einen menschlichen Arzt hätte sie selbst in dieser Situation nicht so nahe an sich heran gelassen.

"Es freut mich, dass Sie schon so früh wieder zu sich gekommen sind. Das ist ein gutes Zeichen."

"Wofür?", wollte sie emotionslos wissen. Es gab nichts, was sie in ihrer Lage als positiv empfinden könnte. Eigentlich wünschte sie sich sogar das Gegenteil. Sie hätte es mehr als nur verdient.

"Sie wären beinahe verblutet. Zum Glück haben Sie die gleiche Blutgruppe wie James und Dean und obwohl der genetische Unterschied zwischen den Spezies durchaus nicht zu ignorieren ist, hat ihr Körper das Blut der beiden angenommen. Bisher ist keine Abwehrreaktion erfolgt und ich bezweifle, dass es noch zu dieser kommen wird. Es tut mir leid, dass ich Sie diesem Risiko aussetzen musste, aber Gestaltwandler gehen ebenso selten zur Blutspende wie andere nichtmenschliche Wesen."

Delilah reagierte nicht darauf. Eigentlich war es ihr ziemlich egal, was der Arzt von sich gab. Sie wäre zwar beinahe gestorben, aber der Gedanke konnte sie nicht wirklich entsetzen. Nicht nach allem, was passiert war.

"Warum haben Sie mich nicht einfach sterben lassen…", flüsterte sie leise und schloss die Augen. Der Kerl glaubte vielleicht, ihr einen Gefallen getan zu haben, in dem er ihr Leben rettete, aber das stimmte nicht. Das klagende Winseln ihrer Wölfin gab ihr nur allzu recht.

"Zum Einen weil es gegen mein ärztliches Pflichtgefühl gewesen wäre und zum Anderen wäre ihr ungeborenes Baby mit ihnen gestorben. Oder ist Ihnen diese Tatsache völlig egal?" Der Arzt klang plötzlich kühl und alles andere als freundlich.

"Was?" Delilah riss die Augen auf und setzte sich so schnell im Bett auf, dass ihr schwindelig wurde, aber das hielt sie nicht davon ab, sich halb auf den Arzt zu stürzen und ihn am Kragen zu packen, um ihn schwach zu schütteln.

"Was haben Sie gerade gesagt?"

Young schien sichtlich verwirrt, machte aber keinerlei Anstalten, ihr zu antworten, sondern zupfte sie problemlos von sich und schob sie wieder auf das Bett zurück.

"Sie müssen liegen bleiben. Noch ist Ihr Zustand kritisch, auch wenn Sie und das Baby das Schlimmste bereits hinter sich haben."

Delilah ließ sich zurück ins Kissen drücken, blickte dabei dem jungen Arzt mit riesigen Augen entgegen und brachte kaum ein Wort heraus. Hoffnung wollte sie überschwemmen, doch noch wagte sie es nicht, diese auch zuzulassen. Sie würde es nicht ertragen, wenn sie enttäuscht werden würde.

"D-Das Baby … lebt?" Sie hatte es nicht verloren?

Young begann wieder sanft zu lächeln und sah ihr tief in die Augen, so als wolle er sichergehen, dass sie ihn auch wirklich verstand.

"Ja, Ihr Baby lebt und ist wohlauf."

"W-Wirklich?"

"Wirklich."

Delilah brach erneut in Tränen aus, doch dieses Mal voller Freude und Erleichterung. Sie berührte dabei so vorsichtig ihren Unterleib, als könne jeder größere Druck ihrem Baby schaden.

"Es lebt! Oh mein Gott! Ich dachte…"

Es war zwar völlig verrückt, als sie die Arme um den jungen Arzt schlang und sich heulend an ihn drückte, aber das war in diesem Augenblick vollkommen egal. Sie war einfach nur so unendlich erleichtert und glücklich. Sie hatte es also nicht verloren. Es lebte immer noch in ihr!

Delilah konnte es kaum fassen.

"Danke! Danke‼"

Sie wusste nicht, wem genau dieser Dank galt. Entweder Dr. Young oder dem Gott, an den sie nie wirklich geglaubt hatte. Es war egal. Das war nicht weiter wichtig. Hauptsache ihr Baby lebte!

Young ließ es zu, dass sie sein weißes Hemd einnässte und obwohl er ein vollkommen Fremder für sie war, störte es sie nicht einmal, dass er ihr hin und wieder über den Rücken strich, bis sie sich wieder soweit beruhigt hatte, dass sie ihn loslassen konnte.

Immer noch freudestrahlend sank Delilah tiefer in das weiche Kopfkissen und wischte sich die Tränen von den Wangen.

"Kann ich… Kann ich es sehen?" In ihrer Frage lag so viel Hoffnung und Flehen, dass Young einfach nicht ablehnen durfte. Delilah brauchte diesen Beweis, dieses Wissen, dass man sie nicht anlog!

Er lächelte wissend. "Natürlich. Ich wollte ohnehin einen weiteren Ultraschall machen, nachdem Sie aufgewacht sind. Ich werde gleich alles in die Wege leiten. Möchten Sie inzwischen mit den Zwillingen sprechen? Die beiden sind in den letzten zwei Tagen kaum von ihrer Seite gewichen."

Delilahs Lächeln erlosch. Sie horchte in sich hinein, bat ihre Wölfin um Rat, doch sie waren sich beide einig, dass sie im Augenblick keinen der McKenzies sehen wollte, also schüttelte sie schwach den Kopf.

"In Ordnung." Young stand von ihrem Bett auf und nahm die Akte wieder an sich, die auf den Boden gefallen war. "Ich bin gleich wieder da."

Damit stellte er den Stuhl zurück und verschwand.

Wieder berührte Delilah vorsichtig ihren Bauch und schloss die Augen.

Es lebt…
 

*
 

Soooo, jetzt ist es soweit. Jetzt möchte ich mich mit einem riesigen Dankeschön bei allen bedanken, die mich immer so tatkräftig unterstützen und mich damit regelrecht zwingen, bei der Tastatur bzw. beim Handy zu bleiben. ^^

Tianani - ich freue mich immmer riesig über deine Kommis. Ohne sie habe ich das Gefühl, als wäre das Kapitel nicht abgeschlossen. Vielen lieben Dank noch mal, dass du dich geoutet hast. Das bedeutet mir sehr viel.
 

Pandahamster - Du bist mir in mehr als nur einer Lebenslage eine große Unterstützung und ich bin froh, dich als Brieffreundin gewonnen zu haben. Schön dass es dich gibt. *knuddl*
 

Und natürlich möchte ich hier auch noch all den Leuten danken, die diese Geschichte favorisiert haben. Es ist sehr motivierend, zu wissen, das so viele Menschen Interesse an dieser Geschichte zeigen.
 

Danke noch mal an euch alle. Ihr seid die Besten!

27. Kapitel

"Oh mein Gott!"

Delilah schlug sich die Hand auf den Mund. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, als sie ihr kleines Baby zum ersten Mal sah.

Sie lag mit dem Rücken auf einem Untersuchungsstuhl, ihr Bauch voll von schmierigem Zeug, über das Dr. Young ein Gerät führte, für das sie keinen Namen hatte. Ultraschall hatte er die Untersuchung genannt, aber das war in dem Moment schon nicht mehr von Bedeutung gewesen, als sie ihr Baby zum ersten Mal auf dem Untersuchungsbildschirm erkannt hatte.

Es war winzig, aber deutlich als solches zu erkennen. Der Kopf, die winzigen Hände und Füße…

Delilah liefen tatsächlich Tränen über die Wangen, als sie auch das kleine Herz deutlich schlagen sehen konnte. Und wie es sich bewegte! Es wunderte sie fast, dass sie es nicht spüren konnte, so lebhaft zappelte das kleine Wesen in ihrem Bauch.

"Es ist alles in Ordnung." Dr. Young reichte ihr ein Taschentuch, ehe er ihr Baby auf dem Bildschirm mit Hilfe einer Maus abmaß.

"Der Größe nach würde ich auf die 13. Schwangerschaftswoche tippen."

Delilah wischte sich die Tränen weg und schnäuzte einmal verhalten, ehe sie auf die unausgesprochene Frage antwortete.

"Ja. Ziemlich genau sogar."

Gott, sie konnte es immer noch nicht ganz fassen, dass sie es nicht verloren hatte. Bei all dem Blut, wie hätte es da…?

"Was genau ist eigentlich … passiert? Ich meine, warum wäre ich beinahe verblutet?"

Sie konnte sich natürlich vorstellen, dass Nadines Tritt die Ursache dafür gewesen war, aber Delilah hatte keine Ahnung, was diese Schlampe damit angerichtet hatte.

Young speicherte das Standbild, das er gerade vermessen hatte und ließ die Übertragung dann weiterlaufen.

"Sie hatten einen Riss in der Gebärmutterwand. Dank der Heilkraft Ihrer Spezies musste ich nicht operieren und der Riss hat sich selbst wieder geschlossen, dennoch war es knapp, da dabei die Fruchtblase hätte beschädigt werden können. Hinzu kommt noch ein retroplazentares Hämatom, das ein Stück der Plazenta abgelöst hat. Auch das hätte beinahe zu einer Fehlgeburt geführt, wenn ich Sie nicht rechtzeitig hätte behandeln können."

Delilah konnte ihre Augen nur schwer von dem Monitor, besser gesagt von ihrem ungeborenen Kind lösen, aber bei Youngs Worten schaute sie ihn erschrocken an. Das klang wirklich übel.

"Was bedeutet das?", hakte sie noch einmal nach, obwohl sie es vielleicht lieber gar nicht so genau wissen wollte.

"Ein Hämatom ist ein Bluterguss. In Ihrem Fall befindet sich dieser in Ihrer Gebärmutter. Hier - um genau zu sein." Er zeigte ihr einen dunklen Fleck auf dem Monitor, den sie selbst gar nicht bemerkt hätte.

"Weshalb Sie in den nächsten Tagen noch leichte Blutungen haben werden, bis es abgeheilt ist. Einige Frauen haben das während der Schwangerschaft, aber mit etwas Bettruhe, stellt es in den meisten Fällen kein Problem dar. Sie müssen sich nur einige Tage lang schonen. Nicht bücken, wenn es sich vermeiden lässt. Nichts Schweres heben und auch keine Vollbäder. Selbstverständlich auch keine Verwandlung."

Delilah schluckte hart und richtete ihren Blick wieder auf das kleine strampelnde Wesen, das trotz ihrer Dummheit so viel Glück gehabt hatte. Sie würde nicht zulassen, dass ihm noch einmal etwas zustieß. Dafür bedeutete es ihr viel zu viel.

Sie hätte das vor diesen Ereignissen zwar nicht erwartet, immerhin hatte sie ihr Baby fast verlieren müssen, um dessen Bedeutung in ihrem Leben zu erkennen, aber nun wusste sie, dass sie es aus ganzem Herzen wollte.

Delilah kamen schon wieder die Tränen, welche sie rasch mit dem Taschentuch trocknete.

"Oh Mann. Hört das denn nie auf?"

Young lachte leise.

"Diese Gefühlsschwankungen sind ganz normal, vor allem nach den schlimmen Ereignissen die Sie hinter sich haben. Aber ich kann Sie zumindest in einem Punkt beruhigen. Falls Sie an Morgenübelkeit gelitten haben, wird sich das bald legen."

Delilah sah den jungen Arzt zum ersten Mal richtig an, da sie ihm für dieses Lachen dankte, mochte es noch so klein gewesen sein. Aber er nahm ihr damit die bedrückende Intensität der Situation und ließ sie selbst leichter aufatmen und das, obwohl sie jetzt wusste, dass alles gut gehen würde.

Dr. Young hatte freundliche Augen, um die sich winzige Falten tummelten, wenn er lachte, obwohl sein Gesicht ansonsten ebenmäßig glatt war. Zu ebenmäßig um einem Menschen zu gehören. Denn trotz des jugendlichen Haarschnitts, der seine weizenblonden Haare gut zur Geltung brachte, wirkte er doch nicht wie ein Mann Mitte zwanzig. Eigentlich sogar sehr viel älter.

"Darf ich fragen, was Sie sind?"

Delilah lehnte sich entspannter zurück, nachdem Young den Monitor ausgeschalten und das Ultraschallgerät weggeräumt hatte. Er wischte ihr gerade die Creme vom Bauch, als ein leichtes Lächeln in seinem Mundwinkel erschien.

"Was vermuten Sie denn, das ich bin?"

Sie zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es wirklich nicht. Bevor ich die Zwillinge getroffen habe, war ich hauptsächlich unter Menschen. Ich hatte nie besonders viel mit anderen übernatürlichen Wesen zu tun."

Delilah konnte ja noch nicht einmal wirklich behaupten, ihre eigene Spezies oder sich selbst richtig zu kennen. Dafür waren ihre Eltern zu früh gestorben, um es ihr beizubringen und Instinkte alleine lieferten noch lange keine klaren Antworten.

"Ich bin ein Vampir.", verkündete Young gelassen und zog sich die Handschuhe aus. Er musste schon wieder lächeln, als er Delilahs erstaunten Gesichtsausdruck sah.

"Das überrascht Sie wohl?"

"Allerdings. Ich meine… Es ist Tag!" Dämliches Argument, aber ihr fiel gerade nichts Besseres als Erwiderung ein.

Young warf einen Blick aus dem Fenster. Das Wetter war schön und sonnig. Passend für diese Jahreszeit, nicht jedoch für einen Vampir.

"Ich nehme an, ich bin der erste Vampir, dem Sie begegnen. Ansonsten wüssten Sie nämlich, dass wir sogar ganz gerne in der Sonne liegen, wenn die Zeit es zulässt. Sie müssen also keine Angst haben, dass ich jeden Moment in Flammen aufgehe. Ich werde Sie auch weiter behandeln, sofern Sie das wollen."

Young brachte sie wieder auf das vorrangige Thema zurück, obwohl sie später sicherlich noch über seine Spezies nachdenken würde. Dass sie das nicht gewusst hatte, zeigte nur zu deutlich ihren Mangel an Allgemeinwissen.

"Ja, das möchte ich. Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür, denn ich will kein Risiko mehr eingehen, was mein Baby betrifft." Delilah legte wieder ihre Hände auf ihren Bauch. Es tat immer noch weh, aber bei weitem nicht mehr so stark, wie vor ihrer Einlieferung. Außerdem beruhigte es sie, dass alles soweit mit dem Baby in Ordnung zu sein schien.

"Ich hoffe, Ihre Aussage beinhaltet auch das Fernbleiben von körperlichen Auseinandersetzungen. Gegen leichte Arbeit ist nichts einzuwenden, sobald sie wieder vollständig genesen sind, aber Prügeleien sollten sie ganz vermeiden."

"Ja, ich weiß." Delilah seufzte schwer. Sie würde es auch nicht mehr vergessen und im Augenblick hatte sie auch nicht vor, sich überhaupt noch einmal mit Nadine oder einer anderen Frau anzulegen, die James an die Wäsche wollte. Was das anging, konnte und wollte sie im Augenblick nicht länger darüber nachdenken. Zumal ihre Wölfin ihr in diesem Punkt ebenfalls voll und ganz zustimmte. Das Baby war jetzt wichtig und nichts anderes!

"Hier." Young hielt ihr ein frisches Taschentuch hin, das sie für einen Moment verwirrt anstarrte, bis sie eine salzige Träne auf ihrer Oberlippe schmecken konnte.

Sie nahm es wortlos an und tupfte sich wohl zum hundertsten Mal das Gesicht trocken, aber es wollte nicht aufhören.

"Kann ich… Kann ich Ihnen eine Frage stellen? Aber bitte verurteilen Sie mich deswegen nicht. Im Augenblick mache ich mich selbst schon genug deswegen fertig."

"Natürlich." Young nahm eine dünne Decke aus einem der Regale und breitete sie über sie aus, was sehr nett von ihm war. Denn sie lag nur in einem dünnen Pyjama vor ihm da.

"Und keine Angst. Das was Sie mir anvertrauen, wird diesen Raum nie verlassen. Das verspreche ich Ihnen."

"Danke." Delilah schnäuzte sich noch einmal gründlich die Nase, ehe sie überhaupt in der Lage war, weiter zu reden.

"Ich… Ich weiß nicht genau, wer der Vater des Kindes ist. Es … könnte Dean oder James sein, da ich … mit beiden geschlafen habe und das ziemlich knapp hintereinander."

Sie musste einmal tief Luft holen. Das einem völlig Fremden zu erzählen, machte die Sache auch nicht gerade leichter. Immerhin könnte er sie wegen ihrer Taten nur allzu schnell als Schlampe abstempeln und das wollte sie gerade von Dr. Young wirklich nicht. Trotzdem nahm sie den Mut auf, weiter zu sprechen. Jetzt gab es ohnehin kein Zurück mehr.

"Gibt es denn eine Möglichkeit, den Vater genau zu bestimmen? Ich meine, mit einem Vaterschaftstest?"

Der 'junge' Arzt zog sich einen Hocker heran und ließ sich darauf nieder, während er nur kurz nachdenken musste und sie dann vollkommen urteilsfrei anschaute. "Mit den herkömmlichen Tests dürfte das unmöglich sein, da eineiige Zwillinge die vollkommen identische DNA besitzen. Somit würde ein solcher Test in beiden Fällen einen positiven Vaterschaftsnachweis erbringen."

Das war nicht gerade die Antwort, die sie sich erhofft hatte, aber irgendwie hatte sie damit gerechnet.

Delilah seufzte schwer. "Schon gut. Vielleicht ist es sogar besser so."

Im Augenblick hätte sie ohnehin nicht gewusst, wie sie mit James als Vater ihres Kindes hätte umgehen sollen. Vermutlich würde sie ihm den Kopf abreißen, wenn sie sich nicht schonen müsste.

Er hatte ihr wehgetan. Natürlich nicht körperlich, aber das was er zu ihr gesagt hatte, war ihr ziemlich nahe gegangen. Kein Wunder dass selbst ihre Wölfin ihn von sich gestoßen hatte.

"Es wäre ohnehin besser, wenn Sie sich vorerst nur auf sich und das Baby konzentrieren. Ich bin mir sicher, der Rest wird sich dann von selbst ergeben."

Vermutlich hatte Young recht. Sie sollte sich ausruhen, anstatt sich auch noch wegen der Zwillinge zu stressen.

"Wie lange wollen Sie mich noch hier behalten?", fragte sie schließlich. Hoffentlich noch eine ganze Weile, da sie nicht so schnell wieder auf die Ranch zurück wollte.

"Mindestens noch zwei Tage zur Beobachtung, danach steht einer Heimfahrt eigentlich nichts mehr im Wege, solange alles gut läuft. Ich werde dann auch zur Sicherheit für eine Nachkontrolle vorbeikommen."

Young rollte mit seinem Hocker zu dem kleinen Tisch hinüber, auf dem ihre Krankenakte offen da lag und schrieb etwas hinein.

"Außerdem lege ich Ihnen Kontrolltermine nahe. Gestaltwandler-Schwangerschaften sind zwar meistens problemlos, aber nach diesem Vorfall möchte ich lieber auf Nummer sicher gehen."

"In Ordnung. Das wäre mir auch lieber." Delilah brachte endlich ein Lächeln zustande. Sie faste schon jetzt großes Vertrauen zu ihrem Arzt. Aber wie hätte sie das auch nicht tun können? Immerhin hatte er ihr und auch ihrem Baby das Leben gerettet.

"Übrigens können Sie mich bei Fragen oder Redebedarf auch jederzeit anrufen, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit."

"Vielen Dank. Ich bin froh, dass es jemanden wie Sie gibt. Ich hätte niemals in ein Menschen-Krankenhaus gehen können."

Young drehte sich wieder zu ihr herum und schenkte ihr ein warmes Lächeln. "Darum bin ich hier. Aber jetzt sollten wir Sie besser wieder in ihr Zimmer bringen. Sie brauchen Ruhe."

Damit dürfte er gar nicht so sehr danebenliegen. Denn selbst dieser kleine Ausflug hatte sie ganz schön angestrengt.
 

Es war Abend und sie hatte gerade fertig gegessen, als Dean vorsichtig seine Nase bei der Tür hereinstreckte, ganz so als hätte er Angst, sie würde ihn jeden Moment wieder rauswerfen und zugegeben, seine Vorsicht war begründet, aber im Augenblick nicht nötig.

"Komm herein.", bat sie. Denn nachdem sie nachmittags noch etwas geschlafen hatte, war ihr seine Anwesenheit sehr willkommen. Ihr innerliches Chaos hatte sich zumindest soweit wieder gelegt, dass sie seine Nähe bereits schmerzlich vermisst hatte, auch wenn sie das nicht so einfach zugeben konnte.

"Wie geht es dir?" Dean schloss die Tür hinter sich und wollte gerade nach einem der beiden Stühle greifen, als Delilah ihn zu sich winkte und auf die Matratze neben sich klopfte.

"Setz dich her. Ich bin nicht ansteckend." Delilah machte ihm noch etwas Platz und konnte dabei sehen, dass sie ihm ein schwaches, freudloses Lächeln abgerungen hatte. Sofort schlug ihr Herz schneller, aber auch schwerer. Denn einmal davon abgesehen, wie es ihr selbst ging, sah Dean alles andere als gut aus.

Dunkle Ringe hatten sich tief unterhalb seiner Augen gegraben. Er war blass und seine Frisur saß nicht so perfekt zerzaust wie früher, sondern war einfach nur zerzaust. Als hätte er sich nur grob mit den Fingern gekämmt.

"Also?" Er setzte sich zu ihr und bestand auf eine Antwort.

Delilah griff nach seiner Hand und umschloss sie mit ihren Fingern. "Es geht mir soweit gut und auch mit dem Baby ist alles in Ordnung."

Einen Moment lang sah Dean sie einfach nur ausdruckslos an, ehe er vor Erleichterung in sich zusammen sank und das so stark, dass sie vor Schreck hoch gefahren wäre, wenn er sie nicht daran gehindert hätte, in dem er seine Arme um sie schlang und sein Gesicht an ihrem Bauch vergrub.

Er rührte sich nicht, aber er zitterte am ganzen Körper und sie konnte seinen abgehakten Atem selbst durch die dünne Decke hindurch warm an ihrem Bauch spüren.

"Dean?", hauchte sie leise aber deutlich besorgt, während sie ihm durchs Haar strich und ihre Hand schließlich in seinem kühlen Nacken liegen ließ. Das allein hätte schon genügt, um sie zu beunruhigen, schließlich waren Werwölfe immer eine Spur wärmer, als Gestaltwandler. Nicht sehr viel, aber man konnte den Unterschied deutlich spüren.

Ihre Sorge wuchs, nachdem er immer noch nicht reagierte, sondern sie lediglich noch etwas fester umarmte. Bei weitem nicht fest genug, wie sie fand, aber vermutlich hatte er Angst, ihr damit wehzutun.

"Dean?", versuchte sie es noch einmal, aber dieses Mal eindringlicher. "Es… Es tut mir leid, dass ich dich beim letzten Mal so angefahren habe. Wirklich! Aber ich dachte… Ich hatte angenommen, dass…" Ihr wollten schon wieder die Tränen kommen, während ihr ein schweres Seufzen entfuhr. "Ich dachte, ich hätte das Baby verloren…"

"Das dachte ich zunächst auch…" Deans Stimme drang gedämpft durch die Decke zu ihr durch, bis er sich weit genug aufrichtete, dass sie sich in die Augen blicken konnten.

Die seinen glänzten verräterisch. "Und dann erzählte Young uns, dass du dringend eine Bluttransfusion brauchst und deine Chancen selbst damit nicht gerade günstig stehen würden."

Ein Tropfen verfing sich in seinen dunklen Wimpern und fiel, als Dean blinzelte. "Was zum Teufel hast du dir dabei nur gedacht? Du hättest draufgehen können!"

Die Träne landete auf seiner Wange und zog eine feuchte Bahn über seine Haut hinab bis zu seinem Kiefer. "Du wärst beinahe draufgegangen und mit dir unser Baby!"

Delilah konnte sich nicht rühren. Starrte nur die sterbende Träne an, die schließlich grob von einem Handrücken weggewischt wurde.

"Verdammt, Deli! War es das wert?" Deans plötzlich sanfter Tonfall ließ sie nun doch hochsehen.

Flüssiges Karamell brannte sich in ihre Seele, breitete sich wärmend in ihrem Bauch und ihrem Herzen aus und ließ die Wölfin in ihrem Kopf ein langes Heulen ausstoßen, dessen Endnoten von einer Traurigkeit durchdrungen waren, die sie nicht verstehen konnte.

"Nein.", flüsterte sie leise. "Das war es nicht!"

Delilah zog sich an Deans Nacken in die Höhe und schlang die Arme um seinen Körper, während sie sich so stark an ihm festhielt, dass ihm bestimmt die Luft wegblieb. Doch sie brauchte ihn. Sie brauche dringend seine Wärme, seine Nähe, seinen Duft! So dringend, wie sie Luft zum Überleben brauchte.

Sie verstand dieses Bedürfnis nicht. Sie verstand sich selbst nicht, aber ihr Instinkt leitete sie unfehlbar und vielleicht war das der Weg, den sie endlich einschlagen sollte. Für den sie sich entscheiden und auf dem sie endgültig bleiben sollte.

Sie wünschte sich eine sichere Zukunft für ihr Baby und so jung Dean auch war, all ihre Instinkte sagten ihr, dass er das schaffen konnte.

Delilah sollte endlich damit aufhören, an ihm zu zweifeln.
 

"Wann darfst du hier wieder raus?"

Delilah seufzte unwillig, da sie nur ungern den schützenden Kokon aus Stille und Deans Wärme verließ, in dem sie auf die Frage einging.

Er hatte sich inzwischen zu ihr gelegt und ihr den Rücken mit seinem Körper auf sehr angenehme Art gewärmt, während seine Finger immer wieder sanfte Kreise auf ihrem Bauch zogen.

Eigentlich hätte sie erwartet, dass es ihr unangenehm wäre, ihren Bauch ungeschützt seinen Händen auszuliefern. Aber sie fühlte sich durch ihn so unglaublich sicher und geborgen. Er würde ihr oder dem Kind niemals schaden. Jede Faser ihres Körpers schien das zu wissen und sie überließ sich diesem Gefühl nur allzu gerne.

"In zwei Tagen, wenn alles so läuft wie bisher. Young ist zuversichtlich."

Delilah legte ihre Hand auf eine von Deans Händen und begann im Gegenzug nun ihn zu streicheln. Seine Hand war so viel größer als ihre. Etwas das sie schon immer an Männern angezogen hatte, aber ganz besonders bei diesem ganz bestimmten.

"Gut. Dad läuft schon Amok." Deans Atem streichelte ihren Nacken, ehe sie dort seine Stirn spüren konnte.

"Wirklich? Und ich dachte, er würde sich freuen, mich eine Weile aus dem Haus zu haben." Sie sagte es nicht böse und meinte es auch nicht so. Obwohl ihr der alte McKenzie immer noch unheimlich war und sie sich nur noch lückenhaft an etwas erinnern konnte, war der Duft des Alphas doch unvergesslich in ihrem Gedächtnis haften geblieben. Elija mochte ein harter Mann sein, aber er hatte auch das Potenzial eines Führers und Beschützers.

Sie sollte besser ihre Meinung über ihn noch einmal überdenken, obwohl Delilah bezweifelte, dass er es mit ihr ebenso halten würde.

"Das Geschäft läuft inzwischen besser mit dir, als ohne dich.", war Deans einzige Erklärung und machte sie damit neugierig.

"Warum das denn?"

"Zuerst einmal bin ich hier bei dir und nicht bei der Arbeit. Etwas das er mir nicht verbieten kann und es auch nicht tut. James ist im Moment überhaupt nicht bei der Sache und deinen eigenen Beitrag zur Arbeitsmoral solltest du auch nicht unterschätzen. Ich habe noch nie eine Frau so Reifen wechseln sehen, wie du es tust."

Sie konnte sein Lächeln auf ihrer Haut spüren, war aber nicht dazu in der Lage es zu erwidern.

Nein, Delilah hatte sich entschieden und zwar für Dean. Sie würde nicht länger an James denken und sollte er ihr noch so oft über den Weg laufen. Sie hatten die Sache gründlich verbockt. Sie beide und damit würden sie jetzt auch beide leben müssen.

"Gut zu wissen.", erwiderte sie mit dem Entschluss, gleich damit anzufangen, auf dem eingeschlagenen Weg zu bleiben.

"Dann heb mir doch einen Satz Reifen auf, bis ich wieder gesund bin."

Deans Lächeln vertiefte sich.

"Das werde ich."

28. Kapitel

"Willkommen Zuhause."

Dean schenkte ihr ein Lächeln und stellte den Motor ab, machte aber keinerlei Anstalten auszusteigen, ebenso wenig wie Delilah. Stattdessen blickten sie beide auf die beleuchtete Veranda und das Licht, das durch das Glas der Haustür fiel.

Bei seinen Worten kam ihr unwillkürlich der Gedanke, ob das hier wirklich eines Tages ihr Zuhause sein könnte. Im Moment allerdings fühlte es sich nicht so an. Zu viele negative Gedanken und Gefühle hingen an diesem Anblick. Sie hatte sogar Angst, das Haus zu betreten.

"Nervös?", riet ihr Begleiter nur allzu richtig.

"Etwas."

"Das musst du nicht sein, Deli. Es ist alles für dich vorbereitet. Dir kann jetzt nichts mehr passieren." Er berührte zart ihre Wange, streichelte darüber und blieb an ihrem Kinn hängen, bis er sie dazu brachte, nicht das Haus sondern ihn anzusehen. Sein Blick war ernst und weich zugleich. Sie wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte, aber die Angst blieb trotzdem.

"Keine Angst, dich erwartet da drin keine Überraschungsparty oder so etwas in der Art. Ich werde dich auf dein Zimmer bringen, dir noch etwas zu essen holen, falls du hunger hast und dir bis zum Schlafengehen noch auf die Nerven gehen. Das ist alles."

Nun entlockte er ihr doch ein kleines Lächeln. "Das ist aber eine ganze Menge. Ob ich das schon packe?" Sie ergriff seine Hand und drückte sie leicht.

"Ich werde mich so gut es geht zurückhalten – versprochen. Und jetzt komm, oder willst du im Auto übernachten?"

"Nein. Eigentlich nicht." Gezwungenermaßen ließ sie Deans Hand los, damit er aussteigen und ihre wenigen Sachen aus dem Kofferraum holen konnte. Derweil stieg sie langsam und vorsichtig selbst aus dem Wagen, da ihr bei der kleinsten Bewegung noch alle Knochen wehtaten.

Delilah kam keine zwei Schritte weit, da wurde sie auch schon von Dean zurückgehalten.

"Young hat gesagt, du sollst dich schonen und was machst du? Du läufst bei der erstbesten Gelegenheit herum." Jetzt klang er sauer, was sie völlig übertrieben fand.

"Bettruhe, Dean. Das heißt aber nicht, dass ich nicht selbst zu besagtem Bett gehen darf. Immerhin hat er mir auch die Erlaubnis gegeben, alleine und ohne Hilfe zu duschen, wenn es für mich nicht zu anstrengend ist. Er hat nicht gesagt, dass ich mich gar nicht mehr bewegen darf."

Dean schnaubte bloß auf ihre Erklärung hin, hängte sich ihre kleine Reisetasche um die Schultern und hob sie dann mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung auf die Arme. "Egal. Die Treppe gehst du trotzdem nicht von selbst rauf." Der Werwolf hatte gesprochen.

Delilah fühlte sich nicht fit genug, um Dean konter zu geben, also ließ sie es zu, dass er sie ins Haus und die Treppe zu ihrem Zimmer hochtrug. Dabei erwartete sie fast, einem der anderen McKenzies über den Weg zu laufen, doch obwohl überall Licht brannte, war niemand zu sehen. Sie registrierte es mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung zugleich und versuchte erst gar nicht herauszufinden, was davon ihr lieber gewesen wäre. Stattdessen ließ sie sich von Dean gleich ins Badezimmer tragen und scheuchte ihn danach sofort hinaus. Es gab schließlich Dinge, bei denen er wirklich nicht anwesend sein musste.

Ihre Sachen warf sie in den Wäschekorb, ehe sie langsam unter die Dusche trat und das Gefühl genoss, endlich ihre Haare waschen zu können, nachdem sie darauf die letzten Tage wie auch auf eine anständige Dusche hatte verzichten müssen. Alles was ihr zur Verfügung gestanden hatte, war eine Schüssel voll warmen Wassers, Seife und ein Lappen. Das reichte zwar völlig für die tägliche Körperpflege aus, aber auf Dauer wäre das nichts für sie gewesen. Zudem musste sie unter der Dusche nicht das Blut an sich sehen, das daraufhin deutete, wie verletzlich sie noch war und dass es noch ein paar Tage dauern würde, bis es ihr wieder vollkommen gut ging.

Der Anblick der Monatsbinden reichte ihr schon vollkommen aus, obwohl es wesentlich weniger Blut war, als wenn sie ihre Tage gehabt hätte. Dennoch vergaß sie nicht, wofür es stand.

Delilah ließ sich Zeit, aber nicht zu viel, damit Dean nicht unnötig in Panik geriet. Also verließ sie die angenehme Wärme, hüllte sich in ein großes Badetuch und betrat ihr Zimmer mit tropfenden Haaren.

"Besser?" Dean saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und ließ sie keine Sekunde lang aus den Augen, während Delilah zu ihrem Kleiderschrank hinüber ging.

"Ja, viel besser und wie du siehst, stehe ich noch, also hatte ich Recht." Sie zog die beiden Schranktüren auf und stutzte überrascht.

Das waren nicht ihre Klamotten. Zumindest gehörte davon nur ungefähr ein Neuntel ihr. Den Rest davon hatte sie noch nie im Leben gesehen und wo vorher noch viel zu viel Platz gewesen war, da ihre wenigen Sachen nicht besonders viel Stauraum gebraucht hatten, war nun jeder freie Quadratzentimeter mit verschiedenen Stoffen belegt.

"Was. Ist. Das?" Delilah zog ein weißes, mit feinster Spitze besetztes Kleidungsstück hervor und wusste nicht genau, was für ein Material sie da zwischen den Fingern hielt. Fühlte sich wie Seide an, aber das konnte doch nicht-

"Sieht wie ein Nachthemd aus.", stellte Dean überflüssigerweise fest.

Sie drehte sich zu ihm herum, immer noch völlig überrumpelt. "Ich meinte nicht das Nachthemd. Ich meine: Wem gehören diese Sachen?"

"Naja, dir, wenn sie dir gefallen."

"Mir?" Ihre Stimme wurde immer leiser, während ihre Augen immer größer wurden.

Dean stand mit einem zufriedenen Lächeln auf und kam zu ihr herüber. Er strich über ihren nackten Rücken, während er sie wieder herumdrehte, damit sie den Inhalt ihres Kleiderschranks noch einmal eingehender betrachten konnte.

"Weißt du, als ich dir ein paar Sachen für die Klinik geholt habe, fiel mir auf, wie wenig Kleidung du eigentlich besitzt und dass das Meiste davon schon bald viel zu klein für dich sein würde, selbst wenn du in den nächsten Wochen nur minimal zunimmst. Außerdem habe ich kaum bequeme Sachen gefunden, die du im Bett oder eben in nächster Zeit im Haus tragen kannst, also haben J und ich beschlossen, etwas für dich zu kaufen, damit du dir darüber keine unnötigen Sorgen machen musst. Hier zum Beispiel-" Er zeigte auf einen Stapel weiter oben. "Die Sachen sind für das letzte Trimester, aber natürlich können wir zwischendurch noch ein paar Mal einkaufen gehen, wenn du sonst noch etwas brauchst. Ich weiß ja nicht, wie sehr du dich verändern wirst. Das ist alles einfach nur schon mal für den Fall der Fälle, verstehst du?"

Delilahs Hände zerknitterten sicher das seidene Nachthemd zwischen ihren Fingern, während sie immer noch den letzten Stapel ganz weit oben anstarrte und keinen Ton über ihre bebenden Lippen brachte.

"Oh, warte! Das Beste habe ich ja völlig vergessen!" Dean ging in die Hocke und zog eine der drei großen Schubladen auf, in denen sich wohl noch weitere Sachen befanden.

"Tadaa!" Mit strahlendem Gesicht hielt er ihr einen hellgrünen Strampler entgegen, auf dessen Brust ein weißes Kaninchen bestickt war.

Delilah sah ihn sich ein paar Sekunden lang an, ehe ihre Knie endgültig weich wurden und sie sich langsam an Dean gestützt zu Boden sinken ließ. Danach schlang sie ihre Arme fest um seinen Hals, drückte ihren Kopf an seine Brust und begann hemmungslos zu weinen. Sie kam zunächst nicht einmal dazu, sich zu erklären.

"Beinahe… Oh Gott, beinahe hätten wir…" Ein weiteres Schluchzen schüttelte sie. "Beinahe hätten wir es verloren, Dean. Unser Baby… Ich…"

"Schsch… Schon gut, Deli. Ich weiß." Dean begann sie in seinen Armen zu wiegen, sie zu streicheln und zu trösten, obwohl ihre Reaktion ihn völlig überrumpelt zu haben schien, genauso wie er sie mit dieser liebevollen Geste.

"Es ist alles gut. Dem Baby geht es gut. Es ist in Ordnung." Er sprach unablässig weiter zu ihr, streichelte sie, hielt sie fest und schenkte ihr seine Wärme, dennoch brauchte es lange, bis das Zittern ihres Körpers und die Weinkrämpfe nachließen. Bis der Schock - fast ihr Kind verloren zu haben - sich wieder etwas zu legen begann. Aber es würde noch lange nicht gut sein. Diese Wunde würde am längsten von allen für die Heilung brauchen. Das spürte sie, doch zumindest für den Moment hatte es geholfen.

"Danke, Dean." Delilah wischte sich die Augen mit einem Zipfel ihres Handtuchs trocken und wollte aufstehen, doch ihre Beine waren dafür viel zu wackelig.

"Warte, ich helfe dir." Das tat er doch immer, nicht wahr?

Dean hob sie vom Boden hoch und setzte sie aufs Bett, danach holte er ihr das seidene Nachthemd, doch bevor sie es sich überzog, kramte sie in der kleinen Reisetasche nach einem frischen Slip und einer Binde. Auf keinen Fall wollte sie riskieren, den schönen Stoff zu beflecken.

Wieder machte sie Anstalten aufzustehen, doch Dean kam ihr sofort zu Hilfe. Er schlang einen Arm um ihren Rücken und hielt sie aufrecht, während sie in den Slip stieg. Dabei rutschte das Handtuch zu Boden und entblößte all die dunklen Zeichen die an die vergangenen Torturen erinnerten, die ihr Körper hatte erdulden müssen.

Dean half ihr auch bei dem Slip und während seine Finger dabei über die grünen und violetten Flecken auf ihrer blassen Haut strichen, fragte sie sich, was er wohl in diesem Augenblick denken mochte. Doch er sagte nichts und auch sein Gesichtsausdruck blieb verschlossen.

Dankbar setzte sie sich wieder auf die Matratze und ließ sich von ihm das weiche Nachthemd überziehen. Es war ihr noch etwas zu groß, aber der weibliche Schnitt gefiel ihr, gerade weil er dennoch nicht zu viel von ihr Preisgab.

Ziemlich erschöpft ließ sie sich von Dean unter die Bettdecke stecken, doch bevor er auch nur einen halben Schritt vom Bett wegtun konnte, hatte sie seine Hand gepackt und hielt sie so fest sie konnte.

"Schläfst du auch hier?" In Delilahs Stimme lag ein Flehen, das sie fast an die Bitte eines kleinen Kindes erinnerte, das sich vor der Dunkelheit fürchtete.

Deans Gesichtszüge wurden wieder weicher und er setzte sich kurz zu ihr ans Bett, ehe er sich über sie beugte und ihr einen Kuss auf die Lippen hauchte.

"Klar. Was denkst du denn. Ich war schon lange genug auf Deli-Entzug." Er strich ihre verwirrten Haare etwas glatt, ehe er fortfuhr. "Ich muss nur noch den Anderen Bescheid sagen, dass wir da sind und mich fürs Bett fertig machen. Danach komm ich zu dir, versprochen."

"Okay… Danke." Sie ließ zögerlich seine Hand los. "Aber bitte beeil dich."

Dean schenkte ihr ein Lächeln und stand auf. "Natürlich und jetzt versuch zu schlafen, du siehst müde aus."

Delilah nickte zwar und schloss die Augen, während sie darauf wartete, dass Dean das Zimmer verließ, aber sie kämpfte lange mit ihrer Müdigkeit. Lange genug zumindest, um eine Weile später zu hören, wie er das dunkle Zimmer wieder betrat und hinter ihr unter die Bettdecke schlüpfte. Erst als seine Arme sie an seine Brust zogen und sie seinen Kuss in ihrem Nacken spürte, konnte sie endlich beruhigt einschlafen.
 

Am nächsten Morgen wachte Delilah in einem leeren Bett auf. Deans Seite war kühl, als sie mit ihren Händen und immer noch geschlossenen Augen nach ihm tastete. Er musste also schon eine ganze Weile vor ihr aufgestanden sein. Was ihr auch ein flüchtiger Blick auf ihren Wecker bestätigte, der unmöglich schon neun Uhr anzeigen konnte. Sie fühlte sich, als hätte sie noch nicht einmal die Hälfte der vergangenen Zeit geschlafen.

Immer noch ziemlich müde, drehte sie sich auf die andere Seite und vergrub ihr Gesicht in dem Kissen, das Dean benutzt hatte. Es roch immer noch nach ihm und das war beruhigend. Sie war sogar fast wieder eingeschlafen, als ein leises Klopfen an ihrer Tür sie hochfahren ließ.

"Ja?" Delilah pustete sich ein Strähne aus dem Gesicht und lauschte.

"Bist du angezogen?", kam die Frage durch die geschlossene Tür hindurch.

Aber das wusste Dean doch, schließlich hatte er ihr gestern höchstpersönlich das teure Nachthemd übergestreift.

"Und was wenn nicht? Hilfst du mir dann beim Anziehen?", neckte sie ihn, obwohl ihr noch nicht so recht danach zu Mute war, doch Delilah ging es heute besser, da sie in ihrem eigenen Bett hatte schlafen können und nicht in einem Krankenhausbett, bei dem man vorzugsweise sogar ein Gitter hochklappen konnte.

Vor der Tür rührte sich einen Moment lang gar nichts. Dann öffnete sie sich und James kam herein.

"Kommt darauf an, ob du dabei Hilfe brauchst." Im Gegensatz zu ihr meinte er das vollkommen ernst, auch wenn er dazu erst einmal das riesige Tablett abstellen müsste, um seine Hände frei zu haben.

Delilahs Herz machte einen Sprung, als sie ihren Irrtum erkannte. Sofort setzte sie sich kerzengerade auf und zog sogar die Decke ein gutes Stück höher. Allerdings nicht aus Schamgefühl. Sie hatte einfach wirklich nicht mit ihm gerechnet.

"James, ich…", begann sie sinnlos zu stammeln, ohne eigentlich genau zu wissen, was sie ihm sagen wollte, doch er nahm ihr diese Entscheidung ohnehin von sich aus ab.

"Ich bringe dir nur dein Frühstück und verschwinde dann auch gleich wieder." Er stellte das vollbeladene Tablett zu ihren Füßen ab, überflog noch einmal die vielen angerichteten Schätze und richtete anschließend seinen Blick zum ersten Mal auf Delilah.

Sofort schlug ihr Herz noch heftiger und sie hatte das Gefühl, als würde plötzlich ein Elefant auf ihrer Brust ein Schläfchen halten. Sie konnte noch nicht einmal richtig atmen.

Oh Gott, er sah schlimmer aus, als Dean ihr erzählt hatte. Der Glanz war aus seinen goldenen Augen verschwunden, die matt und müde wirkten, untermalt von dunklen Ringen. Seine Haut war fahl, obwohl er immer noch gebräunt war. Selbst seine Haare schienen nur noch traurig von seinem Kopf zu hängen und nicht mehr die Kraft aufzubringen, auch nur in irgendeine Richtung abzustehen, so wie früher. Aber das Schlimmste war wohl der harte Zug um seine Mundwinkel.

"Delilah?" Er wedelte mit einer Hand vor ihren Augen, um wieder ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.

"Was?", erschrocken sah sie ihn an, wollte ihm zugleich so viel sagen und war doch viel zu bestürzt dazu.

"Ich habe dich gefragt, ob du sonst noch etwas brauchst. Irgendwelche Vorlieben, Gelüste oder sonstigen Wünsche das Essen betreffend?"

Sie riss sich nur äußerst schwer von James' Anblick los, um sich die Auswahl auf dem Tablett flüchtig anzusehen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Auf seine Frage hin schüttelte sie nur schwach den Kopf.

"Gut." James drehte sich um und machte Anstalten zu gehen, etwas das sie endgültig aus ihrer Starre riss.

"Warte, geh nicht!" Delilah sprang beinahe aus dem Bett und die kleinen Schüsselchen und Kännchen auf dem Tablett klimperten gefährlich laut aneinander.

James blieb stehen, mit der Hand auf dem Türknauf. Allerdings drehte er sich nicht zu ihr herum. Delilah wusste, dass sie nur wenige Sekunden Zeit hatte, bevor er endgültig den Raum verlassen würde. Darin schien er mehr als entschlossen zu sein und bei Gott, sie konnte es ihm voll und ganz nachempfinden. Auch für sie war die Situation mehr als nur unangenehm, aber sie hatte nicht vor, dass es so blieb. Irgendjemand musste den ersten Schritt tun und in ihren Augen hatte das James gerade getan. Warum sonst sollte er bereit sein, ihr Frühstück zu machen und auch selbst zu bringen?

"Wir müssen reden.", wagte sie den Anfang, was ihr enorm viel Mut abverlangte. Denn zu reden würde weh tun, oh ja und wie weh es tun würde. Nicht nur ihr, sondern auch ihm.

James entkam ein schweres Seufzen, während seine Hand vom Türknauf rutschte. "Müssen wir?" Er klang wahnsinnig müde.

"Ja, das müssen wir." Sie selbst konnte die Vorsicht und das Zittern nicht aus ihrer Stimme verbannen.

James strich durch sein mattes Haar und brachte es nur kurzweilig so durcheinander, wie er es sonst immer getragen hatte. Die Spannkraft schien nicht nur seinen Haaren sondern seiner ganzen Bewegung zu fehlen. Es war nur zu offensichtlich, dass ihm für das hier die Kraft fehlte, darum überraschten sie seine Worte auch nicht wirklich. "Und wenn ich keine besondere Lust habe, zu reden?"

"Dann hör einfach nur zu." Delilah fasste all ihren Mut zusammen und versuchte dabei den Elefanten auf ihrer Brust zu ignorieren, obwohl dieser immer schwerer zu werden schien.

"Es tut mir leid, wie das Ganze gelaufen ist. Wenn ich auch nur irgendetwas davon ungeschehen machen könnte, dann würde ich es tun, doch das kann ich nicht. Aber ich will mich bei dir dafür entschuldigen, wie ich dich behandelt habe." Delilah senkte den Blick auf ihre zitternden Finger, welche die Bettdecke fest umklammert hielten und fast zu zerreißen drohten. Es tat wirklich entsetzlich weh, diese schrecklichen Stunden noch einmal vor ihrem inneren Auge zu erleben. Wie sie mit diesem Miststück gekämpft und danach mit James gestritten hatte. Diese alles verschlingende Angst über die ungewisse Zukunft ihres Kindes…

"Ich… Ich hätte dir schon sehr viel früher von der Schwangerschaft erzählen müssen. Es tut mir so wahnsinnig leid, wie du am Ende davon erfahren hast…"

"Warum?"

"Was?" Delilah sah überrascht hoch. Immerhin hatte sie nicht damit gerechnet, dass James überhaupt etwas sagen würde. Inzwischen hatte er sich sogar halb zu ihr herumgedreht, wich ihrem Blick jedoch vollkommen aus.

"Warum hast du mir nicht schon eher etwas von der Schwangerschaft gesagt? Und warum hast du es D erzählt und mir verschwiegen?" Der Ausdruck seiner Augen wurde mit jedem Wort, das er in dieser tonlosen Art und Weise sagte, dunkler und wilder.

"Du… Du warst oft nicht da und ich wollte es dir auch nicht einfach so bei der Arbeit hinwerfen-"

Ein leises aber deutlich vernehmbares Knacken zog ihre Aufmerksamkeit auf James' geballte Faust, keine Sekunde später lag der stechende Geruch von Wut in der Luft.

Delilah verstummte auf der Stelle.

"Dafür hat Dean es mir ins Gesicht geschrien. Die Alternative dazu wäre mir bei weitem lieber gewesen."

"I-Ich weiß…" Sie flüsterte es nur und fühlte sich dabei noch elender als ohnehin schon. Denn es gab nun einmal keine Worte dafür, wie sehr ihr das alles leid tat. Zumindest keine, die James im Augenblick irgendwie weitergeholfen hätten.

"Wenn du das wusstest, wieso hast du es mir nicht einfach früher erzählt? Vor der Zeit mit Nadine. Bevor du was mit meinem Bruder angefangen hast. Wieso zum Teufel noch mal, hast du es mir nicht einfach zu dem Zeitpunkt gesagt, als ich dich gefragt habe, was dich so bekümmert?" Jetzt wurde er laut und zum ersten Mal konnte sie wieder so etwas wie ein Gefühl in seiner Stimme erkennen, zudem hatte er sich nun endgültig zu ihr herumgedreht und schaute sie direkt mit lodernden Augen an.

Es war verdammt schwer, nicht wegzusehen oder sich von seinen Gefühlen nicht mitreißen zu lassen. Denn auch in ihr gab es genug Wut, die sie ihm hätte entgegen schleudern können, doch stattdessen gestand sie ihm eine einfache aber schwer aussprechbare Wahrheit: "Ich hatte Angst, okay? Ich hatte Angst, dass ihr mir dann nicht mehr helfen würdet. Dass ihr mich einfach vor die Tür setzt und mit dem Baby allein lassen würdet! Ich hätte einfach nicht gewusst, was ich dann hätte tun sollen und ich wüsste es auch jetzt nicht."

"Du hättest uns einfach vertrauen können. Immerhin haben wir dir schon einmal das Leben gerettet!"

Aus seinem Mund klang es so einfach, doch das war es ganz und gar nicht für Delilah, weshalb sie nur den Kopf schüttelte. "Nein, James. Das kann ich nicht. Denn jede Person auf der Welt der ich bisher vertraut habe, hat mich früher oder später verlassen. Ich kann nicht vertrauen, verstehst du? Ich kann es einfach nicht!"

Langsam, wirklich nur sehr langsam verflüchtigten sich der Geruch von Wut und die Anspannung aus der Luft, doch der Nachgeschmack war äußerst bitter.

James drehte sich wieder herum und öffnete die Tür, hielt jedoch noch einmal inne: "Ja, Delilah. Inzwischen versteh ich dich nur allzu gut."

Leise schloss er die Tür hinter sich und ließ sie mit seinen Worten alleine. Sie hatte nicht geahnt, wie tief sie ihn verletzt hatte.

29. Kapitel

Nach dem Frühstück – das bestimmt köstlich gewesen war, von Delilah aber kaum gewürdigt wurde – ging sie ins Bad, um sich kurz zu duschen und in einen bequemen Pyjama für den Tag zu schlüpfen. James' Worte gingen ihr dabei die ganze Zeit nicht aus dem Kopf, obwohl sie sich vor gar nicht allzu langer Zeit vorgenommen hatte, nicht mehr über ihn nachzudenken, sondern sich voll und ganz auf das Baby und Dean zu konzentrieren. Doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Selbst während sie sich die Zähne putzte, konnte sie nur daran denken, in welcher emotionaler Verfassung er sein musste, wenn man es ihm so deutlich vom Gesicht ablesen konnte.

Sie musste sich am Ende sogar eingestehen, dass es ihr wehtat, ihn so zu sehen. Aber was, außer einer ernsthaft gemeinten Entschuldigung, konnte sie sonst noch tun? Im Augenblick konnten sie nicht einmal miteinander reden, ohne dass es wieder in einem Streit endete. Sie wusste wirklich nicht, wie sie die Situation entschärfen konnte, aber sie würde es auf alle Fälle weiter versuchen.

Das Tablett war weg, als Delilah aus dem Badezimmer kam. Dafür stand ein Krug mit Limonade und eine Schüssel voll Obst auf dem Nachttisch.

Sie hatte nicht einmal gehört, wie jemand das Zimmer betreten hatte und sofort musste sie sich fragen, ob James doch noch einmal zurück gekommen war. Aber wenn, dann war er wohl auch weiterhin nicht gewillt, mit ihr zu reden.

Nachdenklich ging Delilah zum Fenster hinüber und öffnete es weit, um frische Luft herein zu lassen und selbst einmal tief durchzuatmen.

Von hier aus konnte sie die Straße sehen, die zu der kleinen Ranch führte. Dahinter lagen weite Grasfelder und dahinter vereinten sich spärlich gesäte Bäume zu einem lichten Wäldchen, während sich der Boden zu Hügeln und schließlich zu kleinen Bergen erhob. Es war unglaublich friedlich dort draußen, obwohl sie ganz leise Musik aus der Werkstatt hören konnte, die auf der anderen Seite des Hauses lag.

Auch die Tür zum Flur öffnete sie weit, da sie zwar die nächsten Tage in diesem Zimmer und vor allem im Bett verbringen musste, aber sich nicht eingesperrt fühlen wollte.

Auf dem Weg zurück ins Bett fiel Delilahs Blick auf die kleine Reisetasche, die sie in der Klinik bei sich gehabt hatte. Die Kleider waren schon in den Wäschekorb gewandert, wofür Dean wohl verantwortlich gewesen sein dürfte. Aber es waren nicht nur ihre schmutzigen Sachen, die sie dort hinein getan hatte.

Aus einem der Seitenfächer zog sie ein kleines Bild hervor, mit dem sie sich ins Bett setzte, um es eingehender betrachten zu können. Dr. Young hatte es ihr ausgedruckt. Es war das Ultraschallbild ihres ungeborenen Kindes.

Während Delilah die proportional winzigen Hände und Füße zum Kopf eingehend studierte, legte sie ihre Hand auf ihren Bauch und glaubte bereits eine kleine Erhebung zu spüren. Es könnte natürlich auch an dem vielen Essen liegen, das sie nur dem Baby zu liebe zu sich genommen hatte, obwohl ihr gar nicht danach gewesen war. Aber sie stellte es sich inzwischen gerne vor, dass dort drin ihr kleines Kind wuchs und sie auf diese Weise zumindest in Momenten des Zweifels spüren konnte, dass es noch dort war. Bis sie es treten spüren konnte, würden noch einige Wochen vergehen müssen, aber sie freute sich schon darauf, ein deutliches Zeichen ihres gesunden Babys zu empfangen.

Schließlich zog sie die oberste Lade eines der beiden Nachtkästchen auf und holte ein anderes, sehr viel abgegriffeneres Bild hervor, um es sich wie schon so oft, anzusehen.

Sofort wurde ihr das Herz schwer, als sie die beiden Brüder so fröhlich sah, wie sie heute dank ihrer Einmischung nicht mehr waren.

Inzwischen glaubte sie sogar, die beiden auf dem Foto auseinanderhalten zu können. Wieso sie sich da so sicher war, wusste sie nicht. Delilah könnte es nicht einmal näher definieren. Da war nur dieses Bauchgefühl – so eine Art Intuition und doch war das im Augenblick völlig bedeutungslos.

Nach einer Weile legte sie beide Fotos zur Seite und kuschelte sich wieder unter die Decke, während sie den wolkenlosen Himmel durch das Fenster betrachtete. Sie war immer noch erschöpft und müde und hatte zudem auch keine besondere Lust irgendetwas zu tun, also würde sie noch etwas vor sich hin dösen. Momentan hatte sie ohnehin nicht viele andere Möglichkeiten.
 

Zwischendurch konnte sie Geräusche aus der Küche hören. Das Klappern von Geschirr; wie etwas in der Pfanne brutzelte, bevor man einen Deckel darauf tat. Ein Messer das gekonnt Gemüse hakte; laufendes Wasser in der Spüle. Nach einer Weile wurden die Geräusche von einem köstlichen Duft nach gebratenen Zwiebeln und Tomatensoße begleitet, doch Delilah wachte erst so richtig wieder auf, als sich neben ihr das Bett unter einem fremden Gewicht senkte. Es war Dean.

"Na, wie geht’s dir? Hunger?" Er hielt ihr eine große Schüssel voll Nudeln mit Soße entgegen. Es sah köstlich aus.

"Kaum noch Schmerzen und keine Krämpfe mehr. Nur etwas müde.", klärte sie ihn über den derzeitigen Stand der Dinge auf. Delilah gähnte hinter vorgehaltener Hand und setzte sich so auf, dass sie sich mit dem Rücken am hölzernen Kopfteil des Bettes abstützen konnte. Erst dann nahm sie Dean ihre Schüssel ab, in der auch bereits eine Gabel steckte.

"Danke und auch dafür danke, dass ich nicht alleine essen muss." Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, gerade weil ihr das tatsächlich viel bedeutete. Aber ihr war immer noch nicht so recht nach Fröhlichkeit zu Mute.

"Versteht sich doch von selbst. Nicht dass du uns hier oben noch vereinsamst." Dean nahm einen riesigen Bissen voll Nudeln in den Mund, mit dem er normalerweise eine Weile beschäftigt gewesen wäre, aber inzwischen kannte sie ihn nur zu gut. Er schluckte mehr, als das er kaute. Wenigstens mit geschlossenem Mund. "Wir haben uns auch schon überlegt, ob wir dir für die Zeit, in der du im Bett bleiben musst, den Fernseher aus dem Wohnzimmer heraufholen sollen. Falls dir das Fernsehprogramm nicht zusagt, wird dir J sicher ein paar seiner DVDs zur Verfügung stellen. Davon hat er ja genug. Allerdings steht er hauptsächlich auf Horrorfilme. Ich weiß nicht, ob das ein Problem für dich wäre."

Delilah blies vorsichtig darauf, ehe sie ihren ersten Bissen zu sich nahm, um sich Deans Worte in Ruhe durch den Kopf gehen lassen zu können. Aber ihr war schon vorher klar, was sie antworten würde. "Nein, danke. Die Mühe müsst ihr euch nicht machen. Ich halte nicht viel von Fernsehen. Man traut es mir vielleicht nicht zu, aber ich lese lieber Bücher."

Daraufhin begann Dean merkwürdig schelmisch zu grinsen. "Du meinst dieses Buch mit der Zeitreisenden und dem Highlander, der gebaut ist wie ein Bodybuilder auf Steroide und bestückt wie ein Hengst? Kein Wunder, dass wir Männer den Erwartungen der Frauen nicht gerecht werden können, wenn ihr euch so etwas reinzieht."

Das brachte sie doch tatsächlich einmal auf ganz andere Gedanken.

"Du hast das Buch gelesen?", wollte Delilah fast ungläubig wissen. Schließlich war ihr Lieblingsroman der reinste Kitsch, auch wenn sie die Handlung selbst verteidigen würde. Die war wirklich spannend geschrieben.

"Himmel nein, das hätte ich niemals durchgehalten, ohne Komplexe zu kriegen." Dean winkte noch breiter grinsend ab. "Aber es war sehr hilfreich, dass du die Sexszenen mit Eselsohren markiert hast. Hat das irgendeine größere Bedeutung?"

"Ungefähr eine genauso große Bedeutung wie bei euch Männern die zusammengeklebten Seiten eines Pornohäftchens." Delilah aß ungerührt weiter, obwohl sie sich das Grinsen kaum noch verkneifen konnte, erst recht nicht, als sie Deans Gesichtsausdruck sah, nachdem ihre Worte bei ihm angekommen waren.

"Eine wirklich geile Vorstellung.", gab er durchaus beeindruckt zu und schob sich noch einen weiteren großen Bissen in den Mund, während das Kino in seinem Kopf wohl gerade ein paar nicht jugendfreie Streifen ablaufen ließ. Erst als er hinuntergeschluckt hatte, sah er sie wieder an, mit einem ernsthaft fragenden Ausdruck im Gesicht, der wirklich komisch aussah. "Aber so ganz ohne Bilder… Ist das nicht irgendwie öde?"

Delilah konnte nicht mehr anders. Sie begann zu lachen und boxte ihm sanft gegen den Oberarm.

"Was denn?" Er stellte sich auch noch ganz unschuldig.

Delilah konnte nur noch grinsend den Kopf schütteln und weiteressen.

"In den anderen Büchern sind leider auch keine Bilder. Aber vielleicht könntest du ja die gewissen Szenen wieder mit Eselsohren versehen, während du sie liest. Ich würde gerne einmal darauf zurückkommen, wenn es dir wieder besser geht."

"Andere Bücher?" Delilah hatte nur diesen einen total abgegriffenen Roman, den sie schon ungefähr hundertmal gelesen hatte.

"Du hast sie also noch nicht gesehen?" Dean stellte seine leere Schüssel weg und zog die unterste Schublade des Nachtkästchens auf, in dem sie auch die Bilder aufbewahrte. Er holte vier Bücher hervor, dessen Cover noch wie neu glänzten und dessen Buchrücken auch noch keine einzige Spur von Abnutzung aufwiesen. Sie waren von der gleichen Autorin geschrieben wie ihr Lieblingsbuch.

Rasch stellte Delilah ihre Schüssel weg und griff nach den Büchern. Es waren die Folgebände zu ihrem eigenen Band, was ihr Herz höherschlagen ließ, selbst wenn jedes Buch für sich allein abgeschlossen war. Ihre Freude war riesig.

"Aber woher…?" Sie sah Dean fragend an und konnte es immer noch nicht ganz fassen.

Der zuckte nur mit den Schultern. "Ich vermute, dass J sie bestellt hat. Zumindest fand ich beim Ersatzteilebestellen im Verlauf unseres Computers eine Website, wo man Bücher bestellen kann und als ich dir die Sachen für die Klinik geholt habe, waren sie schon hier. "

James also…

Delilahs Finger strichen nachdenklich über die glänzende Überschrift des Buches, das ganz obenauf lag und wanderten dann zu ihrem Bauch weiter.

"Kann ich dich etwas fragen, Dean?", begann sie vorsichtig und gedämpft. Sie wusste nicht, ob es eine gute Idee war, die Frage zu stellen, die ihr inzwischen schon mehrmals im Kopf herumgeschwirrt war, aber sie ließ ihr auch keine Ruhe.

"Klar. Worum geht’s?"

Sie sah nicht hoch, um nicht sofort seine Reaktion vom Gesicht ablesen zu können. Seine Antwort könnte ihr vielleicht nicht gefallen, aber das Risiko musste sie eingehen.

"Glaubst du, dass … das Baby eine Bedeutung für James hat? Ich meine, ganz unabhängig davon was zwischen ihm und mir vorgefallen ist. Denkst du, er wird sich ebenfalls darum kümmern wollen?"

Dean reagierte nicht, weshalb sie nun doch einen Blick riskierte. Er schien sehr nachdenklich zu sein. Beinahe glaubte sie schon, er würde ihr gar nicht mehr antworten, bis er nach einer halben Ewigkeit einmal schwach nickte.

"Young meinte, dass man vermutlich nie eine eindeutige Vaterschaft nachweisen können wird, da Js und mein Erbgut völlig identisch sind."

Er hatte Young also auch danach gefragt. Das überraschte sie nicht.

"Und selbst wenn es irgendwann möglich ist, wird es dann nichts mehr an den Dingen ändern." Er sah sie an und seine Augen schienen ihr etwas vermitteln zu wollen, das seine Worte nur unzureichend ausdrücken konnten, auch wenn er es versuchte. "Das Baby ist mir nicht nur deshalb wichtig, weil du die Mutter bist, sondern auch weil es ein Teil von mir ist. Von meinem Blut, selbst wenn es in Wahrheit das von J ist. Ich kann's nicht richtig erklären. Nenn' es Instinkt wenn du willst. So eine Art Vaterinstinkt und den hat J ganz bestimmt auch. Ich würde ihn nicht wirklich kennen, wenn es anders wäre."

Doch - sie verstand, was er ihr damit sagen wollte. Zumindest glaubte sie das. Allerdings waren die Folgen dadurch bestimmt weitreichender, als sie sich im Augenblick vorstellen konnte und doch würde sie daran denken müssen. Nicht nur wegen James, sondern es ging auch um das Wohlergehen ihres Kindes.

"Du wirst ihm das Recht auf seinen Teil der Vaterschaft nicht streitig machen, stimmt's?" Es war nicht wirklich eine Frage. Delilah glaubte die Antwort darauf bereits zu kennen.

"Nein. Nicht, solange er mir meinen Teil nicht streitig macht und ich hoffe wirklich, dass er das niemals tun wird, sonst…" Er sprach nicht weiter. Das musste er auch nicht. Delilah hatte auch so verstanden, dass es das Ende ihrer Bruderschaft bedeuten könnte, wenn einer der beiden ihr Baby für sich alleine beanspruchen würde und das wäre der Untergang für beide. Sie durfte das niemals zulassen.

Aber noch war es nicht so weit und um sie beide vorerst wieder auf schönere Gedanken zu bringen, holte sie das Ultraschallfoto hervor, das Dean noch nicht gesehen hatte und zeigte ihm zum ersten Mal ihr gemeinsames Baby. Zum Glück funktionierte ihr Ablenkungsversuch, aber sie würde seine Worte stets im Hinterkopf behalten müssen. Das alles war noch längst nicht ausgestanden.
 

***
 

Am nächsten Morgen hatte Delilah gehofft, noch einmal mit James reden zu können, doch es war Dean der ihr das Frühstück brachte und auch zusammen mit ihr einnahm. Sie wollte nicht nach dem Grund dafür fragen, weshalb sie das Thema lieber unangetastet ließ, obwohl es nur zu offensichtlich war, dass nicht er die Blaubeerpfannkuchen gemacht hatte. Denn er war in der Küche ungefähr genauso begabt wie sie selbst. Außerdem wollte sie Dean nicht damit belasten, dass sie sich so viele Gedanken um seinen Bruder machte. Das tat er bestimmt schon selbst oft genug.

Also sprachen sie über andere Dinge, während Delilah das Thema Baby immer etwas zu umschiffen versuchte.

Es klang vielleicht seltsam, aber sie hatte einfach Angst, umso mehr sie sich mit der Zukunft des kleinen Wesens auseinandersetzte, umso mehr forderte sie das Schicksal heraus, das ihr ganz bestimmt wieder einmal gerne einen Strich durch die Rechnung machen würde, wie es das schon oft getan hatte. Das erklärte sie auch Dean, der es sogar verstand und das Thema nur ab und an mal ansprach, aber mehr auf die Gegenwart bezogen. Wie sie sich zum Beispiel fühlte und ob sie schon was spüren konnte. Nichts, was ihr irgendwie unangenehm gewesen wäre. Was das anging, war er wirklich sehr verständnisvoll und er versuchte auch wirklich, ihr die Bettruhe so angenehm wie möglich zu gestalten. Er konnte zwar nicht immer da sein, da er auch noch andere Dinge erledigen musste, aber dennoch versuchte er jede freie Minute mit ihr zu verbringen und ja, es tat gut, wie er sie auch immer wieder zum Lachen brachte. Das war für sie vielleicht sogar die beste Medizin.

Dennoch genoss Delilah auch die freie Zeit alleine, in der sie sich in aller Ruhe ihrer neuen Bettlektüre widmen konnte.

Für eine Weile in eine vollkommen andere Welt abtauchen zu können, war wirklich schön und sie hätte James so gerne dafür gedankt, wenn er sich auch nur einmal hätte blicken lassen. Doch trotz der offenen Zimmertür sah sie ihn auch nie vorbeischleichen.

Was ihr an der ganzen Sache noch zusätzlich zu schaffen machte, war der Umstand, dass sie sich nachts seiner Anwesenheit im Nebenzimmer nur allzu deutlich bewusst war. Genau dann, wenn sie ihn erst recht nicht erreichen konnte, da Dean mit ihr im Arm tief und fest schlief. Manchmal brachte sie das fast zur Verzweiflung und dann musste sie sich wieder ins Gedächtnis rufen, dass dieser Zustand nur vorrübergehend war und sie schon bald wieder das Zimmer verlassen durfte. Dann konnte James ihr nicht mehr so leicht aus dem Weg gehen und er würde endlich mit ihr reden müssen.
 

Der Tag der Erlösung kam, als sie gerade mitten in Band drei steckte und gar nicht auf das Gespräch achtete, das sich zuerst im Eingangsbereich und dann auf der Treppe ereignete. Erst als es an ihre geöffnete Tür klopfte und Delilah den smarten Vampirdoktor im Türrahmen stehen sah, wusste sie, dass das Warten endlich ein Ende hatte.

"Dr. Young!" Sie wäre beinahe aus dem Bett gesprungen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig daran, in ihrem Buch ein Eselsohr für Dean zu machen, ehe sie ihr Lesezeichen hineinlegte und es dann zur Seite legte.

Deans Grinsen nach zu urteilen, der nach Young den Raum betrat, hatte er das mit dem Eselsohr genau mitbekommen, doch das war jetzt nicht so wichtig wie der Besuch des Arztes.

"Wie fühlen Sie sich?" Der Vampir stellte einen großen Koffer neben dem Bett auf den Boden, um sie erst einmal anständig zu begrüßen.

"Richtig gut!" Delilah strahlte ihn nahezu an. Denn es stimmte wirklich. Wären die Bücher nicht gewesen, es hätte sie kaum noch etwas im Bett halten können.

"Das freut mich zu hören." Er setzte sich an den Rand des Bettes, während Dean es sich auf ihrer anderen Seite gemütlich machte. Dieses Mal wollte er bei der Untersuchung dabei sein. Das hatte er schon im Vorfeld deutlich klar gemacht. Vermutlich irgend so ein Werwolf-Männchen-Ding, von dem sie nichts verstand, nachdem er so hartnäckig darauf beharrt hatte.

"Wie sieht es mit den Blutungen aus?" Dr. Young hob den schweren Koffer neben sich aufs Bett, öffnete ihn und holte erst einmal ein Stethoskop hervor, um ihren Herzschlag und ihre Atemgeräusche zu kontrollieren.

"Seit gestern habe ich keine Blutungen mehr festgestellt und davor war es in letzter Zeit eher eine Schmierblutung." Delilah warf einen raschen Blick zu Dean, wobei sie wie gewünscht mehrmals tief ein und ausatmete, während Young sie abhörte. Dean hatte immerhin unbedingt dabei sein wollen, jetzt musste er sich eben auch die schmutzigen Details anhören. Allerdings verzog er nicht die geringste Miene, sondern fixierte konzentriert jede von Youngs Bewegungen.

"Das ist ein gutes Zeichen. Ich würde dennoch gerne zur Sicherheit eine genauere Untersuchung vornehmen, wenn Sie damit einverstanden sind." Youngs Blick kreuzte den von Dean, weshalb Delilah irgendwie den Eindruck gewann, dass er nicht wirklich sie um die Erlaubnis gebeten hatte, sondern den Mann an ihrer Seite, dennoch antwortete sie an seiner Stelle.

"Natürlich. Entschuldigen Sie mich bitte kurz." Sie schlüpfte aus dem Bett und ging ins Bad, um sich die Pyjamahose auszuziehen und sich stattdessen ein großes Badetuch um die Hüfte zu wickeln. Als sie fertig war, hatte Young bereits die Bettdecke zur Seite geschlagen und die Kissen so arrangiert, dass sie es bequem haben würde.

Bevor Delilah sich jedoch hinlegte, ging sie zu ihrer Tür, um diese zu schließen. Für einen Moment war ihr, als hätte sie James in sein Zimmer huschen sehen, aber sie war sich nicht vollkommen sicher. Vermutlich hatte sie sich einfach geirrt.

Außerdem musste sie sich im Augenblick auf etwas anders konzentrieren, denn Dean schien ungewöhnlich angespannt und still zu sein, während Young sich sterile Handschuhe überzog und ihr dabei half, sich hinzulegen. Diskret breitete er das Badetuch so über sie aus, dass sie sich nicht zur Gänze entblößt vorkam und auch, um Dean den Blick auf die kommende Untersuchung zu verwehren.

"Ich werde es so kurz wie möglich halten." Dieses Mal sprach Young ihn tatsächlich direkt an.

Fragend blickte sie zu Dean hoch und konnte gerade noch erkennen, wie sich seine Kiefermuskeln anspannten, während sich seine ganze Haltung immer weiter versteifte und seine Augen auf die Stelle hinter dem Badetuch fixiert waren, an der Young gerade seiner Arbeit nachging.

Delilah verzog ungewollt das Gesicht und gab ein leises Zischen von sich, doch bevor sie sich wieder entspannen konnte, hatte sich Deans Gewicht bereits eine Spur weit nach vorne verlagert, woraufhin sie instinktiv seine Hand packte und sie ganz fest hielt.

"Dean.", sprach sie sanft. "Dean, sie mich an." Delilah berührte sein Gesicht und erlangte so endlich seine Aufmerksamkeit. Seine Pupillen waren ungewöhnlich geweitet, während seine Nasenflügel bebten. Ganz klar hatte sie es hier mit seinem Werwolf zu tun. Sie hätte nicht gedacht, dass ihm das so viel ausmachte, schließlich war Young in seiner Funktion als Arzt hier und nicht um etwas anderes zu tun. Aber das war dem Tier offenbar nicht ganz klar.

Ihre Wölfin jedoch konnte es voll und ganz nachempfinden, weshalb sie Dean auch beruhigend streichelte, ihn näher zu sich heran zog, um ihm einen zärtlichen Kuss zu geben. "Es ist alles gut, Dean. Alles in Ordnung. Er will nur nachsehen, ob unserem Baby auch wirklich nichts fehlt, okay?"

Deans Blick zuckte wieder zu Young hinüber, bis sie ihn mit sanfter Gewalt dazu zwang, sie wieder anzusehen. "Okay?"

Kurz zögerte er noch, ehe er angestrengt nickte. "Okay."

Dieses Mal blieb seine Aufmerksamkeit auf sie geheftet, bis Delilah es endlich wagen konnte, Young mit einem zustimmenden Nicken dazu aufzufordern, weiter zu machen.

Es war nicht einfach, entspannt zu bleiben, während sie die Behandlung über sich ergehen lassen musste. Doch Dean zu liebe, wollte sie ihm nicht noch einmal Grund zur Aufregung geben, also versuchte sie dabei keine Miene zu verziehen.

"Haben Sie irgendwo Schmerzen?" Young tastete sie vorsichtig aber gründlich ab.

Delilah schüttelte den Kopf. "Nein, es ist nur … unangenehm." Sie atmete bewusst tief ein und aus. Daran würde sie sich wohl nie gewöhnen können.

"Gut." Er drückte noch etwas weiter herum, während seine Hand auf ihrem Bauch sanft das Gleiche tat, ehe es auch schon vorbei war.

"Das war's vorerst." Young streifte sich die Handschuhe ab, ließ sie die Beine wieder ausgestreckt hinlegen und zog ihr die Decke bis über die Hüften."Soweit sieht alles sehr gut aus. Wenn der abschließende Ultraschall das gleiche Ergebnis zeigt, dürfen Sie ab morgen das Bett wieder verlassen."

"Das klingt super!" Delilah begann wieder zu strahlen, während sie Dean beruhigend den Nacken kraulte, der zwar immer noch recht wortkarg war, aber sich wieder merklich entspannt hatte. Sie konnte es ihm nachempfinden, immerhin hätte es ihr auch nicht gefallen, wenn eine fremde Frau an seinem Schritt herum gefingert hätte. Aber jetzt hatte er es ja überstanden und auf den Ultraschall hatte er sich schon gefreut.

Wieder bekam sie die schmierige Pampe auf den nackten Bauch gespritzt, der sich inzwischen doch schon relativ deutlich erkennbar hervor hob und ihr ganzer Stolz war. Dean zog sie zwar immer wieder damit auf, dass das nur ein Speckröllchen sei, aber so oft wie er besagtes Speckröllchen im Schlaf streichelte, konnte sie ihm deswegen gar nicht böse sein.

"Das sieht wirklich sehr gut aus.", meinte Young konzentriert, während er mit seinem Werkzeug über ihren Bauch glitt und den kleinen tragbaren Monitor genau betrachtete.

Dean blinzelte noch nicht einmal, sondern starrte nur gebannt auf das Bild.

Delilah hatte sich entspannt zurückgelegt und sah einfach nur glücklich ihrem kleinen Baby beim Strampeln zu. Sie konnte es immer noch nicht spüren, aber im Augenblick genügte ihr der Anblick, um sie voll und ganz zu entschädigen. Außerdem hätte sie nicht gedacht, wie glücklich es sie machte, Dean so fasziniert zu sehen. Eigentlich kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie einmal Angst gehabt hatte, er würde weder sie noch das Baby bei sich aufnehmen wollen. Doch im Augenblick war diese Erinnerung weit von ihr entfernt.

"Der Bluterguss hat sich vollständig aufgelöst und auch die Plazenta sieht gut aus. Wenn Sie es die nächsten Tage noch etwas ruhiger angehen lassen, dürfte einer normalverlaufenden Schwangerschaft eigentlich nichts im Wege stehen.", verkündete Young abschließend, ehe er zusammenpackte und ihr die Paste vom Bauch wischte. Es war vorbei und endlich konnte sie das Bett verlassen.

"Vielen Dank." Delilah ergriff seine Hand und drückte sie herzlich. "Danke, dass sie extra vorbeigekommen sind."

Young schenkte ihr ein warmes Lächeln. "Selbstverständlich. Ich bin immer wieder einmal in der Gegend von Great Falls, also wenn es Ihnen lieber ist, hier die Kontrolltermine abzuhalten, dann geben Sie mir einfach Bescheid. Ansonsten wissen Sie ja, wo sie mich erreichen können. " Er schüttelte auch Dean die Hand. "Und passen Sie gut auf die werdende Mutter auf."

Dean schlang seinen Arm um Delilahs Rücken und hielt sie für einen Augenblick beschützend und besitzergreifend zugleich fest. "Das werde ich."

Und dieses Mal hegte sie keinerlei Zweifel mehr an der Ernsthaftigkeit seiner Worte. Vielleicht würde Delilah eines Tages sogar bereit sein, ihm voll und ganz zu vertrauen.

30. Kapitel

Dean zog leise die Tür hinter sich ins Schloss und verschwand zunächst in sein eigenes Zimmer, ehe er sich auf den Weg ins 'Männerbad' machte.

Als Delilah ihn unten am Treppenabsatz hörte, schlug sie die Decke zur Seite und stand auf, um sich etwas zum Anziehen herauszusuchen. Heute würde sie endlich einmal etwas Richtiges anziehen können, weshalb sie sich bei der Auswahl ihrer Klamotten viel Zeit ließ und auch deshalb, damit Dean aus dem Haus war, bevor sie nach unten kam. Er wäre bestimmt nicht damit einverstanden gewesen, sie schon so früh aus den Federn zu wissen. Außerdem hatte sie vor, die Verhältnisse zwischen James und sich endlich zu klären. Noch etwas, von dem er nicht unbedingt wissen musste, da er auf seinen Bruder in letzter Zeit nicht allzu gut zu sprechen war, bzw. sprachen die beiden kaum noch miteinander. Auch das konnte sie nicht länger so stehen lassen.

Sie sollte sich schonen, das wusste Delilah, doch sie wollte sich an ihrem ersten Tag in Freiheit unter keinen Umständen davon abhalten lassen, ihrem Plan zu folgen.

Na gut, 'Plan' war etwas übertrieben formuliert. Es war eher ein Gedanke, den sie verfolgte und auch wenn sie nicht genau wusste, wie sie ein klärendes Gespräch mit James einfädeln sollte, so würde sie es doch unter allen Umständen versuchen. So wie die Dinge derzeit standen, konnte es einfach nicht mehr weitergehen.

Delilah entschied sich schließlich für eine schwarze Leggins und ein hellblaues Top, das ihr bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichte und dabei ihre Körperform betonte, darüber hinaus jedoch auch äußerst bequem war.

Rasch zog sie sich die Sachen an und schlich zur Tür, aus der sie den Kopf in den Flur hinaus streckte, um mit angehaltenem Atem zu lauschen.

Inzwischen müsste Dean fertig und schon in der Werkstatt sein, um seine tägliche Arbeit zu verrichten. Ihr zu Liebe hatte er in letzter Zeit seine Pausen so verschoben, dass er mit ihr sämtliche Mahlzeiten einnehmen konnte, obwohl das hieß, dass er eine Weile auf leeren Magen arbeiten musste. Auch ein Grund, wieso sie hier und heute eine ganz bestimmte Mission verfolgte.

Im Hausflur war es still, doch sie konnte in der Küche die Kaffeemaschine leise vor sich hin gurgeln hören und auch der Geruch wurde immer intensiver. Inzwischen hatte Delilah sich jedoch daran gewöhnt, nur noch Tees oder Fruchtsäfte zu trinken, weshalb ihr das köstliche Aroma nicht mehr allzu viel ausmachte. Wenn sie müde war, konnte sie ohnehin einfach schlafen gehen und niemand würde sie deshalb verurteilen. Schwanger zu sein hatte auch wirklich seine Vorteile.

Da die Luft rein war, schlich sie langsam die Stufen hinunter und ließ genau jene aus, von der sie inzwischen wusste, dass sie unter der kleinsten Berührung knarzte. Auf diese Weise kam sie ungesehen bis zum Eingang der Wohnküche, von wo aus sie James ungestört beobachten konnte.

Er schien tief in Gedanken versunken zu sein, während er sich einen Becher Kaffee einschenkte, etwas Milch dazu gab und den Zucker mit gemächlichen Kreisen unterrührte. Den Kaffee schien er dringend nötig zu haben, wenn man nach den tiefen Ringen unter seinen Augen ging. Hatte er in letzter Zeit denn gar nicht geschlafen?

Zudem war das im Augenblick überhaupt nicht seine Zeit, was vermutlich auch erklärte, weshalb er das heiße Getränk so hastig hinunter stürzte, während er den Inhalt des Kühlschranks gründlich studierte.

James war ein Langschläfer seit Delilah ihn kannte, doch damit schien es schon eine ganze Weile vorbei zu sein. Kein Wunder dass er so völlig erledigt aussah. Was für sie die Sache jedoch noch schlimmer machte, war das Wissen, dass er das alles eigentlich nur für sie tat. Er stand extra früher auf, damit sie gleich nach dem Erwachen ein ausgewogenes Frühstück bekam und nicht erst lange darauf warten musste. Genau das schien er auch jetzt wieder vorzuhaben, als er Eier, Speck und Jungzwiebeln aus dem Kühlschrank nahm.

Delilah konnte unmöglich noch länger dabei zusehen, also betrat sie mit heftig klopfendem Herzen den Raum. "Wenn du willst, kann ich das für dich erledigen und du legst dich noch einmal hin?"

James ließ vor Schreck die Bratpfanne fallen, die er gerade auf den Herd stellen wollte und wirbelte zu ihr herum.

"Verdammt, hast du mich erschreckt!"

"Tut mir leid, das war nicht beabsichtigt." Sie trat so dicht an ihn heran, dass sie zum ersten Mal seit Tagen James' Witterung deutlich in sich aufnehmen konnte, was ihre Wölfin neugierig in seine Richtung schnuppern ließ und zugleich ihre Nervosität gründlich steigerte.

Da er immer noch wie angewurzelt dastand, bückte sie sich nach der Pfanne und stellte sie auf den dafür vorgesehenen Platz. Danach schob sie sich an James vorbei um zu den Schneidbrettern zu kommen. Der Messerblock war auch nicht weit entfernt.

Die Zwiebeln waren schnell gewaschen und dank ihres Lehrmeisters wusste Delilah inzwischen, wie sie sich mit dem Messer an sie heranwagen musste.

"Was tust du überhaupt hier? Solltest du nicht im Bett sein?" Sein Tonfall war lauernd, während er sich immer noch nicht vom Fleck gerührt hatte, ganz so, als befürchtete James jeden Moment ein Messer in die Brust zu bekommen. Selbst wenn es nur bildlich gemeint war.

"Seit heute darf ich wieder aufstehen und das Haus unsicher machen." Ihre Stimme war ruhig und gab nichts von der Nervosität Preis die beinahe das Messer in ihren Fingern erzittern ließ.

Vielleicht ging sie das hier ja völlig falsch an. Vielleicht sollte sie ihn einfach offen zum Reden zwingen, doch irgendetwas sagte ihr, dass er ihr dann noch weiter aus dem Weg gehen würde und das wollte sie auf keinen Fall.

Also hackte sie in aller Ruhe die Zwiebeln klein und machte sich dann daran, den Speck in kleine Würfel zu schneiden.

"Übrigens danke für die Bücher." Delilah hielt kurz inne, um James offen anzusehen. "Ich habe mich sehr darüber gefreut und bin schon fast mit dem dritten Band durch. Der ist sogar noch um einiges besser, als der den ich hatte."

James sah sie nur an, erwiderte jedoch nichts darauf. Dennoch wertete Delilah es als gutes Zeichen, dass sich seine Haltung geringfügig zu entspannen schien und er wieder seinen Kaffee in die Hände nahm, um daran zu nippen. Inzwischen bereitete sie ganz alleine das Frühstück zu, während er nur an der Theke gelehnt da stand und sie beobachtete.

Es machte ihr nichts aus. Ganz im Gegenteil, auch ihre Nervosität ließ allmählich etwas nach, je länger er hier blieb und nicht wieder die Flucht vor ihr ergriff. Außerdem musste sie sich voll und ganz auf das Zubereiten der Rühreier konzentrieren. Eine heiße Pfanne und Öl waren für sie immer noch eine Herausforderung, die sie nicht immer meisterte. An diesem Morgen hatte sie allerdings keinerlei Probleme damit.

Da es sie ziemlich danach gelüstete, raspelte sie auch noch eine Menge Käse über die heißen Eier und gab danach einen Deckel darauf, damit dieser in Ruhe zerlaufen konnte, während sie tiefgekühlten Baguettes mit Kräuterbutter in den Backofen schob, um diese knusprig braun zu backen.

Die kleine Pause nutzte sie dazu, gleich das schmutzige Geschirr wegzuräumen und Wasser für ihren Tee aufzukochen.

Gerade als sie den Teebeutel in ihre Tasse tauchte, brach James unerwartet das lange Schweigen.

"Was hat Young gestern eigentlich gesagt? Wie geht es dem…?" Er stockte, ganz so als hätte er bereits zu viel gefragt und als Delilah sich zu ihm umdrehte, konnte sie sehen, dass er offenbar mit sich rang, bis ihm ihr Blick auffiel und er wieder dicht machte.

Sie ließ sich davon nicht entmutigen, sondern schenkte ihm sogar ein kleines Lächeln, da nicht einmal er ihr die gute Laune verderben konnte, was den Zustand ihres Babys anging.

"Unserem Baby geht es gut. Es hat alles gut überstanden und wächst und gedeiht prächtig, wie man wohl nur unschwer übersehen kann." Delilah stellte sich für James extra ins Profil und streckte ihren Bauch etwas weiter heraus als nötig, damit er unter dem anliegenden Top die kleine Rundung genau sehen konnte. Hoffentlich hielt er es nicht ebenfalls für eine Speckrolle.

"Unserem Baby?" Es war beinahe nur ein Flüstern und ließ Delilah fragend hochsehen. Auch auf James' Gesicht lag ein zweifelnder Ausdruck. Allerdings einer der sie glauben ließ, dass er ihre Wortwahl nicht gänzlich nachvollziehen konnte.

Wieder schwappte eine Welle der Nervosität über sie hinweg, da sie sich der Gewichtigkeit dieses Moments mit einem Schlag deutlich bewusst wurde. Doch sie musste gelassen bleiben, um überzeugend zu sein, deshalb nahm Delilah wieder ihren Tee zur Hand und wärmte sich daran die Finger, während sie James offen und ehrlich ansah.

"Ja, unserem Baby. Deins, meins, Deans. Schließlich waren wir alle drei an der Entstehung beteiligt."

Hoffentlich war damit klargestellt, dass er genau so viel Anrecht zum Vatersein hatte wie sein Bruder, sofern er das überhaupt wollte. Aber irgendwie gab es daran für sie keinen Zweifel. Ein Gefühl sagte ihr, dass auch das ein Grund sein könnte, warum James sich seit dem Vorfall so merkwürdig benahm. Ganz sicher würde sie es aber erst wissen, wenn sie ihn auf die Probe stellte und Delilah wusste auch schon, wie sie das bewerkstelligen konnte.

"Moment, da fällt mir ein, ich habe etwas für dich, das ich dir schon die ganze Zeit geben wollte." Hastig stellte sie ihren Tee zur Seite und eilte so schnell aus der Küche, dass sie gerade noch nicht rannte. Immerhin sollte sie es ja in den nächsten Tagen noch etwas ruhiger angehen lassen.

Trotzdem stand Delilah keine zwei Minuten später wieder neben James und ergriff seine Hand, um ihm feierlich das Bild ihres gemeinsamen Kindes zu überreichen. Immerhin musste das für ihn ein besonderer Moment sein, da er es das erste Mal sah. Sofern ihm überhaupt etwas daran lag. Wie gesagt, da war sie sich nicht hundertprozentig sicher.

James' Reaktion war allerdings sehr … überraschend.

Seine angespannten Gesichtszüge wurden weicher, während seine Pupillen sich stark weiteten. Er hielt sogar den Atem an. Soweit stimmte alles mit Deans Reaktion überein. Doch je länger sie sein Gesicht studierte, umso weiter wich er von der Reaktion seines Zwillingsbruders ab. Jeden Moment schien in ihm ein Damm zu brechen, der das Versprechen von Salzwasser in sich trug. Dean hingegen hatte gelächelt und sofort das Bild zu interpretieren versucht und gerätselt, ob man schon sah, was es später werden würde.

Als Delilah das erste verräterische Glitzern in James' Augen wahrnehmen konnte, senkte sie den Blick auf das Ultraschallfoto und tat so, als würde sie es nicht bemerken.

Männer waren da eigen. Das wusste sie und sie wollte ihm nicht noch mehr zusetzen, als sie es ohnehin schon tat. Gerade weil seine Reaktion sie immer noch mehr als überraschte.

"Schau, das ist der Kopf und da die kleinen Hände und Füße.", begann sie leise das Bild zu kommentieren, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu fassen, während sie selbst gerade dabei war, ihre eigene Fassung zu verlieren. Immerhin - sein Atem strich stockend über ihre Haarspitzen, während seine Hand ein sanftes Zittern auf die ihre übertrug, die ihn immer noch berührte. Seine Reaktion war ansteckend.

"Ich weiß, es sieht noch ein bisschen wie eine große Bohne mit Gliedmaßen aus. Aber da kannst du genau die feine Wirbelsäule erkennen und…" Delilah wischte sich verstohlen über die Wange, während sie weiter zu reden versuchte, auch wenn ihre Stimme plötzlich ganz brüchig klang. "…und da konnte ich während des Ultraschalls ganz deutlich das Herz schlagen sehen. Es…" Sie spürte, wie James sich weiter zu ihr lehnte. Inzwischen hatte sich das Zittern seiner Hand auf seinen ganzen Körper ausgebreitet.

"…war einfach unglaublich.", beendete Delilah flüsternd ihren Satz und blickte auf, als er seine andere Hand hob und dicht neben ihrem Ohr innehielt, ohne sie zu berühren. Ihre Wölfin wurde plötzlich hellhörig.

Ein paar Herzschläge lang glaubte sie mehr in James' Blick zu sehen, als er ihr je gezeigt hatte, während seine Fingerspitzen leicht wie eine Feder über ihre Schläfe strichen und seine Nähe sie vollkommen einzunehmen begann, obwohl der Abstand zwischen ihnen beiden gleich geblieben war.

"Danke. Deli…", raunte er leise und entführte eine verirrte Träne von ihrer Wange, ehe er sich komplett von ihr löste und sich die eigenen Wangen verstohlen trocken wischte.

Der Moment war vorbei. Delilah war sich nicht einmal bewusst gewesen, den Atem angehalten zu haben.

James steckte das Bild behutsam in seine hintere Hosentasche, während er zum Backrohr eilte, um die halb verkohlten Baguettes zu retten.

Delilah hatte noch nicht einmal den verbrannten Geruch bemerkt, sondern immer noch den intensiven Duft von James in der Nase, der in letzter Zeit wohl sehr viel häufiger in seinem kleinen Versteck gewesen sein musste. Das Aroma von duftendem Heu überdeckte beinahe alles andere.

Die Baguettes konnten sie vergessen, weswegen James ein paar Brötchen aufbackte und die ganze Zeit daneben stehen blieb, damit nicht auch noch diese daran glauben mussten. Delilah trank derweil ihren Tee aus. Beide schwiegen sie, aber im Moment gab es auch nicht wirklich etwas zu sagen. Diese heftigen Gefühle von vorhin spürte sie noch bis in jeden Knochen und zugleich war sie beinahe erschüttert, was sie in James' Augen hatte lesen können. Das hätte sie nicht gedacht.

Er war nicht wirklich eingeschnappt, aber sehr wohl tief verletzt und er litt. Er litt sogar schrecklich. Das konnte sie gar nicht falsch verstanden haben.

Aber ihn zu fragen, was genau ihm so sehr zusetzte, wagte sie nicht. Delilah wusste nicht, ob sie mit der Antwort umgehen konnte.

"Ich wollte dir eigentlich auch noch dafür danken, dass du mir immer ein so leckeres Frühstück gemacht hast."

James rührte keinen Muskel sondern starrte einfach nur mit vor der Brust verschränkten Armen ins Backrohr. Er hatte wieder komplett dicht gemacht.

Gezwungenermaßen lehnte Delilah sich neben ihn gegen die Theke und beugte sich etwas vor, um seinen Blick einfangen zu können. Er ließ es nur zögerlich zu.

"Jetzt da ich wieder aus dem Bett darf, würde ich gerne wieder mit dir zusammen Frühstück machen. Wärst du damit einverstanden?", versuchte sie es noch einmal.

James zuckte scheinbar gelassen mit den Schultern. "Warum nicht?"

"Unter einer Bedingung."

Jetzt wurde er vorsichtig. "Die wäre?"

"Frühstück gibt’s nicht vor neun Uhr." James sollte sich endlich einmal wieder ausschlafen, denn dass er so früh aufstand, hatte nicht unweigerlich auch bedeutet, dass er früher ins Bett ging. Seine Arbeit in der Werkstatt hatte er trotzdem geleistet und er war eigentlich immer der Letzte, der die Garage an einem Arbeitstag verließ.

Immer noch skeptisch nickte er schließlich. "Einverstanden."

Mehr hatte sie sich für den Augenblick nicht erhofft. Zumindest ein kleiner Erfolg. Was bedeutete, sie konnte sich vorerst dem nächsten Tagespunkt zuwenden – Elija McKenzie. Auch keine kleine Herausforderung.

"Dein Vater trinkt seinen Kaffee immer noch schwarz und ohne Zucker?"

"Ja, warum?"

Delilah atmete einmal tief durch, ehe sie zur Kaffeekanne griff. "Früher oder Später muss ich ihm wieder unter die Augen treten. Und dafür, dass er mir geholfen hat, obwohl ich ihn gezwungenermaßen zum Großvater mache, schulde ich ihm noch meinen Dank. Ich will das gerne noch vor dem Frühstück hinter mich bringen. Aber nicht mit leeren Händen."

Das entlockte James fast ein Lächeln. "Verstehe. Dann nimm ihm am besten gleich auch noch ein paar von seinen Lieblingscookies mit." Er drückte ihr die Packung in die Hand und wünschte ihr auch noch viel Glück, was Delilah nicht gerade sehr beruhigend fand. Aber wenigstens hatte sie seine Unterstützung.

"Na dann, auf ins Gefecht." Mit klopfendem Herzen machte sie sich auf den Weg.
 

Dean werkte gerade mit einer großen Zange am Unterboden eines Autos herum, bei dem vermutlich die Spurstange neu eingestellt werden musste und da Rost kein Freund des Mechanikers war, musste er sich dabei ganz schön ins Zeug legen.

Als er sie jedoch bemerkte, ließ er verwundert die Zange sinken und wischte sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn. "Was zum-?"

"Keine Zeit." Delilah winkte mit einem angespannten Lächeln ab. "Aber du kannst mir die Daumen drücken. Ist dein Vater im Büro?"

Dean nickte und sah ihr fragend hinterher, als sie eilig weiter marschierte.

Bevor sie jedoch die Tür zum Büro öffnete, atmete sie noch einmal tief durch. Das hier war schlimmer, als sich einem fremden Wolfsrudel zu stellen und doch wusste sie, dass Elija McKenzie ihr zumindest jetzt nichts tun würde. Viel Trost schenkte ihr der Gedanke allerdings nicht.

Delilah gab sich schließlich selbst einen Ruck und schlüpfte ins Büro. Die Tür fiel hinter ihr mit einer Endgültigkeit ins Schloss, die sie erschaudern ließ.

"Guten Morgen. Ich hoffe, ich störe nicht." Ihre Stimme klang fest, aber ihre Knie wurden ganz weich, als der graumelierte Werwolf von den Papieren auf seinem Schreibtisch hoch blickte und seine eisblauen Augen sie fixierten.

Mit einem Schlag waren alle im Kopf bereits zurechtgelegten Worte verschwunden. Delilah stand mit dem Kaffee und den Cookies in der Hand da und brachte keinen Ton über ihre Lippen.

Elija McKenzie sah sie ausdruckslos und schweigend an, bis ihr der Schweiß auf der Stirn ausbrach und der Kaffee in ihrer Hand beinahe über den Rand des Bechers schwappte.

"Ist der für mich?"

Delilah zuckte zusammen und verbrannte sich an dem Kaffee, der auf ihre Hand spritzte.

"J-Ja." Sie kam eilig näher und stellte den Becher auf eine freie Fläche auf dem Schreibtisch ab. "Schwarz und ohne Milch oder Zucker." Sie legte die Cookies dazu und rieb sich anschließend die Stelle, an der der Kaffee ihre Hand getroffen hatte.

Gott, es war so lächerlich, wie sie sich anstellte. Als wäre sie wieder ein junges Mädchen, das vor ihrem strenggläubigen Adoptivvater Rede und Antwort stehen musste, weil er sie zufälligerweise beobachtet hatte, wie sie nackt im Wald herumlief.

Hätte er gesehen, dass sie sich zuvor in einen Wolf verwandelt hatte, wäre das Gespräch vermutlich ganz anders verlaufen, aber sicherlich nicht sehr viel unangenehmer.

Und nun stand sie wieder hier, ohne sich eines wirklichen Vergehens bewusst zu sein.

Der alte Werwolf sah sie immer noch ungerührt an, ohne irgendetwas zu sagen oder zu tun. Er wartete und machte es damit nicht gerade leichter.

Der Geruch von Wärme und Geborgenheit vermengte sich plötzlich mit dem Aroma des Kaffees und mit einem Mal konnte Delilah wieder tief durchatmen und mehr davon in sich aufnehmen. Die Witterung kam ihr vertraut vor und beruhigte ihre angespannten Nerven.

So überraschend es auch sein mochte, aber Elija ließ sie die angenehme Seite des Zusammenseins mit einem Alphawolf spüren.

Die Erkenntnis traf sie tief und brachte sie endgültig dazu, den nächstbesten Stuhl aufzusuchen, um sich darauf fallen zu lassen. Ihre Angst jedoch war fast gänzlich verschwunden.

"Ich wollte mich eigentlich nur bei dir dafür bedanken, dass du nach dem Zwischenfall so schnell reagiert hast.", begann Delilah, nun da ihr das Sprechen wieder leichter fiel. "Ich hätte dabei nicht nur das Baby, sondern auch mein eigenes Leben verlieren können. Ich weiß gar nicht, wie ich das je wieder gutmachen kann."

Während sie erzählte, griff Elija nach dem frischen Kaffee und nahm einen genussvollen Schluck. Nicht, dass er dabei irgendeinen entsprechenden Ausdruck im Gesicht gezeigt hätte, aber es schien ihm dennoch zu schmecken. Er nahm sich auch einen von den Cookies und aß ihn in aller Ruhe auf, während Delilah inzwischen darauf wartete, ob der alte Werwolf etwas auf ihre Worte hin sagen würde, oder sie gleich das Büro wieder verlassen konnte. Einfach so aufzustehen, wagte sie dann doch nicht.

"Ich habe meine Söhne nie gefragt, was eigentlich genau vorgefallen ist. Auch diese Nadine ist seither nicht noch einmal hier aufgekreuzt. Klär mich doch einmal auf, weshalb du einen Werwolf angegriffen hast, wenn dir James anscheinend doch so wenig bedeutet hat."

Delilahs erster Reflex war, zu widersprechen. James hatte ihr nie nichts bedeutet, aber vielleicht hatte es so auf Elija gewirkt und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann musste sie sich eingestehen, dass der alte Werwolf vielleicht gar nicht so danebenlag. Auch sie hatte sich James gegenüber ziemlich unfair verhalten.

"Dieses… Diese Frau hat James hintergangen. Sie hat ihn mit einem anderen Mann betrogen. Dean und ich haben es gesehen, als wir im Supermarkt waren."

Elija nahm sich noch einen Keks und lehnte sich dann nachdenklich in seinem breiten Bürostuhl zurück.

"Und das hättest du ihm nicht einfach mitteilen können?"

Delilah schüttelte schwach den Kopf. "Nein. Er ist mir ja die ganze Zeit schon aus dem Weg gegangen."

"Aber Dean hätte es ihm doch sagen können, oder? Die beiden sind schließlich Brüder."

Wieder schüttelte sie den Kopf, dieses Mal kaum merklich. "Nein. Ich glaube, James hätte ihm zu dem Zeitpunkt nicht geglaubt."

"Interessant." Elija biss von seinem Cookie ab und kaute gründlich. "Warum glaubst du, war das so?"

"Weil sie… Sie verstehen sich im Augenblick nicht besonders gut." Langsam begann es ihr zu dämmern, worauf der alte Werwolf mit seinen Fragen hinaus wollte. Wenn er damit erreichen wollte, dass sie sich noch schuldiger fühlte als ohnehin schon, dann war er auf dem Holzweg. Delilah fühlte sich deswegen schon mies genug.

"Und warum hast du dich dann wegen dieser Nadine eingemischt? Du hast doch Dean, warum sollte es dich kümmern, wie sich James dabei fühlt?"

"Weil ich nicht wollte, dass dieses Miststück ihn verarscht und ihm dadurch wehtut!" Delilah musste sich stark zusammenreißen, um nicht vom Sessel aufzuspringen. Elija hatte es geschafft, sie wütend zu machen.

"Und deshalb bist du gleich handgreiflich geworden? In deinem Zustand? Von dem James zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal etwas wusste?"

"Ja, verdammt!" Nun sprang sie tatsächlich auf. "Ich weiß genau, worauf du hier hinaus willst und ich kann's sogar verstehen. Aber ich fühle mich deswegen schon beschissen genug, daran musst du mich nicht erst erinnern! Ich weiß sehr wohl, dass ich alleine dafür verantwortlich bin, dass deine Söhne sich im Augenblick nicht wirklich riechen können. Aber diese Nadine ist auch keine Heilige und zu behaupten, dass James mir nichts bedeutet und ich ihn deshalb vor die Wand hätte laufen lassen sollen, ist absurd. Gerade du als sein Vater solltest das verstehen können!"

Delilah stützte sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch ab, beugte sich ein Stück weit nach vorne und fixierte den alten Werwolf ihr gegenüber mit festem Blick, während ihre Wölfin ganz dicht hinter der Oberfläche lauerte.

"James bedeutet mir sehr wohl etwas und als ich sah, wie sich dieses Miststück an ihn herangemacht hat, kaum ein paar Stunden nachdem sie es vermutlich mit diesem anderen Kerl getrieben hat, musste ich etwas tun. Zugegeben, es war nicht besonders klug, einen Werwolf anzugreifen und ja, ich weiß sehr genau, dass ich eurer Art niemals das Wasser reichen kann, aber ich fürchte mich nicht vor euch, denn auch ich trage einen Wolf in mir und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um den Bruch zwischen deinen beiden Söhnen wieder zu kitten."

Sie richtete sich mit der Anmut ihrer Wölfin wieder zu ihrer vollen Größe auf. "Denn es tut auch mir weh, sie so zu sehen."

Delilah drehte sich um und ging. Doch bevor sie die Bürotür erreichte, holten Elijas Worte sie ein. "Offenbar habe ich mich in dir geirrt. Gut so."

Als sie sich umdrehte, konnte sie für einen Moment ein zufriedenes Lächeln auf seinen vernarbten Zügen erkennen. Hastig verließ sie das Büro, denn dieser Anblick war tausendmal unheimlicher als wenn er ihr seine volle Abneigung entgegen geschleudert hätte. Seine Worte verstand sie erst recht nicht.

31. Kapitel

Zum Abendessen gab es T-Bone-Steaks, Bratkartoffeln, grünen Salat und ein Schweigen, das man für gewöhnlich nur auf Friedhöfen zu hören bekam. Trotzdem war Delilah bei weitem nicht so angespannt, wie sie es erwartet hätte. Immerhin war es als ein Fortschritt anzusehen, dass nun wieder alle an einem Tisch saßen, um das leckere Essen hinunterzuwürgen.

Es glich selbst für sie schon fast einem Wunder, dass James und sie es geschafft hatten, bis zum Abendessen ohne irgendeinen Streit durchzuhalten. Doch sie beide hatten sich wirklich Mühe gegeben, sich während des Kochens nur auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht von ihrer Tätigkeit abzuschweifen, so schwer es manchmal auch gewesen war, da immer noch so viel Unausgesprochenes zwischen ihnen stand.

Doch als zumindest diese kleine Hürde überwunden war, sah Delilah keinen Grund mehr, warum sie mit Dean alleine hätte essen sollen. Also hatte sie für sie alle aufgedeckt und auch die anderen McKenzies zu Tisch gerufen.

Hier saßen sie nun und schwiegen sich gegenseitig an. Irgendwie erinnerte das Delilah stark an das letzte Abendessen, das sie gemeinsam abgehalten hatten. Was darauf gefolgt war, ließ nicht gerade Gutes erahnen, was dieses hier anbelangte.

James und Dean schienen einen stillen Wettbewerb miteinander zu führen, wer am längsten auf seinen Teller starren konnte, denn sie hatten sich noch kein einziges Mal angesehen, obwohl sie sich wie immer gegenübersaßen. Die Spannung zwischen den beiden Brüdern konnte man beinahe mit den Händen packen.

Elija aß wie immer mit stoischer Ruhe am Kopfende des Tisches, während er ab und an seinen Blick über alle Beteiligten schweifen ließ und so unangenehm es ihr auch war, Delilah wich ihm nicht mehr aus, wenn seine Aufmerksamkeit sich für einen Moment auf sie richtete, sondern blickte entschlossen zurück.

Seit dem Gespräch von heute Morgen musste sie hinter ihren Worten stehen, auch wenn es ihr immer noch manchmal schwer fiel, unter seinem berechnenden Blick nicht den Schwanz einzuziehen. Doch wenn sie inzwischen eines über Werwölfe wusste, dann dass sie sich nicht in vielen Dingen von gewöhnlichen Wölfen unterschieden, was die Verhaltensregeln anbelangte. Stärke wurde auch bei ihnen hochangerechnet und wer kleinbeigab durfte sich nicht wundern, wenn man über seinen Kopf hinweg entschied.

Das wollte sie auf keinen Fall. Denn es war schon schwer genug, als Frau unter diesen Männern zu bestehen.

Die Grabesstille wurde mit einem Schlag unterbrochen, als James sich von seinem Stuhl erhob und über den Tisch langte, um an die Salatschüssel zu kommen, die neben Delilah stand.

Gerade wollte sie danach greifen, um sie James zu geben, als ein kaum hörbares Knurren an ihr Ohr drang, während Dean die Hand seines Bruders mit einem Blick fixierte, als überlege er sich gerade, wo genau er am besten seine Zähne hineinschlagen sollte.

Natürlich konnte das auch James nicht entgehen, der zuerst verwirrt und dann merklich gereizt innehielt und zum ersten Mal an diesem Abend seinen Bruder ansah.

"Im Ernst jetzt?"

Das Knurren wurde deutlicher.

Delilah wartete darauf, dass Elija etwas sagte, um das aufkommende Gewitter zu zerschlagen, ehe es überhaupt losbrechen konnte, doch alles was er tat, war zuerst seine beiden Söhne anzusehen und dann sie. Wieder hob sich seine zerfurchte Augenbraue, als wolle er ihr sagen, worauf sie denn noch warte.

Erst da begriff sie, dass er sich nicht einmischen würde und es an ihr lag, wieder für Ruhe zu sorgen.- Eine Freiheit, die er ihr bis vor Kurzem ganz bestimmt noch nicht eingeräumt hätte.

Delilahs Hand legte sich auf Deans Oberschenkel, um ihn zurückzuhalten, bevor er auch nur daran denken konnte, aufzuspringen, um sich mit seinem Bruder anzulegen.

Danach griff sie nach der Salatschüssel, die sie James mit einem freundlichen Lächeln in die Finger drückte.

Er nahm sie dankend an und setzte sich wieder, um sich ein paar grüne Blätter auf seinen Teller zu tun und weiter zu essen. Doch dabei ließ er Dean kein einziges Mal mehr aus den Augen.

Sein Blick sagte mehr als tausend Worte und das Versprechen von Gewalt lag in der Luft.

Warum sich Dean überhaupt so aufführte, wusste Delilah nicht, aber das wollte sie nicht unbedingt bei einer blutigen Prügelei zwischen den Brüdern herausfinden, weshalb sie den beiden einen Köder hinwarf, an dem hoffentlich keiner der beiden vorbeigehen konnte.

"Erklärt mir mal: Was ist noch einmal der Unterschied zwischen einem Zahnriemen und einer Steuerkette?"

Einen Moment lang duellierten sie sich noch mit Blicken, im nächsten sahen sie sie an, als würden sie ernsthaft an ihrem Verstand zweifeln, woraufhin Delilah unschuldig lächelte und mit den Schultern zuckte. "Was? Die Frage lässt mir schon die ganze Zeit keine Ruhe."

Jeder am Tisch wusste, dass sie log, doch nach einer kurzen Pause, konnte sie Deans Finger auf ihrer Hand spüren, die immer noch auf seinem Oberschenkel lag und wie er sie sanft festhielt. Vielleicht das erste Anzeichen dafür, dass er sich wieder halbwegs beruhigte, ehe er ihr zu liebe mit einer weitausschweifenden Erklärung begann, mit der sie auch über die restliche Zeit am Tisch hinwegkamen, ohne dass jemand dabei eine Hand verlor. Allerdings waren sich alle einig, dass der Nachtisch auch bis morgen warten konnte.
 

***
 

"Erklärst du mir, was das beim Abendessen sollte?"

Dean wollte gerade unter ihre gemeinsame Bettdecke schlüpfen, als er innehielt. Kurz streifte sie sein Blick, als wolle er prüfen, in welcher Stimmung sie war, ehe er sich dann mit einem Seufzen ins Kissen fallen ließ. Er hatte ganz bestimmt gehofft, dass sie die Sache bei Tisch einfach fallen lassen würde, doch das konnte Delilah nicht.

Dean zog noch die Decke bis zu seinen Hüften hoch, um es bequemer zu haben, machte aber keinerlei Anstalten, sich ihr zu nähern. Stattdessen starrte er an die Zimmerdecke.

Delilah störte sich nicht daran. Ganz im Gegenteil zog sie von sich aus seinen Arm von der Seite weg und legte ihn sich um die Schultern, nachdem sie dicht an seinen Körper herangerückt war und ihren Kopf auf seiner warmen Brust abgelegt hatte. Sofort zog er sie enger an sich heran, als könnte sein Körper gar nicht anders, egal was sein Kopf ihm sagte.

"Also?", hakte Delilah noch einmal nach, während ihre Hand zärtlich über seinen Bauch strich und sie tief den Duft seiner warmen Haut einsog, der ihr immer noch ein Kribbeln voller Behaglichkeit bescherte.

"Um ehrlich zu sein: Ich habe keinen blassen Schimmer." Wieder stieß er ein Seufzen aus und strich mit seinen Fingerspitzen zart ihren Oberarm auf und ab.

"Irgendwelche Vermutungen?"

"Nicht wirklich."

"Hm…" Nun war es auch an ihr zu seufzen, denn Deans Reaktion heute hatte sie mehr als beunruhigt und sie war sich absolut sicher, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein würde, daher sollten sie so schnell wie möglich den Grund dafür herausfinden, bevor noch irgendjemand verletzt wurde. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie den Streit zwischen den Brüdern eigentlich beenden, anstatt neu entfachen wollte.

"Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf ihn, oder?" Es war nur eine ihrer Mutmaßungen, obwohl sie sich das nur unschwer vorstellen konnte. Doch Deans Schweigen hatte wohl durchaus etwas zu bedeuten.

"Oder?" Sie richtete sich so weit auf, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte und seine Augen sich auf sie richteten. "Immerhin bin ich hier bei dir und ich habe nicht vor, das zu ändern."

Delilah streichelte ihm durchs Haar und wartete auf eine Antwort.

Eine Weile sah er sie einfach nur an, doch dann wandte Dean den Kopf ab.

"Du hast ihm das Bild gegeben. Das Ultraschallbild meine ich."

"Ja."

"Warum?"

"Weil ich es für richtig halte."

Sein Blick war irgendwie skeptisch, als er sich ihr wieder zuwandte. "Warum?"

Delilah musste nicht lange über ihre Antwort nachdenken, denn sie hielt es immer noch für richtig, was sie getan hatte.

"Auch er wird der Vater des Kindes sein und das nicht erst, wenn es auf der Welt ist, sondern er ist es schon jetzt. Ich will einfach nicht, dass er das Gefühl bekommt, wir würden ihn von etwas ausschließen, auf das auch er ein Anrecht hat und da ich stark bezweifle, dass du ihn bei den Untersuchungen dabei haben willst, wenn du bereits Young am liebsten an die Kehle springen würdest, halte ich es nur für angemessen, dass James wenigstens auf diese Weise das Baby sehen kann."

Delilah strich Dean noch einmal beruhigend durchs Haar und gab ihm dann einen zärtlichen Kuss auf die Lippen, ehe ihr Blick wieder ernst wurde. "Ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht, aber dein Bruder hat schon genug Sorgen, an denen er zu knabbern hat. Wir sollten es ihm nicht noch schwerer machen."

Dean sah sie an. Sah sie lange an. Und noch ein bisschen länger, bis er sich schließlich ein Stück weit aufrichtete, Delilahs Nacken berührte und seine Stirn gegen ihre Halsbeuge lehnte.

"Das mit dem Bild ist okay. Aber … ich ertrage einfach den Gedanken nicht, dass du mich eines Tages wegen ihm sitzen lassen könntest."

Seine Worte klangen so hart und doch ehrlich, dass es ihr rasendes Herzklopfen bereitete. Instinktiv schlang Delilah ihre Arme um Deans Schultern und drückte ihn noch ein bisschen enger an sich, während sie ihre Wange in sein Haar schmiegte.

"Das werde ich nicht.", hauchte sie nur leise, denn sie kannte sich selbst zu gut, um das mit absoluter Bestimmtheit sagen zu können. Delilah hatte nicht vor, Dean für einen anderen Mann zu verlassen. Niemals, nachdem er sich so um sie kümmerte und er ihr mehr Gefühle entlockte, als kein Mann vor ihm je geschafft hatte. Zumindest keiner der nicht sein Bruder war und genau deshalb – obwohl sie sich selbst dafür verachtete – konnte sie ihm nicht aus ganzem Herzen versprechen, dass es nur ihn für sie gab. Ihr Herz schlug auch für James, wenn auch auf andere, schmerzlichere Weise und genau deshalb durfte sie nicht näher darüber nachdenken.

"Ich möchte hier nicht weg, Dean." Sie küsste seine Schläfe, bevor sie seine Hand von ihrem Nacken nahm und ihr Gesicht gegen seine Handfläche drückte, während sie ihm in die Augen sah. "Nicht weg von dir. Glaubst du mir das?"

Sein Daumen strich über ihre Wange, während er gründlich ihre Gesichtszüge studierte. Im Dämmerlicht der Nacht wirkten seine Augen beinahe schwarz, jedoch alles andere als düster, auch wenn der unbeschwerte Glanz darin schon seit einer ganzen Weile verschwunden war.

Statt zu antworten, nickte er nur.

"Dann glaub mir bitte auch, dass ich im Augenblick nur diese Schwangerschaft so gut wie möglich überstehen möchte und ich mir aus tiefstem Herzen wünsche, dass bis zur Geburt alles zwischen uns Dreien geklärt ist, damit das Baby nicht direkt in diesen Konflikt hineingeboren wird."

Dean schlang seine Arme um sie und zog sie an seine Brust, um sie auf diese Weise nahe bei sich festhalten zu können. "Du hast ja recht, aber…"

"Ich weiß..." Delilah kuschelte sich eng an ihn. "Ich habe dir nicht wirklich einen guten Grund geliefert, mir zu vertrauen, was James angeht. Aber inzwischen hat sich Einiges verändert. Für mich steht jetzt das Wohlergehen unseres Kindes im Vordergrund und allein dafür möchte ich versuchen, irgendwie mit ihm auszukommen."

Irgendwie… Allein das auszusprechen tat ihr weh, wenn sie sich an die Zeit zurück erinnerte, als noch nicht dieses 'Irgendwie' zwischen ihnen gestanden hatte, das sich so sehr nach Biegen und Brechen anhörte. Aber vermutlich war der Wunsch nach einer einfachen Freundschaft schon mehr als naiv. Denn einfach würde das alles niemals sein.

Eine Weile lauschte sie Deans Herzschlag, da das alles war, das Delilah auf ihre Worte hin zu hören bekam. Inzwischen hatte er sich mit ihr zusammen wieder ins Kissen zurück sinken lassen. Doch seine Atmung verriet ihr, dass er nicht einfach so eingeschlafen war, um sich vor dem Gespräch zu drücken. Er schwieg einfach nur.

"Wünscht du dir nicht auch manchmal die Zeit zurück, in der ihr beide noch unzertrennlich gewesen wart? Ihr beide gegen den Rest der Welt?", versuchte es Delilah noch einmal.

Da sie immer noch halb auf seinem Bauch lag, konnte sie sehr deutlich spüren, wie Dean zunächst die Luft anhielt und dann lange ausatmete.

"Ja…"

Ein einfaches kleines Wort und doch schien darin so viel mehr mitzuschwingen als Dean ihr sagen wollte oder vielleicht nicht sagen konnte. Denn was genau in ihm vor ging, wusste sie nicht und so wie sie ihn inzwischen kannte, bezweifelte Delilah stark, dass Dean ihr je einen wirklichen Einblick in sein Gefühlsleben gewähren würde. Dafür war er einfach nicht der Typ.

"Dann hoffe ich, dass du dich daran erinnerst, wenn James mir das nächste Mal näher kommt.", flüsterte sie inzwischen nur noch leise. "Denn dass es sich nicht vermeiden lässt, muss dir klar sein. Schließlich wohnen wir unter einem Dach. Außerdem bringt er mir das Kochen bei. Ich kann ihm also nicht ständig aus dem Weg gehen, selbst wenn ich es wollte." Und das tat sie ganz bestimmt nicht.

"Aber du kannst mir jederzeit sagen, wenn dich was stört." Delilah richtete sich noch einmal auf ihrem Ellenbogen auf, um Dean ins Gesicht sehen zu können, der die ganze Zeit über an die Decke gestarrt hatte. "Okay?"

Als sein Blick sie traf, wurde sie wieder deutlich daran erinnert, warum sie hier bei ihm war und nirgendwo anders. Denn im Gegensatz zu den anderen Männern in ihrem vergangenen Leben, schauten hier zwei Paar Augen zu ihr hoch. Zunächst das offensichtlich menschliche und dann lagen darunter die wilden Augen eines Raubtiers.

Dean mochte sich sonst mit seinen wahren Gefühlen eher zurück halten, aber wenn sein Wolf so präsent war, wie in diesem Augenblick, blieben für gewöhnlich keine Fragen offen. Er musste ihr nicht erst nachdrücklich sagen, dass er sie wollte, begehrte und für sich beanspruchte. Der Wolf sprach seine eigene Sprache und ihre Wölfin verstand sie besser als die Frau, die noch zögerte, genauer hinzuhören.

Statt auf Deans Antwort zu warten, küsste Delilah ihn und beschloss sehr schnell, das Gespräch auf ein andermal zu vertagen, als er ihren Kuss ohne zu zögern erwiderte.

Das alles hatte noch etwas Zeit. Sogar noch gute fünf Monate. Auch wenn sich das nicht besonders lange anhörte.
 

***
 

Die Haustür stand einen Spalt breit offen, als Delilah in ihrem Lieblingspyjama lautlos die Treppe herunter schlich. Normalerweise war das kein Grund zur Beunruhigung. Um zwei Uhr morgens allerdings schon.

Mit angespannten Nerven blieb Delilah am Treppenabsatz stehen und ließ erst einmal ihre Sinne durch das schlafende Haus wandern. Sie konnte nichts Auffälliges hören außer das leise Schnarchen des alten Werwolfs, dessen Zimmer am Ende des Flurs lag. Auch ihre Nase vernahm nichts Ungewöhnliches. Keine fremden Gerüche oder sonst etwas, das sie irgendwie in Alarmbereitschaft versetzt hätte. Dennoch bewegte sie sich nur äußerst vorsichtig auf die Tür zu, um diese noch etwas weiter aufzuziehen.

Sofort fiel die Anspannung von ihr ab, als sie James auf der Verandatreppe sitzen sah.

Er war zu sehr in Gedanken versunken, als dass er sie bemerkt hätte, weshalb Delilah beschloss, ihn vorerst in Ruhe zu lassen, damit sie dem Grund nachgehen konnte, weshalb sie eigentlich zu so später Stunde wieder wach war.

In der Küche angekommen, schaltete sie nur das Licht über dem Herd an, um besser sehen zu können, während sie Milch heiß machte und dann in zwei große Becher leerte. In ihren eigenen Becher schüttete sie eine ganze Menge Kakaopulver, während sie sich bei dem anderen deutlich mäßigte, ehe sie die Dose wieder zurück in den Schrank stellte.

Aus dem Kühlschrank holte sie sich noch ein ganzes Glas mit Rollmöpsen, ehe sie das Licht wieder abdrehte und mit den beiden Bechern in der einen und dem Einmachglas in der anderen Hand die Küche verließ.

James hatte sie inzwischen sicherlich bemerkt und da er nicht zu ihr gekommen war, beschloss Delilah einfach, sich zu ihm zu setzen.

"Hey.", begrüßte sie ihn leise, woraufhin er nur kurz hoch sah und sogar etwas zur Seite rückte, um ihr mehr Platz auf den Stufen zu machen.

"Hi."

"Willst du?" Delilah hielt ihm den Becher mit dem normalen Kakao entgegen. Falls er ihn nicht mochte, wäre das auch kein Problem für sie. Dann müsste sie später eben noch einmal schnell einen Umweg in die Küche und zur Kakaodose machen. Aber verschwenden würde sie ihn garantiert nicht.

"Danke." James legte sein Handy, das er die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte, zur Seite und nahm ihr das heiße Getränk ab.

Delilah konnte nur erkennen, dass auf dem Bildschirm eine SMS geöffnet war, ehe das Display erlosch. Was darin stand, hatte sie nicht lesen können, aber es ging sie auch nichts an.

"Bist du wieder wach, oder noch immer?", versuchte sie mit gedämpfter Stimme ein Gespräch zu beginnen, ehe sie vorsichtig an ihrem Becher nippte und der Zuckerstoß ihr einen genießerischen Zug auf die Lippen zauberte. Die sich im Übrigen immer noch nicht ganz von den vielen Küssen, die sie mit Dean ausgetauscht hatte, erholt hatten. Kein Wunder. Da Sex im Moment keine Option war, hatten sie als Ausgleich einen Knutsch-Marathon eingelegt, wie ihn Delilah noch nie erlebt hatte. Aber sie hatte nichts dagegen, das irgendwann zu wiederholen.

"Noch immer. Und du?"

James' Frage brachte sie mit einem Schlag wieder ins Hier und Jetzt zurück, weshalb sie beinahe beschämt den Blick senkte. Sie sollte nicht an solche Dinge denken, während sie mit ihm zusammen heißen Kakao trank. Das war irgendwie … merkwürdig.

"Das Baby hat mich wieder aufgeweckt und nach einem heißen Kakao verlangt." Liebevoll strich sie sich über ihren Bauch, was auch James' Blick dorthin zog, ehe er wieder geradeaus starrte und einen weiteren Schluck von seinem Kakao nahm.

"Du hast ihn ja immer noch. Werden dir meine Shorts nicht langsam zu langweilig?"

Sie wusste sofort, dass er ihren Pyjama meinte und musste lächeln. "Nein, niemals. Ich steh' auf die Pfotenabdrücke."

"Wenn du meinst, aber wenn du mal Abwechslung brauchst, gib Bescheid."

Delilah sah ihn mit gehobener Augenbraue an. "Bietest du mir hier etwa gerade an, deine Unterwäsche zu tragen?"

James verschüttete daraufhin beinahe seinen Kakao, als er abzuwehren versuchte: "Was? Nein, ich-"

Sie konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen und auch James begann endlich zu schalten.

"Hey, du verarscht mich hier!"

Delilah legte betroffen ihre Hand aufs Herz, während ihre Augen und ihr Grinsen etwas völlig anderes sagten. "Nein, das würde ich nie wagen." Sie konnte nicht länger an sich halten und begann leise zu lachen.

James stimmte zwar nicht mit ein, aber er stieß sanft mit seiner Schulter gegen die ihre, während auch er sich ein winziges Grinsen nicht verkneifen konnte. "Das ist aber nicht sehr nett von dir."

"Ich habe auch nie behauptet, dass ich nett wäre."

"Stimmt."

Sie wurden wieder ernst und verfielen in Schweigen.

Delilah trank ungefähr die Hälfte ihres Kakaos aus, während sie krampfhaft darüber nachdachte, was sie zu ihm sagen sollte.

Schließlich erinnerte sie sich wieder an das Glas mit den Rollmöpsen und konzentrierte sich erst einmal darauf.

Schon als sie den Deckel abschraubte, drang ihr der säuerliche Geruch der eingelegten Fische in die Nase und ließ ihr das Wasser im Munde schmerzlich zusammenlaufen.

"Das ist widerlich." James sah sie angeekelt an.

"Findest du? Ich könnte mich an den Dingern überfressen und hätte immer noch Lust darauf." Und um ihre Aussage noch zu untermalen, fischte Delilah sich einen Rollmops heraus und biss einfach so davon ab, wobei sie natürlich trotz ihres Verlangens, darauf achtete, nicht das Holzstäbchen mitzuessen. So schlimm war es also auch noch nicht.

"Nein, ich meine die Kombination mit dem Kakao.", versuchte James seine Abneigung zu erklären.

Delilah wedelte mit dem angenagten Rollmops in der Hand und schluckte hastig hinunter. "Schwangere Frau. Da ergibt so manches keinen Sinn, aber ich kann dir sagen, dass gerade die seltsame Kombination das Verlangen ausmacht."

"Das muss ich nicht verstehen, oder?"

"Nicht wirklich."

"Hm…"

Wieder drohte sich die Stille zwischen ihnen beiden breit zu machen, doch dieses Mal hatte Delilah nicht vor, das zuzulassen.

"Ich muss mich übrigens bei dir wegen Dean entschuldigen. Die Sache beim Abendessen war nicht in Ordnung." Nicht gerade der beste Pausenfüller, aber zumindest hatte sie es endlich ausgesprochen.

Delilah hätte James allerdings genauso gut einen Besenstil in den Hintern schieben können, so sehr wie er sich von einem Moment auf den anderen bei ihren Worten verkrampfte. Aber zumindest wich er ihr nicht aus.

"Dean ist ein Idiot."

"Das sind wir doch alle manchmal und in diesem Fall kann ich ihn auch irgendwie verstehen, auch wenn ich es selbst übertrieben fand."

James schnaubte. "War ja klar, dass du ihn verteidigst."

Delilah leckte sich die Finger sauber und schloss dann wieder das Glas mit den Rollmöpsen. Das hier bedurfte ihre volle Aufmerksamkeit.

"Ich verteidige ihn nicht, ich sagte nur, dass ich ihn irgendwie verstehen kann. Das ist ein Unterschied."

James stütze sich auf seine Knie und starrte auf seine Schuhspitzen, womit er sich noch weiter von ihr abwandte. "Wenn du es sagst..."

Delilah kopierte seine Haltung, blickte allerdings in den Sternenhimmel anstatt zu Boden. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass sie schon wieder kurz davor waren, zu streiten. Seine ganze Haltung ging auf Abwehr und er war auch gereizt. Das Thema war eindeutig ein wunder Punkt bei James, weshalb Delilah ihre Stimme senkte und versuchte, sie ruhig klingen zu lassen: "Weißt du… Es ist wirklich nicht so, dass ich deinen Bruder verteidige, denn das würde bedeuten, dass er und ich auf einer anderen Seite stehen als du und das tun wir nicht. Es mag dir vielleicht so vorkommen, aber so ist es nicht."

Unvermittelt sprang James auf und entfernte sich ein paar Schritte von der Veranda. Es sah vielleicht so aus, als würde er sich nur kurz strecken und die Beine vertreten, doch die Art, wie er seinen Nacken rieb, kam ihr sehr bekannt vor. Dean tat das auch immer, wenn er ziemlich angespannt war.

Mit dem Rücken zu ihr blieb James schließlich stehen und blickte nun ebenfalls zum Sternenhimmel hinauf. Vielleicht sah er aber auch den schmalen Sichelmond an, der inzwischen wieder im Begriff war, unterzugehen. Sie wusste es nicht.

Da Delilah schon genug gesagt hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als James' Rücken zu betrachten und darauf zu warten, ob er noch etwas auf ihre Worte hin erwidern würde. Vielleicht lief er aber auch ein weiteres Mal davor davon, was die ganze Angelegenheit mit Sicherheit nicht leichter machen würde.

Der Kakao in ihrem Becher wurde langsam kalt und die Rollmöpse in ihrem Glas begannen in der lauen Abendluft bestimmt schon zu schwitzen, während Minute um Minute verging, in denen sowohl James wie auch Delilah sich keinen Millimeterweit vom Fleck bewegten. Ihre Hoffnung auf eine Besserung der Umstände oder was auch immer, schwand zusehends. Vielleicht sollte sie sich auch langsam damit abfinden, dass sie nichts tun konnte.

"Ich vermisse ihn…"

Delilah straffte sich und begann sich wieder zu konzentrieren, da sie glaubte, sich verhört zu haben. Aber James hatte es ja auch nur geflüstert.

Mit heftig klopfendem Herzen wartete sie ab, ob noch etwas kommen würde.

Tatsächlich ließ James langsam seine Arme sinken, die er bis dahin in seinem Nacken verschlungen hatte und drehte sich zu ihr um. In seinen schwarzen Augen schienen sich die Sterne widerzuspiegeln.

"Ich vermisse ihn wirklich.", bekräftigte er noch einmal das Flüstern von vorhin. "Ich vermisse den Spaß, die Blödeleien, dass der eine den Satz des anderen beendet. Ich vermisse es, mit ihm zu raufen, ihn aufzuziehen und mit ihm gemeinsam etwas auszuhecken. Die offenen Gespräche und das bequeme Schweigen. Das unerschütterliche Vertrauen zwischen uns und dass ich mich immer auf ihn verlassen konnte, egal um was es ging. Aber was ich vor allem vermisse, ist … mein Bruder."

Sein Blick bannte sie. Allerdings hätte Delilah im Augenblick ohnehin nicht gewusst, wie man atmet.

In James' schwarzen Augen spiegelten sich nicht die Sterne wider, sondern es war das schwache Licht des Mondes, das sich in der Feuchtigkeit brach, die er schließlich fortwischte, als er sich so fest übers Gesicht rieb, als wolle er sich neue Gesichtszüge verpassen. Der darauffolgende Fluch war deftig und sehr kreativ, allerdings nichts zu dem Aufstampfen seines Fußes, der Schotter und Erde ein Stück weit weg schleuderte. Die seit Tagen angestaute Wut und gewiss auch Verzweiflung brach sich auf diese Weise in ihm Bahn und doch schien es nur eine kleine Erschütterung zu sein, während das zerstörerische Erdbeben noch auf sich warten ließ. Aber es begann bereits in ihm zu toben.

Delilah konnte nicht länger tatenlos sitzen bleiben, also sprang sie auf ihre Füße und ging allen Warnungen zum Trotz direkt auf James zu.

Die Wölfin in ihrem Kopf plusterte sich auf und knurrte angespannt, wusste sie doch um die Gefahr, in die sie sich womöglich begab, aber sie wich auch nicht davor zurück und Delilah tat das ebenfalls nicht.

So sehr sich James von ihnen allen in letzter Zeit abgesondert hatte, er war immer noch ein Mitglied der Familie, einer der Väter ihres Kindes und somit ein Teil ihres verrückten kleinen Wolfsrudels. Man achtete aufeinander, selbst wenn es um den selbsternannten Einzelgänger ging, dessen Worte sie davon überzeugt hatten, dass er diese Rolle eigentlich gar nicht wollte. Woher diese plötzliche Erkenntnis kam, wusste Delilah nicht. Sie wusste nur, dass es stimmte.

"James…"

Er fuhr herum und sein aufgebrachter Wolf starrte sie hinter den menschlichen Augen hervor an.

Delilah hob besänftigend die Hände und kam Schritt für Schritt näher, während sie jede seiner Bewegungen analysierte, so gering sie auch sein mochte, denn sie würde nicht noch einmal blind das Leben ihres Kindes riskieren.

Er fixierte sie. Sein Atem überschlug sich beinahe und sein Körper bebte, als stünde er kurz vor der Verwandlung.

Da er sich sonst nicht rührte, wagte Delilah es, die letzten Schritte zu überwinden und ohne zu zögern, ihre Hände auf James' Gesicht zu legen. Sie zwang ihn dazu, ihr in die Augen zu sehen, während sie beruhigend auf ihn einredete.

Schon als sie Kontakt mit seiner Haut aufnahm, schien sich etwas in der aufgeladenen Atmosphäre zu ändern. Das Beben seines Körpers ließ etwas nach und auch sein Brustkorb schien nicht mehr jeden Augenblick unter seinen heftigen Atemstöße zu bersten.

"James, es ist gut. Alles in Ordnung. Wir kriegen das schon wieder auf die Reihe." Sie streichelte ihm durchs Haar und über die Wange, bis er mit einem schweren Seufzen die Augen schloss und sich der Wolf in ihm endgültig wieder weiter in den Hintergrund schob. Was blieb war ein schwaches Zittern von der nachlassenden Anspannung und das Gefühl, als wäre noch mehr in ihm gebrochen, als Delilah angenommen hatte.

Als der Sturm endgültig vorbei war, entzog er sich ihren Berührungen und ging zwei Schritte zurück.

"Gar nichts ist in Ordnung.", flüsterte er kaum hörbar, den Blick starr auf den Boden gerichtet. "Also versuch bitte nicht, so zu tun, als wäre es so. Denn das macht es nur noch schlimmer."

Er marschierte an ihr vorbei zurück zum Haus.

"James, warte!" Delilah wollte ihn zurück halten, doch ein kurzer Blick aus seinen Augen und sie blieb wie angewurzelt stehen.

"Wir sehen uns morgen.", war alles, was er noch zu sagen hatte, ehe er sein Handy von der Veranda fischte und im Haus verschwand.

Delilah starrte auf ihre Hände, die James berührt und ihn wieder beruhigt hatten. Die sich jetzt so leer und nutzlos anfühlten, obwohl sie ihr Gesicht darin vergrub.

Sie wusste einfach nicht mehr, was sie tun sollte.

32. Kapitel

"Geht’s dir gut?" Eine warme Hand legte sich in ihren Nacken und streichelte sie zärtlich, während der vertraute Duft von Motoröl und Wolf sie umfing.

Kurz blickte Delilah zu Dean hoch und schenkte ihm ein schwaches Lächeln, ehe sie ihren Blick wieder auf ihre Finger richtete, die eine rote Paprika in der einen und ein scharfes Messer in der anderen Hand hielten.

"Ja, warum?" Sie schnitt zuerst den dicken Stängel heraus, ehe sie die Paprika auf die Seite drehte, um sie in zwei Hälften zu teilen und die kleinen Kerne herauskratzen zu können.

"Ich weiß nicht genau. Du bist in letzter Zeit irgendwie so ruhig." Dean ersetzte die Hand in ihrem Nacken durch einen kurzen jedoch warmen Kuss und ging dann zur Spüle hinüber, um sich ein Glas Wasser einzuschenken, während Delilah in Ruhe das Gemüse zurechtschnitt.

"Und das ist etwas Schlechtes?"

"Nein, natürlich nicht. Es ist nur…" Er sprach nicht zu Ende.

Delilah konnte deutlich Deans Blick auf sich spüren, doch sie sah nicht hoch, sondern bereitete weiter das Mittagessen zu. "Ist nur was?"

"Wann hast du das letzte Mal gelacht?"

"Gerade eben habe ich dich angelächelt."

Dean stellte das kaum angerührte Glas zur Seite, trat direkt hinter sie und legte seine Hände auf ihre Schultern. "Mit dem Mund, ja. Aber nicht mit den Augen."

Was konnte sie darauf schon erwidern? Delilah schob die Gemüsereste von dem Schneidbrett auf den kleinen Haufen, den sie später auf den Kompost werfen würde und griff nach den gewaschenen Tomaten, Deans Atem dabei immer im Nacken spürend.

Gerade als sie damit beginnen wollte, auch diese klein zu schneiden, nahm Dean ihr das Messer aus der Hand und legte es zur Seite. Danach drehte er sie herum und stützte sich an der Kante der Küchentheke ab, so dass sie zwischen seinen Armen gefangen war und zu ihm aufsehen musste.

"Sag mir, was los ist. Fühlst du dich nicht gut, oder ist irgendetwas mit dem Baby?"

Seltsam. Ihr war bisher gar nicht aufgefallen, wie lange seine dunklen Wimpern eigentlich waren.

"Deli!"

"Hm?"

"Ich hab dich was gefragt."

"Alles in bester Ordnung. Kann ich jetzt wieder weiter machen?"

Dean schnaubte. "Nein. Kannst du nicht."

"Und warum nicht? Das Essen soll in einer Stunde fertig sein." Delilah drückte gegen seine harte Brust, um ihn dazu zu bewegen, sie wieder freizugeben. Vergebens. Er rührte sich keinen Millimeter.

"Es wird garantiert keiner verhungern, wenn das Essen etwas länger braucht."

"Aber ich habe mir ein Ziel gesteckt und habe vor, es auch zu erreichen. Also lass mich weiter arbeiten." Sie drückte etwas energischer, woraufhin Dean sich nur noch mehr auf seine Arme stemmte und damit noch näher kam, so dass sie nicht einmal mehr zur Seite durchschlüpfen konnte.

"Dean!"

"Delilah."

"Was soll das?

"Gib mir einen Kuss, dann lass ich dich weiter machen." Er kam ihr noch näher, so dass sie die Hitze seines Körpers auf ihrem Gesicht brennen fühlte.

Delilah verdrehte die Augen. "Sag das doch gleich."

Sie streckte sich, da er ihr nicht wirklich entgegen kam und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. "Also?"

Dean schüttelte nur den Kopf und blickte weiterhin ernst auf sie herab. "Einen richtigen Kuss, Deli."

"Dean!" Sie kniff ihm nicht gerade sanft in die Seite, was ihn nicht im Geringsten beeindruckte.

"Ich warte."

"Herrgott noch mal!" Delilah packte sein Gesicht und zog ihn zu sich herunter, ehe sie ihre Lippen so hart auf seine presste, dass ihre Zähne aneinander stießen. Zunächst taten sie beide kaum mehr als so zu verharren, doch als hätte der flüchtige Geschmack seiner Lippen plötzlich einen Schalter in ihr umgelegt, wurde sie weicher, nachgiebiger und zugleich hungriger.

Delilah fuhr mit den Fingern in Deans Haar und packte ihn auf diese Weise noch fester, während ihr Mund sich für ihn öffnete, nachdem er seine Teilnahmslosigkeit ebenfalls aufgab und den Kuss erwiderte.

Er schlang zunächst seine Arme um sie, so dass er sie so nahe an sich heranziehen konnte, dass nicht einmal mehr ein Blatt Papier zwischen sie gepasst hätte, ehe er das Schneidbrett ein Stück zurück schob, ihren Po packte und sie auf der Theke absetzte.

Dabei schlang sie automatisch ihre Beine um seine Hüfte, um keinen Moment lang von ihm getrennt zu sein, doch gerade als sie sich vollends in dem leidenschaftlichen Kuss verloren glaubte, zog Dean den Kopf zurück und schaute sie schwer atmend an.

Delilah ließ es nur mit einem protestierenden Knurren zu und rang ebenfalls nach Atem.

"Schön, dass deine Wölfin wieder da ist. Wo hat sie sich herumgetrieben?" Sein eigener Wolf lugte hinter seinen Augen hervor und schien sehr zufrieden mit sich zu sein.

Sie wollte plötzlich nur noch weg von ihm, oder zumindest von dieser Theke herunter, doch er ließ sie nicht.

"Ich weiß nicht, was du meinst. Außerdem hattest du deinen Kuss, also lass mich jetzt runter." Delilah packte sein Shirt und zog daran, doch es war zwecklos.

"Bullshit. Du weißt ganz genau, was ich meine. In der ganzen letzten Woche bist du wie ein Geist durchs Haus geschlichen; hast nur was gesagt, wenn man dich angesprochen hat und ansonsten war da nichts. Nada. Einfach Funkstille. Und wehe, du schiebst das jetzt auf deine Hormone. Das kauf ich dir nämlich nicht ab!"

Delilah ließ den Stoff unvermittelt los, legte ihre Hände auf die inzwischen deutlich sichtbare Rundung ihres Bauches und hielt den Blick gesenkt. Sie wünschte, sie könnte das Zittern ihrer Finger nicht so deutlich spüren, oder den Sturm den Dean in ihr erneut entfacht hatte, nachdem so viele Tage so etwas wie ein trügerischer Frieden in ihr gewesen war.

Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie nichts, absolut gar nichts an ihrer derzeitigen Situation ändern konnte. Was also hätte sie sonst tun können, um nicht noch einmal mit James aneinander zu geraten, sich erneut mit ihm zu streiten und womöglich alles noch schlimmer zu machen? Delilah hatte es sein lassen. Hatte aufgehört zu kämpfen und versucht, keine Angriffsfläche mehr zu bieten, auf die James hätte anspringen können. So hatten sie wenigstens halbwegs harmonisch nebeneinander arbeiten können, bis er beschlossen hatte, dass sie bereits genug vom Kochen wusste, um auch ab und an mal alleine eine Mahlzeit für sie alle zuzubereiten und genau darauf hatte sie sich auch konzentriert.

Sie kochte, wusch ab, räumte auf, machte die Wäsche und tat auch sonst alles, was sie an Arbeit für sich beanspruchte, um ihren Teil zu der Gemeinschaft beizutragen.

Warum also konnte Dean sie nicht einfach so weiter machen lassen?

"Ach, Deli…" Seine warme Hand berührte zärtlich ihr Gesicht und wischte ihr eine Träne von der Wange, die sie bis zu diesem Moment gar nicht gespürt hatte. Allerdings blieb der stachelige Ball in ihrer Kehle alles andere als unbemerkt. Sie konnte kaum daran vorbei schlucken. Mit ihrer Wölfin waren auch diese Gefühle wieder da.

"Es tut mir leid." Dean zog sie wieder an seine Brust, hielt sie fest und wiegte sie sanft, während noch mehr Tränen sein Shirt durchnässten und sie ungewollt zu schluchzen begann.

"Aber es ist keine Lösung, den Wolf in sich wegzusperren. Irgendwann geht man daran zu Grunde und das will ich nicht." Er streichelte über ihren Rücken, während sie sich regelrecht in seinem Shirt vergrub und nach seiner Nähe suchte, die sie sich selbst seit Tagen verwehrte.

Verdammt noch mal, wann war Dean so erwachsen geworden?

"Ich… Ich kann das einfach nicht mehr…", krächzte Delilah leise gegen seine Brust. "Ich ertrage es nicht länger!" Das tat sie wirklich nicht. Dafür schmerzte es zu sehr.

"Was genau meinst du?" Dean schien tatsächlich nicht zu wissen, was sie meinte.

Delilah richtete sich so abrupt auf, dass ihr Hinterkopf wieder einmal Bekanntschaft mit seinem Kinn machte, aber das kümmerte sie gerade wenig. Jetzt wurde sie dank seiner Begriffsstutzigkeit wütend.

"Dich und deinen Bruder!" Sie zog geräuschvoll die Nase auf, was ihr nicht besonders viel Würde verlieh. "Du vermisst ihn! Er vermisst dich! Wieso könnt ihr also nicht wenigstens versuchen, euch wieder zu vertragen?" Sie wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern fuhr gleich fort: "Ach ja, genau! Wie konnte ich das nur vergessen? Du musst deine Ansprüche auf mich verteidigen und er hat so viele Probleme am Hals, dass ich nicht einmal sagen kann, welche davon mich genau betreffen. Dass James nicht auf dich zugeht, kann ich noch irgendwie nachvollziehen, aber dass du dich nicht dazu überwinden kannst, deinen Zwillingsbruder wieder zurück zu gewinnen, verstehe ich einfach nicht! Was verdammt noch mal hindert dich daran?!"

Immerhin hatte sie das Gefühl, langsam unter dieser Bürde zu zerbrechen. Schließlich war sie an alledem schuld, ohne etwas dagegen tun zu können.

Ganz langsam ließ Dean sie los und trat einen Schritt zurück. Er sah so aus, als hätte sie ihm einmal kräftig in die Eier getreten und als hätte er ihr zugleich überhaupt nicht zugehört.

"Er vermisst mich?", fragte er leise.

Delilah verstand ihn kaum, so leise und brüchig klang seine Stimme, was ihre aufkeimende Wut regelrecht verpuffen ließ.

"Ja. Das tut er." Sie rutschte langsam von der Theke und lehnte sich stattdessen dagegen, während sie sich die Oberarme rieb. Auf einmal wurde ihr ohne Deans Wärme kalt.

"Wirklich?"

Sie nickte. "Er hat es mir ziemlich unmissverständlich gesagt, wie sehr er dich vermisst. Wusstest du das nicht? Ich meine, ihr kennt euch doch sonst so gut."

Dean schüttelte schwach den Kopf und atmete einmal tief durch. "Nein. Er hat es wohl ziemlich gut vor mir versteckt."

"Vermutlich genauso gut, wie du es vor ihm versteckst.", hauchte sie leise.

Delilah stieß sich von der Theke ab und schlang die Arme um ihn, um sich wieder etwas aufzuwärmen. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass auch Dean diese Berührung brauchte, obwohl er seine Gefühle weit besser vor ihr verbarg, als James es konnte. Dennoch konnte man nicht leugnen, dass ihre gegenseitige Nähe ihnen immer wieder aufs Neue gut tat. Sie verstand das selbst nicht wirklich, wollte es aber auch nicht hinterfragen. Es gehörte wohl einfach zu einer richtigen Beziehung dazu und so etwas hatte sie bisher noch nie.

"Meinst du, du kannst einmal mit ihm reden?", wollte Delilah leise wissen, während sie über die weiche Haut seines Rückens streichelte, nachdem sie ihre Hände unter sein Shirt geschoben hatte, um noch besseren Kontakt aufnehmen zu können.

"Ich hoffe, dass er überhaupt zuhören will." Dean verbarg sein Gesicht in ihrem Haar und atmete bewusst tief ein und aus. Es war offensichtlich, dass ihn dieses neue Wissen ziemlich getroffen hatte.

"Das hoffe ich auch." Für sie alle.
 

***
 

Es war schon seltsam. Einerseits schien die Zeit rasend schnell zu vergehen. Andererseits blieben sie alle an einem Fleck stehen – wie festgefroren. Das Einzige, das sich wirklich veränderte, war ihr Baby.

Delilah ließ sanft ihre Finger über die kleine Rundung ihres Bauches streichen, während sie sich mit einem Fuß vom Boden abstieß, um die Veranda-Schaukel zum Schwingen zu bringen, auf der sie sich an diesem lauen Sommertag mit vielen Kissen niedergelassen hatte.

Im Gegensatz zu den letzten Tagen war heute die friedliche Stille nicht trügerisch sondern unverfälscht echt.

Dean war mit seinem Vater unterwegs, um einen liegen gebliebenen Wagen abzuholen und dessen Besitzer zurück nach Hause zu fahren. Das würde den ganzen Tag dauern, weshalb sie das Haus vollkommen für sich alleine hatte, denn James arbeitete in der Werkstatt und würde sich bestimmt nicht so schnell blicken lassen.

In solchen Momenten wie diesen musste sie ihre Wölfin nicht einsperren, um innerliche Ruhe zu erlangen. Es ergab sich irgendwie von selbst, wenn sie die Zweisamkeit mit ihrem Baby ungestört genießen konnte.

Delilahs Finger mochten vielleicht nichts spüren, doch seit ein paar Tagen glaubte sie, ein leichtes Flattern, wie den zarte Flügelschlag von kleinen Schmetterlingen in ihrem Bauch wahrzunehmen. Da es nicht immer war und sie das Gefühl auf diese Art zuvor noch nicht gekannt hatte, war sie sich relativ sicher, dass das ihr Baby sein könnte.

Gerade in so einem bewegenden Augenblick erschien es ihr unfassbar, dass sie sich anfangs so dagegen gewehrt hatte, wo sie doch gerade dadurch eine solch enorme Liebe für dieses zerbrechliche Geschöpf erfasste, dass es Delilah regelrecht umhaute.

Wenn es ihr doch nur in anderen Punkten auch so ergehen könnte...

Sie mochte Dean sehr. Das tat sie wirklich. Aber sie beide hatten noch nie über Liebe gesprochen und obwohl sie nicht vor hatte, ihn zu verlassen, so kam sie doch nicht an diesem Gedanken vorbei, dass das nicht normal war.

Delilah gab sich selbst dafür die Schuld, denn dem einzigen Mann, dem sie sich je vollkommen geöffnet und dem sie gesagt hatte, dass sie ihn liebte, war ihr Vater gewesen und der war schon lange tot.

Egal wie stark ihre Gefühle auch für Dean waren, sie wusste tief in sich drin, dass sie immer noch etwas vor ihm zurück hielt. Vielleicht war auch das der Grund, warum er nicht von Liebe sprach. Aber im Grunde genommen war das auch nicht so wichtig. Was er ihr gab und wie er mit ihr umging, sagte eigentlich schon mehr als alle Worte der Welt es gekonnt hätten. Der Mann sowie der Wolf wollten sie und beide würden für sie da sein, solange sie es zuließ.

Zumindest diese Art der Sicherheit hatte sie.

Wieder stieß sie sich sanft mit dem Fuß vom Boden ab und schloss die Augen, während eine kühlende Brise ihr Gesicht streifte und den Duft von in der Sonne trocknendem Gras mit sich trug, das gestern auf den umliegenden Wiesen gemäht worden war.

Delilah liebte diesen Duft. Umso mehr da er sie auch an James erinnerte.

In den letzten Tagen schien es ihm etwas besser zu gehen, was aber nicht an Dean liegen konnte, denn dem ging er immer noch größtmöglich aus dem Weg oder sprach nur dann mit ihm, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

Noch hatte Dean den Mut nicht dazu aufgebracht, ernsthaft mit seinem Bruder zu reden und Delilah hatte kein Recht, ihn dazu zu drängen. Sie würde sich dabei so gut wie möglich raushalten. Es war ohnehin leichter, nicht mehr dagegen anzukämpfen, sondern einfach zu versuchen, einen normalen Umgang mit James zu pflegen, zumal er diese Haltung in ihrer Nähe von ihr übernahm.

Seit dieser Nacht vor fast zwei Wochen hatten sie noch nicht einmal die Stimmen erhoben und das war wirklich eine Leistung.

Vielleicht war ja auch das ein Weg zur Besserung. Sie hoffte es.

Es gab kein Zeichen der Warnung. Keinen auffälligen Geruch oder ein Geräusch, das sie vorgewarnt hätte. Die Hand die plötzlich Delilahs Kehle umschloss und zudrückte kam wie aus dem Nichts.

Mit brachialer Gewalt wurde sie hochgerissen und gegen die Holztäfelung des Hauses gestoßen. Ihre Beine baumelten in der Luft, während Sterne vor ihren Augen explodierten und erst nach und nach ein vertrautes Bild preis gaben – Nadine.

"Hallo, Miststück! Kennst du mich noch?" Die Werwölfin strich sich mit der freien Hand ihr schwarzes Haar zurück und gewehrte dadurch deutliche Einsicht auf ein völlig missgestaltetes Ohr, dem ein Gutteil an Knorpeln und Haut fehlte. Delilahs Werk.

Selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie keinen Ton heraus gebracht, da der eiserne Griff der manikürten Finger ihr vollkommen die Luft abschnitt und ihr Kopf sich immer mehr so anfühlte, als würde er jeden Moment platzen.

Delilah versuchte verzweifelt den Griff zu lockern, doch das Kratzen ihrer Finger schien Nadine nicht im Geringsten zu beeindrucken. Ebenso wenig ihre ersterbenden Versuche, nach ihr zu treten. Ihre Lunge schrie verzweifelt nach Sauerstoff, den sie ihr nicht geben konnte, während bereits schwarze Flecken vor ihren Augen tanzten. Jeden Moment würde sie ohnmächtig werden, weshalb Delilah noch mehr dagegen anzukämpfen versuchte, was Nadine nur ein mildes Lächeln entlockte.

"Wehr dich nur. Du wirst trotzdem dafür sterben, was du mir angetan hast und ich werde jede Sekunde davon genießen!"

"Nei-" Der schwer erkämpfte Atemzug wurde sofort mit noch mehr Druck auf ihren Hals unterbunden, bis ihr Sichtfeld endgültig von Schatten verschlungen zu werden drohte. Doch über das laute Dröhnen ihrer Ohren hinweg, konnte sie James' drohende Stimme hören.

"Lass sie auf der Stelle los, oder ich brech' dir das Genick!"

Delilah blinzelte heftig und konnte dadurch erkennen, dass James einen Arm um Nadines Hals geschlungen hatte und seine andere Hand dagegen hielt, so dass er ihren Kopf bereits schmerzhaft weit zur Seite gedreht hatte. Wieder lockerte sich Nadines Griff, doch bei weitem nicht genug, um wieder atmen zu können.

"Sofort!", schrie James sie an.

"Das wagst du nicht." Ihre Stimme klang unsicher.

"Ich habe schon mal für sie getötet. Ich werde es wieder tun!" Er drehte Nadines Kopf noch weiter zur Seite bis der Druck um Delilahs Hals mit einem Mal nachließ und sie zu Boden fiel.

Sie röchelte und würgte und versuchte ihre Lunge dazu zu bringen, sich mit Luft zu füllen, doch ihr schmerzender Hals ließ es kaum zu. Er brannte wie Feuer.

James war sofort bei ihr und half ihr sich aufzurichten.

"Deli! Oh Gott, dein Hals!" Seine Finger strichen über ihre Haut und als er sie wieder zurück zog, konnte sie Blut daran erkennen. Allerdings waren die Kratzer das Wenigste, was sie spürte und mit dem sie sich beschäftigte.

Delilah kämpfte immer noch um jeden einzelnen Atemzug. Doch so sehr es auch schmerzte, sie zwang sich dazu, den lebenswichtigen Sauerstoff in sich aufzusaugen, während ihre Augen vorbei an James immer noch auf Nadine geheftet waren, der die Wut nur noch hässlichere Gesichtszüge verpasste. Erst jetzt fiel Delilah auf, dass sie nackt war.

Ihr ganzer Körper bebte heftig unter der Panik, die ihr dieser Anblick bescherte, da diese Frau sie tatsächlich umgebracht hätte, wäre James nicht aufgetaucht.

Er bemerkte ihre Angst und fuhr zu Nadine herum: "Verschwinde!"

Sein Tonfall ließ sie zumindest rückwärts die Treppe hinunter stolpern, doch sie fing sich nur allzu schnell wieder und ihr Gesicht verzerrte sich noch weiter unter ihrer Wut.

"Ich bin noch nicht mit ihr fertig! Sie wird dafür büßen, was sie mir angetan hat!"

"Du wirst sie nicht anfassen!" James richtete sich drohend auf und stellte sich Nadine in den Weg. "Und solltest du auch nur noch einmal deinen Fuß auf dieses Grundstück setzen, wird es das letzte Mal gewesen sein!"

Nadine schnaubte verächtlich. "Glaubst du ernsthaft, du könntest mich davon abhalten? Ohne deinen Bruder bist du nichts und das weißt du auch!"

"Verschwinde!" James' Knurren ließ selbst Delilah zusammen zucken, doch Nadine hob nur herablassend den Kopf und bot ihm die Stirn, als er die Verandatreppe hinab sprang und sich drohend vor ihr aufbaute.

"Glaubst du wirklich, dass du mir damit Angst machst? Dazu fehlt dir das richtige Paar Eier!" Sie stieß ihm so hart gegen die Brust, dass James einen Schritt zurück machen musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und seine Kiefer mahlten hart aufeinander.

"Und genau das ist der Grund, warum ausnahmslos jede Frau deinen Bruder bevorzugt und dich einfach linksliegen lässt. Du hast es einfach nicht drauf!" Sie schlug ihm hart ins Gesicht, doch er rührte sich immer noch nicht, was Nadine sofort ausnutzte, um ihm noch einen verbalen Schlenker zu verpassen. "Im Bett bist du auch scheiße und dann wunderst du dich auch noch, warum ich mir jemand anderem zum Ficken suche."

"Sei still!" James stieß sie von sich, was den Umständen entsprechend eine viel zu sanfte Reaktion war und Nadine lediglich ein müdes Lächeln abrang.

"Och, hat dich das getroffen? Fängst du jetzt gleich an zu heulen?" Sie rappelte sich wieder vom Boden auf und wischte sich den Sand vom nackten Po. "Ehrlich James. Du bist und bleibst ein Weichei. Wäre es anders, hättest du dir die Schlampe einfach geholt, als zu versuchen, sie mit mir eifersüchtig zu machen."

"Das ist nicht wahr!" Jetzt schrie er.

"Und ob es das ist! Oder willst du mir weißmachen, du hättest sie an dem Tag nicht bemerkt? Ich habe sie schon gerochen, als wir aus dem Auto gestiegen sind!"

James machte erneut einen Schritt auf sie zu. Sein ganzer Körper bebte, doch er sagte kein Wort. Vielleicht konnte er das auch gar nicht, so hart wie seine Zähne aufeinander knirschten.

"Geh mir aus dem Weg und ich setze deiner hoffnungslosen Schwärmerei für diese Schlampe ein Ende. Dann haben wir beide was davon." Nadine wollte sich an ihm vorbei schieben, als James sie plötzlich im Genick packte und sie auf diese Art mit sich schleifte, weg von dem Haus. Weg von Delilah.

"Du wirst jetzt verschwinden und nie wieder herkommen." Seine Stimme war reinster, unterdrückter Zorn, vermengt mit einem tiefen Grollen, das direkt aus der Kehle seines Wolfes zu kommen schien.

"Und solltest du dich auch nur in Sichtweite begeben, wird dein zerstörtes Ohr noch der schönste Teil von dir sein, wenn ich mit dir fertig bin." Er stieß sie direkt auf die asphaltierte Straße. "Hast du mich verstanden?"

Nadine fletschte die Zähne und rieb sich den Nacken, während sie hasserfüllt zu ihm hoch sah. "Kaum zu fassen. Du liebst dieses Miststück wirklich!"

Als James sie dieses Mal anknurrte, zuckte sie zurück.

"Hast. Du. Mich. Verstanden?!"

Nadine trotzte ihm noch einen Moment lang, ehe sie den Blick senkte und leise murmelte: "Ja. Ich verstehe nur zu gut."

Er wandte sich von ihr ab, um zu Delilah zurück zu kehren.

Pass auf!, schrie sie ungehört, da aus ihrem malträtierten Hals nur ein klägliches Krächzen kam. Es war ohnehin zu spät.

James wurde unter der Wucht eines riesigen Körpers zu Boden geschleudert und blieb für wertvolle Sekunden lang benommen liegen, die der schwarze Werwolf ausnutzte, um mit weit aufgerissenem Maul seinen Nacken zu packen und zuzubeißen.

Delilah schrie voller Entsetzen auf und fiel wieder hin, als sie sich aufzuraffen versuchte. Jeden Moment erwartete sie das tödliche Knacken von James' brechendem Genick zu hören. Es kam nicht.

James riss gerade noch rechtzeitig die Arme hoch, um Nadines Maul daran zu hindern, noch fester zuzuschnappen. Mit einer Kraft, die sie ihm nicht zugetraut hätte, riss er den Kiefer des Werwolfs wieder auseinander und befreite sich auf diese Weise von ihm. Eine Sekunde später trug auch er sein Fell und ein wilder Kampf entbrannte.

Nadine war in dieser Form nur geringfügig kleiner als James – was daran liegen mochte, dass sie das Produkt zweier Werwölfe war und er nicht – doch was ihr an Größe fehlte, machte sie mit Schnelligkeit wett und so war es ganz und gar nicht gewiss, wie diese Auseinandersetzung endete.

Delilah kämpfte sich unter der entsetzlichen Beschallung bestialischer Kampflauten auf alle Viere hoch und versuchte sich in die Küche zu schleppen. Dort wo der Block mit den Fleischmessern stand. Immer wieder konnte sie das schmerzvolle Aufheulen eines Wolfes hören, gefolgt von wildem Knurren und Zähnefletschen. Schwere Körper die sich hart zu Boden warfen und das Prasseln feiner Steine, die gegen die Verkleidung des Hauses geschleudert wurden.

Voller Panik umklammerte sie das größte aller Messer, während sie sich hinter der Kücheninsel zu einem winzigen Ball zusammenkauerte und nicht zu hyperventilieren versuchte.

Oh Gott, James! Sie konnte ihm nicht helfen! Nadine würde sie einfach in Stücke reißen! Sie-

Etwas prallte hart gegen die Haustür. Glas splitterte, woraufhin Delilah das Messer noch fester umklammerte und nur durch hören alleine, herauszufinden versuchte, was dort draußen vor sich ging.

Zunächst fand der wilde Kampf noch in unmittelbarer Nähe statt, doch er entfernte sich allmählich, bis ein schrilles Jaulen, das von entsetzlichen Schmerzen kündete, abrupt für Stille sorgte.

Delilah blieb das Herz für einen Moment lang stehen, ehe sie am ganzen Körper bebend so flach wie möglich zu atmen versuchte, um kein noch so kleines Geräusch zu verpassen.

Als sie schlurfende Schritte die Verandatreppe hochkommen hörte, hielt sie den Atem an und griff entschlossen nach einem zweiten Messer. Sie würde nicht kampflos aufgeben.

33. Kapitel

"Komm raus. Komm raus. Komm raus, Schlampe!" Nadines Stimme klang merkwürdig näselnd, war aber dennoch nicht zu überhören.

Delilah wollte das Herz brechen. Sie hatte die ganze Zeit über darum gefleht, dass es James' Schritte waren, die da das Haus betraten. Doch offensichtlich kam nun ihre schlimmste Befürchtung durch die Tür herein.

James…

Ihre Finger fühlten sich plötzlich so kraftlos an, dass sie kaum noch die Messer halten konnte, während eisige Kälte ihren Brustkorb erfüllte und ihr das Herz gefrieren ließ.

"Glaub nicht, dass du dich vor mir verstecken kannst." Die Schritte kamen näher; waren schon beinahe in der Küche. "Den Gestank deiner Angst kann man bis vor die Haustür riechen."

Oh Gott, bitte lass ihn noch am Leben sein…

"Und dafür dass sich dieser Versager eingemischt hat, werde ich jetzt nicht mehr so gnädig mit dir sein und dich einfach nur erwürgen. Nein, jetzt will ich es erst so richtig auskosten…" Das kreischende Geräusch scharfer Fingernägel die über Stein kratzten, ließ ihr endgültig das Blut in den Adern gefrieren. Nadine war kaum noch zwei Meter von ihr entfernt, am anderen Ende der Kücheninsel hinter der sich Delilah versteckt hielt.

Panisch sah sie sich nach einem Fluchtweg um, doch sie würde nicht einmal bis zu den Fenstern kommen, ehe Nadine sie erreicht hatte. Außerdem zitterten ihre Finger plötzlich so heftig, dass sie die Verriegelung vermutlich gar nicht erst aufgebracht hätte. Beinahe fielen ihr die Messer aus den Händen.

James ist immer noch da draußen…, versuchte sie sich von ihrer eigenen Angst abzulenken und erreichte damit mehr, als sie erwartet hätte, als ein neuartiges Gefühl sie erfasste.

Delilah straffte sich mit einem Mal, als ihre Wölfin ihr mit rasender Wut zu Hilfe kam und ihr plötzlich Kraft gab, wo sie schon glaubte, gar keine mehr zu finden. Für einen flüchtigen Moment schloss sie die Augen und ging in sich, um von dieser Kraft so viel sie konnte in sich aufzusaugen. Denn wenn James wirklich noch lebte, dann würde er ihre Hilfe brauchen und sie würde den Teufel tun und sich noch länger feige verkriechen.

James war vielleicht nicht ihr Gefährte. Er war noch nicht einmal ihr Partner, aber verdammt noch mal, er war ihr Freund und der Vater ihres ungeborenen Kindes. Außerdem hatte er ihr schon mehrmals das Leben gerettet. Sie würde den Teufel tun und ihn im Stich lassen!

Delilahs Griff schloss sich wieder fest um die Messer und nachdem sie einen tiefen Atemzug getan hatte, sprang sie auf die Beine und wirbelte herum. Bereit zuzustechen.

"STOP!" James machte mit Nadine im Schlepptau einen Satz zurück, bevor Delilah das Miststück abstechen konnte. "Ich hab sie, Deli. Alles ist gut."

Vollgepumpt mit Adrenalin und zu töten bereit, erstarrte Delilah unter James' Worten mitten in der Bewegung und konnte ihn einfach nur ungläubig anstarren.

Er hatte dieses Miststück wirklich. Dieses Mal war der Griff um Nadines Kehle so fest, dass diese nur noch ab und zu röchelnd nach Luft schnappen konnte, während ganze Rinnsale von Blut ihr Gesicht hinab liefen, das mit Glassplittern bespickt war. Offensichtlich war sie es gewesen, die Bekanntschaft mit der Eingangstür gemacht hatte. Außerdem schien ihre Nase gebrochen zu sein.

Oh Gott… Delilah ließ vor lauter Erleichterung die Messer auf die Arbeitsfläche gleiten und nur Nadine konnte sie davon abhalten, James sofort um den Hals zu fallen, um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging. Denn er sah ziemlich mitgenommen aus. Doch das musste noch warten.

"Das ist die allerletzte Warnung.", knurrte er Nadine ins Ohr, während er sie rückwärts mit sich aus der Küche schleifte, so dass ihre Beine wild über den Boden schlenkerten und eine rote Spur über die Dielen zog, während sie verzweifelt versuchte, seine Hand von ihrer Kehle wegzuziehen.

Delilah berührte ihren eigenen heftig schmerzenden Hals und folgte den beiden. Dabei versuchte sie nicht daran zu denken, wie es sich angefühlt hatte, auf diese Art gewürgt zu werden.

James warf Nadine wortwörtlich aus dem Haus, in dem er sie die wenigen Treppen der Veranda hinunter stieß und sie hart im Staub auf dem Boden landete. Sein Gesichtsausdruck war ein Abbild reinster, unverdünnter Wut. Mitleid suchte man darin vergeblich und auch Delilah hatte keines. Hätte sie immer noch die Messer in der Hand, sie wüsste nicht, ob sie sich nicht doch noch auf dieses Biest gestürzt hätte.

"Lass dich hier nie wieder blicken.", fuhr James finster fort, während er eine Hand drohend zur Faust ballte. "Ich meine es ernst."

Dieses Mal klang es nach keiner leeren Drohung. Sogar Delilahs Nackenhärchen stellten sich alarmiert auf.

Nadine kam nur mühsam wieder auf alle Viere, nachdem sie erst einmal damit zu kämpfen hatte, ihre Lungen wieder mit Sauerstoff zu füllen. Dass sie in diesem Zustand überhaupt noch hochkam, war beängstigend, doch der Kampfeswille war aus ihren Augen erloschen.

"Merk dir meine Worte." Sie spuckte aus. "Irgendwann mache ich euch so restlos fertig, dass ihr euch wünscht, mir nie begegnet zu sein. Das verspreche ich euch."

Sie verwandelte sich – wobei sie in dieser Gestalt einen noch abgerisseneren Eindruck machte – und zog endlich ab.

"Das wünsche ich mir schon jetzt.", hörte sie James' raues Murmeln.

Doch als Delilah zu ihm hochsah, starrte er nur unverwandt der immer kleiner werdenden Gestalt von Nadine hinterher, die sich schließlich schwer hinkend ins Unterholz des angrenzenden Waldes verzog. Für immer, wie Delilah hoffte.

James kam neben ihr ins Schwanken, so dass er sich mit der Schulter gegen den hölzernen Stützpfeiler der Verandaüberdachung lehnen musste, was ihm einen grauenhaften Schmerzenslaut entlockte.

Sofort war Delilah bei ihm, um ihn zu stützen. Seine Haut war eiskalt und überall klebte Dreck, Büschel von Wolfshaaren und Blut daran. Er besprenkelte mit Letzterem sogar den Boden, als er sich taumelnd zu ihr herumdrehte.

Delilah wollte ihn fragen, was mit ihm los war, da sie anhand seines Äußeren nur schwer seine Verletzungen abschätzen konnte, doch sie brachte noch nicht einmal seinen Namen heraus. Nur ein klägliches Krächzen.

"Ich muss mich nur…" James ließ sich so schwer auf ihre Schultern nieder, dass sie regelrecht in die Knie ging. "…kurz hinsetz…en…" Sein Körper erschlaffte völlig unvermittelt und riss sie mit sich zu Boden, als sie das Gewicht nicht halten konnte.

James!

Etwas lief ihr warm und klebrig in den Ausschnitt, durchtränkte ihre Bluse am Bauch und wurde auch vom Stoff ihrer Leggins aufgesogen, während sie noch versuchte, sich unter James' schweren Körper hervorzuziehen, um ihm besser helfen zu können. Der metallische Gestank von frischem Blut stieg ihr in die Nase, während ihre Finger in klebrige Feuchtigkeit griffen, als sie versuchte, James' Oberkörper hochzuwuchten, um sich darunter hervorzuziehen.

Entsetzt zog Delilah ihre Hand wieder zurück und starrte sie an.

Vorhin noch hatte sie gedacht, James wäre dank Nadines Schnittwunden am ganzen Körper mit Blut besudelt, doch mit immer größer werdendem Entsetzen, musste sie feststellen, dass er selbst einiges abbekommen haben musste. Vor allem sein Hals, wo noch immer sehr deutlich die Eintrittslöcher von Nadines Zähnen klafften.

Obwohl ihre Beine immer noch eingeklemmt waren, riss Delilah sich ihre Bluse herunter und presste sie gegen die blutende Wunde. Erst dann versuchte sie noch einmal, sich vorsichtig unter James hervorzuziehen.

Als ihr das endlich gelungen war, wusste sie für einen Augenblick lang nicht, was sie tun sollte. Ihre Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf und waren wenig hilfreich, außerdem wollte Panik sie übermannen, gegen die sie im Moment noch ankam. Gehetzt sah sie sich hilfesuchend um.

Hilfe… Sie musste Hilfe holen!

Hin und her gerissen zwischen dem Drang, ihre Bluse weiterhin auf die schlimmste Wunde zu pressen, damit James nicht noch mehr Blut verlor und dem Anblick des Telefons, das nur wenige Meter von ihr entfernt im Flur auf einem Tischchen stand, vergeudete sie weitere kostbare Sekunden. Doch schließlich fällte Delilah die Entscheidung, James für einen Augenblick loszulassen, um an das Telefon zu gelangen.

Gott sei Dank war es schnurlos, so dass sie sofort zu ihm zurück konnte, um wieder fest auf die blutende Wunde zu pressen, während ihre verschmierten Finger die richtigen Tasten zu drücken versuchten.

Drei Mal musste sie die Nummer neu wählen, da ihre Finger immer wieder an den feuchten Tasten abrutschten. Doch endlich hörte sie das erlösende Freizeichen.

Young hob schon beim zweiten Mal klingeln ab.

Delilah ließ ihn gar nicht erst zu einer Begrüßung ansetzen. "Hil…fe!"

Sie schrie es aus vollem Leibe, was bei ihrem derzeitigen Zustand hieß, dass es kaum als Flüstern herauskam. Ein Vampir müsste es dennoch gehört haben.

"McKen...zie… Ja...mes…" Delilah rang mit jedem einzelnen Buchstaben und versuchte dabei das immer heißer werdende Feuer in ihrem Hals zu übertönen. "Schwer verletzt… Zuhause… Überall … Blut!"

Es war zu viel. Ein gewaltiger Hustenanfall überwältigte sie, der ihr die Tränen in die Augen trieb und sie schmerzvoll aufschluchzen ließ. Doch alles was zählte, war Youngs Stimme an ihrem Ohr.

"Delilah? Delilah, hör mir zu! Ich bin in einer Viertelstunde da. Versuche die Blutung zu stoppen. Ich komme so schnell ich kann!"

Das Telefon flutschte ihr aus der heftig bebenden Hand, doch wenigstens war Hilfe unterwegs.

Sobald sich der Hustenanfall wieder etwas gelegt hatte, tastete sie erneut nach dem Telefon und suchte im Telefonspeicher nach Deans Handynummer. James brauchte seinen Bruder jetzt dringender denn je.
 

Obwohl Delilah verzweifelt darum kämpfte, die Blutungen und vor allem die an James' Hals zu stoppen, indem sie ihre Bluse in streifen riss und die schwersten Wunden verband, die sie bei dem ganzen Blut finden konnte, wich dennoch nach und nach jede Farbe aus ihm, während sich die Veranda um sie herum in eine immer größer werdende Blutlache verwandelte. Seine Haut fühlte sich bereits klamm an und sein Atem war flach aber dafür rasend schnell. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr.

James… "…bitte…" …gib nicht auf!

Delilah beugte sich über ihn und legte ihre Stirn an seine, während sie ihm über das Gesicht streichelte und ihre andere Hand weiterhin fest den feuchten Stoff gegen seinen Hals presste.

"Bleib … bei mir…", flüsterte sie ihm leise zu. Ihr Hals schmerzte entsetzlich, doch war es nichts zu dem Gefühl in ihrer Brust. Es schien sie fast zu zerreißen!

"Bitte!", flehte sie lauter. Ihre Finger prüften erneut seinen Puls. Dieser war kaum noch wahrnehmbar, aber noch atmete er. Delilah streichelte ihn weiter und betete darum, dass Young endlich zu Hilfe kam.

Wie viel Zeit war seit ihrem Anruf vergangen?

Sie wusste es nicht. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, in der sie hoffte und betete, während sie immer wieder überprüfte, ob er noch atmete und sein Herz schlug.

Doch nur allzu schnell wurde sein Atem immer flacher und rasender, bis er schließlich ins Stocken geriet und sich sein Brustkorb plötzlich gar nicht mehr ausdehnte. Auch der schwache Puls war schließlich weg.

Nein! Sie starrte entsetzt auf das bleiche, reglose Gesicht herab, das so überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit dem aufwies, das sie sonst gewohnt war. NEIN!

Delilah rutsche über den klebrigen Boden an seine Seite und begann ihn nach bestem Wissen – was nicht viel war - zu beatmen.

Obwohl sie das noch nie gemacht, sondern nur ein paar Mal im Fernsehen gesehen hatte, gab es für sie kein Zögern. Auch nicht als sie mit verzweifelten Versuchen auf seinen Brustkorb eindrückte.

Ihr Atem ging bereits pfeifend, während ihre Arme immer mehr zu schmerzen begannen, als ein großer Wagen in die Einfahrt preschte und schlitternd zum Stehen kam. Selbst wenn es ein Kunde gewesen wäre, hätte das Delilah nicht davon abhalten können, weiter zu machen und immer weiter. Sie würde niemals aufgeben, um James' Leben zu kämpfen.

"Wie lange hat er schon keinen Puls mehr?" Young warf seinen schweren Koffer neben sie auf den Boden und kniete sich ihr gegenüber auf die andere Seite von James, während Delilah unablässig weiter sein Herz massierte.

Sie schüttelte den Kopf, da sie es nicht genau wusste. "Fünf…", presste sie mühsam zwischen heftigen Atemzügen hervor. Es war nur eine grobe Schätzung.

"Gut. Hör nicht mit der Herzmassage auf, bis ich es dir sage." Young zog sich sterile Handschuhe über und begann James' Vitalfunktionen noch einmal zu überprüfen. Danach rutschte er James' Körper hoch bis er Delilahs alten Platz oberhalb seines Kopfes einnahm. Er hatte zwei Gegenstände in der Hand, die Delilah nicht benennen konnte, aber sie hatte ohnehin alle Hände voll zu tun.

Mit geübten Handgriffen führte Young so eine Art Schlauch in James' Mund ein, zog anschließend einen Metallstab heraus und befestigte am Ende des Schlauchs eine Art Blasebalg.

"Hör kurz auf."

Delilah gehorchte aufs Wort und beobachtete, wie Young mit einem Stethoskop James' Brust abhorchte, während er den Blasebalg zweimal hintereinander drückte, so dass sie deutlich sehen konnte, wie sich James' Lungen mit Luft füllten.

"Okay, mach weiter."

Während Delilah erneut rhythmisch auf James' Brustkorb eindrückte, bereitete Young einen Defibrillator vor. Zumindest vermutete sie das, als er eine große Elektrode an James' rechter Schulter und eine unter seiner linken Achsel befestigte, die mit dünnen Kabeln an einem kleinen Gerät verbunden waren.

Danach forderte er sie auf, ein Stück wegzurutschen, während der Defibrillator die Werte las und Young erneut zweimal auf den Blasebalg drückte.

Hilflos sah Delilah zu, wie der Vampirarzt alles weitere übernahm und James einmal geschockt wurde. Danach brauchte er sie noch einmal für die Herzmassage, da der Schock nichts gebracht hatte, während er in einer beinahe übermenschlichen Geschwindigkeit nach einer Vene in James' Armbeuge suchte und einen Zugang legte, den er mit einem Klebestreifen befestigte.

Was sie dann sah, ließ Delilah beinahe innehalten und protestieren.

Young riss eine Packung mit einer sterilen, leeren Spritze auf, setzte sie an seinem Arm an und zog sie mit seinem eigenen Blut auf, ehe er den Großteil davon direkt in den Zugang injizierte und den Rest in die Wunde an James' Hals abgab.

Als er damit fertig war, schickte er sie wieder von James weg und überprüfte die Werte auf dem kleinen Monitor, während er ihn beatmete.

"Komm schon, James…" Er schockte ihn noch einmal und da! Das Piepen des Geräts wurde regelmäßig.

Youngs Miene hellte sich deutlich auf, als er endlich die erhofften Werte erhielt und Delilah ein aufmunterndes Lächeln schenkte. "Er ist wieder da."

Sie war immer noch zu schockiert, um irgendwie darauf zu reagieren. Natürlich war da irgendwo in ihr drin so etwas wie Erleichterung, dass James' Herz wieder zu schlagen begonnen hatte, aber sie fühlte es nicht.

Umso dankbarer war sie dem Arzt, als er Anweisungen gab, wie sie James' Atmung durch den Beatmungsbeutel unterstützen konnte, während er zurück zu seinem Wagen lief, um von hinten eine Plastiktrage zu holen, auf die sie James legen konnten, um ihn ins Haus zu bringen.

Zunächst konzentrierte Delilah sich nur auf James' Atmung und dass sie im richtigen Rhythmus und der richtigen Stärke auf den Balg drückte, während Young ihn vorsichtig zur Seite rollte und die Trage darunter schob. Dann übernahm der Vampir wieder das Beatmen, während Delilah nun damit zu kämpfen hatte, das Gewicht von James' Beinen zu halten, während der Vampir das andere Ende der Trage nur mit einer einzigen Hand hielt, als wöge sein Patient nichts.

Ihre eigenen Hände und Arme fühlten sich inzwischen kraftlos und zittrig an, doch sie würde James nicht loslassen, bis sie sicher im Haus angekommen waren.

Glas knirschte unter Youngs Schuhen als sie den schweren Körper durch den Flur in Richtung Küche trugen und ihn vorsichtig auf dem Esstisch ablegten. Er ließ sie noch einmal kurz mit James alleine, um den Notfallkoffer zu holen, nachdem er ihr einen Sessel unter den Hintern geschoben hatte, damit sie ihm nicht noch umkippte.

"Hältst du noch eine Weile durch?", wollte er mit einem prüfenden Blick wissen, nachdem er den Notfallkoffer auf die Küchentheke abgestellt hatte.

Delilah zögerte nicht, sondern nickte einmal deutlich und konzentrierte sich dann wieder weiter auf James' Atmung, während sie nun mit beiden Händen den Blasebalg drückte, um so etwas Kraft zu sparen.

"Gut, aber sag mir, wenn es nicht mehr geht. Du hilfst ihm nicht, wenn du auch noch umkippst."

Wieder ein Nicken.

"Wird sein Bruder auch bald hier sein?"

"Ich … hoffe…"

"Gut." Young holte einen der Stehlampenschirme an den Tisch, die normalerweise neben der Couch standen und benutzte ihn als Infusionsständer, an den er einen Beutel mit durchsichtiger Flüssigkeit befestigte, der durch einen Schlauch mit dem Zugang in James' Armbeuge verbunden war. Danach steckte er noch ein technisches Gerät an James' Finger, das er ebenfalls mit dem Defibrillator verband und überprüfte kurz den neuen Wert. Zumindest damit schien er vorerst zufrieden zu sein.

Als Young sich jedoch erneut selbst Blut abnahm, um es James zu spritzen, sah Delilah nicht mehr hoch. Sie konnte das einfach nicht mehr mit ansehen, ohne dabei enormes Unbehagen zu verspüren.

Überraschenderweise schien der Vampirarzt das zu bemerken, denn während er sich nun eindringlich mit der Wunde an James' Hals beschäftigte und dabei immer wieder einen Blick auf den kleinen Monitor warf, erklärte er: "Ich weiß, das mag befremdlich für dich sein, dass ich ihm einfach so mein Blut injiziere, ohne vorher einen Verträglichkeitstest gemacht zu haben, aber Vampirblut unterscheidet sich enorm von allen anderen Blutarten die es auf dieser Welt gibt. Sein Blut wird dadurch nicht verklumpen. Ganz im Gegenteil regt es die Zellregeneration an und solange Dean nicht hier ist und seinem Bruder Blut spendet, bleibt James' Zustand vorerst kritisch, aber durch mein Blut hoffentlich stabil. Denn der Blutlache dort draußen nach zu urteilen, hat er mindestens 2000 Milliliter verloren. Höchstwahrscheinlich sogar mehr."

Da Young dicht an der Stelle arbeitete, die sie mit ihrem Blick fixierte, konnte sie natürlich sehen, wie er die Bisswunde zuerst gründlich ausspülte, dann desinfizierte und schließlich zu nähen anfing. Seine Worte beruhigten sie dabei kein bisschen, denn daran hatte sie gar nicht gedacht. Ihr machte eigentlich etwas anderes Sorgen, doch zugleich sollte sie doch eigentlich wissen, dass sie dem Arzt vertrauen konnte.

Als dieser damit begann, die Wunde Stich um Stich zu nähen, verbannte Delilah alle weitere Gedanken vorerst aus ihrem Kopf.

Würde sie darüber nachdenken, dass er da durch James' Fleisch stach, um es wieder zusammen zu nähen, müsste sie sich vermutlich übergeben und damit wäre James auch nicht geholfen.

Er hatte mehr Kratzer und Bisswunden davon getragen, als zunächst angenommen. Sie waren zwar nicht so tief wie die an seinem Hals, da vermutlich das dichte Fell James weitestgehend geschützt hatte, dennoch waren weitere Stiche nötig, um die Wunden zu versorgen. Das machte Nadines hinterlistigen Angriff auf seine menschliche Form umso schlimmer.

Während Delilah der entfernt meditativen Aufgabe nachging, James' Atmung zu unterstützen, arbeitete Young in Höchstgeschwindigkeit weiter, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Zwischen dem Waschen, Nähen und Verbinden, verabreichte er immer wieder kleine Vampirblutinjektionen, bis man auch dem Arzt die Anstrengungen der Aktion ansah und dass er immer angespannter wurde.

Als er erneut die Vitalfunktionen überprüfte, wurde es nur noch offensichtlicher.

"Er braucht dringend eine Bluttransfusion. Meines wird ihn nicht mehr lange helfen, bevor seine inneren Organe darunter leiden." Youngs ehrliche Worte konnten sie kaum noch treffen. Delilah wusste selbst, dass ihre Möglichkeiten bald ausgeschöpft waren.

"Mein…Blut?" Sie bot sofort ihren Arm als unmissverständliche Geste an, da James das Gleiche schon einmal für sie und ihr Baby getan hatte. Wenn sie ihn damit retten konnte, würde sie es tun.

Young schüttelte hingegen den Kopf, während er James' irgendein Medikament spritzte. "Du bist schwanger und selbst verletzt. Ich werde deine Gesundheit nicht riskieren. Wir brauchen Dean." Doch der war noch in unbekannter Ferne und keiner von ihnen wusste, wann er hier eintreffen würde. Ob er überhaupt rechtzeitig da sein würde.

Delilah begann kurz zu schwanken, woraufhin Young sofort neben ihr stand. Er wollte sie sich ansehen, doch sie wehrte ihn nur mit einem Knurren ab und drückte weiter den Blasebalg. Das war das Einzige, das sie noch aufrecht hielt, während ihre Finger durch James' Haar strichen und sie ihn immer wieder leise flüsternd anflehte, weiter zu kämpfen und bei ihr zu bleiben. Er durfte sie einfach nicht verlassen.

Young musterte sie noch einmal skeptisch und ließ sie dann taktvoll in Ruhe, um auch noch die harmloseren Schrammen und Kratzer zu versorgen und noch mehr von seinem Blut an James abzugeben.

Niemand konnte behaupten, der Arzt würde nicht alles tun, um James am Leben zu erhalten. Doch auch seine Möglichkeiten waren begrenzt.

Ein weiterer Schockmoment für Delilah kam, als Young James' Schulter schließlich mehrmals abtastete, seinen Arm anschließend packte, den Fuß in James' Achsel stemmte und mit einem kräftigen Ruck daran zog, woraufhin ein vernehmbares Knacken ertönte.

Delilah hatte nicht einmal bemerkt, dass James' Schulter ausgekugelt gewesen war.
 

Als ein weiterer Wagen in die Einfahrt fuhr, sprang Delilah von ihrem Stuhl auf, nur um sofort von Schwindel gepackt wieder zurück auf ihren Hintern zu plumpsen. Dennoch waren ihre restlichen Sinne geschärft und sie konnte hören wie Türen aufgerissen, aber nicht wieder zugeschlagen wurden. Kurz gerieten die Schritte auf der Veranda ins Stocken und sie konnte einen leisen Fluch hören, ehe Dean zur Küche hereinstürmte und wie angewurzelt stehen blieb, während sämtliche Farbe aus seinem Gesicht wich, als er seinen Bruder so auf dem Küchentisch liegen sah.

Der Anblick musste grauenvoll sein, denn inzwischen war fast jeder Zentimeter von James mit Verbänden und Pflastern versehen. Der Infusionsbeutel, der seinen Inhalt tröpfchenweise an ihn abgab, machte den Anblick sicher auch nicht besser und der Schlauch in seinem Hals dürfte dann wohl allen den Rest geben. Ihr ging es zumindest so.

Hinter Dean füllte sein Vater den Türrahmen aus und erbleichte ebenfalls sichtlich, ehe sein Gesicht einen solch harten Zug annahm, als wäre es aus Stein gemeißelt.

"Was ist passiert?", verlangte er donnernd zu wissen und starrte dabei Delilah an, als wäre sie der personifizierte Teufel persönlich, doch ehe sie auch nur zu einer Antwort ansetzen konnte, schnappte Young sich Dean und riss ihn mit sich zum Tisch hinüber, wo er bereits alles für die lebensrettende Blutblutspende vorbereitet hatte.

Dean ließ es einfach geschehen, während er wie erstarrt James fixierte, als würde sich seine ganze Welt mit einem Schlag nur noch um seinen Bruder drehen und ganz bestimmt tat sie das in diesem Moment auch.

Nicht einmal eine Viertelstunde lang würde es dauern, bis Young James endlich das wertvolle Blut verabreichen konnte. So hatte er es ihr zumindest erklärt. Dennoch drohte das die längste Viertelstunde ihres Lebens zu werden. Dabei war der heutige Tag bereits voll davon.

Delilah fühlte nicht anders als Dean, doch im Gegensatz zu ihm wurde sie von Elija grob am Arm gepackt und erneut vom Stuhl hochgerissen. Nur der Umstand, dass sie immer noch für James' Atmung zuständig war, ließ sie die Kraft aufbringen, sich mit einem wilden Grollen in der Brust von dem Arm zu befreien und sich wieder hinzusetzen, um sich auf ihre Arbeit konzentrieren zu können. Überraschenderweise schien das seine Wirkung zu tun, wenn auch nur vermindert. Aber zumindest fasste Elija sie nicht mehr an.

"Rede! Was ist da draußen passiert?!", verlangte er erneut zu wissen, während sein Werwolf die Zähne bleckte und sie mit einem ebenso schrecklichen Laut anknurrte, wie sie es eben noch getan hatte.

Delilahs Wölfin drohte nachzugeben und sich zu unterwerfen. Doch so absolut widersprüchlich es sich für sie auch anfühlte, sie konnte nicht kleinbeigeben und dem Alpha den nötigen Respekt erweisen. Nicht solange James in Gefahr war!

"Elija…" Young schaltete sich ein und berührte vorsichtig den Arm des Werwolfs, zuckte aber reflexartig zurück, als Elija zu ihm herumfuhr, als wolle er ihm gleich den Kopf von den Schultern trennen. "WAS?"

Nun fletschte auch der Vampir die Zähne und zum ersten Mal konnte Delilah deutlich seine langen Fänge erkennen, die ihr bis dahin noch nie aufgefallen waren.

Mit einem Schlag hatte sich der sanftmütige Arzt von einer Sekunde auf die andere, ebenfalls in ein gefährliches Raubtier verwandelt. Eines, das erst recht nicht so einfach kleinbeigeben würde.

Eine Gänsehaut jagte ihr bei diesem Anblick über den gesamten Körper und ließ sie erschaudern. Nachts und allein im Wald wollte sie Young in diesem Zustand nicht begegnen.

"Delilahs Kehlkopf wurde gequetscht. Im Augenblick wird sie niemandem einen ausführlichen Bericht abgeben können, egal wie sehr du sie bedrohst. Ihre angegriffenen Stimmbänder lassen das einfach nicht zu. Außerdem braucht James dich jetzt. Du kannst Delilah mit dem Beatmen ablösen, damit ich mir ihre Verletzung genauer ansehen kann. Verstanden?"

Einen Moment lang glitt Elijas Blick prüfend über ihre Kehle, ehe er endlich seine aggressive Haltung etwas lockerte und sie unwirsch zur Seite schob, um sie abzulösen. Delilah wich ihm auf der Stelle aus und rieb sich über ihren schmerzenden Arm, auf dem sich bereits jetzt dunkle Fingerabdrücke abzeichneten. Sie trug es ihm nicht nach.

Young erklärte Elija kurz was dieser zu tun hatte, verfrachtete sie dann auf einen anderen Stuhl, ging aber noch einmal zu James hinüber, um dessen Vitalfunktionen zu überprüfen und ein paar Dinge aus seinem Koffer zu holen, nachdem er mit dem Ergebnis seiner Musterung zufrieden war. Er sah auch noch einmal nach Dean, der schweigend am Tisch saß und die Hand seines Bruders hielt, während sich langsam der Blutbeutel füllte. Danach ging er zu Delilah hinüber und konzentrierte sich nun voll und ganz auf sie.

"Bist du zwischendurch ohnmächtig geworden, während oder nachdem du gewürgt worden bist?" Er zog sich frische Latexhandschuhe an, während sie nur den Kopf schüttelte.

"Hast du Schmerzen beim Schlucken?" Vorsichtig begann er ihren Hals abzutasten und dabei besonders gründlich ihren Kehlkopf. Dieses Mal nickte sie und versuchte die neu entfachten Schmerzen so gut es ging zu ertragen. Dennoch liefen ihr erneut Tränen aus den Augen, ohne dass sie es verhindern konnte.

"Auch Atembeschwerden?"

"Nur … Anfangs…" Delilah wischte sich die Tränen weg und versuchte sich ganz auf die grün-blauen Augen des Vampirs zu konzentrieren und nicht auf das Bild, das sich ihr hinter ihm bot, denn der Anblick der drei McKenzie-Männer schnürte ihr zusätzlich die Kehle zu.

"Sehr gut. Offenbar heilt es bereits. Aber ich will mir das trotzdem noch genauer ansehen." Dazu setzte er ein seltsames Stirnband mit einem runden Spiegel in der Mitte auf und nahm ein langes, metallenes Gerät zur Hand, das sie irgendwie an einen Zahnarztspiegel erinnerte.

"Den Mund bitte weit aufmachen."

Delilah tat, was Young von ihr verlangte und wiederholte das Ganze, als er sie noch einmal dazu aufforderte. Danach nahm er das Stirnband wieder ab und tastete noch einmal über ihren Hals.

"Die Luftröhre scheint nicht beeinträchtigt zu sein und der Kehlkopf erholt sich bereits. Dennoch werde ich dir etwas zum Inhalieren besorgen und du solltest deine Stimme für die nächsten Tage schonen, damit sich deine angeschlagenen Stimmbänder wieder erholen können und keine permanenten Schäden bleiben."

Delilah nickte nur. Was könnte sie auch sonst anderes tun?

Eigentlich hatte sie gedacht, dass Young nun mit ihr fertig war, doch wie es schien war das erst der Anfang, denn er begab sich vor ihr auf die Knie und zog ihr ausgestrecktes Bein auf seinen Schoß. Erst als er ihr mit einer Pinzette einen Glassplitter aus der Fußsohle zog und sie mit einem scharfen Zischen zusammenzuckte, konnte sie diesen Schmerz spüren. Vorhin war ihr noch nicht einmal aufgefallen, dass sie an den Füßen blutete.

Als der Vampir mit dem ersten Fuß fertig war, war auch endlich Deans Blutbeutel voll und Young unterbrach seine Arbeit, um James sofort die lebenswichtige Bluttransfusion zu geben. Wieder überprüfte er die Vitalfunktionen, ehe er sich wieder ruhiger an ihren zweiten Fuß heranmachte.

Kaum saß auch dieser Verband kam Leben in die Männergruppe. James' Körper bewegte sich schwach und er begann schrecklich zu würgen. Vermutlich um den Gegenstand aus seinen Hals zu bekommen, der ihn bestimmt irritierte.

Sofort war Young bei ihm und schob Elija zur Seite. Er nahm den Beatmungsbeutel ab und zog in einer flüssigen Bewegung den Schlauch aus James' Hals, was diesen nun noch mehr würgen und husten ließ.

"James? Wenn du mich hören kannst, drück bitte meine Hand."

Delilah verschlang ihre eigenen Finger miteinander und presste regelrecht das Blut daraus, während sie dabei zusah, wie James sich unruhig hin und her bewegte, ab und zu die Augen öffnete und dann endlich Youngs Hand drückte. Er schien nicht ganz zu verstehen, was vor sich ging, befolgte aber schließlich die Anweisungen des Vampirarztes, als dieser mit einer kleinen Taschenlampe in seine Augen leuchtete und ihn dazu aufforderte, dem Licht zu folgen. Sein Atem ging immer noch schwer.

"Hör zu, James. Ich werde dir jetzt eine Sauerstoffmaske umlegen. Das wird dir das Atmen erleichtern, okay?" Woher Young plötzlich die Sauerstoffflasche hernahm, wusste Delilah nicht, aber nachdem James noch einmal seine Hand gedrückt hatte, konnte der Arzt ihm die Maske aufsetzen. Danach tastete er noch einmal seinen Bauch ab, fragte ihn, ob er dort, wo Young auf ihn eindrückte, Schmerzen verspürte, was zum Glück mit einem schwachen Kopfschütteln beantwortet wurde. Aber das James Schmerzen hatte, war nur zu offensichtlich, weshalb Young ihm schließlich etwas spritzte, während sich nun Elija und Dean einschalteten und leise auf James einsprachen. Es klang sogar für sie beruhigend und nach ein paar Augenblicken, war sie sich sicher, dass James wieder ohnmächtig geworden war.

Gerne wäre Delilah ebenfalls zu James gegangen. Hätte am liebsten seine Hand gehalten, ihm weiterhin durchs Haar gestreichelt und sich dadurch versichert, dass er schon wieder auf die Beine kommen würde. Doch sie stand Abseits auf ihren schmerzenden Füßen, hielt sich selbst so fest wie sie nur konnte und hatte mehr denn je das Gefühl, völlig alleine zu sein. Sie wollte die Männer nicht mit ihrer Anwesenheit stören. Nicht nach allem, was passiert war.

"Wir sollten James ins Bett bringen, sobald mir einer von euch beiden dabei geholfen hat, seine Schulter zu fixieren. Delilah, du holst Eis aus dem Kühlschrank und wickelst es in ein Handtuch und danach will ich, dass du dich hinsetzt und deine Füße schonst."

Delilah tat wie ihr befohlen. War sogar dankbar für Youngs Befehlston. Es gab ihr zumindest eine Richtung.

Sie sorgte für das Eis, während Elija dabei half, den Oberkörper seines Sohns soweit aufzurichten, dass Young einen Verband um dessen Schulter wickeln und damit James' Arm fixieren konnte.

Dean war noch blasser als zuvor, wachte jedoch mit scharfem Blick über das Vorgehen der beiden Männer, ohne seinen Bruder auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. Erst als Delilah mit dem Eis neben ihn trat, schien er sie zum ersten Mal seit diesem Vorfall wirklich wahrzunehmen.

Sein Blick war voller Fragen, während er sie gründlich musterte und an ihrem Hals hängen blieb. Doch er bedrängte sie nicht und dafür war sie ihm dankbar. Zu gerne hätte sie eine Erklärung abgegeben, doch sie konnte es im Moment einfach nicht. Allerdings war sie durchaus dazu in der Lage, Deans Hand vorsichtig zu nehmen und festzuhalten. Der Kontakt schien sie beide etwas zu beruhigen, doch sie würden erst wieder erleichtert aufatmen können, wenn es James wieder besser ging.

34. Kapitel

Obwohl ihre Finger immer noch heftig zitterten, flogen sie geradezu über das Papier, während Delilah sich alle Mühe gab, das Geschehen bis ins kleinste Detail genau niederzuschreiben. Dabei achtete sie weder auf ihre miese Rechtschreibung, noch auf deutliche Lesbarkeit. Sie wollte es einfach nur schnell hinter sich haben, damit Elija sie endlich in Ruhe ließ.

Zwar gab er ihr nicht mehr unbedingt die alleinige Schuld an dem Geschehen, doch solange er nicht wusste, was genau vorgefallen war, würde er sie weiter bedrängen, um die Wahrheit zu erfahren und da sie es ihm nicht haarklein erzählen konnte, schrieb sie es auf den Notizblock, den er ihr schließlich in die Hand gedrückt hatte, während Dean und Young James nach oben brachten.

Kurz sah sie von ihrer krakeligen Schrift auf, als der Vampirarzt wieder die Küche betrat und sich die Hände im Waschbecken wusch. Er wirkte müde und mehr als erschöpft. Zudem war er beinahe so blass, wie James es gewesen war, bevor Dean ihm sein Blut gegeben hatte.

Young schenkte ihr keinerlei Beachtung, sondern ging zu dem alten Werwolf hinüber, um leise mit ihm zu sprechen, so dass selbst ihr feines Gehör nicht den Inhalt entschlüsseln konnte. Außerdem hatte sie Wichtigeres zu tun, wie ein finsterer Blick von Elija ihr noch einmal deutlich eintrichterte.

Delilah konzentrierte sich wieder auf den Block und schrieb weiter die Geschehnisse auf, die immer noch dafür sorgten, dass ihr ganzer Körper mit Adrenalin vollgepumpt war. Sie ließ dabei keine Eindrücke oder noch so unwichtige Kleinigkeit aus, allerdings würde sie niemals das widergeben, was Nadine zu James gesagt bzw. was dieses Miststück ihm an den Kopf geworfen hatte, um ihn noch mehr zu verletzen. Das ging weder seinen Vater etwas an, noch sonst jemanden der nicht dabei gewesen war. Delilah hatte daher kein schlechtes Gewissen, es ganz wegzulassen. Denn darauf kam es ohnehin nicht an.

Kurz vor Abschluss ihres Berichts wurden die Eindrücke wieder so intensiv, dass Delilah für einen Moment lang den Stift ablegen und sich übers Gesicht wischen musste, um sich davon nicht mitreißen zu lassen.

Als sie dieses Mal zu den Männern hinüber blickte, musste sie ein paar Mal blinzeln, um sicher zu gehen, dass ihr Verstand sie nicht endgültig verließ. Obwohl es so viel einfacher wäre, einfach völlig abzuschalten.

Young saß neben Elija an dem immer noch blutverschmierten Tisch, die Finger um den Arm des Werwolfs geschlungen und die Lippen direkt in dessen Armbeuge gepresst. Seine Augen waren dabei geschlossen.

Die Art, wie sich seine Wangen immer wieder nach innen zogen und sein Kehlkopf auf und ab sprang, war mehr als Beweis genug dafür, dass der Arzt gerade von Elijas Blut trank.

Der Werwolf selbst starrte regungslos die Flecken auf den Tisch an und ließ den Vampir in aller Ruhe gewähren.

Delilah hatte so etwas noch nie gesehen und das Bild verstörte sie regelrecht.

Bevor endgültig die Nerven mit ihr durchgingen, da sie das Gefühl hatte, bei etwas zuzusehen, das absolut nicht für ihre Augen bestimmt war, schrieb sie hastig weiter und stand schließlich äußerst vorsichtig auf. Nicht nur, weil ihre Fußsohlen schon bei der geringsten Belastung heftig schmerzten, sondern auch, um nicht direkt in dieses seltsame Geschehen hineingezogen zu werden, das dort am Tisch stattfand. Dennoch richtete sich Elijas Blick bei der kleinsten Bewegung auf sie, so dass Delilah demonstrativ den Notizblock hob und ihn langsam auf den Couchtisch gleiten ließ, ehe sie beinahe lautlos den Raum verließ, um sich nützlich zu machen.

Dean war bestimmt immer noch damit beschäftigt, seinen Bruder so gut es ging zu säubern und ihm etwas anzuziehen, weshalb sie die beiden nicht stören wollte. Also holte sie Schaufel und Besen aus der kleinen Kammer unter der Treppe und fegte die Scherben der zerschmetterten Tür zusammen, die immer noch halb in ihren Angeln hing, aber definitiv nicht mehr zu retten war. Sie würden eine neue brauchen.

Von draußen trug ihr der Wind den Geruch von James' Blut in die Nase, woraufhin ihr auf der Stelle schlecht wurde. Nicht, dass sie kein Blut sehen konnte, das war für sie absolut kein Problem, wie der heutige Tag deutlich gezeigt hatte. Doch sobald sie ihren Blick nach draußen auf die Veranda warf, überkam sie wieder die grauenvolle Vorstellung, wie er dort gelegen und nicht mehr geatmet hatte.

Beinahe ließ sie die volle Kehrschaufel fallen und schaffte es nur mit starker Willensanstrengung, die Scherben in den Mülleimer zu werfen, ehe Delilah sich dazu zwang, auch noch Eimer und Putzlappen zur Hand zu nehmen und nach draußen zu gehen.

Minutenlang starrte sie nur das inzwischen getrocknete Blut an, ehe sie sich davor hinkniete und sich an die Arbeit machte. Zunächst mechanisch und dann immer wilder, schruppte sie über die Holzdielen, tauchte die Bürste wieder ins Wasser und schruppte weiter.

Schruppen war gut. Schruppen machte alles sauber und ließ die Beweise vergangener Geschehnisse verschwinden. Außerdem machte es ihren Kopf frei und verdrängte die schrecklichen Bilder, die sich ihr aufdrängen wollten, also schruppte sie unablässig weiter. Schrupp, schrupp, eintauchen… Schrupp, schrupp, eintauchen… Ihre Welt schien sich nur noch darum zu drehen.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Delilah fuhr mit einem wilden Knurren herum, warf den Eimer um und rutschte mit ihrem Po über den nassen Boden, bis das Geländer in ihrem Rücken sie aufhielt. Ihr Herz dröhnte wie ein Presslufthammer, der sich direkt durch ihren Brustkorb bohren wollte und ihre Hand umklammerte die Bürste so fest, dass sich die harten Borsten in ihre Handfläche gruben. Erst jetzt erkannte sie Young, der sie besorgt ansah.

Beinahe erwartete sie Blut an seinen Lippen zu sehen, doch da war nichts und auch seine Zähne waren wieder normal und wie immer strahlend weiß, als er mit ihr sprach. Allerdings drangen seine Worte erst nach und nach zu ihr durch.

"Dean ist jetzt fertig. Wenn du willst, kannst du zu James. Im Augenblick schläft er . Aber es dürfte ihm bald wieder besser gehen. Inzwischen ist er über dem Berg."

Das waren doch gute Neuigkeiten, oder nicht? Wieso wollte sich dann ihr Herz so ganz und gar nicht wieder beruhigen?

"K…Kein Vampir…wer…wolf?" Gott, sie hasste es, ihre Stimme nicht richtig gebrauchen zu können. Young musste sie für völlig durchgeknallt halten!

Tatsächlich sah er sie für einen Moment verwirrt an, bis ihm ein Licht aufging. Er begann sogar zu lächeln. "Nein, keine Sorge. James wird sich nicht in einen Vampirwerwolf verwandeln. Wir sind nämlich nicht ansteckend, weißt du? Selbst wenn wir es darauf anlegen würden und das tue ich ganz bestimmt nicht. Mein Blut hilft ihm lediglich bei der Heilung. Mehr nicht."

Mit diesen Worten streckte Young ihr seine Hand entgegen und half ihr beim Aufstehen. Tadelnd schaute er auf ihre durchnässten Verbände an den Füßen, sagte jedoch nichts dazu, sondern führte sie zurück ins Haus, um sie zur Couch zu geleiten, damit sie sich darauf niederließ.

In genau diesem Augenblick schienen sie auf einmal alle Kräfte zu verlassen und sie sank tief in die dicken Kissen. Nur am Rande nahm sie wahr, wie der Vampir ihr die nassen Verbände abnahm, um ihre Füße noch einmal frisch zu verbinden. Er sah inzwischen wieder vollkommen fit aus.

Elija telefonierte im Hintergrund, dabei den Notizblock in der Hand, während er aufgebracht hin und her rannte. Dennoch war seine Stimme ruhig. Zu ruhig, als dass man diesem Frieden trauen konnte.

Delilah schloss erschöpft die Augen.

"Weiß jemand, wo sie ist?" Stille und dann: "Darüber habt ihr nicht zu entscheiden!" Der alte Werwolf stromerte noch aufgebrachter von einem Ende zum anderen durch die Küche. Wenn er so weiter machte, würde er bald eine Furche durch den Boden ziehen, so sehr stampften seine schweren Schritte dabei auf. Delilah zuckte bei jedem Geräusch zusammen und sank noch tiefer in die Kissen der Couch, bis diese sie beinahe verschluckten.

Plötzlich hielt Elija inne; sein Tonfall nur noch mit Mühe beherrscht: "Ich kenne die Regeln." Seine Kiefer knirschten aufeinander, während das Handy an seinem Ohr einem immer größer werdenden Druck standhalten musste.

Delilah riskierte einen Blick über ihre Schulter und konnte die gleiche Geste erkennen, die sie auch schon so oft bei seinen Söhnen gesehen hatte. Elija rieb sich angespannt über seinen Nacken und zeigte dadurch noch deutlicher das Verwandtschaftsverhältnis zu den Zwillingen.

Seine Augen richteten sich auf sie. Delilah hielt den Atem an, unfähig seinem Blick auszuweichen, oder sich zu bewegen. "Die Regeln besagen auch, dass schützenswerte Mitglieder anderer Rudel nicht angegriffen werden dürfen."

Sie hatte das Gefühl, er würde direkt zu ihr sprechen, auch wenn er immer noch mit der unbekannten Person am anderen Ende der Leitung sprach. "Nadine wollte ein schwangeres Mitglied meines Rudels töten."

Delilah begann unter seinem Blick zuerst zu zittern und dann zu beben. Doch nicht aus Furcht. Ganz im Gegenteil. Elija hatte sie soeben offiziell als Mitglied seiner Familie – seines Rudels anerkannt…

Er wandte sich ruckartig von ihr ab, so dass sie nur noch seinen Rücken fassungslos anstarren konnte. Die menschliche Hälfte mochte das volle Ausmaß dieser Worte nicht ganz erfassen können, doch ihre Wölfin tat es umso mehr. Am liebsten hätte sie sich vor Elijas Füßen geworfen, sich mit dem Bauch nach oben präsentiert und voller Freude gefiept und gewinselt.

Zum Glück war sie gerade nicht die Wölfin.

"Ja, ich möchte dabei sein." Dieses Mal war die Ruhe in seiner Stimme echt, auch wenn es irgendwie resigniert klang. "Ich bin in zwanzig Minuten da."

Elija legte auf und ging. Weder drehte er sich noch einmal zu ihr um, noch hatte er irgendwelche Worte für sie. Das Geräusch eines sich entfernenden Autos war alles, was sie am Ende von ihm zu hören bekam.

"Du solltest dich waschen und dir ein paar trockene Sachen anziehen."

Ihr Blick richtete sich nach vorne. Delilah hatte den Vampir inzwischen vollkommen vergessen.

Kurz wollte sie zu einer Antwort ansetzen, doch dann besann sie sich wieder auf seine Empfehlung, was ihre Kehle anging. Weshalb sie am Ende nur ergeben nickte und mit Youngs Hilfe die Treppe hoch und in ihr Zimmer ging, um seinen Worten nachzukommen. Danach konnte sie endlich zu James. Auch wenn sie sich irgendwie davor fürchtete. Obwohl sie nicht genau sagen konnte, warum.
 

Dean saß zusammengesunken auf einem Schreibtischsessel direkt neben James' Bett. Er hielt die Hand seines Bruders mit beiden Händen fest umklammert, während er sich diese an die Wange presste. Dabei fiel ihm das Haar so tief ins Gesicht, dass sie seine Augen nicht erkennen konnte, aber sehr wohl den angespannten Zug um seinen Mund. Er wirkte müde und abgekämpft, was ihn irgendwie um einige Jahre älter aussehen ließ.

Nachdem Delilah leise angeklopft und Dean ihr die Erlaubnis gegeben hatte, herein zu kommen, hatte sie zum ersten Mal seit ihrer Ankunft auf der Ranch James' Reich betreten. Flüchtig waren Eindrücke auf sie eingestürmt, Poster an den Wänden, Regale voll mit DVDs, ein Gummibaum. Doch sobald James' intensiver Geruch, der hier überall im Raum hing, ihre Geruchsrezeptoren erreichte, richtete sich ihr Blick nur noch auf ihn und seinen Bruder. Alles andere wurde einfach ausgeblendet.

Zögernd blieb sie am Fußende des großen Bettes stehen. Wusste nicht was sie hier mit sich anfangen sollte, nachdem sie in diese intime Vertrautheit zwischen den Brüdern eingedrungen war. Mehr denn je hatte sie das Gefühl, dass die beiden zusammen gehörten und durch nichts getrennt werden durften. Nicht so, wie sie es in den letzten Wochen getan hatte. Denn das Ergebnis davon lag nun schwer verletzt vor ihr in diesem Bett. Sie fühlte sich regelrecht als Störenfried, obwohl sie gerne bei beiden Brüdern sein wollte.

"Es war Nadine, oder?" Dean schaute sie nicht an, stattdessen hob er den Blick und betrachtete eingehend das schlafende Gesicht seines Zwillings, der inzwischen auch ohne die Sauerstoffmaske auskam, aber immer noch an einer Infusion hing. Vermutlich war es irgendein Schmerzmittel.

Da es nicht reichte, einfach nur zu nicken, schluckte Delilah noch einmal und entrang sich ein raues "Ja".

Gequält schloss Dean die Augen, während seine Brauen sich immer mehr zusammen zogen, als würden die größeren Enden versuchen, sich zu berühren. Ein Hauch von Wut wehte zu ihr herüber und vergrößerte ihre Anspannung noch mehr. Sie bekam Angst, dass er sie gar nicht hier haben wollte.

"Das ist alles meine Schuld!", brach es plötzlich aus ihm heraus. "Ich habe nicht auf ihn aufgepasst."

Sanft strichen Deans Finger durch die wirren Haare seines Bruders. "Ich hätte für ihn da sein müssen. Ich hätte ihn irgendwie von diesem Drecksstück fernhalten müssen! Aber ich war nicht für ihn da, als er mich am Meisten gebraucht hätte. Ich…"

"Dean…" Vorsichtig näherte sie sich ihm, ehe sie das tätowierte 'D' in seinem Nacken berührte und ihn sanft streichelte. Sie konnte spüren, wie sein Körper unter ihren Fingern zitterte.

Wenn hier wirklich jemand die Schuld an all dem trug, dann war sie das.

"Es tut … mir leid…", hauchte sie leise und atmete zugleich erleichtert auf, als Dean sich an ihren Bauch lehnte und einen Arm um ihre Taille schlang. Er sagte nichts auf ihre Worte hin, aber er ließ es zu, dass sie ihm beruhigend durchs Haar strich und ihn festhielt, während er sich hauptsächlich auf seinen Bruder konzentrierte.

Auch Delilah blickte James unverwandt an.

Die dünne Decke reichte ihm nur bis zum Bauchnabel, da es sonst viel zu warm für ihn gewesen wäre. Sein Brustkorb lag frei, aber nicht nur die Verbände, die seine Schulter stabilisieren sollten, bedeckten seine nackte Haut, sondern auch viele kleine Kratzer und Blutergüsse. Aber der größte von allen zeichnete sich auf seinem linken Rippenbogen ab, den er nicht Nadine sondern ihr selbst zu verdanken hatte.

Young hatte Delilah erklärt, dass sie James beim Reanimieren die ein oder andere Rippe gebrochen haben musste. Was auf jeden Fall vertretbar war, wenn man bedachte, dass sie ihn dadurch am Leben gehalten hatte. Außerdem würde es von ganz alleine heilen.

Dennoch fühlte sie sich trotz dieser Erklärung kein bisschen besser.

Dean zog sie enger an sich heran und drückte mit einem Mal sein Gesicht gegen ihren Bauch. Sein Körper begann noch mehr zu zittern und sein Atem fühlte sich heiß auf ihrer Haut an. So hatte er noch nie reagiert.

Instinktiv drückte Delilah ihn enger an sich, während ihre andere Hand durch sein Haar fuhr und ihn immer wieder streichelte.

Sie hatte keine Worte des Trosts für ihn, konnte sie sich doch nicht einmal selbst beruhigen, denn der Anblick ihres hilflosen Mannes trieb ihr erneut die Tränen in die Augen. Wäre da nicht James, der scheinbar friedlich neben ihnen schlief, sie hätte nicht gewusst, woran sie sich sonst hätte halten sollen. In den letzten Stunden war so viel passiert; hatte so viel auf dem Spiel gestanden. Alles in ihr drin schien vollkommen durcheinander zu sein und doch war da diese dumpfe Leere. Es fühlte sich einfach nicht richtig an.

"Ich… Ich hätte ihn beinahe verloren…" Deans Atem schlug noch heißer gegen ihren Bauch, dort wo sie wieder deutlich das Prickeln wahrnehmen konnte. "…meinen kleinen Bruder…"

"Ich weiß…" Ihre Unterlippe begann zu beben und ihr Hals schmerzte entsetzlich, als sich ihre Kehle erneut zuzuschnüren begann. Delilah wischte sich mit dem Handrücken über die plötzlich nassen Wangen. Doch es brachte wenig. Auch sie hätte James beinahe verloren und das direkt unter ihren Händen. Dieses grauenvolle Gefühl war einfach nicht zu beschreiben.

Oh Gott, James…

Delilah streckte ihre Hand nach ihm aus und strich mit ihren kalten Fingern über seine warme Wange, während sie mit ihrem anderen Arm Dean fest an sich gepresst hielt.

Wieso hatte sie sich überhaupt in das Leben der beiden Brüder einmischen müssen?

Ein piepsendes Geräusch auf James' Schreibtisch ließ sie beide heftig zusammenzucken. Delilah sah Dean fragend an, der aber nur kurz ihren Blick erwiderte, ehe er die Hand seines Bruders zögernd los ließ und aufstand, um zum Schreibtisch hinüber zu gehen. Es war James' Handy gewesen, das dieses Geräusch verursacht hatte und auf dem Dean ein paar Tasten drückte, ehe er sich auf den Bildschirm zu konzentrieren begann.

Man konnte direkt zusehen, wie sich der betroffene, erschöpfte Ausdruck auf seinem Gesicht innerhalb eines Herzschlags in heiße Wut verwandelte.

"Nadine hat ihm eine SMS geschrieben." Mehr sagte Dean nicht dazu, stattdessen hielt er ihr das Handy entgegen, so dass sie selbst die Nachricht lesen konnte.

Wir sind noch nicht fertig miteinander!!! ;[

Delilahs Herz setzte einen Schlag aus und begann dann zu rasen. Auch ihre eigene Wölfin bleckte mit einem Mal aggressiv die Zähne, obwohl sie keinerlei Chancen gegen Nadine hätte. Aber inzwischen war sie nicht mehr alleine. Dean würde seinen Bruder beschützen und Elija war bestimmt gerade auf dem Weg, um dafür zu sorgen, dass dieses Drecksstück nie wieder Hand an seinen Sohn legen konnte. Wie viel konnten diese Worte also bedeuten?

Ein wütendes Knurren, das nicht aus der Kehle ihrer Wölfin kam, erfüllte plötzlich den Raum und ließ Delilah einen Schritt vor Dean zurückweichen, der das Handy in seiner Hand inzwischen so wütend anstarrte, als wollte er es durch bloßen Blickkontakt zum Explodieren bringen.

"D-Dean?"

Statt einer Antwort schleuderte Dean das kleine Elektrogerät gegen die nächste Wand, wo es ohne Widerstand zerschellte und in viele kleine Teile auf den Gummibaum rieselte.

Nun war sie wirklich beunruhigt!

"Dean?!" Delilah wagte nicht, sich ihm zu nähern, so aufgebracht wie er plötzlich war. Vor Zorn atmete er heftig ein und aus, während er am ganzen Leib zitterte und seine geballten Fäuste drohten, jeden Moment auf irgendetwas einzuschlagen. Sie hatte ihn noch nie so wütend gesehen.

"Ich werde sie umbringen." Seine Stimme war nur noch mühsam beherrschter Zorn, während er aufgebracht durch den Raum tigerte. "Sollte sie mir je noch einmal unter die Augen treten, werde ich sie restlos ausweiden, das schwöre ich!"

Daran hatte Delilah keinen Zweifel. Auch dann nicht, als Dean im nächsten Moment zu schwanken begann und sich an James' Kleiderschrank abstützen musste, um nicht umzukippen. Dieses Mal war sie sofort bei ihm, um ihn zu stützen. Er sah noch blasser aus als zuvor. Kein Wunder. Er hatte James von seinem eigenen Blut gegeben, wie stark er auch war, es hatte ihn mit Sicherheit geschwächt. Laut Young sollte er sich eigentlich nicht so viel bewegen, sondern sich viel mehr ausruhen.

"Dean… Bitte… Setz dich … wieder…" Mit aller Kraft drängte sie Dean zur Bettkante und zwang ihn dazu, sich neben seinem Bruder niederzulassen. Es wäre ihr zwar bei weitem lieber gewesen, wenn er sich in sein eigenes Bett legen und eine Weile schlafen würde, doch das konnte er vermutlich genauso wenig wie sie selbst. Der Schock saß ihnen beiden noch zu tief in den Knochen. Außerdem wollte keiner von ihnen James alleine lassen. Also blieben sie.

Deans Wut verrauchte zwar nicht endgültig, doch nach einer Weile begann er sich wieder voll und ganz auf seinen Bruder zu konzentrieren, in dem er sich neben ihn ausstreckte und ihm leise Worte ins Ohr flüsterte, während seine Finger unablässig durch James' Haar strichen. Zumindest das schien ihn wieder halbwegs zu beruhigen und wenn sie es sich nicht völlig einbildete, schien auch James' Atmung dadurch noch eine Spur entspannter zu werden.

Delilah wollte diesen zerbrechlichen Moment geschwisterlicher Zuneigung nicht stören, weshalb sie lautlos zu dem Stuhl hinüber humpelte und sich schwer darauf niederließ. Sie wagte noch nicht einmal, James' Hand zu nehmen. Denn dieser Moment gehörte ganz alleine den beiden Brüdern, während sie sich mit der Frage beschäftigte, was Dean wohl noch alles im Handy seines Bruders gefunden hatte?

35. Kapitel

Dem stetigen Tröpfeln der Infusion zuzuschauen war auf eine verdrehte Art und Weise beruhigend. Delilah war in den vergangenen Stunden tatsächlich mehrmals vor purer Erschöpfung eingedöst, nur um immer wieder hochzufahren und beinahe panisch nach James' Atembewegungen zu sehen. Erst als sie auch noch seinen kräftigen Puls an der Hand spürte, konnte sie sich wieder beruhigt in dem unbequemen Sessel zurücksinken lassen und weiter dem Tröpfeln zusehen.

Es fiel ihr viel zu schwer, ihren Blick länger als nötig auf James zu richten.

Sie konnte zwar die schrecklichen Bilder seines Überlebenskampfes nicht vergessen, aber es fiel ihr zumindest ein bisschen leichter, sie zur Seite zu schieben, wenn sie ihn nicht so schwer verletzt im Bett liegen sah.

Dean hatte hingegen weniger Probleme mit dem Schlafen gehabt, was vielleicht daran gelegen haben mochte, dass er dabei ständigen Körperkontakt zu seinem Bruder gehabt hatte und somit vielleicht instinktiv gewusst hatte, wenn etwas nicht in Ordnung gewesen wäre.

Was sich vor knapp einer halben Stunde allerdings geändert hatte, als sein Vater nach Hause gekommen war, um ihn zu wecken, damit er alleine mit seinem Sohn reden konnte.

Worüber – da musste Delilah nicht einmal spekulieren. Der Name Nadine fiel mehrmals, vor allem wenn Elijas Stimme einmal wieder lauter wurde, denn das Gespräch schien der Tonlage nach zu urteilen, immer mehr in einem Streit auszuarten.

Also keine guten Nachrichten. Irgendwie hatte Delilah das auch nicht erwartet.

Ihr schweres Seufzen verursachte ein unangenehmes Kratzen in ihrem Hals. Sie versuchte an dem Schmerz in ihrer Kehle vorbei zu schlucken und strich sich dabei vorsichtig über die wunde Haut, während sie überlegte, ob sie noch ein Glas Wasser trinken sollte. Doch wirkliche Linderung verschaffte es ihr nicht. Also richtete sie ihren Blick und ihre Gedanken lieber wieder kurz auf James, um sich von dem Gefühl abzulenken und dann auf den-

Er sah sie aus klaren, goldbraunen Augen an.

Der Schreibtischsessel rollte beinahe unter ihrem Hintern weg, als sie sich vor Überraschung hastig aufrichtete. "James! "

Sofort bereute sie ihren Enthusiasmus und verzog für einen Moment gequält das Gesicht, bis der Schmerz seine Fänge etwas aus ihrer Kehle zog und sie wieder richtig atmen konnte.

"De…li…", murmelte James leise mit schwacher Stimme und befeuchtete sich mühsam die trockenen Lippen. Er versuchte sich umzuschauen, vermutlich um sich besser orientieren zu können, doch der dicke Verband um seinen Hals hielt ihn auf, so dass er sich wieder auf ihr Gesicht und dann auf ihre Kehle konzentrierte, die inzwischen alle möglichen Farben angenommen hatte. Von einem dunklen, fast schwarzen Lila angefangen, über ein leuchtendes Rot bis hin zu verschorften Kratzern war alles dabei.

Delilah kümmerte sich nicht weiter darum, sondern schenkte James stattdessen hastig Wasser ein. Sie nahm das Glas und führte es langsam an seine Lippen. Dabei legte sie eine Hand an seinen Hinterkopf und half ihm vorsichtig dabei, sich ein kleines Stück aufzurichten, damit er besser trinken konnte. Viel brachte er nicht hinunter, bevor es ihn zu sehr erschöpfte, aber wenigstens war seine Stimme nun schon etwas kräftiger. "Danke."

Delilah ließ sich wieder auf dem Sessel neben ihm nieder und konnte nun gar nicht mehr den Blick von seinem wachen Gesicht nehmen. Sie war so unendlich froh, dass er sie überhaupt wieder anschauen konnte.

Eigentlich sollte sie ihre Stimme schonen, immerhin schmerzte das Sprechen auch ziemlich, doch statt auf Young und die Schmerzen zu hören, trank Delilah das restliche Wasser aus und stellte dann das leere Glas zur Seite, ehe sie vorsichtig James Hand mit dem Zugang im Handrücken ergriff, die daraufhin schwach ihre Finger drückte, was ihr ein trauriges und glückliches Lächeln zugleich abrang. "Wie fühlst du dich? "

James Mund verzog sich zu einer Grimasse, die sie einen Augenblick später als winziges Lächeln identifizierte. "Voll … beschissen. Und du?"

"Auf jeden Fall besser … als du dich…", gab sie ehrlich zu, verschwieg ihm jedoch, dass sie damit nur ihr körperliches Gebrechen meinte. Denn in ihrem Inneren wurde sie von ihrer Schuld immer weiter aufgefressen.

"Und das Baby?" James versuchte sich erneut etwas weiter aufzurichten, woraufhin ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich, während ihm ein schmerzvolles Stöhnen entkam.

"Nicht! " Sofort war Delilah bei ihm, berührte ihn vorsichtig an der unverletzten Schulter und drückte ihn mit sanfter Gewalt wieder zurück in die weichen Kissen.

"Du musst … liegen bleiben. " Delilah setzte sich direkt neben ihn, damit er sie leichter ansehen konnte.

Als er sich wieder gefangen hatte, nahm sie erneut behutsam seine Hand und legte sie schließlich langsam auf ihren Bauch, damit er die kleine Rundung spüren konnte. Allerdings entging ihm sicher das Prickeln darunter. Dafür war das Baby einfach noch zu klein.

"Siehst du? Alles … in Ordnung. " Wieder lächelte sie, doch dieses Mal konnte Delilah das verräterische Glänzen in ihren Augen nicht verhindern. "Dank dir, James. Du hast uns … das Leben gerettet…"

Vollkommen auf das Gefühl unter seinen Fingern konzentriert, bewegte James seine Hand zögerlich ein Stück weit über die Rundung ihres Bauches und schien sie dabei gar nicht gehört zu haben. Seine Lippen verzogen sich dabei zu einem sanften, entspannten Lächeln, während er die Augen schloss und das Gefühl tief in sich aufsaugte.

Die Wärme, die er dabei an sie abgab, kroch direkt von ihrem Bauch ausgehend in ihr Herz und brachte es wild zum Schlagen, während Delilah bewusst wurde, dass das für ihn das erste Mal sein musste, dass er ihr gemeinsames Baby berührte.

Tiefe Schuld begann ihre Schultern erneut niederzudrücken, da sie es James nicht schon viel früher gestattet hatte und es um ein Haar auch nie dazu gekommen wäre. Er hätte sterben können, ohne je sein Baby berührt zu haben, für das er sogar bereit gewesen war, sein Leben zu geben.

Delilah wandte rasch den Blick ab und wischte sich unauffällig über die Augen, bevor sie sich langsam James' Hand entzog und aufstand.

"Ich werde dann mal … die Anderen holen. " Hoffentlich konnte man ihrer ohnehin angegriffenen Stimme nicht anhören, dass sie kurz davor war, laut los zu schluchzen. Sie wollte James nicht auch noch damit belasten.

"Deli, warte!"

Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht um, während die Welt vor ihren Augen verschwamm und ihre Wangen heiß wurden.

"Wie schlimm war es?"

Einfach unerträglich, hallte es laut durch ihr Herz und ihre Gedanken. "Ich ... hol die Anderen! "

Delilah verließ beinahe fluchtartig das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Im Flur lehnte sie sich für einen Moment mit der Stirn gegen die Wand und sammelte all ihre innere Kraft, die sie noch aufbringen konnte, um nicht endgültig zu einem Häufchen Elend zu zerfallen.

Als sie Deans laute Stimme hörte, wischte sie sich noch einmal über das Gesicht und versuchte tiefer durchzuatmen und das Hicksen runter zu schlucken, das ihr im Hals steckte. Den Streit hatte sie schon ganz vergessen.

"Scheiß auf die Regeln! Das Miststück hat sich auch einen Dreck darum geschert!" Irgendeine Tür wurde gewaltsam zugeschlagen.

"Darum wurde sie auch bestraft." In Elijas Stimme schwang unterdrückte Wut mit, dennoch hielt er sich zurück, was man von seinem Sohn nicht gerade behaupten konnte. Dean ließ einen ganzen Schwall an Flüchen los.

"Sie hätte J fast umgebracht! Ich werde einen Dreck tun und ihr das einfach so durchgehen lassen!" Dean stürmte aus dem Wohnzimmer, die Schlüssel zu seinem Pick-up in der einen und ein langes Jagdgewehr in der anderen Hand

Plötzlich tauchte sein Vater hinter ihm auf, packte ihn am Kragen, riss ihm das Gewehr aus den Fingern und stieß ihn mit dem Rücken an die Wand.

Sofort wollte sich Dean dagegen auflehnen, doch ein warnendes Knurren ließ ihn innehalten.

"Du wirst ihr NICHT nachfahren und sie auch NICHT umbringen. Hast du mich verstanden?" Der beherrscht ruhige Tonfall war erschreckender, als es jede Drohung hätte sein können. Sogar Delilah stellten sich die Nackenhaare zu Berge.

"Ob du mich verstanden hast?"

Vater und Sohn duellierten sich mit Blicken. Dean war immer noch erregt genug, dass man ihm zutrauen würde, seinen eigenen Vater über den Haufen zu rennen. Elija sah das ebenfalls und verstärkte seinen Griff.

"Sei kein Narr. Wenn du sie jetzt umbringst, gibst du dem Rudel das Recht, dich wie Freiwild zu jagen und ebenfalls abzuknallen. Selbstjustiz wird dich nicht weit bringen."

"Aber-" Deans Blick ging an Elija vorbei und traf den von Delilah. Bei ihrem Anblick schien jegliche Gegenwehr sofort in ihm zusammenzubrechen, so dass er damit auch die Aufmerksamkeit seines Vaters auf sie zog.

Harsch befreite er sich aus dessen Griff und kam ans Fußende der Treppe. "Ist etwas mit-?" Er stockte.

Sofort schüttelte Delilah den Kopf. Deans bangem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, rechnete er mit dem Schlimmsten. "Er ist wach. "

"Wirklich?" Seine Miene hellte sich schlagartig auf und er kam die Treppe hoch gerannt.

Delilah nickte und ließ sich kurz in eine stürmische Umarmung ziehen, ehe Dean auch schon weiter rauschte, um nach seinem Bruder zu sehen. Sie selbst humpelte langsam und würdelos unter Elijas Blick die Treppe hinunter und an ihm vorbei in Richtung Küche, ohne einmal hochzublicken. Stattdessen stellte sie einen großen Topf mit Wasser auf den Herd, zog ein dickes Buch aus einem der Regale unter der Theke hervor und blätterte es durch, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Danach begann sie Gemüse aus dem Kühlschrank auf der Arbeitsfläche auszubreiten.

"Ist es nicht etwas spät zum Kochen?" Elija betrat den Raum und ging zu dem breiten Schrank hinüber, der in einer Ecke neben dem großen Flachbildfernseher stand.

Als er eine der Türen öffnete, konnte Delilah darin einen langen Metallkasten mit einem Tastenschloss daran erkennen, der einen Blick auf weitere Gewehre frei gab, nachdem Elija den richtigen Code eingegeben hatte.

Bevor er das Jagdgewehr jedoch an seinen Platz zurück stellte, musste er es erst entladen und sichern. Dean war es also wirklich ernst damit gewesen, Nadine einfach zu erschießen.

Ein Gewehr wäre so viel besser als ein Messer gewesen…

"Eine richtig gute … stärkende Suppe kann … bis zu 8 Stunden lang … dauern. Im Moment wird James ... Mühe haben, etwas Festes ... hinunter zu bekommen. ", beantwortete Delilah endlich die Frage des alten Werwolfs, um nicht länger über das Was-wäre-Wenn nachzudenken. Es hätte ohnehin nichts gebracht, außer dass sie vermutlich nicht einmal mehr die Kraft dazu gehabt hätte, die Kartoffeln zu schälen und zu schneiden. Es war auch so schon schwer genug, sich mit dem Kartoffelschäler nicht selbst zu verletzen, so stark zitterten ihre Finger.

Elija schloss den Schrank wieder und kam zu ihr herüber. Warum er nicht sofort zu seinem Sohn ging, war ihr ein Rätsel, stattdessen sah er ihr bei der Arbeit zu.

"Ich habe dir Unrecht getan.", begann er nach einer Weile das Schweigen zu durchbrechen. "Als ich dich so voreilig für James' Zustand verantwortlich gemacht habe. Dafür muss ich mich entschuldigen."

Erstaunt sah Delilah von der Zwiebel hoch, die sie gerade hatte schälen wollen und begegnete den graublauen Sturmaugen von Elija. Gerade in diesem Augenblick machten sie ihr einmal keine Angst. Noch merkwürdiger war jedoch, dass sie tiefe Aufrichtigkeit in dem harten Ausdruck erkennen konnte.

Er meinte, was er sagte.

Langsam senkte Delilah wieder den Blick; konnte ihm einfach nicht länger in die Augen sehen und schüttelte schwach den Kopf. "Er hat mich … verteidigt. Es ist … meine Schuld. "

"Er hat getan, was jeder anständige Werwolf für seine Familie getan hätte. Dich trifft dabei keine Schuld. Ganz im Gegenteil. Das was du geschrieben hast und Young mir erzählt hat, ist für mich Beweis genug dafür, dass er ohne deinen Einsatz dort draußen einfach auf meiner Veranda gestorben wäre und das werde ich dir nie vergessen."

Es musste am Schock liegen. Also nicht an ihrem, sondern an seinem. Anders konnte Delilah es sich nicht erklären, dass Elija so mit ihr sprach. Geistige Umnachtung. Das musste es einfach sein.

Bestimmt würde er morgen schon wieder anders darüber denken. Besser sie sagte jetzt nichts weiter dazu. Ihre Kehle fühlte sich ohnehin schon so wund an, als hätte sie mit Reisnägeln gegurgelt. Sie sollte sich also langsam wirklich an Youngs Rat halten und mit dem Reden aufhören. Bei dem alten Werwolf fiel ihr das auch nicht wirklich schwer.

Zum Glück stieß Elija sich schließlich von der Theke ab und ließ sie endlich alleine, um nach seinem Sohn zu sehen.

Endlich waren die McKenzie-Männer wieder vereint und sie stand hier alleine in der Küche und kochte Suppe.

Vielleicht kam die Welt der Drei doch langsam wieder in Ordnung.

Delilah wünschte es sich zumindest aus ganzem Herzen, während sie die Zwiebel klein schnitt und der scharfe Geruch ihre Augen heftig tränen ließ.
 

„Deli“

Jemand berührte sie sanft an der Schulter. Den Geruch konnte sie nicht erkennen. Sie hatte immer noch den Gestank des Putzmittels in der Nase, mit dem sie den Esstisch abgerieben hatte und dem sie einige Blasen an den Fingern verdankte.

„Delilah, wach auf.“

Total erschlagen rollte sie sich noch enger zusammen und nuschelte leise: „Supp...scho...fer...ig?

„Was?“

„Sie hat gefragt, ob die Suppe schon fertig ist. Wird aber noch ein paar Stunden dauern.“

„Ah, okay.“

Die Hand glitt von ihrer Schulter, schob sich unter ihren Rücken und den Kniekehlen durch, ehe sie vorsichtig von der Couch hochgehoben wurde. Die Bewegung riss sie weiter aus dem Schlaf und ließ sie kurz verschlafen blinzeln. „Dean?

„Schon gut, Deli. Schlaf weiter. Ich bring dich nur ins Bett.“

„Hm...“ Ihr Kopf sank wieder schwer gegen seine Halsbeuge. Bett klang wirklich gut, vor allem da sie schon wieder eingeschlafen war, bevor Dean das Ende der Treppe erreicht hatte.
 

Scharfe Klauen schlugen sich brutal in ihre Kehle; zerrten daran und drückten immer erbarmungsloser zu.

Innerhalb weniger Herzschläge fühlte sich ihr Kopf so an, als wäre er eine heiße, sich ausdehnende Masse, die jeden Augenblick mit gewaltiger Macht explodieren würde.

Am Schlimmsten fühlte sich jedoch ihre Lunge an. Von jeder Sauerstoffzufuhr abgetrennt, bäumten sich ihre Lungenflügel in wilder Verzweiflung dagegen auf, schrien nach Luft, während sie sich wüst in ihrer Brust gebärdeten.

Als es sie endgültig zu zerreißen drohte, fuhr Delilah mit einem erstickten Schrei aus dem Schlaf hoch und sog völlig panisch Luft durch ihre brennende Kehle in ihre nach Sauerstoff lechzenden Lungenflügel.

Kalter Schweiß bedeckte ihren ganzen Körper. Ihr dünnes Top klebte klatschnass auf ihrer Haut und sie zitterte so heftig, dass ihre Zähne immer wieder einmal aufeinander schlugen.

Erst als Delilah vor Angst zu Hyperventilieren drohte und ihr bereits schwarze Flecken vor den Augen tanzten, zwang sie sich mit aller Gewalt dazu, ruhiger und tiefer einzuatmen, um wieder ein Stück weit auf den Boden der Realität zurückzukehren.

Dennoch sah sie sich gehetzt und angstvoll in dem dunklen Zimmer um, konnte sie doch nur das Rauschen ihres eigenen Blutes und das wilde Pochen ihres Herzens hören, während ihr aus jeder schwarzen Ecke des Raumes Gefahr entgegen zu springen schien, bis sich ihre Augen endlich an die Dunkelheit angepasst hatten..

Da war niemand. Das Zimmer war leer und sie alleine.

Hastig kämpfte Delilah sich aus der Bettdecke, die sich im Schlaf wie eine Fessel um ihren Körper gewickelt hatte und fiel dabei fast aus dem Bett. Ihre weichen Knie konnten sie kaum tragen, als ihre bandagierten Füße endlich den kalten Boden berührten und sie vorsichtig aufstand

Als sie eilig aus ihrem Zimmer lief, hatte sie immer noch den Alptraum im Nacken sitzen, dessen Fühler sich auch noch eisigkalt ihren Rücken hinab schlängelten.

Im ebenso verlassenen Flur blieb sie kurz unschlüssig stehen, ehe sie weiter auf Deans Zimmer zu ging, obwohl sich ihr ganzer Körper gegen jede noch so kleine Bewegung zu sperren schien. Am liebsten hätte Delilah sich auf dem Boden zusammengekauert, angstvoll gewinselt und sich gar nicht mehr gerührt. Doch auch das konnte sie nicht.

Deans Zimmer war ebenfalls leer.

Schlief sie denn etwa immer noch und musste nun in ihrem Alptraum durch ein verlassenes Haus irren, immer auf der Suche nach jemandem bei dem sie sich vor ihren Dämonen verkriechen konnte?

Nein, verdammt! Mach dich nicht verrückt!

Dean war bestimmt bei seinem Bruder. Also überquerte Delilah rasch den Flur und blieb vor James’ Zimmertür stehen. Sie war geschlossen und weil James vermutlich schlief, da es immer noch mitten in der Nacht war, wollte sie nicht anklopfen. Also öffnete Delilah kurzerhand leise die Tür einen Spalt breit und blickte hinein.

Dean schlief auf einem der Couchsessel, den er wohl bequemer fand, als den Schreibtischstuhl und sogar eine ausklappbare Fußstütze besaß.

Delilah wollte bei seinem Anblick beinahe vor Erleichterung zusammenbrechen. Sie war also doch nicht mutterseelenalleine in diesem Haus!

Eine Diele knarrte leise unter ihren Füßen, als sie einen Schritt in das Zimmer trat, woraufhin Dean sofort aus seinem Schlaf hochzuckte. Er richtete seinen Blick sofort auf James. Erst als er sich sicher war, dass es seinem Bruder gut ging, schaute er sich im Raum um, bis seine Augen an ihr hängen blieben.

„Deli?“ Gähnend streckte er sich für einen Moment lang ausgiebig, ehe er sie etwas wacher anblickte. „Wieso bist du nicht im Bett?“

Weil du nicht dort bist, beantwortete sie in Gedanken seine Frage, brachte aber keinen Laut über ihre bebenden Lippen. Stattdessen kam sie langsam mit immer noch rasendem Herzen näher.

Als Dean sie nun deutlicher erkennen konnte, wurde sein Gesicht mit einem Schlag ernst und er richtete sich gerade im Sessel auf. „Alles in Ordnung mit dir?“

Delilah schüttelte schwach den Kopf und dann noch einmal sehr viel deutlicher. Bevor sie sich selbst der Bewegung bewusst wurde, stand sie auch schon bei Dean und kletterte vorsichtig zu ihm auf den breiten Sessel, um sich auf seinem Schoß und gegen seine warme Brust gelehnt zusammen zu rollen.

Erst als sie seine Wärme zu spüren begann und sein ihr so vertrauter Duft ihre Nase erfüllte, wagte sie etwas von ihrer Anspannung loszulassen. Sofort begann es ihren Körper noch stärker durchzuschütteln.

„Verdammt, Deli! Hast du eine Waschmaschine im Schleudergang verschluckt?“ Deans Arme schlossen sich auf der Stelle um ihren bebenden Körper, hüllten sie in vertraute Wärme und gaben ihr zugleich das Gefühl, vollkommen sicher zu sein.

Delilah wollte über Deans Aussage lächeln, stattdessen schmiegte sie ihr Gesicht gegen seine Brust und begann zu weinen. Erst lautlos, als vereinzelte Tränen ihre Wange hinab liefen, doch als Dean ohne ein weiteres Wort zu sagen, auch noch durch ihr Haar und über ihren Rücken streichelte, brach die mühsam errichtete Mauer in ihr endgültig. Sie konnte sich einfach nicht mehr länger zusammenreißen.

Es schüttelte sie heftig, während ein leiser Schluchzer den nächsten jagte, bis sie schon befürchtete, mit ihrem Hicksen James aufzuwecken, doch das passierte nicht. Auch nicht als Dean hilflos auf sie einzureden begann.

Delilah verstand ihn nicht wirklich, fühlte sich aber unter dem leisen Raunen seiner Stimme behütet, wie lange nicht mehr, was sie sogar noch mehr zum Weinen brachte.

Um die Laute zu dämpfen, vergrub sie ihr Gesicht endgültig an seiner Brust, so dass ihr nicht nur ihr eigener Atem heiß entgegen schlug, sondern sie auch noch den Stoff seines Shirts vollkommen durchnässte. Nicht nur mit ihren Tränen, wie ihre laufende Nase ihr unangenehm mitteilte, aber es schien Dean nicht weiter zu kümmern.

Es dauerte lange, bis ihre Tränen zu versiegen begannen. Aber nicht etwa, weil sie keine mehr gehabt hätte, oder Delilah sich endlich hatte beruhigen können, nein, es war die pure Erschöpfung, die sie am Ende zur Ruhe zwang.

Inzwischen war Dean dazu übergegangen, sein Gesicht gegen ihr Haar zu schmiegen und nur noch mit den Daumen sanft über ihren Nacken und ihre Seite zu streicheln, während seine Arme immer noch wie eine schützende Decke um ihr lagen.

Hätte sie nicht permanent diese kleinen Streicheleinheiten gespürt, sie hätte angenommen, er wäre am Ende eingeschlafen. Doch Dean sah sie besorgt an, als Delilah langsam ihre Wange von dem nassen Stoff löste, den Kopf in den Nacken legte und zu ihm hochblickte.

"Sagst du mir jetzt, was los ist?", flüsterte er so leise, als hätte er Angst, jeder andere Tonfall könnte sie sofort wieder in Tränen ausbrechen lassen.

Delilah wusste nicht, was sie ihm antworten sollte.

Es gab so Vieles, was sie völlig fertig machte und vielleicht auch ein kleines Bisschen ihre Hormone. Aber allen voran belastete die Sache mit James sie und dass er ihr beinahe unter den Händen weggestorben wäre, weil er sie mit seinem Leben verteidigt hatte, obwohl sie ihn ziemlich beschissen behandelt hatte, wenn sie länger darüber nachdachte.

Dann war da auch noch dieser Alptraum, der sie auf erschreckend klare Art und Weise wieder in die Vergangenheit zurückversetzt hatte, zu genau jenem Zeitpunkt als Nadine ihr und ihrem Baby gerade das Leben aus dem Leib quetschen wollte.

Ich wünschte, sie wäre tot. “, war schließlich ihre einzige Antwort, ehe sie ihren Kopf wieder schwer auf Deans Brust legte und die brennenden Augen schloss. Sie war so verdammt fertig.

„Irgendwann kommt der Tag-", begann Dean leise, aber mit fester Stimme: "-an dem sie für all das büßen wird."

Delilah hatte keine Zweifel daran und selbst wenn es nie soweit kommen sollte, in diesem Augenblick war sie einfach nur froh, Dean bei sich zu haben. Er gab ihr Halt und das Gefühl von Sicherheit. Bisher hatte das keiner der Männer zusammengebracht, mit denen sie so etwas wie eine Beziehung gehabt hatte. Es bedeutete ihr dafür umso mehr.

Eine Weile später schaffte sein beruhigender Herzschlag es sogar, sie wieder einschlafen zu lassen und dieses Mal blieb sie von weiteren Alpträumen verschont.

36. Kapitel

„...ging schon mal besser. Und du? Siehst nicht gerade ausgeschlafen aus. Dabei hab ich dir gesagt, dass du nicht hier zu bleiben brauchst.“

„Aber wenn was gewesen wäre, dann wäre es meine Schuld gewesen. Das lasse ich mir sicher nicht nachsagen.“ Die Worte klangen ganz nach einem aufkommenden Streit, doch der beinahe sanfte Tonfall darin milderte diesen Eindruck deutlich.

Delilah drehte sich vollkommen verschlafen auf der warmen Unterlage herum und bettete mit einem erschöpften Seufzen ihren Kopf auf Deans Schulter. Als sie wieder still lag, legte er seine Arme wieder um sie.

„Seit wann ist sie eigentlich hier?“ James hörte sich ungefähr genauso kaputt an, wie sie sich fühlte.

„Keine Ahnung. Es war aber noch nicht hell draußen.“ Dean gähnte einmal ausgiebig. Sie hätte ihn schlafen lassen sollen. Immerhin war er so schon total wachsam bei jedem noch so kleinen Geräusch. Mit ihr auf dem Schoß musste er ständig hoch geschreckt sein. Delilah hatte trotz seiner Nähe nicht besonders ruhig geschlafen.

„Meinst du, es geht ihr gut? Ich meine, ihr Hals sieht wirklich übel aus und man versteht sie kaum beim Sprechen.“ Nun klang James auch noch besorgt.

„Wenn’s nur das wäre!“ Deans Finger fuhren sanft durch ihr Haar. Es fühlte sich gut und beruhigend an.

„Ist denn noch etwas mit ihr? Vielleicht was mit dem Baby?“, hakte James sofort nach.

„Ich denke, sie-“

„Es geht mir gut.“ Delilah schlug mühsam die Augen auf und obwohl man sie immer noch nicht sehr gut verstand, war ihre Stimme doch schon kräftiger und ihr Hals schmerzte nach den wenigen Stunden Schlaf auch schon deutlich weniger.

„Du bist ja wach.“, stellte Dean überflüssiger Weise fest.

„Mhm.“ Langsam, um ihre Hände nicht zu fest irgendwo gegen Deans Körper zu pressen, wo sie nicht hingehörten, veränderte sie ihre Position und glitt dann von seinem Schoß, um sich kurz und auf wackeligen Beinen zu strecken.

„Wie fühlst du dich?“, wollte sie an James gewandt wissen. Sein Wohlergehen war hier vor allen anderen am Wichtigsten, immerhin konnte sie wenigstens aufrecht stehen.

„Geht so. Aber ich müsste langsam mal wohin.“ Er räusperte sich und wandte sich dann an seinen Bruder. „D, kannst du mir vielleicht ins Bad helfen?“

„Vergiss es, Mann. Young hat geraten, dich die nächsten Tage so wenig wie möglich zu bewegen. Allein schon wegen der Infusion mit dem Schmerzmittel solltest du hier bleiben, wenn wir das Teil nicht umständlich mitschleppen wollen.“

„Das ist doch nicht dein Ernst? Soll ich etwa gleich hier ins Bett machen, oder wie stellst du dir das vor?“ James sah alles andere als erfreut über diese Nachricht aus.

„Natürlich nicht. Young hat extra ein kleines Präsent für dich hier gelassen.“ Was auch immer es war, es zauberte Dean ein Schmunzeln auf die Lippen. Wenn auch nur ein ganz kleines.

Delilah sah ihn ebenfalls nur ratlos an, bis er so etwas wie eine seltsam geformte Plastikflasche unter dem Bett hervorzauberte und ihre Augen groß wurden.

„Da mach’ ich sicher nicht rein!“, protestierte James umgehend, als er erkannte, was sein Bruder da in der Hand hielt.

„Entweder du machst da rein oder Young verpasst dir einen Blasenkatheter. Kannst es dir gerne aussuchen.“, gab Dean ungerührt zurück und wurde wieder ernst. Sein Standpunkt war klar definiert und daran ließ sich auch nicht rütteln.

James wirkte noch bestürzter, als ohnehin schon und auch Delilahs Stirn legte sich in Falten, als ihr bewusst wurde, was genau das für ihn bedeuten würde.

„Du meinst, er schiebt mir einen Schlauch in meinen...?“

Dean nickte vielsagend. „Jupp. Wenn dir das lieber ist.“

„Gib schon her das Teil!“ Obwohl es ruppig klang, konnte James seine Hand nur ein Stück weit hochheben, ehe sie auch schon wieder kraftlos zurück auf die Decke fiel.

„Scheiße.“ Er atmete einmal tief durch und stieß ein frustriertes Seufzen aus. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, dass er so schwach sein würde. Der Gang ins Bad hatte sich damit endgültig erledigt und nun war sein Tonfall hörbar betroffen und zurückhaltend: „Könntest du mir vielleicht dabei helfen, D?“ Es musste ihm ziemliche Überwindung gekostet haben, das zu sagen, denn James konnte Dean nicht einmal dabei ansehen.

Der trat ohne zu zögern näher ans Bett heran und sah mitfühlend seinen Bruder an. „Klar, Mann. Kannst dich doch auf mich verlassen.“ Auch sein Tonfall war nun gedämpft.

Bevor einer der beiden etwas sagen konnte, war Delilah auch schon aus dem Zimmer verschwunden und schloss leise die Tür hinter sich. Es musste für James auch so schon peinlich genug sein. Aber wenigstens hatte er seinen Bruder.

Zumindest darüber konnte Delilah froh sein, während sie langsam die Treppe hinunter humpelte, um nach dem Zustand der Suppe zu sehen, die sie eigentlich für James hatte kochen wollen.

Unten angekommen sah sie erstaunt auf die provisorisch reparierte Eingangstür. Elija musste sie wohl notdürftig zusammengezimmert haben. Wann er die Zeit dafür hergenommen hatte, blieb ihr dabei aber ein Rätsel.

Die Tür hing zwar etwas armselig in den Angeln und auch das Glas der Scheibe fehlte, aber bis sie eine neue Tür hatten, würde es auf alle Fälle gehen, zumal sie Sommer hatten und Regen vermutlich noch eine ganze Weile auf sich warten ließ.

In der Küche angekommen sah Delilah, dass der alte Werwolf auch an ihre Suppe Hand angelegt haben musste. Denn es lag bereits ein wirklich aromatischer Duft in der Luft und auch der Topf stand nicht mehr auf der gleichen Herdplatte, wo sie ihn hingestellt hatte. Vermutlich damit die Suppe auf kleiner Stufe heiß blieb, aber nicht mehr vor sich hin kochte.

Trotzdem etwas skeptisch probierte Delilah vorsichtig und musste erstaunt feststellen, dass die heiße Brühe wirklich unglaublich gut schmeckte, obwohl noch etwas Salz fehlte, das man für gewöhnlich erst kurz vor dem Verzehr hinzu gab. Zumindest dem Rezept aus dem Kochbuch nach zu entnehmen.

Während Delilah ein Tablett herrichtete und die Suppe für James in eine kleine Schüssel goss, sah sie ab und zu aus dem Küchenfenster, da offenbar ein reger Andrang in der Werkstatt herrschte, so viele Autos wie dort in der Einfahrt standen.

Delilah würde es nicht wundern. Gestern war alles einfach stehen und liegen gelassen worden. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob Dean oder sein Vater dazu gekommen waren, die Termine für heute abzusagen.

Zum Glück hatte sie das Blut von der Veranda entfernt...

Delilah beneidete Elija in diesem Moment wirklich kein Bisschen. Sie hätte momentan absolut keinen Kopf für die Arbeit gehabt. Froh darüber, dass sie sich voll und ganz auf James konzentrieren konnte, machte sie auch noch frische Limonade, damit er ein paar zusätzliche Vitamine abbekam. Inzwischen dürften die beiden auch mit allen privaten Angelegenheiten fertig sein.
 

Das Tablett unter scharfer Beobachtung versuchte Delilah es ruhig zu halten, während sie mit dem Ellenbogen die Tür aufzubekommen versuchte. Ein unmögliches Unterfangen bei einem Türknauf.

Zum Glück kam ihr Dean zu Hilfe und machte die Tür für sie auf. Er nahm ihr auch gleich das Tablett aus den Händen, als er sah, wie voll beladen es war.

„Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte dir doch beim Tragen helfen können.“

Delilah schenkte ihm nur ein dankbares Lächeln. Besser als sich mit ihm darüber zu streiten, dass sie zwar schwanger, aber kein Invalide war. „Dein Dad verlangt übrigens nach dir. Ich glaube, es geht um eure Kunden.“

Dean stellte das Tablett auf James’ Nachttischchen ab, nachdem sie dafür Platz gemacht hatte. Die Neuigkeit schien ihn nicht besonders zu erfreuen.

„War ja klar, dass die uns schon nach einem Tag die Tür einrennen. Vielleicht sollten wir uns gleich gar keine neue besorgen.“ Er schnaubte und wandte sich dann an James. „Brauchst du noch was, oder kann ich euch beide allein lassen?“

James’ Blick huschte kurz zu Delilah hinüber, ehe er seinem Bruder ein kleines Lächeln schenkte. „Geh nur. Ich bin gut versorgt.“

Dean nickte, hauchte Delilah beim Vorbeigehen noch einen Kuss auf die Lippen und ließ sie dann alleine.

Für einen Moment lang herrschte so etwas wie ein peinlich berührtes Schweigen, bis James sich leise räusperte und auf die Suppenschüssel zu schielen versuchte, da er den Kopf nicht sehr weit drehen konnte. „Ist die für mich?“

„Ja.“ Delilah trat neben das Bett und überlegte, wie es für James wohl am Leichtesten gehen würde, damit er sie auch essen konnte.

„Selbst gekocht?“

Sie nickte einmal zur Bestätigung. „Ich habe sie auch schon probiert und lebe noch. Also keine Angst. Ich hab nicht vor, dich damit zu vergiften.“

„Hätte ich jetzt auch nicht angenommen. Immerhin hast du Talent.“

„Das und dein Kochbuch.“ Ihr Lächeln wurde breiter, ehe sie zu überlegen begann.

So wie James da im Bett lag, würde er eher an der Suppe ersticken, als dadurch satt zu werden.

„Denkst du, du hältst es aus, wenn wir dich etwas weiter aufsetzen?“ Ihr Blick blieb kurz am Infusionsbeutel hängen. Allzu viel Flüssigkeit war nicht mehr drin. Sobald der Beutel leer war, würde James auch wieder deutlicher mit seinen Schmerzen zu kämpfen haben.

„Ich denke schon.“ Seine Antwort riss sie wieder aus ihren Überlegungen.

„Gut, dann...“ Hm... Was jetzt?

Delilah zögerte kurz, ehe sie sich über James beugte, seinen gesunden Arm nahm und ihn sich vorsichtig um ihren Nacken legte.

„Halt dich so gut fest, wie du kannst und gib Bescheid, wenn ich dir irgendwie wehtue.“

„Okay.“

Es war gar nicht so einfach, an James eine Stelle zu finden, an der sie ihn gefahrlos anfassen und hochziehen konnte. Die Schulter, die ausgerenkt worden war, schied schon einmal aus und auch sein Nacken, da er dort immer noch dick mit einem Verband umwickelt war und Delilah nicht riskieren wollte, dass seine Nähte aufgingen. Viel blieb also nicht mehr übrig.

Kurz entschlossen packte sie ihn einfach an der gesunden Schulter und ein Stück seinen Rücken hinab, während sie dabei versuchte, seine verletzte Schulter so wenig wie möglich zu berühren.

Da James aber kaum mithelfen konnte, reichten ihre Kräfte nicht dazu aus, ihn weit genug aufzurichten. Gezwungener Maßen kniete sie sich halb zu ihm aufs Bett und versuchte es noch einmal, wobei ihr fast sein Arm vom Nacken rutschte.

Würde sie nicht genau sehen, wie sehr er sich anstrengte, obwohl er deutlich Schmerzen hatte, könnte sie James beinahe unterstellen, er würde sich absichtlich schwer machen. Was er natürlich nicht tat.

„Deli...“, presste er angespannt hervor. „...wir sollten vielleicht auf Dean warten.“

„Nein.“ Sie klang entschieden.“ Ich kann das!“

Delilah kletterte entschlossener denn je ganz auf das Bett, beugte sich noch weiter über James und zog so gut sie konnte.

Dieses Mal gelang es ihr, seinen Oberkörper soweit anzuheben, dass sie ihm ein paar Kissen in den Rücken stopfen konnte, bis er aufrecht genug saß, um essen zu können.

Sie keuchte am Ende genauso angestrengt wie James.

Vorsichtig zog sie seinen Arm von ihrem Nacken und legte ihn sanft an seine Seite, ehe sie sich langsam aufrichtete. Ihre Blicke begegneten sich und nun stieg ihr unverkennbar sein Duft in ihre Nase, vermengt mit dem Gestank von Jod, der von seinen Wunden kam. Aber das war im Augenblick nicht wichtig. Ihr Herz begann zu rasen.

„Danke.“, flüsterte er leise, als könne jedes lautere Wort den Moment zerstören.

Delilah strich ihm eine verirrte Strähne aus dem Gesicht, die ihn an der Nase gekitzelt haben musste, ehe sie sich mit starker Willensanstrengung aus seiner Nähe riss und sich aufrecht neben ihm hinsetzte.

„Sieh es als Wiedergutmachung an. Immerhin gehen deine gebrochenen Rippen auf mein Konto.“ Ihre Finger zitterten, als sie die Schüssel mit der Suppe zur Hand nahm und einmal darin umrührte.

„Wirklich? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Wie kam’s dazu?“

Einen Moment zögerte sie. „Ich hab bei der Herzdruckmassage wohl zu fest gedrückt. Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich so was zuvor noch nie gemacht hatte.“

Delilah nahm einen Löffel von der Suppe und beäugte ihn skeptisch, ob sich eventuell noch eine kleine Rauchschwade hoch kräuselte. Daher bemerkte sie James’ erschrockenen Blick erst, als er sie mit seinen Fingerspitzen am Oberschenkel streifte.

„Wieso eine Herzdruckmassage?“ Seine Stimme wurde gegen Ende hin ganz spitz.

Erst da fiel ihr ein, dass es ihm vermutlich keiner gesagt hatte. Delilah ließ den Löffel wieder sinken und schob eine Karotte in der Schüssel hin und her. Sie konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen.

„Du warst ein paar Minuten lang weg...“, war ihre einzige Antwort.

Kurz schwieg er, dann: „Wie weg?“ Er wagte kaum zu fragen.

Sie seufzte schwer. „Dein Puls und deine Atmung waren weg.“ Ihre Stimme zitterte. Eigentlich wollte sie gar nicht mehr darüber reden, aber er sollte es wissen.

„Das...“ James musste mehrmals tief durchatmen. Er hatte keine Ahnung gehabt, wie ernst es gewesen war. Mehr gab es dazu also auch nicht zu sagen.

Da Delilah auch nicht weiter darüber reden wollte, nahm sie wieder einen Löffel von der Suppe, pustete vorsichtig darauf und hielt ihn James schließlich unter die Nase.

„Das ist wirklich nicht nötig, Deli.“ Es sollte wohl nur so etwas wie ein vager Protest sein, denn einen Augenblick später schlossen sich seine Lippen um den Löffel und er ließ sich von ihr füttern, während es hinter seiner Stirn immer noch kräftig arbeitete.

„Schon okay. Ich mache das gerne.“ Außerdem waren sie sich beide darüber im Klaren, dass es James nicht ohne Hilfe schaffen würde, so schwach wie er immer noch war. Aber auch darüber schwiegen sie.

Da James sich auf das Essen und Delilah sich auf das Füttern konzentrierte, blieb es eine ganze Weile lang still. Von draußen konnte man Hin und Wieder ein paar Autos davon fahren hören. Wie es schien wurde es also langsam wieder ruhiger.

Da James zwar seine Kraft, nicht aber seinen Appetit verloren hatte, holte Delilah ihm noch einen Nachschlag und machte sich selbst noch in aller Eile zwei belegte Brote, die sie schnell im Stehen hinunterwürgte, um wenigstens etwas im Magen zu haben. Immerhin wollte sie James nicht allzu lange alleine lassen.

Nachdem sie ihn endlich satt bekommen hatte, stellte sie die Schüssel zurück auf das Tablett und schenkte ihm etwas Limonade für Später ein. Danach sah sie ihn einfach an und studierte sein Gesicht. Sie sog regelrecht den Eindruck seiner lebendigen Züge in sich auf, die somit zum Teil die schrecklichen Bilder der Vergangenheit überlagern konnten. Wenn auch nie vollständig.

James gähnte währenddessen einmal kräftig und ließ sich tiefer in die Kissen sinken. Natürlich entging ihm Delilahs Blick nicht, doch anstatt etwas zu sagen, schaute er einfach zurück.

Es bedurfte nur wenige Augenblicke, bis es für sie so intensiv wurde, dass sie wegschauen musste. Wieder klopfte ihr Herz wild in ihrer Brust.

So sehr er seinem Bruder auch bis aufs Haar glich, die winzigen Unterschiede zwischen den Beiden wurden immer offensichtlicher. James sah sie nicht so an, wie Dean es tat und umgekehrt traf das ebenfalls zu. Aber sie könnte nicht behaupten, dass ihr sein Blick nicht dennoch behagen würde. Ganz im Gegenteil. Er sah sie-

„Nadine ist danach nicht noch einmal zurückgekommen, oder?“

Überrascht über diese Frage und den abrupten Themenwechsel in ihrem Kopf, hob Delilah den Blick, doch inzwischen hatte James die Augen geschlossen.

„Nein. So viel ich gehört habe, hat das Great Falls Rudel sie zur Strafe verbannt. Was auch immer das genau bedeuten soll. Dein Dad und Dean haben mir leider nichts Näheres dazu erzählt.“

„Verstehe.“

Nun, da war er ihr in dieser Sache ziemlich weit voraus. Sie verstand nämlich gar nichts.

An seinen Zügen konnte man seine Anspannung ablesen und Delilah hätte gerne gewusst, was James in diesem Augenblick durch den Kopf ging.

„Hast du starke Schmerzen?“

„Es geht.“

Was auch immer das genau heißen mochte. Vielleicht spielte er auch nur den harten Kerl vor ihr und litt still vor sich hin. Aber noch war ein winziger Rest in dem Infusionsbeutel. Nur würde das nicht mehr lange reichen.

„Young schaut heute noch einmal vorbei. Er wird dir sicher einen frischen Infusionsbeutel mitbringen. Außerdem wollte er deine Verbände wechseln.“

„Hmm...“ James seufzte. „Sieht es eigentlich schlimm aus? Und bitte sei ehrlich.“

Er schlug die Augen wieder auf und schenkte ihr einen sehr nachdrücklichen Blick, dem sie sich nicht entziehen konnte.

„Es werden ein paar Narben bleiben, denke ich. Vor allem um deinen Hals herum, aber nichts, was deinem guten Aussehen irgendwie etwas anhaben könnte.

Nun wurde er eindeutig skeptisch. „Wieso fällt es mir schwer, das zu glauben?“

„Und wieso kannst du ein Kompliment nicht einfach annehmen, so wie es ist? Du bist und bleibst ein attraktiver Kerl und mehr werde ich dein Ego jetzt sicherlich nicht streicheln. Zumindest das kannst du mir glauben.“

Obwohl sie es vielleicht nicht sollte, schlich sich doch ein kleines Schmunzeln auf ihre Lippen. Seltsamerweise tat es James ihr ein paar Augenblicke später gleich, anstatt dadurch noch mehr an ihren Worten zu zweifeln.

„Wenigstens kann ich später bei den Frauen damit angeben.“, scherzte er nun eindeutig.

Obwohl Delilah ihn daraufhin anlächelte, erreichte es doch nicht ihre Augen. Allein die Vorstellung, er könnte sich vor anderen Frauen soweit entblößen, dass diese all seine Narben sehen konnten, machte sie rasend.

Eigentlich hätte Delilah gedacht, seit dem Vorfall mit Nadine, wäre sie schlauer geworden, aber wie es schien, war das definitiv nicht der Fall. Sie seufzte erneut.

„Was ist los?“

„Ach nichts. Ich werde dann mal das Geschirr wegräumen. Du willst dich sicher noch etwas ausruhen.“

„Kommst du denn später wieder?“, hakte er so vorsichtig nach, als könne allein die Frage etwas an ihrer Entscheidung ändern und als wäre er sich bewusst, dass er etwas falsches gesagt hatte. Was definitiv nicht der Fall war. Sie wollte James schon jetzt nicht alleine lassen, aber er brauchte Ruhe und sie eine kleine Pause.

„Natürlich. Spätestens wenn Young hier aufkreuzt, versprochen.“

„Gut. Und noch mal danke für die Suppe. Sie war wirklich lecker.“

Delilah stand nun wieder mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen auf. „Das freut mich. Aber ich habe auch einen verdammt guten Lehrmeister.“

Das brachte ihn nun zum Strahlen und sein Lächeln steckte auch sie an.

Bevor wieder ein peinliches Schweigen entstehen konnte, schnappte sie sich das Tablett und verließ James’ Zimmer.

Delilah räumte alles schnell in den Geschirrspüler, ehe sie sich auf die Suche nach Dean und seinem Vater machte, um ihnen vielleicht irgendwie zur Hand zu gehen. Natürlich auch, um beide darüber aufzuklären, wie es James ging und dass er jetzt noch ein bisschen schlafen würde.

Sie selbst hätte das nicht zu Stande gebracht, obwohl sie total erledigt war. Nicht zuletzt deshalb suchte sie sich den ganzen Tag über irgendeine Art Beschäftigung.
 

„Das sieht ja schon sehr vielversprechend aus.“

„Scheiße, ich glaub, mir wird schlecht.“

„Reiß dich mal zusammen!“

„So schlimm ist es nun auch wieder nicht.“

Young legte noch mehr von den Nähten an James’ Hals frei, wodurch sich Dean nun endgültig abwenden musste. Er war eindeutig grün um die Nase, weshalb es ihm wohl ernst mit seiner Aussage war.

Natürlich war der Anblick der dunklen Nähte auf heller Haut zusammen mit der bräunlichen Farbe des Jods kein sehr schöner Anblick, aber Delilah war er tausend Mal lieber, als die klaffende, blutende Wunde, die es gewesen war. Dahingehend sah es wirklich schon sehr viel besser aus.

An James’ Blick konnte man erkennen, dass er gerne einen Spiegel gehabt hätte, um die Wunden an seinem Hals sehen zu können, doch er würde auch so schon genug zu sehen bekommen, wenn Young erst einmal den Rest von ihm ausgepackt hatte.

„Einer von euch sollte mir genau beim Wechseln der Verbände zusehen, da ich in den nächsten Tagen nicht herkommen kann.“

Keiner rührte sich.

„Ich lasse dir auch ein paar Schmerztabletten hier, damit du nicht mehr länger an der Infusion hängen musst.“ Der Vampir warf die schmutzigen Verbände in die Schachtel, die Delilah extra dafür vorbereitet hatte, um später alles verbrennen zu können.

Da Dean nicht den Eindruck machte, als könne er seinen Bruder auch an eine andere Stelle betrachten, außer dessen Gesicht, trat Delilah näher, um dem Arzt besser bei seiner Arbeit zuschauen zu können. Es würde wohl an ihr hängen bleiben, James’ Verbände zu wechseln.

Elija schaute zwar immer wieder einmal nach seinem Sohn, aber irgendwie konnte man dabei nicht gerade von einer entspannten Atmosphäre sprechen. Es war also besser, wenn sie das erledigte und ganz ehrlich, sie machte das wirklich gerne. Denn so hatte sie das Gefühl, irgendwie wieder etwas gut zu machen. Ganz konnte es ihre Schuldgefühle nicht mildern, aber sie gab sich auch nicht der Hoffnung hin, dass irgendetwas das konnte.

Nachdem Young den Verband um James’ Hals erneuert hatte, ließ er es Delilah gleich an der nächsten Stelle versuchen. – James’ Oberschenkel.

Delilah war viel zu konzentriert auf das was ihre Hände taten und Youngs Anweisungen, um sich Gedanken darüber zu machen, dass James nur seine Shorts trug und sie ihm diese sogar noch ein paar Zentimeter weiter nach oben schieben musste, um die tiefen Kratzspuren vollständig versorgen zu können.

James’ Muskeln spannten sich unter ihren Händen deutlich sichtbar an.

„Du machst das sehr gut. Hast du das denn schon einmal gemacht?“, lobte Young, was ihr ein kleines Lächeln abrang, ehe sie sich mit dem Unterarm einmal quer über die Stirn wischte. Die Konzentration und ansteigende Hitze trieben ihr den Schweiß ins Gesicht. Langsam wurde es Tagsüber richtiggehend heiß.

„Als ich noch klein war, hab ich mich oft mit einem wilden Kater geprügelt. Danach musste mich mein Vater immer zusammenflicken. Dabei ist wohl was hängen geblieben.“

„Gut möglich.“ Young reichte ihr die Schere, damit sie sich an den nächsten Verband um James’ Wade kümmern konnte. Diese Stelle schien ihm schon sehr viel weniger auszumachen, denn er atmete einmal tief durch und entspannte sich wieder.

„Geht’s?“ Das war Dean, der sich mit dem Rücken gegen das weit geöffnete Fenster gelehnt hatte und nur ab und zu einen Blick zu Delilah schweifen ließ. Hauptsächlich konzentrierte er sich auf das Gesicht seines Bruders.

„Ist nicht so schlimm. Kitzelt eher.“

„Na solange es nur das ist.“

„Ja, genau...“

„Traust du dir auch zu, die Fäden zu ziehen, Delilah?“

Erschrocken hielt sie mitten in der Bewegung inne. „Was?“ Ihre Stimme klang ganz dünn und sie sah den Vampir völlig entgeistert an. Er konnte ihr doch nicht so etwas derart Wichtiges anvertrauen. Hier ging es schließlich um James! Der im Übrigen auch nicht gerade erfreut darüber dreinschaute.

„Ich kann das doch gar nicht...“

„Ach, da ist wirklich gar nichts dabei. Du brauchst nur eine Pinzette und eine kleine Nagelschere. Dann hebst du mit der Pinzette den Knoten leicht an und schneidest die Schlaufe durch. Dann leicht ziehen und schon ist der Faden raus. Tut auch nicht wirklich weh.“

So wie er das sagte, klang es wirklich einfach, aber Delilah hatte trotzdem Angst davor. „Ich weiß nicht. Was ist, wenn ich ihn schneide?“

Nun starrten sie alle drei den Vampir an, der jetzt auch noch zu grinsen anfing. „Mit einer Nagelschere... Nach den ganzen schweren Verletzungen macht dir das noch Sorgen? Brauchst du vielleicht auch noch eine örtliche Betäubung, James?“

„Öhm...“ Jetzt hatte James gar keine andere Wahl, als den Harten zu markieren, da es, so wie der Arzt das sagte, lächerlich banal klang.

„Ach Quatsch. Gegen die ausgerenkte Schulter ist das doch das reinste Kinderspiel!“

Was jetzt hieß, dass es tatsächlich an ihr hängen blieb. „Und du hast wirklich keine Zeit dafür?“ Nun wurde ihr Blick flehendlich, aber Young schüttelte nur entschuldigend den Kopf.

„Ich muss noch für eine wichtige Operation außer Landes fliegen und werde die nächsten Tage nicht erreichbar sein. Sollte was sein, müsst ihr eben zu einem Menschenarzt gehen. Solange ihr keine Beweise zurücklässt, kann eigentlich nicht viel passieren.“

Die Brüder nickten synchron, kannten diese Prozedur also schon. Zum Glück hatte Delilah noch nie wirklich einen gebraucht und jetzt war ja Young da. Also meistens zumindest.

„Nein. Ich schaffe das schon.“, teilte sie schließlich entschlossen mit. Sie würde das schon irgendwie packen. So schwer konnte es doch nicht sein und James hielt offensichtlich eine Menge aus.

Hoffentlich war das wirklich eine kleine Nagelschere...

„Gut, da das jetzt geklärt wäre... James?“ Young sah ihn plötzlich sehr ernst an, so als hätte er wirklich verdammt üble Nachrichten für ihn.

James zog instinktiv den Kopf ein. „Ja?“

„Ich muss mir jetzt noch einmal deine Schulter ansehen. Außerdem habe ich eine Salbe mitgenommen, die dir bei der Heilung helfen wird.“ Das klang doch eigentlich gar nicht so schlimm. Andererseits hatte Delilah keine Erfahrung mit ausgerenkten Gliedmaßen.

Aber sie bekam eine Ahnung von den Schmerzen, als sie James’ plötzlich bleiches Gesicht sah. Dabei hatte Young seine Schulter noch nicht einmal berührt.

„Kann ich nicht vorher die Schmerztabletten kriegen?“, fragte er leise und schluckte, als Young nur den Kopf schüttelte.

„Ich werde vorsichtig sein, aber ich muss wissen, wenn es irgendwo stärker schmerzt als es sollte. Es könnten Muskeln oder Sehnen verletzt sein und ohne ein anständiges Röngtenbild, lässt sich das anders nicht so leicht feststellen.“

Da blieb ihm wohl keine andere Wahl, denn James zu transportieren wäre noch schlimmer für ihn gewesen. Daher atmete er einmal tief durch und sammelte sich.

„D?“ James sah seinen Bruder Hilfe suchend an, der sofort an seine Seite eilte und seine gesunde Hand ergriff. „Ich bin hier.“

James’ Finger schlossen sich so fest um die Hand seines Bruders, dass seine Knöchel weiß hervor traten und Dean ihn zusätzlich auch noch an der gesunden Schulter berührte.

„Okay, es kann losgehen.“

Während der Vampir langsam die Schlinge löste, in der James’ Arm bisher gelegen hatte, schloss dieser die Augen und hielt sich an seinen Bruder fest.

Dean ging wirklich rührend mit seinem Bruder um. Ganz so, als wäre nie etwas zwischen ihnen beiden vorgefallen. Eigentlich kümmerte er sich sogar äußerst führsorglich um ihn. Gerade bei den Dingen, bei denen Delilah nicht wirklich helfen konnte, da sie für James viel zu unangenehm gewesen wären und darüber war sie ganz froh.

James’ Schmerzen wurden deutlich größer, so dass auch Delilah mitfühlend ihre Hände auf seine Wade legte. Sie konnte ihn zwar nicht so halten, wie sein Bruder es tat, aber sie zeigte dadurch deutlich, dass auch sie für James da war.

Als hätte Young nur darauf gewartet, legte er nun richtig los. Vorsichtig begann er James’ Schulter abzutasten, der zwar keinen Laut zwischen seine zusammen gepressten Lippen hervorbrachte, sich aber deutlich spürbar unter ihren Händen verspannte und schließlich sogar zu zittern anfing.

„Du packst das, J. Halt nur noch ein Bisschen durch.“, flüsterte Dean seinem Bruder beruhigend zu, der nun sein Gesicht so weit in dem Kissen verbarg, wie es ihm nur möglich war.

Young arbeitete derweil schnell und zielgerichtet um James nicht länger als nötig zu quälen. Als er dessen Arm dann aber auch noch ein Stück weit anhob, konnte dieser ein schmerzvolles Stöhnen nicht mehr länger unterdrücken und seine Beine zuckten, als wolle er jeden Moment aufspringen und davonlaufen.

Verstohlen wischte Dean ihm eine Träne von der Wange, woraufhin Delilah den Blick senkte.

Endlich legte der Vampir den Arm wieder ab und nahm die Salbe zur Hand, um sie sanft nur mit den Fingerspitzen einzumassieren.

James’ Anspannung ließ daraufhin zumindest etwas nach.

„Ich denke, einer der Muskeln hat einen feinen Riss abbekommen, aber zusammen mit den überdehnten Sehnen und Bändern wird das von selbst heilen. Am besten benutzt du den Arm die nächsten zwei bis drei Wochen so wenig wie möglich.“

„Das hatte ich auch schon vor.“, stieß James immer noch zwischen zusammen gepressten Kiefern hervor, während sein Atem vor Anstrengung keuchte und er sich tiefer in die Kissen sinken ließ. Das Ganze musste ihm ziemlich viel Kraft abverlangt haben.

Endlich war der Vampir mit der Schulter fertig und wischte sich die Hände an einem Tuch ab. „Das war’s vorerst. Ich ziehe dann nur noch den Zugang raus und danach bekommst du die Schmerztabletten und darfst schlafen.“

Alle atmeten erleichtert auf.

„Delilah, wenn du Zeit hast, werde ich dir noch alles näher erklären, was du die nächsten Tage bei ihm beachten musst.“

„Ist gut.“ Sie streichelte James noch ein letztes Mal und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Ruh’ dich aus. Heute Abend kriegst du dafür etwas Leckeres zu Essen.“

„Danke.“, hauchte er leise, ließ die Augen aber geschlossen.

Bevor sie ging, strich sie auch Dean noch einmal über die Schulter und verließ dann zusammen mit Young das Zimmer, um die beiden alleine zu lassen.

Sie wünschte wirklich, sie könnte mehr für James tun. Dass er wegen ihr solche Schmerzen litt, tat ihr in der Seele weh.

37. Kapitel

Auch in dieser Nacht schlief Delilah schlecht, obwohl Dean bei ihr war und sogar die Tür zum Flur offen stand, so dass sie James jederzeit hören konnten, sollte er etwas brauchen. Was für sie alle die beste Lösung dargestellt hatte. Aber vermutlich war sie die Einzige, die man durchs ganze Haus hören konnte.

Irgendwie war es von Dean sogar eine Meisterleistung, dass er bei ihrem Herumgezappel nicht schon längst aufgewacht war. Doch als Delilah wieder einmal aus dem Schlaf hochfuhr und schwer nach Atem rang, lag er seelenruhig ganz an der Außenkante des Bettes und schlief tief und fest. Gerade noch so, dass er nicht aus dem Bett fiel. Die dünne Decke hatte er dabei schon lägst an sie abgetreten. Vielleicht lag es aber auch an der vorherrschenden Hitze, die seinen nackten Rücken selbst im Schlaf mit einem feinen Schweißfilm überzog.

Da Delilah jetzt sowieso nicht mehr einschlafen konnte und ihre trockene Kehle unangenehm kratzte, stand sie schließlich auf und schlich sich leise in die Küche, um etwas Wasser zu trinken und sich etwas davon ins Gesicht zu spritzen, was die Hitze in ihrem Körper zumindest etwas linderte.

Auf dem Rückweg blieb sie irritiert im Flur stehen, da jemand ihren Namen geflüstert hatte.

„Dean?“, fragte sie leise und blieb an der Tür zu seinem Zimmer stehen.

Nein, er konnte es nicht sein. Zumindest hatte er seine Position nicht verändert, seit sie das Bett verlassen hatte.

„Nein.“ Die Stimme drang direkt von hinten an ihr Ohr, obwohl sie sich genau wie die von Dean anhörte.

Als ihr endlich ein Licht aufging, drehte Delilah sich um und stellte sich in den Türrahmen zu James’ Zimmer. Er musste sich etwas verrenken, um sie anschauen zu können, aber er war definitiv wach.

„Warum schläfst du nicht?“ Sie betrat leise das Zimmer und umrundete sein Bett, bis er sie richtig anschauen konnte. „Habe ich dich etwa geweckt?“

Das würde sie zumindest nicht wundern. Delilah hatte zwar nicht das Gefühl im Schlaf geschrien zu haben, aber leise war sie ganz bestimmt nicht gewesen.

„Nein. Mir ist nur ziemlich heiß und die Schulter pocht.“, war James’ geflüsterte Antwort.

Kein Wunder, dass er nicht schlafen konnte. Mit den ganzen Verbänden musste ihm noch heißer sein als ohnehin schon.

Delilah blickte kurz zu den beiden Fenstern hinüber. Sie waren nur gekippt, also ging sie hin und riss sie weit auf. Auch wenn die laue Nachtluft nicht wirklich viel Abkühlung versprach, so taten es die ab und an hereinkommenden Luftströmungen.

„Aber Fieber hast du nicht, oder?“

„Keine Ahnung. Ich glaube aber nicht.“

Delilah ging auf Nummer sicher, als sie sich wieder zu ihm stellte und legte ihm ihre Hand auf die Stirn. Diese fühlte sich sogar etwas kühler an, da auch bei ihm ein feiner Schweißfilm seine Haut bedeckte und ihn somit wenigstens etwas kühlte. „Nein. Fühlt sich nicht so an.“

Sie nahm wieder ihre Hand runter und überlegte kurz, was sie für ihn tun könnte. „Warte, ich hole dir etwas Wasser.“

Delilah ging noch einmal in die Küche, füllte eine Schüssel mit kaltem Wasser und schnappte sich auch gleich ein frisches Geschirrtuch. Danach stellte sie die Schüssel auf James’ Nachttischchen und tauchte das Tuch ins Wasser. „Ich hoffe, dass wird dir zumindest etwas helfen.“

Delilah wrang es nur so viel wie nötig aus und strich dann damit sanft über James’ Stirn, seine Wangen, die Augen, seinen Mund und sein Kinn. Seinen Hals ließ sie wegen der Verbände aus, weshalb sie das frisch ausgewrungene Tuch dieses Mal an seiner gesunden Schulter ansetzte und bedächtig damit James’ Arm hinab strich. Es schien zu funktionieren, denn auf seiner Haut begann sich eine Gänsehaut abzuzeichnen, die sich verstärkte, als sie mit dem kühlen Tuch auch noch über seine Brust wischte und schließlich bei seinem Bauch inne hielt, der unter ihrer Berührung zusammenzuckte.

Delilah hegte die starke Vermutung, dass James kitzelig war, sagte aber nichts dazu, sondern tauchte das Tuch erneut in das Wasser, wrang es dieses Mal gründlicher aus und legte es dann gefaltet auf James’ Stirn.

„Ist es jetzt besser?“

„Ja, danke. Fühlt sich verdammt gut an.“ Er schenkte ihr ein undefinierbares Lächeln, in das sie besser nicht zu viel hineininterpretierte.

„Ich könnte dir auch noch Eis für die Schulter besorgen.“ Gott, sie konnte diesen intensiven, honiggoldenen Blick sogar bis in ihre Zehenspitzen spüren.

„Nein, schon gut. Zum Essen wäre es mir irgendwie lieber. An der Schulter bin ich mir nämlich immer noch nicht sicher, ob ich es lieber kalt oder warm haben möchte.“

Ja, das konnte sie verstehen. Also das mit dem Eis zum Essen. Bei dieser Hitze wäre es wirklich sehr angenehm und dann auch noch vielleicht eines mit Schoko-

Verdammt! Jetzt hatte er ihr total Lust darauf gemacht. Aber besser, als ihm noch tiefer in die Augen zu blicken. „Hättest du Lust, dir mit mir einen Eisbecher zu teilen?“

James’ Augen wurden größer, was es nicht gerade leichter machte. „Ehrlich jetzt?“, fragte er mit Hoffnung in der Stimme und brachte sie damit erfolgreich wieder auf die Beine und zum Lächeln.

„Klar. Bin gleich wieder da!“ Dieses Mal war sie noch schneller wieder zurück, da zum Glück auch ihre Fußsohlen kaum noch wehtaten, wenn sie auftrat.

Da Delilah nicht wusste, wie viel Eis James mochte da ihr eigener Appetit doch recht groß war, hatte sie gleich eine 1-Liter-Vanilleeis-Packung samt Schokosoße mitgenommen. Nachholen konnten sie ja noch bei Bedarf.

James schenkte ihr ein breites Lächeln, als er auch noch die Flasche mit der Soße in ihrer Hand entdeckte. Offenbar hatte sie da wohl genau seinen Geschmack getroffen.

Leise schloss Delilah auch noch die Tür hinter sich, damit sie Dean mit dem Licht und dem Gerede nicht doch noch aufweckten. Wenigstens einer sollte sich einmal gründlich ausschlafen, da morgen wieder viel Arbeit auf ihn wartete. Zwar hatte sein Vater für die nächsten Tage keine neuen Termine mehr angenommen, aber da James ausgefallen war, musste noch einiges an Arbeit aufgeholt werden.

Delilah würde ihnen gerne helfen, wenn sie sich besser auskennen würde, aber dafür nahm sie den Männern inzwischen so gut wie alles im Haushalt ab. Dabei waren sogar die Waschmaschine und der Staubsauger zu ihren besten Freunden geworden, so absonderlich das auch klang.

Da James zum Schlafen wieder weiter auf dem Rücken gelegen hatte, musste Delilah ihn erneut hochhieven und Kissen in seinen Rücken stopfen, bevor sie sich auf das Eis stürzen konnten. Also stellte sie das Eis samt Schokosoße neben die Schüssel mit dem Wasser und warf dann auch noch das Tuch dort hinein.

Dieses Mal kletterte sie gleich zu James aufs Bett, griff nach kurzer Rücksprache mit ihm nach den besten Punkten, um an seinem Körper ziehen zu können und schaffte es dank James’ Mithilfe in einem Rutsch, ihn in eine aufrechte Position zu bringen.

„Netter Ausblick. Kommt es mir nur so vor oder sind sie größer geworden?“

Fragend sah Delilah nach unten in James’ Gesicht, während sie noch die Kissen in seinem Rücken zurecht schob und erkannte dann, wohin er genau starrte.

Sie gab ihm einen sanften Stups gegen die heile Schulter und ließ sich auf ihre Fersen zurücksinken, während sie den Träger ihres dünnen Nachthemds wieder auf ihre Schulter schob.

„Ein wahrer Kenner genießt und schweigt.“ Und ja, ihre Brüste waren tatsächlich schon größer geworden oder besser gesagt, beinahe explodiert, aber davon fing sie jetzt besser gar nicht erst an.

„Ich habe nie behauptet ein wahrer Kenner zu sein.“ James grinste unschuldig, so dass sie ihm gar nicht wirklich böse sein konnte. Denn eigentlich war es doch nicht seine Schuld gewesen, dass sie ihm ihre Brüste beinahe ins Gesicht gedrückt hatte. Darum sagte sie auch nichts weiter dazu, sondern griff lieber nach dem Eisbecher, in dem zwei kleine Löffel steckten.

„Willst du auch Schokosoße drauf?“

„Die Frage ist jetzt aber nicht wirklich ernst gemeint, oder?“

Mit einem breiten Grinsen goss Delilah so viel der Schokosoße auf das Eis, dass es darunter vollkommen verschwand. Nein, eigentlich hatte sie die Antwort schon dank seines Blickes gewusst.

James wollte schon nach seinem Löffel greifen, während sie die Flasche zur Seite stellte, aber Delilah zog den Eisbecher weg und schüttelte vehement den Kopf. „Schlag dir den Gedanken gleich wieder aus dem Kopf. Du musst dich noch schonen.“

Um ihre Worte auch noch zu bekräftigen, hielt sie ihm seinen Löffel mit dem bisschen Eis und der tropfenden Schokosoße hin, während sie ihre Hand darunter hielt, damit nichts auf das Bettlaken ging.

Nur widerwillig fügte James sich in sein Schicksal. „Aber es ist dann deine Schuld, wenn ich mich daran gewöhne.“

„Schon okay. Ich werde es dir zu gegebener Zeit auch wieder abgewöhnen, keine Sorge. Aber bis dahin fügst du dich besser. Denn im Moment habe ich hier das Sagen.“ Sie leckte einmal verstohlen über ihre Handfläche.

„Ja, Ma’am.“ James legte sich mit einem kleinen Grinsen und schon sehr viel entspannter zurück in die weichen Kissen.

So wie er auf sie wirkte, gelang es ihr erfolgreich ihn von seinen Schmerzen abzulenken und das war auch gut so. Auch wenn es ihr vielleicht nicht so gut gefallen sollte, wie intensiv er ihren Mund betrachtete, wenn sie sich selbst einen Löffel von dem Eis gönnte.

Irgendein Gesprächsthema musste her, das ihn auf andere Gedanken brachte, aber ganz ehrlich, ihr fiel nur schwere Kost ein.

Es war James, der sie schließlich rettete.

„Fehlen eigentlich nur noch die sauren Gurken und du würdest dem Klischee schwangerer Frauen gerecht werden.“

„Ich bevorzuge Möpse.“

Eine seiner Augenbrauen hob sich fragend, während sein Blick an ihr hinab wanderte.

Delilah verdrehte gespielt genervt die Augen und ging noch einmal auf Nummer sicher, dass das feine Nachthemd auch sicherlich nicht verrutscht war. „Ich meine Rollmöpse. Also diese kleinen eingelegten Fische im Glas.“

„Achsoo! Ja, klar. Was auch sonst.“

Sein Lächeln gefiel ihr in diesem Augenblick tausend Mal besser, als sein sonst so angestrengtes Gesicht, wenn man ihm ansah, dass er Schmerzen hatte.

„Und was das Klischee angeht, darfst du dich ja wohl nicht beschweren, immerhin isst du hier gerade auch bei dem Eis mit, obwohl es mitten in der Nacht ist und die sauren Gurken fehlen.“

„Stimmt. Aber ein guter Film wäre mir lieber, als die sauren Gurken und dem Klischee wäre dann auch endgültig abgeholfen.“

Schon seltsam, jetzt wo er sie daran erinnerte, fiel Delilah ein, dass der Fernseher in ihrem Beisein eigentlich noch kein einziges Mal an gewesen war, seit sie hier wohnte. Die McKenzies schienen wohl nicht gerade zu den Couchpotatos zu zählen. Obwohl: „Dean hat mir erzählt, du stehst auf Horrorfilme. Welcher Art von Horror?“

„Hat er das?“ James schien ehrlich verwundert zu sein. „Also ich mag eher die Filme mit bösen Monstern aus dem All. So was wie die Alien-Reihe mit Sigourney Weaver zum Beispiel.“

Da ihr das nicht wirklich etwas sagte, nickte Delilah nur. Was James nicht im Geringsten zu stören schien. Stattdessen fragte er mit ehrlichem Interesse: „Auf was für Filme stehst du denn so?“

Delilah gab ihm erst noch etwas von dem Eis, bevor sie ihm antworten konnte. „Ich denke, von allem etwas, solange der Film gut ist. Eigentlich schaue ich nicht wirklich viel Fern und wann ich das letzte Mal im Kino war, kann ich dir auch überhaupt nicht sagen.“

„Auch eher eine Seltenheit.“

„Nicht wirklich. Euch sehe ich auch nie vor der Glotze sitzen.“

„Stimmt.“ James schmunzelte über etwas, das ihm wohl gerade eingefallen war, ehe er Delilah wieder anschaute. „Gab ja auch so genug Unterhaltung in letzter Zeit.“

Sie fand nicht, dass es daran etwas zu schmunzeln gab, weshalb sie auch ehrlich meinte: „Also ich könnte darauf gerne verzichten.“

„Ja, schon klar. Ich meinte auch nicht die Umstände, die mich hier ans Bett fesseln, oder dass du beinahe das Baby verloren hättest. Aber sonst...“

Nein, sie war immer noch nicht wirklich überzeugt. Immerhin war sie James gegenüber nicht sehr fair gewesen. Eigentlich hatte sie ihn sogar richtig mies behandelt. Hatte ihm Hoffnung gemacht, während er schon mit Nadine zusammen gewesen war. Hatte ihm das Baby verschwiegen und ihn dann auch noch in eine ziemlich unangenehme Situation gebracht, als sie dieses Weib aus purer Eifersucht – denn mehr war es offenbar wirklich nicht gewesen – angegriffen hatte. Dass sie nur auf ihn aufpassen wollte, war doch eigentlich nur eine Ausrede, um sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Zumindest so viel sollte sie sich nach allem, was passiert war, eingestehen.

Es gab in letzter Zeit wirklich nicht sehr viel Schönes zu berichten.

„Habe ich dich jetzt traurig gemacht? Was ist denn los, Deli?“ James’ Hand zuckte, als wolle er sie ihr aufs Knie legen, um sie zu trösten, doch am Ende ließ er es bleiben. Vielleicht war das auch besser so.

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“ Delilah sah ihn betrübt an.

„Klar. Natürlich.“, stimmte James sofort zu.

„Kannst du bitte damit aufhören, nach allem was passiert ist, immer noch so nett zu mir zu sein?“

Jetzt sah er definitiv verwirrt aus. „Wäre es dir lieber, wenn wir uns wieder streiten und ich dich anspinne?“

„Nein, eigentlich-“

„Denn darauf habe ich wirklich keine Lust mehr.“, unterbrach er sie einfach und wandte sich von ihr ab, um lieber das Muster seine Bettwäsche zu studieren.

„Weißt du, seit dem ich beinahe draufgegangen wäre, haben sich meine Ansichten dahingehend verändert. Ich meine, das Leben ist zu kurz und kann ganz plötzlich vorbei sein. Ich will einfach nicht, dass es vielleicht endet, während wir beide immer noch sauer aufeinander sind. Ändern können wir jetzt sowieso nichts mehr an der Situation.“ Er seufzte und hielt kurz inne, bis er seinen Blick direkt auf sie richtete. „Du bist jetzt mit D zusammen und das muss ich akzeptieren. Dich deswegen anzuschweigen hätte keinen Sinn. Immerhin gibt es da auch noch das Baby und ich würde gerne dessen Entwicklung miterleben. Das ist für mich das Wichtigste im Moment.“

Als James von dem Baby anfing, legte Delilah automatisch ihre Hand auf ihren leicht gewölbten Bauch. Da sie derzeit nichts spüren konnte, vermutete sie, dass zumindest das Baby gerade schlief. Was sich in ein paar Minuten durchaus wieder ändern konnte, denn es hatte einen ganz anderen Rhythmus als sie.

„Ich will auch, dass du dabei bist.“, meinte sie schließlich. Delilah wusste ehrlich gesagt nicht, was sie sonst noch dazu hätte sagen sollen. Dass sie jetzt mit Dean zusammen war, wollte sie gar nicht leugnen, auch wenn sie glaubte, dass es James doch mehr ausmachte, als er zugeben wollte. Vielleicht war das aber auch nur reines Wunschdenken ihrerseits.

So verrückt es auch war, aber der Gedanke, dass James nur so mit ihr befreundet sein wollte und sonst nichts weiter für sie empfand, störte sie irgendwie. Dabei sollte sie froh sein, dass es so war und er es ihr auf diese Weise sogar einfach machte.

Gott, es war einfach zum Verrückt werden!

„Gut. Das ist gut.“ James gähnte hinter vorgehaltener Hand, bis es ihn regelrecht schüttelte. Offenbar war er doch schon wieder kräftiger als angenommen, immerhin verzichtete er nicht einmal auf diese höfliche Geste.

„Willst du noch etwas von dem Eis?“, wechselte Delilah schließlich das Thema, bevor es ihr noch den Appetit verderben konnte.

„Ja, bitte. Wir können es ja nicht so einfach verkommen lassen.“

„Da gebe ich dir Recht.“ Sie gab ihm gleich einen großen Löffel voll, obwohl das gar nicht mehr so einfach war, da das Eis immer wärmer und flüssiger wurde. Aber sie schafften es, den ganzen Becher restlos leer zu bekommen, ohne zu kleckern und auch ohne noch irgendein schweres Thema auf den Tisch bzw. auf das Bett zu bringen. Eigentlich war das Schweigen sogar recht angenehm.

Auch Delilah musste immer wieder gähnen, bis ihr sogar einmal die Tränen in den Augen standen.

„Glaubst du, du kannst jetzt schlafen?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Und du?“

„Keine Ahnung. Aber auf dem Rücken jedenfalls nicht mehr.“

„Das glaub ich dir. Normalerweise schläfst du gerne auf der Seite oder dem Bauch, stimmt’s?“ Delilah packte schon einmal die Sachen ihres nächtlichen Mahls zusammen.

„Genau. Woher weißt du das? Hat D mal wieder alles ausgeplaudert?“

„Nein, nein. Ich erinnere mich nur daran, wie du in diesem Hotel geschlafen hast.“ Sie rutschte vom Bett.

„Ich hol’ dir noch einmal deine Zahnputzsachen.“ Damit verschwand sie mit dem leeren Becher, stellte alles nur in die Spüle und nahm noch ein frisches Glas Wasser für James mit, damit er sich nach dem Zähneputzen den Mund ausspülen konnte.

Während er seine Zähne putzte, ging Delilah schnell in ihr Bad, um es ihm gleich zu tun.

Als sie beide damit fertig waren, stand sie für einen Moment unschlüssig neben dem Bett. Irgendwie hatte sie Angst, sich wieder schlafen zu legen. Delilah wollte nicht schon wieder davon träumen, wie sie erwürgt wurde.

„Willst du noch etwas Musik hören? Mir hilft das manchmal beim Einschlafen und mein Mp3-Player ist noch voll.“

Erleichtert über diesen Ausweg atmete sie auf. „Wenn es dir nichts ausmacht...“

James schüttelte sanft den Kopf, woraufhin Delilah sich schwer auf den bequemen Couchsessel sinken ließ, nachdem sie diesen so neben James’ Bett geschoben hatte, dass sie sich die Ohrstöpsel teilen konnten.

Delilah half James auch noch dabei, sich ganz vorsichtig auf die Seite zu drehen, was offensichtlich eine große Erleichterung für ihn war, denn er seufzte entspannt und drückte sich kurz mit geschlossenen Augen in das weiche Kissen, ehe er etwas unbeholfen seine Schublade öffnen wollte, was mit Links gar nicht so leicht war, da er nicht gerade in der richtigen Position dafür lag.

Delilah half ihm, den Mp3-Player herauszuholen, ohne zu genau den Inhalt seines Nachtkästchens zu studieren.

Wenn James auch nur annähernd so war, wie viele andere Männer, dann gab es darin Dinge, die sie gar nicht näher betrachten sollte.

„Ich überlasse dir das Kommando über die Play-list. Vielleicht findest du ja etwas, das dir zusagt. Ich kenne ja nicht deinen Musikgeschmack.“ James gab ihr das kleine Gerät, das er für sie gestartet hatte und steckte seinen Ohrstöpsel in das Ohr, das danach im Kissen verschwand, damit er sie immer noch hören konnte, wenn sie sich unterhielten.

Delilah tat es ihm gleich und schaute einmal die Interpretenliste durch. Viele kannte sie, während sie von anderen noch nie etwas gehört hatte.

Da es schon spät war und sie jetzt keine musikalischen Überraschungen erleben wollte, ging sie auf Linkin Park und drückte Play. So viel konnte sie damit hoffentlich nicht falsch machen.

„Ich mag diesen Song.“, hauchte sie leise und musste ein weiteres Gähnen unterdrücken. Iridescent brachte sie immer irgendwie in eine gemütliche Stimmung und sie schloss schließlich müde die Augen, da sie sich sonst vielleicht in James’ Blick verloren hätte, wenn er sie so derart deutlich anschaute.

„Ja, der ist gut.“

Delilah kuschelte sich gemütlicher in den Sessel und lauschte andächtig dem Sänger. Danach kam etwas Schnelleres, aber da sie so leise hörten, störte das die ruhige Atmosphäre wenig.

„Deli?“

„Hm?“

„Kann ich dich etwas fragen?“

„Klar.“

James atmete einmal tief durch, ehe er seine Frage stellte: „Warum bist du damals im Hotel einfach so verschwunden?“

Milde überrascht von der Frage, öffnete Delilah kurz die Augen. Auch die von James waren immer noch offen, doch er schien ins Nichts zu starren, bis er ihren Blick bemerkte und seine Aufmerksamkeit auf sie richtete.

Delilah schaute weg.

„Abschiede liegen mir nicht besonders.“, antwortete sie schließlich, auch wenn das nur die halbe Wahrheit war.

James schien es auch nicht ganz zu glauben. „Das ist alles? Nur weil dir Abschiede nicht liegen?“

„Ja. Enttäuscht?“

„Hm. Irgendwie habe ich mehr erwartet.“

„Ach ja?“ Delilah sah ihn leicht überrascht an. Sie hätte das jetzt nicht unbedingt erwartet. Es war zwar hervorragender Sex gewesen, aber eben auch nicht mehr.

„Ja. Ich meine, zuerst war da dieser Kampf. Dann haben wir dich wieder zusammengeflickt und dann wäre da ja auch noch diese eine Sache zu dritt gewesen. Dass du dann einfach weg warst, kam doch irgendwie plötzlich.“

Wenn er es so ausdrückte, klang es nachvollziehbar. „War es wirklich so schlimm für euch?“

James sah sie an. Er sah sie wirklich lange an, ehe er schließlich den Blick senkte. „Nein. Schon okay. Es hat uns eben nur gewundert.“

„Hm.“ Delilah schloss wieder die Augen und übersprang ein paar Lieder, bis sie eines fand, das ihr gefiel. Eine Weile lauschte sie und wäre dabei auch fast eingedöst, obwohl sie sich in Gedanken immer noch schleppend mit seiner Frage beschäftigte. Aber ihr Gehirn war einfach zu müde, um näher darauf einzugehen. James hielt sie allerdings davon ab, tatsächlich einzuschlafen, als er ihr mit seiner nächsten Frage noch einmal ein sehr viel stärkeres Herzflattern verursachte.

„Warum eigentlich wir beide und nicht Dean alleine?“

Delilah wusste genau, was er meinte, aber aus reinem Reflex fragte sie. „Was?“

Also formulierte James seine Frage präziser. „Warum wolltest du mit uns beiden schlafen? Wolltest du nur einmal einen Dreier ausprobieren?“

„Nein, ich-“ Schon Dean hatte sie bereits erklärt, dass nicht das der Grund gewesen war, aber offenbar teilten die Beiden nicht alle Informationen miteinander.

„Ich wollte einfach nicht, dass einer von euch beiden gehen musste. Ich meine, klar wenn ihr zwei nicht zugestimmt hättet, wäre es anders ausgegangen. Aber ich hätte mich nicht zwischen einen von euch beiden entscheiden wollen.“

„Und warum nicht?“

Konnte er es denn nicht einfach auf sich beruhen lassen? „Weil ich euch beide gern habe.“ Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er ihr nicht recht glaubte, aber er schloss die Augen, bevor sie irgendeines seiner Gefühle darin hatte lesen können. Danach verfiel er in weiteres Grübeln. Zumindest ließ seine leicht gerunzelte Stirn das vermuten.

„Aber du bist mit Dean zusammen.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

„Ja.“, murmelte sie leise. Denn irgendwie klang dadurch ihre gerade abgegebene Erklärung widersprüchlich und nicht wirklich logisch. Aber daran konnte sie jetzt auch nichts mehr ändern. Inzwischen war nun einmal viel passiert.

„Liebst du ihn?“, verpasste James ihr den nächsten Dämpfer.

Jetzt begann ihr Herz wie wild in ihrer Brust zu rasen und ein Kribbeln erfüllte ihren ganzen Körper, das sich nicht besonders gut anfühlte.

Was sollte sie darauf antworten? Auch Dean hatte ihr bisher nicht gesagt, dass er sie liebte und sie empfand das jetzt nicht wirklich als schlimm. Immerhin konnte sie anhand seiner Taten deutlicher erkennen, wie seine Gefühle für sie standen, als durch ein dahergesagtes ‚Ich liebe dich’. Aber galt das für sie ebenfalls?

„Warst du denn schon einmal richtig und bis über beide Ohren verliebt?“, war daher ihre Gegenfrage, da sie keine andere Antwort darauf wusste.

Verknallt zu sein war schließlich etwas ganz Anderes. Das war man schnell einmal. Auch sie hatte es schon des Öfteren erwischt. Aber Liebe...?

„Ja.“

Überrascht sah sie James an. Er hatte es zwar nur leise gesagt, aber sie hatte ihn deutlich verstanden. „Und woher wusstest du, dass es Liebe war? Ich meine, so einfach wie man immer glaubt, ist es nicht.“

Er stieß ein tiefes Seufzen aus und begann mit einem Zipfel seines Polsters zu spielen. „Wissen tut man’s schnell, aber es kann ganz schön lange dauern, bis man es sich auch selbst eingestehen kann.“

Er ließ den Stoff wieder los und versuchte dann eine bequemere Position zu finden. „Ich kann’s nicht genau erklären. Es ist einfach so.“

„Hm.“ Delilah fragte sich, wer wohl die Glückliche gewesen war. Ob es wirklich dieses Miststück gewesen war, so wie Dean es ihr erzählt hatte.

Gott, was wenn seine Gefühle für Nadine immer noch so intensiv waren, egal was inzwischen geschehen war?

Delilah glaubte zwar nicht, dass James der Schlampe so einfach verzeihen konnte, aber er musste trotzdem leiden. Allein deswegen, was dieses Weib ihm alles an den Kopf geworfen hatte.

„Du bist übrigens nicht scheiße im Bett.“

James zuckte richtiggehend zusammen. „Wie kommst du jetzt darauf?“

Ach ja, er hatte ihren Gedankengängen natürlich nicht folgen können. „Ich musste wieder daran denken, wie Nadine dich fast umgebracht hätte. Am liebsten hätte ich zu dem Zeitpunkt, als sie dich nur mit Worten angegriffen hat, widersprochen. Du bist nicht scheiße im Bett und du bist auch nicht schwach.“

„Ja, klar.“, er lachte freudlos. „Darum liege ich auch hier in diesem Bett und kann nicht einmal selbstständig essen. Außerdem war der Sex scheiße. Damit hatte sie vollkommen Recht.“

„Sie hat mit unfairen Mitteln gekämpft und war somit im Vorteil. Aber letzten Endes hast du sie vertrieben. Von Schwäche kann daher nicht die Rede sein.“

„Wenn du meinst.“ Er klang nicht sehr überzeugt oder glücklich.

„Und der Sex den wir hatten, war einfach der Hammer.“ Das konnte sie gar nicht oft genug betonen.

„Ja, weil D auch noch dabei war. Sofern du nicht schon öfters einen Dreier hattest, war das sicher einmal eine außergewöhnliche Erfahrung.“

Nun brachte er Delilah damit zum Schnauben und sie zog sich den Stöpsel aus dem Ohr, während sie sich weiter aufrichtete. „Warum habe ich das Gefühl, gegen eine Wand zu reden?“

James zuckte mit den Schultern und bereute es sofort. Er sog scharf die Luft ein und zwang sich dazu, sie langsam und ruhig wieder aus seinen Lungen zu entlassen. „Keine Ahnung. Warum reden wir überhaupt darüber?“

„Weil du wissen solltest, dass es einfach nicht stimmt, was diese Schlampe dir an den Kopf geworfen hat.

„Und woher willst du das so genau wissen? Nur weil wir einmal Sex hatten, bei dem auch noch mein Bruder dabei gewesen ist? Das eine Mal zählt nun wirklich nicht und sagt auch sicher nichts über meine Fähigkeiten im Bett aus.“

Jetzt stöhnte er fast schon genervt, da ihn das Thema aufzuregen begann. „Lassen wir es einfach, bevor wir uns wieder streiten. Noch dazu wegen so einem Mist.“

Delilah resignierte. Wenn James sich nicht überzeugen lassen wollte, konnte sie auch nichts machen. Aber zumindest kannte er jetzt ihre Meinung dazu. Was er damit anfing, blieb ganz ihm überlassen.

„Okay. Aber wenn jemand etwas gegen deine Kochkünste sagt, werde ich zur Furie. Egal was du davon hältst.“

Er sah sie für einen Moment verdutzt an und begann leise zu lachen.

Anstecken konnte er sie damit zwar nicht, aber ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Es stand James ausgesprochen gut, da das Lachen sogar seine Augen erreichte.

„Ich bin übrigens froh, dass wir uns nach allem was passiert ist, wieder vertragen.“ Ihre Worte waren nur noch ein Flüstern.

Langsam beruhigte er sich wieder und dämpfte ebenfalls seine Stimme. „Ja, ich auch.“

Delilah wurde schließlich von einem weiteren heftigen Gähnen durchgeschüttelt, woraufhin sie es sich wieder auf dem Sessel gemütlich machte und den Ohrstöpsel wieder in ihr Ohr steckte. Danach suchte sie eher etwas Ruhigeres aus der Liste aus.

„Stört es dich, wenn ich hier ein bisschen döse, bevor ich ins Bett gehe? Ich will noch nicht dorthin zurück.“

„Natürlich nicht.“ Auch James suchte sich noch einmal sehr vorsichtig eine bequemere Position, was ihm nicht gerade leicht zu fallen schien, ehe er die Augen schloss und der Musik zu lauschen begann.

Delilah fiel es nicht schwer, sich nach all dem Gesagten dennoch zu entspannen. Denn sie hatte das Gefühl, dass sich zwischen James und ihr etwas verändert hatte, seitdem er hier in diesem Bett lag.

Klar, sie zeigten immer noch deutlich Anzeichen dafür, dass sie sich leicht in die Haare kriegten, aber sie beruhigten sich danach auch wieder sehr viel schneller als früher.

Das war beruhigend zu wissen und Delilah konnte sogar mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen einschlafen.

38. Kapitel

Delilah hatte das eigentümliche Gefühl, beobachtet zu werden. Dieses Empfinden war sogar so stark, dass sie aus ihrem festen Schlaf erwachte und schließlich die Augen öffnete.

Es war James, der sie breit grinsend ansah. „Ich bekomme zehn Dollar von dir.“

Nur mühsam arrangierten sich ihre immer noch schläfrigen Gesichtszüge so um, dass sie ein Stirnrunzeln zusammen brachte und noch völlig verschlafen nuschelte: „Was?“

Er grinste noch breiter.

„Nicht du. Ich rede mit Dean.“ James‘ Blick glitt über sie hinweg und richtete sich auf einen Punkt direkt hinter ihr.

Delilah drehte sich daraufhin ein Stück weit um und starrte immer noch völlig begriffsstutzig zu Dean hoch, der ebenfalls auf sie herabgrinste. Gott war sie heute langsam.

„Guten Morgen.“, wünschte sie den beiden demonstrativ höflich, ehe sie sich aufsetzte und sich erst einmal ausgiebig streckte, um dadurch vielleicht schneller in die Gänge zu kommen.

„Also was war das gerade eben noch mal?“, hakte sie erneut nach. Vielleicht erbarmte sich einer der beiden Brüder und erleuchtete sie über diesen ziemlich unkonventionellen Morgengruß.

„Wir haben gewettet.“, erklärte James sofort hilfsbereit.

„Darüber, ob James mit seiner Aussage Recht hat, dass du innerhalb der nächsten Viertelstunde von allein die Augen aufschlägst.“

„Wirklich?“ Sie sah von einem zum anderen.

„Und woher wusstest du das?“ Ihr Blick blieb schließlich an James hängen, während sie verstohlen nachprüfte, ob sie auch keinen Abdruck von den Ohrhörern auf ihrer Wange hatte. Fühlte sich zumindest nicht so an.

„Na ja. Du trägst einen Wolf in dir, bist erst vor kurzem angegriffen worden und wurdest auch noch intensiv angestarrt. Wäre ein Wunder gewesen, wenn du nicht innerhalb kürzester Zeit aufgewacht wärst, nachdem Dean hier aufgekreuzt ist.“

„Aha.“ Sie verstand überhaupt nichts mehr.

„Nun ja, wegen deiner Instinkte, verstehst du?“

Dass sie welche hatte, wusste sie, aber dass das mit ihrem Erwachen direkt zu tun haben sollte, erschien ihr doch etwas dürftig. James musste ihr die Antwort wohl vom Gesicht ablesen können.

Er seufzte. „Du hängst eindeutig zu wenig als Wolf herum.“

„Oder du hast kein Talent dazu, irgendwas zu erklären.“, stichelte Dean immer noch mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Offenbar hatte ihm der gründliche Schlaf ganz gut getan. Er war heute definitiv besser drauf als gestern.

„Warte nur ab, bis ich mich wieder richtig bewegen kann, dann werde ich dir zeigen, wie man was richtig erklärt!“, knurrte James ihn gespielt böse an.

„Ja, mach nur. Wenn du dir nicht mit Worten alleine zu helfen weißt.“

„Idiot.“

„Sehr erwachsen. Ich bin beeindruckt.“ Dean würde gleich laut zu lachen anfangen, so sehr zuckte bereits sein Mundwinkel.

James setzte schon zu einer Erwiderung an, hielt sich aber zurück, als Delilah langsam aufstand und somit aus der Schusslinie ging.

„Ich lass’ euch beiden Streithähne dann mal alleine und werde Frühstück machen gehen.“ Natürlich erst nachdem sie ausgiebig geduscht hatte. Immerhin hatte sie die ganze Nacht durchgeschwitzt und war jetzt einfach nur noch froh, sich etwas abkühlen und frische Sachen anziehen zu können.

„Okay.“

„Geht klar.“

Delilah verließ das Zimmer mit unbeeindruckter Miene, doch kaum dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, erschien ein heiteres Lächeln auf ihren Lippen.

Wie es schien, fanden die Brüder langsam wieder zu ihrem alten Muster zurück. Doch Delilah würde erst dann wieder richtig aufatmen können, wenn beide ihre Sätze gegenseitig beendeten, oder das Gleiche zur gleichen Zeit sagten.

Bis dahin musste sie sich eben mit diesen kleinen Fortschritten zufriedengeben.
 

Das kühle Wasser war einfach herrlich und es war auch schon dringend Zeit geworden, dass sie sich rasierte und sich die Haare wusch. Wobei die letzten Tage wirklich chaotisch gewesen waren und man ihr sicherlich verzieh, dass sie sich da weniger um sich selbst, als vielmehr um James gekümmert hatte.

Glatt rasierte Beine und frischgewaschenes Haar waren bestimmt nicht absolut lebenswichtig, aber verbesserten die Lebensqualität durchaus ungemein.

Auch deshalb fühlte Delilah sich besser, als sie nur mit einem Handtuch bekleidet, aus dem Bad kam, mit dem sie sich die Haare trocken rubbelte.

Sie fühlte sich, als wäre ein schweres Gewicht von ihr abgefallen. Vielleicht lag es aber auch nicht nur allein an der Dusche sondern auch daran, dass sie endlich einmal gut geschlafen hatte. Auf einem Couchsessel zwar, aber das milderte ja nicht wirklich das Endergebnis.

Nackt stand sie schließlich vor ihrem Schrank und ließ ihren Blick langsam über die Kleiderstapel gleiten, über deren Menge sie immer noch aufs Neue erstaunt war. Sie hatte noch nie so viele Sachen besessen. Allerdings hatte die Sache auch einen kleinen Haken. Was sollte sie heute anziehen? Die Qual der Wahl.

Während Delilah sich zumindest schon einmal ein Höschen und Socken anzog, konnte sie durch das weit geöffnete Fenster plötzlich die Stimmen der beiden Brüder hereinwehen hören, als der warme Wind sie ihr deutlicher zutrug.

Verwundert runzelte sie ihre Stirn und hielt den Atem an.

„Sag bloß, du hast die Mitleidstour abgezogen, um sie zu dir zu locken.“

„Als ob ich das nötig hätte.“ Ein kurzes Schnauben. „Sie ist von ganz alleine gekommen. Vermutlich konnte sie auch nicht schlafen und bei der Hitze würde mich das kein bisschen wundern.“

Delilah atmete wieder weiter und griff nach einem BH, der ihr noch nicht zu klein war. Bald würde sie darum bitten müssen, dass Dean mit ihr in die Stadt fuhr, um ihr welche in ein paar Nummern größer zu kaufen. Aber das hatte noch etwas Zeit.

„Schon komisch. Ich hab nicht einmal mitbekommen, dass sie schlecht geschlafen hat.“ Das hatte Dean wirklich nicht. Was er wohl gedacht hatte, als sie nicht mehr bei ihm im Bett gewesen war?

„Du und Dad habt auch ziemlich lange gearbeitet. Ist denn so viel los?“, wollte James nun mit deutlicherem Ernst in der Stimme wissen. Er machte sich also auch Gedanken um die beiden.

„Nein, eigentlich geht es, aber er ist gestern ziemlich früh verschwunden. Da aber keines der Autos gefehlt hat, muss er wohl zu Fuß unterwegs gewesen sein.“

„Meinst du, er hat sich mal wieder den Pelz übergestreift?“

Kurze Stille. „Ich bin mir nicht sicher, aber zuzutrauen wäre es ihm. Ich glaube, das mit dem Angriff auf dich, nagt mehr an ihm, als er zeigen will.“

„Hm.“

Eine Weile war es still, also zog Delilah sich eine hellblaue Leinentunika über und schlüpfte auch noch in ihre schwarzen Leggins.

Irgendwie konnte sie sich Elija gar nicht als Werwolf vorstellen. Oder zumindest wollte sie es nicht so wirklich versuchen, da der Kerl sicher aussah, als würde er direkt einem Alptraum entspringen und davon hatte sie in letzter Zeit wirklich genug.

Allerdings war es nicht so, dass sie Elija nicht mochte und er ihr immer noch ziemliche Angst machte. Nein, das hatte sich inzwischen gründlich geändert, aber mit seinen vielen Narben im Gesicht und bestimmt auch auf dem Rest seines Körpers musste er wohl schon viele Kämpfe bestritten haben und eine ziemlich beeindruckende Erscheinung als Werwolf sein. Gegen die sie nicht nur wie ein Zwerg, sondern vermutlich auch noch wie ein kleiner, weißer Staubknödel aussah, den der alte Werwolf mit bloßem Schnauben zur Seite pusten konnte. Besser sie dachte nicht weiter darüber nach.

Gerade als Delilah ihr Nachthemd ordentlich über das Fußteil des Bettes gelegt hatte und das Zimmer verlassen wollte, fiel ihr Name.

Den ersten Teil des Satzes hatte sie nicht verstanden, also schlich sie sich näher an das weit geöffnete Fenster heran, als könne man sie jeden Moment entdecken und lauschte gespannt, obwohl das schlechte Gewissen sie schon ein kleines bisschen zwickte.

„Sag, liebst du sie?“ Ihr blieb fast das Herz stehen, als das von James kam, der damit wohl auch seinen Bruder einen ordentlichen Schlenker in die Magengrube verpassen wollte. Die Frage schien ihn wohl wirklich sehr zu beschäftigen und wenn sie ehrlich war, dann konnte sie das auch voll und ganz verstehen. Ihr würde es an seiner Stelle vermutlich nicht anders gehen.

Delilah konnte ihr eigenes Blut in den Ohren rauschen hören, so sehr versuchte sie sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Voller Spannung und auch mit einer gerechtfertigten Portion Nervosität harrte sie Deans Antwort.

„Keine Ahnung. Ich hab sie wirklich gerne, aber da ich noch nie verliebt war, kann ich es nicht mit Bestimmtheit sagen.“ Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder betrübt über seine Antwort sein sollte. Sie fühlte irgendwie beides.

„Wie kann man das nicht wissen?“ James schnaubte.

„Ach, als wenn du so ein Experte darin wärst!“

„Mehr als du auf jeden Fall. Dir ist es schon immer schwer gefallen, dich an eine Frau zu binden.“

„Und was hat es dir gebracht, dich an diese Schlampe zu binden?“

Scheiße, Dean!

„Wirst du mir das jetzt ewig vorhalten? Es ist vorbei. Also lass es!“ James senkte die Stimme. Klang dabei richtig bedrückt: „Ich will nicht länger darüber nachdenken müssen, okay?“

Delilah wusste, dass es richtiger wäre, in die Küche zu gehen und Frühstück zu machen.

Manchmal war es einfach besser, wenn man bestimmte Dinge nicht wusste, aber als Dean erneut das Wort ergriff, blieb sie wie angewurzelt stehen.

„Liebst du sie?

Dieses Mal ließ sich James mit der Antwort richtig viel Zeit, was sie nun endgültig nervös von einem Bein auf das andere treten ließ. Er sagte nicht einfach: Nein.

„Was soll die Frage? Du bist doch mit ihr zusammen.“, meinte er schließlich und wich offensichtlich einer Antwort aus.

„Aber du warst es, der sie zuerst wollte. Schon vergessen?“

Was?

„Wie könnte ich? Aber da du ja wieder einmal der Erste sein musstest, wär’s nett, wenn du mich jetzt damit in Ruhe lässt. Oder bohrst du gerne in offene Wunden? Danke, ich fühle mich auch so schon beschissen genug.“

Ein schweres Seufzen. „Ja, ich weiß und das tut mir auch verdammt leid.“

„Was tut dir leid? Du kannst doch gar nichts für meinen Zustand.“

Nein. Delilah war schuld daran. Da konnte sie James in Gedanken nur zustimmen.

„Doch, irgendwie schon. Ich meine, hätte ich nichts mit Deli angefangen, wäre Nadine vielleicht nie dazu in der Lage gewesen, dich noch einmal zu verarschen. Aber Tatsache ist nun mal, dass ich mich dazwischen gedrängt habe und es daher auch irgendwie meine Schuld ist. Außerdem hätte ich für dich da sein müssen. Dann hätten wir die Schlampe bereits bei der ersten beschissenen Hass-SMS gemeinsam fertig machen können. Stattdessen ist jetzt dein Handy kaputt.“

Wieder eine lange Pause.

„Ach, Mann... Dafür bist du doch jetzt für mich da und dieses Was-wäre-Wenn bringt sowieso nichts, also lassen wir das. Das macht einen nur irre im Kopf. Außerdem könntest du es ja wieder gut machen, indem du mir ins Bad hilfst.“

„J, du weißt doch ganz genau, dass-“

„Ja, ich weiß ganz genau, dass dein bescheuerter Pinkelbecher zu klein für das ist, was ich vorhabe. Mir egal, was Young gesagt hat. Ich werde gehen, ob mit dir oder ohne dich.“

„Scheiße. Du hast echt Glück, dass wir uns früher mal dieselbe Gebärmutter geteilt haben. Soll ich auch noch ein Streichholz zum Anzünden mitnehmen?“

Ein Lachen. „Lieber ein ganzes Päckchen.“

„Oh, Mann…“

„Das ist die Strafe für mein kaputtes Handy, aber darüber reden wir später noch und jetzt hilf mir hoch.“

Delilah ging. So genau hatte sie es nun wirklich nicht wissen wollen, aber das hatte sie nun davon, dass sie heimlich lauschte und jetzt würde sie mit dem gestohlenen Wissen alleine fertig werden müssen.

Ihre Zimmertür ließ sie für die beiden Brüder offen. Immerhin erwartete sie nicht, dass Dean seinen Bruder ins untere Bad schleppte, wenn sie hier nur über den Flur gehen mussten.

Immer noch das Gesagte im Kopf machte Delilah sich daran, ein üppiges Frühstück zu zubereiten.

Sie fand keine Anzeichen dafür, dass Dean bereits gegessen hatte, also briet sie ihm auch gleich eine Portion Speck und Eier mit und bereitete die entsprechende Menge Kaffee zu.

Elija aß nie etwas am Morgen, aber einer zweiten Tasse Kaffee war er bestimmt nicht abgeneigt.

Als sie mit allem fertig war, holte sie Dean, damit er ihr beim Tragen half, da sie alle gemeinsam in James Zimmer frühstücken würden. Hoffentlich brachte sie es hinter sich, ohne dass die beiden von ihrer Lauschaktion erfuhren. Sie hätte wirklich gleich gehen sollen.
 

„Danke.“

Da Dean so nett gewesen war, ihr auch noch den Rest des Geschirrs zu bringen, konnte Delilah auch gleich die Spülmaschine fertig einräumen. „Er scheint sich gut zu erholen, findest du nicht?“

Dean räumte die restlichen Sachen in den Kühlschrank und schaltete auch noch den Geschirrspüler ein. „Ja, das ist ziemlich beruhigend.“

„Zum Glück ist er ein Werwolf, sonst würde es wohl sehr viel länger dauern.“ Wenn er es dann überhaupt überlebt hätte. Delilah hatte da so ihre Zweifel.

„M-hm. Außerdem bin ich froh, dass du dich so gut um ihn kümmerst. Ich lasse Dad nur ungerne alleine in der Werkstatt schuften, auch wenn er sich natürlich nie beschweren würde.“

Ja, so kannten sie Elija. Hart und stur bis zum Geht nicht mehr.

„Ist doch okay. Immerhin habe ich Zeit.“ Auch wenn sie dadurch Dinge vernachlässigte, die ihr erst durch ihren Lauschangriff wieder so richtig bewusst geworden waren. Sie hatte auch vor, so schnell wie möglich wieder etwas daran zu ändern. Doch zuerst wollte sie eines noch einmal in aller Deutlichkeit wissen.

Bevor Dean also in der Werkstatt verschwinden konnte, legte sie das Geschirrtuch zur Seite, an dem sie sich die Hände abgetrocknet hatte und stellte sich dicht vor ihn hin. Bevor er auch nur den Mund aufmachen konnte, hatte Delilah schon ihre Arme um Deans Nacken geschlungen und ihre Lippen zart auf seinen Mund gelegt, während sie sich so weit streckte, wie sie konnte.

Es brauchte nur einen Atemzug bis seine warmen Hände sie zuerst an den Seiten streichelten, ehe er sie ganz in eine Umarmung zog und den Kuss ebenso sanft erwiderte, während er ihr auf halbem Wege entgegen kam, so dass sie sich halbwegs entspannt wieder auf die Fersen zurücksinken lassen konnte.

„Womit habe ich das denn verdient?“ Er unterbrach nur kurz den Kontakt, um das zu sagen, ehe seine Lippen erneut die ihren fanden. Dieses Mal deutlich verlangender.

Delilah hätte ihm natürlich sagen können, dass das auch ein kleines Experiment war, doch sie gab sich viel lieber diesem Kribbeln im Bauch und der Wärme in ihrem Herzen hin, während sie diese Gefühle genussvoll auskostete. So lange war es schon her, dass sie sich dem hatte hingeben können und sie schien auch nie genug davon zu kriegen.

„Das musst du … dir nicht erst …verdienen.“, hauchte sie daher zwischen kleinen Küssen, ehe ihre Finger durch sein Haar fuhren und sich schließlich dort fest hielten, um das Ganze noch intensiver zu gestalten, als ihre Zungenspitze nach seiner zu suchen begann.

Das Kribbeln verstärkte sich dadurch noch und sie hatte das Gefühl, dass ihre Nackenhärchen kleine Funken sprühten, als Deans Zunge die ihre berührte und zu umspielen begann.

Die Wärme in ihrem Brustkorb schwoll dadurch noch mehr an und das Prickeln verstärkte sich, breitete sich in ihrem ganzen Körper aus, während es sich zugleich in ihrem Bauch zu sammeln schien.

Vielleicht stimmte es wirklich und sie war tatsächlich nicht nur verknallt sondern wirklich und wahrhaftig in Dean verliebt, denn so hatte es sich für sie bisher noch nie angefühlt.

Zumindest fast noch nie.

Sie brauchte sich noch nicht einmal anzustrengen und sofort fiel ihr der stürmische Kuss am Boden der Werkstatt mit James wieder-

Nein!

Es war Dean gegenüber kein bisschen fair, wenn sie an seinen Bruder dachte, während sie sich küssten, also öffnete sie sich ihm noch mehr und ließ ihn nur zu gerne ihren Mund erforschen, bis ihr der Atem ausging.

Außerdem war das Thema nun sowieso erledigt. Sie war mit Dean zusammen und sie hatte nicht vor, daran noch etwas zu ändern. Nach diesem Kuss erst Recht nicht, der ihr alles bestätigte, was sie vorher schon zu wissen geglaubt hatte.

Delilahs Hände rutschten nach vor und hielten sich an Deans Shirt fest, während sie ihn nach hinten gegen die Arbeitsfläche drängte und ihn noch heißer küsste. Immer zart und genussvoll zwar, so wie sie beiden es liebten, aber mit der richtigen Schärfe dahinter.

Es entlockte ihm ein raues Lachen, das sie sofort mit einem weiteren Kuss erstickte.

Nun hielt auch Dean sich an ihren Hüften fest, während seine Daumen sie durch den dünnen Stoff der Tunika hindurch streichelten und auch ein Stück nach vorne wanderten, wo sie über die Rundung ihres Bauches gleiten konnten.

Delilah konnte wirklich nicht behaupten, dass sie sich mit Dean nicht absolut wohl fühlte, denn sonst war sie inzwischen schon sehr empfindlich was ihr Schwangerschaftsbäuchlein anging.

Der Gedanke, es könnte jemand Fremdes sie dort berühren, rührte sofort an ihren Instinkten und ließ sie in eine abwehrende Haltung gehen, doch bei Dean war das nicht nötig. Er würde dem Baby und ihr niemals wehtun.

Allerdings wurde sie ziemlich unsanft aus diesen warmen Gefühlen gerissen, als Dean den Kuss beendete und an ihr vorbei ein „Morgen, Dad“ murmelte.

Delilah wusste einen Moment lang gar nicht, was sie tun sollte und während sie immer noch da stand und ihre Finger in Deans Shirt gekrallt hatte, trat Elija neben sie an die Kaffeemaschine und schenkte sich eine frische Tasse voll ein.

„Morgen.“, war alles, was er sagte, ehe er ebenso lautlos wieder verschwand, wie er gekommen war, ohne sie auch nur eines allzu langen Blickes zu würdigen.

Delilah hatte noch nicht einmal seinen Gruß erwidert.

Dean fing leise zu lachen an, woraufhin sie ihm einen bösen Blick schenkte und ihn gegen die Schulter boxte. „Hättest du mich nicht vorwarnen können?“

„Habe ich hellseherische Fähigkeiten? Mich hat er auch überrascht.“

„Und warum lachst du dann?“ Sie sah ihn immer noch finster an.

„Weil dein Blick einfach genial war.“

Delilah grummelte in sich hinein und knuffte Dean dann noch einmal in die Seite, ehe sie ihn ganz losließ. „Besser du gehst jetzt an die Arbeit, bevor dein Dad dir das auch noch vom Lohn abzieht.“

„Unwahrscheinlich, aber ich sollte wirklich los.“ Er beugte sich noch einmal vor und hauchte ihr einen Kuss auf die immer noch leicht geschwollenen Lippen.

Sofort machte er ihr damit Lust auf mehr, aber er musste gehen. Und sie sollte nach James sehen, ob er nicht jetzt schon vor Langeweile gestorben war. Immerhin konnte er in seinem Zustand nicht gerade viel mit sich anfangen.

„Sehen wir uns dann später einmal?“

„Du meinst wohl eher, ob wir das von gerade eben noch einmal wiederholen?“

Dean grinste sie an.

„Klar. Ich warte dann in deiner Pause auf dich und wasch dir vorher die Hände. Ölflecken passen nicht so gut zu dem Blau meiner Tunika.“ Oder zu dem hellen Teint ihrer Haut.

Sie musste Dean aus der Küche schieben, bevor sie ihn noch länger mit ein paar Küssen aufhielt. Was das anging, war es schon viel zu lange her gewesen, dass sie sich das letzte Mal gefühlsmäßig so nahe gewesen waren.
 

Die Marines schlichen schwer bewaffnet durch die düstere, regelrecht abstoßende Umgebung. Keiner von ihnen wusste, was sie vorfinden würden, wenn sie auf die Versammlung der Kolonisten treffen würden. Doch allein die überwucherten Gänge und Flure ließen nichts Gutes erahnen.

Spätestens als sich etwas hinter den Marines im Schatten bewegte, das aussah, wie eines der Aliens, schaute Delilah lieber wieder auf ihre Finger und die lange Naht, die einen ehemals tiefen Schnitt in James’ Wade markierte.

Inzwischen hatten sie eine Beschäftigung für ihn gefunden.

Sein Mac war ein wunderbarer Fernsehersatz und spielte sogar Blu-rays ab. Auch wenn Delilah immer noch nicht verstand, was nun genau der Unterschied zu den altbekannten DVD’s sein sollte.

Immer noch etwas unsicher in ihren Handgriffen, reinigte sie vorsichtig die lange Naht, desinfizierte das Ganze noch einmal und bedeckte sie anschließend mit sterilen Tupfern, ehe sie die Wade wieder mit einem frischen Verband umwickelte.

Wenigstens war James inzwischen dazu in der Lage, sich relativ gut zu bewegen, so dass er ihr helfen konnte und sie nicht auch noch umständlich das Bein hochhalten musste.

Der Großteil der Marines war bereits getötet oder in dieses eklige Schleimzeugs eingesponnen worden, als Delilah zum nächsten Verband überging.

Bisher hatte Jams sich mehr auf den Film konzentriert, aber kaum dass ihre Finger seinen Schenkel berührten, wurde er merklich angespannt. Vermutlich genauso sehr wie sie selbst.

Beim ersten Mal als sie dort den Verband gewechselt hatte, war sie viel zu sehr auf ihre Hände konzentriert gewesen und dass sie nichts falsch machte, aber inzwischen hatte sich das geändert.

Vor allem, da sie seine Snoopy-Shorts ziemlich süß fand.

Als die Brüder in ihrem Bad gewesen waren, musste wohl mehr geschehen sein, als lediglich dem Ruf der Natur zu folgen. Was auch gut so war. Es musste für James sicher unangenehm gewesen sein, nachts so zu schwitzen und sich dann weder duschen, noch frische Sachen anziehen zu können.

„Also ich würde auch lieber sterben, als in so eine Lage zu geraten.“

„Was?“ James blickte erschrocken von ihren Händen auf, da sie das erste Mal, seit der Film lief, das Schweigen brach.

Delilah nickte zu dem Computer hinüber, um sie beide von ihrem Tun abzulenken.

„Ich würde lieber sterben, als so ein Alien in mir auszutragen und dann qualvoll dabei zu verrecken, wenn es meinen Brustkorb aufsprengt.“

„Achso. Ja, das stell‘ ich mir auch nicht besonders angenehm vor.“ Sein Bein zuckte, während sie seine Short so wenig wie möglich, aber so weit wie nötig nach oben schob.

„Die Frau ist wirklich zu bewundern, dass sie überhaupt noch einmal den Mut aufgebracht hat, das Team zu begleiten, nachdem was im 1. Teil mit ihrer Crew passiert ist. Ich frage mich aber auch, wo der Kater hingekommen ist.“

„Tja, das ist die Frage, nicht wahr?“ James lächelte und versuchte seine Aufmerksamkeit auf den Film zu richten, aber an seinen Fingern, die sich leicht ins Laken krallten, konnte man erkennen, dass er weit davon entfernt war, die Ruhe in Person zu sein.

Delilah versuchte schnell, aber gründlich zu arbeiten, damit sie sich beide nicht länger als nötig damit beschäftigen mussten, wo genau sie überall ihre Hände an James’ Körper hatte.

Aber schließlich schafften sie auch diese Stelle und beide konnten wieder tief durchatmen.

„Ich bin froh, dass sie nicht meinen Arsch erwischt hat.“, verkündete James daraufhin leise.

„Stimmt. Wäre auch sicher beim Liegen unpraktisch gewesen.“ Einmal von der Peinlichkeit völlig abgesehen, die es für sie beide bedeutet hätte. Außerdem wäre es auch schade um James‘ knackigen Po gewesen, wenn der etwas abbekommen hätte. Sie hatte nämlich noch ganz genau in Erinnerung, wie dieser sich angefühlt hatte, als sie ihre Finger dort-

Denk nicht mehr dran!

Das würde sie ohnehin nur verrückt machen. Außerdem war sie mit Dean zusammen und der hatte selbstverständlich auch eine tolle Kehrseite.

Vielleicht sollte das mein neues Mantra werden...

Nicht das mit Deans Po, aber dass sie ihn hatte und daher gar nicht an andere Männer zu denken brauchte. Andererseits hatte James das Gesicht und den Körper von Dean...

Nein, eigentlich nicht. Da log sie sich nun selbst etwas vor. Inzwischen war sie lange genug hier, um die Brüder auch anhand ihres Äußeren auseinander halten zu können.

Zugegeben, sie sahen sich verdammt ähnlich, aber allein die Gesichtsausdrücke konnten sehr verschieden sein, obwohl sie das Gleiche bedeuteten. Also galt diese Ausrede auch nicht wirklich.

James’ Kichern riss sie geradezu aus ihren Gedanken. „Sorry, aber das kitzelt.“

Fragend sah Delilah auf ihre Hände. Sie hatte das Wundpflaster richtig an seiner Seite angebracht. Aber trotzdem musste sie während ihrer Gedanken mit den Fingern abgedriftet sein. „Tut mir leid. War keine Absicht. Tun dir deine Rippen eigentlich noch sehr weh?“

„Nur wenn ich mich stark bewege, aber die Schmerztabletten helfen.“

Das war gut, denn nachdem sie den Verband an seinem Hals gewechselt hatte, würde sie seine Schulter mit der Salbe eincremen müssen. Ihr graute bereits jetzt davor, wenn sie daran dachte, wie sehr es James dort geschmerzt hatte, als Young ihn auch nur leicht berührt hatte.

„Überlebt das kleine Mädchen in dem Film eigentlich?“, versuchte sie wieder das Thema zu wechseln, während sie langsam den Verband abwickelte und James dabei so wenig wie möglich zu berühren versuchte. In dieser Position war er ihr auch so schon verflucht nahe. Selbst durch den Jodgestank hindurch konnte sie seine Witterung aufnehmen und die war ... einfach köstlich.

„Wenn ich dir das verraten würde, wäre doch die ganze Spannung dahin.“ Sein Atem streifte über ihre immer noch verdammt empfindliche Kehle, bewirkte aber das Gegenteil von purem Grauen.

„Na gut.“ Vermutlich starb das Mädchen ohnehin. Bei solchen Antworten konnte man nichts Anderes erwarten.

Delilah betupfte sanft die vielen kleinen Nähte mit dem Desinfektionsmittel.

Irgendwie konnte sie Dean schon verstehen. Das war kein Anblick, den man jeden Tag sehen wollte. Aber schlecht wurde ihr dabei auch nicht. Sie litt eher mit, obwohl James dank der starken Schmerzmittel wohl nicht besonders viel spürte.

„Bald können wir die Fäden ziehen. Die Wunden sehen schon viel besser aus. Du heilst sehr schnell.“

Sein Blick richtete sich auf sie und sie konnte seine volle Aufmerksamkeit fast körperlich spüren. Es trennten sie ja auch nur Zentimeter voneinander.

„Du musst das nicht tun, wenn du es dir nicht zutraust, okay?“ Er sagte es ganz sanft.

Ihre Finger blieben in seinem Nacken liegen; zitterten leicht. „Es geht mir nicht darum, ob ich es mir zutraue. Ich will dir einfach nicht wehtun.“ Nicht schon wieder.

„Das wirst du nicht. Da bin ich mir ganz sicher. Das bisschen Ziepen werde ich schon aushalten.“, versicherte er ihr und hob langsam seine Hand.

Delilah verfolgte die Geste mit rasendem Herzklopfen. Er legte sie auf ihre Finger und brachte sie dazu, wieder still zu halten.

„Du wirst das schon schaffen.“ James strich mit seinem Daumen über ihren Handrücken und schenkte ihr ein warmes Lächeln.

Delilah konnte plötzlich in ihrem Inneren ein sanftes Fiepen vernehmen, das von ihrer Wölfin kam, die sich auf diese Weise endlich wieder bei ihr meldete. Nadines Angriff hatte sie ganz schön eingeschüchtert. Vielleicht war sie deshalb in der Nähe von Werwölfen so zurückhaltend in letzter Zeit. Außerdem war sie eine Zeitlang nicht sehr gut auf James zu sprechen gewesen. Nach diesem Eifersuchtsanfall und nachdem sie beinahe das Baby dadurch verloren hätte, schon gar nicht. Doch das schien sich inzwischen geändert zu haben.

Delilah erwiderte das Lächeln, zog dann aber schließlich ihre Hand unter seiner weg und strich ihm kurz versucht freundschaftlich durchs Haar. Damit er nicht glaubte, dass sie es nicht mochte, wenn er sie berührte. Dabei war genau das Gegenteil der Fall. Seine Wärme schien immer noch auf ihrer Haut nach zu prickeln.

Da sie auf dieser Seite mit den Wunden fertig war, nutzte Delilah die Chance, sich kurz aus James’ Nähe zu reißen, um das Bett zu umrunden und auf der anderen Seite seines Halses weiter zu machen. Auch wenn sie dafür zu ihm aufs Bett klettern musste.

Wieder war da seine Anspannung, doch dieses Mal schob sie es auf seine verletzte Schulter, die er instinktiv etwas senkte, damit sie bei ihrer Arbeit nicht zufällig dagegen stieß. „Ich muss nachher leider auch deine Schulter eincremen.“, sagte sie auf ihre Gedanken hin.

James stieß einen tiefen Seufzer aus. „Das hatte ich befürchtet.“

„Wirken die Schmerztabletten noch?“ Gott, ihr Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals.

„Momentan schon, aber ich werde gleich noch welche nehmen. Zum Glück hat Young nicht gesagt, wie viele ich davon höchstens nehmen darf.“

„Ich glaube auch kaum, dass du genug davon schlucken könntest, um dich damit umzubringen. Außerdem würde ich dir allein für den Versuch, die Hölle heiß machen.“

Jetzt lächelte er wieder und suchte ihren Blick. „Achso? Würdest du das?“

Was für eine Frage, nachdem sie so hart um sein Leben gekämpft hatte!

„Da kannst du Gift drauf nehmen!“, meinte sie entschlossen, bis die Bedeutung ihrer Worte in ihrem verwirrten Gehirn ankam. „Ehm... Nein, doch nicht. Das ergäbe sonst gar keinen Sinn.“

Sie schnaubte über sich selbst. „Ich fange schon an, Blödsinn zu reden.“

„Ach, ich finde es ganz witzig.“ Sein Lächeln verwandelte sich in ein belustigtes Grinsen, das sie ihm gerne durch die ein oder andere zärtliche Geste von den Lippen gewischt hätte. Immerhin amüsierte er sich da gerade auf ihre Kosten. Aber sie konnte deshalb nicht wirklich böse sein.

„Blödian...“, grummelte sie daher nur und hielt sich damit zurück, ihm stattdessen einen saftigen Klaps auf den Hinterkopf zu geben, weil das so viel besser gewesen wäre, als daran zu denken, ihn zu-

„So hat mich auch noch keiner genannt.“

Sie ließ den Gedanken ganz fallen. „Dann wurde es auch langsam Zeit und jetzt halt still, damit ich das hier endlich fertig machen kann.“

„Ja, Ma’am.“ James drehte den Kopf weg, um sich wieder auf den Film zu konzentrieren. Außerdem bekam sie dadurch mehr Freiraum, um die Wunden zu versorgen und ein noch deutlicheres Kribbeln im Bauch, da er so stark seinen Hals vor ihr entblößte, als würde er ihr vollkommen vertrauen.

Als sie wieder den Verband um seinen Hals wickelte, musste sie sich stark zusammenreißen, um nicht auch noch an seinen Haaren zu schnuppern.

Was auch immer er heute Morgen in ihrem Bad getan hatte, die Haare waren auch frisch gewaschen. Aber der Shampoo-Geruch konnte sich nicht gegen den Duft von James’ Werwolf durchsetzen.

„Stimmt etwas nicht?“ James wandte den Kopf nach ihr um, so dass ihre Nasen fast aneinander stießen.

Delilah richtete sich ertappt auf. „Nein, alles okay. Ich wollte mir nur diese eine Naht etwas genauer anschauen. Ist aber alles in Ordnung damit.“

Sogar in ihren eigenen Ohren klang es wie eine dicke, fette Lüge, immerhin war der Verband schon um James‘ Hals gewickelt und man konnte gar keine Nähte mehr sehen. Aber das fiel ihr erst auf, als ihre Worte schon ihren Mund verlassen hatten.

Scheiße.

„Bist du sicher?“

Kam es ihr nur so vor, oder klang seine Stimme mit einem Mal dunkler? Auch der Ausdruck in seinen Augen hatte sich verändert. Delilah wurde da gerade eindeutig nicht nur von James fixiert.

Ihre Wölfin begann zustimmend zu knurren.

Obwohl es ihr enorm schwer fiel, da ihre Finger plötzlich heftiger zitterten, machte sie einen Knoten in den Verband, damit dieser bis zum nächsten Mal hielt. Dafür brauchte sie mehrere Anläufe, da James sie nicht nur unverwandt anstarrte, sondern ihre Knöchel dabei auch immer wieder über seinen Unterkiefer strichen.

„Bist du bereit für die Schulter?“ Klugerweise überging sie seine Frage vollkommen.

„So bereit wie ich nur sein kann.“, antwortete er gefasst.

Nur äußerst langsam drehte er erneut den Kopf auf die andere Seite und legte ihn zugleich leicht schief, so dass er ihr den Nacken und Hals nun endgültig entblößt hinhielt.

Sie musste schwer schlucken, denn irrsinniger Weise reizte es sie in diesem Augenblick sehr, ihn dort zu zwicken.

Mit den Zähnen...

Delilah rutschte entschlossen auf der Matratze ein Stück näher, beugte sich dicht zu James hinüber und öffnete vorsichtig und langsam den Knoten der Schlinge, die seinen Arm ruhig hielt. Bis jetzt war sein Gesicht noch entspannt oder zumindest das, was man als entspannt bezeichnen konnte, wenn er nicht deutlich Schmerzen verspürte.

Delilah hatte nicht vor, den Arm zu bewegen, aber sie zog das Tuch etwas herunter, damit sie an seine nackte Schulter herankam.

„Geht es bis jetzt?“, fragte sie zur Sicherheit noch einmal nach, bevor sie die Salbe zur Hand nahm und die geschätzte Menge herausholte, so wie Young es ihr aufgetragen hatte.

„Ja, kein Problem.“ James schloss die Augen.

„Das ist jetzt vielleicht ein bisschen kalt.“, warnte sie ihn vor, erwärmte dennoch die Salbe auch kurz zwischen ihren Handflächen, damit der Temperaturunterschied nicht zu stark war.

So zärtlich wie möglich, legte sie schließlich ihre Hände auf die Schulter und verteilte erst einmal gründlich die Salbe. „Wenn ich dir wehtue musst du es mir sagen.“

James drehte nur leicht seinen Kopf in ihre Richtung, so dass er sie aus dem Augenwinkel ansehen konnte. „Du wirst mir nicht wehtun, schon vergessen?“

Da war sie sich gar nicht so sicher, immerhin streichelte sie ihn gerade nur, aber gleich würde sie sanften Druck ausüben müssen, um die Muskeln sanft zu massieren.

„Gib trotzdem Bescheid, anstatt den Harten zu spielen, okay?“

„Im Moment bin ich weit davon entfernt auch nur irgendwie hart zu sein.“

Er legte seine Wange auf seine heile Schulter und schloss erneut die Augen. „Aber wenn du so weiter machst, könnte sich das durchaus noch ändern.“

Delilah arbeitete noch ein paar Herzschläge lang weiter, ehe sie begriff, was James damit gemeint haben könnte.

Verwundert sah sie hoch.

Er grinste ziemlich unverschämt, so dass sie ihn gar nicht erst ernst nehmen konnte. Zum Glück sah er sie dabei nicht auch noch an. Bestimmt hätte das Gold in seinen Augen dabei auch wie frisch poliert gefunkelt, nachdem es in letzter Zeit wie abgestumpft gewirkt hatte.

„Ich an deiner Stelle, würde nicht so den Mund aufreißen. Ich bezweifle, dass du in deinem Zustand irgendwas ohne irgendwelche bestimmten Pillen zu Stande bringst. Ich denke da besonders an diese kleinen blauen Pillen für den Mann.“

„Viagra hab ich noch nie nehmen müssen. Ich bin schließlich ein Werwolf! Aber wenn du mir nicht glaubst, können wir ja gerne wetten.“

„Lieber nicht. Ich würde dir gerne die Enttäuschung einer Niederlage ersparen.“ Sie konnte ihn wirklich nicht ernst nehmen, aber es war doch schön, so mit ihm zu scherzen, obwohl sie eigentlich gerade sehr vorsichtig sein musste. Aber es vertrieb auch definitiv ihre Angst vor dem, was sie hier tat.

„Ist wohl auch besser so. Der Wetteinsatz wäre ohnehin zu hoch für dich gewesen.“

„Ach ja? Um was wäre es denn gegangen?“ Sie hob fragend eine Augenbraue und strich dennoch immer wieder über James’ Schulter, bis diese merklich warm wurde.

Er begann fast zu Schnurren und seufzte wohlig, ehe ein sehr sinnliches Lächeln seine Lippen umspielte. „Ein wahrer Kenner genießt und schweigt.“

Sie musste kurz lachen. „Ich dachte, du bist kein wahrer Kenner.“

„Kommt ganz auf die Situation an.“

„Sag bloß, du genießt das hier. Da sprechen wohl die Schmerztabletten aus dir.“ Und wie er das hier genoss. Das war nicht zu übersehen.

„Möglich, aber das heißt ja nicht, dass ich meine Lage nicht auch zu meinem Vorteil ausnutzen kann.“

Ja, da gab sie ihm Recht.

Eigentlich war sie auch ganz froh, dass James das hier genießen konnte, anstatt zu leiden. Auch wenn sie ihm das nicht vollkommen abkaufte.

Kurz sah Delilah wegen des plötzlichen Lärmpegels hoch und an James’ Profil vorbei auf den Computer. Im Film starben gerade die nächsten Leute, während sie auf der Flucht vor den Aliens waren.

Da sie das wenig reizte, konzentrierte sie sich lieber wieder auf ihre Hände und James‘ Haut...

Schon seltsam. Wenn James nicht in dieser Lage wäre, würde sie es niemals wagen, ihn so zu berühren. Sie würde ihm noch nicht einmal so nahe kommen oder auf seinem Bett sitzen.

Nicht, dass es keinen Reiz für sie hätte, aber es wäre ihr einfach nicht erlaubt gewesen. Von daher könnte auch sie das für ihren Vorteil-

Ich bin mit Dean zusammen. Ich bin mit Dean zusammen! Ich bin-

„Bist du schon fertig, oder kannst du noch etwas weiter massieren?“ Honigfarbene Augen sahen sie offen an.

Völlig perplex starrte sie für einen Moment zurück, bis sie mit ihren Gedanken auf dem Laufenden war. „Wenn du es brauchst, kann ich ja noch ein bisschen weiter machen.“

„Ja, bitte. Das ständige Liegen macht mir ganz schön zu schaffen.“ Er seufzte schwer.

„Das du heute schon aufgestanden bist, ist doch ein gutes Zeichen. Du wirst sehen, es wird von Tag zu Tag besser.“, versuchte sie ihn zu vertrösten und entschied spontan, nicht nur sanft seine Schulter zu bearbeiten, sondern sich auch etwas um seinen Nacken zu kümmern. Tatsächlich war er dort ziemlich angespannt und fest.

„Oh jaa... Genau da...“, stöhnte James überraschend deutlich auf und lehnte sich ein Stück nach vor, damit Delilah noch mehr Platz hatte.

Kurzerhand rutschte sie noch näher und richtete sich so weit auf, dass ihr Bauch beinahe seinen Arm streifte. Da sie seine andere Schulter bedenkenlos kneten konnte, übte sie dort richtig Druck aus, bis James nur noch ein wohliges Brummen von sich gab, das sie nicht nur bis in ihren eigenen Bauch spürte, sondern ihr auch unerwartet deutlich zwischen die Schenkel rutschte.

„Wenn ich dafür bezahle, machst du das dann öfter?“

Was?

Sie war noch immer völlig überrumpelt von diesem einen bestimmten Gefühl und dann kam er ihr auch noch mit-

Delilah nahm für einen Moment lang an, dass das wieder ein Scherz sei, aber James meinte es vollkommen ernst. Offenbar tat es ihm sogar richtig gut.

„Wenn du dabei keine unangebrachten Hintergedanken bekommst, mache ich es auch umsonst.“ Von ihren eigenen Gedanken, die sich da einmischen wollten, wusste er ja zum Glück nichts.

„Ganz ehrlich, auf die Idee käme ich im Augenblick gar nicht. Dafür entspannt mich das viel zu sehr.“

Und es stimmte. Sein sanfter Tonfall, seine ganze Haltung und die Signale, die er aussandte, bestätigten James‘ Aussage nur.

„Gut, dann kann ich das sicher noch einmal wiederholen.“ Sobald sie sich wieder zusammen gerissen hatte.

„Danke.“, war alles, was sie daraufhin eine ganze Weile lang zu hören bekam. Mal von den wohligen Lauten abgesehen, die sie ganz verrückt machten.

Während Delilah sich beinahe mit Gewalt darauf konzentrierte, James’ Muskeln weich zu kneten, lugte sie mit einem Auge immer wieder zu dem Film hinüber, in dem zum Schluss auch noch die Königin – ein riesiges Alien – auftauchte und der weiblichen Hauptrolle noch einmal ganz schön zusetzte. Überraschenderweise überlebte nicht nur diese am Schluss, sondern auch das kleine Mädchen und der sexy Marine, der Delilah von Anfang an sympathisch gewesen war.

Als der Abspann kam, strich sie James noch ein letztes Mal über den Nacken, ehe sie ihm dabei half, sich wieder zurück in die Kissen sinken zu lassen, nachdem sie die Armschlinge wieder befestigt hatte.

„War doch gar nicht so schlimm, oder?“ Sie lächelte ihn offen an. Erleichtert darüber, dass sie es endlich hinter sich hatten und für heute seine Wunden versorgt waren.

„Du bist wirklich die beste Krankenschwester der Welt.“

Sie errötete. Nein, das war sie nicht. „Soweit würde ich jetzt nicht gehen, aber ich gebe mir alle Mühe. Immerhin hast du dich auch um mich gekümmert, als ich das Bett hüten musste.“

Sein Lächeln erlosch so restlos, als hätte man es einfach ausgeknipst. „Nein, das habe ich nicht. Um ehrlich zu sein, tut es mir sogar wahnsinnig leid, dass ich mich so beschissen aufgeführt habe. Ich hätte besser für dich da sein sollen.“

„Aber das warst du doch.“

„Nein. Nicht wirklich.“

„Und was ist mit den Büchern? Die Kleider? Das Essen?“, versuchte sie es erneut, da ihr das wirklich viel bedeutet hatte, immerhin hätte James nach allem was passiert war, gar nichts für sie tun müssen und dennoch hatte er sein Programm stur durchgezogen.

„Das … war doch nichts.“ Wieder ein tiefes Seufzen, während er ihrem Blick auswich und so wie er aussah, machte er sich in Gedanken gerade selbst fertig. Dabei war er gerade noch so entspannt gewesen.

Delilah umfasste sein Kinn und zwang ihn damit dazu, sie wieder anzusehen.

Ihr Blick war eindringlich als sie sagte: „Du hörst mir jetzt genau zu, James. Das was du bisher alles für mich getan hast, ist nicht einfach ‚gar nichts‘. Es hat mir wirklich viel bedeutet und war mehr, als sonst jemand in meinem Leben bisher für mich getan hat. Von Dean einmal abgesehen.“

Langsam ließ sie ihn wieder los. „Ihr seid für mich da und das war schon sehr lange niemand mehr für mich. Also hör auf, zu sagen, es wäre nichts. Es ist alles für mich, verstehst du?“

So offen hatte sie gerade nicht sein wollen, also senkte sie den Blick, damit James nicht noch mehr Gefühle in ihren Augen lesen konnte.

Plötzlich ergriff er ihre Hand und hielt sie fest, so dass sich die Wärme seiner Haut regelrecht auf sie übertrug.

Fasziniert starrte sie auf das Bild. Seine Hand war so viel größer als ihre, dass-

„Deli…“

Ihr Blick zuckte hoch, während durch den überraschend sanften Tonfall ihr Herz nun endgültig ihren Brustkorb zu sprengen versuchte.

„Ja?“

„Ich-“

„Deli?“

Delilah fuhr fast zusammen, als sie Deans Stimme von unten herauf hören konnte, lauter als die leise Stimme von James und daher umso verwirrender, klangen sie doch so gleich.

Offenbar hatte er jetzt Pause und das im denkbar ungünstigsten Moment, denn sie war sich sicher, dass James gerade dabei war, etwas Wichtiges zu sagen.

„James?“, versuchte sie es daher noch einmal und ignorierte so gut sie konnte Deans Schritte auf der Treppe die immer näher kamen.

Doch James ließ ihre Hand wieder los und wandte sich nun vollkommen von ihr ab. „Ach nichts. Ist nicht so wichtig.“

Sie spürte den Stich deutlich in ihrer Brust.

Dean klopfte nicht an, sondern kam gleich zur Tür hereingestürmt.

„Hi, Leute. Alles klar bei-“ Er verlor langsam den Schwung und blieb schließlich vor dem großen Bett stehen, während sein Blick von einem zum anderen wanderte und schließlich bei Delilah hängen blieb, die immer noch dicht neben James auf dem Bett saß.

„Stör‘ ich euch gerade?“

Kurz warf sie noch einen Blick zu James hinüber, doch der zupfte regelrecht gelangweilt an einem Eck des Heftpflasters an seinem Bauch herum, ohne es jedoch abzulösen.

„Nein. Ich bin gerade fertig geworden und mache uns gleich etwas zu Essen.“ Sie packte zusammen, stand auf, richtete sich kurz ihre Tunika und marschierte dann mit den Verbandssachen zur Tür. Beim Vorbeigehen strich sie Dean zur Begrüßung sanft über die Seite und verließ dann das Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen. Auch ihre Stimmung war mit einem Schlag wie ausgelöscht.

James hatte ihr mit Sicherheit etwas Wichtiges sagen wollen und es hatte wehgetan, als er sich so endgültig von ihr abgewandt hatte.

39. Kapitel

Hi, Leute.
 

Tut mir leid, dass es mit diesem Kapitel so lange gedauert hat. Aber ich kämpfe schon so lange damit und jetzt habe ich den Entschluss gefällt, das Kapitel zu teilen, da es sonst ohnehin viel zu lange werden würde.

Also hoffentlich wisst ihr noch worum es ging. Ich werde mir auf jeden Fall noch mehr Mühe geben, um schneller weiter zu schreiben, als bisher.
 

Liebste Grüße

Darklover
 

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Sie hatte das vermisst.

Deans warme Hände auf ihrer Haut. Die Art, wie er sie zärtlich streichelte und liebkoste, als wäre sie etwas Kostbares auf das man achten musste und nicht einfach nur eine weitere Gelegenheit, um einen wegzustecken.

Seine Küsse waren innig und von einer beruhigenden Gelassenheit, als hätte er alle Zeit der Welt und doch als wäre jeder Augenblick so wertvoll, das man ihn einfach vollends auskosten musste.

Delilah wusste einfach nicht, ob sie lieber nach Luft schnappen und somit ihre Lippen von den seinen trennen, oder lieber weiter die Berührung aufrecht halten und stattdessen auf den Sauerstoff verzichten sollte. Es fühlte sich einfach so wahnsinnig gut an, machte süchtig und überhaupt könnte sie das jeden Tag aufs Neue tun, ohne dass es ihr langweilig werden würde.

Gott sei Dank nahm Dean ihr diese schwere Entscheidung ab, in dem er schließlich von ihrem Mund abließ, um ihren Kiefer entlang zu knabbern und dann in Richtung Ohr abzudriften. Seine Arme schlangen sich dabei vollends um sie und drückten ihren Körper gegen seine heiße, feste und so wunderbar nackte Brust, bis sie sich vollkommen von ihm eingenommen fühlte.

Derweil fuhren Delilahs Hände durch sein dichtes Haar, zogen leicht daran, als er sie sanft mit den Zähnen ins Ohrläppchen biss und ihr damit einen weiteren erregenden Schauer durch den Körper jagte, bis sie leise aufkeuchte.

Inzwischen wusste er sehr genau, wie er sie an bestimmten Stellen berühren musste, um sie ganz schwach und vor Verlangen zittrig zu machen. Trotzdem wurde er nie müde, sie immer wieder aufs Neue zu entdecken, um vielleicht noch weitere Stellen zu finden, die sie ganz heiß machten.

Die empfindliche Stelle direkt unterhalb ihres Ohrs, war nur eine davon, während er mit seinen Fingern zart über ihre Seite entlang direkt zum sanften Schwung ihrer Brust auf die nächste zusteuerte.

Ihr Herz begann daraufhin noch heftiger zu schlagen und zwischen ihren Beinen erblühte schon bald eine Hitze, die sie schon viel zu lange nicht mehr gespürt hatte.

Delilah entkam ein weiteres Seufzen, nachdem sie es geschafft hatte, ihre Beine um Deans Oberschenkel zu schlingen und ihn eng an ihre Mitte zu ziehen, wo sie deutlich auch die ersten Anzeichen seiner eigenen Erregung durch die dünnen Stoffschichten hindurch spüren konnte, die sie noch am Leib trugen.

Instinktiv begann sie sich ein wenig an ihm zu reiben, während ihre Hände von seinem Haar abließen, seinen nackten Rücken hinab streichelten und schließlich an seinem umwerfenden Po hängen blieben, um sich daran festzuhalten.

Dean entkam daraufhin ein durch und durch männliches Knurren, was ihre Gefühle noch mehr anfeuerte und ihre Beherrschung langsam auf die Probe stellte. Aber davon ließ er sich natürlich ganz und gar nicht beeindrucken. Dahingehend konnte er sie mit seiner geduldigen Art und Weise richtig quälen.

So wild und ganz und gar ohne Vorspiel wie er sie damals bei diesem Schuppen genommen hatte, waren sie bisher nicht mehr zusammen gekommen und langsam begann Delilah sogar zu glauben, dass es nicht in Deans Natur lag, die Dinge so zu überstürzen, außer wenn er annehmen musste, dass es vielleicht das letzte Mal sein könnte.

Delilah fand das schade, aber sie würde Dean deshalb niemals ändern wollen und vielleicht würde sich irgendwann doch noch einmal die Gelegenheit für einen Quickie ergeben, wenn der Sex zwischen ihnen nicht mehr so dermaßen besonders war oder sollte sie eher sagen, selten? Denn sie konnte gar nicht glauben, dass es zwischen ihm und ihr einmal nicht mehr besonders sein könnte. Dafür fühlte es sich einfach zu einzigartig, zu schön und intensiv für sie an. So innig, wie mit keinem anderen Mann vor ihm. Wobei eine Ausnahme definitiv die Regel bestätigte.

Delilah wollte nicht daran denken. Stattdessen genoss sie es einfach, dass er nicht einfach einer von der schnellen Sorte war und sich um ihre Bedürfnisse kümmerte.

Und wie er sich um sie kümmerte!

Delilah stöhnte beinahe auf, als er mit seinem Daumen so gekonnt die Knospe ihrer Br-

„Mhmm... Sie sind definitiv größer geworden...“, schnurrte er zwischen dem Tal ihrer Brüste hervor, zu dem seine Lippen inzwischen gewandert waren und hätte ihr damit keinen größeren Dämpfer verpassen können.

James hat so etwas Ähnliches gesagt...

Verdammt, sie hatte nicht an ihn denken wollen. Nicht Hier und Jetzt!

Allerdings war es schon zu spät.

„Alles in Ordnung? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Dean sah zu ihr hoch und Delilah zwang sich zu einem Lächeln. Natürlich hatte er nichts falsch gemacht. Schließlich war sie hier diejenige, die ständig alles vermasselte und dieses Mal sogar besonders gründlich. Hätte sie einen Schwanz besessen, wäre dieser jetzt vollkommen in sich zusammen gefallen.

„Es geht mir gut, keine Sorge.“, wich sie geschickt seiner zweiten Frage aus und richtete sich leicht auf, damit sie sein Gesicht umfassen und für einen weiteren innigen Kuss zu sich heranziehen konnte. Zum Glück hatte sie keinen Schwanz und auch die Feuchtigkeit zwischen ihren Schenkeln konnte nicht einfach so verschwinden. Es gab also nichts, was sie verraten könnte.

Dean war trotzdem skeptisch, bis er langsam in dem heißen Kuss aufging. Ein paar Augenblicke später versank er wieder in ihrem Ausschnitt, um dort weiter zu machen, wo er vorhin aufgehört hatte.

Sie fühlte sich mies, ihn so anzulügen.

Delilah ließ sich wieder ins Kissen zurück sinken und versuchte angestrengt sich wieder zu entspannen und Deans zärtliche Zuwendungen zu genießen. Es funktionierte auch. Ungefähr zehn Sekunden lang, doch dann kam ihr der Gedanke, wie viel James wohl von dem hier mitbekommen würde, sollte das hier noch sehr viel weiter gehen, selbst wenn sie versuchen würde, keinen Laut von sich zu geben? Aber da war ja auch immer noch Dean, der nicht unbedingt zu den schweigsamen Männern beim Sex zählte, auch wenn er es auf keinen Fall übertrieb. Er verbarg seine Lust eben nicht und genau das mochte sie so an ihm, aber das war nun einmal auch deutlich zu hören.

Und obwohl das Bett nicht quietschte oder Dean sie so hart nahm, dass es dabei gegen die Wand krachte, so gab es doch Geräusche von sich, die ein Werwolf im anderen Zimmer auf jeden Fall identifizieren konnte.

James würde es also auf jeden Fall mitbekommen, dass sein Bruder und sie gerade Sex hatten und dieses Wissen reichte schließlich aus, um ihr die Stimmung endgültig zu verderben. Sie würde sich niemals entspannen können, wenn sie wusste, dass James nur zwei Türen weiter war und zuhörte. Ob er nun wollte oder nicht. Im Augenblick hatte er dahingehend kaum eine andere Wahl, so wie er da ans Bett gefesselt war.

Verdammt.

Jetzt musste sie auch wieder an die Szene vor zwei Tagen denken, als er ihr so offensichtlich etwas Wichtiges hatte sagen wollen, bis Dean hereingeplatzt war. Seit dem hatte er keinerlei Anstalten mehr gemacht, es noch einmal zu versuchen. Stattdessen war James ungewöhnlich ruhig gewesen. Hatte sich hauptsächlich nur noch auf die Filme konzentriert, die sie sich angeguckt hatten, während sie seine Wunden versorgte und auch nicht um eine weitere Massage gebeten.

Klar waren ab und an noch ein paar Scherze zwischen ihnen hin und her gegangen, aber Delilah war nicht entgangen, dass James nicht mehr mit vollem Herzen dabei war. Eigentlich hatte sie sogar das Gefühl, dass er sich irgendwie vor ihr zurückzog und zwar auf emotionaler Ebene. Aber mit absoluter Sicherheit konnte sie das nicht sagen. Vielleicht wollte er sich auch nur mehr darauf konzentrieren, so schnell wie möglich wieder gesund zu werden, damit er nicht länger an sein Bett gekettet war.

Ein Seufzen erklang, das nicht aus ihrem Mund stammte. „Du denkst schon wieder an ihn, stimmt’s?“ Dean sah sie prüfend an. Fast könnte man meinen, er hätte ihre Gedanken gelesen. Aber vermutlich hätte er das nicht einmal müssen.

Delilah hatte nicht einmal bemerkt, wie er inne gehalten hatte, geschweige denn wusste sie, wie lange er sie schon so ansah. Außerdem sagte ihr Körper inzwischen alles, was er wissen musste und es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie an seinen Bruder dachte, während er bei ihr war.

„Dabei hätte ich gedacht, dass wir das inzwischen hinter uns gelassen haben…“

Da Delilah nicht wusste, ob sie sich in den letzten Minuten überhaupt bewegt oder sonst irgendwie reagiert hatte, so wie es angemessen gewesen wäre, konnte sie ihn nicht noch einmal anlügen. Außerdem brachte es jetzt ohnehin nichts mehr. Ihre Lust war endgültig erloschen und Dean wusste es.

„Es… Es tut mir leid, Dean.“, murmelte sie leise. Das tat es wirklich. Immerhin wünschte sie doch auch selbst, dass es anders wäre und sie sich allein auf ihn konzentrieren konnte, aber das war alles nicht so einfach.

Dean ließ mit einem weiteren schweren Seufzen den Kopf hängen und richtete sich weiter auf, so dass er sie die Wärme seines Körpers schmerzlich vermissen ließ.

„Ich werd’s sicher bereuen, wenn ich frage…“, sagte er mehr zu sich selbst, während er sich mit der Hand übers Gesicht fuhr und sie dann wieder mit seinen goldbraunen Augen fixierte. „…aber womit genau hat mein Bruder uns jetzt wieder die Stimmung versaut?“ Es klang sichtlich frustriert.

Spätestens jetzt war Delilahs eigene Stimmung endgültig im Keller. Als könne James etwas dafür, dass es zwischen seinem Bruder und ihr nicht so im Bett lief, wie sie beide es sich wünschten!

„Mir fällt es einfach schwer, mich fallen zu lassen, wenn ich daran denke, dass James uns womöglich dabei zuhören muss, wie wir es miteinander treiben.“, verteidigte sie ihn, ohne es wirklich zu wollen. Aber langsam wurde Delilah sauer, obwohl sie das gar nicht wollte, weshalb sie sich auch wieder ein Stück weiter aufsetzte, um sich nicht so unterlegen zu fühlen.

„Aber das war doch vorher auch kein Problem für dich.“ Auch aus Deans Stimme war jetzt jegliche Zärtlichkeit verschwunden und hatte deutlich einer leisen Frustration Platz gemacht, obwohl er sich merklich besser zusammen riss, als sie es konnte.

„Da war er ja auch bei dieser Schlampe und nicht hier!“ Zugegeben, kein sehr gutes Argument. Das konnte man auch falsch verstehen. Ganz so, als wäre der Sex mit Dean nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, um zu vergessen, was James gerade trieb. Oder um es diesem mit gleicher Münze heimzuzahlen.

Dean sah sie für einen Moment wortlos an, ehe er schnaubte und sich von ihr runter rollte, um sich zurück in sein Kissen fallen zu lassen. Er hatte es falsch verstanden.

„Ich habe jetzt nicht von ihm gesprochen. Ich meinte, dass es dich auch nicht weiter gestört hat, als wir Sex hatten, obwohl mein Dad uns hören konnte.“ Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Zimmerdecke. „Aber gut zu wissen, dass du so darüber denkst.“

Delilah setzte sich mit einem Ruck auf und sah ihn aus großen Augen hervor an. „Dein Dad war im Haus?!“

Er warf ihr nur einen flüchtigen Seitenblick zu. „Ja, war er.“

Ach du heilige Scheiße!

Delilah zupfte hastig ihr Nachthemd wieder zurecht, als könnte Elija jede Sekunde wie die Sittenpolizei bei der Tür herein gestürmt kommen und sie auf frischer Tat ertappen. Was natürlich nicht passierte, also ließ sie den Kopf hängen und starrte auf ihre zittrigen Finger, während sie sich an den Gedanken zu gewöhnen versuchte, dass der alte Werwolf gehört hatte, wie sie es mit seinem Sohn trieb. Mehrmals.

Aber er hatte nie etwas gesagt...

Ach, wär’s dir lieber gewesen, er hätte dich darauf angesprochen oder dir mehrdeutige Blicke zugeworfen?

Nein, eigentlich nicht.

„Scheiße.“, fasste sie schließlich ihre Gedanken zusammen. Jetzt würde sie Elija nicht mehr so einfach unter die Augen treten können, ohne daran denken zu müssen, wie er-

„Ist das jetzt die Übersetzung für: Wir müssen solange auf Sex verzichten, bis keiner mehr im Haus ist?“, verlangte Dean zu wissen.

Sie schaute ihn an.

Genau das hieß es. Aber sie wollte es nicht so offen aussprechen, denn das würde derzeit bedeuten, dass es auch weiterhin keinen Sex zwischen ihnen gab. Dabei hatte Dean inzwischen schon genug Geduld für sie aufgebracht. Immerhin waren sie jetzt zusammen. Da gehörte das einfach dazu und das letzte Mal war schon Wochen her.

„Nein, natürlich nicht. Es...“ Delilah suchte eine Weile nach den richtigen Worten, aber sie fand einfach keine. Hilflos hob sie die Schultern. „Ich weiß ja auch nicht...“

Dean seufzte schon wieder, aber wenigstens sah er sie wieder an.

„Dad stört es sicher nicht. Ist schließlich nicht das erste Mal, dass James oder ich jemanden nach Hause gebracht haben, der auch hier übernachtet hat. Was soll er auch großartig dazu sagen? Wir sind alle erwachsen.“

Delilah erstarrte und mit einem Mal war nicht nur die Stimmung absolut hinüber, ihr wurde auch heiß und kalt zugleich, während ihre Wölfin lautstark in ihrem Kopf zu knurren begann und die Zähne fletschte. JETZT war sie unweigerlich wütend.

„Tu mir den Gefallen und behalte solche Informationen in Zukunft für dich. Dass du noch andere Frauen in diesem Bett gefickt hast, wollte ich gar nicht wissen.“ Allein der Gedanke daran machte sie rasend und am liebsten hätte sie jede einzelne dieser Tussis aufgespürt und ihnen die Augen ausgekratzt!

Ja, verdammt. Sie war eifersüchtig!

„Als hättest du keine Vorgeschichte in Sachen Männer...“ Dean schien ihre Wut nicht zu bemerken oder vielleicht nahm er sie nicht ernst genug. Außerdem konnte sie auch bei ihm einen Hauch von Wut erschnuppern, was das Ganze nicht gerade besser machte.

Sie auch noch an ihre Vergangenheit zu erinnern, war kein besonders kluger Schachzug von ihm gewesen, denn jetzt fühlte Delilah sich an ihr beschissenes Leben vor den Zwillingen erinnert und mit was für Typen sie es getrieben hatte, um nicht auf der Straße übernachten zu müssen.

Gott, allein der Gedanke daran ließ sie sich schmutzig fühlen. Dabei hätte sie immer gedacht, es würde ihr absolut nichts ausmachen, die Männer für ihre Zwecke zu missbrauchen. Doch hier neben Dean in seinem warmen Bett, der ihr mehr bedeutete, als alle Männer vor ihm zusammen, kam sie sich plötzlich richtig schäbig und tatsächlich wie eine billige Nutte vor. Wenn er wüsste, wie viele sie wirklich schon vor ihm gehabt hatte...

Seine goldenen Augen schauten sie eindringlich an, als warte er auf eine passende Erwiderung. So intensiv, als könne er tatsächlich jeden Moment ihre Gedanken lesen.

Das war zu viel. Delilah hielt es nicht länger in seiner Nähe aus, ohne sich noch elender zu fühlen, weil sie ihn eigentlich gar nicht wirklich verdient hatte und dass er immer so gut zu ihr war, wie er eben war. Also schlug sie das Laken zur Seite und stand auf.

„Und was wird das jetzt?“, verlangte Dean zu wissen, der sich sofort aufraffte und eine verwirrte Miene aufsetzte, da er damit wohl am Allerwenigsten gerechnet hatte.

„Ich gehe in mein eigenes Bett. Das sieht man doch.“ Delilah riss die Tür auf. „Gute Nacht.“

Sie ließ ihn in dem Glauben, es wäre nur reine Wut, die sie aus seinem Bett getrieben hatte. Es war zumindest besser als die bittere Wahrheit.

Nur wegen James schlug sie die Tür nicht auch noch hinter sich zu, sondern schloss sie lautlos. Dass Dean ihr keinesfalls leise hinterher rief, ignorierte sie dabei einfach, während sie über den Flur und in ihr eigenes Zimmer ging.

Trotz der Hitze war es kalt unter der Decke und sobald Delilah das Laken über ihren Kopf gezogen und einmal tief Luft geholt hatte, liefen ihr stille Tränen die Wangen herab.

Sie begann sich einsam zu fühlen und Deans Wärme regelrecht zu vermissen, obwohl sie immer noch das Gefühl hatte, diese gar nicht verdient zu haben. Im Gegensatz zu den Brüdern war sie doch ein absolutes Nichts und vermutlich würde dieses Baby das einzig Gute sein, das sie je zu Stande gebracht hatte.

Delilah schlang ihre Arme um ihren Bauch und begann noch mehr zu weinen. Es war so typisch für sie, dass sie sogar beinahe ihr Kind umgebracht hätte, da sie einfach das Talent besaß, immer von einer Katastrophe in die nächste zu geraten.

Das mit James war auch so eine Sache. Wäre sie nicht gewesen, wäre das alles gar nicht erst passiert und er wäre auch nicht beinahe gestorben.

Delilah war also nur zu einem wirklich nütze: Sie war ziemlich gut darin, Chaos zu stiften und Leute unglücklich zu machen. So, wie sie James unglücklich machte und unweigerlich auch Dean…

Und da war dann auch noch das Wissen, vorhin völlig überreagiert zu haben, ohne es irgendwie verhindern oder im Nachhinein ändern zu können. Sie war jetzt hier und konnte nicht einfach wieder zu Dean zurück, obwohl sie das bereits gewollt hatte, als sie aus seinem Bett gestiegen war.

„Verdammte Hormone!“, fluchte sie leise und steckte den Kopf wieder an die frische Luft, um am Ende nicht auch noch unter der Decke zu ersticken.

Warum hatte sie sich nur so aufgeführt?

Delilah wischte sich grob die Tränen von den Wangen.

Dean hatte eigentlich ziemlich allgemein gesprochen und nicht etwa von seiner letzten Ex angefangen. Er hatte sie doch nur beruhigen wollen, aber das war ja wohl mächtig nach Hinten losgegangen. Allerdings machte dieses Wissen es jetzt auch nicht besser. Außer dass sich ihre Wölfin wieder etwas beruhigt hatte.

Das Biest war ganz schön eifersüchtig, egal ob es nun um Dean oder um James ging.

Manchmal wünschte Delilah sich wirklich, sie wäre eine ganz normale Frau mit normalen Problemen. Aber ob sie sich dann besser unter Kontrolle hätte, blieb fraglich.

Sie seufzte wohl zum hundertsten Mal heute und versuchte ihre Gedanken zum Erliegen zu bringen. Selbstmitleid war ebenso sinnlos, wie sich selbst fertig zu machen. Delilah fühlte sich schon mies genug. Sie musste nicht noch eins drauf legen. Also versuchte sie zu schlafen.

Sie würde sich morgen bei Dean entschuldigen.
 

Nein...“ Sie wurde von hinten festgehalten und gegen einen harten Körper gedrückt, während eine Hand sich auf ihren Bauch legte, direkt auf die Stelle wo kaum geschützt ihr Baby darunter lag.

„Nein.“ Ihre Kehle war wie zugeschnürt; sie bekam keine Luft mehr, während sie die Hand wegzuschieben versuchte, um ihr Baby zu beschützen. Doch der Angreifer ließ nicht locker und der Griff um sie herum wurde fester.

„NEIN!“ Delilah fuhr mit einem heiseren Schrei hoch, kam aber nicht weit, da muskulöse Arme und ein deutlich größerer Körper sie blockierten. Sofort wurde ihre Panik noch schlimmer und sie begann sich heftig zu wehren, während sie aus dem Bett zu klettern versuchte.

Sie schaffte es auch fast bis über die Kante, ehe starke Hände sie packten und wieder zurück auf die Matratze zerrten, wo sich wieder die Arme wie Fesseln um sie legten und ein heißer Atem, ihren Nacken streifte, als wäre er nur der Vorbote für messerscharfe Zähne, die sich jeden Moment dort hineingraben würden. Das Rauschen ihres Blutes war fast dröhnend laut in ihren Ohren und ihr Atem überschlug sich, bis-

„Delilah!“ Jemand schrie sie an.

Sie kannte die Stimme und ihre Gegenwehr ließ etwas nach.

„Dean?“, fragte sie leise wimmernd und hielt schließlich ganz still.

„Ja, ich bin’s.“ Er ließ ihre Arme los, mit denen sie ihm und sich selbst sonst wehgetan hätte und begann sanft durch ihr Haar zu streichen, während er sich dichter zu ihrem Ohr beugte, damit sie ihn unter ihren heftigen Atemzügen besser hören konnte.

„Schsch... Alles gut. Ich bin hier.“ Sein heißer Atem liebkoste ihren Hals und versprach dieses Mal zusammen mit der Wärme in ihrem Rücken Sicherheit.

Delilah begann noch heftiger zu zittern als ohnehin schon und drehte sich schließlich zu Dean herum, damit sie sich an seiner nackten Brust verstecken und sich von ihm in Sicherheit wiegen lassen konnte. Seine Arme waren nun nicht länger wie Fesseln, sondern viel mehr wie ein beschützender Kokon, der sich um sie legte und wärmte.

Es war zwar nur ein Traum gewesen, aber ihr saß immer noch die Panik im Nacken und ihr Hals schmerzte, als hätte tatsächlich jemand sie gewürgt. Aber vermutlich hatte sie im Schlaf geschrien und dafür war ihre Kehle noch nicht weit genug verheilt, um es widerstandslos über sich ergehen zu lassen.

„Tut mir leid, dass ich so zickig war.“, murmelte Delilah nach einer Weile leise, als sich auch ihr rasender Herzschlag wieder beruhigt hatte. Sie schmiegte ihre Stirn gegen Deans warme Haut und genoss das vertraute Gefühl zwischen ihnen. Ganz so, als wäre nie etwas gewesen.

Gott, das war so viel besser, als alleine schlafen zu müssen.

„Schon okay.“ Er drückte seine Nase in ihr Haar und atmete einmal tief ein. Offenbar war das alles, was er auf ihre Worte hin zu sagen hatte.

Sie war ihm auch verdammt dankbar dafür. Delilah hatte sich selbst schon genug fertig gemacht und um ehrlich zu sein, fehlte ihr im Augenblick auch die Kraft dazu, damit weiter zu machen.

„Und bitte glaub nicht, dass ich keinen Sex mehr mit dir haben will. So ist das nämlich wirklich nicht. Ich... Mir geht in letzter Zeit einfach nur so verdammt viel im Kopf herum, dass ich einfach nicht richtig abschalten kann.“

Dean zog sie näher zu sich heran und verschlang auch seine Beine mit den ihren. „Es ist wirklich okay, Deli. Ich verstehe das durchaus. Also setz dich nicht unnötig unter Druck. Ich bin zwar ein Kerl, aber meistens denke ich trotzdem mit meinem Gehirn und nicht mit meinem Schwanz.“

Er beugte sich weiter über sie und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Außerdem macht es mir gar keinen Spaß, wenn es dir keinen Spaß macht.“

Das brachte sie zum Lächeln.

Dafür, dass er in der Nähe seines Bruders immer so weit den Mund aufriss, schien er bei ihr fast immer das Richtige zu sagen.

„Ich weiß gar nicht, womit ich dich eigentlich verdient habe.“ Sie kuschelte sich gemütlicher in seine Arme und schloss wieder die Augen.

Delilah wusste es wirklich nicht. Aber sie war froh, dass sie diese Entscheidung getroffen hatte. Hierher zu kommen und dadurch auch die Chancen für ihr Baby zu erhöhen, war vermutlich die klügste Entscheidung in ihrem bisherigen Leben gewesen. Immerhin hatte sie auch nicht mit so vielen Gefühlen und so intensiver Zuneigung gerechnet. Sie konnte also wirklich dankbar sein. Zudem hätte sie nie gedacht, einmal auf einen Mann zu treffen, den sie nicht schon nach wenigen Tagen wieder verlassen wollte.

Eigentlich machte es ihr sogar die größte Angst, dass er sie eines Tages verlassen könnte, aber so wie es sich jetzt gerade anfühlte, schien diese Angst nicht auf fruchtbaren Boden zu treffen. Was Delilah zumindest vorerst wieder beruhigen konnte.

Sie war auch schon fast wieder eingeschlafen; hatte nicht einmal eine Antwort von Dean erwartet und doch riss sie erstaunt die Augen auf, als sie sein leise geflüstertes „Ich liebe dich“ hörte.

Sie war so perplex, das zu hören, nach allem was sie während ihrer letzten Lauschaktion erfahren hatte, dass sie gar nicht reagieren konnte.

Konnte sie ihm denn überhaupt glauben? Immerhin war er sich vor kurzem noch gar nicht sicher gewesen. Hatte noch nicht einmal eine richtige Antwort auf die Frage gewusst und jetzt sagte er ihr einfach so frei heraus, dass er sie liebte?

„Dean, ich...“ Delilah wusste nicht, was sie sagen sollte. Außer dass sie noch nicht bereit war, diese Worte zum ersten Mal für einen Mann in den Mund zu nehmen, der nicht ihr Vater war. Es würde nicht wirklich von ganzem Herzen kommen, obwohl sie nicht leugnen konnte, dass die Gefühle für Dean sehr stark waren. Aber Liebe?

„Dean?“, versuchte Delilah es noch einmal und sah zu ihm hoch, da er ungewöhnlich still blieb, doch seine Augen waren geschlossen und sein Atem streifte sie in regelmäßigen Abständen, während seine Arme nur noch locker um sie lagen. Er war tatsächlich eingeschlafen.

40. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

41. Kapitel

Delilah öffnete schwungvoll die Tür des Kühlschranks und steckte ihren glühenden Kopf hinein, um ihn wieder etwas abzukühlen und nebenbei auch nachzusehen, was sie James zum Frühstück machen könnte. Doch mehr, als dass die Kälte auf ihrem Gesicht prickelte, bewirkte es nicht.

Weder machte es die vergangenen Minuten ungeschehen, noch milderte es das Chaos in ihrem Inneren.

Scheiße noch mal, James hatte sie dabei erwischt, wie sie Dean-

Sie versuchte diesen Gedanken dadurch aus ihrem Kopf zu vertreiben, in dem sie ihre Stirn nicht unbedingt sanft gegen das Fach mit den Eiern hämmerte. „Verdammt! Verdammt! Verdammt!“

„Soll ich einen Exorzisten anheuern?“

Was der teure Kühlschrank nicht schaffte, vollbrachte die kühle und zugleich so völlig emotionslose Stimme des alten Werwolfs in Sekundenschnelle. Sogar in Nanosekunden, wenn man es genau nahm.

Erschrocken zog Delilah ihren Kopf wieder hervor und starrte völlig überfordert Elija an, der seelenruhig die Küche betrat und sich gerade in aller Ruhe sein Flanellhemd zuknöpfte. Kurz konnte sie noch seine gebräunte Brust erkennen, die nur so von groben, zerrissen wirkenden Narben überzogen war, bevor er ihr die Sicht darauf versperrte.

„Eh, wie bitte?“ Sie kam gerade überhaupt nicht mehr mit. Exorzist?

„Wegen des Kühlschranks.“ Er nickte in Richtung des metallenen Ungetüms, ehe er an ihr vorbei zur Kaffeemaschine ging, um eine Kanne voll zuzubereiten.

Noch verwirrter starrte sie den Inhalt des Kühlschranks an, bis ihr endlich ein Licht aufging.

„Achso, das war ein Scherz!“ Delilah begann beinahe hysterisch zu kichern, bevor sie übertrieben sanft die Tür wieder schloss. Das war heute definitiv nicht ihr Tag.

„Welchen Witz hab ich verpasst?“ Jetzt erschien auch noch Dean auf der Bildfläche, allerdings hatte sich nicht wirklich viel in der letzten halben Stunde an seinem Äußeren verändert, außer dass er eine Jeans trug. Aber seine Haare waren immer noch feucht und da war auch immer noch viel zu viel nackte Haut.

Delilah schüttelte geschlagen den Kopf. Schlimmer konnte es eigentlich nicht mehr werden. „Ach, nicht so wichtig.“

„Morgen, Dad.“ Dean trat neben sie an den Kühlschrank und holte sich den Kanister mit der Milch heraus, um ein paar Schlucke davon zu trinken.

Auch so eine Angewohnheit die er hatte, aber zum Glück niemandem im Haus wirklich störte.

„Morgen.“ Elija hatte inzwischen die Kaffeemaschine zum Laufen gebracht und schnappte sich nun die Morgenzeitung, um sich damit an den Tisch zu setzen. „Wie geht’s James?“

Verblüfft starrte Delilah den alten Werwolf an. Woher wusste er, dass Dean seinem Bruder heute schon einmal über den Weg gelaufen war, wo dieser doch für gewöhnlich länger schlief?

Dean gab ihr die Antwort auf diese Frage, ohne es wirklich zu wissen, als er die Milch wieder zurück in den Kühlschrank stellte, seinen Arm um sie legte und sie wie selbstverständlich an seine Seite zog. Er roch sehr deutlich nach James, was ihr allerdings erst jetzt auffiel, als er so nahe bei ihr stand und ihr mit einem warmen Lächeln einen Kuss auf die Schläfe hauchte.

Der Geruchssinn des alten Werwolfs war wirklich beachtlich.

„Der Schlaumeier ist heute alleine aufgestanden, um Pinkeln zu gehen und hat sich eindeutig überschätzt. Dabei ist er mit seiner verletzten Schulter gegen einen Türstock getaumelt und schließlich auf halber Strecke hängen geblieben. Aber inzwischen dürften die Schmerztabletten wirken. Ich hab‘ ihn wieder ins Bett gebracht.“

Dean streichelte ihr beruhigend über die Wange, was jedoch nicht den entsetzten Ausdruck in ihren Augen mildern konnte.

„Er ist okay. Das wird schon wieder.“, teilte er ihr in gedämpftem Tonfall mit.

Scheiße, gar nichts war okay!

Wie lange hatte James denn da auf dem Bett liegen müssen, mit Schmerzen in der Schulter und als unfreiwilliger Zuhörer? Jetzt wusste sie auch, warum er so erschreckend blass gewesen war!

Delilah wurde bei dem Gedanken daran beinahe schlecht, weshalb sie ihn schnell wieder zur Seite schob und ihre Aufmerksamkeit in eine andere Richtung zu lenken versuchte.

Frühstück.

Das hatte sie eigentlich machen wollen, als sie in den Kühlschrank gesehen und doch nichts wahrgenommen hatte. Aber die Eier brachten sie zumindest auf eine Idee, was sie heute für James zubereiten könnte. Immerhin liebte er Pfannkuchen. Am allerliebsten die mit den Blaubeeren. Im Tiefkühlfach mussten bestimmt noch welche sein, also machte sie sich langsam von ihm los. Sie fühlte sich immer noch nicht wohl dabei, ihre Zuneigung für Dean so offen vor seinem Vater zu zeigen, obwohl absolut nichts falsch daran war.

Während Delilah den Teig zubereitete, warf sie immer wieder einen Blick an den Tisch zu den beiden McKenzies hinüber, die in aller Ruhe ihren Kaffee tranken und jeder für sich in einem Teil der Morgenzeitung versunken war. Ganz so, als wäre heute ein ganz normaler Tag, ohne irgendwelche besonderen Vorkommnisse.

Dass Elija sich so ruhig verhielt, war für ihn normal und nicht weiter verwunderlich, aber von Dean hätte sie schon irgendwie … mehr erwartet?

Ach ja und was genau?

Ihre Hand mit dem Schneebesen hielt mitten in der Rührbewegung inne, während sie ins Leere starrte.

Eigentlich wusste Delilah ja nicht, was die beiden Brüder miteinander gesprochen hatten, während Dean James bei seiner Morgentoilette geholfen und ihn dann wieder ins Bett gebracht hatte. Vielleicht hatte sich Deans Erzählung für sie schlimmer angehört, als es eigentlich war und sie machte hier schon wieder aus einer Mücke einen Elefanten. Aber selbst wenn, war da immer noch dieses tief sitzende Schamgefühl, welches sie wegen dieser Szene fest im Klammergriff hatte.

Nicht nur, dass es ihr irgendwie peinlich war. Viel schlimmer war da auch noch dieses Gefühl von Schuld. Natürlich war es keine Absicht gewesen, dass James das alles mitbekommen hatte, aber trotzdem hätte es gar nicht erst soweit kommen dürfen. Sie hätte einfach besser aufpassen müssen und nichts riskieren sollen!

Dabei war sie für einen Moment wirklich glücklich gewesen, als sie da unter der Dusche so offen mit Dean hatte sprechen können. Aber natürlich hatte bei ihrem Glück das Chaos ein paar Minuten später wieder mit voller Wucht zuschlagen müssen. Eigentlich hätte sie gar nichts anderes erwarten dürfen. Hörte das denn nie auf?

„Verdammt…“ Sie ließ den Schneebesen in die Schüssel fallen und fuhr sich schwer seufzend durch das immer noch leicht feuchte Haar.

„Deli?“

„Hm?“ Erst jetzt nahm sie wieder die beiden Männer am Tisch wahr, wobei nur Dean sie fragend ansah. Elija war ihre Wortwahl an diesem Morgen wohl schon gewöhnt oder er überschlug noch einmal die Idee mit dem Exorzisten.

„Alles in Ordnung?“ Der zärtlich besorgte Ausdruck in Deans Augen stimmte sie sofort wieder milde.

Sie durfte einfach nicht vergessen, dass er verdammt gut darin war, seine Gefühle zu verbergen. Bis zu der kühlen Gelassenheit seines Vaters fehlte ihm zwar noch ein gutes Stück, aber hoffentlich würde er es auch nie so weit bringen.

Dass James da so ganz anders war als die beiden…

„Ja, ich hab‘ nur die Blaubeeren vergessen.“
 

Vorsichtig balancierte sie das Tablett auf einer Hand, während sie mit der anderen leise an James‘ Zimmertür klopfte und auf ein Lebenszeichen von ihm wartete. Allerdings kam keine Reaktion.

Für einen Moment unentschlossen, starrte Delilah die immer noch dampfenden Blaubeerpfannkuchen an, ehe sie all ihren Mut zusammen nahm und einfach den Türknauf herumdrehte und einen Blick ins Zimmer riskierte. Mehr als ihr verbal den Kopf abreißen, konnte James in seinem Zustand ohnehin nicht tun.

Überrascht stellte Delilah jedoch fest, dass er doch tatsächlich tief und fest schlief, denn nicht einmal der Duft der heißen Pfannkuchen konnte ihn wecken, als sie das Tablett so leise wie möglich auf seinem Nachttisch abstellte.

James war immer noch etwas blass im Gesicht, aber der Ausdruck darauf war ungewohnt friedlich. So vollkommen entspannt sah man ihn selten und das nach diesem katastrophalen Morgen.

Eigentlich hatte Delilah vorgehabt, das Essen stehen zu lassen und zu gehen, doch im Haushalt gab es momentan ohnehin nichts zu erledigen und sie hatte keine Lust, sich allein in ihr Zimmer zu setzen und die Wand anzustarren. Sie konnte auch genauso gut hier bleiben und sich schon mal auf eine sehr unangenehme Unterredung gefasst machen.

Sie schämte sich immer noch in Grund und Boden, trotzdem schloss sie leise James‘ Zimmertür und ging zu den beiden Fenstern hinüber, um sie weit zu öffnen, denn die Luft im Raum war schon jetzt schwül und stickig. Auch wenn sich an der Temperatur nicht viel ändern würde, so konnten sie immer noch auf einen kühlenden Lufthauch hoffen.

Delilah setzte sich auf die Fensterbank und zog einen Fuß an, während sie den anderen in der Luft baumeln ließ. Als tatsächlich eine angenehme Brise sie streifte, legte sie ihren Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Jedoch nicht für lange, denn es zog ihren Blick nur allzu schnell wieder zu James‘ schlafenden Körper hinüber.

Sein verletzlicher Anblick rührte etwas tief in ihr, gerade jetzt, wo er es nicht mit hohlen Phrasen und einem aufgesetzten Grinsen verstecken konnte, sondern ihr unbewusst sein wahres Ich offenbarte. Oder zumindest eine Facette davon.

Auch ihre Wölfin gab ein mitfühlendes Fiepen von sich und hätte ihn am liebsten berührt und seine Wunden geleckt. Alles, nur damit es ihm wieder besser ging.

James‘ muskulöse Beine schauten bis zu den Knien unter dem dünnen Laken hervor. Der weiße Verband um seine Wade hob sich deutlich von seiner gebräunten Haut ab und konnte fast von dem blauen Fleck an seinem rechten Knie ablenken, der gestern definitiv noch nicht dort gewesen war.

Er war noch ganz frisch.

Ach, James…

Sie sah ihn traurig und schuldbewusst an.

Hätte sie seinen kleinen Unfall denn verhindern können, wenn sie nicht mit Dean unter der Dusche gestanden hätte? Vermutlich schon, da sie in dieser Nacht ja in ihrem eigenen Zimmer geschlafen hatte. Was auch nur Zufall gewesen war, denn sonst schlief sie immer bei Dean.

Aber ob so oder so, offenbar war James entschlossen gewesen, es auf eigene Faust zu versuchen und so stur wie er bisweilen sein konnte, wunderte sie das gar nicht.

Delilah konnte sich nicht einmal wirklich vorstellen, wie es für ihn sein musste, so lädiert ans Bett gefesselt zu sein; nicht einmal dazu in der Lage, alleine aufs Klo zu gehen und dabei auf die Hilfe seines Bruders angewiesen zu sein.

Sie selbst würde das ziemlich frustrieren und reizbar machen. Gerade weil sie sich so schwer tat, sich auf andere zu verlassen. Aber sie war nun einmal nicht James. Zumindest hatte er eine Familie, die ihn niemals hängen lassen würde und jetzt war sie auch noch da.

Trotzdem musste er ziemlich viel ertragen, seit sie hier war…

Delilah ließ geschlagen ihren Kopf hängen und starrte auf die Hand, die inzwischen wie selbstverständlich immer wieder ihr Schwangerschaftsbäuchlein fand, um sich beschützend darauf zu legen oder ab und an darüber zu streicheln.

Ich hoffe, dass wenigstens du deinen Vater ab und an glücklich machen kannst.

Wie als Antwort begann das Baby genau in diesem Moment wieder ein Kribbeln in ihrem Bauch auszulösen, was Delilah nun doch zum Lächeln brachte.

„Kannst du es gerade spüren?“

Ihr Kopf schoss erschrocken in die Höhe und in James‘ Richtung. „Du bist ja wach!“

„Sieht ganz so aus.“ Er schenkte ihr nur einen kurzen Blick, ehe sich seine Augen wieder auf ihren Bauch richteten, während er sich ein Stück weiter zu ihr herumdrehte und ihm der Schlaf noch deutlich ins Gesicht stand. „Und? Wie fühlt es sich an?“

„So als hätte ich Brausepulver verschluckt.“ Sie glitt langsam von der Fensterbank und kam mit wild pochendem Herzen näher. Wieder stieg Hitze in ihr hoch und brachte sie spürbar zum Schwitzen. Delilah wusste nicht, wie sie sich bei James entschuldigen sollte.

„Aber von außen spürt man noch nichts, oder?“, fragte er einfach weiter und blickte ihr dabei offen ins Gesicht.

Sie konnte seinem Blick nicht standhalten und senkte das Haupt. Ihre nackten Zehen waren auch so viel interessanter, als der Ausdruck seiner immer noch matt glänzenden Augen. Etwas Nagellack würde ihnen nicht schaden. „Nein, dafür ist es noch zu klein. Ein paar Wochen sollten wir ihm noch geben.“

„Hm. Okay.“ Es raschelte, als James sich mühsam weiter aufsetzte, bis er sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil des Bettes lehnen und einmal ausgiebig gähnen konnte, ehe er seinen Blick zur Seite schweifen ließ.

„Blaubeerpfannkuchen?“ Seine Augenbraue hob sich auf ziemlich eindeutige Art und Weise, als er sie wieder direkt anschaute. Er wusste, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte.

„Na ja. Ich hielt es für eine gute Idee. Aber falls dir etwas Pikantes lieber ist…“ Delilah versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, während sie um das Bett herumging und sich den Schreibtischstuhl schnappte, um sich neben James setzen zu können. Der gemütliche Couchsessel hatte inzwischen wieder seinen angestammten Platz im Wohnzimmer eingenommen.

„Nein, die Pfannkuchen sind schon okay. Ich dachte nur nicht, dass du wegen der Sache von vorhin gleich die schweren Geschütze auffährst.“ James angelte inzwischen ziemlich geschickt mit der linken Hand und einem kleinen Löffel etwas Nutella aus dem Glas und bestrich damit den obersten Pfannkuchen, ehe er ihn zusammenrollte und einmal davon abbiss.

Währenddessen starrte ihn Delilah mit großen Augen an. Er legte die Diskretion einer Abrissbirne an den Tag.

„Wirklich. Mach dir deshalb keinen Kopf. Ich hab‘ früher schon wesentlich schlimmere Geräusche aus Deans Zimmer hören müssen.“, erklärte er leichthin, nachdem er hinunter geschluckt hatte. „Ist eben unvermeidlich, wenn man Tür an Tür wohnt.“

Delilahs Zähne knirschten aufeinander und in ihrem Kopf konnte sie das gereizte Knurren ihrer Wölfin hören.

Nicht schon wieder…

„Wie geht’s deiner Schulter?“, fragte sie betont ruhig, um das Thema zu wechseln. Sofort beruhigte sich ihre Wölfin wieder und beobachtete stattdessen wachsam jede von James‘ Bewegungen, während er das Essen aß, das Delilah ihm mit großer Sorgfalt zubereitet hatte.

Kurz hielt James inne und versuchte scheinbar in sich hinein zu hören, doch dann zuckte er bloß mit seiner gesunden Schulter. „Halb so wild. Fühlt sich irgendwie taub an.“

„Die Schmerztabletten nehme ich an. Wie viele hast du eigentlich noch?“

„Das waren die letzten. Aber Young müsste sowieso bald wieder aufkreuzen und ansonsten schicke ich Dean los, damit er mir noch mehr besorgt. Aber eigentlich war es heute auszuhalten, bevor ich gegen diesen blöden Türstock gelaufen bin.“ Er schnaubte, offensichtlich über sich selbst verärgert.

Es war zwar dumm, aber genau dieses Verhalten gab ihr die nötige Gelassenheit, nachdem die Geschehnisse von heute Morgen sie so aufgewühlt hatten

„Weißt du eigentlich, dass wir heute schon die Fäden ziehen können? Dann bräuchtest du nur noch heute und morgen die Verbände zu tragen. Danach sollst du Luft an die Wunden lassen und die Narben regelmäßig einschmieren, damit sie besser verheilen. Hat zumindest Young gesagt.“

„Echt jetzt?“ James sah sie beinahe hoffnungsvoll an, was sie dann doch zu einem kleinen Lächeln animierte.

Irgendwie war die Begegnung nach diesem Vorfall ganz und gar nicht so schlimm, wie Delilah sich das vorgestellt hatte. Vor allem da James sich ihr gegenüber so absolut normal verhielt. Merkwürdigerweise sogar normaler als in den letzten Tagen…

„Ja. Wenn du willst, können wir es gleich hinter uns bringen, nachdem du zu Ende gefrühstückt hast.“ Oh Gott, allein bei dem Gedanken wurde ihr wieder ganz anders. Denn es bedeutete, dass sie James schon bald mit Pinzette und Nagelschere zu Leibe rücken würde und irgendwie traute sie sich das immer noch nicht ganz zu.

Schon wieder begann ihr Herz wie wild zu rasen, nur dieses Mal aus ganz anderen Gründen.

„Das wäre … besser.“, bestätigte ihr James nachdenklich, während er den nächsten Blaubeerpfannkuchen in seinen Händen betrachtete. „Dann müsstest du mir ab morgen auch nicht mehr ständig die Verbände wechseln…“

Bildete sie sich das nur ein, oder-

„…und ich kann endlich wieder anständig duschen.“ Er seufzte sichtlich erfreut über den Gedanken.

Nein, sie musste sich den gewissen Ton in seiner Stimme nur eingebildet haben. Es hatte fast so geklungen, als wäre er ganz froh darüber, wenn sie ihm nicht täglich so sehr auf die Pelle rückte. Aber selbst wenn es wirklich so gewesen wäre, hätte sie es ihm nicht verdenken können. Auch für sie war das Ganze ganz und gar nicht so leicht, wie es den Anschein hatte.

Wenigstens würden sie es bald hinter sich haben.

„Na gut, dann suche ich schon einmal alles Nötige dafür zusammen.“ Delilah erhob sich von dem Stuhl und ging zur Tür.

„Deli?“

„Hm?“ Sie drehte sich noch einmal um und bekam die volle Breitseite von James‘ charmantem Lächeln ab.

„Danke für die Blaubeerpfannkuchen.“

„Gern … geschehen.“ Mit stark zusammen gezogenen Augenbrauen verließ sie das Zimmer.

Nein, sie bildete sich das auf keinen Fall ein. James‘ Verhalten war definitiv schon zu normal.
 

„Bloß nicht atmen! Nicht, dass du aus Versehen noch mein Bein amputierst!“

Die Spitze der kleinen Nagelschere zuckte erschrocken von dem dunklen Faden zurück, den sie fest mit der Pinzette umklammert hielt, als James‘ Warnung überraschend die spannungsgeladene Stille zerriss.

Delilah stieß daraufhin ein leises Knurren aus und richtete sich wieder auf, während sie James mit einem vernichtenden Blick strafte. „Wenn du mich hier zu verarschen versuchst, werde ich dir vielleicht nicht das Bein abschnippeln, aber etwas das ziemlich nahe dran liegt. Also stör‘ hier nicht meine Konzentration, oder deine Kronjuwelen könnten Schaden nehmen.“

Sie meinte das wirklich ernst, denn schon jetzt zitterten ihre Hände so stark, dass sie garantiert keine Wetten darauf abgeben würde, mit der Schere auch nur in die Nähe des Fadens zu kommen. James‘ Verhalten machte es dahingehend auch nicht wirklich besser, denn damit irritierte er sie auch noch zusätzlich.

Es musste an den Schmerztabletten liegen. Vielleicht hatte er zu viel eingeworfen und war jetzt irgendwie high davon. Anders konnte sie sich sein lockeres Verhalten nicht erklären. Nicht nach allem, was heute schon passiert war.

„Komm schon, Deli. Ich versuche nur, dich zu beruhigen. Du tust ja gerade so, als ob du mit ´ner Pinzette und einer Schere eine OP am offenen Herzen durchführen müsstest.“

Delilah grummelte in sich hinein. „Ich hab dir doch schon einmal erklärt, dass ich dir nicht wehtun will.“

„Und ich habe dir gesagt, dass das nicht passieren wird. In deiner Funktion als meine supersüße Krankenschwester hast du mir noch kein einziges Mal wehgetan. Ich bezweifle, dass du jetzt damit anfangen wirst.“ James blieb standhaft.

Supersüße…?

Okay, jetzt war es amtlich. James war auf Schmerztabletten. Eine andere Erklärung gab es nicht. Dann dürfte er wirklich nichts spüren, wenn Delilah aus Versehen ein bisschen seine Haut anritzen sollte. Na immerhin ein beruhigender Gedanke, wenn auch der Rest seines Gehabes nicht wirklich zur Beruhigung beitrug. Eher ließ es in ihr alle Alarmglocken bzw. ihre Wölfin aufheulen.

„Okay, ich mach’s. Aber keine überraschenden Kommentare mehr. Ich muss mich konzentrieren.“ Und damit beugte Delilah sich erneut über James‘ Unterschenkel, hob mit der Pinzette noch einmal den von ihr auserkorenen Faden an und schnitt ihn wagemutig mit der kleinen Nagelschere durch. Erst dann wagte sie zu atmen.

„Na siehst du. Geht doch. Sogar mit geschlossenen Augen!“

Scheiße. James hatte Recht. Sie hatte die Augen zugekniffen! Und so ganz nebenbei nun auch noch den Faden herausgezogen.

Erschrocken schoss Delilahs Blick in die Höhe, um seinen Gesichtsausdruck gründlich zu prüfen, aber alles was James tat, war sie schelmisch anzugrinsen. „Keine Angst. Hat nur ein bisschen gekitzelt.“

Sie legte den abgeschnittenen Faden sorgfältig auf das Taschentuch, das sie dafür extra neben sich ausgebreitet hatte.

„James?“

„Ja?“

„Geht’s dir gut?“ Delilah sah ihn ernsthaft besorgt an.

„Habe ich das nicht gerade durchblicken lassen?“ Er machte ein verwirrtes Gesicht, aber sein Mundwinkel zuckte immer noch leicht.

Delilah schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ich meinte… Ach, nicht so wichtig.“ Sie beugte sich wieder über sein Bein und machte sich an den nächsten Faden. Vielleicht hatte seine Gelassenheit auch gar nichts zu bedeuten und sie bildete sich nur etwas ein, da sie sich heute Morgen noch alle möglichen Horrorszenarien vorgestellt hatte und diese dann doch nicht erfüllt worden waren.

Eigentlich sollte sie froh darüber sein. Aber es ließ ihr trotzdem keine Ruhe.

Wenigstens verkniff James sich weitere Kommentare, bis sie mit seinem Unterschenkel fertig war und ihn sogar wieder ordentlich mit einem Verband umwickelt hatte. Die erste Hürde war also geschafft, aber dafür war die nächste auch ungleich größer.

James‘ Oberschenkel hätte Delilah liebend gerne noch für eine Weile ausgelassen, aber was für ein Bild hätte das dann abgegeben? Sie sollte sich einfach systematisch von unten nach oben vorarbeiten, egal wie schräg das in ihrem eigenen Kopf klang.

Verdammt, gerade während sie den Verband abwickelte und immer mehr nackte Haut freilegte, wünschte sie sich einen dämlichen Kommentar herbei, aber ausgerechnet jetzt zog James es lieber vor, zu schweigen.

Delilah wagte auch nicht hochzusehen, da vielleicht etwas in ihrem Gesicht zu lesen gewesen wäre, das dort nicht hingehörte. Aber dieser kräftige Oberschenkel erinnerte sie trotz der Narbe und den dunklen Fäden an einen anderen Oberschenkel, den sie gerade erst heute Morgen mit ihren Fingern gestreichelt, mit ihren Lippen benetzt und mit ihrer Zunge gekostet hatte... Noch dazu glich der Farbton der weichen Haare genau dem von-

Stopp! Hör auf! Denk jetzt bloß nicht daran, wie du-

STOPP!

Verdammt! Leichter gesagt, als getan! Wie könnte sie auch nicht daran denken? Die Ähnlichkeiten waren nun einmal da und ließen sich auch nicht durch ein paar Narben ändern.

„Langsam kriege ich wirklich Angst um meine Kronjuwelen.“ James schnappte sich seine Decke und zog sie über seinen Schoß, wo er zur Sicherheit auch noch seine Hand liegen ließ.

„Was?“ Ertappt schoss Delilahs Blick in die Höhe, während ihre Wangen spürbar erröteten und die zusätzliche Hitze sie noch mehr schwitzen ließ als ohnehin schon. Aber zumindest war sie nicht die Einzige. Auch auf James‘ Gesicht glänzte inzwischen ein feiner Schweißfilm. Leider nicht nur dort.

Ihr Blick fiel auf seine Brust. Den muskulösen Bauch…

Sie kniff fest die Augen zusammen und ließ den Kopf hängen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein!

„Ich … mach dann mal weiter…“, krächzte sie leise mit rauer Stimme, ehe Delilah sich vernehmlich räusperte, sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte und sich wieder zu konzentrieren versuchte. Noch einmal strich sie sich die Haare hinters Ohr, damit sie freie Sicht hatte.

„Tu das.“ James‘ Stimme klang nicht unbedingt besser, während er still liegen zu bleiben versuchte, obwohl ihm das offensichtlich schwer fiel. „Solange du mit dieser Schere nicht noch länger so unheilverkündend über meinem Bein kreist. Kurz hatte ich wirklich Angst.“

Na ja, nicht wirklich, wenn man seinem Tonfall glauben konnte, aber Delilah entschuldigte sich trotzdem mit einem kleinen ‚Sorry‘, ehe sie sich so weit zu der Narbe hinabbeugte, dass ihr Atem ein paar der umstehenden Härchen zum Zittern brachte, während sie sich auf ihr Vorhaben zu konzentrieren versuchte.

So schwierig war das schließlich gar nicht. Einfach den ersten Faden mit der Pinzette anheben und sich dabei nicht von der Gänsehaut irritieren lassen, die James plötzlich überfiel, trotz der enormen Hitze im Raum.

Danach die kleine Schere in Position bringen, dabei gleichmäßig und ruhig den immer stärker werdenden Duft von frisch getrocknetem Heu, Wolf und Mann einatmen und schnipp.

Ausatmen.

Den Faden herausziehen und zu den anderen auf das Taschentuch legen.

Den nächsten Faden ergreifen.

Das wage Zittern des Oberschenkels ignorieren.

Durchschneiden.

Weiter zum Nächsten.

Als Delilah den letzten Faden gezogen hatte und einen frischen Verband anlegte, lief ihr der Schweiß bereits in kleinen Bächen zwischen den Brüsten hindurch. Vereinzelte Haarsträhnen klebten ihr an den Schläfen und sie fühlte sich, als hätte sie gerade unter der prallen Sonne irgendeine Schwerstarbeit verrichtet. Lediglich ihr betont ruhiger Atem wollte nicht ganz zu dem Bild passen, aber dafür raste ihr Puls umso mehr.

Abermals wischte sie sich mit dem Handrücken über die Stirn und atmete einmal tief durch, ehe sie einen Blick in James‘ Gesicht riskierte, der in den letzten Minuten beunruhigend still geworden war.

Sein Blick war aus dem Fenster gerichtet, als würde er den vereinzelt vorbeiziehenden Wölkchen bei ihrer Wanderung über den strahlend blauen Himmel zusehen. Er wirkte fast schon irgendwie gelangweilt, würde der Rest von ihm das Bild nicht so stark zerstören.

Auch James schwitzte ganz schön. Ihm lief sogar ein einzelner Tropfen die Schläfe herab, verfing sich einen Moment an den kurzen Stoppeln seines Bartschattens, ehe er die Rundung seines kräftigen Kiefers erreichte und seinen Hals hinabstürzte, wo er dann von dem weißen Leinen des Verbands aufgesogen wurde.

Die Ader an James‘ Hals pochte schnell und deutlich erkennbar, während sein ganzer Körper irgendwie angespannt wirkte, was sich vor allem durch seinen stark hervortretenden Bizeps äußerte und in einer Faust gipfelte, die das Laken auf seinem Schoß fest umklammert hielt.

Delilah musste bei dem Anblick schwer schlucken und ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie sich mit den Füßen vom Boden abstieß, um mit dem Bürosessel weiter das Bett entlang zu rollen, damit sie leichter an James‘ nächste Verletzung herankam.

Das Ächzen unter ihrem Hintern, das der Stuhl von sich gab, als sie ihr Gewicht weiter nach vorne verlagerte, war in der angespannten Stille so laut, dass sie beide zusammen zuckten.

„Wie willst du es heute haben? Schnell oder langsam?“ Delilah biss sie auf die Unterlippe und unterdrückte den Drang, die Frage noch einmal neu zu formulieren. Weniger zweideutig, aber es war schon zu spät.

James wandte ihr wieder sein Gesicht zu und unwillkürlich fiel ihr Blick auf seine Unterlippe. Sie war leicht rau und an manchen Stellen sogar ein bisschen verschorft, aber das war ja auch kein Wunder, so wie er sie heute Morgen bearbeitet haben musste.

„Mach’s mir langsam. Das brennt nicht so.“ Die Unterlippe verzog sich zu einem kleinen Lächeln, während sein rauer Tonfall ihr wie herbsüßer Honig runter ging.

Die Wölfin dicht hinter ihren Augenhöhlen gab einen tiefen Knurrlaut von sich, wobei sie mit ihren Pfoten verzweifelt einen Weg durch die Mauern von Delilahs Verstand zu graben versuchte und doch keinen Millimeter vorankam.

„Andererseits, wenn’s dir anders lieber ist…“

Die Bewegung von James‘ Hand riss ihre Aufmerksamkeit auf sich, dabei hob er sie nur von dem total zerknautschten Laken und ließ sie dann für einen Moment unschlüssig in der Luft hängen, als wüsste er nicht, wohin damit.

James legte sie schließlich mit dem Handrücken nach unten auf seine Stirn ab, um ihr Platz zu machen und sah sie abwartend an.

Delilah musste kurz die Augen schließen, als ihr eine weitere Woge seines Dufts intensiv in die Nase strömte und jede ihrer empfindlichen Nerven befeuerte. Sie konnte auch sein Deo riechen, aber es war absolut nichts im Vergleich zu seinem körpereigenen Geruch, den er aus jeder seiner Poren herausschwitzte.

Ihre Wölfin war kurz davor, durchzudrehen und bei Gott, Delilah ging es nicht besser.

Mühsam riss sie sich wieder zusammen, versuchte sich nur auf das Gefühl ihrer Hände zu konzentrieren und weder auf ihren rasenden Puls noch auf das immer heftiger werden Kribbeln in ihrem Bauch zu hören, das ausnahmsweise einmal nichts mit ihrem Baby zu tun hatte. Viel mehr damit, wie es entstanden war…

„Ich bin auch für langsam.“ War das wirklich ihre Stimme?

Delilah Bennet. Reiß dich endlich am Riemen!

Sie räusperte sich vernehmlich und legte dann ihre Hand auf James‘ Bauch, um die Haut zurückzuhalten, während sie mit der anderen das Wundpflaster zu lösen begann. Ganz langsam und vorsichtig, so wie James es sich heute gewünscht hatte. An anderen Tagen hatte er es einfach mit einem Ruck herunter haben wollen. Allerdings waren beide Methoden nicht sehr angenehm. Zumindest nicht für ihn.

Nur zu deutlich konnte sie das Spiel seiner Muskeln unter ihrer Handfläche fühlen und der Temperaturunterschied war verblüffend. Zunächst war seine Haut richtiggehend kühl vom Schweiß der an der Luft verdunstete, doch schon nach wenigen Sekunden wurde es richtig heiß unter ihrer Hand.

Sie zog das Pflaster ganz herunter und ließ ihn wieder los. Sorgfältig faltete sie es zusammen und legte es zur Seite, ehe sie die Naht mit dem Desinfektionsmittel säuberte und mögliche kleine Krusten löste, damit sie ihn dann, wenn sie die Fäden herauszog, nicht verletzte. Dabei zuckte sein Bauch mehrmals zusammen und brachte sie am Ende doch zum Lächeln.

„Ich hoffe, du benutzt dieses Wissen, niemals gegen mich.“ Auch er lächelte.

„Das kann ich leider nicht versprechen. Vielleicht wird einmal der Zeitpunkt kommen, an dem ich mich während einer Kitzel-Attacke zur Wehr setzen muss.“

„Dann heißt das also, du bist kitzlig?“ James strich mit seiner Hand durch sein Haar und ließ sie dann über seinem Kopf im Kissen liegen. Seine Stirn war leicht gerötet. Was sich aber schon bald wieder legte, als ein sanfter Lufthauch ihnen beiden kurzfristig Erleichterung verschaffte.

Delilah griff nach Pinzette und Schere und beugte sich weiter vor. „Nur wenn ich es zulasse.“

Inzwischen fiel es ihr etwas leichter, die Prozedur zu vollziehen, da sie nach der heiklen Stelle an James‘ Oberschenkel schon mehr Sicherheit besaß, aber auch jetzt gab es Dinge, die sie während ihrer Tätigkeit beeinträchtigten.

Nur zu leicht wollte ihr Blick sich von der Naht entfernen und lieber dem dunklen Haarbändchen folgen, dass sich von James‘ Bauchnabel ausgehend über straffe, braungebrannte Haut zog und schließlich unter einer Falte des weißen Lakens verschwand, bevor es überhaupt den Bund seiner Shorts erreichen konnte.

„Das kann man kontrollieren?“

Ihr Blick schoss wie ein Gummiband zu seinem Ausgangspunkt zurück und sie zückte die Schere, um den ersten Faden zu durchtrennen.

„Nicht immer. Aber ich denke ohnehin, dass es mehr ein Geduldsspiel ist, zwischen dem der kitzelt und dem der gekitzelt wird. Folgt lange genug keine Reaktion, gibt man meistens auf, obwohl man nur ein bisschen länger hätte durchhalten müssen, um ans Ziel zu kommen.“

Auch der zweite Faden war ruckzuck draußen.

„So habe ich das noch gar nicht gesehen.“ James starrte nachdenklich an die Zimmerdecke und bemerkte dadurch zum Glück nicht, wie ihr eigener Blick von seinen Augen abrutschte, über seine Lippen stolperte und schließlich an seinem Kehlkopf eine Bruchlandung hinlegte.

Völlig ohne ihr Zutun rieben ihre harten Knospen über die zarte Spitze ihres BHs, während ihre Oberschenkel von der ungewohnten Anspannung zu zittern begannen, so fest presste sie diese gegeneinander.

Bilder von heute Morgen flammten unwillkürlich in ihrem Kopf auf und verschmolzen mit denen im Hier und Jetzt.

Dean, wie er nackt und erregt gegen die Wand lehnte; sein Körper ganz nass vom Wasser und sich immer wieder unter den Gefühlen die sie ihm entlockte aufbäumend.

James wie er völlig gelöst auf dem Rücken lag, die Hand lässig über seinem Kopf, das rechte Bein leicht angezogen, während auf der vielen nackten und erhitzten Haut Schweißperlen glänzten und zum Ablecken verführten…

Sie musste mehrmals schlucken und sich die Lippen benetzen, ehe sie auch nur ansatzweise in der Lage war, sich auf den nächsten Faden zu konzentrieren. Es gelang ihr erst, als sie in ihrem Kopf ihr Mantra herunter zu beten begann.

Ich bin mit Dean zusammen. Ich bin mit Dean zusammen! Ich bin verdammt noch mal mit Dean zusammen!!!

Sofort schaltete sich ihr schlechtes Gewissen ein und blies ihr für eine Weile den Kopf von unangebrachten Gedanken frei, bis sie alle Fäden gezogen und die Wunde an James‘ Bauch wieder mit einem frischen Wundpflaster versorgt hatte. Danach lehnte Delilah sich völlig erledigt zurück und strich sich die Haare aus der Stirn.

Sie brauchte dringend eine Pause.

„Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich könnte jetzt eine Abkühlung vertragen. Lust auf eine kalte Limo, ehe wir weiter machen?“

„Da fragst du noch?“ James sah ungefähr genauso fertig aus, wie sie sich fühlte. Allerdings fand sie das an ihm ziemlich sexy.

„Okay, dann hol ich uns mal welche!“ Abrupt sprang sie vom Sessel auf und verließ fluchtartig das Zimmer, bevor ihr Hirn noch mehr unangebrachte Kommentare ausspuckte.

Beim Kühlschrank angekommen, musste sie sich stark zusammenreißen, um ihren Kopf dieses Mal nicht auch noch ins Gefrierfach zu stecken und gegen die Packung mit den Tiefkühlerbsen – igitt - zu hämmern. Nicht, dass noch die ganzen Lebensmittel auftauten!

Die zwei Dosen Sprite an ihren Schläfen waren aber auch nicht zu verachten und entlockten ihr ein langgezogenes Stöhnen, während sie sich halb gegen die Theke sinken ließ und regelrecht zerfloss. Wieso musste es ausgerechnet heute so Gott verdammt heiß sein?

Sie sollten James einen Ventilator besorgen. Nicht dass er noch einen Hitzschlag bekam.

Ach was machte sie sich vor. So heiß war es gar nicht. Zumindest was die Außentemperatur anging. Was hier wirklich die Temperatur in die Höhen trieb, waren ihre völlig deplatzierten Gedanken und diese verdammten Hormone, die sie nur noch an das Eine denken ließen, das sie momentan nicht haben konnte. Gerade deshalb reizte es sie umso mehr.

Sie war wie die Zündschnur und James‘ Nähe das Dynamit. Fehlte nur noch ein einziger kleiner Funke und ihr flog das ganze Gebilde ihrer selbst auferlegten Enthaltsamkeit um die Ohren.

James durfte auf keinen Fall in der Nähe sein, wenn das passierte. Es würde alles zerstören, was sich seither zwischen ihnen zum Positiven entwickelt hatte und das wollte sie auf keinen Fall aufs Spiel setzen. Dafür bedeutete er ihr zu viel.

Entschlossen es nicht so weit kommen zu lassen, stieß sich Delilah von der Theke ab, nahm noch eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank mit und ging zurück zu James.

Er wartete bereits auf sie; hatte sich sogar schon so hingesetzt, dass sie ungestört würde arbeiten können, auch wenn sie dabei zu ihm aufs Bett kommen musste. Aber anders wäre es wirklich nicht gegangen.

Er saß direkt an der Bettkante und schob mit seinen Füßen den Schreibtischstuhl ein paar Zentimeter vor sich hin und her, während sein Arm mit der verletzten Schulter in einem weichen Kissen gebettet auf seinem Schoß lag. Auch die Schlinge hatte er bereits abgenommen.

„Na endlich! Ich dachte schon, du hättest mich vergessen.“ James blickte ihr lächelnd entgegen und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf die beiden Dosen Sprite und das Mineralwasser in ihren Händen. Er sah ziemlich durstig aus.

„Als könnte ich dich vergessen.“ Delilah schob mit ihrer Hüfte die Tür hinter sich zu, klemmte sich die Mineralwasserflasche unter den Arm und öffnete für James die Dose, bevor sie sie ihm in die Hand drückte.

„Danke.“ Er trank in großen Schlucken und erinnerte sie dabei irgendwie an den scharfen Kerl aus der Cola-Werbung, der den Frauen im Büro eine frische Lieferung des Getränks brachte. Es war zwar schon ewig her, dass sie die Werbung gesehen hatte, aber ihre Erinnerung wurde von James gerade gründlich aufgefrischt.

Hastig öffnete Delilah ihre eigene Dose und trank ein paar vorsichtige Schlucke, da die Kohlensäure bei ihr ziemlich schnell zu Schluckauf führte, wenn sie nicht aufpasste und stellte sie dann zusammen mit dem Mineralwasser auf dem Nachttisch ab.

Noch einmal atmete sie tief durch, fuhr sich durch die Haare, zog ihr langes Top wieder ganz nach unten und überprüfte den Sitz ihrer kurzgeschnittenen Leggins, ehe sie neben James auf das Bett kletterte und es einfach hinter sich brachte.

Weitere Verzögerungen würden es ohnehin nicht leichter machen.

Während James die Dose ganz leerte, wickelte sie nach und nach den Verband um seinen Hals ab und konnte dabei nicht die Schramme an seiner Schulter übersehen.

„Wie heftig bist du denn wirklich gegen diesen Türstock gelaufen?“ Eigentlich sah es eher so aus, als wäre er daran entlang geschrammt und wenn sie nach dem blauen Fleck an seinem rechten Knie ging, musste er direkt danach zu Boden gegangen sein.

„Frag lieber nicht.“ Er zerdrückte die Dose in seiner Hand, zielte und warf sie in den Mülleimer neben seinem Schreibtisch. Erstaunlich, dass er auch mit Links so gut traf.

„Na gut.“ Dann würde sie eben nicht fragen, stattdessen betupfte sie die vielen kleinen Nähte mit dem Desinfektionsmittel und wie jedes Mal, wenn sie genau diese Wunden versorgte, kamen wieder die Bilder in ihr hoch, die sie eigentlich am liebsten für immer verdrängt hätte.

Vor Delilahs Augen spielte sich wie in einem Stummfilm die Szene ab, wie Nadines Kiefer sich um James‘ Nacken schlossen und sie jeden Moment das Knacken seines brechenden Genicks erwartete. Aber es kam nie. Zumindest war es in der Realität nie so weit gekommen. In ihren Träumen sah die Sache bisweilen anders aus. Nicht immer wurde sie darin erwürgt. Manchmal sah sie James auch vor ihren Augen sterben.

„Mir ist kurz schwarz vor Augen geworden und dann bin ich auch schon am Boden gelegen. Ich hab‘ meine Schwäche einfach unterschätzt.“, gestand James nun doch leise und vertrieb damit die grausamen Bilder aus ihrem Kopf.

„Ich wollte doch nur… Ich wollte einfach nicht noch länger so hilflos im Bett herumliegen.“ Er ballte die Hand zur Faust und stieß ein frustriertes Knurren aus.

Delilah berührte ihn an der unverletzten Schulter und strich ihm beruhigend darüber. „Ich kann mir vorstellen, dass das schwer für dich sein muss. Aber bald hast du es überstanden und dann kannst du dich wieder richtig austoben.“

James‘ Anspannung ließ spürbar unter ihren Händen nach, während er tief durchatmete und schließlich den Kopf in den Nacken legte, um sie anzusehen. „Nur wenn du mitmachst. Denn irgendwie hab‘ ich dich noch nie einfach so zum Spaß in deinem Pelz gesehen.“

Er … hatte vollkommen Recht. An dem Tag, an dem sie so mit Dean herumgetollt hatte, war James nicht dabei gewesen und sonst hatte sie sich nicht unbedingt aus Spaß vor seinen Augen verwandelt.

Diese Erkenntnis war genauso verblüffend, wie verstörend. Wie lange lebte sie denn schon hier und dabei war sie noch nie einfach so aus Spaß mit James als Wolf gelaufen?

Wann hätte sie das auch tun sollen? Nach dem sie beinahe das Baby verloren hätte, hatte sie sich nicht verwandeln dürfen. Danach war sie mit James zu sehr zerstritten gewesen und jetzt lag er hier an sein Bett gefesselt und würde sich noch Tage, wenn nicht sogar Wochen lang nicht verwandeln dürfen, obwohl er es offensichtlich so viel lieber tat als sie selbst.

Delilah legte gequält ihre Stirn auf James‘ gesunde Schulter und stöhnte: „Oh Gott, ich bin eine abscheuliche Wölfin!“

„Das denke ich nicht.“

„Wenn du das nach allem, was inzwischen passiert ist, immer noch sagen kannst, dann bist du ein Heiliger.“

Die Vibration seines leisen Lachens übertrug sich auf sie. „Ich bin kein Heiliger.“ Es war nur ein leises Murmeln.

James drehte den Kopf, während Delilah es ihm gleich tat. Ihre Blicke trafen sich, waren nur wenige Zentimeter voneinander getrennt.

„Ganz und gar nicht.“ Er senkte den Blick, genau auf ihre Lippen.

Delilah bräuchte nicht einmal seine Gedanken zu lesen, um zu wissen, was er in diesem Augenblick dachte.

Ihr Herz begann wie wild zu rasen und das Prickeln in ihrem Bauch nahm mit einem Schlag völlig neue Dimensionen an. Sie wagte kaum zu atmen. Und so verweilten sie für ein paar Herzschläge lang, vielleicht verging auch eine Ewigkeit, während Delilah seinen Mund ebenfalls fixierte, bis James sich aus seiner Starre löste und sich nur wenige Millimeter auf sie zu bewegte.

Das genügte, um Delilah panisch werden zu lassen, so dass sie für einen Moment nicht wusste, wie sie reagieren sollte.

Denn einerseits wollte ein Teil von ihr, James entgegen kommen und die letzten, fehlenden Zentimeter überbrücken, doch andererseits gab es da immer noch Dean und sie könnte es nicht ertragen, ihn zu verletzen und das zarte Vertrauen zwischen ihnen zu zerstören.

Letztendlich folgte Delilah ihrem Bauchgefühl in dem sie ihre Hand in James Haar vergrub und ihm einen zarten Kuss auf die Stirn hauchte, ehe sie sich von ihm löste. „Du bist vielleicht kein Heiliger, aber dafür mein ganz persönlicher Held.“

James wandte sein Gesicht von ihr ab und blickte gerade aus. Was ihre Worte anging, schwieg er dazu und das änderte sich auch nach einer ganzen Weile nicht, also machte Delilah sich wieder an die Arbeit. Immerhin würde sie ohnehin eine Zeit lang damit beschäftigt sein, die vielen Fäden zu ziehen und sie hätte auch gar nicht gewusst, was sie zu ihm sagen sollte, nachdem sie ihn so offen abgewiesen hatte.

Ungefähr bei der Hälfte bemerkte Delilah zum ersten Mal das leichte Beben seines Körpers. Bisher hatte James immer noch verbissen geschwiegen und hin und wieder an dem Mineralwasser genippt.

Die zusätzliche Flüssigkeit schien dafür zu sorgen, dass er noch mehr schwitzte als ohnehin schon. Wenn das so weiter ging, würde sie auch wieder das Bett frisch beziehen müssen, damit er sich nicht unwohl fühlte.

Zugegeben auch Delilah war so verflucht warm, dass sie sich immer wieder ihre feuchten Hände an ihrer Leggins abwischen musste, aber bei James lief der Schweiß am Ende nur so in Strömen über seinen Rücken und sein ganzer Körper schien in einen Hochofen verwandelt worden zu sein. Seine Haut glühte regelrecht, so dass es sogar ihr unangenehm heiß wurde, wenn sie ihn nur berührte.

„James, alles okay bei dir?“

Er zuckte bei ihrer unvermittelten Frage heftig zusammen und sog daraufhin scharf die Luft zwischen seine Zähne ein.

„Ja, es geht schon. Brauchst du noch lange?“

„Nein. Nur noch ein paar Fäden, dann hast du es überstanden.“

„Das ist … gut.“ Er verlagerte seine Haltung etwas und legte wieder den Kopf zur Seite, damit sie besser arbeiten konnte. Dabei bemerkte sie sehr deutlich seinen angespannten Kiefer und dass er nur noch flach atmete, während er die Augen geschlossen hielt. Selbst die Sehnen seines Halses traten deutlich hervor.

War ihm ihre kleine Abweisung von vorhin denn so dermaßen unangenehm, dass er ihre Nähe nicht länger ertrug und er sich vollkommen verkrampfte?

Irgendwie konnte sie sich das nur schwer vorstellen, aber sie wollte ihn auch nicht darauf ansprechen, also entfernte sie auch noch die restlichen Fäden und wickelte anschließend einen frischen Verband um seinen Hals. Dabei streifte sie seine verletzte Schulter nur ganz flüchtig mit dem Handrücken, woraufhin James schmerzvoll aufstöhnte und sich heftig zusammenkrümmte.

„Tut mir leid! Habe ich dir wehgetan?“ Was für eine absolut dämliche Frage. Klar hatte sie das, dabei hatte sie ihn doch nur ganz leicht-

„Es ist nicht deine Schuld.“, presste James mühsam hervor. Sein Atem ging schwer und angestrengt. „Die Wirkung der Schmerztabletten … lässt nach und … ich dachte nicht … dass es noch so schlimm ist.“

Schlimm? Das war noch die Untertreibung des Jahrhunderts. Wenn sein Körper vorher schon gebebt hatte, dann schüttelte es ihn jetzt nur so vor Schmerzen durch.

„Ich brauche…“

Im letzten Moment konnte Delilah ihren Arm um James‘ Bauch schlingen, ehe er vom Bett rutschte. Dass er ganz schön schwer war, wurde ihr dadurch erst richtig bewusst, da er sie beinahe mit sich riss.

Vorsichtig und unter Aufbringung all ihrer Kraft zog sie ihn von der Bettkante zurück, bis er mit dem Rücken gegen sie sank und sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Sein Körper hatte jegliche Spannkraft verloren, aber seine Augen waren immer noch offen, wenn auch von einem beunruhigenden Glänzen erfüllt.

„James?!“

„Mir ist … nur schwindlig…“ Er versuchte sich wieder aufzusetzen, doch am Ende sackte er noch schwerer gegen sie und blieb reglos liegen.

Panik wollte sie wie ein tollwütiges Tier überfallen und infizieren, doch Delilah drängte das Gefühl mit aller Macht zur Seite. Sie musste Hilfe holen!

„Entschuldige. Du bist zu schwer für mich. Ich kann dich nicht richtig ins Bett legen, aber du brauchst Hilfe.“

Mit aller Kraft zog Delilah ihn so weit über die Matratze, wie sie konnte und legte seinen Oberkörper mit größter Behutsamkeit ab. Trotzdem stöhnte James schmerzvoll auf und blieb dann schwer atmend liegen.

„Ich bin so schnell wie möglich wieder da!“, versprach sie schnell, während sie die panische Angst in ihrer Stimme zu unterdrücken versuchte.

„Ich lauf … nicht weg…“

Sollte sie es als gutes Zeichen werten, dass er selbst jetzt noch zum Scherzen aufgelegt war?

Delilah beschloss, es nicht zu tun und lief los, so schnell ihre Füße sie tragen konnten. Hoffentlich wusste einer der beiden anderen McKenzies, was sie jetzt tun sollten. Denn mit Schmerztabletten allein war es hier offensichtlich nicht mehr getan.

42. Kapitel

„Das sieht nicht besonders gut aus.“ Young ließ die Bombe hochgehen, nachdem die nervöse Anspannung kaum noch auszuhalten gewesen war und jeder Blick im Raum sich in seinen Rücken gebohrt hatte.

Auf diese negative Aussage hin, verschlang Delilah ihre zittrigen Finger fest miteinander und schluckte einmal hart an dem Kloß vorbei, der sich schon seit einer ganzen Weile in ihrem Hals festgesetzt und inzwischen immer weiter breit gemacht hatte. Das war so ziemlich das Letzte, was man von einem Arzt in so einer Situation hören wollte. Einmal vom Feststellen des Todes beim Patienten abgesehen. Aber davon war James Gott sei Dank weit entfernt. Auch wenn es ihr dadurch auch kein Bisschen besser ging.

Delilahs Blick huschte zu James hinüber, der immer noch ziemlich blass, aber zumindest weitestgehend schmerzfrei und vor allem aufrecht im Krankenbett saß und Youngs Rücken anstarrte, als hoffte er, doch noch etwas anderes von dem Vampir zu hören. Aber da war wohl jegliche Hoffnung vergebens. Young würde so etwas nicht sagen, wenn er es nicht auch genau so meinte.

Wieder wandte sie sich an den Vampir, der immer noch seine vollste Konzentration auf das Röntgenbild von James’ Schulter gerichtet hatte, aus dem sie selbst nicht wirklich schlau geworden war. Von Löchern in seinem makellosen Arztkittel, war allerdings immer noch nichts zu sehen.

Schon erstaunlich, dass man dem Arzt die Strapazen des Fluges und der Reise an sich nicht anmerkte. Dabei war er direkt vom Flughafen hierher gekommen, um nach James zu sehen, den sie kurzerhand ins Auto gepackt und so schnell wie möglich in die Klinik gefahren hatten.

Young war zu der Zeit noch nicht einmal im Flieger gewesen, aber eine seiner Krankenschwestern hatte James an einen Tropf mit Schmerzmittel gehängt, um ihm zumindest das Warten zu erleichtern und auch die Anderen hatten dadurch etwas leichter durchatmen können. Allerdings war dieser Eindruck mit der vernichtenden Aussage des Vampirs nun endgültig verflogen.

Sie war wohl nicht die Einzige, die das so sah.

„Jetzt mach‘ es nicht so spannend. Was stimmt nicht mit der Schulter, Doc?“

James wurde ungeduldig und auch Delilah wollte endlich wissen, was Sache war.

„Ich muss leider operieren.“ Young drehte sich endlich zu ihnen herum und konnte in drei entsetzte Gesichter sehen – Elija war der Einzige, der wie immer seine Maske aus kühler Gelassenheit aufgesetzt hatte.

Es war wie ein Schlag tief in die Eingeweide. Für sie alle, aber am härtesten traf es wohl James. Wenn er vorher schon blass gewesen war, so schien das Blut in seinem Gesicht ihn endgültig verlassen zu haben. Dafür spiegelte sich nun deutlich Angst in seinen Augen wider, ehe er den Blick senkte und auf seine Finger starrte, die er so fest zur Faust geballt hatte, dass die Knöchel ebenfalls leuchtend weiß hervortraten.

„Es ist nur ein kleiner Eingriff. Eine Routineoperation. Nichts Außergewöhnliches.“, versuchte Young ihn zu beruhigen, woraufhin James seinen Kopf noch tiefer hängen ließ. Es war wirklich nicht besonders beruhigend. Ganz im Gegenteil. Der Kloß in Delilahs Hals nahm ein Ausmaß an, das ihr regelrecht den Atem abschnürte. Zugleich breitete sich ein schwerer Druck auf ihrer Brust aus, als hätte sich jemand draufgesetzt. Sie musste sich dazu zwingen, Luft in ihre Lungen zu pressen, um den Schwindel zu vertreiben, der sich ihrer Sinne bemächtigen wollte. Dabei war sie noch nicht einmal die Betroffene, aber das tröstete sie keine Sekunde lang. Hier ging es schließlich um James!

„Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?“ Young ließ sich von der niederschmetternden Stimmung im Raum nicht unterkriegen, auch wenn er vergebens auf eine Antwort seitens seines Patienten wartete.

„Heu-“ Delilah räusperte sich kräftig, um aus dem leisen Krächzen einen richtigen Ton zu formen. Die Worte wollten ihr kaum über die Lippen kommen und sie musste sich dabei an dem metallenen Fußende des Krankenbettes festhalten, um nicht einfach umzukippen.

„Heute Morgen. Ungefähr um neun Uhr rum.“ Sie fühlte sich absolut nicht wohl dabei, diese Auskunft zu geben, ahnte sie doch, dass Young diese Frage nicht einfach so umsonst gestellt hatte.

„Und zuletzt getrunken?“

Sie schluckte hart, aber es ging hier nun einmal um James‘ Gesundheit und die hatte vor allem anderen Vorrang. „Ungefähr eine Stunde später noch etwas Wasser.“

Seit dem hatte er nichts mehr hinunter bekommen. Die Schmerzen waren einfach zu groß gewesen.

Der Vampir sah überlegend auf seine Armbanduhr. „Das ginge sich aus.“, stellte er nüchtern fest. „Ich könnte die OP in einer Stunde beginnen, wenn ihr einverstanden seid.“

James zuckte heftig zusammen, ehe sein Atem sich deutlich beschleunigte, aber immer noch sagte er nichts zu alledem. Viel mehr sah er so aus, als befände er sich vor einem Erschießungskommando und zähle die letzten Herzschläge bis zum Betätigen des Abzugs.

Für Delilah hingegen schien die Welt um sie herum zu schwanken und sie klammerte sich noch fester an dem Metallgestell fest, um nicht endgültig den Halt zu verlieren.

„Ist das denn wirklich notwendig?“ Elija meldete sich zum ersten Mal zu Wort und obwohl er mehr denn je den Alphawolf heraushängen ließ, konnte seine Stimme ihr dieses Mal keinen Halt geben. Sie hatte einfach nur panische Angst um James.

„Nun ja. Die Alternative wäre ein langwieriger Heilungsprozess, der im schlimmsten Fall zu einer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit der Schulter und des betroffenen Arms führt.“ Youngs Blick zeigte deutlich, was er von dieser Lösung hielt.

„Und wie sieht es nach dieser OP aus? Muss er dann auch mit Einschränkungen rechnen?“

Der Vampir schüttelte den Kopf und lächelte beruhigend. „Nein. Er würde vollkommen genesen. Zudem wäre das Schlimmste in einer Woche ausgestanden, auch wenn er sich danach noch eine Weile schonen sollte. Dennoch hätte er es sehr viel schneller ausgestanden.“

Elija schwieg und da sich auch sonst keiner zu Wort meldete, richtete der Arzt sich schließlich an seinen Patienten. „Was sagst du dazu?“

„Habe ich denn wirklich eine Wahl?“ James hob langsam den Kopf, sein Gesicht eine Maske aus Entschlossenheit, auch wenn ihm immer noch deutlich die Angst in den Augen stand und sein Geruch ihn mehr als nur verriet. Was ihrer aussagte, wollte sie gar nicht erst wissen.

„Das sind leider alle Optionen, die ich dir anbieten kann.“ Der Arzt seufzte. Man sah ihm an, dass er nur zu gerne bessere Nachrichten für sie alle gehabt hätte.

„Schon gut, Doc. Dann bringen wir’s einfach hinter uns.“

Ein Ruck ging durch ihren Körper. Nein! heulte die Wölfin stumm in ihrem Kopf und auch Delilah war alles andere als bereit dazu, James einfach so gehen zu lassen.

Was wenn etwas schief ging? Was wenn er die Narkose nicht vertrug? Menschen waren schon daraus nicht mehr aufgewacht und von Hunden und Katzen hatte sie das sogar noch öfter gehört. Immerhin war er auch ein Wolf!

Was, wenn er…?

„Ich bin bereit.“ James‘ Entschluss stand fest und für einen Augenblick lang wirkte er tatsächlich so, als könne ihn nichts mehr davon abbringen. Aber das war nur die typische McKenzie-Fassade, hinter die Delilah nur allzu leicht blicken konnte. James war nie so perfekt darin gewesen, wie sein Vater oder Bruder. Er würde sie nie völlig täuschen können. Aber letztendlich war diese Angelegenheit nicht ihre Entscheidung, sondern vielmehr ihr alleiniges Verschulden. Wäre sie nicht gewesen, wäre James niemals in diese Lage gekommen.

„Gut, dann lasse ich den OP vorbereiten.“ Young nahm die Röntgenbilder und James‘ Krankenakte an sich und ließ sie alleine.

Das Klicken der sich schließenden Tür klang mehr als endgültig.

„Und du bist dir da wirklich sicher?“ Dean trat neben seinen Bruder ans Bett und berührte sanft dessen gesunde Schulter.

Wie gerne hätte sie das gleiche getan. Ihn ein letztes Mal berührt, für den Fall dass…

„Es bleibt mir wohl kaum eine andere Wahl. Außerdem meinte Young, dass es reine Routine für ihn sei. Wird schon gut gehen. Und ich bin froh, wenn es endlich vorbei ist.“

„Logisch, Mann. Der Doc hat schon härtere Fälle wieder zusammengeflickt. Wirst sehen, bald kannst du uns allen wieder gehörig auf die Nerven gehen.“ Dean klang absolut sicher und das tat nicht nur James gut. Denn er lächelte sogar für einen flüchtigen Augenblick. „Idiot.“

Als auch noch Elija ans Bett trat, beschloss Delilah, dass es für sie an der Zeit war, den Rückzug anzutreten. Außerdem fühlten sich ihre Beine wie Wackelpudding an, weshalb ihr Weg sie zum nächsten Stuhl im Raum führte, auf den sie sich schwer sinken ließ. Sie wollte die Vertrautheit der drei McKenzies auch nicht stören, kam sie sich dabei doch immer irgendwie deplatziert vor, obwohl sie bereits die nächste McKenzie-Generation in ihrem Bauch trug.

Viel zu schnell kam der Vampir zurück und teilte ihnen mit, sie sollten sich langsam von James verabschieden, damit man ihn für die OP vorbereiten konnte.

Nur zu deutlich konnte man James‘ aufflammende Panik sehen und selbst Dean konnte ihn nicht mehr beruhigen, obwohl er es mit aller Macht versuchte. Doch schließlich nahm Elija seine Stelle ein und Dean zog sich nur widerwillig zurück. Es war nur zu offensichtlich, dass er seinen Bruder nicht allein lassen wollte, aber auch er musste sich am Ende geschlagen geben.

„Kommst du?“ Dean trat vor sie, seine Stimme gedämpft aber unüberhörbar geknickt.

Delilah warf einen kurzen Blick zu den beiden anderen Werwölfen hinüber. Elija hielt James‘ Nacken beinahe zärtlich mit einer Hand fest, während er sich soweit über seinen Sohn gebeugt hatte, dass sie sich an der Stirn berührten. Man verstand zwar nichts, aber Elijas Lippen bewegen sich und ab und zu konnte man James schwach nicken sehen. Was auch immer sein Vater zu ihm sagte, er schien sich dadurch sichtlich zu beruhigen und sie musste zugeben, dass sie den alten Werwolf noch nie so einfühlsam erlebt hatte. Eigentlich hätte sie ihm diese Art von Vertrautheit zwischen seinen Söhnen noch nicht einmal zugetraut. Eigentlich wirkte er immer äußerst distanziert.

„Ich will mich auch noch verabschieden und ihm alles Gute wünschen.“, kam es viel zu verspätet von Delilah, aber Dean schien das gar nicht weiter aufgefallen zu sein.

„Natürlich.“, murmelte er fast geistesabwesend, während er seinem Vater und Bruder noch einen letzten Blick schenkte, bis er sich endgültig von der Szene losriss. „Ich warte dann draußen.“

Dean strich ihr zart über die Schulter und ging. Sein angespannter Gesichtsausdruck verriet ihr alles, was sie wissen musste. Er stand kurz vorm Durchdrehen und doch zwang Delilah sich dazu, ihn vorerst in Ruhe zu lassen und stattdessen darauf zu warten, bis auch Elija fertig war.
 

James wirkte eindeutig gefasster, als sie an sein Bett herantrat. Er lächelte sogar leicht, auch wenn er sich sichtlich dazu durchringen musste.

Delilah wusste nicht, was sie sagen sollte. Sollte sie ihm denn wirklich viel Glück wünschen? Aber das hieße dann auch, dass er es brauchen würde und daran wollte sie gar nicht erst denken. Doch was sollte sie ihm sonst sagen?

Wieder einmal nahm er ihr einfach die Entscheidung ab, indem er leise fragte: „Darf ich es noch einmal berühren?“ James deutete mit einem Nicken auf ihren Bauch, um noch deutlicher zu werden. Was auch nötig war. Delilah schaltete erst einen Moment später wirklich.

„Sicher.“ Immer noch mit ihrer Gefühlswelt völlig auf Kollisionskurs ergriff sie den Saum ihres Tops und zog ihn kurzerhand einfach hoch. Danach griff sie nach James‘ Hand, nachdem er beim Anblick ihres nackten Bauches kurz gezögert hatte und legte sie direkt darauf. Er fühlte sich warm an und als er dieses Mal lächelte, erreichte es auch seine Augen.

„Ich freu mich schon darauf, wenn man es spüren kann.“ James strich ein paar Mal vorsichtig über die Wölbung, ehe er seine Hand wieder wegnahm und Delilah stattdessen mit seinem Blick zu fixieren begann. Sein Lächeln war erloschen.

Langsam zog Delilah den Saum ihres Tops wieder herunter, ohne auch nur einmal von seinen Augen abzulassen. Er sagte zwar nichts, aber in seinem Blick waren Dinge zu lesen, die für sie beide unmöglich in Worte zu fassen waren, gerade weil sie ihn nicht missverstehen konnte.

Das Schweigen dehnte sich aus, schuf so eine Art kleiner Welt, in der nur sie beide zu existieren schienen, während sich zwischen ihnen eine so derartig heftige Intensität aufbaute, wie Delilah sie noch nie erlebt hatte. Noch nicht einmal mit Dean.

Bestimmt lag es an ihren völlig durchdrehenden Nerven. An den ganzen Schuldgefühlen, den Hormonen, der Angst um James und weiß der Teufel was noch alles, aber mit einem Mal wusste sie, was sie tun wollte.

Sie hatte keine Worte für James, die ihn trösten oder aufbauen könnten. Nichts, was sie sagen könnte, würde ihm oder ihr selbst auch nur annähernd helfen. Also setzte sie sich zu ihm aufs Bett und berührte leicht seine gesunde Schulter, so wie Dean es vorhin noch getan und sie es sich ebenfalls gewünscht hatte. Doch das war ihr bei weitem noch nicht genug.

Sie brauchte seine Nähe. Sie wollte seine Nähe und der Gedanke daran, dass das hier vielleicht das letzte Mal für sie beide sein könnte, brach ihr schier das Herz.

Sie war noch lange nicht bereit dazu, ihn einfach aufzugeben. Vielleicht würde sie das niemals sein, selbst wenn alles glattlief.

Als Delilah ihre Hand zu seiner Wange gleiten ließ und James sich vorsichtig dagegen schmiegte, begann sie zu weinen.

Dicke Tränen rollten ungebremst über ihre Wangen und benetzten seinen Oberkörper. Für einen Augenblick lang verweilten sie so, bis er seinen gesunden Arm hob, um ihr die Tränen wegzuwischen. Das glaubte Delilah zumindest, doch das tat er nicht. Stattdessen ergriff er ihren Nacken und zog sie zu sich herunter.

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, als ihre Lippen sich berührten.

Für einen Moment war sie völlig erstarrt, doch dann warf James jegliche Zurückhaltung über Bord und ließ sie seine Lippen noch heißer und intensiver auf ihrem Mund spüren, wodurch er endgültig alle Dämme in ihr niederriss.

Delilahs Hände krallten sich in James‘ Haar und zogen ihn zu sich heran, während sie sich ihm auf eine Weise entgegen presste, als könnte sie nur dadurch verhindern, dass er sie verließ.

Es war ein unglaublicher Kuss. Voller verzweifelter Zuneigung und dem Gefühl etwas absolut Verbotenes zu tun, obwohl es sich so verdammt richtig anfühlte. Nichts daran schien falsch zu sein. Weder für ihre Wölfin noch für sie selbst und doch war es das. Mehr als das. Ihr Herz konnte es ignorieren, ihr Verstand jedoch nicht.

Delilah war wie benommen, als sie James endlich frei gab und sich wieder aufrichtete. Ihre Tränen waren versiegt, aber dafür war sie umso verwirrter.

James schien es auch nicht wesentlich besser zu gehen. Er sah sie beinahe überrascht an, obwohl er es gewesen war, der sie geküsst und mit seiner Zunge ihren Mund erforscht hatte. Aber mit dieser Heftigkeit ihrer Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet.

„Keine Ohrfeige dieses Mal?“ Seine Stimme klang so rau und kraftlos, als hätte er stundenlang geschrien.

Zögerlich berührte Delilah ihre geschwollenen Lippen, ohne ihm zu antworten. Sie wollte ihn fragen, was das gerade eben gewesen war. Warum er sie geküsst und es sie dabei so stark berührt hatte. Doch ein dezentes Räuspern hinter ihr ließ sie erschrocken hochfahren und vom Bett springen.

„Es ist an der Zeit.“ Young schenkte ihr ein warmes Lächeln, während Elija James und sie so ausdruckslos anstarrte, dass es ihr eine Gänsehaut die Arme hochjagte.

Delilah wischte sich kurzerhand die Wangen trocken und wandte sich noch einmal an James, doch auch jetzt brachte sie nichts weiter zu Stande als ein schwaches Kopfschütteln. Ihre Antwort auf seine Frage. Danach verließ sie den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Im Wartezimmer angekommen, ließ sie sich neben Dean auf die Couch fallen und realisierte immer noch nicht ganz, was gerade eben passiert war.

Sie wusste nur, dass sie James um nichts auf der Welt verlieren wollte und dabei gerade etwas getan hatte, was Dean das Herz brechen könnte.

Es gelang ihr noch nicht einmal, seine Berührung zu erwidern, als er einen Arm um sie schlang und sie an sich zog.

„Es wird alles gut werden. Du wirst schon sehen.“, versuchte er wohl sie beide zu beruhigen.

Würde es das? Delilah zweifelte mehr denn je daran, selbst wenn James die Operation gut überstehen sollte.
 

Delilah schloss leise die Tür der Damentoilette hinter sich und drehte den Schlüssel herum. Kurz lehnte sie noch mit dem Rücken dagegen, ehe sie am Holz entlang zu Boden glitt und zu einem Häufchen Elend zusammensank.

Eigentlich hatte sie den beiden Männern im Wartezimmer gesagt, sie sei nur schnell für kleine Wölfe, aber das entsprach nicht einmal annährend der Wirklichkeit. Sie brach auseinander.

Das beklemmende Gefühl in ihrer Brust war inzwischen so schlimm, dass sie nur noch kurze, flache Atemzüge zu Stande brachte, während heiße Tränen ihr über die kalten Wangen liefen.

Zunächst versuchte sie sie energisch wegzuwischen, doch irgendwann gab sie den Versuch auf und schlang stattdessen die Arme um ihre angewinkelten Knie, um sich irgendwie zusammen zu halten, aber mit ihren Gefühlen gelang ihr das nicht.

Sie war hin und her gerissen. Zwischen Schuld, unerreichbaren Wünschen und Panik. Aber obwohl die Angst um James fast alle anderen Empfindungen überwog, hatte sie doch immer noch Herzklopfen, wenn sie an den Kuss zwischen ihnen beiden zurückdachte.

Delilah hätte nicht gedacht, dass es sich immer noch so intensiv anfühlen würde wie beim ersten Mal, als sie noch nicht beschlossen hatte, sich voll und ganz auf Dean einzulassen.

Was hatte sie nur getan?

Man konnte es zwar auf die Situation schieben und dass sie sich James’ Wunsch nicht hatte verweigern wollen, aber das wäre gelogen. Sie hatte es ebenso sehr gewollt, wie sie es genossen hatte und sie würde es mit Sicherheit wieder tun wollen, wenn James die OP gut überstand, auch wenn sie Dean damit erneut hintergehen würde.

Dieser Kuss konnte noch als Fehler oder Ergebnis dieser bedrückenden Situation angesehen werden. Der nächste wäre mutwillig begangen. Delilah könnte Dean das nicht antun. Nicht nachdem was heute Morgen noch zwischen ihnen gewesen war.

Oder etwa doch?

Noch mehr Tränen fluteten ihre Wangen, so dass Delilah gezwungen war, sich auf ihre wackeligen Füße hoch zu kämpfen und nach mehreren Papierhandtüchern zu greifen, um sich die Nase zu putzen.

Ein Blick in den Spiegel genügte und sie wusch sich auch noch gründlich das verweinte Gesicht.

Nicht nur Dean würde sich wundern, wenn sie so verheult zurückkam. Elija war auch noch da und was der nun von ihr dachte, wollte sie gar nicht so genau wissen.

Hoffentlich erzählte er Dean nicht von dem Kuss, denn es wäre unnötig, ihn damit zu verletzen, wo es doch eine einmalige Sache gewesen war. Es musste einfach bei diesem einen Mal bleiben. Alles Andere wäre nicht fair gewesen und sie würde verdammt noch mal dafür sorgen, dass sie sich daran hielt.

James würde sich einfach damit abfinden müssen. Sofern er die OP überlebte.

„Oh Gott...“ Allein bei diesem Gedanken wurde ihr eiskalt ums Herz und obwohl Delilah sich eigentlich schon zu lange hier auf der Damentoilette versteckte, tat sie doch etwas, das sie nie wieder hatte tun wollen.

Sie faltete schließlich die Hände und begann leise zu beten.
 

Dean sah nur kurz hoch, als sie zurückkam und sich neben ihn setzte. Erneut legte er seinen Arm um sie, aber es hatte viel mehr etwas von einem Automatismus als einer wirklich bewusst gesteuerten Handlung. Er war mit den Gedanken eigentlich ganz wo anders.

„Wo ist dein Dad hin?“ Elija saß nicht mehr wie zuvor auf dem breiten Ledersessel ihnen gegenüber.

„Kaffeeholen.“, war Deans einzige Antwort, ehe er sich seufzend den Nacken knetete und dann nervös mit dem Fuß zu wippen begann.

Delilah kuschelte sich daraufhin enger an seinen Körper und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Oberschenkel.

Eigentlich wusste sie selbst nichts mit sich anzufangen und ein Blick auf die Uhr über der Tür machte deutlich, dass sie wohl doch nicht so viel Zeit in der Damentoilette verbracht hatte. Dabei war ihr Gebet wirklich ausführlich gewesen, dennoch würde es noch eine Ewigkeit dauern, bis die OP zu Ende war. Eine Zeit die nicht nur ihr zu schaffen machte.

Ihr ansonst beruhigender Einfluss auf Dean versagte in voller Länge, denn nach wenigen Minuten stieß er erneut ein Seufzen aus, ließ sie los und stand schließlich auf.

„Ich geh mir etwas die Beine vertreten.“, kündigte er an und war auch schon aus der Tür verschwunden.

So allein gelassen schlüpfte Delilah aus ihren Ballerinas, stellte die Füße auf der Kante der Couch ab und schlang die Arme um sich.

Alleine fühlte sie sich in dieser unheimlichen Stille nicht besonders wohl, denn obwohl es auch noch andere Patienten gab, die derzeit in der Klinik bleiben mussten, so war doch mitten in der Nacht nicht viel los. Dennoch zog sie die Einsamkeit der Gesellschaft von Elija vor, der mit zwei dampfenden Kaffeebechern keine Minute später zur Tür hereinkam.

Sofort bekam sie Herzrasen, als sie ihn sah und auch ein bisschen Angst.

Bisher hatte er sich noch nicht zu dem Kuss geäußert, aber das könnte sich jetzt ändern, nun da Dean mit seiner Abwesenheit glänzte.

Ohne dass sie etwas gesagt hatte, drückte er ihr einen der Becher in die Hand. Dass seiner Kaffee beinhaltete, konnte sie riechen. Überraschenderweise enthielt ihrer Früchtetee.

„Danke.“ Delilah schlang ihre Finger um den Becher. Zum Trinken war der Tee zwar noch zu heiß, aber dafür konnte sie sich daran ihre Hände wärmen.

Der alte Werwolf ließ sich wieder auf seinem Platz nieder, pustete ein paar Mal in seinen Becher und nippte an seinem Kaffee. Seine ganze Haltung war ruhig und gelassen. Beinahe zu ruhig.

Machte es ihm denn so gar nichts aus, dass sein Sohn gerade operiert wurde? War er so kalt und herzlos?

Wenn man ihn so sah, könnte man das durchaus glauben, aber ein Gefühl sagte Delilah, dass es nicht so war, wie es den Anschein hatte. Er mochte vielleicht hart und gefühlskalt wirken, aber auch in seiner Brust schlug ein Herz und das hing ganz bestimmt an seinen beiden Söhnen.

Es dauerte nicht lange und Elija bemerkte ihren musternden Blick.

Wie jedes Mal glich es einer kleinen Naturgewalt, als seine Augen sich auf Delilah richteten. Zu schnell, als dass sie noch so einfach hätte wegsehen können, ohne dass es besonders aufgefallen wäre. Also erwiderte sie den Blick solange sie konnte. Dass Elija nur stumm zurückschaute, machte es nicht gerade leichter.

Delilah begann sich immer unwohler in ihrer Haut zu fühlen. Der alte Werwolf sagte vielleicht nichts, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, etwas vorgeworfen zu bekommen und verdammt, damit hätte er sogar Recht, aber das war doch schließlich ihre Sache, oder nicht?

Ein paar Sekunden lang hielt Delilah es unter diesem Blick noch aus, bis es einfach nicht mehr ging.

„Könntest du bitte die Sache mit dem Kuss für dich behalten?“, platzte es einfach aus ihr heraus. „Ich meine, das war... James wird schließlich...“

Delilah stieß einen tiefen Seufzer aus und starrte in ihren Tee. „Ich will Dean einfach nicht unnötig verletzen. Es wird ohnehin nicht wieder vorkommen.“

Auch wenn sie es nicht versprechen konnte. Zumindest soweit sollte sie ehrlich zu sich selbst sein.

Was Elija anging, so hob er nur seine zerfurchte Augenbraue, ehe er einen weiteren Schluck von seinem Kaffee trank.

Keine Antwort war wohl auch eine Antwort.

Wie sollte sie Dean das bloße erklären?

„Die McKenzies waren schon immer sehr speziell, was die Liebe angeht.“

Überrascht über Elijas Worte hob Delilah verblüfft den Kopf.

Der alte Werwolf bestätigte mit seinem Nicken, dass sie sich die Worte nicht einfach eingebildet hatte. „Das hat schon mit meinem Großvater begonnen. Mein Vater hat weiter gemacht und ich bin mitgezogen. Warum sollte es also mit meinen Söhnen anders sein?“

„Aber...“, begann sie, aber weiter gingen ihre Gedanken nicht.

„Ich bin wirklich der Letzte, der das Recht hat, jemanden in dieser Sache zu verurteilen. Schließlich habe ich selbst eine menschliche Frau geheiratet, egal was das für Folgen mit sich brachte und obwohl ich das schon vorher gewusst hatte. Und was dich und meine Söhne angeht, halte ich mich raus. Ihr müsst euren Weg selbst finden.“

Also ... das war ... unerwartet...

Delilah hätte wirklich nicht erwartet, dass Elija so über diese Situation dachte. Um ehrlich zu sein, hätte sie das nie für möglich gehalten. In tausend Jahren nicht.

„Danke. Ich meine, dass du mich nach all den Problemen, die ich verursacht habe, nicht verurteilst.“ Und was für Probleme...

Der Gedanke traf sie erneut tief, so dass sie geschlagen das Haupt senkte und ihre zittrigen Finger noch fester um den warmen Becher schloss.

Dean war immer noch nicht zurück und im Augenblick hatte sie selbst nicht die Kraft dazu, ihm nachzugehen. Eigentlich fühlte sie sich nur total hilflos und unnütz.

„James kommt wieder in Ordnung. Young hat schon schlimmere Fälle wieder zusammengeflickt.“ Elija zerdrückte den leeren Pappbecher und warf ihn quer durch den Raum, wo er zielgenau im Mülleimer neben dem Fenster landete.

„Sogar mich hat er wieder mehr oder weniger hinbekommen.“

Wäre Delilah nur eine Spur langsamer gewesen, sie hätte das winzige Zucken von Elijas Mundwinkel verpasst.

Dieses kleine Lächeln war mit Abstand das Erstaunlichste an diesem ganzen Gespräch und sie würde es mit Sicherheit so schnell nicht wieder vergessen.

Elija schaffte es doch immer wieder, sie zu überraschen.
 

Als die Tür zum Wartezimmer aufschwang, war es bereits früher Morgen und Delilah zuckte aus ihrem leichten Schlaf hoch, dessen sie sich an Deans Seite nicht hatte erwehren können.

Es war Young, der – kaum dass er den Raum betreten hatte – fast von Dean und ihr überrannt wurde. Elija war der Einzige, der sich wenigstens ein bisschen zurückhielt, aber trotzdem aufstand, um die Nachricht zu hören, die der Arzt ihnen allen mitteilen wollte.

Young hob beschwichtigend die Hände, um den Ansturm abzuwehren: „Es ist alles so gekommen, wie ich es erwartet habe. Die OP verlief ohne Komplikationen und James wird schon bald wieder auf den Beinen sein.“

„Wann können wir zu ihm?“, platzte es aus Dean heraus und seine Ruhe war endgültig dahin. Man sah ihm nur zu deutlich am Gesicht an, dass er endlich wieder zu seinem Bruder wollte.

„Ihr müsst euch noch etwas gedulden, bis ihr ihn sehen könnt. Er ist zwar schon wieder wach, aber noch nicht wirklich ansprechbar. Von ein paar deftigen Flüchen einmal abgesehen, aber dahingehend habe ich nichts anderes erwartet.“

Bei diesem letzten Satz warf Young einen vielsagenden Blick zu Elija hinüber. Der zuckte nur kurz mit den Schultern.

„Und wie lange müssen wir jetzt noch warten?“ Dean schien kurz davor zu stehen, die Antworten einfach aus dem Arzt herauszuschütteln. Delilah ging es nicht besser, aber sie hielt sich zurück.

„Nicht mehr lange. Versprochen. Aber was den weiteren Verlauf seiner Genesung angeht, möchte ich ihn gerne noch eine Woche hier behalten, damit er nicht noch mehr Dummheiten anstellen kann, aber dann dürfte er wieder auf den Beinen sein. Trotzdem sollte er den Arm danach noch die nächsten Tage so viel wie möglich schonen.“

„Wir werden schon dafür sorgen, dass der Idiot das tut.“, verkündete Dean ernst und doch so offensichtlich erleichtert zugleich. Delilah hatte außerdem keinen Zweifel daran, wen er mit wir gemeint hatte. Sie würden definitiv dafür sorgen, dass James keinen Blödsinn mehr anstellte.

„Übrigens gute Arbeit mit den Nähten, Delilah. Die Narben werden dank deiner Fürsorge gut verheilen.“ Young schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln.

Überrascht von diesem unerwarteten Lob, senkte sie den Blick. „Das war doch das Mindeste, was ich tun konnte.“ Aber bei weitem noch nicht genug.

43. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

44. Kapitel

„Dass du mir alles sagen kannst, weißt du, oder?“ Deans leises Flüstern holte sie wieder aus ihrem erschöpften Dösen zurück, in das sie abgedriftet war, nachdem sie es zumindest bis ins Bett geschafft hatten.

Delilah fühlte sich unglaublich erschlagen und emotional völlig ausgelaugt. Sie hatte kaum noch die Kraft, ihre Augenlider zu heben, um den Mann an ihrer Seite anschauen zu können, der sie da so wohligwarm im Arm hielt.

„Ich weiß.“, gab sie kaum hörbar zurück. Sie war ganz heiser vom vielen Weinen und schloss auch sofort wieder die Augen. Es war einfach zu anstrengend.

„Sagst du mir dann auch, was vorhin los war?“, drängte Dean auf seine fast schon zärtliche Art weiter, während er sie sanft streichelte. Zuerst über die Wange, dann durchs Haar ihren Nacken hinab zu ihrer Schulter und schließlich zu ihrer Seite, wo er seine Hand warm und beschützend liegen ließ.

Gott, wie sehr sie das liebte und gerade deshalb konnte sie ihm nicht die Wahrheit sagen. Er würde ihr diese Privilegien mit Sicherheit sofort entziehen und ihr seinen Schutz entsagen, obwohl sie ihn gerade jetzt am meisten brauchte.

Ohne Deans wärmende Umarmung würde Delilah einfach auseinanderfallen. Zumindest fühlte es sich in diesem Augenblick so an, also kuschelte sie sich näher an ihn heran und legte ihren Arm um seine Seite, um ihn bei sich festzuhalten, so gut sie das eben in ihrem Zustand konnte.

„Meine Hormone spielen zurzeit total verrückt.“, antwortete sie schließlich, auch wenn sie Dean damit belog. Vielleicht nicht ganz, aber zum größten Teil auf jeden Fall. Zumindest glaubte sie selbst, dass ihre Schwangerschaftshormone das alles noch viel intensiver gestalteten, als es sonst der Fall gewesen wäre. Sie ließ sich von James leichter provozieren, war schneller gereizt und überhaupt schien es nur noch selten ein normales Maß der Dinge bei ihr zu geben, aber das waren nur Nebenerscheinungen eines Problems, das absolut nichts mit ihren Hormonen zu tun hatte. Vielmehr war ihr Herz der Übeltäter und dass sie zugelassen hatte, sich so sehr auf jemanden einzulassen. Egal ob es hier um James oder Dean ging, sie hätte sich beiden nicht so weit öffnen dürfen.

Verdammt noch mal, sogar Elija mochte sie inzwischen!

Ihre Welt stand wirklich Kopf und sie konnte nichts mehr daran ändern, vor allem auch nicht, dass es immer noch weiter in diese Richtung ging.

„Ich glaube dir, dass du vorhin wegen deiner Hormone so über mich hergefallen bist, aber den Rest kaufe ich dir nicht ab, Deli. Ich bin nicht blöd. Ich weiß, dass da noch mehr im Busch ist, als du mir sagen willst und nebenbei bemerkt, auch mehr als J mir verraten will.“

Obwohl Deans Finger noch immer über ihre Seite streichelten, erstarrte Delilah unter seinen Worten und wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie wagte ja kaum noch zu atmen, so ertappt fühlte sie sich.

Überraschenderweise zog Dean sie daraufhin noch enger in seine Arme und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Er atmete tief ein und aus. Schien die Ruhe selbst zu sein, obwohl dem vermutlich gar nicht so war. Aber bei ihm gelang es ihr wirklich nicht, hinter seine Fassade zu blicken.

„Ich bin auch ein Wolf, Deli.“, hauchte er leise in ihr Ohr. „Ich weiß genau, wann du nervös bist oder Angst hast. Außerdem kann ich dein Herz gerade jetzt wie verrückt schlagen hören.“

Delilah zuckte erschrocken zurück, kam aber nicht weit, da Dean keinerlei Anstalten machte, sie loszulassen. Er hielt sie nicht gewaltsam fest, nicht einmal annähernd, aber trotzdem konnte sie erahnen, wie stark er im Gegensatz zu ihr war und wenn er wollte, er könnte sie nie wieder gehen lassen. Doch das tat er, als er sich so weit von ihr zurückzog, dass er ihr ins Gesicht blicken konnte.

„Schon gut. Wenn du es mir nicht sagen willst, dann sag’s nicht, aber wenn ich etwas falsch gemacht habe, will ich es wissen, okay?“ Sein karamellfarbener Blick war voller Wärme und Zuneigung und beruhigte sie zumindest wieder ein bisschen.

„Du hast nichts falsch gemacht.“ Sie zog ihre Hand zwischen ihren Körpern hervor und berührte Deans leicht kratzige Wange. „Eigentlich machst du das hier sogar verdammt gut.“ Viel besser als ich.

Delilah lächelte schwach und zog ihn zu einem sanften Kuss zu sich herab. Es fühlte sich gut an. Warm und vertraut. So wie es sein sollte.

„Ich liebe dich.“, hauchte sie ihm noch einmal gegen die Lippen, ohne dabei so verzweifelt zu klingen wie vorhin noch, auch wenn sich nichts an dem Gefühl in ihrem Herzen verändert hatte. Dennoch hatte sie den Wunsch verspürt, es noch einmal auszusprechen.

Deans Mund verzog sich spürbar zu einem Lächeln, obwohl er sich kaum von ihrem löste.

„Wenn ich nicht so viel Schiss hätte, dich damit wieder zum Weinen zu bringen, würde ich darauf antworten.“

So verrückt es auch war, aber die Worte rangen auch Delilah ein flüchtiges Schmunzeln ab, ehe sie ihn nachdrücklicher küsste, während ihre Finger sein Haar zerwühlten.

„Bitte...“ Sie küsste ihn wieder, ließ sich dabei ganz auf die positiven Gefühle ein, die dadurch in ihr ausgelöst wurden und versuchte währenddessen alles andere zur Seite zu schieben. Auch wenn es immer noch sehr schwer war.

„Riskiere es.“, bat sie schließlich.

Deans Hand legte sich daraufhin in ihren Nacken als er sich erneut ein kleines Stück zurückzog, um ihr wieder in die Augen schauen zu können. Sein karamellfarbener Blick drang dabei tief in ihren und berührte sie abermals auf diese einzigartige Weise, wie nur diese Augen es konnten.

Ihre Wölfin hob aufmerksam den Kopf. Wartete mit wedelnder Rute auf das, was Deans Blick ihr zusicherte. Ihrer Aufmerksamkeit entging dabei nicht das Geringste. Nicht einmal das heftige Pochen der Ader an seinem Hals und dass auch seiner Haut plötzlich der begleitende Geruch von Nervosität entstieg. Also war er doch nicht die Ruhe selbst.

Ein Wissen das sie irgendwie erleichterte.

„Ich liebe dich, Deli.“, hauchte er nachdrücklich und voller Ernsthaftigkeit. „Genauso wie mein Wolf sich dir schon längst ergeben hat. Er und ich – wir beide lassen dich nicht mehr so einfach gehen. Ich hoffe, das ist dir klar.“

Ihre Augen blieben trocken. Sie begann nicht zu weinen, doch dafür schlug Delilahs Herz wild in ihrer Brust und ein nagendes Gefühl machte sich gleich daneben breit.

Gespalten durch das Gefühl der Wärme und das des Unbehagens wusste sie gar nicht so genau, wie sie reagieren sollte.

Ohne es leugnen zu können, verspürte sie den Biss des schlechten Gewissens, denn nicht nur sie sondern auch ihre Wölfin waren sich einig, dass sie sich Dean nicht so einfach ergeben konnten. Sie wollten es, aber sie konnten es nicht und er schien das zu spüren.

Schwer seufzend ließ er sich mit dem Rücken ins Kissen zurückfallen. Vermutlich hatte er es aufgegeben, auf irgendeine Reaktion ihrerseits zu warten. Dabei hatte er sich mit seinem Geständnis so viel Mühe gegeben.

Obwohl es sie einiges an Anstrengung kostete, kämpfte Delilah sich ein Stück hoch, um sich über Dean zu beugen und auf ihn herabsehen zu können. Während sie sein Gesicht sanft berührte und er ihren Blick ausdruckslos erwiderte, suchte sie nach Worten, die ihn beruhigen konnten. Ein Versprechen, das sie ihm geben und es auch halten konnte. Doch da war nichts. Weder wusste sie die richtigen Worte, noch konnte sie ihm versprechen, dass es nur ihn für sie gab und immer geben würde. Nicht solange ihr James ständig im Kopf herumspukte.

„Schon okay. Lass uns einfach schlafen.“, meinte er nach einer Weile, in der sie immer noch keinen Ton herausgebracht hatte. „Ich bin ohnehin total erledigt. Der Tag heute war ziemlich anstrengend.“

Delilahs Hand rutschte auf Deans Brust, als sie sich zurückzuziehen begann und wieder einmal den Kopf hängen ließ. Sie wusste einfach nicht, wie sie die Situation noch retten konnte. Vielleicht hatte er auch einfach Recht und sie sollten jetzt wirklich schlafen. Morgen würde sicher auch ein anstrengender Tag auf sie warten. Vor allem da James wieder nach Hause kam.

Geschlagen ließ sie sich erneut neben Dean nieder, legte aber ihren Kopf auf seiner Schulter ab und schlang den Arm um seinen Bauch. Dass die Situation verzwickt war, bedeutete schließlich nicht, dass sie ihm weniger nahe sein wollte oder ihn weniger liebte. Es hieß nur, dass es alles andere als einfach war.

„Es tut mir leid.“, seufzte sie irgendwann schon halb schlafend, aber es hatte einfach noch rausmüssen.

„Mir auch.“, kam es ebenso leise zurück.
 

***
 

Er sah verdammt gut aus. Wie das blühende Leben und gar nicht so, als ob er vor kurzem noch eine Operation über sich hatte ergehen lassen. Lediglich der Arm in der einfachen Schlinge erinnerte noch an die Zeit, als James stark geschwächt im Bett hatte liegen müssen, da er zu mehr nicht fähig gewesen war. Jetzt aber waren seine Bewegungen wieder kraftvoll und voller Elan, als er die Tür des Pick-ups aufstieß und schwungvoll aus der Fahrerkabine stieg.

Seine Haut hatte eine gesunde Farbe. Sein Haar glänzte in allen möglichen Rot- und Brauntönen in der Sonne und seine Lippen zierte ein Lächeln, als hätte er gerade im Lotto gewonnen.

Genüsslich streckte er sich mit geschlossenen Augen in der Sonne, atmete tief die schwüle Sommerluft ein und seufzte dann zufrieden. „Endlich! Home sweet home.“

„Übertreib mal nicht.“ Dean kam grinsend um den Wagen herum und klopfte James brüderlich auf die gesunde Schulter. „So schlimm war’s ja wohl auch nicht.“

„Pah. Hast du eine Ahnung. Noch einen Tag länger in der Klinik und ich wäre Amok gelaufen. Am schlimmsten waren die morgendlichen Spritzen in den Allerwertesten.“

„Ach, gib’s zu, da stehst du doch drauf.“ Verschmitzt grinsend duckte sich Dean zur Seite weg, um dem Arm seines Bruders auszuweichen. Währenddessen gesellte sich auch Elija zu seinen Söhnen. Wie immer war er bis gerade eben noch am Arbeiten gewesen.

„Hey, Dad.“ James kam seinem Vater entgegen und umarmte ihn ohne zu zögern, doch dafür umso herzlicher. Kein Wunder. Er hatte ihn schon fast eine Woche nicht mehr gesehen.

„Alles klar bei dir?“ Elija trat einen Schritt zurück und musterte James eindringlich, als suche er nach Anzeichen, die das Gegenteil behaupteten, fand jedoch keine.

„Jetzt da ich wieder den Duft von frischem Motoröl in der Nase habe, könnte es nicht besser sein und die Schlaufe bin ich auch bald los. Also mach dir keine Sorgen.“

„Hmpf.“ Elija war offenbar der Meinung, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, sich keine Sorgen um seine Söhne zu machen. Wo er Recht hatte, hatte er Recht.

Nachdem sein Vater ihn losgelassen hatte, begann James sich suchend in der Runde umzuschauen. „Wo ist eigentlich-“

„Ich bin hier.“ Delilah trat aus dem Schatten des Hauseingangs und stieg barfuß die Veranda herab. Der sanfte Wind, der keinerlei Abkühlung versprach, wehte ihr den Saum ihres blauen Sommerkleides um die Knöchel, während sie langsam auf die drei Männer zuschritt. Eine Armlänge von James entfernt blieb sie stehen und sah zu ihm auf.

„Schön, dass du wieder Zuhause bist.“ Sie lächelte so ungezwungen wie möglich, obwohl ihr Erscheinen für einen rapiden Stimmungswechsel sorgte. Die Luft war plötzlich voller Spannungen und daran hatte bestimmt nicht das in der Ferne aufziehende Gewitter Schuld.

„Das Essen ist fertig. Falls überhaupt jemand Hunger hat.“, versuchte sie es weiter, nachdem keiner ein Wort gesagt hatte. James’ Blick blieb dabei an ihr haften, als hätte er noch nie zuvor eine schwangere Frau gesehen.

Dabei passte ihr das Kleid noch sehr gut, obwohl der Stoff sich schon deutlich über der von Tag zu Tag größer werdenden Rundung ihres Bauches spannte. Vielleicht hatte eine Woche Abwesenheit mehr Veränderung in ihr hervorgebracht, als sie sich selbst bewusst war.

„Ja ... Essen klingt gut.“ Dean ging mit angespannter Miene an seinem Bruder vorbei und legte den Arm in einer eindeutigen Geste um ihre Taille. „Ich bin schon kurz vorm Verhungern.“

Während sie mit ihm zusammen zum Haus zurückging, warf Delilah einen kurzen Blick über ihre Schulter und traf direkt auf den von James.

Um nicht auf der Treppe ins Stolpern zu geraten, richtete sie ihre Aufmerksamkeit schnell wieder nach vorne, doch es war bereits zu spät. Sie hatte sehr genau den Wolf und dessen gefletschten Reißzähne hinter James’ Augen aufglimmen sehen und wie sie sich am Schluss auf Deans Rücken geheftet hatten.

Ihr Herz begann mit einem mal so wild zu schlagen, dass Dean sie fragend ansah, doch sie schenkte ihm nur ein warmes Lächeln und löste sich schließlich von ihm, um die kalte Fleischplatte aus dem Kühlschrank zu holen, die sie extra für den freudigen Anlass vorbereitet hatte.

Werwölfe liebten Fleisch. Egal in welcher Form, Hauptsache es war reichlich vorhanden.

Während sie versuchte, die Frischhaltefolie vom Plattenrand zu lösen, trat Elija neben sie, um sich die Hände gründlich im Spülbecken zu waschen.

Ihre Finger zitterten inzwischen so stark, dass sie es immer noch nicht geschafft hatte, als er schon längst wieder damit fertig war.

Seine Hand war riesig und voller Schwielen, aber auch unglaublich warm, als er sie sanft auf die ihren legte und damit das Zittern stoppte.

Elijas ungewohnte Nähe hüllte sie regelrecht ein und war wie ein Mantel aus Ruhe und Geborgenheit, während der Duft des Alphawolfs sie schützend einlullte.

Delilah war lange nicht mehr so nervös wie noch zuvor, als sie fragend zu ihm hochsah. Wirklich weit hochsah. Der Mann war ein Riese.

„Ich mach das schon.“, raunte er leise, während man hinter ihnen Stühle scharren hörte, als seine Söhne sich an den Tisch setzten.

„Danke.“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern und auch den Schritt zurück machte sie nur zögerlich, da Delilah sehr genau spüren konnte, wann sie sich aus der beruhigenden Nähe des Alphawolfs entfernte. Dabei wäre sie gerne noch ein bisschen länger dort geblieben.

Dennoch hatte ihr Elijas Hilfe gut getan, denn sie hatte keine Probleme mehr damit, zuerst die riesige Schüssel Salat und dann auch noch den Krug mit der frischen Limonade unfallfrei auf den Tisch zu stellen, bevor sie sich neben Dean auf ihren Platz setzte.

Elija nahm zuerst, dann kam sie und anschließend griffen auch die Brüder tüchtig zu, obwohl sie es inzwischen nicht mehr wirklich mit der Portion auf Delilahs Teller aufnehmen konnten.

Man sah es ihr vielleicht nicht gleich an, aber sie verdrückte inzwischen doppelt so viel wie früher und hatte auch bereits nach wenigen Stunden wieder einen enormen Appetit. Weshalb ihr jetzt nicht einmal die gedrückte Stimmung auf den Magen schlagen konnte, sondern sie einfach in sich hinein schaufelte, was das Zeug hielt und dabei nicht immer auf gesittete Manieren achtete. Aber wozu hatte man sonst die Serviette erfunden?

Noch einmal kam ihr Elija zu Hilfe, als er endlich das Schweigen am Tisch brach und James lang und breit darüber informierte, was er durch sein Fehlen bei der Arbeit in letzter Zeit alles versäumt hatte. Da die Werkstatt ihr aller Lebensunterhalt war und die McKenzies wirklich gerne an Autos herumschraubten, war James sofort für das Thema zu haben und hörte interessiert zu. Er stellte auch Fragen und mit der Zeit löste sich dadurch die Anspannung etwas, da beide Brüder zu vergessen schienen, weshalb sie hier so die Stimmung gedrückt hatten.

Delilah selbst war sich dahingehend keiner Schuld bewusst. Ihr war zwar klar, dass es an ihr lag, aber sie hatte nichts getan, um aus einem freudigen Ereignis solch eine Grabesstimmung zu schaffen. Immerhin hatte sie klar gemacht, dass sie mit Dean zusammen war. James wusste das und obwohl sie noch nicht die Gelegenheit gehabt hatten, noch einmal über das zu sprechen, was da in dem Krankenzimmer vorgefallen war, so änderte es doch nichts an den grundlegenden Tatsachen. Sie liebte Dean und wollte ihm auf keinen Fall, durch irgendetwas das sie sagte oder tat, das Herz brechen. Auch wenn sie wusste, dass James genau darunter litt.

„Isst du das noch?“ Delilah nutzte die kurze Pause zwischen den Gesprächen, um auf Deans Teller hinüber zu spähen und dabei ein paar Schweinerippchen ins Visier zu nehmen. Er hatte nicht so ausgesehen, als würde er noch irgendetwas hinunter bringen.

Sie brachte ihn damit zum Grinsen. „Nein. Nur zu, bedien dich.“

Er hielt ihr den Teller hin und sie griff gleich mit bloßen Fingern nach dem Fleisch, da man Rippchen ohnehin nur auf diese Art wirklich essen konnte.

Herzhaft nagte sie an dem Knochen und wurde sich erst einen Augenblick später bewusst, dass alle am Tisch sie ansahen.

Sie schluckte hinunter. „Was? Ich esse hier für zwei, schon vergessen?“

„Also ich ganz bestimmt nicht.“ Dean tätschelte ihr sanft den Bauch und zog sich noch breiter grinsend vom Tisch zurück, als sie ihn böse anfunkelte. Aber zu seinem Glück kam er nicht einmal auf die Idee, sie irgendwie auf ihren anwachsenden Körperumfang anzusprechen.

Kluger Mann.

Auch James und sein Vater standen schließlich auf und trugen das Geschirr ab, während sie sich noch die fettigen Finger ableckte und dann erschöpft zurücklehnte. Kein Wunder, dass sie nach dem Essen immer so erledigt war. Die riesigen Mengen an Fleisch und zusätzlich auch noch das Baby lagen ihr schwer im Bauch, dennoch raffte Delilah sich schließlich hoch, um den Jungs beim Abwasch zu helfen. Zumindest hatte sie das vor, doch Dean gab ihr zu verstehen, dass sie ihre Hilfe nicht brauchten und sie sich ruhig etwas ausruhen sollte.

Zudem schien er offenbar etwas Zeit mit seinem Bruder alleine verbringen zu wollen und da auch James nichts dagegen sagte, verkrümelte sie sich schließlich aus der Küche.

Solange die beiden sich nicht wieder gegenseitig die Köpfe einschlugen, würde sie sich keine Sorgen darum machen, was für eine Wirkung ihre Anwesenheit auf die Brüder hatte.
 

Sie hatte schon eine Weile auf dem Bett gedöst und dem fernen Donnergrollen gelauscht, als die Tür in ihrem Rücken aufging und Dean leise das Zimmer betrat.

Delilah öffnete noch nicht einmal die Augen, als er sich auf dem Bett nieder ließ und zu ihr hinüber krabbelte. Stattdessen schnappte sie sich seinen Arm und bettete ihren Kopf darauf, während er sie mit dem Rücken an sich zog und schließlich seine Lippen flüchtig über ihre nackte Schulter streifen ließ, ehe er es sich hinter ihr bequem machte.

Deans Hand streichelte eine Weile träge über ihren Bauch, bis er sie ganz darauf liegen ließ. Noch konnte er die feinen Tritte nicht spüren, die sie selbst von Tag zu Tag deutlicher wahrnahm, aber auch das würde sich noch ändern.

„Habt ihr euch aussprechen können?“ Sie fragte nur leise und gedämpft, wollte sie doch die friedliche Stimmung gerade nicht wirklich stören, aber sie musste es einfach wissen.

Als Antwort bekam sie ein langes Seufzen und die Hand fing wieder an, über ihren Bauch zu streicheln.

„Wir könnten uns noch so oft aussprechen. Das ist nicht das Problem.“

„Und was ist es dann?“ Delilah verschlang ihre Finger mit den seinen, um ihn fest bei sich zu behalten und ihn zu erden. Er sollte nicht das Gefühl haben, als würde sie nicht voll und ganz zu ihm stehen.

„Mein Wolf mag es nicht, wie er dich ansieht.“ Deans Lippen berührten erneut ihre Schulter und glitten zu ihrem Hals hinab, wo er tief den Duft ihrer Haut einatmete, was ihn zu beruhigen schien.

„Und ich mag es nicht, was meine Anwesenheit zwischen euch beiden bewirkt.“ Sie seufzte schwer. Daran würde sie wohl kaum etwas ändern können. Aber ein Gespräch mit James stand ohnehin noch aus.

„Ich weiß. Aber es ist nun mal schwer, meine Instinkte zu unterdrücken.“

„Und was genau verlangen sie von dir?“, hakte sie vorsichtig nach, da Dean nicht unbedingt der Redseligste war, wenn es um seine Gefühle ging und sie das ausnutzen musste, wenn er schon so offen zu ihr sprach. Sie wollte gerne besser verstehen, was in ihm vorging, anstatt dass er ihr immer eine heile Welt vorspielte.

„Ich weiß, dass J dich will und bisher konnte ich meinen Wolf damit beruhigen, dass es nicht weiter von Bedeutung ist, solange du dem nicht nachgibst. Aber inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher, ob das nicht schon längst geschehen ist.“

Wie schnell Delilah sich aus seiner Umarmung gelöst und sich zu ihm umgedreht hatte, überraschte sie selbst, doch das war es nicht, was ihr gerade im Kopf herumging, als sie sich seinem Blick stellte.

„Ich liebe dich. Warum sollte ich ihm also nachgeben?“

Dean richtete sich ebenfalls weiter auf, so dass sie sich Auge in Auge ansehen konnten. „Das weißt du selbst besser als ich. Ich würde sogar meinen Pelz darauf verwetten, dass es etwas mit diesem dummen Missverständnis zu tun hat, das ihr beide so verbissen verleugnet, dass es dadurch nur noch offensichtlicher wird. Oder willst du das immer noch abstreiten, nach allem was gestern zwischen dir und mir vorgefallen ist?“

Langsam schüttelte sie mit heftig klopfendem Herzen den Kopf und senkte den Blick. Sie konnte Dean nicht länger in seine goldenen Augen schauen, hinter denen sein Wolf sie so anklagend anzublicken schien.

„Sind wir dir nicht gut genug? Hast du deshalb auch ein Auge auf J geworfen? Ich weiß, dass ich nicht so leidenschaftlich wie er bin, aber bis auf gestern hatte ich immer das Gefühl, du würdest es ebenfalls genießen, wenn wir Sex haben und auch alles andere was darüber hinausgeht. Hab ich mich wirklich so geirrt?“

Sie starrte ihn fassungslos an.

„Es stimmt also?“ Deans Atem ging mit einem Mal schwer und während er sich wie ein Verrückter den Nacken zu kneten begann, suchte sein Blick das ganze Zimmer ab. Wonach er genau suchte, wusste sie nicht. Vielleicht versuchte er ihr auch einfach nur auszuweichen.

„Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Von Anfang an schon, als du ihn dabei nicht aus dem Kopf gekriegt hast. Es war immer schon er!“

„Nein, verdammt!“ Delilah warf ihn mit dem Rücken aufs Bett und nagelte seine Schultern mit ihren Händen fest. Sein Atem ging so schnell, als würde er gleich hyperventilieren oder ... sich verwandeln, sollten die Emotionen noch mehr mit ihm durchgehen.

„Du bist für mich alles! Hast du verstanden? A.L.L.E.S! Ich liebe dich aus tiefstem Herzen, so sehr wie ich noch keinen anderen Mann geliebt habe und wenn du bei mir bist, ist es, als könne mir nichts etwas anhaben. Als wäre ich absolut sicher und behütet und der Sex ist einfach unglaublich schön. Ich habe ihn noch nie so sehr genossen wie mit dir, weil ich auch noch nie so eine tiefe Bindung dabei gefühlt habe. Also hör bitte auf, solche Sachen zu sagen.“

Sie weinte schon wieder. Aber Delilah wollte sich auch nicht die Tränen wegwischen, weil das bedeutet hätte, dass sie Dean hätte loslassen müssen und das wollte sie im Augenblick auf keinen Fall.

„Aber das ist nicht alles, oder?“ Dean sah gequält zu ihr auf, während seine Fäuste sich um den Stoff ihres Kleides ballten, so dass es an ihren Oberschenkeln zu spannen begann.

„Was willst du denn noch hören?“ Sie wusste nicht mehr weiter.

„Sag mir, dass du nichts für ihn empfindest und dass seine Anstrengungen nutzlos sind. Dass meine Eifersucht unbegründet und dämlich ist und ich ihm dafür nicht den Kopf abreißen muss, obwohl er mein Bruder ist und ich ihn liebe und mich dann dafür hassen werde.“

Das ... konnte sie nicht. Zumindest nicht alles.

„Du sollst ihm nicht den Kopf abreißen. Er ist schließlich dein Bruder und du liebst ihn und würdest durchdrehen, wenn ihm etwas passieren würde.“

Delilah ließ endlich Deans Schultern los und berührte dafür vorsichtig seine Wangen, während sie sich zu ihm herabbeugte und ihm tief in die Augen sah, so dass es auch seinen Wolf erreichen musste.

„Ich werde mit ihm reden. Ich werde ihm noch einmal deutlich klar machen, dass ich mit dir zusammen bin und ... egal was er sagt oder tut ... nichts etwas daran ändern wird. Also bitte, gibt deiner Eifersucht nicht nach. Ich will nicht, dass du etwas tust, was du später bitter bereuen würdest.“

Und bitte, frag mich nicht noch einmal nach meinen Gefühlen für ihn. Ich will nicht lügen müssen.

Vorsichtig küsste sie seine Lippen und hielt den Blick dabei aufrecht. Ein wilder Wolf sah ihr entgegen und schien sich noch entscheiden zu müssen, doch schließlich umfasste auch Dean ihr Gesicht und zog sie noch weiter zu sich herunter, um seinen Gefühlen in Form eines glühenden Kusses Ausdruck zu verleihen.

Einen Moment später rollte er sie beide herum, so dass nun sie unter ihm lag und küsste sie weiter. Heftiger, ganz so als wolle er beweisen, dass auch er zu Leidenschaft fähig war.

Delilah hatte nie daran gezweifelt.

„Ich hoffe, dass er auf dich hören wird.“ Sein Mund wanderte ihr Kinn hinab zu ihrem Hals, während seine Hände über ihren Körper strichen und sie zu markieren schienen.

„Für uns alle.“

Er biss sanft zu und entlockte ihrer Kehle damit ein heiseres Stöhnen.

„Ansonsten weiß ich nicht...“ Eine seiner Hände fuhr schließlich unter den Saum ihres Kleides und schob sich direkt zwischen ihre Schenkel. „...was passieren wird.“

Er fand schnell den richtigen Punkt, der ihr ein weiteres Seufzen entlockte, ehe sein Mund erneut den ihren verschloss.

Delilah hielt ihn nicht auf. Ihrer Wölfin fiel kein Grund ein, der das gerechtfertigt hätte, also ergab sie sich vollkommen Deans Drang, sich zu beweisen. Nach all den Zweifeln, die sie in ihm geweckt hatte, fühlte sich das hier nur allzu richtig an.

45. Kapitel

Schon als sie die Treppe im Dämmerlicht der Nacht hinunter schlich, konnte Delilah blau flackerndes Licht aus dem Wohnzimmer in den Flur fallen sehen. Es war zwar nichts zu hören, aber offenbar schaute jemand um diese Uhrzeit fern.

Dean konnte es nicht sein, denn der schlief seelenruhig in ihrem gemeinsamen Bett, das sie vor wenigen Augenblicken verlassen hatte, um sich wieder einmal des Nachts am Kühlschrank zu vergreifen. In letzter Zeit kam das immer häufiger vor, aber gegen den unbändigen Appetit des Babys konnte sie nichts weiter tun, als ihm nachzugeben. Sonst würde sie keinen Schlaf mehr finden.

Es war James, der lang ausgestreckt auf der Couch lag, den Kopf dabei auf seinem gesunden Arm abgelegt und ohne wirklich zu blinzeln auf den Flachbildschirm starrte. Vor ihm auf dem Tisch standen eine geöffnete Dose Coke und ein paar Salzstangen und im Fernseher lief irgendein Film über Römer, die gerade eine Horde Barbaren abschlachteten.

„Kannst du auch nicht schlafen?“

„Du hast mich gehört?“ Ertappt löste sie sich vom Rahmen der Tür und kam näher.

„Die vorletzte Stufe knarrt am lautesten. Außerdem kann ich dein Shampoo wittern.“ James legte die Fernbedienung auf den Tisch und setzte sich auf. Seine Haare standen ihm in allen Richtungen vom Kopf und eine seiner Wangen war gerötet, dort wo er die ganze Zeit auf dem Arm gelegen hatte. Er sah irgendwie erledigt aus, aber das würde sie auch nicht wundern, da er ja offenbar auch nicht schlafen konnte.

„Also?“ Er sah sie fragend an.

„Hm?“

„Kannst du auch nicht schlafen?“ Wiederholte er noch einmal, so dass sie endlich begriff.

„Nein, nicht wirklich. Hier verlangt jemand lautstark nach Essen.“ Mit einem keinen Lächeln rieb sie sich über den Bauch und löste ihre Augen von James’ Anblick, um zum Kühlschrank hinüber zu gehen und ihn weit zu öffnen.

Wie immer hatte sie die Qual der Wahl und obwohl Rollmöpse immer noch ganz weit oben auf dem Essensplan des Babys standen, gelüstete es sie im Augenblick nach etwas Scharfem.

Delilah spürte genau James’ Blick auf sich, während sie den Inhalt des Kühlschranks systematisch durchging und schließlich nach einer großen Packung aufgeschnittenem Räucherspeck und einer Flasche Tabascosoße griff. Das würde schon irgendwie funktionieren.

Sie nahm sich auch noch ein großes Glas mit Wasser mit, ehe sie zu James hinüber ging und einen Blick auf die Couch warf. „Stört’s dich, wenn ich mich dazu setze?“

„Nein.“, antwortete er kurz und knapp und machte es sich wieder am anderen Ende der Couch bequem, in dem er nach der Coladose griff und die Füße hochzog.

Während sie sich setzte, nippte er an dem Getränk und konzentrierte sich wieder auf den Film.

Nachdem sie das Wasser abgestellt hatte, zog sie ebenfalls die Füße hoch und riss mit bereits wässrigem Mund die frische Packung mit dem Speck auf. Bedacht nahm sie eine Scheibe heraus und spritzte ordentlich Tabasco darauf, ehe sie das ganze zusammen rollte und dann genüsslich hinein biss. Das Chili brannte zufrieden stellend in ihrem Mund, so dass sie gleich noch einen Bissen nahm.

„Was ist das für ein Film?“, wollte sie nach einer Weile wissen, in der sie beide schweigend auf den Fernseher gestarrt hatten.

„Gladiator. Soll ich den Ton anmachen?“

„Nein, schon gut.“ Immerhin hatte James vorhin schon nicht mit Ton schauen wollen, da musste er es jetzt nicht extra für sie tun. Delilah hielt ohnehin nichts davon, wenn sich halbnackte Männer gegenseitig irgendwelche Körperteile abhackten.

„Und dir ist das wirklich nicht zu scharf?“

„Du meinst die Soße?“

„Ja.“

„Nein.“ Wieder strich sie sich mit einem kleinen Lächeln über den Bauch. „Die Schwangerschaft scheint mich gegen so etwas abzuhärten. Andererseits würde ich ohne das Baby das Zeug gar nicht anrühren, denn eigentlich kann ich Tabascosoße nicht ausstehen.“

„Das ist wirklich seltsam.“, stimmte James ihr zu und nahm einen weiteren Schluck von seiner Cola, ehe er den Blick wieder auf den Bildschirm richtete und schwieg.

„Und was ist deine Ausrede?“, hakte sie nach, da sie sich die ganzen letzten Tage so gut wie angeschwiegen hatten. Wenn sie sich denn einmal über den Weg gelaufen waren.

„Was meinst du?“ Er sah sie nicht einmal an.

„Ich meine, warum du um drei Uhr Morgens noch fernsiehst, anstatt zu schlafen. Ist es wieder deine Schulter?“

Zumindest wäre das eine Möglichkeit, auch wenn James nicht den Eindruck machte, als würde ihn seine Schulter noch irgendwie belasten. Sogar die Schlinge hatte er bereits abgelegt und die zwei kleinen Narben von der Operation sahen auch schon sehr weit abgeheilt aus. Aber vielleicht brauchte die innere Heilung ja länger, als es von außen den Anschein hatte.

„Nein. Der geht’s soweit gut. Eher die schwüle Hitze.“

Ja, die machte ihr bisweilen auch ganz schön zu schaffen. Seit es für ein paar Stunden geregnet hatte, war die Luftfeuchtigkeit unangenehm angestiegen und sank nur sehr langsam wieder, obwohl es tagsüber brütend heiß war.

„Willst du dann vielleicht auch etwas davon abhaben?“ Sie hielt ihm ein Speckröllchen mit der Chilisoße hin. „Die Mexikaner werden schon wissen, warum sie so auf das scharfe Zeug abfahren. Angeblich soll das irgendwie bei der Hitze helfen.“

James sah zuerst den Speck und dann sie an. Seine Miene war zweifelnd. „Eher nicht. Danke.“

Delilah zuckte nur mit den Schultern und aß es dann selbst auf, ehe sie einmal zu ihrem Wasser griff und ein paar großzügige Schlucke trank. Sie musste sich ständig selbst daran erinnern, gerade bei dieser Hitze nicht zu wenig zu trinken. Aber das war gar nicht so einfach.

Zudem brach ihr dadurch noch mehr der Schweiß aus und sie hatte genug von dem Chili, also packte sie alles wieder zusammen und verstaute es im Kühlschrank.

Im Tiefkühlfach fand sie einen kleinen Becher Walnusseis und nahm auch für James einen Becher mit Schokoeis mit.

„Hier, das wird helfen.“ Sie drückte ihm das Eis und einen kleinen Löffel in die Hand, ehe sie sich wieder setzte.

„Du bist wirklich schwanger.“ Er sah sie an, als stünde er kurz davor, zu schmunzeln. Etwas das sie seit Tagen nicht mehr an ihm gesehen hatte. Leider kam es nicht dazu.

„Stell dir vor, das ist mir auch schon aufgefallen.“ Delilah schenkte ihm ein Lächeln und fiel dann über ihr Eis her. Es war wirklich köstlich und wohltuend zugleich.

Im Fernsehen kämpfte sich währenddessen der ehemalige römische Kommandant in den kleinen Arenen außerhalb von Rom immer weiter hoch, bis er schließlich endlich das gigantische Kolosseum erblickte.

Eines musste man den Filmemachern wirklich lassen. Die Grafikeffekte konnten sich sehen lassen.

„Du bist mir aus dem Weg gegangen.“

Sie verschluckte sich beinahe an ihrem Eis, als James plötzlich damit anfing. Aber so leicht brachte er sie nicht aus der Fassung.

„Es wundert mich, dass es dir überhaupt aufgefallen ist, nachdem du das Gleiche getan hast.“

„Du hast mir nicht wirklich eine andere Wahl gelassen.“

„Wie bitte?“ Sie ließ den Becher mit dem halb aufgegessenen Eis sinken und blickte James offen verwirrt an.

Er hingegen starrte auch weiterhin auf das Gemetzel im Fernsehen. „Nach allem, was ich dir gestanden habe, tust du einfach so, als ob nichts gewesen wäre. Dabei hatte ich geglaubt, es hätte sich was geändert, nachdem du mich nicht mehr besucht hast. Ob nun zum Positiven oder Negativen. Aber in Wirklichkeit ist alles beim Alten geblieben und was mich dabei so wirklich krank macht, ist die Tatsache, dass ihr nicht einmal einen Tag habt warten können, um es am helllichten Tag und bei offenen Fenstern zu treiben.“ Er stellte den leeren Eisbecher lautstark auf dem Tisch ab.

„Wir haben es nicht miteinander getrieben! Er hat nur...“ Delilah verstummte. Aus reinem Reflex heraus hatte sie sich verteidigen und vor James rechtfertigen wollen, doch das war nicht richtig. Sie sollte nicht nur das für sie offensichtliche hören, sondern viel mehr auch das, was er davor gesagt hatte und vor allem durfte sie sich nicht von seiner Stimmung mitreißen lassen. Wenn das hier nicht wieder in einem lautstarken Streit enden sollte, musste wenigstens einer von ihnen ruhig bleiben und James wollte ganz offensichtlich nicht derjenige sein. Also schluckte Delilah ihre Worte hinunter und atmete einmal tief ein und aus.

„Ich wollte dir schon längst sagen, dass dein Geständnis ... nichts ändert...“ Ihr wollte sich bei diesen Worten der Magen umdrehen, also nahm sie hastig einen Schluck von dem Wasser, um ihn etwas zu beruhigen. Aber gegen das Schlagen ihres wild gewordenen Herzens, konnte es nichts ausrichten. Sie zwang sich zum Weitersprechen.

„Ich weiß nicht, was du von mir erwartet hast, aber selbst dir muss klar sein, dass ich Dean nicht einfach den Laufpass gebe, nur weil du mir deine ... Gefühle offenbart hast. Schließlich liebe ich ihn.“

James schnaubte. „Nein, mir war schon klar, dass du das nicht tun wirst. Dazu fehlen dir der Mut und das nötige Rückgrat.“

Ihr Blick verfinsterte sich und auch ihre Wölfin legte die Ohren an, doch Delilah zwang sich auch weiterhin zur Ruhe. „Genauso wie grenzenlose Dummheit und ein kaltes Herz. Glaubst du wirklich, er würde es einfach akzeptieren, wenn ich mit ihm Schluss mache und stattdessen mit dir zusammen bin? Einmal ganz davon abgesehen, dass ich ihm damit das Herz brechen würde.“

„Aber meins zerfleischt du gerne immer wieder aufs Neue, ja?“

Sie zuckte zusammen, als James so plötzlich zu ihr auf der Couch herumfuhr und sein ausgestreckter Arm auf der Rückenlehne fast ihre Schulter berührte. Verkrampft klammerten sich ihre Finger fest um das leere Wasserglas, während sie sich seinem wilden Blick stellte.

„Nein, mit Sicherheit nicht.“

„Und warum bist du dann nicht einmal dazu bereit, mir offen ins Gesicht zu sagen, was du wirklich fühlst? Ich habe nie erwartet, dass du D für mich verlässt, weil ich nicht einmal so genau weiß, was du eigentlich empfindest. Deine vagen Hoffnungen machen mich wahnsinnig, jedes Mal wenn er dich nur berührt, oder sein Geruch überall an dir klebt. Genauso gut hättest du mich da draußen auf der Veranda verbluten lassen können, wenn du nicht bereit bist, endlich eine klare Linie zu ziehen, mit der ich etwas anfangen und irgendwie damit leben könnte!“

Er war bei seinen Worten immer näher gekommen, bis sie fast von der Couch fiel, so weit war sie bis zum Rand gerutscht und dennoch spürte sie seinen Atem über ihr Gesicht streifen, so nahe war er ihr.

„Was ... willst du denn von mir hören?“ Ihre Stimme bebte und sie zitterte am ganzen Körper, ob vor Angst oder etwas anderem, konnte sie nicht so genau sagen. Delilah war voll und ganz auf diese glühenden Augen konzentriert, hinter denen ein verzweifelter Wolf nach Antworten verlangte. Ihr eigener schwieg dazu.

James senkte die Stimme, während er seine Hand nach ihr ausstreckte und eine Strähne ihres Haars durch seine Finger gleiten ließ. „Sag mir einfach, dass du mich nicht liebst und ich werde dich und meinen Bruder für immer in Ruhe lassen.“

Er sah sie wieder an. Wartend.

Sie hatte das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen. Ihr Herz schlug ihr dabei bis zum Hals und ihre Gedanken rasten mit ihrem Puls um die Wette. Eine Lüge würde sofort von ihren schwitzenden Poren verraten werden, wenn der Rest ihres Körpers das nicht schon längst getan hatte. Sie wusste nicht weiter.

„James, bitte...“ Delilah versuchte ihn von sich wegzuschieben, doch der Versuch scheiterte, noch ehe er wirklich stattfand. Eine einzige Bewegung und sie lag flach auf dem Rücken unter ihm.

„Sag es!“ Er stützte sich mit beiden Händen neben ihrem Körper ab und versperrte ihr damit jede Fluchtmöglichkeit.

Verzweifelt sah sie sich nach einem anderen Ausweg um, landete aber doch nur wieder bei seinen Augen, die im Lichte des Fernsehers beinahe schwarz wirkten.

„Mach schon!“

Nein, ich kann nicht!

Delilah wand sich. Sie konnte nicht lügen, aber sie konnte auch nicht die Wahrheit sagen, voller Angst was dann passieren könnte.

„Bitte...“ Gequält versuchte sie seinem Blick auszuweichen, während sie das Glas auf den weichen Teppich zu Boden gleiten ließ, das sie bis jetzt verzweifelt umklammert gehalten hatte. Doch nun brauchte sie beide Hände, um sie gegen James’ nackten Brustkorb zu stemmen. „Lass mich gehen.“

„Nicht, wenn du es nicht sagst.“ Seine Finger schlossen sich um ihre Handgelenke und drückten sie oberhalb ihres Kopfes in die weichen Polster der Couch. Er lag fast vollkommen auf ihr, so dass der Duft von getrockneten Wildblumen und Wolf sie völlig einhüllte.

Ihr Atem begann sich bei dieser ungewohnten Nähe zu überschlagen. Seine nackte Haut glühte selbst durch den dünnen Stoff ihres Nachthemds hindurch auf ihrer eigenen, während sein Bauch sich deutlich bei jedem seiner Atemzüge gegen ihren drängte.

James’ Blick glitt immer wieder über ihr Gesicht, suchte den ihren und konnte Delilah doch nicht dazu zwingen, dass sie ihn ansah. Mit aller Kraft versuchte sie das zu verhindern und zugleich ruhig zu bleiben. Vergebens. Seine Nähe raubte ihr den Atem, als er den Kopf neigte und sie plötzlich deutlich seine Lippen an ihrem Ohr spüren konnte.

„Du kannst es nicht, oder?“, flüsterte er leise und jagte ihr dabei einen heißen Schauer durch den gesamten Körper. „Weil du mich auch liebst.“

Er atmete tief den Duft ihrer Haut ein, wobei sich sein ganzer Körper noch enger an sie zu schmiegen begann, so dass Delilah fest die Augen schloss und sich auf die Unterlippe biss, um jegliche Reaktion ihrerseits zu unterbinden. Aber das Zittern konnte sie nicht verhindern, als er sie auf den Hals küsste.

„Du liebst mich, Deli. Hab ich Recht?“ Er löste sich nur ein winziges Stück von ihr, so dass sie seinen Blick erneut auf ihrem Gesicht spüren konnte, doch sie blieb standhaft und presste auch weiterhin die Augenlider fest zusammen.

„Natürlich tust du das.“ Der Duft von süßer Schokolade strich warm über ihre Lippen. „Sonst würdest du nicht so verbissen dagegen ankämpfen.“

Er küsste sie noch einmal. Wieder und wieder berührte sein Mund zärtlich ihre verschlossenen Lippen, streichelte sanft darüber, um sie zum Aufgeben zu zwingen und als das nicht gelang, suchte er sich ein anderes Ziel.

Ihr Hals war seinen Berührungen schutzlos ausgeliefert, als sein samtener Mund über ihre Haut strich und viele glühende Male hinterließ, ehe seine Lippen von seiner heißen Zunge abgelöst wurden und Delilah damit beinahe in die Knie zwang.

Ihr rasender Puls und die schwere Atmung konnten James sicher nicht entgehen und trotzdem brachte sie einfach nicht die Kraft auf, sich noch einmal gegen seinen Griff zu wehren. Stattdessen lag sie wie gebannt unter seinem Körper, unfähig sich zu rühren oder etwas zu sagen, während sie sich selbst dafür hasste, wie sie auf ihn reagierte.

Delilah schmeckte Blut, als James sanft in ihre Halsbeuge biss und anschließend an ihr saugte, als wolle er so viel von dem Geschmack ihrer Haut kosten, wie es ihm nur möglich war.

Sie hätte beinahe gestöhnt, hätte der Biss auf ihre Unterlippe den Laut nicht gestoppt, so sehr brachte er sie aus der Fassung.

Völlig unvermittelt ließ er eine ihrer Hände los, doch nur um sie keinen Herzschlag später auf ihre Seite zu legen und daran entlang zu streichen, während sein Saugen fester wurde.

Er zeichnete sie. Sie spürte es ganz deutlich und obwohl sie sofort ihre eigene Hand auf seine Schulter legte, um ihn von sich runter zu drücken, hatte sie doch nicht die Kraft dazu. Viel mehr krallte sie sich in seine harten Muskeln fest, als seine Hand sich auf eine ihrer Brüste legte und sie vorsichtig zu kneten begann.

Es tat schon lange nicht mehr weh, wenn man sie so berührte, doch gerade jetzt wünschte Delilah sich den alten Schmerz zurück, damit sie sich endlich von James losreißen konnte.

Er brachte nicht nur ihren ganzen Körper in Aufruhr sondern auch ihre Gefühle und ließ sie so sehr zweifeln, wie sie noch nie an etwas gezweifelt hatte.

Sie wollte das nicht. Sie wollte das alles nicht. Nicht so und nicht auf diese Weise. Aber das kümmerte James nicht. Stattdessen fachte er das Feuer in ihr mit jeder Berührung, jedem Laut, den er von sich gab und jeder weiteren Woge an Verlangen, die in ihre Nase stieg, nur noch mehr an.

Sein Atem ging schnell, als sein Mund sich endlich von ihr löste und die kalte Luft verursachte ein deutliches Prickeln an der Stelle, um die er sich gerade noch so eindringlich gekümmert hatte.

Seine Lippen gönnten ihr allerdings keine allzu lange Ruhepause, da konnte Delilah sie auch schon wieder auf ihrer Schulter spüren, die er mit weiteren Küssen bedeckte, während sein heißer Atem genauso wie seine Hand immer wieder über ihren Körper strich.

Er wurde drängender. Bemerkte vermutlich noch nicht einmal, wie er auch ihr anderes Handgelenk los ließ, um ungestüm aber nicht schmerzhaft ihr Haar zu packen, während sein Mund immer tiefer wanderte. Seine andere Hand lag bereits auf ihrem Oberschenkel und schob den Saum ihres Nachthemds immer weiter nach oben.

Delilah glaubte schon, endgültig von ihren zwiespältigen Gefühlen zerrissen zu werden, während ihre Hände sich an seine Seiten klammerten, nicht wissend ob sie drücken oder ziehen sollten, als James sie unvermittelt los ließ und mit einem Fluch auf die Beine kam.

„Scheiße, verdammt. Ich glaub, ich werd wahnsinnig!“, stieß er aus, während er wie wild mit beiden Händen seinen Nacken knetete und dabei aufgebracht hin und her tigerte.

Inzwischen nutzte Delilah die Gelegenheit, um sich langsam aufzusetzen und wie mechanisch ihr Nachthemd wieder in Ordnung zu bringen.

„Und das alles nur weil du mir einfach nicht sagen konntest, dass du mich nicht liebst.“

„Würde es denn etwas ändern?“ Ihre Stimme war so leise und kratzig, dass sie stark bezweifelte, dass James sie gehört hatte, aber überraschenderweise hielt er inne und sah sie an.

„Ja, verdammt. Es würde alles ändern.“ Er klang beinahe verzweifelt. „Zwar nicht meine Gefühle für dich, aber die Art wie ich damit umgehen könnte.“

„Das verstehe ich nicht.“ So wie sie gerade die ganze Welt nicht mehr verstand. James hatte sie völlig durcheinander gebracht.

„Wie könntest du auch? Du hast doch keine Ahnung, wie sich das anfühlt und wie viel Glück du gerade noch hattest. Denn wenn ich noch eine Minute länger hier bleibe und dein zwiespältiges Verlangen wittere, kann ich für nichts mehr garantieren. Das schwöre ich.“

Ohne auf eine Reaktion zu warten, ließ James sie einfach sitzen und rannte regelrecht aus dem Wohnzimmer. Doch nicht auf sein Zimmer, sondern gleich aus dem Haus.

Obwohl Delilah so schnell sie nur konnte, aufgesprungen und ihm hinterher gelaufen war, konnte sie ihn nirgends mehr ausmachen, als sie draußen auf der Veranda stand und die Umgebung mit ihren Augen absuchte. James war einfach verschwunden und hatte sie verwirrt und gezeichnet zurückgelassen.
 

In dieser Nacht hatte sie keinen Schlaf mehr gefunden. Auch war sie nicht mehr zu Dean ins Bett gekommen, stattdessen hatte Delilah sich lange und gründlich geduscht, obwohl das vielleicht James’ Geruch, aber nicht die Erinnerung an seine Berührungen von ihr abwaschen konnte. Genauso wenig wie das leuchtendrote Zeichen an ihrem Hals, das er dort hinterlassen hatte. Sie konnte es nicht einmal mit einem Halstuch verstecken, da das bei dieser Hitze nur noch mehr aufgefallen wäre.

James war wirklich gründlich gewesen.

Er war auch nicht mehr zurückgekommen, obwohl Delilah das irgendwie gehofft hatte. So wie sie auseinander gegangen waren, sollte es nicht sein, aber es würde wohl immer einer von ihnen beiden die Flucht ergreifen. Vielleicht änderte sich das nie.

Pünktlich um sieben Uhr morgens, war Elija auf der Bildfläche erschienen, hatte ihr nur kurz einen guten Morgen gewünscht und war dann mit einer frischen Tasse Kaffee in der Werkstatt verschwunden.

Während sie nun also mit klopfendem Herzen darauf wartete, dass auch Dean zu ihr stieß, bereitete sie Frühstück für ihn vor. Sie selbst hatte keinen Hunger und selbst wenn, sie hätte nichts hinunter gebracht. Alles in ihrem Inneren schien sich bei dem bloßen Gedanken daran, wie sie Dean das Geschehen in der Nacht erklären sollte, zu verkrampfen. Er würde es vermutlich ebenso wenig verstehen wie sie selbst und vielleicht sogar auch ziemlich wütend werden.

Delilah legte das kleine Messer zur Seite, mit dem sie ein paar Früchte zusammen geschnitten hatte und stützte sich anschließend mit beiden Händen an der Theke ab, während sie den Kopf hängen ließ. Alles an ihr fühlte sich so unglaublich schwer an, aber allem voran ihr Herz.

Sie hatte das alles nicht gewollt...

„Guten Morgen.“, schnurrte ihr Dean ins Ohr und erschreckte sie damit beinahe zu Tode.

Völlig erstarrt stand sie einfach nur da, während er seine Arme von hinten um sie schlang und sich an sie drückte.

„Ich habe dich im Bett vermisst. Wieso bist du schon so früh wach?“

Diesmal begann sie vor Panik zu zittern und ihr Herz wollte ihr aus der Brust springen. Sie wagte noch nicht einmal zu antworten oder gar sich umzudrehen, denn im Augenblick befand sich Deans Kopf genau auf der anderen Seite ihres Halses, dort wo kein leuchtender Knutschfleck ihre Haut zierte, den nicht er ihr verpasst hatte.

„Deli?“ Deans Stimme wurde ernst und während er sich von ihr löste, drehte er sie mit sanfter Gewalt zu sich herum.

Die Schuld musste ihr direkt in die Stirn eingebrannt worden sein und selbst wenn nicht, so verrieten ihre Augen einfach alles.

„Deli?“, fragte er noch einmal, doch dieses Mal deutlich verunsichert. „Was ist-“

Das Gold seiner Iris verdunkelte sich so schlagartig, als hätte man das Licht dahinter ausgeknipst, als er ihren Hals erblickte. Ihn regelrecht nieder starrte und damit noch einmal James’ Zeichen deutlich spürbar machte.

Delilah legte ihre Hand darauf, um es vor Deans Blick zu verbergen.

Als sich seine Augen wieder auf die ihren richteten, konnte sie so etwas wie Unglauben darin erkennen und ... Wut. Eine gewaltige Menge davon, was nichts Gutes erahnen ließ, als er den Mund öffnete, um ihr vermutlich alles mögliche an den Kopf zu werfen, doch zum Sprechen kam er gar nicht erst. Mit einem Ruck wurde er von ihr weggerissen und lag einen Augenblick später auch schon mit aufgeplatzter Unterlippe am Boden. James stand direkt vor ihm und rieb sich über seine verletzte Schulter. Er sah aus, als wäre er direkt der Wildnis entstiegen und er war nackt.

„Du fasst sie nie wieder an, verstanden?!“, knurrte er drohend, während man an seiner ganzen Haltung seinen Wolf erkennen konnte.

Dean kam indes wieder auf die Beine, spuckte einmal gründlich das Blut aus seinem Mund und rieb sich über sein Kinn. „Das war ein Fehler, kleiner Bruder. Du hättest sie nicht anfassen sollen!“ Ohne Vorwarnung griff er an und rammte James mit dem Rücken voran in den Kühlschrank und dellte diesen deutlich ein. Delilah hatte gerade noch so zur Seite springen können, ehe ein herumfliegender Arm oder Ellenbogen sie traf.

Gerade so konnte sie sich an der Kante der Arbeitsfläche festhalten, bevor sie hinfiel und noch bevor sie vollkommen ihr Gleichgewicht wieder hatte, landeten die Brüder auch schon außerhalb ihres Blickfeldes hinter der Theke am Boden. Das Geräusch von Fäusten die auf Fleisch und Knochen trafen trieb sie voran und um die Theke herum, wo sie erneut erstarrte. Die Zwillinge prügelten gnadenlos aufeinander ein.

„Aufhören!“, schrie sie völlig entsetzt und wurde vollkommen ignoriert.

James, der unter Dean am Boden lag und von seinem Bruder mehrmals ins Gesicht geschlagen wurde, fischte mit seiner freien Hand, nach dem Bein des Esszimmerstuhls, der in seiner Nähe stand. Mit der anderen versuchte er die Schläge abzublocken. Als er es endlich packen konnte, schlug er seinem Bruder das Möbel mit voller Kraft um die Ohren und brachte ihn damit zu Fall.

Der Stuhl zersplitterte in alle Einzelteile, während Dean für einen Moment mit blutender Schläfe benommen liegen blieb. James nutzte die Gelegenheit gnadenlos aus und stürzte sich sofort wieder auf ihn. Auch jetzt ignorierten beide Delilahs Rufe. Sie hörten nicht, wie sie verzweifelt darum flehte, dass sie endlich aufhören sollten und wie sie schließlich um Hilfe schrie.

Worte konnten nichts mehr ausrichten. Stattdessen stürzte das Knäuel aus um sich schlagenden Armen und Beinen, zubeißenden Zähnen und kratzenden Fingernägeln über die Couch und zermalmte auch noch den Glastisch unter sich.

Überall war Blut und Zerstörung. Delilah konnte nicht länger untätig zusehen.

Mit gefletschten Zähnen stürzten sie und ihre Wölfin nach vor, wollten nach Dean packen, der gerade dabei war, James die Nase zu brechen und wurden hart von einem herumwirbelndem Körperteil im Gesicht getroffen.

Es trieb sämtliche Luft aus Delilahs Lungen, als sie mit dem Rücken auf dem Boden aufschlug und noch ein gutes Stück weiter über den Parkett rutschte, ehe der Rahmen der Tür sie aufhielt.

Ihre linke Gesichtshälfte brannte wie die Hölle, während Sterne wild vor ihren Augen tanzten und sie Metall schmecken konnte.

Delilah brauchte mehrere Anläufe, um sich überhaupt auf die Seite drehen zu können und sofort schoss Blut aus ihrer Nase, das sie notdürftig mit ihrer Hand zu stoppen versuchte.

Ihr dröhnte der Schädel und die Welt drehte sich mehrmals um sie herum, während sie sich auf ihre Beine hoch kämpfte und zur Tür hinaus taumelte.

Es war zu viel. Sie konnte nicht mehr.

Sie hatte den unteren Absatz der Treppe noch nicht ganz erreicht, da wurde plötzlich die Haustür schwungvoll aufgerissen. Vor Schreck wäre sie beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert.

Elija stand vor ihr und als er sie erblickte, entgleisten seine Gesichtszüge so vollkommen, wie sie es noch nie bei ihm gesehen hatte.

Delilah ging einfach an ihm vorbei, drehte ihm den Rücken zu und taumelte langsam die Treppe hinauf, während der Lärm im Wohnzimmer zu neuen Dimensionen anschwoll.

Inzwischen klang es wie ein wild gewordenes Rudel Werwölfe, das sich gegenseitig zu zerfleischen versuchte.

Es kümmerte sie nicht länger. Sie wollte nur noch in ihr Zimmer.

Seit ihr völlig wahnsinnig geworden?!“ Elijas Brüllen brachte die Wände des Hauses zum Erbeben, ehe der Lärm im Wohnzimmer noch einmal in einem gewaltigen Krachen gipfelte, als hätte man den ganzen Esszimmertisch durch eine Wand gerammt, bevor plötzlich Totenstille einkehrte.

Delilah stieß die Tür hinter sich ins Schloss und wankte ins Bad, wo sie sich erst einmal das Blut von ihrem Gesicht wusch und zugleich ihr Nasenbluten zu stoppen versuchte. Es dauerte nicht lange, da es fast schon wieder aufgehört hatte, dennoch ließ sie immer wieder kaltes Wasser über ihr Gesicht laufen, da es das wütende Pochen in ihrer linken Gesichtshälfte etwas in Schach hielt.

Als sie endlich das Wasser abgedreht und sich vorsichtig mit einem flauschigen Handtuch das Gesicht trocken getupft hatte, sah sie sich im Spiegel an und schaute sofort wieder weg. Stattdessen suchte sie im Schrank unter dem Waschbecken einen Waschlappen, den sie mit kaltem Wasser ausspülen und sich dann auf die beginnende Schwellung legen konnte. Dort fand sie auch Deans Kulturbeutel, den sie sogleich mit seinen Sachen aus dem Schrank hinter dem Spiegel füllte. Sie sammelte wirklich alles ein. Machte sogar noch einmal einen Kontrollblick, ob sie wirklich nichts übersehen hatte und legte zum Schluss seine Zahnbürste ganz oben auf in den Beutel, ehe sie ihn gründlich verschloss.

Gerade als sie noch einmal einen Blick auf ihr Gesicht riskieren wollte, schwang die Tür zu ihrem Zimmer auf. Delilah blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen, als sie sah, wer sie da störte.

Nacheinander schleifte Elija seine Söhne in das Zimmer und zwang sie mit einem festen Griff im Genick vor ihr auf die Knie.

Dean und James boten einen grauenvollen Anblick, wie sie da mit hängenden Köpfen, vor Blut triefend und von Kratzern und Bisswunden übersäht auf ihrem kleinen gelben Teppich knieten. Doch erst Elijas Blick lehrte einen wirklich, was Grauen bedeutete.

„Seht es euch an!“ Arktische Kälte getragen von einem dunklen Bass, der seiner Stimme die Schärfe einer frisch geschliffenen Klinge verlieh.

Die Brüder zuckten beide gleichzeitig wie unter einem unsichtbaren Peitschenhieb zusammen und wagten es so erst recht nicht einen einzigen Muskel zu rühren. Angst begann den Gestank von Blut und Aggression zu überdecken, vermischt mit der Wut eines Alphawolfs.

„Macht schon oder muss ich eure Köpfe an den Haaren hochziehen?“

In diesem Moment war dem alten Werwolf wirklich alles zuzutrauen.

Langsam hoben die Zwillinge ihre Köpfe, um Delilah ins Gesicht zu blicken. Furcht lag in ihren Augen, aber auch die Wölfe waren immer noch sehr präsent.

Delilah hätte es nicht gewundert, wenn sie sich erneut gegenseitig an die Kehle gegangen wären, stünde ihr Vater nicht noch immer direkt hinter ihnen.

„Delilah.“

Elija sprach sie so unerwartet mit ihrem Namen an, dass sie selbst für einen Moment zusammen zuckte und ihn dann fragend ansah.

„Zeig ihnen, was sie getan haben.“ Der alte Werwolf machte eine entsprechende Geste in ihre Richtung.

Erst da verstand sie wirklich, was er meinte und nahm langsam die Hand mit dem Waschlappen herunter. Synchrones Keuchen war zu hören, während der Ausdruck auf den Gesichtern der Brüder in Entsetzen umschlug.

„Wie?“

„Was?“, begannen beide gleichzeitig und verstummten sogleich wieder, als ihr Vater erneut das Wort ergriff.

„Wer? - Ist hier die treffendere Frage.“ Elijas Laune schien immer weiter unter den Gefrierpunkt zu fallen. „Also, wem von den beiden muss ich das Fell über die Ohren ziehen, weil er es gewagt hat, die Hand gegen ein schwangeres Mitglied meines Rudels zu erheben? Verbannung wäre in diesem Fall vielleicht die falsche Bestrafung. Auch wenn ich es durchaus in Betracht ziehen würde.“ Den letzten Satz knurrte er in Richtung seiner Söhne und erst da begann Delilah die Ernsthaftigkeit der Lage zu begreifen. Elija sprach hier nicht als Vater sondern als Anführer ihres gemeinsamen Rudels. Dementsprechend gewichtig würde daher auch ihre Antwort sein. Trotzdem musste sie nicht lange überlegen. Sie hatte längst ihren eigenen Entschluss gefasst.

„Ich weiß es nicht.“ Sie legte wieder den Lappen auf ihre glühende Wange. Selbst das Sprechen tat weh. „Ich wollte die beiden trennen und im nächsten Augenblick lag ich auch schon auf dem Boden. Es war sicher nicht mit Absicht.“

„Du forderst also keine Strafe für die beiden?“, hakte Elija noch einmal nach. Offenbar hätte er so oder so keine Probleme damit, seine Söhne anständig zu züchtigen. Egal wie sie sich entschied.

Sie schüttelte vorsichtig den Kopf. „Nein. Aber ich würde gerne mit ihnen alleine reden.“

Elija musterte sie schweigend, als müsse er erst abwägen, doch dann nickte er und ließ seine Söhne los. „Wenn du mich brauchst, ich bleibe in der Nähe.“

„Verstanden und danke.“ Delilah wartete ab, bis sich die Tür hinter dem alten Werwolf wieder geschlossen hatte, doch bevor sie etwas sagen konnte, sprudelte es nur so aus den Brüdern heraus.

„Ist mit dem Baby alles in Ordnung?“

„Das sollte sich Young ansehen!“

„Brauchst du Eis?“

„Oder ein Steak?“

„Ich wollte das nicht!“

Delilah hob abwährend den Waschlappen und entschied dann, dass sie lieber Deans vollen Kulturbeutel auf das Bett warf, um diese Hand frei zu haben. Die andere war besser an ihrer Wange aufgehoben.

Als Dean seine Sachen sah, erstarrte er für einen Moment, ehe sein Blick sich fragend und auch mit neuer Furcht auf sie richtete. „Was bedeutet das?“

Delilah hatte nicht mehr die Kraft dazu, sich länger auf den Beinen zu halten, also ließ sie sich ebenfalls aufs Bett fallen und schloss für einen Moment die Augen.

„Ich kann nicht mehr.“, murmelte sie leise, aber deutlich wahrnehmbar, da es mit einem Mal so still im Raum war, dass sie ihr eigenes Herz schlagen hören konnte.

„Ich habe es versucht. Hab dagegen angekämpft, aber jetzt kann ich einfach nicht mehr. Es tut mir leid, Dean.“

„Deli?“ Ihr Kosewort klang immer noch fragend, aber auch zittrig und mit Angst vermischt. Sie hatte Dean noch nie so reden hören.

Mühsam öffnete sie wieder ihre Augen, wobei sie jetzt deutlich spüren konnte, wie eines davon langsam zuzuschwellen begann und richtete sie auf Dean, der sie beinahe flehentlich ansah. Aber sie hatte keine Worte des Trosts für ihn.

„Ich liebe dich. Ich liebe euch beide und genau deshalb wird das hier niemals funktionieren. Euer Zustand und das Pochen in meinem Gesicht ist Beweis genug dafür. Wegen mir würdet ihr euch gegenseitig umbringen, obwohl ihr euch liebt und ohne einander gar nicht leben könnt. Ich habe mich lange genug dazwischen gedrängt. Es ist vorbei.“

James senkte betroffen den Kopf, als er ihre Worte zu begreifen begann, während Dean sie verzweifelt ansah und sogar ein Stück näher rutschte.

„Nein, bitte...“ Er versuchte sie zu berühren, doch Delilah stand vom Bett auf und wich vor ihm zurück. Allein diese Handlung schien ihr ein Messer mitten ins Herz zu stoßen, doch es wurde auch noch einmal qualvoll herumgedreht, als Dean vor ihr zusammen sank und sein Gesicht hinter seiner Hand vergrub, während sich die andere zur Faust ballte. Er zitterte am ganzen Körper.

Bei ihren nächsten Worten legte Delilah ihre Hand beschützend auf ihren Bauch, um aus der Berührung Kraft zu ziehen, die sie dringend brauchte. Denn eigentlich wollte sie selbst einfach nur noch zusammenbrechen.

Soweit sie das beurteilen konnte, war ihrem Baby nichts passiert. Weder hatte sie Krämpfe, noch fühlte sie sich sonst irgendwie unwohl. Einmal von ihrem Gesicht und dem Schmerz in ihrem Herzen abgesehen.

„Ich werde euch das Recht auf euer Kind nicht verweigern. Ihr dürft es so oft berühren wie ihr wollt, aber ein anderes wir wird es zwischen uns nicht mehr geben. Lieber bin ich mit keinem von euch zusammen, als dass ich einem von euch noch länger wehtue. Es tut mir leid, dass ich es überhaupt versucht habe.“

„Ist das dein endgültiger Entschluss?“ Deans Stimme klang hohl und leer, doch als er den Blick noch einmal hob, konnte sie den Schmerz in seinen glühenden Augen sehen und wie er ihm heiß über die Wangen lief.

Sein Anblick brach ihr das Herz, genauso wie sie es mit seinem tat.

Mit letzter Kraft hielt Delilah sich am Rahmen der Tür fest und zwang ihre eigenen Gefühle nieder, in dem sie ihre wild um sich schlagende Wölfin hinter Schloss und Riegel sperrte, bis das Heulen in ihrem Kopf nicht mehr zu hören war. Erst dann wagte sie zu sprechen, auch wenn ihre Antwort nur aus einem einzigen Wort bestand.

„Ja.“

Das Feuer hinter Deans Augen erlosch. Mühsam stand er auf, schnappte sich seine Sachen von ihrem Bett und hinkte einfach zur Tür hinaus. James hingegen nahm sich noch einen Moment die Zeit, um seine Faust wütend auf den Boden zu donnern, ehe er ebenfalls aufstand und sie alleine ließ, ohne noch einmal den Blick zu heben. Aber auch er hatte seinen Schmerz vor ihr nicht verbergen können. Er hatte lediglich schon länger Zeit gehabt, ihn ertragen zu lernen.

46. Kapitel

Die Zeit stand still und die Welt hielt den Atem an. Alles was noch an Regung existierte waren ihr rasender Puls und das mühsame Schlagen ihres Herzens in ihrer beengten Brust. Ihre Gedanken waren zum Erliegen gekommen und in ihrem Inneren war es trügerisch still geworden.

Gerade eben hatte die Lage noch ganz anders ausgesehen. Keine Sekunde nachdem die Tür zu ihrem Zimmer hinter den Zwillingen ins Schloss gefallen war, wollte die Wölfin auch schon loslaufen und die gefallenen Worte wieder zurücknehmen. Sie wollte sich in Deans Arme werfen und James‘ Wunden lecken, doch Delilah hatte sie im letzten Moment brutal gepackt und unbarmherzig zurückgerissen. Mit eisernen Ketten und einem Maulkorb gefesselt war die wild um sich schnappende Wölfin hinter so vielen Türen in ihrem Kopf eingeschlossen worden, bis kein Laut mehr zu ihr durchdrang und nun war es still.

Sie fühlte kaum noch etwas, außer dem körperlichen Schmerz in ihrem Gesicht und einem dumpfen Nachhall des Schmerzes in ihrem Herzen. Mit ihrer Wölfin hatte Delilah auch ihre Gefühle tief in sich vergraben, bevor es sie endgültig zerreißen konnte.

Doch gerade als sie das Gefühl hatte, endlich wieder einen richtigen Atemzug tun zu können, hörte sie Elijas Stimme im Flur und sie hielt gebannt den Atem an, da selbst mit einer geschlossenen Tür zwischen ihnen sein aufbrausender Tonfall sämtliche Härchen an ihrem Körper in die Höhe jagte.

„...zieh ich euch vom Gehalt ab! Und eines schwöre ich euch.“ Seine Stimme sank zu einem bedrohlichen Knurren herab, das sie kaum noch verstehen aber körperlich geradezu spüren konnte. „Wenn einer von euch beiden noch mal eine schwächere Person so misshandelt, ob absichtlich oder nicht, dann vergesse ich lange genug, dass er mein Sohn ist, um ihn dafür persönlich zur Rechenschaft zu ziehen. Habt ihr das verstanden!?

Was für Väter wollt ihr mal werden, wenn ihr noch nicht einmal die Mutter eures Kindes beschützen könnt? Wenn ihr euch gegenseitig die Köpfe einschlagen wollt, dann ist mir das scheißegal, aber sollte noch einmal einer von euch sie schlagen oder auch nur falsch anrühren, dann bekommt er es mit mir zu tun! Ist das jetzt endlich in euren Dickschädeln angekommen?“

Wie die Antworten ausfielen, konnte Delilah nicht sagen, doch einen Moment später wurden leise die Türen zu Deans und James’ Zimmer geschlossen und schwere Schritte donnerten die Treppe hinab, bevor kurz darauf erneut Krach aus dem Wohnzimmer zu ihr herauf drang.

Sie hatte Elija noch nie so viel und so laut sprechen hören. Selbst jetzt noch standen ihr die Haare zu Berge und obwohl der Inhalt der Worte ihr eigentlich zu Gute gekommen war, so hatte der kalte Tonfall darin ihr trotzdem eine Scheißangst eingejagt. Dabei war sie noch nicht einmal im selben Raum gewesen oder hatte sich diesen durchdringenden Sturmaugen stellen müssen, während der Geruch eines tobenden Alphawolfs schwer in der Luft hing.

Delilah hätte nie gedacht, dass Elija sich wegen irgendetwas so sehr aufregen könnte, aber es war tatsächlich passiert – ihretwegen.

Wie lange sie so dagestanden hatte und ihrer Verblüffung nachgegangen war, konnte sie am Ende nicht mehr so genau sagen. Doch sich mit dieser erstaunlichen Wendung der Dinge zu beschäftigen, war besser, als sich mit dem Schmerz in ihrer Brust und den leise klagenden Lauten der Wölfin in ihrem Kopf auseinanderzusetzen, die verzweifelt an der Tür kratzte, hinter die Delilah sie gesperrt hatte.

Irgendwann lösten sich ihre verkrampften Finger vom Holzrahmen der Badezimmertür, an den sie sich bisher festgeklammert hatte und ihre wackeligen Füße trugen sie voran aus dem Zimmer, das sie am liebsten nie wieder verlassen hätte. Doch das schmerzhafte Pochen und die halb zugeschwollene Sicht ihres linken Auges zwangen sie voran. Zumindest diesen Schmerz wollte sie lindern, wenn sie konnte und irgendwelches Tiefkühlgemüse war immer im Haus.

Der Anblick des zerstörten Wohnzimmers war ein deutliches Abbild ihres inneren Gefühlszustandes, auch wenn sie das Horrorszenario wenigstens hatte auf stumm schalten können. Zumindest die meiste Zeit.

Überall herrschte Chaos, Zerstörung und das Versprechen von Schmerz beim Anblick der vielen blutigen Spuren. Der Esszimmertisch hatte tatsächlich dran glauben müssen, auch wenn er nicht durch die nächste Wand gerammt worden war. Stattdessen lag er in zwei Teilen zerbrochen in mitten der herrschenden Unordnung und wurde von Elijas Fuß noch weiter brutal auseinander gerissen, als hätte er dem Werwolf etwas Unverzeihliches angetan, wofür er jetzt mit dem Leben bezahlen musste.

Elija kochte offensichtlich immer noch vor Wut.

Überraschenderweise hielt er bei Delilahs Eintreten dennoch in seiner Tätigkeit inne. Sein Gesicht war eine verschlossene Maske aus Reglosigkeit, doch der warnende Gestank von beißender Aggressivität verriet ihn nur zu deutlich.

Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte, heftete sich Elijas Blick auf die dunkelviolette Schwellung in ihrem Gesicht und schien seine sonst so hellen Augen noch mehr zu verdunkeln, als sich seine Pupillen bei ihrem Anblick noch weiter weiteten und seine Iris nur noch als dünner bläulicher Rand zu sehen war.

„Soll Young sich das einmal ansehen?“ Zumindest sein Tonfall war ruhig und beherrscht.

Delilah schüttelte schwach den Kopf – eine verdammt schlechte Idee - und ging schließlich von pochenden Schmerzen getrieben zum Kühlschrank hinüber.

„Nein, ist schon in Ordnung. Das geht von alleine wieder weg.“ In spätestens einer Woche würde kaum noch etwas davon zu sehen sein und wenn sie Young schon den weiten Weg hierher kommen lassen würden, dann doch hauptsächlich um sich die Zwillinge genauer anzusehen. Für sie hatten manche Verletzungen durchaus so ausgesehen, als hätte ihnen etwas Nähkunst nicht schaden können, aber solange keiner der Brüder nach dem Arzt verlangte, konnte es nicht so dringend sein. Außerdem heilten Werwölfe schnell, wie man an James‘ Verletzungen hatte sehen können. Auch wenn durch diesen Zwischenfall wieder alles für die Katz beziehungsweise für den Wolf gewesen war. Zumindest schien seine Schulter nicht noch einmal ernsthaft Schaden genommen zu haben.

Delilahs Finger fuhren über die riesige Delle im kühlen Metall der Kühlschrankverkleidung und brachten nur zu deutlich die Erinnerung daran zu zurück, wie diese entstanden war. Ohne die Tür zu öffnen, ging sie in die Hocke und sammelte erst einmal die ganzen Magneten und Zettel wieder auf, die während des Kampfes zu Boden gefallen waren.

Sorgfältig arrangierte sie alles wieder so, wie es zuvor gewesen war, erst dann nahm sie sich einen Beutel mit Babykarotten aus dem Tiefkühlfach und musste dabei aufpassen, dass ihr nicht der gesamte Inhalt des Kühlschranks entgegen fiel.

Delilah wickelte das Gemüse in ein Geschirrtuch ein und drückte dann das Ganze vorsichtig auf ihr schmerzendes Gesicht. Inzwischen machte Elija wieder mit den Aufräumarbeiten weiter, in dem er nach und nach die sperrigen Holzteile in handlichere Stücke zerbrach. Er schien sich nur äußerst langsam wieder zu beruhigen, gerade weil er immer wieder einen flüchtigen Blick zu ihr herüber warf.

Eine Weile stand Delilah einfach nur so da, kühlte die schmerzhafte Schwellung in ihrem Gesicht, ließ keine Gedanken zu, die nicht ausschließlich mit dem Hier und Jetzt zu tun hatten und sah Elija dabei zu, wie er allmählich die kaputten Möbel aus dem Haus schaffte.

Nachdem ihre geschwollene Gesichtshälfte beinahe taub von der Kälte und der Schmerz darin zu einem erträglichen Maß abgeflaut war, legte sie den Beutel zurück in den Kühlschrank und holte stattdessen Besen und Kehrschaufel aus der Kammer unter der Treppe, um beim Aufräumen zu helfen.

Der gröbste Dreck war mit Elijas Hilfe schnell beseitigt und auch die vielen Glassplitter schluckte der Staubsauger anstandslos, aber die richtige Arbeit begann erst mit dem Wegwischen der vielen eingetrocknete Blutflecken. Es schien überall zu kleben. Auf dem Boden, an den Möbeln, sogar die Stehlampe hatte ein paar Spritzer auf dem hellen Lampenschirm abbekommen. Mal waren es nur vereinzelte Tropfen, dann ein feiner roter Sprühnebel, aber allem voran waren es größere Flecken, die wesentlich leichter vom Boden aufzuwischen sein würden, als sie aus den Kissen der Couch zu bekommen.

Zum Glück wurde sie langsam ein richtiger Profi darin, Blut vom Boden zu schrubben.

„Ich habe die Werkstatt für heute geschlossen und werde neue Möbel besorgen. Du kommst hier klar?“ Mit den Autoschlüsseln für den großen Pick-up in der Hand blieb der alte Werwolf neben der Küchentheke stehen.

Delilah sah vom einlaufenden Wasser in dem kleinen Putzeimer hoch zu Elija, der inzwischen wesentlich ruhiger zu sein schien und sie eindringlich ansah. Dabei glitt sein Blick immer wieder über ihre verletzte Gesichtshälfte, als würde etwas daran seine Aufmerksamkeit ständig auf sich ziehen, ohne dass er es hätte kontrollieren können.

Sie begriff es immer noch nicht, musste er doch schon weitaus schlimmere Verletzungen gesehen haben, vor allem wenn man seine eigenen Narben bedachte.

„Ja. Ich komme klar.“ Sie stellte das Wasser ab und hob den Eimer aus dem Spülbecken. Sie würde hier ohnehin noch eine Weile beschäftigt sein und vielleicht wäre auch alles wieder soweit sauber, bis Elija mit den neuen Möbeln anrückte. Dann könnten sie diesen schrecklichen Tag vielleicht auch bald wieder hinter sich lassen.

Der alte Werwolf nickte und verließ nach einem letzten langen Blick in ihr Gesicht sichtlich nachdenklich das Haus.

Eine Weile versuchte Delilah sich nur auf ihre Arbeit zu konzentrieren, um nicht an die vergangenen Ereignisse denken zu müssen, die kaum ein paar Herzschläge lang zurückzuliegen schienen. Aber es gelang ihr nicht vollkommen. Immer wieder erschien Deans schmerzerfüllter Blick vor ihren Augen und wie sie das Funkeln darin mit nur einem einzigen Wort hatte auslöschen können. Zudem hatte sie ihn noch nie zuvor weinen gesehen.

Der Schmerz in ihrer eigenen Brust verstärkte sich bei diesem Bild explosionsartig und brachte sie aus dem Takt, während das Winseln ihrer Wölfin wieder deutlicher zu ihr durchdrang. Ihr Atem wollte sich für einen Moment überschlagen, ehe sie sich wieder zur Ruhe zwang und jegliche Gedanken aus ihrem Kopf verbannte. Delilah bezweifelte, dass dieses Gefühl je nachlassen oder gar ganz verschwinden würde, aber zumindest konnte sie es für den Moment zur Seite schieben, um weiterarbeiten zu können.

Ein Geräusch im Flur ließ sie unvermittelt aufblicken.

James schlurfte mit frischen Sachen zum Anziehen im Arm an der Tür vorbei in Richtung Badezimmer. Er sah hundertmal schlimmer aus, als sie sich fühlte. Abgerissen, verprügelt und voller blutiger Kratzer und Bisse, aber so seltsam es auch war, Dean schien James’ ehemals verletzte Schulter tatsächlich so gut wie gar nicht angerührt zu haben. Vielleicht waren die beiden während des Kampfes doch nicht so kopflos gewesen, wie sie bisher gedacht hatte.

Als ihre Blicke sich trafen, blieb James kurz stehen und sah sich beinahe vorsichtig im Wohnzimmer um, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf sie richtete und es seinem Vater nachmachte, in dem auch er ihr Gesicht unverwandt anstarrte. Sein Mund öffnete sich ein kleines Stück, ganz so als wollte er etwas sagen, doch dann presste er die Lippen fest aufeinander und wandte sich doch mit einem Ruck von ihr ab, um kurz darauf im Badezimmer zu verschwinden.

Für einen Moment blickte Delilah ihm hinterher, dabei die Finger auf das Zeichen an ihrem Hals gelegt, bevor sie sich wieder zusammennahm und weiter schrubbte, ehe noch der Parkett unter ihren Händen aufquellen konnte.

Sie war bereits ein gutes Stück an Flecken weiter gekommen, als James frisch geduscht zu ihr stieß.

Er ging direkt an ihr vorbei zur Küche, um sich ebenfalls einen Putzlappen zu besorgen und ließ sich schließlich etwas ungelenkig neben ihr auf dem Boden nieder. Wortlos begann er ihr zu helfen und auch Delilah verspürte im Augenblick nicht den Drang danach, sich mit ihm zu unterhalten, obwohl sie immer wieder einen flüchtigen Seitenblick auf ihn warf, um sich seine Verletzungen genauer anzusehen. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, was sie sagen sollte. Da war zu viel zwischen ihnen geschehen. Vor allem was die Nacht zuvor betraf.

Erst nachdem sie fast mit dem Boden fertig waren, ließ Delilah den Putzlappen in den Eimer zurückfallen und verlagerte ihr Gewicht auf ihre Fersen, während sie sich den Schweiß von der Stirn wischte. Inzwischen war es schon wieder verflucht heiß geworden, weshalb es ihr nicht nur wegen ihres schmerzenden Gesichts nach Abkühlung verlangte.

„Wenn es okay für dich ist, lasse ich dich den Boden fertig machen. Ich werde derweil schauen, was von den Couchbezügen noch zu retten ist.“, durchbrach sie endlich das bedrückende Schweigen und stand auf.

James nickte nur und arbeitete weiter, ohne noch weiter auf ihre Worte einzugehen, also ging sie zur Couch hinüber, um sich die Bescherung einmal genauer anzusehen.

Zu ihrem Glück konnte man die Polsterbezüge abnehmen und waschen und was noch positiv anzumerken war – es war nichts beschädigt.

Obwohl das fast schon einem Wunder gleichkam, immerhin hatte es der Boden vor der Couch nicht so gut getroffen. Dort waren mehrere frische Kratzer wie die von Krallen zu sehen. Aber in einem Haus voller Werwölfe war das schon beinahe zu erwarten gewesen oder sollte es zumindest sein.

Delilah zog nacheinander den Überzug der Polster ab, schnappte sich einen leeren Wäschekorb, warf alles hinein und ging damit in die Küche.

Es war beinahe sogar praktisch, dass man Blut zuerst mit kaltem Wasser so gut wie möglich herauswaschen sollte. Zumindest das würde etwas Abkühlung versprechen. Zusammen mit einem kleinen Eimer voll Schmierseife funktionierte das eigentlich ganz gut. Obwohl es schon eingetrocknet gewesen war, ließ sich das Blut leicht aus dem Bezug herauswaschen ohne zu stark rubbeln zu müssen.

Delilah war schon fast mit der Hälfte fertig, als James neben sie trat und seinen Putzeimer auf der Anrichte neben ihr abstellte.

„Geht es raus?“, wollte er tonlos wissen, während er sich etwas zu ihr rüberlehnte, damit er einen Blick ins Spülbecken werfen konnte.

Sie wurde unruhig, da ihre Wölfin wieder hinter der verschlossenen Tür in ihrem Kopf zu winseln und betteln begann, bis sie erneut von Delilah zum Schweigen gebracht wurde.

„Ja. Ich denke, wenn die Bezüge erst einmal gewaschen wurden, wird man nichts mehr sehen.“ Ihre Stimme blieb ruhig und auch ihre Hände begannen nicht zu zittern, was sie eigentlich in James’ Nähe erwartet hätte. Frisch geduscht war sein Duft einfach überaus reizvoll, egal was alles zwischen ihnen vorgefallen war. Manche Dinge würden sich einfach nie ändern. Das schaffte nicht einmal der Gestank von Blut.

„Das ist gut.“ James rührte sich nicht vom Fleck, sondern sah sie stattdessen von der Seite her an.

Delilah war sich sogar ziemlich sicher, dass er die Schwellung und das blaue Auge musterte. Sie versuchte es einfach zu ignorieren, immerhin sah James selbst auch nicht wirklich besser aus. Eigentlich sogar viel schlimmer. Es juckte sie regelrecht in den Fingern ihm mit einer Flasche Desinfektionsmittel und einer ganzen Wagenladung voll Pflaster zu Leibe zu rücken.

„Ich hoffe, du weißt, dass wir das nicht wollten. Egal was du Dad gesagt hast. Es war wirklich keine Absicht.“

„Ich weiß.“ Sie widerstand ihrem inneren Verlangen und wrang stattdessen den Polsterbezug kräftig zwischen ihren Händen aus, ehe sie nach dem nächsten griff.

„Hat er sich denn inzwischen wieder etwas beruhigt?“, wollte James weiter nur etwas leiser wissen und sah sich dabei um, als könne er bei irgendetwas Verbotenem erwischt werden.

So wie ihr Vater vorhin mit ihnen geschimpft hatte, wunderte sie seine Vorsicht kein Stück. „Ja, ich denke schon. Auch wenn ich ihn noch nie so wütend erlebt habe.“

„Ich auch nicht.“ James fuhr sich fahrig durch die feuchten Haare.

Er wirkte irgendwie nervös und angespannt auf sie, obwohl sein Dad inzwischen meilenweit weg sein dürfte.

„Er ist normalerweise nicht der Typ, der leicht ausrastet, oder?“, hakte sie noch einmal nach, da ihr das alles etwas seltsam vorkam. Alle Eltern schimpften mal mit ihren Kindern. Die einen mal mehr, die anderen weniger und gerade deshalb machte James’ Geruch sie misstrauisch. Es hing immer noch ein Hauch von Angst an ihm, obwohl er inzwischen gründlich geduscht hatte.

„Eigentlich nie.“ James wandte sich ab und lehnte sich stattdessen mit dem Rücken gegen die Arbeitsfläche. „Oder besser fast nie.“

„Hm.“ Delilah arbeitete weiter. „Mich wundert nur, dass er wegen mir so ausgerastet ist. Die Möbel schienen ihm herzlich egal zu sein. Das hätte ich einfach nicht erwartet.“ Eher das Gegenteil. Wenn man bedachte, was Elija am Anfang von ihr gehalten hatte und wie er jetzt von ihr sprach, dann war das ein himmelweiter Unterschied. Sie könnte nicht einmal so genau sagen, was diesen Wandel bewirkt hatte.

„Es liegt nicht unweigerlich an dir als Person. Dad kann es einfach auf den Tod nicht ausstehen, wenn man Frauen misshandelt.“ Dieses Mal flüsterte James und machte sie damit nun wirklich stutzig.

Im Gegensatz zu dieser Reaktion war die von Elija noch nachvollziehbar, aber gerade unter Werwölfen nicht vollkommen schlüssig. Delilah müsste nicht einmal Nadine als Beispiel hernehmen, um zu wissen, dass Werwolffrauen ebenfalls ziemlich brutal sein konnten und sich sicherlich nicht so leicht etwas von ihren männlichen Artgenossen gefallen ließen. Aber bestimmt gab es auch hier Ausnahmen.

„Und warum? Ich meine, seine Haltung in allen Ehren, aber ich fand seine Reaktion doch etwas übertrieben. Zumal es in eurem Fall auch keine Absicht gewesen ist.“ James’ übertrieben vorsichtiger Tonfall hatte sie neugierig gemacht. Ganz so, als hätte er sich nicht richtig getraut, es laut auszusprechen und dass er sich noch tiefer zu ihr beugte und die Stimme noch weiter senkte, bestätigte ihre Verwirrung darüber nur noch.

„Wenn du das wirklich wissen willst, dann musst du mir vorher versprechen, dass du nie auch nur ein Wort darüber verlieren wirst, okay? Zu niemandem.“

Wenn das Ganze vorher schon merkwürdig gewesen war, so hatte James nun definitiv ihre volle Aufmerksamkeit, also trocknete Delilah sich ihre Hände ab und drehte sich ganz zu ihm herum. Warum auch immer ihm dieses Versprechen wichtig war, sie hätte ohnehin nicht gewusst, mit wem sie darüber hätte sprechen sollen, egal was jetzt kommen würde.

„Ich verspreche es.“, antwortete sie aufrichtig.

„Gut.“ James nickte zufrieden und warf noch einmal einen Blick zur Tür. Ihr war auch, als würde er für einen Moment Witterung aufnehmen, aber offenbar war niemand anderes in der Nähe. Wieder begann er zu flüstern: „Das was ich dir jetzt sage, darf vor allem Dad nie erfahren. Ich wüsste nicht, wie er reagieren würde. Dean und ich haben es selbst nur über mehrere Ecken herausgefunden und wir passen immer auf, dass wir ihn auf keinen Fall darauf ansprechen. Du solltest auf jeden Fall das gleiche tun. Wir schneiden das Thema nicht einmal an. Verstehst du?“

Nun war es an ihr, ernsthaft zu nicken und ihm tief in die Augen zu schauen, denn James würde sich nicht so verhalten, wenn es hier nicht um eine große Sache ginge.

Er erwiderte ihren Blick und schien trotz ihres Versprechens eine Weile mit sich zu ringen, doch schließlich schien in seinen Gedanken so etwas wie eine Entscheidung gefallen zu sein, so dass er noch einmal tief Luft holte und dann kaum hörbar zu erzählen begann, wobei Delilah sich stark anstrengen musste, um überhaupt ein Wort zu verstehen.

„Man erzählt sich, dass Dads Mutter von seinem Vater regelmäßig verprügelt worden sei, bis dieser es eines Tages offenbar zu weit trieb und sie umgebracht haben soll. Dad war damals anscheinend noch ganz klein und angeblich hat er alles mitangesehen. Darum reagiert er auch so empfindlich auf Gewalt Schwächeren gegenüber. Als Dean und ich vorhin dein Gesicht gesehen haben, dachten wir für einen Moment tatsächlich, Dad würde dieses Mal richtig ausrasten und etwas Unüberlegtes tun. Immerhin hat er sich Jahre später für den Mord an seiner Mutter an seinem Vater gerächt und ihn dafür mit eigenen Händen umgebracht. Zumindest das wissen wir mit Sicherheit.“

In der Stille nach dieser Offenbarung starrte Delilah James einfach nur mit halb offenem Mund an. Sie war ziemlich ... schockiert.

„Er hat ... seinen eigenen Vater umgebracht?“ Die Worte wollten ihr gar nicht recht über die Lippen, da es sich so merkwürdig anhörte und zugleich veränderte sich das Bild, das sie von Elija hatte unwiederbringlich vor ihrem inneren Auge.

„Ja, während eines Kampfes um den Führungsanspruch des Great Falls Rudels. Sein Vater war viele Jahre der Alphawolf des Rudels und kein besonders guter, wenn man bedenkt, wie er mit seiner eigenen Familie umgesprungen ist. Angeblich war er sogar ein ziemlich brutales Arschloch, das nach der Methode Friss oder stirb geherrscht hat. Dad wäre bei dem Kampf fast selbst draufgegangen. Die ganzen Narben auf seinem Körper stammen fast ausschließlich von damals.“

„Nur damit ich das richtig verstanden habe: Euer Dad war der Alphawolf des Great Falls Rudels?“ Ihr kam es so vor, als hätte sie das schon einmal irgendwo gehört, nur nicht richtig registriert und dann gleich wieder vergessen. Wo und wann das gewesen war, konnte sie erst recht nicht mehr sagen. Es war auch nicht so, dass Delilah daran zweifelte, dass Elija ein Alphamännchen war, aber soweit sie das mitbekomme hatte, war das Great Falls Rudel kein kleiner Haufen mit einer Handvoll Mitgliedern sondern ein wirklich riesiges, organisiertes Rudel von Werwölfen. Er war also einmal ein verdammt hohes Tier gewesen. Was einiges erklärte.

„Ja. Ein paar Jahre lang, bis er Mom kennenlernte. Danach musste er den Posten kampflos räumen.“

Was? „Aber warum?“ Sie verstand gar nichts mehr. Außerdem hatte Delilah nach diesen ganzen Offenbarungen das Bedürfnis, sich für einen Moment zu setzen, also zog sie sich James gegenüber auf die Arbeitsfläche der Theke und strich den Stoff ihres Sommerkleides wieder über die Knie.

Er folgte der Geste mit seinem Blick, ehe er schwach den Kopf schüttelte und lieber seine nackten Zehen anstarrte. „Das Rudel ist ziemlich engstirnig und auch altmodisch. Wer kein vollwertiger Werwolf ist, kann kein Mitglied sein und sich als Anführer mit einem Menschen einzulassen, war für die meisten Mitglieder einfach untragbar. Also musste Dad sich zwischen seinem Führungsanspruch und seiner Gefährtin entscheiden. Wie seine Wahl ausfiel, weißt du ja.“

Und dann hat diese Frau Elija einfach für einen anderen Kerl stehenlassen...

„Wieso seid ihr danach nicht wieder dem Rudel beigetreten? Ich meine, nun da eure ... Mom weg ist...“ Delilah biss sich auf die Unterlippe. Sie sollte ihre Neugierde zügeln und nicht in alte Wunden bohren. Außerdem ging es sie eigentlich auch überhaupt nichts an.

„Tut mir leid, ich sollte nicht-“, begann sie, wurde aber von James jäh unterbrochen.

„Weil Dean und ich nur Mischlinge sind.“ Es klang fast verbittert.

Für einen Moment lang wusste Delilah nicht, was sie darauf sagen sollte. Für sie hörte sich diese Erklärung einfach nur dumm an, denn sie würde nie daran zweifeln, dass die Brüder echte Werwölfe waren. Gerade jetzt nicht, wo James so ramponiert vor ihr stand, nachdem er sich einen ausgewachsenen Kampf mit seinem Bruder geliefert hatte.

„Dann ist das Great Falls Rudel eben doof.“

Überrascht über ihre Aussage hob James den Blick und sah sie an, als könne er einfach nicht glauben, wie man überhaupt auf diesen abwegigen Gedanken kommen konnte oder als hätte sie gerade eine Behauptung aufgestellt, die gegen alle Naturgesetze ging.

„Ich würde dort nicht mitmachen wollen, selbst wenn man mich ließe.“, bekräftigte sie ihre Aussage noch einmal. „Solange du und Dean nicht im Team seid, will ich es auch nicht sein. So einfach ist das.“ Zumindest für sie war es das.

Erstaunt sah sie mit an, wie sich auf James malträtierter Lippe plötzlich ein kleines Lächeln abzeichnete, bis der Gefühlsansturm schlagartig die Richtung wechselte, seine Mundwinkel herab sanken und sich das kurze Funkeln in seinen Augen wieder in dunkle Schatten verwandelte.

Trotz der kurzweiligen Ablenkung durch die Erzählung von Elijas Vergangenheit kamen sie nun wieder schlagartig in der Gegenwart an und die war ebenfalls äußerst düster.

James raffte sich langsam auf, trat schließlich einen Schritt auf sie zu und obwohl sein Blick immer wieder durch den Raum schweifte, weil es ihm offenbar schwer fiel, ihr in die Augen zu sehen, so fand er doch immer wieder zu ihr zurück.

„Deli, ich...“ Mit einer Hand im Nacken und die andere am Saum seines Shirts vervollständigte James das Bild der totalen Verunsicherung und Niedergeschlagenheit zugleich, bis er einmal tief Luft holte und sie in einem Atemzug wieder entließ.

Ihr ganzer Körper spannte sich in Erwartung dessen an, was gleich geschehen würde, obwohl sie keine Ahnung hatte, was es sein würde.

„Ich wollte das alles wirklich nicht.“ Er ließ seine Haltung fallen und stützte sich stattdessen links und rechts von ihr mit seinen Händen auf der Theke ab, so dass er ihr plötzlich ganz nahe war und seine Augen tief in die ihren schauten.

„Ich meine nicht nur das mit deinem Gesicht, sondern auch alles andere. Ich wollte nicht, dass es so weit kommt. Ich hatte mich ... einfach für einen Moment lang nicht mehr im Griff. Du hättest deswegen nicht mit meinem Bruder schlussmachen müssen, obwohl, zugegeben ein ziemlich großer, egoistischer Teil von mir das absolut begrüßt. Aber der Rest davon weiß, dass es falsch ist. Dean wird nicht damit klarkommen.“

Die Wölfin rannte plötzlich so stark gegen die Tür in ihrem Kopf, dass Delilah zusammenzuckte. Das Tier war so wütend und aufgebracht und so vollkommen gegen das, was Delilahs logisch denkender Verstand für das Beste hielt, dass es sich beinahe einen Weg zurück ins Freie gekämpft hätte, hätte Delilah es nicht noch im letzten Moment zurückgehalten.

Das Ergebnis aus diesem inneren Konflikt war, dass sie schließlich den Blick senkte und James auswich, ohne wirklich körperlich zurückzuweichen.

„Es ist, wie es ist. Mein Entschluss steht fest. Mit der Zeit wird Dean damit fertig werden. So wie du es tust.“ Wieder war ihre Stimme farblos geworden.

Sichtlich empört entkam James ein Schnauben, das ihr sogar eine Strähne aus dem Gesicht blies. „Wie kommst du überhaupt auf den bescheuerten Gedanken, ich würde auch nur irgendwie damit klarkommen?“

Gute Frage. Die Antwort darauf kannte sie selbst nicht so genau und dennoch hatte sie das Gefühl, James käme mit alle dem hier besser klar, als Dean es tat. Immerhin stand er bereits jetzt wieder vor ihr und schaute ihr offen in die Augen, auch wenn es ihnen beiden schwer fiel, den Blick des anderen zu erwidern.

„Du bist hier.“, hauchte sie leise. „Dean ist es nicht.“

Einen Moment lang funkelte James sie noch an, ehe er sich mit einem schweren Seufzer über das Gesicht fuhr. „Bei ihm ist das auch was völlig anderes.“

„Und warum ist es das? Fühlst du also doch anders als er?“

„Nein, verdammt!“

Delilah zuckte zurück, so dass James seine Stimme sofort wieder senkte und sich etwas zurückzog, damit sie sich nicht so von ihm bedrängt fühlte, obwohl sie das in diesem Augenblick nicht wirklich tat. Eigentlich ließ sie seine Nähe merkwürdig kalt, mit dieser Leere in ihrer Brust.

„Nein, ist es nicht.“, begann er noch einmal deutlich ruhiger. „Aber während ich immer nur davon geträumt und mich danach gesehnt habe, was ihr beide miteinander hattet, hat Dean es gelebt. Du kannst dir selbst ausmalen, was für einen Unterschied das macht. Außerdem habe ich noch längst nicht aufgegeben. Nur damit du es weißt.“

Es hätte wie eine Drohung klingen sollen, stattdessen schlug ihr Herz – dieses verräterische Ding – bei seinen Worten schneller, so dass Delilah nun doch gezwungen war, James auszuweichen, indem sie unvermittelt von der Theke rutschte und unter seinem Arm hindurch schlüpfte, damit sie an den Polsterbezügen weiterarbeiten konnte.

Seine Worte brachten sie erneut durcheinander, bis sie sich selbst scharf zur Ordnung rief.

„Das ist jetzt alles nicht mehr wichtig. In Zukunft werde ich mich nur noch auf das Baby konzentrieren. Es hat schon genug durchmachen müssen. Ich will einfach nicht mehr, dass es so weiter geht. Ich hoffe, irgendwann kannst du das akzeptieren.“ Und vielleicht schaffe ich es auch irgendwann, mit dieser Entscheidung zu leben.

„Und du denkst nicht, dass es das Beste für das Baby wäre, wenn es in eine intakte Familie hineingeboren wird?“ James ließ nicht locker.

„Es wird eine Mutter haben, einen Großvater und sogar zwei Väter. Das ist mehr Liebe, als andere Kinder bekommen.“ Und was sollte ‚intakt‘ schon bedeuten? Ihre Adoptiveltern waren auch ein ‚intaktes‘ Elternpaar gewesen und trotzdem hätte sie diese Leute keinem anderen Kind an den Hals gewünscht.

„Ja, vielleicht hat es irgendwann sogar drei Väter, wenn du dir im Laufe der Zeit einen neuen Mann anlachst. Was für ein Glückspilz das Kleine doch sein wird.“

James‘ Sarkasmus entlockte ihr unvermittelt ein Knurren, ehe sie es wieder hinunterwürgen konnte.

„Mach‘ dich nicht lächerlich.“ Allein der Gedanke war vollkommen absurd.

„Nein, Deli.“ James trat direkt neben sie und beugte sich so weit zu ihr herab, dass er sie geradezu dazu zwang, von ihrer Tätigkeit auf und ihn anzublicken. „Die Einzige, die sich hier lächerlich macht, bist du, wenn du glaubst, dass deine Entscheidung keine schwerwiegenden Konsequenzen haben wird.“

Sie wollte ihn wegdrücken.

„Und dass Dean und ich so einfach dabei zuschauen werden, wie du hier irgendwann einmal mit unserem Kind verschwinden könntest, weil wir hier keine verdammte WG sind und dich vielleicht einmal das Verlangen packt, etwas Eigenes zu suchen.“

Und ihm einen der Polsterbezüge in den Mund stopfen.

„Oder dass du vollkommen glücklich damit werden wirst, nur noch eine Mutter zu sein und keine eigenen Bedürfnisse mehr zu haben.“

Oder ihn damit erwürgen.

„Aber was wirklich lächerlich ist, ist zu glauben, dass du nach allem was passiert ist, noch zurück könntest. Denn dafür ist es zu spät und das weißt du selbst ganz genau.“

Wasser spritzte, als sie zu James herumfuhr und ihn von unten herauf anfunkelte. Sie bleckte die Zähne, während sich ihre Stirn in wütende Falten legte und die Wucht ihrer Gefühle sie beinahe von den Füßen riss.

„Wenn du alles so viel besser weißt, dann sag mir doch, was ich tun soll?!“, fuhr sie ihn knurrend an und packte dabei James‘ Shirt, damit er ihr jetzt bloß nicht ausweichen konnte. „Dean würde dich vor Eifersucht am liebsten unter die Erde bringen und könnte sich anschließend gleich dazulegen! DU würdest am liebsten genauso handeln und die Folge daraus wäre die gleiche! Ihr beiden liebt euch. Genauso wie ich euch liebe und ihr vermutlich auch mich. Also, sag mir verdammt noch mal, was ich unter diesen Umständen tun soll!“

Er starrte sie einfach nur an.

Delilah begann an ihm zu zerren, so dass er sogar unter ihrem Ansturm einen Schritt zurückweichen musste.

„Sag schon! Für wen soll – nein – kann ich mich entscheiden, ohne dass irgendjemand darunter leiden muss? Was für eine Wahl habe ich deiner Meinung nach noch?!“

„Ich…“

Die Nähte seines Shirts knackten bereits protestierend unter dem Zug ihres Griffes, bis sie ihn völlig unvermittelt losließ und James ein paar Schritte nach hinten taumelte.

„Du kannst es nicht.“ Ihr Atem ging schwer und ihr ganzer Körper bebte. Ihre Wölfin war kurz davor gewesen, James einfach auf den Boden zu drängen und ihn hier auf der Stelle als ihren Mann zu markieren, so wie sie es mit Dean schon so oft gemacht hatte. So wie James es in dieser Nacht mit ihr getan hatte.

Zumindest in einem Punkt hatte er Recht behalten: Zurück konnte sie auf keinen Fall mehr.

Aber sie wusste auch nicht mehr, wie es nach vorne ging.

„Es gibt keinen anderen Weg.“ Sie wandte sich von James ab und griff erneut nach dem Polsterbezug im Spülbecken, um ihn gründlich auszuwringen. „Sieh es endlich ein.“

James zog das feuchte und zerknitterte Shirt über seiner Brust wieder glatt.

„Nur über meine Leiche.“ Er ging.

47. Kapitel

Drei Tage.

Drei verfluchte, sich wie zäher Kaugummi dahinziehende Tage in denen Dean sich nicht hatte blicken lassen. Weder war er zu den Mahlzeiten erschienen, noch hatte er das Essen angerührt, das sie ihm vor die Zimmertür gestellt hatten. Auch nachts war er nicht aus seinem Zimmer gekommen, soviel verriet der schwindende Geruch seiner Präsenz im ganzen Haus. Lediglich wenn man dicht vor seiner Tür stand, konnte man ihn noch in seinem Zimmer wittern. Sogar deutlicher als sonst. Der Geruch von Blut und altem Schweiß wurde dabei immer beißender und hätte man nicht ab und zu eine Diele unter seinen leisen Schritten knarren hören, man hätte fast glauben mögen, er würde dort drin schon seit geraumer Weile mit einem Gürtel um den Hals an einem der Deckenbalken baumeln.

Die schwachen Lebenszeichen waren der einzige Grund, weshalb noch niemand versucht hatte, sich gewaltsam Zugang zu Deans Zimmer zu verschaffen, auch wenn James schon ein paar Mal kurz davor gestanden hatte, einfach die Tür einzutreten. Letzten Endes hatte er sich aber doch immer wieder dagegen entschieden und stattdessen versucht, seinen Bruder mit Worten dazu zu bewegen, endlich aus seinem Zimmer zu kommen.

Ohne Erfolg.

Delilah hatte es nicht einmal versucht, obwohl keine Minute am Tag verging, in der sie nicht daran dachte. Selbst nachts fand sie kaum Schlaf und wenn sie dann doch einmal vor Erschöpfung einschlief, so schreckte sie nach kurzer Zeit wieder hoch und suchte unbewusst unter der Decke nach Deans Körper, nur um dann ernüchtert und betroffen festzustellen, dass er nicht da war und auch nie wieder dort sein würde. Gerade in diesen Momenten war das Verlangen schier übermächtig, den kleinen Flur zu überqueren und sich vor Deans Zimmertür niederzulassen, um ihn um Verzeihung anzuflehen.

Doch was hätte es letztendlich gebracht, ihre Worte und Taten rückgängig zu machen? Deans Herz war bereits gebrochen und der Schaden angerichtet. Es gab tatsächlich kein Zurück mehr.

Aber es schmerzte immer mehr, beim Essen neben sich auf das unbenützte Gedeck blicken zu müssen.

Selbst Elijas Geschmack in Sachen Möbel konnte den Anblick nicht mildern, auch wenn er sich wirklich Mühe gegeben hatte. Der neue Esstisch ähnelte dem alten in Größe und Form, hatte jedoch ein etwas helleres Holz und eine andere Maserung, aber mit den neuen Stühlen passte er ganz gut hinein. Vor allem waren nun auch die Blutflecken verschwunden, die James auf dem alten Tisch hinterlassen hatte und die sich regelrecht in das alte Holz gefressen hatten.

Delilah stocherte lustlos in ihrem Essen herum. Ein kurzer Blick zu James verriet ihr, dass es ihm ebenso ging. Selbst Elija aß bedächtiger als sonst und sehr viel langsamer, während auch sein Blick immer wieder zu Deans Platz hinüberschweifte und man jeden Moment einen schweren Seufzer erwartete. Stattdessen sah er wieder äußerst nachdenklich auf seinen Teller.

Sie hatte ihn noch nie so gesehen. Beinahe wirkte er ebenso hilflos wie sie alle, aber eben nur fast. Denn wenn er wirklich gewollt hätte, hätte er seinen Sohn dazu zwingen können, sich an den Tisch zu setzen und endlich etwas zu essen. Nicht nur als sein Vater sondern auch als sein Rudelführer hätte er Dean dazu bringen können, sich unterzuordnen und den Anweisungen zu folgen. Doch er tat es nicht. Was auch immer für Gründe ihn dazu veranlassten, er nutzte seine Machtposition nicht aus.

„Wie lange kann ein Werwolf ohne Essen überleben?“ Die Frage war heraus, bevor Delilah sie zurückhalten konnte. Das bedrückende Schweigen war einfach unerträglich geworden.

„Wochen.“ James spießte mit seiner Gabel eine kleine Kartoffel auf, doch nicht um sie sich in den Mund zu stecken, sondern stattdessen zeichnete er damit kleine Kreise in die helle Pfeffersoße.

„Und ohne Flüssigkeit?“

„Eine Woche. Vielleicht noch ein oder zwei Tage mehr. Kommt auf die Bedingungen in der Umgebung an.“

Also war die derzeit herrschende trockene Hitze alles andere als ihr Freund. Dabei wurden sogar noch heißere Temperaturen für die kommende Woche angekündigt.

„Was, wenn er beschlossen hat, einfach zu verdursten?“

Keiner antwortete, stattdessen ließ James seine Gabel auf den Tellerrand sinken. An seiner Wange konnte man erkennen, wie seine Kiefer aufeinander mahlten.

Delilah schob ihren Teller von sich und stand auf. Sie hatte endgültig keinen Appetit mehr, also trug sie ihr Geschirr ab und warf die Reste ihres Essens in den Kompostkübel, den Rest räumte sie in den Geschirrspüler. Anschließend machte sie sich daran, die großen Töpfe und Pfannen mit der Hand abzuwaschen. Dabei kam sie immer wieder ins Stocken und musste mehrmals tief durchatmen, während sie die Tür in ihrem Kopf so fest sie konnte zuhielt. Doch mit jedem Tag der verging, gewann ihre Wölfin an Kraft und manchmal gelang es ihr sogar für kurze Zeit ganz zu entkommen und Delilah in ein Gefühlsbad zu stürzen, das ebenso hätte mit Säure gefüllt sein können.

Es tat so unglaublich weh.

„Hier.“

Sie fuhr erschrocken zusammen, als James ihr die große Salatschüssel hinhielt.

„Sorry.“

„Schon okay.“ Sie nahm ihm die Schüssel aus den Händen und tauchte sie in das warme Seifenwasser, um sie gleich abzuspülen. James blieb neben ihr stehen.

„Er wird sich wieder fangen.“

„Vor ein paar Tagen hast du noch gesagt, dass er nicht damit klarkommen wird. Ich denke, du hattest Recht.“

„Er braucht einfach noch mehr Zeit.“

Ihr entkam ein freudloses Lachen, während sie die Glasschüssel unter kaltem Wasser abspülte und auf die Abtropffläche stellte. „Und wie viel? Einen Tag? Zwei Tage? Vielleicht die ganze gottverdammte nächste Woche?“

Delilah schnappte sich die nächste Pfanne, gab zusätzlich etwas Spülmittel hinein und schäumte ordentlich das Innere mit einem Schwamm ein, um das Fett leichter zu lösen. Die Klammer, die schon seit Tagen ihre Brust zusammenpresste, zog sich erneut enger. Das Atmen wurde schwer.

Ihre Hände hielten in ihrer Tätigkeit inne, als James näher an sie herantrat und seine Witterung ihre Nase umspielte.

„Soweit kommt es nicht. Vorher zerren entweder Dad oder ich ihn da raus. Keiner von uns lässt zu, dass er irgendeinen Blödsinn anstellt.“ Er hob die Hand. Wollte ihr Gesicht berühren, ließ sie aber wieder fallen, als Delilah den Kopf neigte, so dass ihr inzwischen schulterlanges Haar es vor ihm verbarg.

„Ich hoffe es.“ Sie arbeitete weiter.

„Das ist ein Versprechen.“ Er trat wieder zurück und holte nach kurzem Zögern auch noch das restliche Geschirr vom Tisch, ehe er sie alleine ließ. Dem Geräusch nach zu urteilen, ging er wieder hoch zu Deans Zimmer. Vermutlich um noch einmal erfolglos mit seinem Bruder zu reden.
 

Die Nacht war lau, doch das Zirpen der Grillen keinesfalls tröstlich. Selbst das Bild des vollen Mondes am sternenklaren Himmel besaß keinen Zauber und auch keine Macht. Dabei hieß es doch immer, gerade in Vollmondnächten würden Werwölfe sich verwandeln und Angst und Schrecken verbreiten.

Ein Mythos. Natürlich. Aber bei diesem Anblick hätte Delilah sich gewünscht, dass der Vollmond tatsächlich irgendeinen größeren Einfluss auf Werwölfe besessen hätte. Besser gesagt auf einen ganz bestimmten.

Die vierte Nacht war angebrochen und noch immer keine Spur von Dean.

Ihre nackten Zehen berührten glattes Holz, als sie sich vom Boden abstieß und die Verandaschaukel in Bewegung brachte. Trotz des warmen Windes fröstelte es sie und Delilah schlang ihre Arme um sich, aber das würde nicht viel bringen. Es war nicht die Temperatur, die ihr zu schaffen machte, sondern das immer schlimmer werdende Gefühl in ihrer Brust und auch noch der leise Nachhall der Angst, der ihr immer noch im Genick saß, wenn sie an einen anderen Tag auf dieser Schaukel zurückdachte.

Ganz automatisch suchte sie die Schatten am Waldrand nach Bewegungen ab, selbst dann noch, wenn sie sich ins Bewusstsein rief, dass Nadine Meilenweit entfernt war und nie wieder zurückkommen würde. Nicht, ohne sich der Gefahr auszusetzen, von einem ganzen Rudel Werwölfe in Fetzen gerissen zu werden.

Wäre sie jetzt bei Dean, könnte sie sich an ihn schmiegen und in seiner wärmenden Umarmung Schutz suchen. Vielleicht hätte sie dann auch endlich wieder Schlaf finden können, doch stattdessen hielten Sorge und Verzweiflung sie wach.

Es geschah so plötzlich, dass Delilah sich auf der Schaukel nach vorne krümmte, dabei die Hand fest gegen ihre Brust gepresst und um Atem rang. Ihr gesamter Brustkorb schien mit einem Mal in einem Schraubstock festzuklemmen, der sich unbarmherzig immer weiter zuzog, bis es sie zu zerquetschen drohte.

Ihre Wölfin steckte die Schnauze durch einen Spalt in der stark malträtierten Tür in ihrem Kopf hindurch und drängte sogar noch weiter nach vorne, während ihre Krallen an dem Holz kratzten und rissen. Schmerz überflutete Delilahs Herz, ließ ihre Augen brennen und sie für einen Moment blind und taub für ihre Umwelt werden, bis ein Geräusch im inneren des Hauses sie hochfahren ließ.

Sie konnte von ihrer Position aus nichts sehen, doch der Wind trug ihr den Gestank von Blut, Schweiß und Bitterkeit entgegen, unter dem der Geruch von herber Walderde beinahe völlig unterging.

Die Tür in ihrem Kopf gab nach und zersplitterte unter dem Ansturm der Wölfin in tausende Teile, während es Delilah auf die Füße riss.

Beim Kampf mit dem Fliegengitter vor der Tür brach sie sich zwei Fingernägel ab, doch sobald sie es ins Haus geschafft hatte, blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte den Schatten am anderen Ende des Flurs an.

Dean!“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen, trotzdem hielt die Gestalt für einen Augenblick lang inne.

Er drehte sich nicht zu ihr um, sondern warf lediglich einen flüchtigen Blick über seine nackte Schulter zu ihr rüber und obwohl sie in der Dunkelheit des Hauses seine Augen nicht erkennen konnte, so spürte sie doch ganz deutlich den Moment, als sie über sie glitten.

Ihr stellten sich sämtliche Haare zu Berge, während ihre Wölfin plötzlich abweisend zu knurren begann und die Zähne fletschte, obwohl sie gerade eben noch ganz anderes im Sinn gehabt hatte.

Dean ging weiter und verschwand lautlos im Bad.

Delilah stand für einen Moment noch wie erstarrt da, sank dann aber dort wo sie war zu Boden. Ihre Beine waren unfähig, sie noch länger zu tragen, während sie am ganzen Körper zu zittern begann.

Ein Grauen begann von ihr Besitz zu ergreifen, das sie noch nie zuvor verspürt hatte. Es lähmte sie regelrecht.

Wie lange sie dort saß und die Stelle anstarrte, wo Dean zuletzt gestanden hatte, wusste sie nicht, aber in der Zwischenzeit hörte sie Wasser rauschen und schon bald darauf folgte der angenehme Duft von Seife und Shampoo.

Erst als das Wasser abgedreht wurde, konnte Delilah sich selbst wieder vom Boden aufsammeln. Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Badezimmer und Dean trat mit einem frischen Handtuch um die Hüften in den Flur. Seine Haare waren feucht und auf seiner noch leicht von Blutergüssen gefärbten Haut zeichneten sich glitzernde Wasserperlen ab.

Sein Blick war ausdruckslos und seine Augen dunkel, als er flüchtig ihre Erscheinung streifte und dann in die Küche ging, dabei einen angenehmen süßlichen Duft hinter sich herziehend, dem jegliche Note eines Wolfes fehlte.

Er hatte sie angesehen, als hätte er sie gar nicht wahrgenommen oder als wäre sein Blick einfach durch sie hindurch gegangen, was fast noch schlimmer war.

„Dean?“ Delilah folgte ihm langsam, sich dabei deutlich bewusst, wie ihre Wölfin sich mit jedem Schritt den sie auf ihn zu tat, immer weiter duckte und die Ohren anlegte, während sie aggressiv die Zähne zu blecken begann. Sie stand kurz davor, anzugreifen.

Er reagierte nicht, stattdessen öffnete er den Kühlschrank, griff nach dem frischen Milchkanister in der Tür, schraubte ihn auf und setzte ihn an die Lippen. Wie durstig er sein musste, erkannte man daran, dass er die Milch in langen Zügen hinunterstürzte, während sie ihm übers Kinn lief und auf seine Brust tropfte. Erst nachdem er beinahe den ganzen Kanister geleert hatte, setzte er ihn wieder ab und wischte sich über den Mund. Als nächstes holte er die große Frischhaltebox mit dem Wurstsalat hervor, den es zum Abendessen gegeben hatte, kramte eine Gabel aus der Besteckschublade und fiel auch schon einen Moment später darüber her, ohne kaum einmal zu kauen.

Er vernichtete den gesamten Inhalt innerhalb kürzester Zeit.

Aus sicherer Entfernung hatte Delilah ihm dabei zugesehen, während ihre Hände den Stoff ihres Nachthemds vollkommen zerknitterten und ihre Wölfin sich weigerte, ihre Haltung aufzugeben. Stattdessen verspannte sie sich noch mehr, als Delilah schließlich an den Küchentresen herantrat und so zumindest für einen flüchtigen Augenblick Deans Aufmerksamkeit erlangte, ehe er auch schon wieder den weiteren Inhalt des Kühlschranks nach etwas Essbarem durchforstete.

Es mochte vielleicht beruhigend sein, dass er endlich etwas zu sich nahm, vor allem da sie glaubte, inzwischen deutlicher seine Rippen durch die blasse Haut hervorstechen zu sehen, aber sein Verhalten war es definitiv nicht. Ebenso wenig wie das ihrer Wölfin.

„Ist … alles mit dir in Ordnung?“ Es war einfach nur lächerlich ihn so etwas zu fragen, nachdem er sich tagelang nicht hatte blicken lassen. Tage in denen er mit niemandem ein Wort gewechselt, weder gegessen, getrunken noch geduscht hatte und in denen sie alle hatten befürchten müssen, er würde sich am Ende noch etwas antun.

„Ja.“ Er griff nach einem Schokopudding, riss den metallenen Deckel davon ab und stieß mit seiner Schulter die Kühlschranktür wieder zu, bevor er sich aus der Besteckschublade auch noch einen kleinen Löffel holte.

Bei seiner Antwort überfiel sie schieres Entsetzen und ihre Pupillen weiteten sich voller Schrecken. Sie hatte diesen Tonfall schon einmal gehört. Da war sie sich ganz sicher und obwohl ihr nicht mehr so genau einfallen wollte, wo genau das gewesen sein soll, betete sie doch inständig darum, dass sie sich einfach nur verhört hatte. Die Alternative dazu ließ es ihr eisigkalt den Rücken runter laufen.

„Bist du … sicher?“ Selbst ihre Stimme bebte.

„Ja.“

Nein…

Delilah hatte das Gefühl, als würde plötzlich sämtliches Blut aus ihrem Kopf in ihre Beine sacken, so dass sie sich an der Kante der Theke festkrallen musste, um nicht einfach umzukippen.

Diese Kälte. Dieses Fehlen jeglicher Emotion in der Stimme…

Der Hüne im Maßanzug!

Delilah musste sich endgültig auf einen der Barhocker ziehen, als ihr mit deutlicher Klarheit das ganze Ausmaß ihres Handelns vor Augen geführt wurde.

Oh Gott. Bitte sag, dass das nicht wahr ist!

„Dean?“

„Hm?“

„Schau mich an.“

Er tat es und doch wieder nicht. Sein Blick fixierte sie mit dem gleichen Interesse, mit dem man einen eingetrockneten Kaugummi auf der Straße, ein welkes Blatt im Wind oder ein verdammtes Sandkorn am Meer betrachtete. Als wäre sie klein, unbedeutend, alltäglich und eine unter tausenden von Personen, die einem im Laufe des Lebens über den Weg liefen, aber keinerlei bleibenden Eindruck hinterließen und nicht einmal den geringsten Gedanken wert waren.

Selbst als sie sich die Hand auf den Mund schlug, um ein Schluchzen zu unterdrücken und ihre brennenden Augen sich mit Tränen füllten, zeigte er keinerlei Regung. Stattdessen löffelte Dean seinen Pudding in aller Ruhe zu Ende, nun da sein gröbster Hunger gestillt war und räumte auf.

„Ich liebe dich!“, rief sie ihm in ihrer Verzweiflung hinterher, als er an ihr vorbei zur Tür hinausging und sie endlich ihre Sprache wiederfand.

Dean zuckte noch nicht einmal mit der Wimper.

Delilah sprang so hastig vom Stuhl, dass er hinter ihr umkippte, während sie schon damit beschäftigt war, Dean hinterher und die Treppe hinauf zu laufen. Erst kurz vor seinem Zimmer gelang es ihr, ihn wieder einzuholen und nach seiner Hand zu fassen.

Er blieb stehen.

„Bitte, tu das nicht!“, flehte sie ihn an und zerrte an ihm, damit er sich zu ihr herumdrehte, was er schließlich auch halb tat.

„Was soll ich nicht tun?“ Es klang beinahe gelangweilt.

„Das!“ Sie würde ihm am liebsten diese beschissene Maske aus Gleichgültigkeit herunter reißen, aber sie wusste, dass es keine Maske war. Er versteckte seine Gefühle und seinen Schmerz nicht hinter dieser emotionslosen Fassade, denn wenn es so gewesen wäre, hätte man manchmal, wenn auch nur eine sehr kleine, gefühlsmäßige Regung gesehen. Doch das war nicht der Fall.

Dean hatte das geschafft, was sie schon seit Tagen immer wieder versucht hatte, um ihren eigenen Gefühlen zu entkommen. Er hatte seinen Wolf vollkommen unterdrückt und somit alles, was ihn zu einem fühlenden Wesen machte.

Diese grauenvolle Erkenntnis ließ ihre eigene Wölfin die letzten Ketten ihrer Gefangenschaft von sich abschütteln und mit ihrer wiederkehrenden Präsenz schlugen auch Delilahs Gefühle mit voller Wucht in ihr ein.

Erneut sank sie in die Knie, während ihre Hände sich um Deans Arm krümmten und ihn festzuhalten versuchten. Es beutelte ihren ganzen Körper, während das Gefühl in ihrer Brust ihr buchstäblich den Atem raubte und dennoch stieß sie leise unter schweren Atemzügen hervor: „Bitte … lass ihn ... wieder frei!“

Dean drehte sich noch weiter zu ihr herum und sah auf sie herab, als wäre sie nichts weiter als ein kleines Staubkorn, das über den Boden tanzte. „Wen soll ich freilassen?“

Tränen wallten in ihren Augen und flossen schließlich über. „Deinen Wolf…“

Ihre Fingernägel hinterließen tiefe Spuren auf seiner Haut, als er ihr seinen Arm entzog und einen Schritt zurücktrat.

Etwas Dunkles funkelte hinter seinen von Schatten verhangenen Augen und die gleichgültigen Züge seines Gesichts schienen endgültig zu erstarren.

Dieses Mal war seine Stimme tatsächlich kalt, als er leise raunte: „Warum sollte ich? Du hast ihn verlassen. Es gibt nichts mehr, woran er sich noch festhalten könnte.“

Er trat noch einen Schritt zurück und legte eine Hand auf den Knauf seiner Tür. „Und du hast mich verlassen. Deine Entscheidung ist gefallen. Genauso wie meine.“

Er verschwand im Schutze seines Zimmers und schloss leise die Tür hinter sich. Das Drehen des Schlüssels klang so unglaublich endgültig.

Delilah starrte noch für einen Moment auf die Stelle, wo Dean gerade ebe noch gestanden hatte, dann brach sie zusammen.
 

Wie lange er ihr bereits sanft über den Rücken strich und sie gegen seine warme, starke Schulter geschmiegt dasaß, während seine Arme sie sachte wiegten, konnte sie nicht sagen. Ebenso wenig wie sie in ihr Zimmer und auf ihr Bett gekommen war. Aber James‘ Geruch war in diesem Augenblick so unglaublich tröstlich und seine Wärme, die sie beschützend einhüllte so voller Linderung, dass sie erneut zu weinen beginnen wollte. Doch sie konnte nicht. Dazu brachte sie nicht mehr die Kraft auf. Ebenso wenig zu etwas anderem.

Delilah war absolut am Ende ihrer Kräfte und sank daher nur noch mehr in diese wohlige Umarmung, um erneut die Augen zu schließen und sich endgültig fallen zu lassen. Sie wollte einfach nur noch schlafen und den Schmerz und die Welt um sich herum vergessen.
 

***
 

Eine Woche lang blieb sie im Bett. Aß und trank was James ihr brachte. Schleppte sich manchmal auch ins Bad, wenn ihre körperlichen Bedürfnisse ihr keine andere Wahl ließen und wusch sich bei dieser Gelegenheit rasch, nur um danach noch entkräfteter wieder auf die Matratze zu sinken und wieder in einen ihrer Dämmerzustände abzudriften, die ihre Tage durchzogen, während die kühleren Nächte sie in einen tiefen, alptraumdurchsetzten Schlaf zwangen, aus denen sie erst bei Tagesanbruch wieder hochschreckte. Jedes Mal war James da, um sie solange wie nötig zu beruhigen, bis sie endgültig in der Realität angekommen war, doch danach zog er sich ziemlich schnell wieder zurück, als wüsste er, dass sie sonst versucht wäre, ihn nachts aus ihrem Zimmer zu verbannen. Doch selbst dazu hätte Delilah nicht mehr genug Widerstand aufbringen können. In ihrer Melancholie war einfach alles zur Anstrengung geworden. Selbst das Atmen.

Irgendwann, sie konnte nicht sagen, ob erst ein paar Tage oder bereits ein ganzer Monat vergangen waren, kam Young bei ihrer Zimmertür herein und setzte sich zu ihr aufs Bett. Die schwere Arzttasche stellte er leise neben sich auf den Fußboden, bevor er sich ihr zuwandte und sie anlächelte.

„Ihr McKenzies entwickelt euch langsam zu meinen Sorgenkindern, wusstest du das?“

„Ich bin keine McKenzie…“ Sie drehte schwach ihren Kopf in seine Richtung und zwang ihre Augenlider dazu, offen zu bleiben, obwohl sie wie immer bleischwer waren.

Der Vampir lächelte noch breiter.

„Dem Papier nach vielleicht nicht, aber alles andere spricht eindeutig dafür. Das garantiere ich dir.“ Er berührte ihre Hand, ließ sie in seine gleiten und strich mit den Fingern seiner anderen Hand warm über ihre Haut. Langsam wurde er ernst.

„So kühl und dabei sagt man immer uns Vampiren nach, wir hätten eine Haut so kalt wie Marmor. Stimmt natürlich nicht, aber an hartnäckigen Gerüchten lässt sich bekanntlich schwer rütteln.“ Er seufzte leise. „Darf ich deinen Blutdruck messen?“

Sie nickte einmal schwach. Egal was es war, ihr war ohnehin schon alles gleichgültig. Sollte der Arzt ruhig machen. Es kümmerte sie nicht länger.

„Und bei dem Baby alles in Ordnung soweit?“ Young ließ ihre Hand nicht los, während er mit der anderen seine Tasche öffnete und einen Moment später ein kleines Kästchen mit einer Blutdruckmanschette daran hervorzog. Doch bevor er sie ihr anlegte, sah er sie mit seinen durchdringenden grünen Augen prüfend an und wartete auf eine Antwort.

Delilah horchte für einen Moment in sich hinein. „Ja, ich denke schon.“ Sicher wusste sie es allerdings nicht.

„Gut. Das ist gut.“ Young ließ ihre Hand nun doch los, damit er ihr die Blutdruckmanschette anlegen konnte.

Der Druck um ihren Arm wurde immer unangenehmer, während sich die Manschette knisternd mit Luft füllte und das Kästchen brummte, bis es offenbar endlich zufrieden war und der Druck fast schon erleichternd wieder nachließ.

Schweigend betrachtete der Vampir die Zahlen auf dem kleinen Display.

Schließlich nahm er ihr die Manschette wieder ab und verstaute das Blutdruckmessgerät wieder in seiner Tasche. Dafür hielt er sein Stethoskop in seinen Händen.

„Ich möchte gerne einmal deine Lunge abhören. Dazu müsstest du dich aufsetzen, meinst du, du schaffst das?“

Eigentlich nicht, doch mit seiner Hilfe saß Delilah am Ende in einer aufrechten Position und solange der Vampir sie stützte, würde das auch so bleiben.

Da Delilah die Prozedur bereits kannte, holte sie tief Luft, wenn Young es von ihr verlangte und atmete langsam wieder aus, während das kühle Metall über ihren Rücken fuhr. Als er damit fertig war, ließ er sie langsam wieder zurück in die Kissen sinken.

„Ich werde noch einen abschließenden Ultraschall machen, um zu sehen, ob mit dem Baby wirklich alles in Ordnung ist, aber dann hast du es überstanden.“

Wieder nickte sie und schloss müde die Augen.

Die Decke raschelte leise, als er sie ihr bis auf die Oberschenkel zurückzog und das Nachthemd über ihren Bauch nach oben schob.

Kurz zuckte sie zusammen, als das kalte Gel ihre Haut berührte, doch dann war alles ruhig, während Young mit dem tragbaren Ultraschallgerät über ihre Bauchdecke fuhr und in Ruhe das Baby auf dem kleinen Bildschirm betrachtete.

„Im Moment liegt es günstig. Falls du also wissen möchtest, was es wird, könnte ich es dir jetzt mit ziemlicher Sicherheit sagen.“

Die Worte holten sie für sie selbst überraschend etwas aus ihrer Erschöpfung und ließen sie wieder die Augen öffnen. Wieder war da ein Lächeln auf den so angenehmen Gesichtszügen des Vampirs, das so gar nicht zu ihrer eigenen Stimmung passen wollte.

Eigentlich musste Delilah gar nicht länger über seine Frage nachdenken, denn die Antwort hatte sie schon seit langem gewusst und kam ihr daher leicht über die Lippen.

„Nein. Ich möchte mich überraschen lassen. Aber wenn … James es wissen möchte, sag es ihm bitte.“ Dean würde sich ohnehin nicht mehr dafür interessieren. Dafür hatte sie gesorgt.

Von frischem Schmerz gepackt, schloss sie wieder die Augen und drehte den Kopf weg. Hoffentlich verschwand Young bald wieder. Sie wollte alleine sein.

„Verstehe. Dann werde ich ihn nachher fragen.“ Auch das Ultraschallgerät war schnell weggeräumt und das schmierige Gel von ihrem Bauch gewischt. Young zog ihr ebenso sanft wieder das Nachthemd darüber und deckte sie halb zu, da es immer noch nicht wirklich kühl war, es sie aber nach einer Decke verlangte.

Doch anstatt nun seine Tasche zu nehmen und endlich zu verschwinden, kramte er noch einmal darin herum, um ein kleines Glasfläschchen und eine Spritze daraus hervor zu ziehen, wie Delilah nach einem kurzen Blick bemerkte.

Nicht einmal die kurze Angst vor der Nadel, konnte sie dazu bewegen, sich irgendwie großartig zu rühren. Stattdessen sah sie schweigsam zu, wie der Vampir die Spritze aufzog.

„Das hier ist nur ein kleiner Cocktail, den ich selbst zusammengemixt habe. Er wird dem Baby nicht schaden und deinem Kreislauf wieder auf die Sprünge helfen. Dein Blutdruck ist für deine Verhältnisse viel zu niedrig und ich bin mir sicher, wenn ich deine Blutwerte sehen könnte, wären sie auch nicht besonders zufriedenstellend. Du musst wieder richtig essen und vor allem braucht dein Körper auch Bewegung.“ Young setzte das Fläschchen ab und drückte leicht auf das Ende der Spritze bis etwas Flüssigkeit aus der Nadel schoss. Danach band er Delilahs Arm ab, um in ihrer Armbeuge leichter eine Vene zu finden, ehe er die Stelle desinfizierte.

„Normalerweise würde ich einer werdenden Mutter wie dir Schwangerschaftsgymnastik empfehlen, um deine Muskeln zu trainieren. Die wirst du brauchen, wenn das Baby erst einmal richtig schwer zu werden beginnt und auch bei der Geburt sind sie sehr wichtig. Aber bei Gestaltwandlern habe ich die Erfahrung gemacht, dass es meistens nicht nötig ist, da ihr durch die Verwandlung in Tiere immer besser trainiert seid als gewöhnliche Menschen. Dennoch würde ich dir raten, dich so oft wie möglich zu bewegen und das ruhig auch als Wolf, solange es dich nicht irgendwie beeinträchtigt. Auch Sex kann deine Beckenbodenmuskeln trainieren, solange du dabei keine Schmerzen hast.“

Ja, natürlich. Weil sie ja auch gerade so viel Lust darauf hatte.

Das Piksen tat nur für einen Moment lang weh, danach entspannte Delilah sich wieder und konzentrierte sich auf das leichte Brennen, welches das Desinfektionsmittel an der Einstichstelle verursachte, während Young ihr einen Tupfer darauf drückte.

„Du kannst mich natürlich bei Fragen auch immer noch jederzeit anrufen und ich habe dir auch eine Bücherliste zusammengestellt, die dir vielleicht helfen wird, bei der richtigen Auswahl an Babybüchern. Weniger ist hierbei oft mehr und meistens ist es ohnehin besser, sich nicht von zu vielen Ratgebern verwirren zu lassen. Babys kommen auch ganz von alleine auf die Welt, aber es kann einem die Angst davor etwas nehmen, über die Vorgänge dabei Bescheid zu wissen. Wenn du willst, habe ich auch ein paar DVDs zu diesem Thema, solltest du sie dir vielleicht einmal ausleihen wollen.“

Während der Vampir redete und redete, wollte Delilah ihm am liebsten dieses sanfte Lächeln aus dem Gesicht schlagen, einfach nur weil es da war, ohne irgendeine Berechtigung darauf zu haben. Aber obwohl sie sich vor dem was er sagte, zu verschließen versuchte, drangen seine Worte doch irgendwie zu ihr durch und sie ertappte sich dabei, dass sie mehrmals nickte.

Mit Babybüchern hatte sie sich noch nicht auseinandergesetzt. Überhaupt hatte sie sich bisher wenig mit diesem Thema beschäftigt. Aber wann hätte sie die Zeit dazu aufbringen sollen? Ihr schwirrte so viel und doch nichts im Kopf herum. Delilah wusste wirklich nicht, wann sie genug Kraft dazu haben sollte.

Schließlich kam endlich der Zeitpunkt, an dem Young nichts mehr zu sagen und zu tun hatte und sich von ihr verabschiedete. Sie war froh, dass er da gewesen war, doch noch froher, als sie endlich wieder ihre Ruhe hatte.

James würde vermutlich bald mit dem Abendessen kommen, doch der Besuch hatte sie so angestrengt, dass sie schon jetzt nach kürzester Zeit wieder einschlief und sich ihren Träumen überließ.

Sie bemerkte daher zunächst gar nicht, wie jemand an ihr Bett heran trat, das Laken um ihren Körper zog und sie hochhob.

Erst als er sie langsam die Stufen hinunter und über die Schwelle ihres Heims trug, blinzelte Delilah vom Abendrot geblendet zu James auf und sah ihn fragend an.

„Wo bringst du mich hin?“

Er sah sie nicht an, sondern konzentrierte sich auf seinen Weg, aber seine Stimme war warm, als er ihr antwortete: „Weg von dem ganzen Deprischeiß.“

48. Kapitel

Die Nacht war endgültig hereingebrochen, als sie den kleinen Heuschuppen erreichten, der mitten auf einer weitreichenden Wiese stand und Wind und Wetter trotzte.

Trotz der herrschenden Schatten zwischen den Balken hatten sich Delilahs Augen längst an die Dunkelheit gewöhnt und sie konnte erkennen, dass sich in all der Zeit, die sie nicht mehr hier gewesen war, rein gar nichts verändert hatte. James’ Lieblingsplatz war immer noch der gleiche geblieben.

Während das Konzert der Grillen draußen auf den Wiesen zu ungewohnter Stärke anschwoll und in der Ferne im Wald eine Eule schuh schuhte, bettete er sie auf einem Lager aus Heu, wobei das dünne Laken sie vor den pieksenden Grashalmen schützte. Eine halbe Armlänge von ihr entfernt ließ auch er sich in seiner längst eingelegenen Kuhle im Heu nieder.

Die ganze Zeit über hatte James kein Wort gesagt und auch jetzt tat er es nicht. Stattdessen verschränkte er die Arme hinter seinem Kopf und blickte zum offenen Tor hinaus in den dunklen Nachthimmel, wo sich inzwischen unzählige Sterne funkelnd wie Diamanten abzeichneten. Sein Blick war nachdenklich, aber auch merklich entspannt. Ganz so, als würde an diesem Ort ein Teil seiner Last einfach so von ihm abfallen und tatsächlich war auch Delilah leichter zu Mute, seit sie die bedrückende Enge ihrer Räume verlassen hatte. Vielleicht begann auch endlich Youngs Spritze zu wirken. So genau konnte sie es nicht sagen, aber inzwischen war ihr nicht komplett alles egal.

Schon seltsam, dass sie seit damals nicht mehr an diesem Ort gewesen war. Selbst Deans Lieblingsplatz hatte sie mehrmals aufgesucht, doch wenn man es genau bedachte, so hatte sie am Ende auch sehr viel mehr Zeit mit ihm, als mit James verbracht. Kein Wunder, so oft wie er und sie sich gestritten hatten und beleidigt aufeinander gewesen waren. Wenigstens das schien sich inzwischen gebessert zu haben. Delilah hoffte es zumindest.

Irgendwo im Gebälk konnte sie eine Maus hören, deren kleine Füße über das Holz dribbelten, während Holzwürmer es langsam aber sicher zermürbten. Lauer Wind fuhr durch das lose Dach, erzeugte ein leises Pfeifen und ließ sie frösteln, so dass Delilah nach einiger Zeit zu zittern begann.

Das Heu unter ihr raschelte leise, als sie sich enger in ihr Laken hüllte und zugleich näher an James heran rutschte, um ihren Kopf auf seinen Oberarm zu betten, während ihre Hand unter sein Shirt fuhr.

Nicht um ihn auf falsche Gedanken zu bringen, sondern um besser die Wärme seines Körpers auf ihrer Haut zu spüren. Vielleicht hätte sie vorher um Erlaubnis bitten sollen, aber selbst das war zu anstrengend erschienen und er wies sie schließlich auch nicht von sich.

„Du zitterst ja. Ist dir kalt?“ James wandte seinen Kopf, so dass sie seine Worte über ihre Stirn streichen spürte.

„Ja.“

„Kaum zu glauben bei dieser Hitze.“ Er drehte sich leicht auf die Seite, um seinen anderen Arm um sie zu legen und sie näher an sich heranziehen zu können. Ihre eigene Hand rutschte dabei nach hinten auf seinen Rücken, wo sich ihre Finger an seinem Schulterblatt festhielten.

„Es ist auch eher ein inneres Frösteln.“, gestand sie, während sie in James‘ Wärme badete und die Augen schloss. Hier an seinem Lieblingsplatz war sein Duft am intensivsten und zugleich beruhigte es sie, dass dennoch auch die Witterung seines Wolfes seine ganze Haut überzog.

Es fühlte sich gut an, wie seine Hand immer wieder über ihren Rücken strich. Vertraut und doch anders. Dennoch war sie sich schmerzlich bewusst, dass er nicht Dean war.

„Besser?“, fragte er nach einer Weile.

„Nicht wirklich.“ Delilah kuschelte sich noch enger gegen seine Brust, bis ihre Nase im Stoff seines Shirts versank und sie nur noch ihn riechen konnte. Am liebsten wäre sie ihm sogar unter die Haut gekrochen, wenn sie dadurch dieser unwirklichen Kälte in sich entkommen wäre.

„Ich hätte Young schon früher holen sollen, aber ich dachte, mit der Zeit würde es schon wieder besser werden. Stattdessen bist du immer schwächer geworden.“

Es klang ganz so, als ob er sich selbst Vorwürfe deswegen machen würde. Dabei hatte er keinen Grund dazu. Immerhin war James es gewesen, der ihr zu Essen gebracht, ihr Gesellschaft geleistet und am Morgen die Alpträume vertrieben hatte. Er war da gewesen, obwohl er es nach allem was passiert war, nicht hätte müssen und auch jetzt war er für sie da. Als Einziger von ihnen Dreien, der sich nicht seinen Gefühlen unterwarf, obwohl es auch ihm wehtun musste, so wie alles gelaufen war.

„Mach dir keine Vorwürfe. Du hast nichts falsch gemacht. Ich habe mich freiwillig so gehen lassen. Wenn hier also jemand Schuld hat, dann bin ich es.“ Eigentlich war das keine Frage des ‚Wenn‘. Sie war schuld an allem.

Kurz geriet die Hand in ihrem Rücken ins Stocken, ehe sie Delilah weiter in regelmäßigen Kreisen streichelte. James wusste nichts darauf zu erwidern. Sie konnte es ihm auch nicht verdenken, also wechselte sie das Thema.

„Ist Dean immer noch so...?“

„Du meinst, so wie ein wandelnder Roboter?“

Sie nickte einmal kurz.

„Ja.“ James seufzte. „Egal was ich ihm an den Kopf werfe, er reagiert nicht wirklich darauf. Was die Ähnlichkeit mit Dad fast schon unheimlich macht, obwohl der inzwischen auch schon deutlich genervt von Ds Verhalten ist. Wird sicher nicht mehr lange dauern und er wäscht ihm einmal ordentlich den Kopf. Wenn Dean das nicht wieder zu sich bringt, dann weiß ich es auch nicht.“.

Wieder wurde sie bei James‘ Worten von dem Gefühl der Schuld niedergedrückt, das auch er nicht von ihr fernhalten konnte. Kein Wunder, dass sie sich so schwach und kraftlos fühlte, die Last war viel zu schwer für sie und wurde mit der Zeit auch kein Bisschen leichter.

Das was sie Dean angetan hatte, war einfach unverzeihlich und James behandelte sie auch nicht sehr viel besser.

„Ich hätte ihn nicht schlagen dürfen.“, begann er nach einer Weile leise. „Ich hätte meiner Eifersucht nicht nachgeben und mich nicht einmischen dürfen. Dann wäre es gar nicht erst soweit gekommen und du wärst immer noch mit ihm zusammen.“

James schluckte hart und seine Hand an ihrem Rücken kam endgültig zum Erliegen. Für einen Moment hatte Delilah sogar das Gefühl, als wolle er sie vor ihr zurückziehen.

Instinktiv hielt sie sich noch stärker an ihm fest, was ihr kaum etwas genützt hätte, wenn er es nicht so wollen würde und legte ihren Kopf in den Nacken, um ihn ansehen zu können.

„Es ist nicht deine Schuld, James. Vielleicht wäre noch ein bisschen länger alles so geblieben, wie es war, aber so oder so, irgendetwas hatte am Ende geschehen müssen. Das war unausweichlich.“ Sie zog ihre Hand zwischen ihren Körpern und unter dem Laken hervor, um seine Wange berühren und seinen Blick einfangen zu können, damit er wirklich verstand, was sie sagte.

„Oder glaubst du, ich liebe dich erst, seit du mir deine Gefühle gestanden hast? In Wahrheit konnte ich dich doch die ganze Zeit über nicht vergessen, wenn ich bei ihm war. Genausowenig wie ich ihn jetzt vergessen kann, während ich hier bei dir bin. Ich wünschte, ich könnte es, aber inzwischen habe ich eingesehen, dass das unmöglich ist.“

„Du liebst uns wirklich beide, oder?“

„Ja. Die ganze Zeit schon.“

„Auch gleichstark?“

„Kommt darauf an.“

„Worauf?“

Delilah kniff James sachte in die Wange. „Auf wen ich gerade böse bin.“

Es brachte ihn kurz zum Lächeln, doch nur allzu schnell wurde er wieder ernst.

„Ich hätte nie gedacht, dass mir das mal passiert.“ Er seufzte und blickte wieder an ihr vorbei hinaus in den Sternenhimmel.

„Ich auch nicht.“ Sie kuschelte sich erneut an ihn und fragte sich wieder einmal, wann es überhaupt soweit hatte kommen können. Wo genau die Abzweigung in ihrem Leben gewesen war, die sie letztendlich in diese Richtung geführt hatte.

Delilah war sich nicht sicher.

„Wir müssen uns aber auf jeden Fall etwas mit ihm einfallen lassen.“, fing James erneut an. „Es kann nicht sein, dass wir uns hier mit unseren Gefühlen herumschlagen müssen, während D sich bequem zurücklehnt und keinen Finger rührt, um alles wieder gerade zu biegen. Außerdem entbindet ihn sein Zustand sicher nicht, von den Pflichten eines werdenden Vaters. Ganz besonders das werde ich ihm noch einmal gründlich unter die Nase reiben.“ Er schnaubte so offensichtlich, als würde es ihm wirklich etwas bedeuten. Dabei hätte man meinen können, er sei ganz froh, nur noch alleine den Anspruch auf ihr gemeinsames Kind zu haben. Aber vermutlich täuschte sie sich da wieder einmal gründlich in James.

Seine Gefühlswelt würde ihr wohl immer ein Rätsel bleiben, selbst wenn er sie sehr viel deutlicher zeigte als die anderen McKenzies.

„Ich bin froh, dass du da bist.“ Ihr plötzliches Geständnis war leise, aber aufrichtig. „Ich meine, du hättest tausend Gründe, um mich zu meiden und doch bist du mit mir hierher gekommen.“

Das leise Grollen in seiner Brust kam so überraschend, dass Delilah für einen Moment nicht wusste, was es zu bedeuten hatte. Erst als sie das Lächeln auf James’ Lippen sah, wurde ihr klar, dass er leise gelacht hatte.

„Ich habe auch tausend Gründe, um dich keine Sekunde des Tages aus den Augen zu lassen. Oder glaubst du wirklich, mein Wolf würde sich freiwillig von dir trennen, selbst wenn es nur für einen Augenblick lang wäre?“

„Er ist mir nicht böse?“

„Nein. Er ist nur wütend, weil wir dir nicht wirklich helfen können.“

„Aber das tust du doch gerade.“

„Wirklich?“ Er sah nicht besonders überzeugt aus.

„Ja.“ Delilah schmiegte ihre Stirn gegen James’ leicht kratziges Kinn und schloss wieder die Augen. „Mehr als du ahnst.“ Und vielleicht auch mehr, als sie sich selbst bewusst war.

„Dann bin ich erleichtert.“ Er flüsterte es nur, während er sie noch ein kleines Stück enger an sich heranzog und seine Hand schließlich an ihrem Rücken liegen ließ. Noch immer fühlte es sich warm und beschützend an, so wie sie sich immer in Deans Armen gefühlt hatte und doch ein bisschen anders. Bei James hatte sie irgendwie das Gefühl, als ob er im Augenblick diese Nähe genau so sehr nötig hatte wie sie selbst. Er lieh ihr zwar seine starke Schulter, aber eigentlich war auch er verletzt und enttäuscht worden. Woher er die Kraft nahm, trotzdem bei ihr zu bleiben, war ihr schleierhaft.

James‘ Atem kitzelte nach einer Weile über ihre Haare und je länger sich dieses Mal das Schweigen zwischen ihnen hinzog, umso regelmäßiger wurde er.

Es dauerte nicht lange und auch sie war inmitten der Wärme seines Körpers und seiner Liebe eingeschlafen.
 

Ein mächtiges Donnergrollen brandete durch den windigen Holzverschlag und riss sie mit aller Macht aus dem Schlaf, als sie es auch körperlich spürte.

Neben ihr regte sich James.

„Was. War. Das?!“

Delilah konnte die Wärme ihrer glühenden Wangen spüren, während sie sich vorsichtig die Hände auf den Bauch legte und gegen die Morgensonne anzublinzeln versuchte.

„Mein Bauch?“, fiepte sie leise und musste sich einen Moment später auch schon die Hand vor den Mund schlagen, um ihr heftiges Gähnen dahinter zu verbergen, das ihren ganzen Körper durchschüttelte.

„Hat sich eher so angehört, als hattest du bereits einen wütenden Grizzly zum Frühstück.“ Noch halb verschlafen, richtete James sich auf einen Ellenbogen auf und rieb sich den Sand aus den Augen, ehe er – von ihr angesteckt – ebenfalls gähnte.

Danach sah er sie auf eine verblüffend zufriedene Art und Weise an. „Hunger?“

Was ihn so zufrieden machte, wusste Delilah nicht, aber der Ausdruck gefiel ihr. Ebenso wie seine Haare, die ihm in allen Richtungen vom Kopf abstanden und die den ein oder anderen Grashalm aufwiesen. Sie selbst sah bestimmt nicht besser aus, aber dafür hatte sie umso fantastischer geschlafen.

„Hast du denn etwas hier?“ Sie musste sich erst einmal aus dem dünnen Laken befreien, ehe sie sich aufsetzen und sich mit den Fingern durchs Haar kämmen konnte. Ihre Kraft schien dabei zum Teil wieder zurückgekehrt zu sein, auch wenn sie sich immer noch leicht zittrig fühlte, was auch daran liegen könnte, dass sie so schnell aus dem Schlaf gerissen worden war. Aber dafür hatte sie in dieser Nacht nicht das Geringste geträumt.

„Selbstverständlich.“ James streckte sich ein gutes Stück nach hinten und zog einen Moment später einen kleinen Rucksack auf seinen Schoß, den sie bisher noch gar nicht wahrgenommen hatte. Aber das war auch nicht weiter verwunderlich, wenn man ihren gestrigen Zustand bedachte.

Wieder verlangte ihr Magen lautstark nach Nahrung, was James dieses Mal zum Lächeln brachte und ihn schneller in dem kleinen Rucksack herumkramen ließ, bis er schließlich eine Packung mit Trockenfleisch, Brot vom Vortag und drei Äpfel hervorzog. Er arrangierte alles auf einem kleinen Stück ihres Lakens zwischen ihnen und stellte auch noch eine Flasche Wasser dazu.

„Ich hoffe, das reicht für den gröbsten Hunger, aber alles andere hätte sich bei dieser Hitze nicht lange gehalten.“

„Es ist perfekt, danke.“ Sofort griff Delilah nach dem Trockenfleisch und riss die Packung mit den Zähnen auf, erst dann nahm sie sich ein Stück Brot, um beides zusammen so gemäßigt wie möglich, aber so schnell wie nötig hinunter zu schlingen. Sie hatte gar nicht geahnt, wie hungrig sie war.

James‘ zufriedener Gesichtsausdruck vertiefte sich zusehends, während er ihr beim Essen zusah und ihr zwischendurch auch die geöffnete Flasche Wasser hinhielt, damit sie das relativ trockene Mahl leichter hinunter bekam.

Er selbst aß nur einen Apfel und drängte ihr anschließend auch noch die beiden anderen auf.

Erst als sie auch den letzten Rest des Wassers vernichtet hatte, ließ sie sich erschöpft ins Heu zurücksinken und atmete erst einmal tief durch, während ihre Hand über ihren gewölbten Leib strich.

„Gott, war das gut.“ Sie seufzte selig mit geschlossenen Augen.

„Hunger ist eben immer noch der beste Koch.“ James schraubte die leere Wasserflasche zu und verstaute den Abfall wieder im Rucksack.

Dass er sie ansah, konnte sie nach einer Weile unter halb geöffneten Lidern erkennen, also streckte Delilah ihre Hand nach seiner aus und legte sie sich ebenfalls auf den Bauch, denn dort hatte es seinen Blick hingezogen.

Es war schon erstaunlich, wie sehr sich seine ganze Haltung von einem Moment auf den anderen veränderte, kaum dass er sie berührte. Er schien sich merklich zu entspannen und zugleich war da dieses Leuchten in seinen Augen, während er fasziniert über die Rundung strich und für einen Moment ganz von der Welt entrückt zu sein schien. Da gab es nur ihn und das Baby in ihrem Leib. All die anderen Probleme hatten sich für diesen Augenblick in Luft aufgelöst.

Diesen innigen Moment zwischen Vater und Kind zu beobachten, fühlte sich seltsam intim an. Aber es störte sie nicht. Ganz im Gegenteil. Es erfüllte sie mit Freude, wo schon seit Tagen nur noch Trauer geherrscht hatte.

Als James sich schließlich wieder rührte und seinen Blick von ihrem Bauch weg und auf Delilahs Gesicht richtete, war es, als wäre er von einem tiefen Tauchgang zurückgekehrt. Fehlte nur noch, dass er nach Luft schnappte, nachdem er sie solange angehalten hatte.

„Young hat mir gesagt, was es wird. Er meinte aber auch, dass du es nicht wissen willst und ich mich daher nicht verplappern soll, um dir die Überraschung nicht zu verderben.“

„Das stimmt.“ Ihre Hand berührte seine. Sie wollte noch nicht, dass er sie losließ und ihr seine Wärme nahm. Gerade jetzt fühlte sie sich endlich wieder halbwegs wohl in ihrer Haut und sie wollte den Moment noch solange wie möglich hinauszögern. Ihre Probleme würden sie beide noch früh genug wieder einholen.

„Freust du dich denn darüber, nachdem du weißt, was es ist?“

Ohne sie loszulassen legte James sich ebenfalls wieder hin und streichelte mit seinem Daumen über den dünnen Stoff ihres Nachthemds. „Ich habe mich schon vorher auf das Baby gefreut und das hat sich jetzt nicht geändert. Mir ist egal, ob es ein Junge oder Mädchen wird, Hauptsache es ist gesund.“

„So sehe ich das auch.“ Ohne ihr bewusstes Zutun glitten ihre Finger zu seinem Handgelenk und hielten sich daran fest.

„Wie lange wird es denn eigentlich noch dauern? Hat Young dir einen Geburtstermin genannt?“ Seine Hand strich wieder ein Stück über ihren Bauch und kam damit ihrer eigenen entgegen.

„Ich bin fast in der Hälfte der Schwangerschaft und Young meinte, es dürfte Mitte Januar zur Welt kommen.“ Sie strich über seinen Unterarm und umschloss seinen Ellenbogen.

„Vielleicht wird es dann auch ein Steinbock wie Dad.“ James kam näher, als seine Hand ihre Seite erreichte und dort liegen blieb.

„Wann hat er denn Geburtstag?“

„Am 26. Dezember.“

„Also fast zu Weihnachten.“

„Was aber leider nicht bedeutet, dass es ihn deshalb leichter in Stimmung bringt.“

Sie lächelte und berührte ebenfalls seine Seite. „Also verkleidet er sich an den Festtagen nicht als Weihnachtsmann?“

„Eher als dessen böser Zwilling. Aber nein. Für gewöhnlich nicht.“ James senkte die Stimme. Seine goldenen Augen nahmen sie in Besitz.

Ihr Herz begann unwillkürlich schneller zu schlagen. „Aber ihr tauscht Geschenke aus, oder?“

„Wenn man eine neue Hebebühne als Geschenk werten kann.“ Die Hand an ihrer Seite glitt langsam höher.

„Und was ist mit dem weihnachtlichen Fressgelage?“ Es begann heftig in ihrem Bauch zu kribbeln.

„Haben wir doch oft genug das ganze Jahr über.“ Das Heu raschelte leise unter ihm, als James sein Gewicht in ihre Richtung verlagerte.

„Aber ihr habt doch zumindest einen Weihnachtsbaum und Lichterketten? Was ist mit den ganzen Süßigkeiten und den Mistelzweigen?“ Ihre Stimme begann zu zittern.

„Im Augenblick hätte ich unheimlich gerne einen Mistelzweig, der über unseren Köpfen baumelt.“ Es war nur noch ein raues Flüstern.

Sie musste heftig schlucken, während sich ihre bebenden Finger in sein Shirt krallten.

„James, ich weiß nicht, ob-“

„Deli, bitte…“ Der Schatten seines Körpers fiel auf sie, als er sich endgültig über sie beugte. „Bitte, lass mich nicht darum betteln müssen. Es ist nur ein Kuss.“

Er strich zart über ihre Wange und beugte sich weiter zu ihr herab, so dass sie seine Hitze nicht nur erahnen, sondern nun auch deutlich auf sich fühlen konnte. „Ein einziger Kuss…“

„Aber-“

Bitte…“, hauchte er kaum noch wahrnehmbar, während seine Augen mit einem Mal flehentlich wurden. Ein paar Herzschläge später begannen sie sogar verräterisch zu glänzen.

Erst da konnte sie ihn sehen. Den tiefen Schmerz in ihm, den er bisher hinter trügerischer Stärke und Gelassenheit vor ihr verborgen hatte und seinen sich windenden Wolf, der sich vor verzweifelter Sehnsucht nach ihr verzehrte.

Stumm ob dieser markerschütternden Erkenntnis sah sie ihn mit schmerzhaft pochendem Herzen an, bis James‘ Gesicht vor Delilahs eigenen Augen zu verschwimmen begann und sie heftig blinzeln musste, um ihn wieder deutlicher sehen zu können.

Was habe ich getan?

„Es … tut mir leid.“ Ihre Stimme war dünn und kaum noch greifbar, als sie die Worte aus ihrer engen Kehle hervorpresste. „Das alles tut mir … so wahnsinnig leid!“

Also ob das jetzt noch jemandem helfen wird.

Sanft umfasste sie sein Gesicht, streichelte ebenfalls über seine Wangen und spürte unerwartet einen feuchten Tropfen an ihrem Daumen, der ihr regelrecht das Herz zerquetschen wollte.

James…

„Ich wollte das alles nicht. Das musst du mir glauben!“ Nun war sie es, die flehte und doch war es zwecklos. Es war bereits geschehen.

„Ich wollte weder ihm noch dir jemals wehtun...“ Sie konnte ihre Taten nicht mehr rückgängig machen!

Ich liebe dich doch. Gerade deshalb wollte ich es einfach nur richtig-

Ihre Pupillen weiteten sich, als James von ihrem Gerede genug hatte und sie einfach am Weitersprechen hinderte.

Es dauerte nur ein paar Herzschläge lang, während der sie beide unter der Berührung ihrer Lippen regelrecht erstarrten, doch dann war der Moment vorüber und es schien als hätte man sie von unsichtbaren Ketten gelassen.

Delilahs Finger fuhren wild durch James‘ Haar, krallten sich an ihnen fest und zogen ihn noch enger gegen ihren Mund, den er nur allzu hungrig verschlang.

Ihre Zungen trafen sich zum Duell. Peitschend, leckend, stoßend und lockend. Sie rieben aneinander und erzeugten dabei noch mehr Funken, die zwischen ihren Körpern hin und her zu knistern begannen.

James‘ Bartschatten kratzte über ihre sensible Haut, während sie roh über sein Kinn knabberte, ihre Wange an ihm rieb, dabei nach Atem schnappte, nur um dann erneut mit frisch gewonnener Kraft über seinen Mund herzufallen.

Sie konnte ihn schmecken, ihn riechen und auch überall an ihrem Körper fühlen, während sie sich immer wieder im Heu wälzten und die Plätze tauschten. Mal war sie oben, ihre Hände so fest in seinem Shirt gekrallt, dass es zu reißen begann, während ihre Schenkel seine Hüften fest umklammert hielten und James‘ Hände ihren Po kneteten. Dann rollte er sie wieder auf den Rücken, presste sich an sie, packte ihr Haar und bog ihren Kopf in den Nacken, um an ihren Hals zu kommen und glühende Male darauf zu hinterlassen.

Mit ihren Zähnen fing sie dabei sanft sein Ohrläppchen ein und lockte ihn damit, sich wieder um ihren Mund zu kümmern, bis er ihrer Bitte nachgab und sie erneut küsste.

Wie lange dieser wilde Ansturm dauerte, konnte Delilah am Ende nicht mehr sagen, doch irgendwann kippte ihre gemeinsame Leidenschaft und ihre Berührungen und Liebkosungen wurden ruhiger, weniger gehetzt und schlugen schließlich ganz in Zärtlichkeit um.

Ihr beider Atem ging immer noch keuchend, unterdessen sich ihre Lippen und Zungen immer sanfter zu umspielen begannen. Aus bisher rauen Berührungen wurde nun ein sanftes Streicheln, während ihre Hände auf beinahe unschuldige Weise den Körper des anderen erkundeten und liebkosten.

Am Ende blieb Delilah vollkommen ermattet auf James‘ Brust liegen und wusste gar nicht so recht, was da über sie beide gekommen war, doch da war keine Reue.

Sanft zupfte er ihr mehrere Grashalme aus dem Haar, während sie nur allzu träge ihr Nachthemd wieder über ihren Po nach unten zog. Zum Glück hatte sie einen Slip an, sonst wäre die ganze Sache vielleicht noch ganz anders ausgegangen, denn es ließ sich nicht leugnen, was da gegen ihren Bauch drängte. Aber keiner von ihnen beiden ging darauf ein. Es war eben eine unkontrollierbare Nebenwirkung auf ihr Tun.

„So kann das nicht weitergehen.“, nuschelte sie leise und mit geschlossenen Augen gegen James‘ Brust. Sie war doch schon wieder ziemlich müde.

„Da gebe ich dir Recht. Aber bei dem, was vorher war, mache ich auch nicht mehr mit.“

Nein, bestimmt nicht. Nicht nach dem, was gerade geschehen war.

„Und was sollen wir jetzt tun?“ Sie wusste keinen Rat mehr.

„Wir müssen eine Lösung finden und zwar eine, die beinhaltet, dass mein Bruder sich nicht in einen verdammten Roboter verwandelt.“

„Oder du, wenn wir schon dabei sind.“ Müde hob Delilah ihren Kopf, um James in die Augen zu sehen. „Wenn ich könnte, ich würde mich für euch zweiteilen. Aber das geht nun mal nicht.“

James erwiderte ihren Blick lange, ohne etwas zu sagen. Bis er schließlich tief durchatmete und mit ernster Stimme meinte: „Vielleicht wirst du das auch nicht müssen… Hängt am Ende ganz von Dean ab.“
 

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So meine Lieben.

Morgen werde ich am Zahnfleisch daherkriechen, aber was raus will muss raus. Als echter Vollblutautor verzichtet man dafür schon mal auf den Schlaf. Ich hoffe Mal, die Mühe hat sich gelohnt. Ich bin auf jeden Fall zufrieden.
 

Liebe, aber furchtbar müde Grüße

Eure Darky

49. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

50. Kapitel

„Bist du sicher, dass du zuerst alleine mit ihm reden möchtest?“

James hörte auf, in seiner Kommode herumzukramen und warf einen kurzen Blick über seine Schulter zurück auf sein Bett, auf dem sie sich im Schneidersitz niedergelassen hatte. Sie war wesentlich schneller als er mit Duschen und Anziehen fertig gewesen, aber im Gegensatz zu ihm, hatte sie sich nur frische Unterwäsche und ein leichtes Sommerkleid überziehen müssen.

„Sicher bin ich mir nicht, aber ich denke, es wäre besser. Wenn er mich sieht, wird er nicht gleich eins und eins zusammenzählen. Hoffe ich zumindest.“ Er wandte sich erneut der geöffneten Schublade zu und nahm ein Paar Socken heraus. Mit dem Ellenbogen schloss er sie wieder und begann dann von einem Bein auf das andere zu hüpfen, während er sich die weißen Socken überstreifte.

Seine feuchten Haare sprangen dabei mit und verteilten noch ein paar vereinzelte Wassertropfen auf dem Boden oder liefen in glänzenden Rinnsalen seinen Nacken, Schulter und Brustkorb hinab. Delilah kämpfte darum, ihn nicht ständig anzustarren, aber ihre leuchtend roten Liebesbisse überall auf seinem Oberkörper verteilt, zogen sie wie magisch an und selbst jetzt wollte sie noch einmal von ihm kosten.

Sie lenkte ihren Blick auf die ineinandergeschlungenen Finger in ihrem Schoß, was sie nur für einen Moment vom Starren abhalten konnte.

Sobald James sich durch den Raum bewegte und vor seinem Kleiderschrank stehen blieb, hefteten sich ihre Augen wieder auf seine Rückseite und an die langen, roten Striemen, die ihre Fingernägel auf seiner Haut hinterlassen hatten.

„Du hast nicht zufälligerweise einen Rollkragenpulli in deinem Schrank?“

James schenkte ihr ein kurzes Lächeln. „Ich bin ein Werwolf. Nicht mal im tiefsten Winter würde ich so was anziehen.“

Sie seufzte. „Das hatte ich mir schon gedacht.“

„Mach dir keine Sorgen, Deli. D mag zwar sonst in vielen Dingen ein bisschen besser sein als ich, aber was Sturheit angeht, ist er mir genauso unterlegen wie beim Kochen. Wir werden ihm seine Terminator-Imitation schon noch austreiben. Deine Zeichen auf mir könnten dabei durchaus noch nützlich sein.“

Delilah hatte daran so ihre Zweifel, aber sie wollte James nicht widersprechen. Er kannte seinen Bruder schließlich besser als sie und eigentlich war sie ihm ganz dankbar dafür, dass er zuerst mit Dean reden wollte. Sie hätte nicht gewusst, wie sie mit ihren Erklärungen anfangen sollte.

James zog unterdessen frische Jeans aus einem ohnehin schon eher unordentlichen Stapel Kleider heraus, musterte sie kurz und entschied sich dann doch für eine andere Hose, die noch ausgewaschener wirkte als seine erste Wahl.

Delilah konnte auch sofort verstehen, warum er sich lieber für Letztere entschied. Als er sie sich über die Hüften zog und Knopf und Reißverschluss vorne schloss, spannte sich das weniger nachgiebige Material gerade richtig um seinen Po und gab diesem eine schön knackige Form, in die man am liebsten hineinbeißen wollte.

Ihr war schon früher aufgefallen, wie gutaussehend die Brüder waren. Sie hätte schon blind oder lesbisch sein müssen, um das nicht mitzukriegen, aber irgendwas war heute anders. Sie konnte nicht so genau sagen was, aber es war, als würde sie James sehr viel deutlicher als Mann wahrnehmen, als sie es bisher getan hatte. Dabei war sie sich dieser Tatsache in der Vergangenheit schon oft deutlich genug bewusst gewesen und hatte ihre Gedanken dahingehend immer wieder zügeln müssen, aber jetzt…

Ob es daran lag, dass sie ihn gezeichnet hatte und ihre Wölfin in ihrem Kopf nun weniger unruhig und dafür umso neugieriger war?

Oder vielleicht weil sie sich nicht mehr selbst davon abhalten musste, seinen Anblick zu genießen, da sie es nun sehr wohl durfte?

Irgendwie war der Gedanke immer noch unwirklich, aber er hatte auch etwas Befreiendes.

James entschied sich für ein schlichtes, weißes Shirt, mit einem rot-schwarzen Schriftzug quer über der Brust und streifte es sich über.

Ihr war schon früher aufgefallen, dass sowohl er als auch Dean keine allzu großen Fans von irgendwelchen T-Shirt-Sprüchen waren, während sie selbst vor der Zeit mit den Brüdern gerne mal mit einem provozierenden Text auf ihren Brüsten, herumgelaufen war. Warum genau sich das geändert hatte, konnte sie nicht sagen, aber um ehrlich zu sein, gefielen ihr die edleren Sachen, die sie von den Brüdern geschenkt bekommen hatte, besser. Genau genommen hatte sie auch gar keinen Grund mehr, gegen ihre konservative Jugend zu rebellieren. Alles in diesem Haus und in dieser Familie war weit davon entfernt, irgendwie unter religiösem Einfluss zu stehen, oder nach fest vorgegebenen Regeln abzulaufen. Selbst Elija war überraschend flexibel, wenn man ihn einmal näher kannte.

Der Gedanke brachte sie wieder zurück ins Hier und Jetzt.

„Während du mit Dean redest, werde ich Elija aufsuchen.“, beschloss sie spontan und stand vom Bett auf, während James die Tür seines Kleiderschranks schloss. „Vielleicht weiß er eine Möglichkeit, wie wir ihn wieder zurückholen können. Denn wie du schon sagtest, er scheint ihn irgendwie verstehen zu können und deshalb nicht eingreifen zu wollen. Vielleicht kann er auch mir helfen, Dean besser zu verstehen. Es wäre zumindest einen Versuch wert.“

Eigentlich kaum zu glauben, dass sie momentan lieber ein Gespräch mit dem alten Werwolf suchte, als mit Dean, der ihr nie etwas getan oder ihr Angst eingejagt hatte. Zumindest nicht bis vor kurzem.

„Du kannst es auf jeden Fall versuchen. Ich weiß aber nicht, wie redselig Dad sein wird. Mit Gefühlen kann er nicht so gut und dabei rede ich nur von der Erfahrung als sein Sohn. Keine Ahnung, was er dir dazu verraten wird.“ James zog ein Paar schwarzer Sneakers unter seinem Bett hervor und schlüpfte hinein. Um die Schnürsenkel binden zu können, ließ er sich nun an ihrer statt auf dem Bett nieder, so dass sie erneut seinen Haarschopf betrachten konnte, der tatsächlich nicht einfach nur braun war.

„Wir werden sehen.“ Immerhin hatte Delilah noch keinem der Brüder etwas von dem Gespräch in der Klinik erzählt, als sie alle auf den Ausgang von James‘ Operation gewartet hatten. Für ihre Verhältnisse war ihr Elija damals sehr offen vorgekommen.

Als James fertig war, stand er auf und trat vor sie.

Sofort wollte ihr das Herz vor lauter Nervosität aus der Brust springen, doch seine Nähe hatte auch eine beruhigende Wirkung auf sie.

Sie wussten beide, dass es für ihr Unternehmen momentan nicht förderlich war, wenn er zu sehr nach ihr roch, weshalb James auch nur ihre Hände in seine nahm und sie sanft festhielt. „Bist du bereit?“

„Nicht wirklich und du?“

„Auch nicht.“

„Dann bin ich ja beruhigt.“ Delilah schenkte ihm ein Lächeln. Dieses Mal sogar ein richtiges.

„Wir werden das schon packen.“ Er erwiderte es und beugte sich schließlich vor.

„Natürlich.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und kam ihm entgegen, so dass ihre Lippen das Einzige waren, was sich – von ihren Händen einmal abgesehen – berührte.

Es war nur ein kurzer, zarter Kuss, aber doch so viel mehr, als sie sich vor ein paar Tagen noch hätte erträumen lassen und vor allem schmeckte er nach Liebe.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließen sie Hand in Hand sein Zimmer, um sich ihrer bevorstehenden Prüfung zu stellen.

Im Schatten der Veranda drückten sie sich gegenseitig noch einmal beruhigend die Hände, ehe sie sich losließen und jeder seinen eigenen Weg in Richtung Werkstatt ging. James in die Garage und Delilah ins Büro.

Klimatisierte Luft schlug ihr entgegen, als sie den schattigen Raum betrat und die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Ihr gegenüber befand sich eine moderne Sitzecke mit Zeitschriften auf einem kleinen Glastisch vor der schwarzen Ledercouch und in der Ecke war ein Getränkeautomat, an dem sich sogar die Brüder von Zeit zu Zeit bedienten, wenn sie Lust auf eine eisgekühlte Coke hatten und der kleine Kühlschrank in der Werkstatt mal wieder leer war.

Im Moment wartete kein Kunde auf seinen Wagen, aber Delilah wusste, dass es auch Tage gab, an denen selbst die Ledersessel vollbesetzt waren.

Zu ihrer Linken hob Elija den Kopf von einem der drei Computerbildschirme, die Tag und Nacht zu laufen schienen oder zumindest solange, wie hier gearbeitet wurde und das konnte bei dem alten Werwolf schon mal bis in die frühen Morgenstunden hinein sein. Kein Wunder. Eine Sekretärin hatten sie nicht und er musste sich nicht nur um die Autos sondern auch um den ganzen Bürokram kümmern. Warum sie nichts daran änderten, wusste sie nicht.

„Stör ich dich gerade?“, fragte sie leise und ging um den Empfangstisch herum, an dem sauber aufgeräumten Tisch für Kundengespräche vorbei und zu Elijas Schreibtisch hinüber, der immer nach einem Berg von Arbeit aussah, mit den ganzen Akten, Dokumenten und Ordnern darauf. Kurz warf sie dabei einen Blick durch die Glastür in die Werkstatt, konnte aber keinen der Brüder sehen. Vermutlich arbeitete Dean weiter hinten bei der zweiten, neueren Hebebühne, von der James ihr erzählt hatte, dass sie ein Weihnachtsgeschenk an sie alle gewesen war.

„Nein.“

Elijas knappe Antwort zog ihre Aufmerksamkeit wieder in das Büro zurück und sie ließ sich wie schon einmal ihm gegenüber auf dem Sessel, der vor seinem Schreibtisch stand, nieder. Würde es ihr inzwischen nicht wieder sehr viel besser gehen, sie hätte unter dem Zug der Klimaanlage in ihrem Nacken zu frieren begonnen, der direkt auf Elijas Schreibtisch gerichtet zu sein schien. Aber das verwunderte sie kein bisschen, musste er doch hier zu jeder Jahreszeit am meisten Zeit verbringen und die Hitze, welche die Rechner ausstrahlten, sollte man auch nicht unterschätzen. Dennoch schlang Delilah ihre Arme um sich und strich nachdenklich über James‘ Mal an ihrem Hals.

Elija folgte mit seinen wachsamen Augen der Bewegung und ließ sie erstarren.

Erst jetzt wurde sie sich bewusst, dass sie noch gar nicht darüber nachgedacht hatte, wie er die ganze Sache mit James, Dean und ihr sehen würde.

Sofort nahm Delilah ihre Hände wieder herunter und legte sie stattdessen auf ihren Bauch. Im Grunde genommen hatte sie ja nichts zu verstecken, aber trotzdem hatte sie plötzlich Angst vor seiner Reaktion.

„Anscheinend geht es dir wieder besser.“, durchbrach er das angespannte Schweigen, als sie keine Anstalten machte, den Grund ihres Besuches zu nennen.

„J-Ja.“ Sie räusperte sich leise und begann nervös an dem Stoff ihres Kleides herum zu fummeln. „James hat mir sehr dabei geholfen.“

„Das sehe ich.“

Sie wurde mit einem Schlag blass, doch als sie hochsah, war da kein Vorwurf in Elijas eisblauen Augen. Er hatte es nur festgestellt, obwohl er die Zeichen an ihrem Körper und James‘ Geruch an ihr, der selbst nach der Dusche noch an ihr haftete, da sie auf seinem Bett gesessen hatte, nicht falsch deuten konnte.

Sie sollte also langsam wirklich auf den Grund ihres Besuches kommen. Aber wie jedes Mal musste sie erst genügend Mut sammeln, bis sie wirklich ins Gespräch mit Elija kommen konnte. Und da sie Rückenwind hatte, half ihr dieses Mal sein beruhigender Geruch nicht aus der Patsche. Viel mehr konnte er so noch deutlicher ihre Nervosität wittern, was sie gleich noch nervöser machte.

„Delilah, warum bist du hier?“ Elija schob die Computertastatur von sich und faltete entspannt aber unmissverständlich seine großen Hände auf dem Tisch.

Der Anblick erinnerte sie sofort an die beiden Bulldozer, die beim Aufmischen der Moonleague geholfen hatten. Der alte Werwolf wäre damals bestimmt auch sehr nützlich gewesen, immerhin war er genauso ein Riese, wie dieser Hüne mit den kalten Augen, die-

Delilah stoppte sich selbst in Gedanken, denn genau deshalb war sie doch hier. Weil sie Dean nicht länger in diesem Zustand sehen wollte, den dieser Muskelberg damals wie alltäglich vor sich hergetragen hatte, mit dem vollkommenen Fehlen jeglicher Wärme und Menschlichkeit.

Dean sollte nicht so enden.

„Ich will Dean zurückholen. So wie er jetzt ist, ist er nicht er selbst und ich kann nicht länger dabei zusehen, wie meine Entscheidung ihn zu Grunde richtet. Darum bitte ich dich um deine Hilfe. Du weißt doch, wie man seinen Wolf wieder befreien kann, oder nicht?“ Während die Worte nur so über ihre Lippen sprudelten, richtete sie sich weiter im Sessel auf und rutschte sogar ein Stück nach vor, bis sie sich selbst zur Ruhe ermahnte und still saß, während sie auf Elijas Antwort wartete.

Er sah ihr lange schweigend in die Augen, bevor sein Blick an ihrem Gesicht herab, über ihren Hals und die nackten Schultern wanderte, einen Moment auf ihrem geschwollenen Leib liegen blieb, dort wo sich ihre Hände beschützend darauf gelegt hatten und schließlich wieder zu ihren Augen zurückkehrte.

„Und warum sollte ich dir helfen?“, verlangte er schlussendlich zu wissen.

Seine Antwort war verstörend, hatte sie doch mit etwas völlig anderem gerechnet und zugleich weckte es ihre Wut. Es war schließlich sein eigener Sohn, von dem sie da sprachen!

Ihre Wölfin bleckte bereits die Zähne, doch sie zwang sich zur Ruhe. „Willst du denn wirklich, dass Dean für immer so bleibt?“

„Nein. Natürlich nicht.“ Elija nahm die Arme vom Schreibtisch und lehnte sich stattdessen in seinem Bürosessel zurück. „Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Meine Frage war: Warum sollte ich dir helfen? Immerhin hat deine Entscheidung ihm erst diesen Zustand aufgezwungen und so wie es aussieht, wird ihn kaum etwas Besseres erwarten, sollte er wieder zu sich selbst zurückfinden.“

„Das ist nicht wahr. Ich weiß, das mag für dich jetzt völlig anders wirken, aber James und ich glauben, ein Arrangement gefunden zu haben, mit dem wir alle leben könnten – auch Dean.“

Seine gehobene Augenbraue bedeutete ihr, weiter zu sprechen, also tat sie es.

„Ich liebe Dean und ich liebe James. Ich liebe beide deiner Söhne aus ganzem Herzen und mehr als sonst jemanden auf der Welt. Sogar mehr als mein Leben. Ich habe das lange zu leugnen versucht und dadurch James verletzt und die beiden auseinandergerissen. Und nur deshalb habe ich letztendlich diese verheerende Entscheidung getroffen. Ich glaubte, es wäre für alle besser, wenn ich die Liebe und Nähe zu deinen Söhnen nicht länger zuließe und ihnen damit keinen Grund mehr zum Streiten gebe, aber ich habe mich geirrt.“

Delilah wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel, da sie das Ganze wieder an jenen Morgen erinnerte, der so schrecklich geendet hatte und an den Schmerz in ihrer Brust. „Es hat mir das Herz zerrissen, mit Dean Schluss zu machen und das tut es auch jetzt noch. Alles in mir will ihn wieder zurückhaben. Will ihn halten, seinen Duft einatmen, seine Wärme spüren, einfach bei ihm sein. Ich vermisse ihn so wahnsinnig, dass es wehtut.“

Als sie den Blick senkte, fielen zwei weitere Tropfen auf ihre Hände, die krampfhaft den Stoff ihres Kleides umklammert hielten und sie musste schniefen, als auch noch ihre Nase zu laufen begann.

Die Hälfte von Etwas ist besser als ein Ganzes von Nichts.“, zitierte sie James leise und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. „Das ist es, was ich Dean anbieten kann. Ich weiß, es wird nicht leicht sein, vor allem nicht für die beiden, aber ich liebe sie nun einmal und wenn das die einzige Möglichkeit ist, wie ich sie glücklich machen kann, dann werde ich alles dafür tun, dass es funktioniert. Ob das ausreicht, weiß ich nicht. Aber James und ich wären bereit, es wenigstens zu versuchen und ich will auch Dean die Möglichkeit geben, über diesen Vorschlag nachzudenken. Allerdings nicht in seinem jetzigen Zustand.“

Als sie schließlich wieder die Kraft aufbrachte, den Kopf zu heben, saß Elija nicht mehr auf seinem Platz, sondern stand neben ihr und hielt ihr eine Box mit Taschentüchern hin.

Sie nahm gleich drei.

Er wartete geduldig ab, bis sie sich wieder soweit gesammelt hatte, dass sie ihn ansehen konnte, erst dann stellte er die Box vor ihr auf dem Schreibtisch ab und warf ebenfalls einen kurzen Blick in die Werkstatt, ehe er das Büro abzuschreiten begann. Seine riesige Hand lag dabei in seinem Nacken und rieb ab und an darüber, während er nachdachte.

Delilah zuckte regelrecht zusammen, als er unerwartet zu sprechen, nein, zu erzählen begann.

Für gewöhnlich binden Gefährten sich fürs Leben. Das Band, das beide miteinander teilen, ist zuweilen so stark, dass kaum etwas es zu durchtrennen vermag. Allein der Tod gilt als der einzige, der wahre Grund, das Band zu zerreißen. Oftmals folgt der zurückgebliebene Gefährte sogar seiner verlorenen Liebe auf die andere Seite, um dem grausamen Schmerz des Verlustes zu entfliehen. Aber nicht immer…“

Elija blieb mitten im Raum stehen, legte nun beide Hände in seinen Nacken und starrte an die Decke. Hatten sich seine Worte vorher mehr wie ein auswendig gelernter Text aus einem Buch angehört, so waren die darauffolgenden nun ganz und gar die seinen.

„Gefährten zu sein, ist etwas völlig anderes, als verheiratet zu sein. Wenn man verheiratet ist, kann man sich scheiden lassen. Selbst in Beziehungen ist es gang und gebe, dass die Leute sich nach ein paar Jahren, manchmal sogar noch nach Jahrzehnten trennen. Ein bisschen Herzschmerz und Geheule, ein paar letzte Beschimpfungen und es ist überstanden. Bei Menschen läuft es meistens so ab. Auch viele Werwölfe und Gestaltwandler lernen ihr ganzes Leben lang nie etwas anderes als das kennen. Aber es gibt Ausnahmen.“

Kurz warf Elija ihr einen Blick über seine Schulter zu. Vielleicht um sich zu vergewissern, dass sie ihm immer noch zuhörte. Dabei hing sie geradezu an seinen Lippen.

Als er sich ihrer Aufmerksamkeit sicher war, fuhr er fort. „Die Ironie bei der ganzen Gefährtensache ist, dass es auch nur einen Teil in der Partnerschaft treffen kann. Besonders dann, wenn man nicht der gleichen Art angehört.“

Delilahs Herz setzte für einen Schlag lang aus und begann dann wie verrückt gegen ihren Brustkorb zu hämmern. Sprach er gerade von sich und seiner Ex-Frau?

„Ist es dann auch noch der Mann, der sich auf diese besondere Art gebunden hat, hat man definitiv die Arschkarte gezogen.“

Bei diesem für Elija doch recht ungewöhnlichen Ausdruck blieb ihr buchstäblich der Mund offen stehen.

„Weil das mit dem Gefährtensein so eine Sache ist. Eine gute Sache aus rein biologischer Sicht gesehen, sofern beide das gleiche empfinden, aber eine verdammt miese Angelegenheit, sobald die Frau das für sich auszunutzen weiß. Denn da sie sich nicht so intensiv an ihren Partner gebunden hat, kann es durchaus sein, dass sie auch nicht zögert, dieses Band gegen ihn einzusetzen, sollte sie ihn irgendwann satt haben.“

Elija ließ seine Arme sinken und ging zu dem großen Fenster hinüber, von dem aus man die Einfahrt gut im Blick hatte. Dabei ballte er immer wieder seine Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder, als müsse er seine Finger lockern.

Da die Klimaanlage immer noch in ihrem Rücken war, konnte sie seine Witterung nicht aufnehmen, aber sie war sich auch so bewusst, dass er nicht mehr so ruhig war, wie vorhin noch, als sie das Büro betreten hatte.

„Und wie?“, kam ihr die Frage unvermittelt über die Lippen, da er nicht weiter gesprochen hatte.

Der alte Werwolf wandte ihr seinen Kopf nur ganz leicht zu, ehe er seine Arme hinter seinem Rücken verschränkte und seinen Blick wieder in die Ferne richtete.

„Frauen können einen gebundenen Partner dazu bringen, fast alles für sie zu tun.“ Er atmete einmal tief ein und lange wieder aus. „Sie können ihn zum Beispiel beruhigen, wenn er aufgebracht ist und etwas wirklich Dummes tun will. Wie etwa jemanden mit bloßen Händen umzubringen. Oder dafür sorgen, dass er unverzeihliche Dinge, die sie getan hat, einfach so schluckt, als wäre nie etwas gewesen.“

Eine kurze Pause entstand, in der sich irgendetwas im Raum so subtil veränderte, dass Delilah plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken fuhr und eine Gänsehaut ihren Körper zu überziehen begann. Ihre Hände klammerten sich unwillkürlich an den Armlehnen ihres Stuhls fest und dennoch blieb Elijas tiefe Stimme immer noch vollkommen ruhig, als er weiter sprach.

„Sie können ihn nach Strich und Faden für ihre Zwecke missbrauchen und der gebundene Partner wird es zulassen, weil er keine andere Wahl hat. Denn sich von dieser Frau zu trennen, würde für ihn bedeuten, sich das Herz mit eigenen Händen aus der Brust zu reißen und bis ans Ende seiner Tage mit diesem Verlust und dem unbeschreiblichen Schmerz leben zu müssen. Und doch kann sie ihn jeder Zeit in genau diesen Abgrund stoßen, wenn sie will.“

Elija drehte sich langsam zu ihr um und sah Delilah fest in die Augen. „Indem sie ihn von sich aus verlässt…“

Einen Moment lang starrte sie einfach nur stumm zurück. Wartete darauf, dass noch mehr folgen würde, bis ihr mit einem Mal klar wurde, dass der alte Werwolf alles gesagt hatte, was es zu sagen gab. Erst dann kam der letzte Satz wirklich bei ihr an und ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren, als sie zu begreifen begann.

Ihre Pupillen weiteten sich unter dieser Erkenntnis so stark, dass nur noch ein feiner Ring aus Blau zu sehen war, während jegliche Farbe ihr Gesicht fluchtartig verließ. Sie schwankte für einen Moment auf ihrem Stuhl und wusste nicht mehr, wie man atmete, bis ein lautes, metallenes Klirren aus der Werkstatt sie herumfahren ließ.

Kurz darauf konnte sie stampfende Schritte in der Einfahrt hören und ihr Kopf schnellte in die andere Richtung, wo sie gerade noch durch das Bürofenster erkennen konnte, wie Dean ins Haus lief, dicht gefolgt von James, der ihm etwas hinterher rief.

Es gab nichts mehr, das sie auf dem Bürostuhl halten konnte.

Eilenden Schrittes stürmte sie an Elija vorbei, riss die Bürotür auf und rannte gegen eine Wand aus Hitze, die ihr sofort Schweißperlen auf die Stirn trieb, sie aber keine Sekunde lang aufhalten konnte.

Sie stolperte mehr die Treppen rauf, als dass sie lief und rammte beinahe James, der im Türrahmen zu Deans Zimmer stehen geblieben war.

„Ich will, dass du verschwindest.“ Immer noch kein Funke Gefühl in der Stimme, aber Deans Hand in seinem Nacken und sein aufgebrachter Gang waren ein gutes Zeichen. Wenn man es überhaupt als gutes Zeichen werten konnte.

„Werden wir aber nicht.“ James griff nach ihrer Hand und hielt sie fest, was Dean mitten im Schritt erstarren ließ, als er Delilah nun ebenfalls erkannte. Seine Augen wurden fast schwarz, als sie sich auf die ganzen roten Male auf ihrer Haut richteten. Aber das war auch schon alles an Reaktion.

„Verschwindet.“

„Nein.“ Sie betrat das Zimmer und zog James mit sich, der in weiser Voraussicht die Tür hinter sich zuschob.

Das Geräusch des sich drehenden Schlüssels im Schloss, ließ Dean einen Schritt zurückweichen. Er saß in der Falle und war sich dessen nur allzu deutlich bewusst.

„Wir müssen mit dir reden, Dean.“, begann Delilah vorsichtig, wurde aber sofort von ihm unterbrochen.

„James hat bereits alles gesagt, was er zu sagen hatte. Ich gratuliere euch.“ Noch nicht einmal Sarkasmus brachte er zustande, obwohl er es so meinte. Es war erschreckend.

„Aber du hast dir noch nicht angehört, was ich dir zu sagen habe.“ Gott, sie wünschte, sie hätte mehr Zeit gehabt, über Elijas Worte nachzudenken. So aufgewühlt, wie sich selbst noch fühlte, wusste sie nicht, ob sie das hier richtig über die Bühne bringen konnte. Andererseits wüsste sie nicht, ob sie je die richtigen Worte dafür gefunden hätte. Jetzt war es ohnehin zu spät.

„Ich glaube, es ist besser, wenn du dich hinsetzt.“ Sie deutete auf sein akkurat gemachtes Bett.

Dean rührte sich keinen Millimeter.

Delilah holte tief Luft und schloss für einen Moment die Augen. Sie konnte kaum glauben, dass sie das, woran sie gerade dachte, wirklich in die Tat umsetzen wollte. Aber sie musste es wissen, selbst wenn sie der Gedanke noch so sehr entsetzte.

Langsam ließ sie James‘ Hand los, aber nicht, ohne sie vorher noch einmal beruhigend gedrückt zu haben, ehe sie auf Dean zuging und zwei Schritt vor ihm stehen blieb. Ihr Blick war fest auf seine Augen gerichtet, während er ihn vollkommen ungerührt erwiderte. Er sah schon wieder einfach durch sie hindurch.

„Ich möchte, dass du dich hinsetzt.“, versuchte sie es noch einmal mit fester Stimme.

Etwas rührte sich in Deans Augen. Nun hatte sie seine volle Aufmerksamkeit, auch wenn er sich immer noch keinen Millimeter von der Stelle bewegt hatte.

Eigentlich war es ihr zu tiefst zuwider, aber sie vertraute darauf, dass Elija ihr dieses Wissen nicht umsonst gegeben hatte. Vielleicht in der Hoffnung, dass sie aus ihrer Unwissenheit und ihren Fehlern lernte und es in Zukunft besser machte.

Sie würde es auf alle Fälle versuchen.

„Bitte, Dean. Setz dich hin und dann reden wir.“ Delilah versuchte so viel Autorität in ihren Blick zu legen, wie sie nur konnte, auch wenn es ihr zutiefst widerstrebte.

Zuerst war es nur ein kurzes Zucken, wie ein kleines Beben, das durch Deans Körper ging, doch dann senkte er schließlich den Blick, ging an ihr vorbei und setzte sich genau an die Stelle, auf die sie vorhin gezeigt hatte.

Einen besseren Beweis für die Richtigkeit von Elijas Worten konnte es nicht geben. Sie sank direkt vor Dean auf die Knie, als ihre Beine nachgaben.

James war sofort bei ihr, schlang seine Arme von hinten um ihren Körper und zog sie an seine Brust. „Deli, was ist los?“

Sie schüttelte nur schwach den Kopf, rieb sich mehrmals über die Augen und machte sich dann wieder halb von James los, damit sie sich wieder an Dean wenden konnte, der sie völlig ungerührt ansah. Er war jetzt wichtiger.

„Bist du fertig? Kann ich gehen?“

„Dean, du verdammtes-!“

Sie legte James die Hand auf den Mund und bedeutete ihm mit einem Blick und einem schwachen Kopfschütteln, dass er sich da raushalten sollte. Er tat es nur äußerst widerstrebend, aber er mischte sich nicht noch einmal ein.

Wieder an Dean gewandt, fragte sie ihn: „Du wirst mir doch zuhören, oder?“

„Hab ich denn eine andere Wahl?“

Sie schüttelte erneut den Kopf und machte sich endgültig von James los, als sie die letzte Distanz zwischen sich und Dean überwand, sich aufrichtete und sein Gesicht behutsam zwischen ihre Hände nahm.

„Ich liebe dich, Dean. Aus tiefstem Herzen und mit ganzer Seele. Und nur deshalb, aus diesem einzigen Grund habe ich etwas Unverzeihliches getan.“ Sie strich ihm eine Strähne seines Haars hinters Ohr und ließ sich dabei nicht von seiner statuengleichen Haltung beirren.

„Ich habe dir wehgetan, wie ich es mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen könnte und das tut mir unendlich leid. Ich wollte dich nicht verlassen und ich will dich auch jetzt nicht verlassen. Ich-“

„Und warum bist du dann jetzt mit ihm zusammen?“, unterbrach er sie und deutete auf James, der sich unruhig in ihrem Rücken bewegte, ehe er wieder stillsaß.

„Das habe ich dir vorhin schon zu erklären versucht. Aber du wolltest mir ja nicht zuhören.“

„Das habe ich auch jetzt nicht vor.“

„Aber mir hörst du zu, oder?“

Deans Augen richteten sich wieder auf sie, was Antwort genug war.

„James hat einen Vorschlag gemacht, der uns vielleicht alle mit der Zeit glücklich machen kann, wenn wir uns Mühe geben und ich war einverstanden. Das Einzige, was jetzt noch fehlt, bist du und was du davon hältst. Aber so wie du jetzt bist, wirst du kaum vernünftig darüber nachdenken können.“

„Was für ein Vorschlag?“

Delilah zögerte. Eigentlich hatte sie ihm das mit der Dreiecksbeziehung erst sagen wollen, wenn er wieder voll und ganz er selbst war, aber vielleicht war es sogar besser so. Denn im Moment machte er nicht den Eindruck, als ob er aus Eifersucht heraus wieder auf seinen Bruder eindreschen wollte.

„Das ich mit euch beiden zusammen bin. Vollwertig und ohne irgendwelche Einschränkungen, mit allem was ich bin und was mich ausmacht. Ihr werdet beide nicht nur ein Anrecht auf eure Vaterschaft haben, sondern auch auf mich.“

Dean schwieg. Er schwieg lange, während seine Augen sich regelrecht in ihre bohrten und sie deutlich sehen konnte, wie sich etwas hinter diesem ausdruckslosen Blick zu regen begann.

„Ich denke nicht, dass das funktioniert.“, war schließlich seine Antwort.

„Und warum nicht?“

„Weil ich dich nicht teilen will.“

Hinter ihr erklang ein tiefes Knurren, das sie dazu zwang, schnell fortzufahren. „Aber wenn James es kann, kannst du es doch auch. Du liebst ihn doch.“

„Genauso sehr wie ich ihn manchmal hasse.“

„Dito.“ Das Knurren wurde lauter, bis Delilah James einen warnenden Blick zuwarf und er einmal kräftig schluckte, bevor er Löcher in Deans Vorhänge zu starren begann und wieder still war.

„Dann sag mir, was dir lieber ist. Mich zur Hälfte zu besitzen, oder gar nicht?“ Sie ließ ihre Hände sinken, legte sie stattdessen auf ihren Bauch und lehnte sich zurück auf ihre Fersen. Ihr Blick war traurig, als sie von unten herab zu Dean hochsah. „Und was ist mit unserem Baby? Bedeutet es dir denn überhaupt nichts mehr?“

Dean zuckte ein winziges Stück nach vorn. „Das ist nicht wahr.“

„Aber du hast es seit fast zwei Wochen nicht mehr berührt, obwohl ich dir dieses Recht nie entzogen habe. Stattdessen strafst du es mit Gleichgültigkeit und Ignoranz. Ich mag das ja verdient haben, aber das Baby hat an alledem keine Schuld.“

„Es ist in deinem Bauch. Ich kann es doch noch gar nicht wirklich berühren.“

Das tat weh, aber Delilah zwang sich dazu, dieses Gefühl ebenfalls hinunter zu schlucken. „Aber es kann dich hören und es fühlt, was ich fühle. Was glaubst du, wie es ihm gerade geht? Oder wie es ihm gehen wird, wenn es zwischen Eifersucht, Rivalität und einem zerrütteten Familienverhältnis zur Welt kommt? Bevor das geschieht, gehe ich lieber.“

Nein!“ Zwei Hände packen aus verschiedenen Richtungen ihre Schultern und drückten sie nieder, nachdem sie versucht hatte, ihr Gewicht etwas zu verlagern, in dem sie ihre Füße unter sich hervorzog, da sie ihr sonst einschliefen.

Sie war zwar aufgehalten worden, beendete aber trotzdem die Bewegung, obwohl sie verblüfft den Blick von einem Bruder zum anderen und wieder zurück wandern ließ. Delilah hatte nicht vorgehabt, jetzt gleich zu gehen, aber das schienen die beiden nicht zu wissen.

„Verdammt, D! Schluck dein beschissenes Ego endlich runter und geh auf den Vorschlag ein. Oder willst du sie noch einmal verlieren und vielleicht auch noch das Baby? Du weißt doch sicher noch, wie es sich angefühlt hat, als wir dachten, sie hätte es tatsächlich verloren!“

Die Hand an ihrer Schulter begann kaum merklich zu zittern, aber es war nicht die von James.

„Und vergiss das Gefühl nicht, als du dachtest, James würde sterben. Es hätte dich beinahe selbst umgebracht, so sehr liebst du ihn und hättest ihn nicht verlieren wollen. Daran kann doch keine Eifersucht der Welt heranreichen!“

Delilah spürte, wie James‘ Daumen sanft ihr Schulterblatt streichelte, während Dean sie wieder losließ und sich vollkommen von ihr abwandte, auch wenn er immer noch sitzen blieb. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass es an der Zeit war, an seiner inneren Barriere zu rütteln, die bereits zu bröckeln begonnen hatte. Also nahm sie James‘ Hand, hauchte ihm einen Kuss in die Handinnenfläche und legte sie behutsam in seinen Schoß, bevor sie sich ganz auf Dean zu konzentrieren begann. Wieder fing sie sein Gesicht ein, zwang ihn dazu, ihr in die Augen zu sehen und rutschte dabei so nahe an ihn heran, dass er seine Beine spreizen musste, um ihr nicht seine Knie in den Bauch zu drücken. Was er rein instinktiv schon nicht zugelassen hätte.

„Ein wirklich cleverer Kerl hat mir einmal gesagt, dass es keine Lösung ist, seinen Wolf wegzusperren, weil es einen irgendwann zu Grunde richtet. Weißt du noch, wer das war?“ Sie lächelte traurig, während sie sich an den Tag in der Küche zurückerinnerte, als Dean sie wieder einmal aus einem ihrer Tiefs herausgezogen hatte.

Er regte sich nicht, aber etwas in seinen Augen begann zu flackern.

„Gib mir einen Kuss und ich werde dich nicht weiter bedrängen.“ Sie benutzte absichtlich fast die gleichen Worte wie er damals.

Das Flackern wurde stärker, aber er blieb immer noch regungslos.

Ich wollte euch beide wirklich nicht verlassen.“, warf sie daher leise dazwischen und schmiegte zart ihre Wange an seiner. „Meine Entscheidung war falsch. Bitte verzeih mir.

Sein Puls begann sich spürbar zu beschleunigen, während sein Atem in flachen Stößen über ihren Nacken strich.

„Nur ein einziger, richtiger Kuss und ich lasse euch beide in Frieden.“ Sie zog sich zurück, jedoch nur soweit, dass sie nur noch die Augen des jeweils anderen sehen konnten, während ihr Atem sich miteinander vermischte. Ihre Lippen trennte kaum ein halber Zentimeter, aber Dean musste auf sie zugehen, es hätte nichts gebracht, wenn sie es für ihn getan hätte.

Das Gold in seinen Augen begann das matte Schwarz seiner Pupillen zurückzudrängen, sich auszudehnen, an Glanz zu gewinnen und bei Gott, da war auch so viel Schmerz, dass es ihr selbst die Tränen in die Augen trieb. Aber sie konnte den Blick nicht abwenden, denn hätte sie es getan, ihr wäre vielleicht nur noch eine Wahl geblieben, um ihn wieder zurückzuholen. Eine die ihr absolut nicht gefallen und vollkommen widerstrebt hätte. Sie hätte Dean befehlen müssen, seinen Wolf wieder freizulassen und vielleicht hätte er ihr genau das, am Ende niemals verziehen.

Doch so kam er ihr Herzschlag für Herzschlag immer näher, bis seine kraftlosen Lippen sich auf ihren Mund legten. Zuerst zögerlich, doch dann schon lebhafter, bis seine Hand sie grob im Genick packte und sie an sich zog, als wolle er ihr direkt den Atem aus den Lungen saugen.

Seine Lider pressten sich dabei gequält zusammen, während eine tiefe Furche zwischen seinen Augenbrauen entstand. Heiße Tränen quollen schließlich aus seinen Augenwinkeln hervor, bevor sich seine Lippen mit einem lauten Schluchzen von ihr lösten und sein ganzer Körper von einem heftigen Beben durchgeschüttelt wurde.

Delilah schlang sofort ihre Arme um Dean und hielt ihn fest, nachdem er zu ihr auf den Boden geglitten und zu einem Häufchen Elend zusammen gesunken war.

Auch James war plötzlich an ihrer Seite, legte seine Arme um seinen Bruder und sprach beruhigend auf ihn ein. „Ist schon gut, D. Lass ihn raus. Es wird alles wieder gut.“

Obwohl sie es kaum noch für möglich hielt, wurde Deans Körper daraufhin noch stärker durchgeschüttelt und das Schluchzen nahm Ausmaße an, wie sie sie noch nie bei einem Mann gehört hatte.

51. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

52. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

53. Kapitel

Tja, ehm. Hi, Leute.
 

Ich weiß eigentlich gar nicht so recht, was ich sagen soll. Vielleicht sollte ich hier eher Mal Staubwischen und Spinnweben entfernen, was ich mit diesem Kapitel dann auch hoffentlich getan habe.

Tut mir wirklich sehr leid, wegen der einjährigen *schluck* Abwesenheit. Es schockiert mich selbst immer noch und das wird sich auch nicht so schnell wieder ändern. Aber ihr sollt wissen, dass ich mir dieses Kapitel wirklich mühsamst abgerungen habe, da mein Kopf eigentlich tausend andere Ideen zu einem halben Dutzend ungeschriebener Geschichten hatte und dennoch bin ich stur geblieben und hab erst hier gepostet, bevor ich irgendwas Neues angehe.
 

Ich will euch eigentlich auch gar nicht länger aufhalten, aber eines muss ich auf jeden Fall noch erledigen und zwar mich noch herzlich bei Rabenkraehe für den wunderschönen Kommentar bedanken. Tut mir leid, dass ich dir die ganze Zeit über nicht geantwortet habe. Ich hoffe, das wird sich in Zukunft wieder bessern. Ich habe mich aber wirklich sehr über deine Worte gefreut!
 

Zum Schluss nur noch eine Kleinigkeit für diejenigen, die sich vielleicht wundern werden, warum ich Elijah jetzt mit 'h' schreibe.

Es gefällt mir jetzt ehrlich gesagt einfach sehr viel besser und wird, sofern ich mal zur kompletten Überarbeitung der Geschichte kommen sollte, dann auch bei den vorangegangenen Kapitel geändert.
 

Alles Liebe wünsche ich euch.

Eure Darklover
 

********************
 

Sie war nervös.

Eine Tatsache, die sie vor jemand anderem nicht hätte zugeben wollen. Aber die Zeichen waren unleugbar da. Die Finger ihrer linken Hand trommelten schon eine ganze Weile rhythmisch auf das harte Holz der Tischplatte, während ihre andere Hand geradezu hektisch die kleine Computermaus über das Mousepad jagte und sich härter als nötig durch das World Wide Web klickte.

Artikel und Bilder zogen vor ihren Augen über den Bildschirm, ohne wirklich wahrgenommen zu werden. Stattdessen schien sich die Digitalanzeige der Uhr in der rechten oberen Ecke immer mehr in den Mittelpunkt zu drängen, obwohl das absolut lächerlich war.

Delilah schaute trotzdem hin.

Ein genervtes Stöhnen unterdrückend, da seit ihrem letzten Blick gerade einmal dreißig Sekunden vergangen waren, schnappte sie sich einen der zahlreichen Kugelschreiber vom Tisch und lehnte sich in Elijahs gemütlichem Bürosessel zurück, den sie netterweise benutzen durfte. Genauso wie einen der beiden anderen Computer mit denen er nicht direkt arbeitete, um die Rechnungen für die Kunden zu schreiben.

Der Stift half zumindest ihre Finger zu beschäftigen, während ihre Gedanken sehr viel schwerer zu beruhigen waren. Eigentlich hätte Delilah angenommen, dass ein bisschen Surfen im Internet sie ablenken würde, so wie es in den letzten Tagen der Fall gewesen war. Denn das war so ziemlich ihre einzige Möglichkeit sich besser auf die kommenden Wochen der Schwangerschaft, die bevorstehende Geburt und alles was danach noch relevant sein würde, vorzubereiten. Klar hätte sie auch die Brüder bitten können, mit ihr in die Stadt zu fahren, um einen Berg an Schwangerschaftsbüchern zu kaufen. Aber letztendlich war sie der Ansicht gewesen, dass das Internet ohnehin eine unendliche Fülle an Informationen bezüglich dieser Themen bereithielt und sie sich das Geld für wichtigere Sachen aufsparen sollten.

Delilah graute ohnehin jedes Mal bei dem Gedanken, dass sie absolut nichts zu den Dingen beisteuern konnte, die ihr Baby in Zukunft brauchen würde, da sie weder Ersparnisse noch einen Job hatte.

Der Ausdruck ’Rabenmutter' war da noch untertrieben. Nestbautechnisch versagte sie auf ganzer Linie. Sie steuerte lediglich das Baby bei und selbst das anfänglich nicht einmal wirklich gewollt.

Der Kugelschreiber landete mit einem leisen Klacken auf dem Schreibtisch und rollte dann auf der Flucht vor ihr über das glatte Holz davon. Delilah vergrub währenddessen ihr Gesicht hinter ihren schwitzigen Händen und versuchte diese negativen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen.

Denk positiv, Süße. Tu’s für dein Baby.

Während sie sich die Schläfen massierte, versuchte Delilah an nichts zu denken. Aber ihr Verstand wollte nicht so recht mitmachen. Wieder fiel ihr Blick auf die Uhr. Wieder waren kaum zwei Minuten vergangen. Dieses Mal konnte sie das genervte Stöhnen nicht mehr unterdrücken.

„Wo bleiben sie bloß?“

Nicht länger fähig, ruhig sitzen zu bleiben, hievte Delilah sich von dem bequemen Stuhl hoch in die Senkrechte und ging zu dem großen Bürofenster hinüber, um einen Blick nach draußen zu werfen. Es standen diverse Autos in der Einfahrt. Einige warteten bereits darauf, von ihren Besitzern wieder abgeholt zu werden, während andere erst noch für verschiedenste Arbeiten drangenommen werden mussten. Aber so unterschiedlich die Modelle auch waren, der alte Pick-up der McKenzies war nicht dabei.

Es hätte sie auch gewundert, wenn sie die Ankunft der Zwillinge verpasst hätte. Ein gut gedrillter Wachhund war nichts gegen ihre Wölfin.

Ohne es zu wollen, mischte sich nun auch Sorge unter ihre bereits vorhandene Nervosität. Konnte es wirklich den ganzen Tag dauern, um sich für ein ausreichend großes Bett zu entscheiden, es zu kaufen, einzuladen und dann damit nach Hause zu fahren?

Und wenn ihnen etwas passiert ist?

Delilah dachte dabei nicht einmal an eine Panne oder gar einen Unfall. Nein, ihre Sorge hing direkt mit der sie nervös machenden Tatsache zusammen, dass die Brüder zum ersten Mal seit dem Entschluss, den sie alle drei getroffen hatten, alleine unterwegs waren. Ganz ohne Delilah, die bisher bei jeder aufziehenden Gewitterfront der Gefühle dafür gesorgt hatte, dass sie sich ebenso schnell wieder verzog, wie sie gekommen war.

Denn Eifersucht stand leider immer noch ganz oben auf ihrer Dreiecksbeziehungshitliste und die einzige bislang wirksame Methode, dem beizukommen, war intensive Nähe. Am besten schon lange, bevor überhaupt der Hauch von Eifersucht aufkam.

Für ihre Jungs bedeutete das ein entspannterer Umgang miteinander und für Delilah die bislang sexuell intensivste Woche ihres Lebens. Powerkuscheln bekam eine völlig neue Bedeutung, während ihre Erfahrung mit Sex an ungewöhnlichen Orten immer weiter zunahm. Was sie eigentlich selbst kaum glauben konnte.

Im Grunde genommen sollte sie von den ganzen Aktivitäten mit ihren Männern völlig erschöpft und geradezu gesättigt sein, aber tatsächlich verhielt es sich eher so, dass sie die kostbare Zeit sehr schnell vermisste, in der sie mit einem der Brüder ganz für sich alleine sein konnte. Es waren immerhin die wenigen Momente, in denen sie nicht das Gefühl hatte, sich zweiteilen zu müssen, obwohl die Jungs sich wirklich mühe gaben, nicht ständig gleichzeitig um ihre Aufmerksamkeit zu buhlen.

Vielleicht war es sogar ganz gut so, wenn die Brüder wieder mehr Zeit zu zweit verbrachten und ihr geschwisterliches Band neu stärkten. Wäre da nicht auch gleichzeitig die Angst, dass sie wegen irgendetwas in Streit geraten und sich wieder halb zu Tode prügeln könnten. Das letzte Mal hatte Delilah leider immer noch sehr genau vor Augen, auch wenn sie im Moment nicht glaubte, dass es derzeit so weit kommen könnte.

„Trotzdem sollten sie schon längst hier sein, verdammt!“

Mit finsterer Miene wandte sie sich vom Fenster ab und ging im Büro etwas auf und ab, während sie sich die schmerzenden Muskeln in ihrem Kreuz massierte. Nichts was ihr Grund zur Sorge gab. Sie war viel zu lange gesessen, ohne sich zwischendurch die Beine zu vertreten und dabei war sie noch nicht einmal großartig mit ihrer Informationssuche weitergekommen.

Gerade als sie sich wieder zurück in den Bürosessel fallen ließ, konnte Delilah ein Auto in die Auffahrt einbiegen hören. Das befremdliche Geräusch des Motors sagte ihr allerdings sofort, dass es der alte Pick-up nicht sein konnte. Dennoch rollte sie mit einem Funken Hoffnung in der Brust mit dem Stuhl um den Schreibtisch herum und spähte aus dem blankgeputzten Fenster.

Wie erwartet waren es nicht ihre Männer, sondern ein gelbes Taxi mit einer älteren Frau als Fahrgast, die sich gerade mühsam von der Rückbank quälte.

Delilah rollte wieder zum Schreibtisch zurück und angelte nach Elijahs Kalender, während sie über die Unverschämtheit des Taxifahrers nachdachte. Er hätte Mrs. ... Kinsey wenigstens die Tür aufhalten können.

Sofern das wirklich Mrs. Kinsey war, bedeutete das, dass zumindest eine Person an diesem Tag pünktlich kam.

Delilah fand auch rasch in dem sauber geordneten Ablagesystem das Klemmbrett mit dem Auftrag der alten Dame und überflog ihn kurz. Nicht, dass sie sich tatsächlich mit dieser Thematik auskannte, aber zumindest konnte sie nach einiger Zeit, die sie zusammen mit Elijah in diesem Büro verbracht hatte, sagen, wann ein Auftrag abgeschlossen war. Der hier war bereits seit gestern fertig.

Da derzeit nur ein alter Chevy bei ihnen in der Einfahrt stand, schnappte Delilah sich den dazu passenden Schlüssel und den darunterliegenden Zulassungsschein aus der dafür vorgesehenen Schublade und legte alles zusammen auf Elijahs Platz.

Kaum dass sie wieder vor ihren Bildschirm gerollt war, öffnete sich die Bürotür und die ältere Dame kam auf einem schlichten Gehstock gestützt herein.

„Guten Tag“, begrüßte Delilah sie höflich. Denn auch wenn sie hier nicht arbeitete und auch gar nicht den Eindruck erwecken wollte, so war ihr doch sehr wohl bewusst, was das Wort ’Image' bedeutete.

„Guten Tag.“

„Mrs. ... Kinsey?“ Delilah schielte noch einmal auf den Kalender.

„Ja, die bin ich.“

„Sehr gut. Soweit ich das beurteilen kann, ist Ihr Wagen schon fertig. Aber Elijah wird sicher jeden Moment kommen und Ihnen Genaueres sagen können.“

Bevor die alte Dame mit dem weißen Haardutt sich noch schwerer auf ihren Gehstock stützen konnte, deutete Delilah mit einem höflichen Lächeln auf die Sitzecke mit den Zeitschriften und dem Getränkeautomaten. „Setzen sie sich doch für einen Moment.“

„Vielen Dank.“ Die betagte Lady schlurfte langsam hinüber, wobei sich ihr schlichter, knielanger Rock kaum bewegte und ließ sich seufzend auf die weiche Ledercouch nieder, ihre winzige Handtasche dabei akkurat auf dem Schoß balancierend.

Mal sehen, ob sie auch alleine wieder von dort hochkam. Zumindest würde Delilah nicht die Unverschämtheit des Taxifahrers besitzen und ihr dabei helfen, sollte es nötig sein.

„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, während Sie warten? Wasser oder Saft vielleicht?“

Lange würde sie sicher nicht warten müssen, da Elijah bestimmt das Taxi gehört hatte und bald nachschauen kam, ob ein Kunde etwas brauchte. Schließlich war die meiste Zeit niemand da, der im Büro die Stellung hielt, während die Männer in der Werkstatt arbeiteten. Aber zumindest im Moment konnte Delilah diesen leeren Posten besetzen.

„Ja, bitte. Wasser wäre eine gute Idee.“

Delilah erwiderte das faltige Lächeln der alten Dame und erhob sich, nachdem sie noch rasch alle Browserfenster geschlossen hatte. Sie würde heute ohnehin keine wichtigen Informationen mehr aufnehmen können.

Der Wasserspender stand zwar kaum zwei Meter von der Sitzecke entfernt und war für jeden Kunden frei zugänglich - ein kleiner Service sozusagen - aber sie wollte Mrs. Kinsey nicht gleich wieder von dem Leder hochjagen, also ging sie selbst.

„Oh. Wie weit sind Sie denn?“

Delilah musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, was die alte Dame meinte. Es war schließlich nicht das erste Mal in dieser Woche, dass sie danach gefragt wurde.

„Ungefähr in der 23. Schwangerschaftswoche.“

Während sie mit der einen Hand auf die Taste für das kalte Wasser drückte, strich sie sich mit der anderen sanft über die Rundung ihres Bauches, wie sie es sehr oft den Tag über machte. Es gab ihr einfach ein gutes Gefühl und bisweilen konnte sie dann auch mit ihrer Hand die kleinen Tritte und Bewegungen fühlen, die immer deutlicher wahrzunehmen waren, je weiter die Schwangerschaft voranschritt.

Das kleine Spektakel, als ihre Jungs zum ersten Mal das Baby richtig hatten fühlen können, würde sie nie vergessen und immer als einen kostbaren Schatz in ihrem Herzen behalten.

Es war einer der wenigen Tage bisher gewesen, an denen sie einfach nur noch pures Glück empfunden und den Rest der Sorgen vergessen hatte.

Im Moment konnte sie nichts fühlen, weder einen Tritt noch irgendeine andere Bewegung. Aber das beunruhigte sie nicht weiter. Delilah wusste inzwischen, wann ihr Baby schlief und es entging ihr auf keinen Fall, wenn es das nicht tat. Nicht einmal, wenn sie selbst im Tiefschlaf war und mal wieder in der Nacht aufgeweckt wurde.

„Und wissen Sie auch schon, was es wird?“

Delilah füllte sich selbst auch einen Becher mit Wasser, bevor sie einen an Mrs. Kinsey weitergab, die ihr leise dafür dankte und geduldig auf eine Antwort wartete. Nicht wissend, ob sie sich wieder an ihren Platz oder doch auf einen der Ledersessel setzen sollte, blieb sie für einen Moment stehen.

„Ich lasse mich lieber überraschen.“ Sie nahm einen großen Schluck und meinte dann: „Hauptsache es ist gesund.“

„Da kann ich Ihnen nur zustimmen.“ Mrs. Kinsey nippte nur kurz an ihrem Becher, bevor sie ihn auf den kleinen Glastisch stellte. Offenbar war ihr Durst nach Neuigkeiten größer, als der nach Wasser.

„Und Sie arbeiten hier?“

„Oh nein.“ Delilah winkte lächelnd ab. „Ich wohne hier und Elijah ist so nett, mich ab und zu ins Internet zu lassen.“

Der graublaue Blick der alten Lady wurde vor Überraschung ganz groß. „Tatsächlich? Ich hatte ja keine Ahnung! Wer ist denn der Glückliche? James oder Dean? Mr. McKenzie wird es ja wohl nicht sein. Dafür sind Sie eindeutig noch zu jung, meine Liebe.“

Es war ein gut gemeinter Scherz, dennoch sackte mit einem Schlag Delilah all ihr Blut in die Beine und sie musste sich nun doch setzen. Sie hatte ja nicht ahnen können, was für Stolpersteine die harmlosen Fragen von Mrs. Kinsey aufwarfen.

„Ehm ... “, stammelte sie hilflos und wusste nicht so recht, wie sie antworten sollte. Es war schon für jemanden in ihrem Alter schwer zu verstehen, wenn eine Frau mit zwei Männern zusammen war. Aber der Jahrgang dieser alten Lady? Da wäre es ja noch das geringere Übel, dass sie nicht verheiratet war und selbst das müsste sie eigentlich schon in die Hölle bringen.

Am liebsten hätte Delilah sich vor Elijah auf den Boden geworfen und ihm die Füße geküsst, als er sie just in diesem Moment aus ihrer Zwangslage befreite und durch die Tür zur Werkstatt kam.

„Ah, Mrs. Kinsey. Wie ich sehe, sind Sie bereits gut versorgt worden.“ Der alte Werwolf kam mit einem höflichen Ausdruck auf dem Gesicht zu ihnen herüber und schüttelte Mrs. Kinsey die Hand. Er lächelte zwar nicht, aber das war schon mehr, als die meisten von ihnen zu Gesicht bekamen.

„Ja, sehr gut. Sie ist wirklich ein reizendes Mädchen. Und wie ich hörte, darf man Ihnen gratulieren.“

Elijah zog seine Hand langsam wieder zurück, und obwohl er es nicht so offensichtlich zeigte, stand doch Verwirrung in seinen Augen. Genauso wie in Delilahs.

War das vorhin vielleicht doch kein Scherz gewesen?

„Na, sie werden Großvater!“

Erleichtert ließ sie sich wieder zurücksinken und atmete erst einmal tief durch, bis ihr klar wurde, dass sie eigentlich noch gar nicht so genau wusste, was Elijah von dieser neuen Rolle überhaupt hielt, die da auf ihn zukam.

Klar, er war ihr gegenüber inzwischen sanfter geworden und hatte eindeutig seine Vorurteile fallen gelassen. Er hatte ihr sogar dabei geholfen, ihre Beziehung zu kitten. Aber das alles musste noch lange nicht heißen, dass er gerne Opa wurde und bis zu diesem Augenblick war Delilah nicht klar gewesen, wie viel ihr gerade das bedeuten würde.

Wohl zur Verblüffung aller Beteiligten zupfte plötzlich ein kleines Lächeln an Elijahs Mundwinkeln und ließ die Strenge in seinen vernarbten Zügen für einen Moment vollkommen verschwinden.

Delilah hörte nicht genau, was er Mrs. Kinsey antwortete. Viel zu baff starrte sie ihn einfach nur an und musste sich schließlich selbst daran erinnern, den Mund wieder zuzumachen, gerade als Elijah der alten Dame von der Couch hoch half und zur Ablage mit den Klemmbrettern hinüber ging.

Als sich seine Stirn fragend runzelte, als er wohl nicht fand, was er suchte, raffte Delilah sich ebenfalls auf und deutete im Gehen auf seinen Platz. „Da auf dem Schreibtisch.“

Sein Blick wandte sich erst an sie, folgte dann ihrem ausgestreckten Arm und fand schließlich das, was er gesucht hatte.

Delilah wartete seine Reaktion nicht ab, sondern verabschiedete sich beim Hinausgehen noch von Mrs. Kinsey und verließ dann auch schon das Büro, bevor noch mehr unangenehme Fragen gestellt werden konnten. Es war ohnehin an der Zeit, das Abendessen zuzubereiten.
 

Delilah saß draußen an der frischen Luft auf der Verandaschaukel und hatte das Warten inzwischen aufgegeben. Während des Kochens hatte James kurz angerufen, um ihr mitzuteilen, dass alles in Ordnung sei und dass es etwas spät werden könnte, ohne ihr aber verraten zu wollen, was die Brüder gerade trieben. Also hatte sie alleine zu Abend gegessen, saß hier nun im Dunkeln und schaute Elijah bei der Arbeit zu, der immer noch in der Werkstatt vor sich hin werkelte und sie gar nicht zu bemerken schien, obwohl die Tore weit offen standen.

Das war auch der einzige Grund, weshalb sie so friedlich hier draußen sitzen konnte, ohne auch nur die geringste Spur von Angst zu empfinden. Ihr Alphawolf würde niemals zulassen, dass noch einmal so etwas Schreckliches wie vor ein paar Monaten passierte. Wagen würde es sicher auch keiner.

Gerade als ein weiteres Gähnen sie schüttelte und sie überlegte, ob sie sich nicht einfach in Deans altes Bett schlafen legen sollte, da ihres bereits abgebaut war, stellte ihre Wölfin die Ohren auf und Delilah drehte den Kopf in den sanften Wind, um besser hören zu können.

Ein zunächst unverständliches, aber ihr durchaus bekanntes Geplärre wurde ihr immer lauter zugetragen, bis endlich ihre Jungs in Sicht kamen.

Ein letztes Mal „I’m on the highway to hell“, jaulend bogen sie in die Einfahrt ein und das Lied von AC/DC verstummte, als der Motor erstarb.

James, der dem Haus am nächsten war, schaffte es gerade einmal die Füße auf den Boden zu stellen, als er auch schon mit dem Rücken gegen die Seitenwand des Pick-ups taumelte, nachdem Delilah ihn regelrecht angesprungen war.

Sofort schlangen sich seine Arme um ihre Taille und hielten sie an Ort und Stelle, während er leise in ihr Haar lachte, obwohl ihre eigenen Arme ihn fast erwürgten.

„Ich nehme mal an, du hast uns vermisst.“

„Nein, wie kommst du nur auf diesen abwegigen Gedanken?“ Sie drängte sich noch enger an seine warme Brust und sog tief den herrlichen Duft nach Mann und Wolf in ihre Lungen.

„Keine Ahnung.“ Sein erneutes Lachen brachte ihren Körper zum Vibrieren.

Kurz darauf berührten safte, große Hände ihre nackten Schultern. Eine weitere Brust erwärmte nun auch ihren Rücken, kurz bevor sich eine leicht kratzige Wange an ihrer noch unbesetzten Gesichtshälfte rieb.

„Hey, Süße.“ Deans Stimme war sanft und ruhig, also das krasse Gegenteil von der Karaokeeinlage von gerade eben.

„Hey, Süßer.“ Sie nahm einen Arm von James' Nacken und fuhr beinahe schnurrend durch Deans weichen Haarschopf, dabei genießend die Augen geschlossen.

Sie waren endlich wieder bei ihr. Selbst ihre Wölfin entspannten sich merklich.

Für eine Weile standen sie einfach nur so da, die Nähe genießend, bis ein Schatten das Licht, das von der Werkstatt durch die Dunkelheit auf sie fiel, ihre Aufmerksamkeit erregte.

„Hi, Dad“, begrüßten die Jungs ihren Vater gleichzeitig, der mit einem knappen Nicken antwortete.

„Habt ihr alles bekommen?“

„Ja, auch wenn wir nicht gedacht hätten, dass es so lange dauert.“ Dean trat einen Schritt zurück und auch James stellte sie wieder auf die Füße, aber keiner von den beiden ließ sie endgültig los. Sie war immer noch durch ihre Hände mit ihr verbunden.

„Braucht ihr Hilfe mit dem Bett?“

James schüttelte den Kopf. „Es wird schon gehen, danke.“

„Na dann.“ Elijah wandte sich von ihnen ab und ging zur Werkstatt zurück.

Erst jetzt fiel Delilahs Blick auf die vollbeladene Ladefläche des Pick-ups, über den sich auch noch eine dicke Plane spannte.

„Mein Gott, habt ihr das ganze Möbelhaus leergekauft?“ Sie zupfte halbherzig an einen der straff gespannten Riemen, welche die Ladung sichern sollte und drehte sich dann fragend zu ihren Männern herum. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die sich einen bedeutungsvollen Blick zuwarfen.

„Also?“

Beide lächelten unschuldig.

„Nicht ganz, aber fast.“ James schloss die Tür des Pick-ups, während sein Bruder mit geschickten Fingern die Halterungen zu lösen begann.

„Die anderen Sachen hat Dad angefordert, aber die werden wir erst morgen abladen. Im Moment hat unsere neue Spielwiese oberste Priorität. Auch wenn ich nicht glaube, dass wir sie heute noch richtig einweihen werden. Aber zum Schlafen wird es reichen.“ Er zwinkerte ihr mit einem breiten Grinsen zu.

„Oookay.“

Na da war sie ja mal gespannt, was ihre Jungs ihr da nach Hause gebracht hatten.
 

Obwohl Delilah nicht geglaubt hatte, dass sie bei dem monströsen Paket und dem darin enthaltenen Bett mehr dazu beitragen konnte, als den Zwillingen bloß die Tür aufzuhalten, stellte sich doch bald heraus, dass ihre Anwesenheit von monumentaler Bedeutung war.

Mit Werkzeugen konnten die Jungs umgehen, das musste sie ihnen neidlos zugestehen, doch als die beiden damit anfangen wollten, die ganzen Teile ohne Plan zusammenzubauen, fühlte sie sich schon nach wenigen Minuten dazu genötigt, einzuschreiten.

Eine Diskussion, die wohl so alt war wie die Menschheit selbst, entbrannte und konnte erst dadurch beendet werden, dass Delilah den Akkuschrauber an sich riss und sich selbst ans Werk machen wollte.

Proteste von allen Seiten erklangen. Rasch wurde ihr wieder der Plan in die Hände gedrückt und ein Stuhl heran geschafft, auf den man sie niederzwang und von dem aus sie nun, wenn nötig, Anweisungen geben durfte.

Ein Kompromiss der Delilah innerlich zum Schmunzeln brachte.

Überraschend schnell nahm auf diese Weise ein wahres Ungetüm von einem Bett Gestalt an, das ihr Herz schon bald sehr viel schneller schlagen ließ.

Es war ein Traum!

Mehr als zwei Meter breit und noch um einiges länger, nahm es wesentlich mehr Platz als das alte Bett im Raum ein, aber dafür sah es wie für sie drei gemacht aus.

Helles, geöltes Holz, dessen Art sie nicht genau bestimmen konnte, bildete nicht nur den Rahmen und das massive Kopfteil, sondern es befanden sich auch an allen vier Ecken gerundete Pfosten, die fast so dick wie ihr Kopf breit waren und selbst den wildesten Attacken von Krallen standhalten würden. Ein Umstand, bei dem die Brüder wirklich mitgedacht hatten.

Einen Himmel gab es zwar nicht, aber mit weißem Leinenstoff oder etwas in dieser Art konnte man die Sache einfach und effizient noch verschönern.

Zudem war das Bett an drei Seiten offen zugänglich, was es Delilah besonders nachts ermöglichen würde, nicht mehr ständig über einen ihrer Männer klettern zu müssen, wenn wieder einmal die Blase drückte.

Sogar der Lattenrost sah verflucht teuer aus und als kurz darauf auch noch die dicke und erfreulicherweise durchgehende Matratze folgte, konnte Delilah sich nur noch mit Müh und Not davon abhalten, sich auf diesen weißen Traum zu werfen und auf der Stelle einzuschlafen. Stattdessen bezog sie das Bett, während die Zwillinge die restliche Verpackung nach draußen brachten und noch schnell den Staubsauger schwangen.

Danach schickte Delilah die beiden zum Abendessen. Sie selbst duschte nur kurz und kroch dann glücklich, aber doch schon ziemlich ermattet über diese perfekte Matratze, die weder zu hart, noch zu weich war, und ließ sich in das mittlere der drei Kissen sinken. Sie schaffte es noch nicht einmal mehr, die Decke hochzuziehen, da war sie auch schon eingeschlafen.
 

Die Tatsachen sprachen für sich, dass sie kaum spüren konnte, wie sich auf jeder ihrer Seiten etwas regte. Bei ihrem alten Bett war sie der jeweiligen Gewichtsverlagerung entgegen gerutscht, doch bei diesem hier, blieb sie an Ort und Stelle.

Da die Rückenlage langsam zu unbequem geworden war, trotz der himmlischen Matratze, drehte sie sich auf Deans Seite und das inzwischen eingespielte Team ihrer Männer, wusste genau, wie es sich positionieren musste, um es ihr bequemer zu machen, obwohl sie das nie von ihnen verlangen würde. James kuschelte sich von hinten an ihren Rücken und drängte sanft sein Knie ein Stück zwischen ihre Oberschenkel, was ihr Becken sofort entlastete.

Seine warme Stirn blieb in ihrem Nacken liegen, so dass bei jedem seiner Atemzüge ein leiser Schauder ihren Körper erfasste, bis er seine endgültige Schlafposition mit seiner Hand an ihrem Bauch gefunden hatte.

Dean hingegen ließ sich in der Zwischenzeit dicht neben ihr halb auf den Rücken nieder und schob ihr nicht nur seinen Ellenbogen unter den Kopf und das Kissen, sondern auch seinen Bauch halb unter den ihren.

Danach ergriff er liebevoll ihre Hand, hauchte einen Kuss auf den sensiblen Rücken und schmiegte sie an seine heiße Brust.

Zuletzt bettete er seine Wange an ihre Stirn, so dass diese sich leicht berührten, und hauchte ihr ein kaum wahrnehmbares „Gute Nacht“ zu, das sie mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen wieder tiefer in den Schlaf geleitete.

Es sollte der beste Schlaf ihres bisherigen Lebens werden.

54. Kapitel

Es duftete im ganzen Haus nach warmem Apfelkuchen und frisch gekochtem Kaffee.

Delilah fühlte sich zwar nicht zum ersten Mal wie ein richtiges Hausmütterchen, doch heute war das Gefühl besonders stark vorhanden. Vielleicht lag es an der gelb geblümten Schürze, die sie gerade noch so zubekam oder den für sie ungewöhnlich hochgesteckten Haaren, die zu einem perfekten Dutt zusammengedreht waren, ohne dass es auch nur einem einzigen Härchen erlaubt gewesen wäre, in eine falsche Richtung zu schauen.

Ganz sicher aber trug ihr Bedürfnis nach einer völlig makellosen Umgebung zu diesem Gefühl bei. Immerhin hatte sie die letzten Tage wie eine Irre geputzt, auch wenn es dank ihres gewaltigen Umfangs nur sehr langsam vonstattengegangen war. Selbst ihre Männer waren nicht vor ihrem Reinlichkeitsfanatismus gefeit gewesen und hatten tatkräftig mithelfen müssen, sofern sie nicht den Zorn einer hochschwangeren, verunsicherten Wölfin auf sich ziehen wollten.

Auch jetzt noch war da dieses nagende Gefühl in Delilah, dass es nicht reichen würde. Dass all ihre Mühen, all ihr Bestreben das Bild einer perfekten Hausfrau und künftigen Mutter zu verkörpern nicht ausreichen würden. Dass sie einfach nicht gut genug sein würde. Immerhin war sie nur eine Wölfin.

Bis vor einiger Zeit war dieses ’nur' kein Thema für sie gewesen, immerhin liebten die Zwillinge sie so, wie sie war, und wollten sie gar nicht anders. Zumindest hatten sie ihr das oft genug versichert. Auch Elijah akzeptierte sie vorbehaltlos als ein Mitglied seines Rudels, obwohl gerade er sie am Anfang gar nicht hatte akzeptieren können.

Woher kam also Delilahs plötzlicher Zweifel an ihrer DNA?

Ihr entkam ein tiefer Seufzer bei diesem Gedanken und sie rückte noch einmal den Kaffeelöffel im perfekten Winkel zur Tasse. Sie wusste die Antwort darauf doch schon längst.

Es waren die vielen Abfuhren, die sie erteilt bekommen hatte.

Nicht von Männern. Das wäre ihr herzlich egal gewesen und war auch selten genug vorgekommen. Nein, es handelte sich hierbei um etwas viel Schlimmeres - Geburtshelferinnen!

Sämtliche übernatürlichen Hebammen, die es in Great Falls und Umgebung sogar überraschend häufig gab, hatten sie einfach abgewiesen. Nicht jede hatte den wahren Grund ihrer Ablehnung genannt, aber dennoch war klar gewesen, was wirklich das Problem mit Delilah war. Sie war einfach kein reinblütiger Werwolf.

Inzwischen kam ihr das Great Falls Rudel wie die verdammte Mafia vor, mit seinen weitverzweigten Netzwerken an Personen, die sie alle voll und ganz im Griff hatte.

Bestimmt nahmen sie ihr das mit Nadine immer noch übel. Aber mal ganz ehrlich, wie nachtragend konnte man denn sein? Auf eine Schlampe mehr oder weniger in der Stadt kam es doch wohl nicht an, oder vielleicht doch?

Ob so oder so. Keine der Hebammen, die in Frage gekommen wären, wollten Delilah treffen, geschweige denn betreuen. Selbst Young war schon mit dem Latein ziemlich am Ende gewesen, obwohl er wirklich sehr überzeugend sein konnte. Nun zumindest überzeugend genug, so dass er am Ende doch noch eine mögliche Kandidatin hatte ausfindig machen können, die bereit war, sich mit Delilah zu treffen.

Hoffentlich war das keine von der Sorte, die nur gekommen war, um ihr etwas vorzuheucheln, damit sie beim nächsten Kaffeeklatsch mit ihren Kolleginnen etwas zum Erzählen hatte.

Delilah durfte bloß nicht dran denken, sonst würde ihr nur ganz schlecht werden.

Sie ließ einen letzten mehr als kritischen Blick über den gedeckten Tisch gleiten und gab sich dann damit zufrieden. Mehr konnte sie einfach nicht tun.

Zumindest war ihr Timing perfekt. Delilah holte gerade den Kuchen aus dem Ofen, als sie ein Auto in die Einfahrt fahren hören konnte. Da Sonntag war, musste es ihr erwarteter Besuch sein.

Schnell warf sie die Ofenhandschuhe zur Seite und riss sich die Schürze vom Leib. Auf dem Weg zur Tür zupfte sie noch einmal ihre Kleidung zurecht, überprüfte den Sitz ihrer Haare und atmete ein letztes Mal tief durch, bevor sie diese öffnete.

Delilah hatte keine Ahnung, was genau sie nun erwartet hatte. Vielleicht so etwas in Richtung Gouvernante oder alte Fregatte, die von oben auf sie herabblicken würde, aber sicherlich nicht mit der ungewöhnlich sympathisch aussehenden Frau, die ganz vergessen zu haben schien, dass sie eigentlich aus dem Wagen hatte aussteigen wollen. Stattdessen war sie zwischen Tür und Angel hängen geblieben und sah sich mit großen, ehrlich interessierten Augen um. Ein Fuß im Wagen, der andere auf dem schneebedeckten Boden.

Als ihr Blick schließlich den von Delilah traf, erschien nicht nur ein überraschend warmes Lächeln auf ihren Lippen, sondern es kam auch wieder Bewegung in sie.

Delilah erwiderte das Lächeln zunächst noch etwas zurückhaltend, aber je mehr sie von der Präsenz dieser Frau eingenommen wurde, umso stärker wurde es, bis sie ihr Gegenüber regelrecht anstrahlte.

„Hallo, du musst Delilah sein.“ Ihr Besuch nahm die buntgemusterte Mütze ab und ein Schwall aus haselnussbraunen Locken ergoss sich über die Schultern der Frau, die nur um wenige Zentimeter größer war als Delilah selbst.

„Ich bin Holly Grey. Aber nenn mich ruhig Holly.“ Ihre Hand, die sie Delilah entgegen streckte, war ebenso braun, wie der Rest von ihr und wunderbar warm.

„Gerne.“ Das meinte sie sogar tatsächlich so. „Komm doch rein. Der Kuchen ist gerade fertig geworden.“

„Danke, aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Ich weiß schließlich, wie mühsam es ist, in der Küche zu stehen und dabei eine große Wassermelone vor sich herzutragen. Wenn das mal reicht. Du scheinst schon sehr viel weiter zu sein, als ich angenommen hatte.“ Holly schlüpfte aus ihren Boots und zog den ebenso bunten Mantel aus, der ein ungewöhnliches aber doch irgendwie total stylisches Design hatte.

„Ja, ich bin gerade im Endspurt. Nur noch knapp fünf Wochen, dann ist es so weit.“ Delilah wollte den Mantel nehmen, doch stattdessen nahm Holly ihr den Kleiderbügel dankend ab und hängte ihn selbst auf. Delilah mochte auf Anhieb ihren Geruch, obwohl Holly definitiv ein Werwolf war. Dennoch war ihre anfängliche Angst fast schon wie weggeblasen und das war wirklich bemerkenswert.

„Da komme ich ja gerade noch rechtzeitig. Dr. Young hat mir zwar erzählt, dass er dich bisher betreut hat, aber er ist ein vielbeschäftigter Mann. Ich kann mir vorstellen, dass da einiges auf der Strecke geblieben ist.“

Für einen Moment wurde Delilah wieder vorsichtig, während sie ihren Gast in die Wohnküche führte, und befürchtete einen versteckten Seitenhieb, besser gesagt Kritik an ihr und dass sie nicht gut genug auf die Geburt vorbereitet war. Sie hätte sich das Gefühl sparen können.

„Keine Sorge, das kriegen wir schon hin und die Geburt selber ist weniger kompliziert, als man glauben mag. Im Grunde genommen ist die Praxis ohnehin der beste Lehrer.“ Wie schon zuvor in der Einfahrt sah sich Holly aufmerksam, jedoch nicht kritisch um. Es war viel mehr sehr viel Neugierde in ihren smaragdgrünen Augen zu sehen, und wenn Delilah es nicht besser wüsste, würde sie meinen, dass ihr sogar ein Hauch von Nervosität anhaftete.

„Setz dich doch.“ Sie deutete auf einen der Stühle, doch Holly winkte schmunzelnd ab.

„Ich helfe dir lieber mit dem Kuchen. Der duftet wirklich ausgesprochen lecker.“

„Danke und ehm ... danke.“ Sie mussten beide grinsen.

„Und du hast selber auch Kinder?“, wollte Delilah wissen, nachdem sie den Kuchen angeschnitten und auf die beiden vorbereiteten Teller verteilt hatten.

„Ja. Meine Tochter Lucy. Sie ist sechzehn und treibt mich regelmäßig in den Wahnsinn.“

Delilah sah in Hollys Gesicht, die Liebe einer Mutter, die selbst über den täglichen Wahnsinn hinaus unerschütterlich blieb. Ob sie auch einmal so sein würde?

Ganz bestimmt. Schließlich liebte sie ihr kleines Trampeltierchen selbst dann über alles, wenn wieder einmal eines ihrer Organe als Boxsack herhalten musste.

„Teenager eben. Wir waren doch alle nicht ganz einfach, möchte ich wetten.“ Sie holte noch die frisch geschlagene Sahne aus dem Kühlschrank und begab sich dann mit Holly an den Tisch.

„DAS stimmt allerdings.“

Der Kuchen war noch sehr heiß und daher stärkten sich die beiden Frauen vorerst mit ihren Getränken. Ihr Gast genoss den frisch gebrühten Kaffee und Delilah hielt sich nur allzu gerne an ihren Früchtetee.

Holly war eine bemerkenswerte Werwölfin. Offen und herzlich und gerne auch zu der einen oder anderen nett gemeinten Neckerei aufgelegt. Man fühlte sich sofort wohl in ihrer Nähe und Delilah hatte schon längst vergessen, dass sie eigentlich hätte nervös sein sollen. Die ältere Frau schaffte es einfach jede noch so starke Gefühlsblockade zu überwinden und hatte sie daher sehr schnell um den kleinen Finger gewickelt.

Dennoch blieb Delilah vorsichtig, was gewisse Details in ihrem Leben anging. Sie wollte das hier einfach nicht versauen.

Holly schien das zu spüren und bohrte nicht weiter nach. Stattdessen erzählte sie von sich und ihrem Leben. Dass sie bis vor ein paar Wochen noch mit ihrer Tochter in Australien gelebt hatte, was auch die deutliche Bräune im Winter erklärte.

Ihr Mann starb vor einem Jahr bei einem Löscheinsatz, als wieder einer dieser verheerenden Waldbrände ausgebrochen war. Danach hatte es sie wieder zurück in ihre alte Heimat gezogen und in ihr altes Rudel oder besser gesagt, wollte Holly einfach, dass ihre Tochter auch weiterhin in einem starken Rudel unter Gleichgesinnten aufwuchs. Gerade jetzt war das für sie als junge Werwölfin besonders wichtig. Auch wenn es ihr selbst nicht besonders viel bedeutete. Was auch am Ende erklärte, warum Holly keinerlei Vorbehalte Delilah gegenüber hatte. Es kümmerte sie einfach nicht, dass sie lediglich eine Gestaltwandlerwölfin war. Viel mehr regten sie die engstirnigen Ansichten des Great Falls Rudels auf. Aber das würde wohl auch in hundert Jahren nicht dazu in der Lage sein, seine Meinungen und Vorbehalte zu ändern. Und wenn man dazu noch bedachte, was für Rudelmitglieder es beherbergte, unter anderem auch solche wie Nadine, da verzichtete man doch gerne auf eine Mitgliedschaft. Zumindest war das Delilahs unausgesprochene Meinung zu dem Thema.

„Und meinst du, ich bekomme auch einmal den werdenden Vater zu Gesicht?“, warf Holly schließlich ein, während sie sich gesättigt von dem Apfelkuchen zurück in ihren Stuhl lehnte. „Ich muss doch schließlich wissen, wen ich schon bald ordentlich einspannen werde, damit du dich in den nächsten Wochen noch in Ruhe vorbereiten kannst.“

Delilah schob ebenfalls wohlig satt den Teller von sich und überlegte kurz. „Am besten wir machen einen kleinen Abstecher in die Werkstatt.“

Zwar hatte sie keine Angst mehr vor Hollys Reaktion, was ihre Beziehung zu zwei Männern anging. Aber es war dennoch besser, es ihr zu zeigen, als zu erklären. Also zogen sie sich in Ruhe warm an und stapften anschließend durch den Schnee in Richtung Büro.

„Es hat sich ganz schön viel verändert. Wenn ich daran denke, wie es hier früher ausgesehen hat...“

„Du warst schon einmal hier?“ Das wunderte Delilah doch irgendwie. Immerhin lagen sie ein gutes Stück außerhalb von Great Falls.

„Ja, in einem anderen Leben.“ Holly zwinkerte ihr zu, gab ihr aber zu verstehen, dass das jetzt nicht weiter wichtig war, also klopften sie ihre Schuhe ab und betraten das angenehm beheizte Büro.

Es lief nur Elijahs PC, auf dem ein paar Datensätze zu sehen waren, ansonsten spielte sich alles wie immer in der Werkstatt selbst ab. Wortwörtlich.

Im Radio lief ’Last Chrismas' perfekt performt von Dean und James McKenzie persönlich. Die nicht nur das Talent hatten den einen oder anderen Ton zu verfehlen, sondern auch gerne mal den Text nach ihren Wünschen dezent ordinär verbogen. Doch das absolute Highlight dieser Show war ihr vollkommen synchroner Po-Wackel-Tanz vor der offenen Motorhaube eines Range Rovers.

Delilah schwoll das Herz bei diesem Anblick an und zugleich musste sie sich zusammenreißen, um die beiden nicht vor den Augen ihres Gasts in den Hintern zu kneifen. Man konnte die beiden doch nur lieben!

Als der Song vorüber war, überraschte Hollys Beifall nicht nur sie, sondern auch die Brüder zuckten erschrocken zusammen und drehten sich dann leicht verlegen zu ihnen herum.

„Das war eine wirklich einmalige Darbietung. Vielen Dank.“ Hollys Lächeln brachte die Zwillinge schließlich zum Grinsen, so dass Delilah die Gunst der Stunde nutzte, zu den beiden hinüberging und einem nach dem anderen einen Kuss auf die Lippen hauchte. Danach drehte sie sich um, nahm beide an den ölverschmierten Händen und hielt sie fest.

„Darf ich vorstellen, die beiden Nachwuchstalente und zukünftigen Väter James und Dean McKenzie. Und das hier ist Holly Grey. Hoffentlich meine zukünftige ... Hebamme ...“

Delilah konnte nicht genau sagen, was Hollys Gesichtszüge entgleisen ließ, aber sie kam auch nicht dazu, nach dem Grund zu fragen, als irgendwo hinter ihnen etwas zu Boden fiel, das einen lauten, metallischen Klang verursachte.

Alle drei drehten sie sich in Richtung Lager herum und Delilah staunte nicht schlecht, einen völlig erstarrten Elijah zu erblicken, der ganz klar nur Augen für Holly hatte.

„Eli?“ Holly machte einen Schritt nach vor. „Bist du es?“ Noch ein Schritt und noch einer, bis sie regelrecht auf Elijah zustürmte und ihn beinahe umgeworfen hätte, wenn er nicht von solch beachtlicher Statur gewesen wäre.

Es war befremdlich mit anzusehen, wie sie schon beinahe wie eine Verrückte an seinem Hals roch, mit ihren zittrigen Händen sein vernarbtes Gesicht befühlte und dabei fest die Beine um seine Taille umschlungen hielt.

„Du bist es wirklich!“ Ihr kamen die Tränen, obwohl sie nun übers ganze Gesicht strahlte und den alten Werwolf kühn und zugleich ungestüm umarmte und ihn regelrecht herzte.

Aber das, was darauf folgte, war wohl das realitätsfernste Phänomen überhaupt.

Elijah schloss seine Arme ebenfalls um Hollys Rücken, drückte seine Nase in ihr Haar und sog tief mit geschlossenen Augen ihren Duft ein. Sein Körper bebte deutlich wahrnehmbar. Aber auch so konnte man sehen, dass ihn das Ganze ganz und gar nicht kalt ließ. Ganz im Gegenteil. So aufgewühlt hatte Delilah ihn noch nie gesehen. Aufgebracht ja, aber diese Art von Emotion war ihr an ihm völlig neu.

„Hast du eine Ahnung, woher sich die beiden kennen?“, wollte James geflüstert leise von seinem Bruder wissen. Der schüttelte nur sprachlos den Kopf.

Delilah wusste es ebenfalls nicht. Holly hatte nicht wirklich etwas erwähnt, aber da sie in Great Falls aufgewachsen war, könnte es natürlich sehr gut sein, dass sie Elijah noch aus ihrer Jungendzeit kannte. Auch wenn sie die beiden auf keinen Fall auf den gleichen Jahrgang schätzte. Aber vielleicht sah Elijah durch die vielen Narben auch einfach älter aus. Das wäre auf jeden Fall möglich.

Da die beiden sich immer noch nicht rührten und regelrecht in dieser Position verharrten, beschloss Delilah, dass es an der Zeit wurde, einen dezenten Abgang zu machen. Dieser Moment war viel zu intim, als dass sie ihm noch länger beiwohnen sollten.

„Feierabend, Jungs.“ Delilah packte die Zwillinge vorne an ihren Overalls und zog sie mit sich in Richtung Büro. So perplex, wie die beiden immer noch waren, war das kein Kunststück, allerdings kamen sie nicht einmal bis ins Freie, als auch schon die Spekulationen losgingen.
 

„Ich schwöre, ich habe ihn noch nie mit einer Frau gesehen!“, tat James für Delilahs Geschmack viel zu lautstark kund, bevor er sich noch ein weiteres Stück Kuchen in den Mund stopfte.

Sie alle drei saßen gemütlich auf der Couch und Delilah war die Einzige, die nicht gerade alles vollbröselte. Vor Hollys Ankunft hätte sie den Jungs dafür die Hölle heißgemacht, jetzt aber war es ihr herzlich egal.

„Ach, ich wusste gar nicht, dass wir nur männliche Kunden haben. Alle anderen müssen wohl Transvestiten gewesen sein.“ Auch Dean haute ordentlich rein. Der Kuchen würde den restlichen Tag wohl nicht überleben.

„Du weißt genau, was ich meine.“

„Ja, schon klar.“ Deans Gabel hielt einen kleinen Moment lang in der Luft inne. „Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass nach Mom da noch irgendeine andere gewesen wäre.“

Delilah nutzte diesen kleinen Augenblick der Unachtsamkeit, zog seinen Arm zu sich rüber und stibitzte ihm seinen Kuchen von der Gabel. Was ihm ein kleines Lächeln entlockte, auf den ein süßer, ebenso kleiner Kuss folgte.

„He und ich?“ James, auf dessen Schoß sie ihre Beine abgelegt hatte, forderte sein Recht ein bisschen länger ein, woraufhin sein Bruder nun unruhig wurde. Kein Wunder. Sie alle litten deutlich unter Sexentzug. Denn obwohl der Geist von Delilah definitiv willig war, war das Fleisch schwach. Die fast schon wehenartigen Kontraktionen nach einem Orgasmus waren einfach zu schmerzhaft und nach ihrer schlimmen Erfahrung zu Anfang der Schwangerschaft auch viel zu beunruhigend, weshalb sie das Ganze letzten Endes abgeblasen hatte. Umso weniger konnte sie daher glauben, was die Jungs da über ihren Vater sagten.

„Ach kommt schon ihr beiden. Ihr wollt doch nicht ernsthaft andeuten, dass Elijah in den letzten zwanzig Jahren wie eine Nonne gelebt hat. Klar er ist irgendwie unheimlich und oft ziemlich kalt, aber ich kann mir vorstellen, dass gerade diese Bad Boy Ausstrahlung ihn auf jeden Fall für die ein oder andere anziehend macht. Zudem sieht er immer noch unbestreitbar gut aus und die Narben sind da nur noch das Sahnehäubchen oben drauf. Gefährlich und heiß. Ich weiß wirklich nicht, was ihr habt.“

Nach diesem langen Monolog sahen ihre beiden Gefährten sie auf eine Weise an, als hätte Delilah sich gerade vor ihren Augen in einen Alien verwandelt.

„Was?“ Breit grinsend pflückte sie sich ein weiteres Stück Kuchen von Deans Teller und steckte es sich in den Mund.

„Sie hat nicht gerade gesagt, dass sie unseren Dad heiß findet, oder D?“ James' fast schon flehentlicher Blick war einfach Gold wert. Der von Dean war hingegen eher gespielt angewidert, so als müsste er gleich würgen. „Ich befürchte schon.“

„Echt krass.“

„Absolut.“

„Tja, so wie ich das sehe, könnt ihr beiden jetzt nur noch eins tun.“ Delilah zog ihre Beine von James' Schoß und stand mit sichtlicher Mühe von der Couch auf. Mit beiden Händen auf ihrem stark gerundeten Leib drehte sie sich herum und blickte beiden abwechselnd in die Augen. „Lebt damit. Ich jeden Falls weiß mein Glück zu schätzen und bin dankbar für die guten Gene, die ihr abbekommen habt. Oh und so wie ich das sehe, könnte es gut sein, dass hier bald wieder Sex in der Luft liegt. Aber macht euch bloß keine allzu großen Hoffnungen. Wir werden es bestimmt nicht sein.“

Delilah machte einen Abgang in Richtung Badezimmer. Die Zwillinge brauchten noch einen Moment, um die Information zu verdauen, doch dann konnte sie hinter sich ihre gemischten Reaktionen hören.

„Oh Mann, Deli! Das Bild bekomm ich nie wieder aus dem Kopf!“, rief James ihr hinterher, während Dean nun tatsächlich Würgegeräusche machte.

Delilah grinste schelmisch. Es konnte wirklich nicht schaden, wenn sich ihre Jungs an den Gedanken gewöhnten, dass auch ihr Dad Sex hatte. Schließlich waren sie alle erwachsen, oder in manchen Fällen, versuchte man zumindest es noch zu werden.
 

Es war schon ziemlich spät, als sich endlich etwas vor dem Haus tat. Delilah und die Brüder hatten es sich fürs Abendprogramm wieder auf der Couch bequem gemacht. Den ersten Film hatten sogar alle noch richtig mitbekommen, doch nun am Ende des zweiten Films schliefen sie in trauter Dreisamkeit und schenkten dem Geschehen im Fernsehen keine weitere Bedeutung.

Im Gegensatz zum Nachmittag hatte es sich Delilah dieses Mal an James' Brust gemütlich gemacht und ließ sich von Deans warmen Händen die Füße wärmen, dessen Kopf schon längst gegen die Rückenlehne der Couch gefallen war. Sein Mund stand halb offen und er gab leise Schnarchgeräusche von sich.

Im Halbschlaf bekam Delilah mit, wie ein Auto wegfuhr. Schwere Stiefel stampften kurz darauf leise den Schnee ab, bevor die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Elijah verschwand für eine Weile in seinem Zimmer und Delilah schlief wieder weiter.

Erst eine Bewegung in der Nähe ihres Bauches ließ sie wieder hochschrecken. Der uralte Instinkt ihr Baby zu beschützen, weckte sie schlagartig auf. Aber es war nur der alte Werwolf, der gerade eine Decke über ihre Beine zog.

„Schlaf ruhig weiter.“ Seine tiefe Stimme war nur ein Flüstern.

Delilah beruhigte sich sofort wieder und legte den Kopf zurück auf James' Brust. Ihr fielen bereits wieder halb die Augen zu, als ihr noch etwas einfiel.

„Holly?“, nuschelte sie in James' T-Shirt.

„Kommt morgen wieder.“

„Das ist gut.“ Sie schloss die Augen wieder, schlief aber nicht weiter, als ihr Elijahs Zögern immer deutlicher Bewusst wurde. Vor allem die Wärme seiner Hand, die sehr klar auf ihren Bauch abstrahlte, war nicht leicht zu ignorieren.

Wäre Delilah richtig wach gewesen, sie hätte es nie gewagt, einfach so nach Elijahs Hand zu greifen und sie an der Stelle auf ihren Bauch zu legen, wo das Baby seinen Kopf deutlich dagegen drückte. Aber sie döste schon wieder halb, bevor sie sich deshalb Gedanken machen konnte. Sie wusste nur, dass sie glücklich und zufrieden war und Elijah von ganzem Herzen daran teilhaben lassen wollte. Er hätte es auf alle Fälle verdient, sein eigenes Glück zu finden. Wer weiß, vielleicht war Holly nicht nur für sie die Rettung.

55. Kapitel

„Es tut mir so wahnsinnig leid! Das war total unprofessionell und es wird garantiert nie wieder vorkommen. Kannst du mir verzeihen?“

Delilah machte einen Schritt zur Seite, um an der riesigen Pralinenschachtel vorbei und in Hollys Gesicht sehen zu können. Die ältere Frau lächelte entschuldigend und wirkte ehrlich geknickt, so dass Delilah ihr sofort verziehen hätte, wenn es denn etwas zu verzeihen gäbe.

„Nur unter einer Bedingung“, meinte sie dennoch gespielt ernst.

Hollys Lächeln wurde leicht angespannt. „Ja?“

„Du kommst rein und wirst meine Hebamme.“ Breit grinsend machte Delilah Platz und öffnete die Tür noch weiter, um der Einladung mehr Nachdruck zu verleihen.

Sichtlich erleichtert sackte Holly in sich zusammen, ehe sie sich noch einmal die Schuhe an der Türmatte abstreifte und hereinkam.

„Danke, dass du mir das von gestern nicht übel nimmst und natürlich werde ich deine Hebamme. Das stand für mich schon fest, bevor ich deinen leckeren Apfelkuchen verschlungen habe.“

Holly nahm die große Pralinenschachtel in die andere Hand und öffnete ihren fabelhaften Mantel, doch bevor sie ihn sich abstreifte, hielt sie Delilah noch einmal die Schokolade hin. „Ich meine, vorausgesetzt dass du mich wirklich als deine Hebamme haben möchtest und die Schokolade hier darfst du ruhig als kleinen Bestechungsversuch ansehen.“

„Danke, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Selbst wenn du nicht die einzige Hebamme wärst, die sich mit mir abgeben will, hätte ich sofort auf der Stelle dich gewählt.“

„Ich versteh immer noch nicht, was meine Kolleginnen gegen dich haben, aber das ist dann ja wohl deren Problem.“ Holly zwinkerte ihr verschwörerisch zu und Delilah nahm ihr die Pralinen ab, damit sie sich endlich Mantel und Schuhe ausziehen konnte.

„Und das wegen gestern, tut mir wirklich ehrlich leid. Aber Eli zu sehen, hat mich einfach total überrascht. Ich dachte, er hätte das Haus hier schon längst aufgegeben und würde irgendwo in der Weltgeschichte herumstreifen. Zum Glück hab ich gleich am Anfang erfahren, dass sein Vater schon seit Jahren tot ist, sonst hätte ich mir zweimal überlegt, hierher zu kommen.“

Delilah musste ihre Neugier stark zügeln, während sie Holly ins Wohnzimmer führte und ihren Worten lauschte.

„Der Kerl muss ziemlich unangenehm gewesen sein, was ich so gehört habe“, meinte sie vorsichtig und legte die Schokolade neben das angerichtete Teeservice auf dem gläsernen Couchtisch. „Ich habe übrigens heiße Schokolade gemacht. Du kannst aber auch gerne Kaffee oder Tee haben, wenn dir das lieber ist.“

„Nein, danke. Heiße Schokolade klingt perfekt und unangenehm ist noch viel zu nett ausgedrückt.“ Holly setzte sich auf Deans Seite der Couch und Delilah schenkte ihr aus der Thermoskanne etwas von dem herrlich duftenden Getränk ein. Sie selber kuschelte sich mit einer Tasse in der Hand in James' Ecke.

„Nick McKenzie war ein riesiges Arschloch und Tyrann. Möge er auf ewig in der Hölle schmoren.“

Beinahe hätte Delilah sich bei der Offenheit die Holly an den Tag legte, verschluckt. Aber sie hätte es vermutlich nicht besser ausdrücken können, wusste sie ja, dass Elijahs Vater alles andere als ein Heiliger gewesen war und das konnte sie allein anhand der wenigen Dinge feststellen, die sie gehört hatte. Bestimmt war das längst nicht alles gewesen.

„Amen, Schwester.“

Das brachte Holly wieder zum Lächeln.

„Entschuldige meine Neugierde, aber wie lange haben du und Elijah euch nicht mehr gesehen?“ Delilah ließ die andere Frau keine Sekunde aus den Augen, während sie einen großen Schluck von ihrem Getränk nahm. Es war faszinierend mit anzusehen, wie alleine die Erwähnung von Elijahs Namen etwas in Hollys Augen zum Strahlen brachte.

„Ungefähr dreißig Jahre.“

„Wow. Das ist eine verflucht lange Zeit.“

Mein Gott, da war ich noch nicht einmal auf der Welt!

„Ja, das ist es wirklich. Ich hätte ihn auch fast nicht erkannt, aber unsere Nasen lügen nicht und sein Geruch hat sich in all der Zeit nicht verändert. Kaum zu glauben, dass er schon zwei erwachsene Söhne hat. Die Zeit vergeht einfach viel zu schnell.“

„Das tut sie wirklich.“ Delilah strich sich nachdenklich über ihren riesigen Bauch und konnte kaum glauben, dass die Schwangerschaft schon fast wieder vorbei war. Es fühlte sich an, als wäre es erst gestern gewesen, als sie auf die Teststreifen gepinkelt hatte.

Andererseits vermisste sie die Zeit danach nicht wirklich. Erst jetzt, wo so etwas wie Ruhe und Harmonie in ihre Beziehung mit den Zwillingen eingekehrt war, konnte sie das Leben wirklich genießen und vor allem auch die Schwangerschaft mit all ihren guten, wie auch weniger angenehmen Seiten.

„Und wie ist das so gleich zwei Gefährten auf einmal zu haben?“

„Anstrengend“, kam es spontan über Delilahs Lippen, noch ehe sie richtig darüber nachgedacht hatte. Also versuchte sie, diese doch eher negative Aussage gleich wieder zu berichtigen.

„Ich meine, ich liebe die beiden wie wahnsinnig. Ich würde keinen von ihnen je wieder hergeben und sie bemühen sich wirklich, dass diese Beziehung funktioniert, aber als der ausgleichende Teil dieser Dreiecksbeziehung, kann das manchmal schon ein bisschen viel werden.“

„Kann ich mir vorstellen. Ich meine, Werwölfe können ganz schön dominant sein, wenn es um ihre Partnerinnen geht. Umso faszinierender ist es, dass sie scheinbar damit klarkommen, dich mit dem jeweils anderen zu teilen.“

„Es hat auch ein paar Mal ganz schön gekracht, bis wir die Sache im Griff hatten.“ Delilah entkam ein schweres Seufzen, als sie an die Prügeleien dachte. Dagegen waren die kleinen Streitigkeiten die ab und an noch zwischen den Brüdern entstanden regelrecht harmlos. Wenigstens war sie nicht immer der Auslöser. Inzwischen war sie schon dahinter gekommen, dass sich die Brüder auch so ab und zu gerne in die Haare kriegten. Das musste nicht immer einen triftigen Grund haben, sondern schien einfach ein Teil ihrer Beziehung zueinander zu sein. Aber bis ihr das klargeworden war, hatte Delilah deswegen bereits die ein oder andere Krise geschoben.

„Ich denke bzw. hoffe, dass wir das Schlimmste inzwischen hinter uns haben. Vielleicht wird es auch besser, wenn das Baby da ist und die beiden nicht mehr so auf mich allein fixiert sind.“

„Bestimmt. Im Augenblick bist du einfach der Mittelpunkt, auf den sich all ihre Instinkte und Triebe konzentrieren. Schließlich trägst du ihr Kind im Leib, was ihre Beschützerrolle noch einmal in ein ganz anderes Licht rückt. Da würde jeder männliche Werwolf die Krise bekommen, wenn ihm ein Konkurrent ins Gehege kommt.“

Völlig wie aus heiterem Himmel musste Delilah mit den Tränen kämpfen, weshalb sie es damit zu vertuschen versuchte, dass sie Holly und sich noch etwas heiße Schokolade nachschenkte und dann auch noch die Pralinenschachtel öffnete.

Aber bevor sie nach einer Schoko-Trüffel-Kugel greifen konnte, musste sie ihre Serviette schnappen und sich die Wangen abtupfen.

„Tut mir leid. Diese verdammten Hormone machen mich fertig.“ Wenn es doch nur das wäre.

„Ist schon in Ordnung. Das ist ganz normal.“

Aus Hollys Mund hörte es sich wirklich so an, als wäre es keine große Sache. Genauso wenig wie ihre Beziehung zu zwei Brüdern. Alles völlig normal.

Noch mehr Tränen flossen und Delilah entkam sogar ein leises Schluchzen. Ihr war das alles so unsagbar peinlich, dass sie am liebsten aufgesprungen wäre, um sich im Badezimmer einzuschließen. Aber ihren Gast einfach so sitzen zu lassen, konnte sie dann doch nicht.

Zu Delilahs großer Überraschung nahm Holly ihr die Tasse ab, bevor die Ältere sie in eine warme Umarmung zog.

Spätestens als sie sich entspannte und die fremde Berührung ohne Probleme zulassen konnte, wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, was die Sache mit der Hebamme anging. Delilah hätte keine bessere bekommen können.

Nach ein paar Minuten in dieser herrlich duftenden Umarmung, die dafür geschaffen schien, jede Sorge im Nu verschwinden zu lassen, zog Delilah sich langsam wieder zurück, schnäuzte sich gründlich die Nase und lächelte beschämt.

„Entschuldige den Gefühlsausbruch, aber du nimmst das mit den Zwillingen und mir einfach so leicht, als wäre es das Normalste der Welt. Außerdem habe ich bisher mit niemandem so offen darüber sprechen können. Das ist einfach eine ziemliche Erleichterung für mich.“

Das war es tatsächlich und Delilah hatte bisher nicht einmal geahnt, wie gerne sie mit einer anderen Frau über ihre Sorgen und Ängste gesprochen hätte. Die drei McKenzies halfen ihr zwar, wo sie nur konnten, aber da es sie betraf, gab es Hunderte von Dingen, die sie mit ihnen einfach nicht besprechen konnte. Allein deshalb schon, weil sie Männer waren. Die tickten von Natur aus einfach anders als Frauen.

„Das ist völlig okay. Dafür bin ich ja da und natürlich bleibt alles, was du mir anvertraust unter uns. Hab also keine Scheu offen mit mir darüber zu reden, was dich bedrückt oder wenn du irgendwelche Fragen hast, die du dich nicht zu fragen traust. Ich bin wirklich nur schwer zu schockieren.“

Hollys aufmunterndes Lächeln half mehr, als die frische Serviette, die sie Delilah reichte, dennoch nahm sie beides dankend an.

„Dass du nur schwer zu schockieren bist, glaube ich dir aufs Wort. Allein wer sich Elijah McKenzie einfach so an den Hals wirft, muss aus einem ziemlich harten Holz geschnitzt sein. Ich hätte mich das in tausend Jahren nicht getraut.“

Hollys Lächeln wurde daraufhin so breit, dass sie beinahe ihre eigenen Ohren hätte verspeisen können. „Tja, was soll ich sagen. Der Mann hat einfach was!“

„Dem kann ich nur zustimmen. Schoko-Trüffel gefällig?“

„Immer her damit. Von Schokolade und Männern kann man schließlich nie genug haben.“

Nun musste auch Delilah breit grinsen. „Selbst für den Fall, dass ich mich wiederhole: Amen, Schwester.“

Sie mussten beide lachen.
 

„Und das ist das persönliche Reich der Zwillinge.“ Delilah blieb vor einer festverschlossenen Tür stehen, an der ein übertrieben großes Schild hing mit der Aufschrift: Zutritt verboten.

„Keine Ahnung, was die beiden da drin immer treiben. Vielleicht so eine Art Männerhort, wo Frauen keinen Zutritt haben. Auf jeden Fall war das Deans ehemaliges Schlafzimmer, bevor er seine Klamotten in das von James untergebracht hat und dann mit seinem Bruder zusammen zu mir gezogen ist.“

Zudem war dieses Zimmer immer wieder ein Grund, um mit den beiden einen waschechten Streit vom Zaun zu brechen. Sie alle wussten, dass es das einzige freie Zimmer im Haus war und sie dort das Baby unterbringen würden, aber anstatt endlich mal auszumisten und sozusagen das 'Nest' vorzubereiten, beharrten die Brüder einstimmig darauf, dass bis zur Geburt noch genug Zeit bliebe und alles rechtzeitig fertig sein würde. Bis dahin jedoch weigerten sie sich, das Zimmer zu räumen.

Wie oft sie Delilah damit schon zur Weißglut getrieben hatten, konnte sie schon gar nicht mehr zählen, und da es für das Baby nicht gut war, sich ständig so zu ärgern, ließ sie es schließlich irgendwann bleiben. Immerhin hatten sie schon ein rollbares Babybettchen, das in einer Ecke im Schlafzimmer stand und der voll ausgestattete Wickeltisch war in ihrem Bad untergebracht. Das Nötigste war also vorhanden, sollten die Zwillinge in letzter Sekunde doch nicht rechtzeitig fertig werden.

Um sich wieder auf andere Gedanken zu bringen, führte Delilah die neugierige Holly über den Flur zur nächsten Tür. „Das hier wird dir gefallen. James' Zimmer haben wir zu einem übergroßen Kleiderschrank umfunktioniert, weil wir in unserem Schlafzimmer niemals die Klamotten von drei Erwachsenen hätten unterbringen können.“

Betont schwungvoll öffnete Delilah die Tür und schaltete das Licht an.

„Wow.“ Holly betrat mit großen Augen den geräumigen Raum und sah sich aufmerksam um.

Delilah folgte ihr.

Sie selbst war total gerne hier, weil es alles gab, was ein Frauenherz höher schlagen ließ und dennoch nicht zu feminin war, um ihre beiden Gefährten abzuschrecken.

Ihre Jungs hatten James' ehemaliges Schlafzimmer völlig leer geräumt und dafür riesige zum Teil verspiegelte Schränke aus dunklem Holz an den Wänden entlang aufgestellt. In der Mitte stand auf einem großen anthrazitfarbenen Teppich eine mit weißem Leder gepolsterte Bank, die breit genug war, um darauf herrlich unanständigen Sex zu haben.

Delilah hatte es selbst ausprobiert. Mehrmals.

Gegenüber der Tür zwischen den beiden Fenstern stand ihr Heiligtum. Ein aus dem gleichen Holz wie die Schränke geschnitzter Frisiertisch, auf dem ein rundum beleuchteter Spiegel thronte. Dort konnte sie alles unterbringen, was sie als Frau eben so brauchte.

Zwar schminkte sie sich nicht mehr allzu oft, aber wenn sie es tat, dann machte es gleich umso mehr Spaß.

Links und rechts vom Tisch gehörte ihr jeweils das erste Drittel der Schränke, während sich den Rest davon die Zwillinge teilten.

Dean zu ihrer Linken und James zu ihrer Rechten.

Als Delilah den Raum durchschritt, um Holly die Schiebeelemente der Schränke besser demonstrieren zu können, versanken ihre nackten Fußsohlen in dem flauschigen Teppich.

In den Schränken selbst herrschte im jeden Regal und auf jeder Kleiderstange penible Ordnung, wobei Delilah gestehen musste, manchmal nicht so ordentlich zu sein, wie ihre beiden Männer. Was für sie aber ein guter Ansporn war, um sich nicht einfach gehen zu lassen.

In den unteren Regalfächern standen ihre Schuhe in Reih und Glied, wobei Delilahs persönliche Kollektion bei weitem nicht so groß war, wie die der Zwillinge. Aber für Schuhe hatte sie noch nie allzu viel übrig gehabt. Ebenso wenig wie für Handtaschen, was wenigstens Platz sparte.

„Man kann die Spiegeltüren ineinanderschieben, wenn man von mehreren Seiten Zugriff braucht, oder alle auseinander, um den Schrank vollständig zu schließen.“ Was wirklich sehr interessant sein konnte, wenn man gerade auf der Bank Sex hatte und sich von allen Seiten dabei zuschauen wollte. Dean war davon nicht sehr begeistert, aber James hatte es großen Spaß gemacht. Ihr ebenfalls.

„Da kann man richtig neidisch werden. Sogar die Schubladen sind indirekt beleuchtet!“ Holly kam gar nicht mehr aus dem Staunen heraus.

„Ja, ich kann’s auch immer noch nicht ganz fassen, was die beiden da angeschleppt haben. Wenn ich nach der Einrichtung ihrer Zimmer gegangen wäre, hätte ich ihnen so viel Geschmack gar nicht zugetraut.“

„Sie sind definitiv keine Junggesellen mehr.“

„Ja, zum Glück.“ Delilah schob die Schranktür wieder zu und ließ noch einmal einen beinahe wehmütigen Blick über ihre Frisierkomode schweifen.

Das Einzige, was sie an diesem Raum wirklich störte, war die Tatsache, dass sie nichts dazu hatte beitragen können.

Dabei besaß sie inzwischen Geld, das sie selbst verdiente, aber die Brüder wollten es einfach nicht annehmen. Also sparte sie jeden Cent für ihr Baby. Wäre Elijah nicht gewesen, hätte sie nicht einmal das tun können.

Er war an sie herangetreten, nachdem er mitbekommen hatte, wie sie neben ihren Recherchen im Internet immer wieder von sich aus bei ein paar Kleinigkeiten in der Werkstatt aushalf.

Seinem Vorschlag, ob sie nicht Lust hätte, das ganze Betätigungsfeld in seinem Büro zu lernen und später dann auch zu übernehmen, hatte sie sofort zugestimmt.

Zwar würde sie ein paar Wochen vor und auch einige Zeit nach der Geburt ausfallen, aber bis es so weit war, konnte sie sich noch richtig einarbeiten und wurde sogar dafür bezahlt.

Krankenversichert war sie zudem auch noch.

Gott, manchmal konnte Delilah ihr Glück gar nicht fassen.

Bevor sie deshalb allerdings schon wieder in Tränen ausbrechen konnte, führte sie Holly zur letzten Station auf ihrer Tour durchs Haus.

„Und jetzt halt dich fest. Ich schwöre, so ein riesiges Bett hast du noch nie gesehen.“ Klar übertrieb Delilah. Bestimmt gab es noch sehr viel größere Spielwiesen für Erwachsene, aber für ihre Verhältnisse, war das Teil einfach gigantisch.

„Ha, so was will ich auch!“ Holly stürzte sich geradezu auf das riesige Himmelbett mit den dicken Holzpfeilern, dem massiven Bettrahmen und den zarten Leinenvorhängen in Weiß.

Wissend fuhr sie mit einem Schmunzeln über ein paar der Kratzer, die bereits an jedem Pfosten zu sehen waren.

Ja, Delilah und ihre beiden Männer hatten das Bett inzwischen gründlich eingeweiht. Zwar nicht alle drei zur gleichen Zeit, obwohl es dafür ausreichend Platz bot, aber so weit waren sie dann doch noch nicht in ihrer Beziehung.

Zu dritt Sex zu haben, war nur deshalb möglich gewesen, weil sie sich damals nahezu fremd gewesen waren, jetzt mit all den intensiven Gefühlen war das sehr viel schwieriger. Noch viel zu oft kam die Eifersucht bei einem der beiden hoch, wenn sie sich in seiner Nähe mit dem anderen etwas zu innig beschäftigte, aber Übung machte bekanntlich den Meister. Wer weiß, vielleicht kam irgendwann der Tag, an dem sie sich ganz ohne Stress zu dritt durch die Laken wühlten.

„Langsam begreife ich wirklich, was du mit anstrengend gemeint hast. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, sich um zwei Männer zu kümmern. Mich hat schon mein Mann ganz schön auf Trap gehalten und er gehörte eher zu der ruhigeren Sorte.“

„Ja, manchmal ist das schon ganz schön kräftezehrend.“ Delilah ging zu dem Kinderbettchen hinüber und streichelte zärtlich über das helle Holz. Es fühlte sich unglaublich weich unter ihren Fingern an, so dass sie keine Angst haben musste, das Baby könnte sich vielleicht an irgendeinem Holzsplitter verletzen.

„Aber andererseits ist es auch ein unglaublich schönes Gefühl, von zwei Männern umsorgt und verwöhnt zu werden. Das macht jede Anstrengung wieder wett.“ Vor allem war es das Gefühl der Geborgenheit, was sie so sehr an den Zwillingen liebte.

Früher war sie immer auf sich alleine gestellt gewesen, hatte sich daher auch nur auf sich selbst verlassen können. Aber jetzt waren da gleich zwei Personen, die um ihr Wohl besorgt waren; die sie glücklich machen und sie zum Lachen bringen wollten.

„Es tut mir leid, dass du deinen Mann verloren hast. Das muss unglaublich schmerzhaft für dich gewesen sein.“ Delilah konnte sich nicht einmal vorstellen, wie es für sie sein würde, auch nur einen der Brüder zu verlieren.

„Es ist auch jetzt noch schmerzhaft, aber mit der Zeit beginnt man den Verlust leichter zu ertragen und man erinnert sich immer öfter an die schönen Momente zurück und ist dankbar, dass man sie überhaupt erleben durfte.“ Holly trat neben sie an das Kinderbett heran und berührte ebenfalls das fein geschliffene Holz.

„Kinder sind ein Segen. Meine Tochter hat mir sehr bei meiner Trauer geholfen, obwohl es sie genauso hart erwischt hat, ihren Vater zu verlieren. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie sehr viel stärker ist, als ich ihr zutraue.“

„Das hat sie dann bestimmt von ihrer Mutter.“

Holly lächelte sanft. „Vielleicht.“

Die beiden Frauen standen noch eine Weile in trautem Schweigen beisammen, ehe sie beschlossen, wieder ins Wohnzimmer zu gehen und alles für die erste Geburtsvorbereitungsstunde herzurichten, da die Zwillinge bald mit ihrer Arbeit fertig sein würden.

Holly brauchte dabei nicht lange, um festzustellen, dass Delilahs Internetrecherchen sehr akribisch und vor allem vollständig gewesen waren. Es gab so gut wie nichts, was sie nicht schon wusste, auch wenn sie geradezu an Hollys Lippen hing, wenn es um die kleinen Tipps ging, die man eben nicht so einfach aus dem World Wide Web erhalten konnte.

Auf jeden Fall blieb es spannend, vor allem da die Zwillinge dafür noch umso mehr zu lernen hatten.
 

***
 

Wieder hallte der durchdringende Schmerzensschrei einer Frau durchs ganze Haus und Delilah, deren Nerven ohnehin schon ziemlich angespannt waren, da der Geburtstermin des Kindes in rasendem Tempo näher rückte, musste für einen Moment die Augen schließen, um sich zu sammeln.

Es war Sonntag, knapp eine Woche vor Weihnachten und die Zwillinge hatten jedes Recht ihr wohlverdientes Wochenende so zu gestalten, wie sie es wollten. Aber dass sie sich ausgerechnet in einer der besinnlichsten Zeiten des Jahres Horrorfilme ansehen mussten, war einfach nur makaber. Trotzdem sagte Delilah nichts dazu, sondern zog stattdessen umständlich die staubige Kiste über den Boden des Dachbodens zur Luke hin, wo bereits ein paar kleinere Kartons standen und darauf warteten, durchgesehen zu werden.

Irgendwo zwischen ausrangierten Trainingsgeräten, alten Klamotten und kaputten Spielsachen musste doch der Weihnachtsschmuck zu finden sein. Immerhin hatte Elijah behauptet, der Karton sei sogar beschriftet. Was aber natürlich nicht viel brachte, wenn darauf eine Staubschicht lag, mit der man eine ganze Wüste hätte auffüllen können.

Glücklicherweise schien sie mit diesem letzten Karton den Jackpot geknackt zu haben. Denn nachdem Delilah mit einem der ausrangierten T-Shirts den Staub abgewischt hatte, konnte sie den feinsäuberlichen Schriftzug lesen, nachdem sie schon die ganze Zeit Ausschau gehalten hatte.

Elijahs Handschrift war es nicht und auch für die Zwillinge war der Schwung der Buchstaben viel zu weiblich. Vielleicht das Werk ihrer Mutter?

Es war ein seltsames Gefühl nach all den Monaten, die sie hier nun schon lebte, auch einmal auf einen Beweis für eine weibliche Hand in diesem Haushalt zu stoßen, der bis dahin jahrelang nur von Männern geführt worden war.

Delilah schob die anderen Kartons, die sie nicht mehr brauchen konnte, ein Stück von der Dachbodenöffnung weg und ließ nur den stehen, auf den sie es abgesehen hatte. Danach mühte sie sich im Schneckentempo die schmalen Stufen hinunter, die sie wieder in den Flur im ersten Stock bringen würden. Zum Glück sah ihr dabei niemand zu, denn derjenige hätte sich vermutlich vor Lachen nicht mehr eingekriegt.

Es war kaum zu glauben, dass ihr Bauch in den nächsten Wochen immer noch ein bisschen wachsen würde, dabei war die riesige Kugel, die sie bereits vor sich herschob scheinbar groß genug, um ein ganzes Rudel von Kindern darin zu beherbergen. Natürlich war das nur Delilahs gefühlte Meinung dazu. In Wirklichkeit war alles so, wie es sein sollte und nur der Umstand, dass sie selbst eher von zarter Gestalt war, führt dazu, dass ihr Bauch dadurch umso größer wirkte.

Wieder mit den Füßen auf sicherem Boden angelangt, musste sie erst einmal verschnaufen und wartete dann eine Pause zwischen den Schreien ab, die erneut zu ihr hochgetragen wurden.

„Ich könnte hier bitte mal ein bisschen Hilfe gebrauchen!“, rief sie hoffentlich laut genug nach unten. Gespannt lauschte sie, was sich im Wohnzimmer daraufhin tat.

Nur ein paar Herzschläge später kam auch schon Dean die Treppe hochgelaufen. Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er erleichtert, ihr helfen zu können und sollte sie sich dass nicht nur einbilden, dann war er sogar leicht grün um die Nase rum.

„Alles in Ordnung bei dir?“ Delilah nahm seine Hand und sah ihn besorgt an.

„Klar. Alles okay.“ Er drückte ihre Hand und schenkte ihr ein munteres Lächeln. „Was kann ich für dich tun?“

Immer noch etwas skeptisch zog Delilah ihn näher an sich heran, bis sein Bauch gegen ihren stieß, und hob die Hände an sein Gesicht.

„Zuerst einmal kannst du mich küssen. Das letzte Mal ist schon wieder viel zu lange her.“

Eine Stunde war wirklich eine Ewigkeit, fand zumindest Delilah.

Dean schien der gleichen Meinung zu sein, denn er verschwendete keine unnötige Zeit, bevor er über ihre Lippen herfiel.

Gott, diesen Mann zu küssen war jedes Mal wie eine Offenbarung. Vor allem da er sie nicht nur mit seinem Mund küsste, sondern auch seinen ganzen Körper dabei miteinbezog, bis ihr regelrecht schwindelig davon wurde, dass er sie so auf Hochtouren brachte.

Nur weil Delilah schon seit Wochen keinen Sex mehr hatte, hieß das noch lange nicht, dass ihre Libido Winterschlaf machte. Ganz im Gegenteil. Sie war wie ein hungriges Tier, das sich auch mit kleinen Bissen zufriedengab, selbst wenn das große Fressgelage weiterhin ausblieb.

So kam es, dass Delilah schließlich schwer atmend den Kuss beendete und Dean mit sich in den Schrankraum zog, wo sie ihn auf die lederne Bank drängte und sich mit einiger Mühe zwischen seinen Beinen in den flauschigen Teppich kniete, bevor sich ihre fliegenden Finger über seine Hose hermachten.

Zehn Minuten später waren Deans Wangen rosig, als er mit dem Karton in der Hand neben Delilah das Wohnzimmer betrat.

„Mann D, du hast das Beste verpasst. Soll ich noch mal zurückspulen?“ James lugte über die Lehne der Couch zu ihnen herüber und runzelte nur kurz die Stirn, als er die Situation erfasste. Denn wenn schon Deans zufriedenes Grinsen sie nicht verraten hatte, dann doch der eindeutige Geruch ihrer Erregung.

Während Dean den Karton auf den Esstisch abstellte und was davon faselte, dass er nicht unbedingt so scharf darauf sei, die verpasste Szene zu sehen, kam Delilah auf James zu, schlang die Arme um seinen Hals und küsste zärtlich seinen Nacken.

Das besänftigte ihn sofort, gerade weil sie ihm ebenfalls schon oft genug ihre Spontanität bewiesen und ihm dadurch nie einen Grund zur Klage gegeben hatte. Was das anging, wurden die Eifersuchtsanfälle immer seltener, solange keiner der Brüder direkt in eine derartige Situation platzte, wie sie gerade im Schrankraum stattgefunden hatte.

„Was hast du eigentlich die ganze Zeit auf dem Dachboden getrieben?“, wollte er dann auch schon neugierig wissen, ohne weiter auf die Sache zwischen seinem Bruder und ihr einzugehen.

Delilah strubbelte ihm noch ein letztes Mal durch die Haare und richtete sich dann freudestrahlend auf. „Ich habe den Weihnachtsschmuck gesucht und auch gefunden. Das heißt, ich kann endlich mit dem Dekorieren anfangen.“

„Willst du das wirklich machen?“ Dean kam zu ihnen herüber und sah ein bisschen skeptisch aus. „Ich meine, erst die ganze Arbeit das Zeug herzurichten, nur damit es ein paar Wochen später wieder weggeräumt wird. Ist doch irgendwie sinnlos, oder?“

„Nichts an Weihnachten ist sinnlos. Ich meine, seit ihr nicht wenigstens ein bisschen in Stimmung? Ihr könnt doch nicht ernsthaft solche Weihnachtsmuffel sein.“

Dean zuckte nur mit den Schultern, so dass Delilah es bei James versuchte.

„Erzähl mir nicht, dass dich der Duft von frischgebackenen Keksen, der durchs ganze Haus weht, kaltlässt.“

Statt ihr zu antworten, sah er seinen Bruder hilfesuchend an.

Das war doch einfach nicht zu fassen.

Die Arme in die Hüften gestemmt sah Delilah die beiden ernst an. „Eines muss euch beiden klar sein. Nur weil ihr nichts von Weihnachten haltet, heißt das noch lange nicht, dass wir hier mit der alten McKenzie-Tradition weitermachen wie bisher. Schließlich wird hier nächstes Jahr ein kleines Kind durchs Haus laufen, das voll und ganz in den Genuss dieser besinnlichen Zeit kommen soll.“

Was das anging, würde Delilah wirklich alles dafür tun, dass wenigstens ihr Baby eine schöne Kindheit hatte und sorglos aufwachsen konnte.

Aber natürlich war es trotzdem nicht fair, die Zwillinge deshalb jetzt schon so anzumachen, also nahm sie die Schärfe aus ihren Worten und kuschelte sich stattdessen an Deans Seite.

„Tut mir leid, dass ich mich so aufrege, aber wenn ihr wüsstet, wie ich in meiner Kindheit Weihnachten feiern musste, würdet ihr es vielleicht besser verstehen.“

„Dann erzähl's uns, Deli.“ Dean legte einen Arm um sie und streichelte ihr sanft über den Babybauch.

„Ja, genau. Gib dir einen Ruck. Wir wissen, dass du nicht gerne über deine Vergangenheit redest, aber du kannst dir sicher sein, dass wir immer für dich da sind, egal was passiert.“ James richtete sich weiter auf, um zärtlich ihr Gesicht berühren zu können. „Du kannst es uns also ruhig sagen, wenn dich was bekümmert.“

Delilah schmiegte sich zutiefst gerührt in seine warme Hand und blinzelte ein paar Tränen weg, bevor sie sich tatsächlich einen Ruck gab.

„Also gut.“ Sie nahm James' Hand und gab ihm einen Kuss auf den Handrücken, bevor sie ihre Finger mit seinen verschlang und auf diese Weise festhielt.

„Ihr wisst noch, dass ich bei Adoptiveltern aufgewachsen bin?“

Die Brüder nickten synchron.

„Na ja, um ehrlich zu sein, die Leute waren fast schon so etwas wie religiöse Fanatiker. Total konservativ und altmodisch. Bei denen dauerte die Fastenzeit nicht nur vierzig Tage, sondern ein ganzes Leben. Dazu war es ein Muss jeden Sonntag und zu den christlichen Feiertagen in die Kirche zu gehen. Natürlich auch an Weihnachten und dagegen hätte auch gar nichts gesprochen, aber weder gab es Geschenke, noch ist das Haus dekoriert worden. Das einzige Zugeständnis an dieses Fest war ein Stück Fleisch auf dem Teller. Ansonsten hieß es auf den Knien zu rutschen und um Vergebung zu beten.“

„Oh Mann“, kam es von Dean.

„Das ist echt hart“, bestätigte James.

Delilah zuckte nur mit den Schultern. So war das eben gewesen und daran ließ sich im Nachhinein auch nichts mehr ändern.

„Vielleicht versteht ihr jetzt, warum ich mir das alles wünsche. Immerhin ist das auch unser erstes gemeinsames Weihnachten.“ Und das gehörte eigentlich noch sehr viel mehr gewürdigt. Immerhin hatten sie großes Glück, dass sie sich so hatten einigen können. Es hätte schließlich auch in einem Drama enden können.

„Scheiße, Deli. Du willst ein festliches Weihnachten? Dann sollst du es verdammt noch mal auch kriegen, oder D?“

„Korrekt Mann.“

Die Brüder klatschten sich ab und als hätte man in ihnen einen Schalter umgelegt, wurden sie auf einmal richtig geschäftig.

„D du besorgst schon mal die Musik und hilfst Deli beim Dekorieren und ich schau nach, ob wir alle Zutaten für Kekse im Haus haben, ansonsten fahr ich los und besorg alles.“

„Alles klar.“

Nacheinander gaben ihr die Brüder einen Kuss und legten dann auch schon los, während Delilah es immer noch nicht so recht glauben konnte, dass sie ihr zuliebe ihre ganze Einstellung zu Weihnachten über den Haufen warfen.

Doch bereits zehn Minuten später hallten Weihnachtslieder durchs ganze Haus, James war unterwegs, um noch ein paar Kleinigkeiten zu besorgen und Dean half ihr tatkräftig beim Dekorieren. Besser gesagt machte eigentlich er die ganze Arbeit, während Delilah ihm sagte, wo sie was wie hin haben wollte, so dass sie ihm nur bei den wirklich leichten Sachen zur Hand ging.

Als ihnen das Dekozeug ausging, stieg Dean sogar noch einmal auf den Dachboden, um nachzusehen, ob Delilah vielleicht etwas übersehen hatte. Dabei telefonierte er mit James, um noch weitere Bestellungen aufzugeben.

Delilah hatte inzwischen mehrere Rezeptbücher aufgeschlagen, um sich schon einmal ein paar Keksvarianten herauszusuchen. Sie hatte noch nie Kekse gebacken, fand das alles also besonders aufregend, da ihr Backen an sich sehr viel Spaß machte. Dabei fiel ihr Blick auf den künstlichen Mistelzweig, den sie auf dem Esstisch hatten liegen lassen, da sie noch nicht so recht gewusst hatten, wo sie ihn hinhängen sollten. Doch einer plötzlichen Eingebung folgend, nahm sie die kleine Stehleiter zur Hand, die Dean im Flur hatte stehen lassen, und schob sie direkt unter den Durchgang zum Wohnzimmer.

Ihr war es bisher nicht aufgefallen, aber direkt in der Mitte des dicken Holzbalkens war ein kleiner Metallhaken angebracht worden.

Einfach perfekt.

Wie immer ihre kleine Größe verfluchend, stieg Delilah vorsichtig eine Sprosse nach der anderen hoch und reckte sich dabei immer wieder, aber der Haken schien kaum näher zu kommen.

Ein kalter Luftstoß traf sie, als die Haustür plötzlich weit aufschwang und James hereinkam. Als er sie sah, ließ er sofort die prall gefüllten Einkaufstüten fallen.

„Wow. Süße. Stopp!“

Noch bevor sie protestieren konnte, hatte er sie schon unter den Armen gegriffen und wie ein kleines Kind wieder sicher auf ihre Füße gestellt.

„Hochschwangere Frauen und eine Leiter vertragen sich nicht. Lass mich das für dich machen.“

„Okay. Danke, J.“ Delilah watschelte zur Haustür hinüber, um sie zu schließen, während James leichtfüßig die Leiter erklomm und den Mistelzweig für sie aufhängte.

Sie hatte recht gehabt. Der Platz schien wie geschaffen dafür zu sein.

„Sieht gut aus.“

Da konnte Delilah ihm nur zustimmen „Bleib da stehen. Ich will den Mistelzweig gleich mal ausprobieren.“

Sein spitzbübisches Grinsen war einfach Gold wert, während er die Leiter aus dem Weg schob, um ihnen Platz zu machen. Aber der Kuss, der darauf folgte, war noch um Einiges besser.

„Langsam fängt diese Weihnachtssache an, mir richtig Spaß zu machen“, nuschelte er gegen ihre Lippen, bevor James den Mistelzweig noch ein paar weitere Male ausgiebig erprobte.

Erst als Dean die Treppe herunter kam und sich der verwaisten Einkaufstüten annahm, konnten sie sich wieder voneinander lösen.

Doch bevor er an ihr vorbei gehen konnte, packte sie ihn am Kragen seines T-Shirts und drückte auch ihm einen dicken Kuss auf die Lippen. „Und hast du noch ein paar Sachen gefunden?“

Zu dritt gingen sie in die Küche und Dean schwang sich auf einen der Barhocker, während James ihr dabei half, die Lebensmittel wegzuräumen.

„Leider nein. Aber dafür sollten wir ernsthaft erwägen, einmal den Dachboden aufzuräumen. Ich hab sogar deine alte Actionfiguren-Sammlung gefunden, J.“

„Hey, klasse. Schmeiß die bloß nicht weg. Immerhin könnte sie sich noch mal als nützlich erweisen, wie du sehr wohl weißt.“ James warf seinem Bruder einen langen Blick zu, den Delilah geflissentlich ignorierte.

„Okay, aber von deinen alten Pornoheften könntest du dich jetzt schon mal langsam trennen“, stichelte Dean weiter und wurde dafür mit einem Päckchen Nüsse beworfen.

„Idiot.“

„Du mich auch Brüderchen.“

„Hey, schmeißt die Hefte bloß nicht weg. Vielleicht können wir uns da noch Anregungen holen.“

Daraufhin starrten die Brüder sie an, als hätte sie sich gerade vor ihnen völlig entblättert und brachten sie damit noch breiter zum Grinsen. „Was? Falls euch Filme lieber sind, hab ich auch nichts dagegen. Ich richte mich da ganz nach euch.“

Dean musste schlucken. „Oookay. Du meinst das ernst. Wow.“

Das brachte James zum Lachen „Deli, du bist einfach der Hammer. Und sobald Dean sich wieder eingekriegt hat, kommen wir auf jeden Fall einmal auf dein Angebot mit den Filmen zurück.“

„Gerne.“ Delilah zwinkerte ihm kokett zu.

„Apropos Filme. D, willst du dir nicht doch noch den Film zu Ende anschauen, während ich mich mit Deli um die Kekse kümmere?“

Es sah so aus, als ob sich Dean lieber von einem Zahnarzt eine Spritze geben lassen würde, als das zu tun, aber seltsamerweise blockte er nicht sofort ab.

„Ach komm schon, J“, versuchte Delilah daher einzulenken, um Dean zu Hilfe zu kommen. „Reicht es nicht, wenn ich bei deiner Vorliebe für Horrorfilme mitmache? Du weißt doch genau, dass diese ganzen blutigen Szenen nicht unbedingt Deans Geschmack sind.“

„Horrorfilme?“ James sah sie völlig verständnislos an. „D und ich haben damit angefangen, uns die Filme anzusehen, die Holly für uns dagelassen hat. Du weißt schon, die über die Geburt und welche Vorgänge dabei ablaufen. Immerhin dauert es bei dir nicht mehr lange und besser, wir wissen vorher bescheid, was da auf uns zukommt, als dass es uns dann eiskalt erwischt.“

„Oh.“ Mehr fiel ihr dazu nicht ein. Das machte sie dann doch etwas sprachlos.

Natürlich hatte Delilah gesehen, wie aufmerksam die beiden die Geburtsvorbereitungsstunden verfolgten und dass sie in den praktischen Übungen auch tatkräftig mitmachten, aber so viel Einsatz hätte sie von ihren Männern dann doch nicht erwartet.

Erfreulicherweise stellte Delilah fest, dass die Zwillinge sie immer wieder äußerst positiv überraschten.

„Kann ich wenigstens den Ton ausmachen?“, fragte Dean hoffnungsvoll an seinen Bruder gewandt.

„Klar. In dem Film wird sowieso nicht sehr viel erklärt, da geht’s mehr darum, wie so eine Hausgeburt aussieht.“

„Okay. Na dann.“ Nicht besonders glücklich rutschte Dean vom Barhocker und warf sich auf die Couch.

Irgendwie tat er Delilah leid, und wenn es nicht so wichtig wäre, hätte sie ihn niemals dazu gezwungen, so etwas anzusehen. Aber andererseits wäre es nicht gut, wenn er dann einfach neben ihr umkippte, sobald bei ihr die Geburt losging. Im Gegenteil, sie würde jede nur erdenkliche Unterstützung brauchen, denn allein der Gedanke daran, dass sie das Kind hier im Haus und nicht in Youngs Klinik zur Welt bringen würde, machte ihr eine Scheißangst.

Es war nicht so, dass sie nicht auch die zweite Möglichkeit gehabt hätte, aber sie wollte es nicht riskieren, bei dem Wetter auf der Hälfte der Strecke im Schnee stecken zu bleiben, wenn es nicht ein absoluter Notfall war. Außerdem war der Weg verflucht weit und sie bekam das Baby dann doch lieber in einem warmen Heim, als mitten im Nirgendwo in einem Auto.

Zum Glück gab es dann auch noch Holly. Die Frau war wirklich ein Segen und das nicht nur für Delilah.

Man musste zwar schon sehr genau hinschauen, um die subtilen Veränderungen bei Elijah sehen zu können, aber sie waren definitiv da und das schon nach einer Woche, in der Holly beinahe täglich bei ihnen vorbei geschaut hatte, da sie momentan keine weitere werdende Mutter betreute.

Irgendwie wirkte allein schon Elijahs Ausstrahlung nicht mehr so verschlossen und unterkühlt, wie es sonst meistens der Fall war. Er redete auch mehr bei den Mahlzeiten und dann ging es nicht nur um die Werkstatt, sondern eher um das allgegenwärtige Babythema. Was aber auch daran lag, dass ihre Jungs ihren Vater mit Fragen regelrecht löcherten, immerhin hatte der sie praktisch alleine großgezogen.

Allein Elijahs großes Wissen beruhigte Delilah enorm. Zumindest einer in der Familie konnte mit Sicherheit sagen, was auf sie zu kam und wenn alle Stricke reißen sollten, dann wäre er auch noch da, um ihnen zu zeigen, was ein Baby brauchte und wie man mit ihm umging.

„Hast du dir schon überlegt, mit welchen Keksen du anfangen willst?“

James' Frage riss sie aus ihren Gedanken und Delilah versuchte sich wieder auf die aufgeschlagenen Kochbücher zu konzentrieren, die vor ihr ausgebreitet auf dem Tresen lagen.

„Keine Ahnung. Ich würde sagen, wir fangen erst einmal mit etwas Leichtem an und arbeiten uns dann zu den komplexeren Keksen vor.“

„Guter Plan. So machen wir’s.“

Delilah verbrachte mit James zusammen den ganzen Nachmittag damit, Kekse zu backen, sie zu verzieren, ihn mit kleinen Naschereien zu füttern und von ihm gefüttert zu werden, während Dean recht bald verschwunden war, nachdem er tapfer den Film zu Ende geschaut hatte.

Irgendwann lagen dann auch die letzten Kekse zum Auskühlen auf einem Gitter, und obwohl es wirklich großen Spaß gemacht hatte, sie zu backen, war Delilah doch völlig erschöpft und ihr Rücken brachte sie beinahe um. Weshalb James sie schließlich auch nach oben schickte, damit sie sich ausruhen konnte, während er sich um das schmutzige Geschirr kümmerte.

Kaum dass ihr Gesicht mit ihrem Kissen in Kontakt kam, war sie auch schon eingeschlafen.
 

Es war die besondere Mischung aus vielen verschiedenen Düften, die sie schließlich einige Zeit später wieder aufweckte. Zum einen lag immer noch der intensive Geruch der Kekse in der Luft genau so, wie Delilah es sich gewünscht hatte, aber darunter mischte sich auch noch die Note nach frischen Tannennadeln und ... chinesischem Essen?

Verwirrt über die Informationen, die ihr ihre feine Nase zutrug, bewegte Delilah sich mühsam aus dem Bett, zupfte kurz ihre inzwischen schulterlangen Haare zurecht und machte sich dann auf den Weg nach unten.

Je weiter sie kam, umso größer wurden ihre Augen.

Jemand hatte das Treppengeländer mit Tannenzweigen, roten Bändern und goldenen Glöckchen geschmückt. Zusätzlich zu dem kleinen Türkranz, den sie mit Dean aufgehängt hatte, war das Glas von innen mit weißen Sternen beklebt, die aussahen, als wären sie aus wattigem Schnee.

In der Ecke daneben, wo sich eigentlich immer ein Schirmständer befunden hatte, stand nun eine große gläserne Laterne, mit einer weißen Votivkerze, die ein sanftes goldenes Licht verbreitete.

Auf dem kleinen Flurtisch stand eine rote Kunststoffschale, die ebenfalls mit Tannenzweigen, goldenen Weihnachtskugeln, getrockneten Orangenscheiben und Zimtstangen verziert war und der ein angenehmer Duft entströmte.

Je mehr Delilah sich umsah, umso wilder begann ihr Herz zu pochen.

Die Dekoration, die sie mit Dean angebracht hatte, war selbst in ihrer Schlichtheit schon schön anzusehen gewesen, aber das hier übertraf sie bei weitem noch. Vor allem die vielen Tannenzweige machten den größten Unterschied von allem aus.

Als Delilah schließlich ins Wohnzimmer kam, liefen ihr bereits die ersten Tränen der Rührung über die Wangen und dabei sollte es noch lange nicht bleiben.

Auch hier war die Dekoration ein Traum.

Delilah schlang die Arme um sich, während ihre Augen über jedes noch so kleine, liebevolle Detail wanderten.

Der Esszimmertisch war dekoriert mit einem Deckchen in Rot und Gold, das über die gesamte Länge verlief. In der Mitte darauf stand eine weitere kunstvoll dekorierte Schale. Über die Vorhangstangen dahinter an den Fenstern verliefen ebenfalls rote und goldene Bänder, an denen weihnachtlicher Schmuck befestigt war.

Der Raum war auch hier erfüllt vom satten Geruch der Tannenzweige, die sich irgendwie auf die ein oder andere Art im Raum breitgemacht hatten, dabei aber weder überladen noch deplatziert wirkten.

Erst nachdem sie jeden noch so kleinen Eindruck in sich aufgesaugt hatte, konnte Delilah sich auf die drei Männer konzentrieren, die in der Küche standen und sich um ein paar weiße Pappschachteln stritten, auf denen in roten Zeichen irgendetwas auf Chinesisch stand. Besser gesagt stritten sich die beiden Brüder, während Elijah seelenruhig eine der Schachtel an sich nahm und den Inhalt in eine weiße Schüssel leerte, bevor er ihre Anwesenheit bemerkte.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er sie deutlich besorgt, womit er wahrscheinlich auf den Sturzbach anspielte, der ihre Wangen hinab lief.

Verlegen versuchte Delilah sie sich wegzuwischen, aber das machte die Sache nur noch schlimmer.

Von einer Sekunde auf die andere war der Streit der Zwillinge beendet und sie nahmen sie beschützend in ihre Arme, streichelten ihr über den Rücken und das Haar und wollten wissen, was mit ihr los sei, aber eigentlich könnten sie sich das doch denken, oder nicht?

Delilah schmiegte sich eng gegen James' Brust, während sie Deans Hände auf ihrem Bauch festhielt und den Tränen endgültig freien Lauf ließ.

Nur mit Müh und Not brachte sie die einzigen Worte heraus, die ihr aufgewühltes Gefühlsleben letztendlich ganz gut beschrieben.

„Gott, ich liebe euch so wahnsinnig ...“

56. Kapitel

„Hey Jungs. Es ist Zeit. Habt ihr eure Favoriten?“ Delilah wedelte auffordernd mit ihrem Notizzettel in der Luft herum, bevor sie sich schwer in die Polster der Couch zurücksinken ließ, nur um dann eine Weile hin und her zu rutschen, bis sie eine Position gefunden hatte, in der der Kopf des Babys ihr nicht unangenehm in den Schoß drückte.

Es hatte sich in den letzten Tagen gedreht, so dass sie jetzt zwar wieder leichter atmen konnte, aber dafür brauchte sie nun ewig, um sich hinzusetzen, da sie jedes Mal Angst hatte, dem Baby eine Gehirnerschütterung zu verpassen, wenn sie sich zu schwer auf ihren Hintern fallen ließ.

Gott, sie konnte es kaum noch erwarten, bis es endlich da war. Immerhin wurde die Schwangerschaft mit jedem Tag nur noch beschwerlicher. Aber zumindest stand endlich Weihnachten vor der Tür und das lenkte sie dann doch ziemlich gut ab.

„Moment, ich hab’s gleich.“ Dean, der bisher am Küchentisch gesessen hatte, strich noch auf seinem Notizblock herum und kritzelte hastig etwas daneben. Danach ließ er sich auf seinem Stammplatz neben ihr auf der Couch fallen.

James prüfte seine eigenen Notizen noch einmal eingehend, ehe er sich ebenfalls erhob und sich zu ihr setzte.

„Gut. Womit fangen wir an?“ Delilah warf einen fragenden Blick in die Runde und erntete nur Schulterzucken. Was natürlich zu erwarten gewesen war.

„Dann die Mädchen zuerst. Also mein Favorit ist Sarah.“

Dean musste lachen. „Meiner auch.“

„Genau wie meiner“, offenbarte James breit grinsend und steckte sie damit alle an.

Kein Wunder, immerhin hatten sie alle den gleichen Gedanken gehabt. Denn sollte das Baby ein Mädchen werden, würden sie es nach Elijahs Mutter Sarah McKenzie benennen.

„Das war ja leicht. Hoffentlich können wir uns bei den Jungennamen auch so schnell einigen.“ James war guter Hoffnung, aber das es so leicht sein würde, bezweifelte Delilah dann doch stark.

„Dann versuchen wir es einfach mal“, begann sie erneut. „Mein Favorit ist Kevin.“

Das war der einzige Jungenname auf Delilahs Liste, die ohnehin nicht besonders lang war. Im Gegensatz zu ihren Jungs war ihr die Namenswahl des Babys absolut nicht schwergefallen. Sarah nach Elijahs Mutter und Kevin nach ihrem eigenen Vater.

„Okay, also meine Favoriten sind Connor und Jason. Weiter konnte ich es leider nicht eingrenzen.“ Dean warf noch einmal einen unschlüssigen Blick auf seine Notizen, bevor er seinen Bruder abwartend ansah. Delilah tat es ihm gleich, während sie überlegte, ob sie sich Deans Wahl vorstellen könnte.

James rubbelte sich etwas unsicher durch die Haare, bevor er endlich mit der Sprache herausrückte. „Also ich habe drei Namen auf der Liste. Wenn einer dabei ist, der euch überhaupt nicht gefällt, können wir ihn ja weglassen.“

„Na solange es nicht Dwayne 'The Rock' McKenzie oder James Junior ist, wird’s schon nicht so schlimm sein.“

Daraufhin erntete Dean einen finsteren Blick von seinem Bruder.

„Gut, meine Favoriten sind Ian und Jacob.“

Auch eine gute Wahl wie Delilah fand. Das mit den Jungennamen würde wirklich knifflig werden.

„Ich dachte, es wären drei“, stellte Dean ganz richtig fest, bis ihm die Erleuchtung kam. „Ernsthaft? Der dritte Name ist entweder Dwayne oder James Junior? Lass sehen!“

Bevor Dean eine halbe Bruchlandung auf ihrem Bauch machen konnte, drängte Delilah ihn gewohnheitsmäßig mit einer Hand gegen seine Brust wieder auf seinen Platz zurück, was ihn nur dazu brachte, ganz aufzuspringen und um die Couch herumzulaufen, direkt seinem Bruder hinterher, der bereits das Weite gesucht hatte.

„Bleib stehen! Ich will das jetzt verdammt noch mal wissen!“

Nicht sonderlich überrascht legte Delilah ihren Zettel zur Seite und fischte nach dem Keksberg, der sich auf dem Couchtisch türmte.

Während sie ihre eigene Kreation genüsslich verspeiste und dabei immer wieder zärtlich über ihren Bauch strich, konnte sie die Haustür auffliegen und das wilde Gerangel draußen im Schnee hören.

Spätestens das gespielt aggressive Knurren eines Wolfes machte ihr klar, dass das hier noch etwas länger dauern könnte, also schnappte sie sich Deans Notizblock, riss ein frisches Blatt heraus und zerteilte es in fünf gleich große Stücke, worauf sie dann feinsäuberlich die Jungennamen notierte, die zur Auswahl standen.

Delilah hatte sich schon die ganze Zeit gefragt, wann die Brüder endlich einmal die Anspannung herausließen, die sich inzwischen merklich spürbar in ihnen angestaut hatte. Wäre es ihr möglich gewesen, sie hätte die Wölfin ebenfalls herausgelassen und sich mit ihren Männern zusammen zum Spielen in den Schnee geworfen. Aber bis zur nächsten Verwandlung würde sie noch ein paar Wochen warten müssen.

Nachdem Delilah die Papierfetzen, auf denen die Namen standen, auch noch penibel gefaltet hatte, schnappte sie sich noch einen Keks und hievte sich dann mühsam von der Couch hoch, um dem Treiben wenigstens zusehen zu können.

Obwohl Weihnachten war und kein Besuch erwartet wurde, hatten sich ihre Männer klugerweise hinters Haus zurückgezogen. Zwar konnten sie sich auf dem Grundstück relativ sicher verwandeln, aber unnötig riskieren, dass ihre ganze Art aufflog, musste man natürlich dennoch nicht. Außerdem musste Delilah dadurch nicht einmal aus dem Haus, um dem Spektakel zusehen zu können, stattdessen ging sie zum Küchenfenster hinüber und öffnete es weit, um auch noch den dazu passenden Ton zu haben.

Für Außenstehende mussten die wilden Knurrlaute wirklich schrecklich klingen und auch die Art, wie die beiden Brüder sich immer wieder ineinander verbissen, war nichts für schwache Nerven, aber letztendlich war es nur ein Spiel, und wenn einer dem anderen einmal wehtat, dann aus Übermut, aber ganz bestimmt nicht willentlich. Zumindest nicht mehr.

Delilah selbst fand den Anblick einfach unglaublich schön. Die Zwillinge waren wirklich riesig, ihr kastanienbraunes Fell glänzte in der Sonne, während sich darunter das Spiel ihrer Muskeln abzeichnete.

Im Moment konnte sie ihre Gefährten nicht auseinanderhalten, dafür hatte sie die beiden einfach noch zu selten im Pelz gesehen, aber sie vermutete stark, dass Dean der Tonangebende war. Immerhin war er nicht nur der ältere, sondern auch der körperlich stärkere Zwilling, was James aber auf jeden Fall mit seinem Feingefühl und seiner grenzenlosen Loyalität wieder ausglich. Und natürlich auch mit seiner Beharrlichkeit. Egal wie oft er unterlag, er stand immer wieder auf und stürzte sich erneut auf seinen Bruder.

Wenn Delilah darauf wetten müsste, wer von den beiden das längere Durchhaltevermögen hatte, dann wäre James ihr absoluter Favorit.

Irgendwann hatten aber beide genug, so dass sie sich schwer hechelnd den Schnee aus dem Fell schüttelten und sich schließlich zurück verwandelten.

Gerade in diesem Moment wünschte sich Delilah eine Kamera herbei, denn das Bild, das die beiden nackten Männer die im Schnee saßen abgaben, hätte sie gerne für die Nachwelt festgehalten.

„J-Mann, komm schon. Was stand auf dem Zettel noch?“, verlangte Dean immer noch schweratmend zu wissen.

James, der nicht weniger außer Atem war, formte mit der Hand einen kleinen Schneeball und warf ihn halbherzig in Deans Richtung. „Solange ich es verhindern kann, wirst du es nie erfahren.“

„Mann, sei nicht so gemein.“ Deans Schneeball traf seinen Bruder direkt in der Mitte der Brust.

„Heul doch.“ Hastig duckte James sich weg, bevor er erneut getroffen wurde, doch schon nach kurzer Zeit entbrannte eine wilde Schneeballschlacht und die zugleich offenbarte, dass ihre beiden Männer wahre Werwölfe waren, denn die Kälte machte ihnen nicht das Geringste aus.

Als Dean seinen Bruder schließlich im Schwitzkasten hatte und ihn gerade mit einer großzügigen Portion Schnee einreiben wollte, mischte sich Delilah dann doch ein, in dem sie aus dem Schnee auf dem Fensterbrett eine Kugel formte und auf seinen Rücken zielte.

Als sie traf, begann Dean lautstark zu protestieren. „Hey, Deli! Zwei gegen einen ist unfair.“

„Sagt derjenige, der seinen Bruder im Schwitzkasten hat.“ Delilah lächelte ihren Gefährten zuckersüß an und zuckte dann unschuldig mit den Schultern. „Gib einfach auf. Du weißt so gut wie ich, dass J dir nie den dritten Namen auf der Liste verraten wird.“

„Du sagst es, Süße.“ Damit befreite James sich aus dem Griff seines Bruders und marschierte mit einem breiten Siegerlächeln zu seinen Hosen hinüber, um sich wieder anzuziehen.

„Und welcher Name soll es jetzt werden?“ Dean knöpfte gerade die letzten Knöpfe seines Hemds zu, während er zusammen mit seinem Bruder das Wohnzimmer betrat.

„Kommt darauf an. Mir gefallen eigentlich alle eure Vorschläge und wie sieht es mit euch beiden aus?“ Delilah sammelte die gefalteten Papierschnipsel ein und wartete ab, was die Zwillinge zu sagen hatten, je nachdem würde sie entscheiden, wie sie weiter vorgingen.

„Na ja. Connor ist jetzt nicht so mein Fall, aber ich kann trotzdem damit leben.“ Wenigstens war James ehrlich und das war bei der Namensgebung ihres Kindes auch angebracht.

„Ich hab auch nichts gegen die anderen Namen. Wie wollen wir das jetzt also entscheiden?“ Dean warf ihr einen fragenden Blick zu. Was wieder einmal zeigte, dass sie sich letztendlich ganz nach ihr richteten, obwohl sie körperlich gesehen, die Schwächste von ihnen allen war. Aber das hatte eindeutig nichts zu sagen. In der Rudelhierarchie kam sie direkt nach Elijah ihrem Alphawolf und das war für Delilah immer wieder wie ein Wunder. Genauso wie die Tatsache nicht mehr alleine zu sein und sogar eine Familie zu haben, bei der sie so sein konnte, wie sie wirklich war.

„Ich dachte mir, dass wir einfach das Schicksal entscheiden lassen. Ich habe die fünf Namen auf diese Zettel hier geschrieben, und sobald Elijah mit dem Baum zurückkommt, können wir ihn dann vielleicht den Namen ziehen lassen, der es dann sein soll.“

James nickte zustimmend. „Klingt nach einem guten Plan.“

„Bin dabei“, bestätigte auch Dean.

Dann hieß es wohl abwarten und sich dann später überraschen zu lassen.
 

***
 

„Wahnsinn, Dad. Ich dachte nicht, dass wir solche Bäume im Wald stehen haben!“ Dean half seinem Vater dabei, den bläulichschimmernden Nadelbaum auf einem Teppich durch den Flur ins Wohnzimmer zu ziehen.

James, der mit Delilah zusammen gerade das üppige Festmahl für den nächsten Tag zubereitete, wischte sich rasch die Hände an einem Geschirrtuch ab und kam den beiden zu Hilfe, damit der Baum nicht irgendwo hängen blieb. Sie selbst legte das Messer zur Seite, mit dem sie gerade Gemüse klein geschnitten hatte, um die Show nicht zu verpassen.

„So selten, wie ihr euch im Wald aufhaltet, wundert mich das gar nicht“, stellte Elijah fest, jedoch ohne Tadel in der Stimme. Vermutlich, weil er selbst auch die meiste Zeit in der Werkstatt verbrachte. Das war nun einmal ihr Leben.

„James, hol doch schon mal den Ständer für den Baum. Du weißt doch noch, wo der liegt?“ Elijah rückte mit einer kraftvollen Bewegung den Esszimmertisch zur Seite, damit sie leichter daran vorbei kamen.

„Klar. Ist zwar schon ein paar Jährchen her, aber ich werd ihn schon finden.“ Damit verschwand er schnurstracks aus dem Wohnzimmer und Dean verrückte mit seinem Vater auch noch die Couchgarnitur. Sie würden den Baum also direkt vor dem Schrank mit den Waffen aufstellen, was Delilah für ein gutes Zeichen hielt. Im Sinne von einem besinnlichen und friedvollen Weihnachten sozusagen.

Während James mit dem Ständer zurückkam und erst einmal das Teil abstauben und mit etwas Wasser befüllen musste, drückte Delilah Dean eine rotgoldene Zierdecke in die Hand. „Hier leg das unter den Ständer, der Boden ist schon ramponiert genug.“

Dean kam ihrer Aufforderung ohne zu zögern nach, und nachdem die drei McKenzies ein paar Minuten leise fluchend mit dem Baum und den dazugehörigen Ständer gekämpft hatten, war es geschafft.

Elijah hatte ein gutes Augenmaß bewiesen, denn der Baum war nicht nur prachtvoll und von jeder Seite schön anzusehen, sondern auch gerade noch klein genug, um auf die Spitze den goldenen Stern anbringen zu können, der ebenfalls in der Kiste mit dem Weihnachtsschmuck gewesen war.

Zwar waren dem Schmuckstück schon deutlich die Jahre anzusehen, die es bereits hinter sich hatte, aber genau das machte es für Delilah so perfekt.

Zu wissen, dass sie hier nicht auf einen neuen Brauch, sondern viel mehr auf eine alte Tradition bestand, war beruhigend und fühlte sich einfach richtig an. Denn wenn es nach ihr ging, hatte dieses Haus schon genug Leid gesehen und durfte gerne wieder mit so viel Liebe erfüllt werden, wie es vertragen konnte. Das Gleiche galt natürlich auch für dessen Bewohner.

Um gleich damit anzufangen, trat Delilah neben Elijah und berührte ihn kurz am Arm, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie musste sehr weit zu ihm hochsehen, doch das machte ihr inzwischen keine Angst mehr. So brutal sein Äußeres bisweilen auch erscheinen mochte, in seinem Inneren war er doch ein warmer, großherziger Werwolf, dem die Familie einfach über alles ging und da sie nun ein Teil davon war, hatte sie nichts mehr vor ihm zu befürchten.

„Danke, dass du extra einen Baum besorgt hast. Er ist einfach perfekt.“

Ihre Worte entlockten ihm ein kleines Lächeln, das man nur selten an ihm beobachten konnte. Seine Antwort war eine warme Berührung an ihrer Schulter, bevor er sich den feuchten Teppich schnappte und damit in der Waschküche verschwand.

„So, wer hat Lust, mit mir zusammen den Baum zu schmücken?“ Delilah sah voller Begeisterung in die Runde und rieb sich schon voller Vorfreude die Hände.

„Macht ihr nur, ich kümmere mich derweil weiter um das Essen.“ James drückte ihr einen kleinen Kuss auf die Lippen und schnappte sich dann das Messer, das sie vorhin zur Seite gelegt hatte. Sobald sie mit dem Baum fertig wären, würde sie ihm wieder helfen, aber das hier hatte für sie einfach Vorrang.

Abwartend sah sie also Dean an, der verschmitzt grinste. „Klar helfe ich dir. Ich bezweifle nämlich sehr stark, dass du auch nur in die Nähe der Baumspitze kommst.“

Er strich ihr zärtlich über den Bauch und zwinkerte ihr zu.

Delilah hatte verstanden und sie selbst würde auch aufpassen, dass sie beim Schmücken nicht einfach alles wieder runterfegte, wenn sie eine Drehung machte. Aber ihr gewaltiger Umfang hinderte sie ja nicht daran, zumindest den Teil des Baumes zu schmücken, an den sie gemütlich herankam.

Doch bevor sie loslegten, drehte sie die Weihnachtsmusik lauter und machte sich dann über die noch eingeschweißten Päckchen mit dem neuen Weihnachtsschmuck her. Das war fast schon besser, als die richtigen Geschenke auszupacken.

„Zuerst die Lichterkette.“ Delilah drückte Dean die Schachtel mit den kleinen bläulich weißen Lichtern in die Hand. Zum Glück hatte James keine bunten Lichter besorgt, die bei anderen scheinbar sehr beliebt waren, aber vermutlich fand nicht nur sie die Teile grottenhässlich.

„Ja, Ma’am.“ Dean flüchtete sich gerade rechtzeitig aus ihrer Reichweite, bevor Delilah ihn erreichen konnte. Er wusste genau, dass sie es nicht mochte, so angesprochen zu werden. Sie war zwar um ein paar Jahre älter als ihre Gefährten, aber so alt dann auch wieder nicht. Warum sie auch immer wieder damit aufgezogen wurde.

Sie nahm es mit Humor und ließ sich dabei Deans Anblick auf der Zunge zergehen, während er sich streckte und beugte, um die Lichterkette gleichmäßig auf dem Baum zu verteilen. Sein knackiger Hintern sah dabei in der engen ausgewaschenen Jeans einfach nur zum Anbeißen aus.

„Vorsicht Deli. Wenn du zum Sabbern anfängst, muss ich dir ein Lätzchen umhängen.“ James wedelte provokant mit dem Geschirrtuch und gluckste dann leise vor sich hin, als sie ihm dafür einfach nur die Zunge raussteckte. Dennoch konzentrierte Delilah sich anschließend wieder mehr auf den Schmuck und womit sie als Erstes anfangen wollte.

Es wurde ein sehr beschaulicher Nachmittag.

Zusammen mit Dean machte das Weihnachtsbaumschmücken einfach unglaublichen Spaß. Sie bewarfen sich gegenseitig mit Lametta, hängten sich kleine Kugeln an die Ohren und posierten dann vor James, der entscheiden musste, wem die Teile besser standen. Was ihm nicht so recht gelingen wollte, wenn man bedachte, dass er sich vor lauter Lachen kaum noch einkriegte. Das änderte sich dann auch nicht, als auch noch Elijah zu ihnen stieß und ihm beim Kochen ein bisschen unter die Arme griff bzw. den Tisch deckte und das sogar überraschend festlich. Der alte Werwolf hatte ganz offensichtlich noch nicht verlernt, wie man Weihnachten feierte.

Das anschließende Abendessen war zwar kein Vergleich zu dem Weihnachtsschmaus, der am nächsten Tag stattfinden würde, aber dennoch in vielerlei Hinsicht ein Hochgenuss. Nicht nur was die dekadenten Köstlichkeiten anging, sondern auch die Stimmung wurde immer ausgelassener, nachdem Elijah auch noch eine riesige Flasche Eierlikör auf den Tisch zauberte.

Delilah durfte zwar nichts davon trinken, aber das hinderte sie natürlich trotzdem nicht daran, mit allen zu schäkern und die Zwillinge kräftig aufzuziehen, nachdem man ihnen langsam anmerkte, wie sich der Alkohol selbst auf ihren Werwolforganismus immer deutlicher auswirkte. Das Teufelszeug musste offenbar hochprozentiger sein, als man dem Likör zutrauen würde. Aber es hatte auf alle Fälle auch eine gute Seite, denn manchmal kamen sie sogar in den unvergleichlichen Genuss, Elijah lachen zu sehen. So gut wie es ihm stand, hätte er ruhig noch öfter Alkohol vertragen können. Aber es war zumindest schön zu wissen, dass er auch das nicht verlernt hatte.

Gegen Mitternacht waren schließlich alle bereit fürs Bett und zum Glück stützten die Zwillinge sich gegenseitig, denn Delilah hätte ohne Hilfe nicht einmal einen der Brüder ins Schlafzimmer bringen können. Dafür musste sie ihnen dann beim Ausziehen helfen und dabei sanft aber bestimmt, ihre betrunkenen Avancen von sich lenken. Doch sobald sie in die Horizontale gingen, waren sie friedlich wie die Lämmer und auch ziemlich schnell eingeschlafen.

Delilah selbst brauchte ebenfalls nicht lange. Der Tag war zwar unglaublich schön aber auch sehr anstrengend gewesen und ihr Kreuz seufzte regelrecht erleichtert auf, als sie es endlich richtig entlasten konnte.
 

***
 

Es ist Weihnachten!

Mit diesem freudigen Gedanken schlug Delilah die Augen auf und war auf der Stelle hellwach, obwohl es draußen gerade erst einmal zu Dämmern begonnen hatte. Doch nicht einmal ihre beiden hinreißenden Gefährten könnten sie jetzt noch im Bett halten, selbst wenn sie nicht total im Tiefschlaf liegen würden. Also schob sie sich unter der Decke langsam und etwas unbeholfen in Richtung Fußteil des Bettes, bis sie am anderen Ende unter dem dünnen Stoff wieder zum Vorschein und auf ihre nackten Füße kam.

Delilah warf noch einen letzten prüfenden Blick zu den schlafenden Zwillingen hinüber, ehe sie sich auf leisen Sohlen durch das Zimmer bewegte und vorsichtig die unterste Schublade ihrer Kommode öffnete, um die drei sorgfältig eingepackten Geschenke, die sie unter einem Stapel Zeitschriften versteckt hatte, hervorzuholen.

Danach führte sie ihr erster Weg direkt die Treppe hinunter in den Wohnbereich, wo sie unter dem Mistelzweig an der Tür stehen blieb, um den wunderschönen Anblick desfunkelnden Weihnachtsbaum tief in sich aufzusaugen und die Erinnerung daran an einem ganz besonderen Platz in ihrem Herzen abzuspeichern.

Das war ihr erstes richtiges Weihnachten so weit ihre Erinnerungen zurückreichten. Egal wie viele Weihnachtsfeste es noch geben mochte, dieses hier würde immer etwas ganz Besonderes für sie bleiben.

Im ganzen Haus war es noch beschaulich still, als sie die letzten Schritte zum Baum zurücklegte. Selbst Elijah schien noch zu schlafen, was nach der gestrigen Eierlikörorgie auch nicht weiter verwundern dürfte. Er war zwar bei weitem nicht so betrunken gewesen wie die Zwillinge, aber dass er auch ordentlich einen sitzen gehabt hatte, konnte er nicht leugnen. Dafür hatte er eindeutig zu viel und zu herzlich gelacht.

Leise ächzend ging Delilah vor dem Weihnachtsbaum auf die Knie und drapierte ihre kleinen Gaben sorgfältig unter den letzten Ästen auf der rotgoldenen Zierdecke.

Sie hatte sich für dunkelblaues mit silbernen Schneeflocken verziertes Geschenkpapier entschieden und das ganze noch mit einem versilberten Band umwickelt, um in der Mitte der Päckchen eine schöne Masche machen zu können, an der jeweils ein kleines Namensschild hing.

Es war zwar nichts besonderes, aber Delilah hoffte dennoch, dass die schlichten Geschenke, den Männern ihrer Familie gefallen würden. Zudem sah der Platz unter dem Weihnachtsbaum nun nicht mehr so leer aus und auch das war ein schöner Nebeneffekt.

Nachdem Delilah es geschafft hatte, wieder auf die Beine zu kommen, brühte sie erst einmal richtig guten Kaffee, um die Männer bei ihrem Erwachen wieder auf Vordermann zu bringen und zauberte dann ein üppiges Weihnachtsfrühstück auf den Tisch.

Danach begab sie sich zurück auf ihr Zimmer, um erst einmal schön heiß zu duschen und sich etwas Bequemes für den Tag anzuziehen.

Als sie fertig damit war und das Bad verließ, waren das riesige Bett in dem sie zu dritt schliefen schon sorgfältig gemacht worden, was eindeutig James' Handschrift trug und ihre Gefährten bereits verschwunden.

Delilah fand sie fix und fertig angezogen und mit Kaffeebechern hantierend in der Küche.

Während sie zu ihnen ging, um sich ihren Guten-Morgen-Kuss von ihnen abzuholen, streifte ihr Blick ganz wie von selbst den Weihnachtsbaum und der Anblick ließ ihr Herz plötzlich schneller schlagen. Zu ihrer eigenen Überraschung lagen jetzt nicht nur ihre drei Geschenke unter dem Baum, sondern es hatten sich auch noch ein paar weitere kleine Päckchen dazu gesellt.

Delilah strahlte übers ganze Gesicht, als sie James zuerst erreichte und ihn so fest in die Arme schloss, dass er den Kaffeebecher abstellen musste, um den Inhalt nicht zu verschütten.

„Hey. Guten Morgen, Süße. Alles klar bei euch beiden?“ James hauchte ihr einen Kuss auf ihren Scheitel, ehe sich seine Wange dagegen schmiegte, während seine Hände liebkosend über ihren Rücken streichelten.

Im entging dabei nicht, wie ihr ganzer Körper bebte, weshalb er sie sofort ein Stück weit von sich schob und ihren Blick suchte.

„Alles okay? Ist etwas mit dem Baby?“

Immer noch ein strahlendes Lächeln auf den Lippen nahm sie James' Gesicht zwischen ihre Hände und drückte ihm einen dicken festen Kuss auf den Mund.

„Ja. Alles in bester Ordnung.“ Schließlich zitterte sie lediglich so vor Freude und das war wirklich etwas Gutes.

Der Inhalt dieser neuen Päckchen war ihr im Moment egal und auch für wen sie waren. Das alles spielte einfach keine Rolle. Was wirklich für sie zählte, war die Tatsache, dass ihre Gefährten bei der Weihnachtsdekoration, dem Baum und den Plätzchen nicht Halt gemacht hatten. Nein, sie hatten sich sogar etwas für ihre Lieben überlegt und somit endgültig mit der alten McKenzie-Tradition gebrochen.

„Will auch“, jammerte Dean hinter ihr und zupfte wie ein kleiner trauriger Welpe am Saum ihrer Tunika, um ihre Aufmerksamkeit einzufordern.

Delilah lachte leise, gab James noch einmal einen kleinen Kuss, ehe sie sich zu Dean herumdrehte und nun auch ihm in die Arme fiel, um ihn einmal ausgiebig küssen zu können.

Erst als sie alle drei so viele Küsse und Streicheleinheiten ausgetauscht hatten, dass es wenigstens für die nächsten paar Stunden reichen würde, setzten sie sich an den Tisch und warteten darauf, dass auch Elijah zu ihnen stieß.

Zehn Minuten später war die Familie komplett und fiel erst einmal ausgiebig über das köstliche Frühstück her. Kleine Anekdoten das gestrige Eierlikörgelage betreffend wurden ausgetauscht und auch die Pläne für die nächsten Tage wurden besprochen.

Die Werkstatt hatte über Weihnachten und Neujahr zu. Auch deshalb, damit Delilah noch so viel Zeit wie möglich mit den Zwillingen verbringen konnte, bevor das Baby kam.

Holly würde die nächsten Tage immer wieder einmal vorbeischauen und sie noch weiter auf die Geburt und alles was danach wichtig für sie sein würde, vorbereiten. Aber Delilah war sich sicher, dass sie es nicht nur wegen ihr, sondern vor allem wegen Elijah tat, denn der Unterricht dauerte maximal ein bis zwei Stunden am Tag. Den Rest davon sah man sowohl ihre Hebamme wie auch den alten Werwolf nicht.

Delilah vermutete, dass die beiden die umliegenden Wälder unsicher machten und sie gönnte es ihnen von ganzem Herzen. Dass Holly Elijah in mehr als nur einer Hinsicht gut tat, war nämlich nicht zu übersehen. Selbst jetzt, da er nicht unter dem Einfluss von Alkohol stand, war er viel gelöster als früher und er strahlte, als hätte jemand in seinem Inneren ein Licht angeknipst, dort wo schon seit Jahren nur Finsternis geherrscht hatte.

Als schließlich das meiste Essen auf dem Tisch verschwunden und alle zufrieden satt waren, erhob sich Delilah und sah einmal aufgeregt in die Runde.

„Ich weiß, ich bin sicherlich nicht die Einzige hier, die die Bescherung kaum noch abwarten kann, aber vorher würde ich Elijah gerne, noch um etwas bitten.“

Der alte Werwolf nickte einmal zustimmend, so dass Delilah schnell die Schüssel mit den Namenszettelchen von der Anrichte holte.

„Wir, also Dean, James und ich haben gestern versucht, uns auf einen Namen für das Baby zu einigen. Wenn es ein Mädchen wird, wollen wir es Sarah nennen.“

Sie schenkte Elijah ein liebevolles Lächeln, da ihr das kurze Aufflackern in seinen Augen nicht entgangen war, bevor sie schnell weiter sprach. „Aber bei den Jungennamen sind wir uns nicht wirklich einig. Darum habe ich die Vorschläge auf Zettel geschrieben und wir möchten gerne, dass du einen davon ziehst und der soll es dann sein.“

Delilah hielt dem alten Werwolf die Schüssel hin.

„Seit ihr sicher, dass ihr das so entscheiden wollt?“, fragte er noch einmal in die Runde und fuhr dann mit der Hand durch die Schüssel, nachdem alle schweigend genickt hatten.

Schließlich zog er einen der Zettel heraus und faltete ihn auseinander.

Delilah konnte nicht sagen, ob seine nach oben wandernde Augenbraue ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, aber sie hielt wie ihre Gefährten den Mund und wartete darauf, dass er den Namen vorlas, den er gezogen hatte.

„Hier steht: Kevin.“

Innerlich machte Delilah einen Freudensprung, auch wenn sie nach außen hin ihre Fassung zu waren versuchte, um nicht so etwas wie einen Wettstreit, bei dem sie gewonnen hatte, daraus zu machen.

„Dann also Kevin.“ Die Zwillinge warfen sich wieder einen ihrer für sie so typischen Blicke zu, ehe sie Delilah offen und ehrlich anlächelte.

„Warum eigentlich Kevin?“, wollte Dean dann wissen.

Delilahs Finger begannen an ihrer Serviette zu zupfen und kleine Stücke davon abzureißen, während sie so ruhig wie möglich ihre Wahl erklärte.

„Mein leiblicher Vater hieß Kevin, und da mir sonst nichts von ihm geblieben ist außer vage Erinnerungen an einen sehr angenehmen Mann, dachte ich mir, es wäre ganz schön, wenn unser Sohn nach ihm benannt wäre.“

Kurz herrschte betroffenes Schweigen, bevor James es schnell wieder brach.

„Dann ist es beschlossene Sache. Kevin Bennet also.“ Er nickte ihr mit einem liebevollen Lächeln zu, das sie ebenso sehr erwiderte.

„Nein. Ganz bestimmt nicht.“ Delilahs Lächeln wurde im gleichen Maße breiter, wie sich James' Stirnrunzeln vertiefte.

„Nicht?“ Dean sah ebenfalls fragend drein.

„Ich bin die letzte Überlebende der Bennets und das ist schon okay. Aber unser Kind wird definitiv ein McKenzie werden, falls das für dich okay ist, Elijah.“

„Der Name McKenzie hat irische Wurzeln, ebenfalls der Name Kevin. Was würde besser zusammenpassen? Außerdem bist du inzwischen voll und ganz Teil dieser Familie und dieses Rudels. Deine Kinder werden hier immer einen Platz in der Familie McKenzie haben.“ Elijah schenkte ihr ein Lächeln, das ihr den Bauch wärmte. Ein schöneres Ja hätte er ihr nicht geben können.

Weshalb sie schließlich auch aufstand, um den Tisch herumging und vorsichtig ihre Arme um seinen Hals legte, was sie sich vor ein paar Monaten niemals getraut hätte.

„Ich danke dir.“

Sie war bereits wieder den Tränen nahe, doch als sie seine kräftigen Hände auf ihrem Rücken spürte, war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei.

Beschämt löste sie sich wieder von ihm, wischte sich rasch über die Augen und setzte ihr unbekümmertstes Lächeln auf. „Wie wär's jetzt mit Bescherung?“
 

Eine Viertelstunde später saßen sie alle zwischen einem Haufen zerknüllten Geschenkpapiers auf dem Boden und bewunderten und kommentierten gegenseitig den Inhalt der Päckchen.

Delilah hatte den McKenzie-Männern einen neuen Arbeitsoverall in Schwarz gekauft, der auf dem Rücken den Namen und das Log der Autowerkstatt aufgedruckt hatte und vorne war ganz individuell der Schriftzug des Trägers eingestickt worden.

Sie hatte Schwarz deshalb für passend erachtet, da man bei dieser Farbe nicht gleich die Ölflecken sehen würde, die ganz bestimmt schon nach dem ersten Einsatz dort auftauchen würden.

Alle drei hatten sich riesig darüber gefreut, endlich einen eigenen Overall zu haben, der nicht schon tausend mal geflickt worden war. Sogar Elijah hatte sie für die Idee mit dem Logo am Rücken mehr als gelobt.

Er selbst hatte von den Zwillingen eine neue Uhr geschenkt bekommen, die er auch gleich angelegt und für gut befunden hatte. Das Leuchten in seinen Augen verriet mehr, als seine bescheidenen Worte. Ganz offensichtlich hatte er nicht mit einem solchen Geschenk von seinen Söhnen gerechnet.

James bekam von ihm eine Sammelbox von Prison Break, was eine unerwartet kluge Wahl für den alten Werwolf war, denn das war derzeit die Lieblingsserie seines Sohnes, ohne dass er ihn auch nur einmal wirklich dabei gesehen hätte, wie dieser sie anschaute. Zudem bezweifelte Delilah doch stark, dass er wegen des Geschenks Dean um Rat gefragt hatte. Das passte einfach nicht zu Elijah.

Dean hatte er jeweils ein Jahresabo von seinen beiden Lieblingsautotüftlermagazinen geschenkt, nach denen er immer so verrückt war, dass er damit sogar auf dem Klo verschwand und erst Stunden später wieder auftauchte. Was nicht nur Delilah des Öfteren ärgerte. Aber wenigstens machte er dabei das Fenster auf.

Zu guter Letzt legten die Zwillinge ihr jeweils ein kleines Schmuckschächtelchen in jede Hand, die Delilahs Herz sofort höher schlagen ließen, auch wenn sie nicht glaubte, dass es sich hier um Ringe handelte. Aber der Gedanke kam ihr doch ganz kurz und war auch nicht vollkommen abwegig.

Trotzdem war sie irgendwie ein bisschen erleichtert, dass es keine Ringe, sondern zwei besonders schöne Teile eines Anhängers waren, die zusammengehörten.

Der Schmuck war aus echtem Silber und stellte zwei kleine Wölfe dar, die sich um ein Herz wandten, das in der Mitte geteilt war. Die Augen der Wölfe sahen so aus, als wären es winzige Bernsteine und auf der Rückseite der Anhänger war etwas eingraviert, das man nur lesen konnte, wenn man die beiden Teile zusammenfügte, was Delilah auch sofort tat.

Dort stand in verschnörkelter Schrift: Für immer die deinen.

Delilah war so sprachlos, dass sie kein Wort herausbrachte.

„Ich hab dir doch gesagt, dass das wahrscheinlich zu kitschig-“, begann Dean seinen Bruder anzunörgeln, wurde aber sofort von Delilahs heftigem Kopfschütteln abgelenkt.

„Ich liebe es!“, presste sie mühsam zwischen bebenden Lippen hervor, während sie die beiden Schmuckstücke wie einen kostbaren Schatz an ihr Herz drückte.

„Ich habe nur leider keine Kette dafür“, gab sie kleinlaut zu.

„Ha! Hab ich’s dir nicht gesagt?“ James grinste seinen Bruder triumphierend an, bevor er aufsprang und in die Küche lief, um dort etwas aus einen der obersten Schränke zu holen, an die sie niemals ohne fremde Hilfe herangekommen wäre.

Als er zurückkam, ließ er sich hinter ihr nieder, nahm ihr vorsichtig die beiden Anhänger aus den Händen und nur ein paar Augenblicke später, baumelten sie an einer ebenso schönen Kette aus Silber um ihren Hals.

Mit Worten konnte Delilah nicht ausdrücken, wie sehr sie sich über das Geschenk der beiden freute, also nahm sie sich schließlich zuerst James vor und küsste ihn mit aller Dankbarkeit, die ihr zur Verfügung stand, und widmete sich dann Dean, solange bis Elijah sich dezent räusperte und so wieder auf sich aufmerksam machte.

Delilah hatte ihn schon vollkommen vergessen. Peinlich berührt, richtete sie sich wieder die Haare und versuchte das Glühen ihrer Wangen mit ihren Händen etwas zu mildern, aber das war natürlich vergeblich.

Zum Glück ging Elijah nicht weiter auf die Knutscherei ein, sondern deutete mit erhobenem Zeigefinger an die Decke.

„Da gibt es noch etwas, das du dir ansehen solltest.“

„Oh, stimmt ja!“ Dieses Mal sprang Dean voller Tatendrang auf und zog auch Delilah mit sich in die Höhe. Mit ihrem Vater im Schlepptau bugsierten die Zwillinge sie die Treppe hoch, direkt vor die Tür zu dem für sie verbotenen Zimmer.

Dort drehte Dean sich noch einmal zu ihr um und senkte etwas die Stimme, als er zu ihr sagte: „James und ich hoffen darauf, dass du uns nach der Geburt des Babys ausgiebig dafür entschädigst, dass du uns wegen dieses Zimmers so oft das Fell über die Ohren gezogen hast.“

Bevor Delilah verstehen konnte, was Dean damit sagen wollte, nahm er das Betreten-Verboten-Schild ab und darunter kam ein gänzlich anderes zum Vorschein.

Delilahs Augen weiteten sich und jetzt ergaben seine Worte auch Sinn.

Das kleine hölzerne Türschild war zwar noch unvollständig, da der Name des Babys in der Mitte fehlte, aber dennoch wunderschön anzusehen.

Wie bei ihrem Anhänger gab es auch hier Wölfe, die rund um den Rahmen des Schildes eingearbeitet waren, doch jetzt waren es Welpen, die sich gegenseitig zu jagen schienen.

Noch bevor Delilah sich alles bis ins letzte Detail genau anschauen konnte, öffnete Dean die Tür.

„Frohe Weihnachten, Deli.“ Er trat zur Seite und gab den Blick auf das Innere des Zimmers frei.

Delilahs Hand tastete blind hinter sich nach der von James, die sie dann so fest umklammerte, dass sie sie ihm bestimmt zerquetschte, aber er gab keinen Mucks von sich.

Vor ihr offenbarte sich der wahrgewordene Traum eines reichlich ausgestatteten Kinderzimmers.

Zuerst konnte Delilah nur die hellen, sonnigen Farben des Raumes in sich aufnehmen, bevor mehr und mehr Details auf sie eindrangen.

In der Mitte der beiden Fenster ihr gegenüber stand ein schlichtes, aber aus schönverarbeitetem Holz gefertigtes Gitterbett, das an allen Seiten mit schmalen Kissen in der Farbe von Butterblumen ausgepolstert war und zu den Bezügen des winzigen Bettzeugs passten.

Gleich rechts daneben an der Wand war ein weißbemalter Kleiderschrank, von wo aus ein ebenso weißer Plüschwolf sie mit runden Glasaugen im Blick hatte.

Direkt neben dem Schrank befand sich in Reichweite ein ausladender Wickeltisch der gleichen Farbe, der bereits mit Windeln, Puder, Ölen und Feuchttüchern reichlich bestückt war.

Auf der anderen Seite des Zimmers, dort wo früher Deans Schreibtisch gewesen war, stand nun ein ziemlich moderner, schön gepolsterter Stillsessel mit passender Fußstütze und schien nur darauf zu warten, dass man sich hineinsetzte, was Dean auch schließlich tat, während er wie der Rest der McKenzies schweigend dabei zusah, wie Delilah das Zimmer auf sich wirken ließ.

Als sie sich weiter in den Raum vorwagte und auf einem flauschigen Schaffellteppich zum Stehen kam, konnten sie nun auch in der Ecke hinter der Tür einen zusammengeklappten Kinderwagen und daneben einen kleinen Buggy stehen sehen. Sogar an einen Stubenwagen hatten sie gedacht!

Der Rest des Zimmers war wie die ganzen Möbel darin sorgfältig ausgewählt und dekoriert worden, so dass man sich sofort wohl in diesem Zimmer fühlte.

Doch was Delilah am Meisten daran schätzte, war die neutrale Farbwahl. Sie konnte unmöglich anhand der Farben oder Gegenstände im Zimmer sagen, ob hier in Zukunft nun ein Junge oder ein Mädchen schlafen würde. Selbst daran hatten die Zwillinge gedacht.

Wie in einem Traum ließ sie James' Hand schließlich los, um den Rahmen des Kinderbettes berühren und die weiche Beschaffenheit des Holzes befühlen zu können. Es war sogar noch schöner, als das was in ihrem Schlafzimmer stand, auch wenn das kaum noch möglich zu sein schien.

Das kleine Kissen, in das sie kurz darauf ihr Gesicht drückte, war wunderbar weich und duftete nach frischer Wäsche.

Sorgfältig legte Delilah es zurück und musterte eine kleine Hightechausstattung, die direkt an der Wand angebracht war und von der sie im ersten Moment nicht genau wusste, was sie davon halten sollte.

„Das ist eine Kamera. Und mit dem Teil hier-“ James drückte ihr ein kleines Gerät mit einem Bildschirm und ein paar Knöpfen in die Hand. „-kannst du unserem Baby später dann beim Schlafen zusehen, oder ihm per Knopfdruck eine Melodie vorspielen lassen. Das ist heutzutage die moderne Variante eines Babyphons.“

Delilah hatte davon gelesen, aber da die Teile nicht gerade billig waren, wäre sie nie selbst auf den Gedanken gekommen, sich so etwas zu kaufen.

Überhaupt hätte sie sich nicht einmal einen Bruchteil von dem leisten können, was die Ausstattung dieses Zimmers gekostet haben musste.

Selbst das Einkommen der Brüder dürfte kaum noch für etwas anderes gereicht haben. So viel verdienten sie dann auch wieder nicht.

„So wundervoll ihr das alles auch hergerichtet habt, aber das muss euch doch wahnsinnig viel Geld gekostet haben.“

Delilah konnte nicht vor James verbergen, dass sie sich zwar wahnsinnig über das Zimmer freute, aber auch irgendwie schlecht dabei fühlte, dass sie nichts dazu hatte beisteuern können. Ebenso wenig wie zu den anderen Veränderungen im Haus, die die Brüder vorgenommen hatten, seit sie bei ihnen eingezogen war.

„Jeweils ein halbes Jahresgehalt im Voraus", steuerte Elijah hilfreich mit konkreten Details bei.

Als sich nicht nur ihre Augen entsetzt weiteten, sondern auch James' Gesichtszüge regelrecht entgleisten und Dean beinahe vom Stillsessel gefallen wäre, erklang plötzlich ein grollendes Donnern in ihrem Rücken und ließ sie auf der Stelle herumfahren, nur um noch weiter die Augen aufzureißen.

Elijah lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen und begann immer heftiger zu lachen.

Rasch warf sie einen schnellen Seitenblick zu Dean und James, um zu prüfen, ob auch die beiden das sahen, was sie sah, aber ihre schockierten Gesichter waren die Bestätigung.

„Hat er uns-“, begann Dean verdattert.

„-gerade verarscht?“ James klang nicht weniger verwirrt und sah seinen Bruder hilflos an, der ihm auch nicht weiterhelfen konnte.

Da passierte es.

Es fing ganz klein an und wurde immer stärker, je mehr sie ihre anfängliche Überraschung von sich abschüttelte, bis Delilah sich nicht mehr länger halten konnte und ebenfalls in Elijahs Lachen mit einstimmte.

Aber verdammt auch, sein tiefes, grollendes Lachen so voller Heiterkeit war einfach unglaublich ansteckend und die Gesichter der Zwillinge machte es nicht besser, eher nur noch schlimmer.

Irgendwann, als Delilah schon mächtig vor Lachen der Bauch wehtat und sie sich die Tränen aus den Augen wischen musste, wurde es wieder ruhiger im Zimmer und Elijah räusperte sich, als wäre es ihm fast ein bisschen peinlich, dass er sich so hatte gehen lassen, bevor er sich an sie alle drei wandte.

„Nur um eines klarzustellen, das Zimmer hier ist mein persönliches Geschenk an mein Enkelkind. Ihr drei werdet auch so noch genug Gelegenheiten haben, ordentlich Geld loszuwerden. Das fängt schon im Kindergarten an und steigert sich mit jedem weiteren Schuljahr. Also fangt besser schon mal zu sparen an. So ein College ist nicht billig.“

So wahr seine Worte auch waren, im Moment zählte nur eines und das war Elijahs großzügiges Geschenk.

Delilah war die Erste, die den alten Werwolf umarmte und sich dabei aufrichtig bei ihm bedankte. Hätte sie vorher noch Bedenken gehabt, dass er ein guter Großvater sein würde, so wären sie spätestens jetzt endgültig ausgeräumt.

Kein Mann gab so viel Geld für ein Kind aus, das ihm nichts bedeutete.

Aber ihr Alphawolf hatte sie bisher auch noch nie enttäuscht, aber dafür begann er sie immer öfter, positiv zu überraschen.

57. Kapitel

„Wo ist eigentlich Elijah?“

James, der gerade dabei war, sorgfältig die Zutaten für eine üppige Schokoladentorte abzuwiegen, ließ sich von ihrer Frage nicht ablenken. Nur das leichte Runzeln seiner Augenbrauen war ein Zeichen dafür, dass er sie gehört hatte.

„Keine Ahnung. Ich hab ihn heute noch nicht gesehen“, antwortete er ihr schließlich, nachdem er noch einen halben Esslöffel Mehl auf den Haufen in der Rührschüssel, die er gerade abwog, hinzugefügt hatte.

Überlegend rührte Delilah in der Schokolade herum, die langsam in einem Wasserbad auf dem Herd zu schmelzen begann. „Meinst du, er hat geahnt, dass wir ihn mit einer Geburtstagstorte beglücken wollen, und ist deshalb abgehauen?“

James lachte kurz auf, während er aus dem Kühlschrank eine Packung Eier nahm. „Zuzutrauen wär’s ihm. Er war noch nie ein großer Fan von Geburtstagen. Schon gar nicht, was seinen eigenen angeht. Er hält das für überflüssig.“

„Na ja. Ehrlich gesagt ist er da nicht der Einzige. Meine Geburtstage sind mir auch immer völlig egal.“ Ohne die Schokolade ganz aus den Augen zu lassen, warf Delilah immer wieder einen Seitenblick zu James hinüber, der es schaffte wie kein Zweiter, jeweils sechs Eier mit nur einer Hand aufzuschlagen und das Eiweiß von dem Dotter zu trennen.

Egal wie gut sie inzwischen das Kochen und Backen auch beherrschte, DAS würde sie vermutlich nie können.

„Noch ein Geburtstagsmuffel!“ James seufzte theatralisch und begann dann das Eiweiß zu Eischnee zu verrühren, wodurch jedes weitere Gespräch für eine Weile unmöglich wurde.

Inzwischen war dann auch die Schokolade zu Delilahs Zufriedenheit geschmolzen, so dass sie die dunkle Flüssigkeit mit der zimmerwarmen Butter vermengen und schon mal mit der Hand grob verrühren konnte. Danach vermischte sie den von James sorgfältig abgewogenen Puderzucker mit dem Eigelb in einer anderen Schüssel und drückte ihm diese dann in die Hand, sobald er mit dem Schnee fertig war.

Sie beide waren beim Kochen und Backen inzwischen ein so eingespieltes Team, dass kaum noch Worte zwischen ihnen nötig waren, um den Ablauf so glatt wie möglich über die Bühne zu bringen. Da Delilah ihm alles vorbereitete, so dass er nur noch die Mischungen zu mixen brauchte, ging es auch ziemlich schnell, den Teig für die Schokoladentorte fertigzumachen.

Ein paar Minuten später war er auch schon im Rohr und sie konnten damit beginnen, aufzuräumen.

„Wie alt wird Elijah überhaupt?“ Delilah hielt James eine nun saubere, aber tropfende Rührschüssel hin, die er mit einem Geschirrtuch in den Händen in Empfang nahm.

Er musste eine ganze Weile überlegen. „Ich glaube 45.“

„Wirklich?“ Ihre Hände hielten überrascht in ihrer Tätigkeit inne, während Delilah einen fragenden Blick zu James warf, der daraufhin nickte. „Ja, ziemlich sicher sogar.“

„Wow. Ich hätte ihn älter eingeschätzt. Ich meine jetzt nicht, dass er so alt aussieht, aber ...“

„Ich weiß, was du meinst. Das macht der Alphawolf in ihm. Er hatte die Ausstrahlung schon früher. Du kannst mir glauben, dass es nicht angenehm ist, von so einem Dad ausgeschimpft zu werden.“

Das brachte Delilah zum Lachen. „Ach, ich bin mir sicher, dein Bruder und du hatten es sicher verdient. Ihr zwei wart bestimmt keine Engel und Elijah war ja auch ein recht junger Vater. Ihr habt es ihm sicher nicht allzu leicht gemacht.“

„Ja, kann schon sein.“ James knetete ertappt seinen Nacken, bevor er wieder mit dem Abtrocknen weitermachte.

„Aber ich würde ihn für keinen anderen Dad auf der Welt eintauschen wollen“, fügte er schließlich noch leise hinzu.

„Und ich keinen anderen Schwiegervater haben wollen.“
 

Es war mitten in der Nacht, als der Durst Delilah aus ihrem Bett holte und sie, wie schon so oft, magisch in die Küche zog.

Im ganzen Haus war es ruhig und durch die Weihnachtsbaumbeleuchtung musste sie noch nicht einmal das Licht anmachen, um zum Kühlschrank zu finden.

Ihren gröbsten Durst stillte sie mit ein paar ausgiebigen Schlucken von dem kalten Orangensaft, bevor sie sich mit der Flasche in der Hand herumdrehte und sich bequem gegen die Anrichte lehnte, während sie wie so oft, die friedliche Stimmung des festlich geschmückten Raumes in sich aufnahm.

Delilah liebte dieses Haus, deren Bewohner und das Gefühl, endlich dazuzugehören. Sie hätte sich früher zwar niemals vorstellen können, dass es so sein könnte, aber wäre es ihr möglich gewesen, hätte sie sich genau das gewünscht.

In Gedanken versunken strich sie sich über ihren Bauch, worin ihr kleines Baby im Moment scheinbar friedlich schlief und wurde schließlich auf die Schokoladentorte aufmerksam, die zwar immer noch feinsäuberlich von einer Glasglocke geschützt wurde, doch das riesige Stück, das inzwischen fehlte, ließ sie plötzlich lächeln.

Dann hatte Elijah seine Geburtstagstorte wohl doch gefunden, denn von den Zwillingen hätte es keiner gewagt, sich ein Stück zu nehmen und sie selbst hatte bestimmt auch nicht von der Torte genascht, obwohl es sie durchaus immer wieder sehr gereizt hatte.

Wann Elijah wohl nach Hause gekommen war? Sie musste schon geschlafen haben, sonst hätte sie ihn bestimmt gehört.

Nun ja, es war sein Geburtstag, er konnte also an diesem Tag heimkommen und machen, was er wollte. Alt genug war er ja dafür.

Ein Gähnen unterdrückend, stellte Delilah schließlich den Orangensaft wieder zurück in den Kühlschrank und rieb sich die müden Augen, während sie aus der Küche schlurfte.

Beim untersten Absatz der Treppe angekommen, ließ sie ein Geräusch plötzlich wachsam innehalten und die Ohren spitzen.

Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Dunkelheit im hinteren Teil des Hauses hinein und konnte es wieder hören.

War das etwa das leise Lachen einer Frau?

Delilah war sich nicht ganz sicher, weshalb sie ein paar Schritte den dämmrigen Flur entlang ging und wieder stehen blieb, als ihr klar wurde, dass das Geräusch aus Elijahs Zimmer kam.

Nur war es dieses Mal kein Lachen, sondern etwas ganz anderes.

Mit glühenden Wangen schlug sich Delilah die Hand vor den Mund, um das breite Grinsen zu verbergen, das ihr die eindeutigen Geräusche auf die Lippen gezaubert hatten, obwohl niemand es sehen konnte.

So verbrachte Elijah also seinen Geburtstag. Nun, es sei ihm vergönnt.

Immer noch breit grinsend machte Delilah sich auf den Weg zurück in ihr eigenes Bett, wo ihre beiden Gefährten, völlig unberührt von den Ereignissen einen Stock tiefer, fest schliefen.

Sie hatte also recht behalten, als sie den Zwillingen verkündet hatte, dass hier im Haus bald wieder Sex in der Luft läge, auch wenn sie den beiden ihre neue Entdeckung bestimmt nicht auf die Nase binden würde.

Mit einem leisen Seufzen schloss Delilah schließlich wieder die Augen und dachte daran, wie schön es sein würde, wenn auch sie sich wieder ausgiebig mit ihren Gefährten vergnügen konnte. Das letzte Mal war schon viel zu lange her und trotz ihres Zustand, vermisste sie das Gefühl jeden Tag aufs Neue.

Aber erst einmal musste das Baby zur Welt kommen.
 

***
 

Silvester kam und ging, ohne dass Delilah und die Zwillinge großartig etwas davon mitbekommen hätten.

Sie hatten nicht nur den halben Tag, sondern natürlich auch die ganze Nacht im Bett verbracht, sich Geschichten aus ihrer Vergangenheit erzählt, die sie noch nicht kannten, unterstützt von kleinen Naschereien, die James liebenswerterweise für sie zubereitet hatte und später, als es dann auf Mitternacht zuging, waren immer weniger Worte, aber dafür umso mehr Küsse ausgetauscht worden.

Ihre Jungs hatten zunächst noch mit leichtem Zögern reagiert, aber als Delilah ihnen erklärt hatte, dass Küsse und Streicheleinheiten durchaus dazu beitragen könnten, dass das Baby früher kam, sofern es natürlich auch bereit dazu war und sie das als gute Trockenübung für spätere Situationen dieser Art zu dritt, betrachtete, ließen sie sich schließlich darauf ein.

Zugegeben, sie fühlte sich auch durchaus von Elijahs und Hollys Liebesleben inspiriert.

So schwer es ihren Männern immer noch fiel, sie unter sich zu teilen, so viel Mühe gaben sie sich doch auch, daran etwas zu ändern und obwohl in dieser Nacht alle unteren Körperregionen tabu gewesen waren, lernten sie doch zu dritt den Rest davon auf intensive Weise neu kennen.

Das Ganze hatte schon fast etwas von einem tantrischen Erlebnis, aber auf alle Fälle war es sehr sinnlich und befriedigend und Delilah hatte sich den Zwillingen noch nie näher gefühlt, als in dieser berauschenden Silvesternacht.
 

***
 

Das neue Jahr kam und mit ihm noch mehr Schnee.

Immer wieder mussten ihre Männer ausrücken, um sich um liegengebliebene oder in Gräben gerutschte Autos zu kümmern, so dass Delilah Zeit hatte, sich bei einer heißen Tasse Tee noch weiter mit Holly anzufreunden.

„Und, wann wirst du unserem Rudel beitreten?“ Delilah ließ es ganz zwanglos klingen, obwohl sie vor Neugierde fast platzte. Es war schließlich kein Geheimnis, dass Holly etwas mit Elijah hatte. Zumindest könnten die beiden das nicht einmal dann verheimlichen, wenn sie es wirklich darauf anlegten. Beide hatten den Geruch des anderen sehr intensiv an sich. Den Nasen von Wölfen konnte das unmöglich entgehen.

Trotzdem verschluckte sich Holly fast an ihrem Tee und wurde nicht nur davon knallrot im Gesicht.

„Wie kommst du jetzt darauf?“ Hastig stellte sie ihre Tasse zurück auf den Couchtisch und tupfte mit ihrer Serviette ein paar Tropfen von ihrem Ausschnitt.

„Nun ja, so abwegig ist die Frage doch nicht, wenn du mal ehrlich bist, oder? Elijah und du, das ist einfach nicht zu übersehen.“

„Und ist das etwas Gutes oder Schlechtes?“, kam prompt Hollys Gegenfrage, während sie immer noch so tat, als müsse sie ihren üppigen Busen trockenlegen.

Die Unsicherheit in ihren Worten brachte Delilah zum Lächeln. „Ich bin mir sicher, dass ich nicht nur für mich alleine spreche, wenn ich sage, dass es sogar etwas sehr Gutes ist. Du tust Elijah in jeder Hinsicht gut. Ich kenne ihn zwar noch nicht so lange, aber er sah noch nie besser aus.“

Holly blickte mit einem kleinen verschmitzten Lächeln hoch und legte nun doch die Serviette zur Seite. „Da hast du allerdings recht.“

Leise seufzend ließ sie dann aber doch wieder den Kopf hängen.

„So einfach ist das nicht, Delilah. Wenn ich könnte, würde ich das Great-Falls-Rudel sofort verlassen, selbst wenn ich Elijah nicht kennen würde. Einfach weil ich früher schlechte Erfahrungen mit den Leuten dort gemacht habe, aber für meine Tochter ist es sehr wichtig. Sie ist jetzt sechzehn und braucht den Zusammenhalt unter Werwölfen, um zu lernen, was es bedeutet, in einem Rudel und vor allem eine Werwölfin zu sein.“

Das klang vernünftig, überzeugte Delilah aber nicht zur Gänze.

„Ich habe deine Tochter noch nicht kennengelernt, aber ich bin mir sicher, mit einer Mutter wie dir ist sie bestimmt eine tolle Persönlichkeit. Es wäre bestimmt nichts dabei, auch sie in unserem Rudel aufzunehmen. Gerade auch weil du ihre Mutter bist. Ich denke nicht, das Elijah etwas dagegen hätte.“

„Hat er nicht.“

Das kam so prompt, dass Delilah sich nun sicher war, dass Holly mit dem alten Werwolf bereits über dieses Thema gesprochen hatte.

„Und was spricht dann dagegen?“, versuchte sie es vorsichtig weiter, während sie sich den leicht schmerzenden Bauch rieb.

Der Seufzer, der dieses Mal aus Hollys Mund kam, beinhaltete eine ganze Menge mehr als der Letzte.

Sie ließ sich sogar schwer zurück in die Polster der Couch fallen und starrte an die Decke.

„Sie hat jetzt einen Freund.“

Oje. Das klang ja nicht besonders begeistert, aber Delilah hütete sich davor, einen Kommentar dazu abzugeben.

„Er ist sogar ein recht netter Junge. Ein bisschen verweichlicht, aber Geschmäcker sind eben verschieden. Nicht jeder Mann kann ein Alpha sein.“

Ihre Lippen verzogen sich zu einem kleinen Grinsen, ehe sie wieder ernster wurde.

„Sie scheint sich ganz schön verliebt zu haben und du kennst das doch. Man tut alles, um diese Liebe aufrechtzuerhalten. Meine Tochter würde im Moment also niemals das Rudel wechseln und dem Gesetz nach, kann ich nicht in einem anderen Rudel wie sie leben, solange sie nicht volljährig ist. Ich werde also noch gut zwei Jahre warten müssen.“

Das war eine lange Zeit, wie Delilah fand, doch Holly schien das anders zu sehen, als sie sehr viel enthusiastischer meinte: „Aber was sind schon zwei Jahre, nachdem ich Eli siebenundzwanzig Jahre lang nicht gesehen habe. Und es ist uns ja nicht verboten, uns dennoch zu treffen. Auch wenn wir aus zwei verschiedenen Rudeln kommen.“

Na das war ja ganz schön fortschrittlich vom Great-Falls-Rudel. Aber auch jetzt verkniff sich Delilah einen bösen Kommentar dazu, stattdessen gab sie Holly recht. „Das stimmt allerdings. Und ich selbst profitiere natürlich auch davon, dass du so oft hier bist. Das ist - WOW!“

Schnell stellte Delilah ihre Tasse zur Seite und nahm die Füße vom Couchtisch, um sich gerade aufzusetzen, was das Gefühl zwischen ihren Beinen noch mal verschlimmerte.

„Delilah?“ Alarmiert schaltete Holly sofort in den Hebammen-Modus. „Was ist los?“

Etwas peinlich berührt tastete Delilah zwischen ihre Beine und fühlte nur allzu deutlich, wie ihre Hose ganz feucht war.

„Also entweder habe ich mich gerade angepinkelt oder ich verliere Fruchtwasser.“

„Es riecht ganz eindeutig nach Fruchtwasser. Hast du denn auch schon Wehen?“ Holly rutschte näher und legte ruhig ihre Hand auf Delilahs Bauch, der sich genau in diesem Augenblick wieder ein bisschen verhärtete.

„Kann sein. Ich weiß es nicht. Ich dachte, es sind nur wieder Vorwehen. Fühlte sich bisher auch ganz erträglich an.“

„Und wie lange spürst du sie schon?“

Delilah versuchte sich daran zu erinnern, aber sicher war sie sich nicht. „Ich glaube, seit dem Mittagessen.“

„In regelmäßigen Abständen?“, wollte Holly weiter wissen, während sie sanft ihren Bauch abtastete.

Delilah zuckte nur mit den Schultern. Sie hatte nicht genau darauf geachtet. In den letzten Tagen hatte sie mehrmals so etwas wie leichte Wehen verspürt, die aber auch wieder aufgehört hatten. Sie dachte, dieses Mal wäre es das gleiche.

„Nun, ich denke, das Baby ist jetzt so weit.“ Holly lächelte sie beruhigend an, während Delilah zu realisieren versuchte, was das genau bedeutete. Ging es denn jetzt wirklich los?

„Ich muss die Zwillinge anrufen!“ Hektik begann sie zu erfassen, schließlich waren alle McKenzies gerade irgendwo da draußen, während sie hier ihr Baby bekam.

„Ruhig, Delilah. Bis zur Geburt kann es noch Stunden dauern und die Männer wollten vor dem Abendessen zurück sein. Also mach dir keinen Stress. Lass uns erst einmal langsam alles herrichten und versuch dich zu entspannen. Es ist alles gut.“

Hollys Stimme war von einer hypnotisierenden Gelassenheit erfüllt, der sich Delilah nach einem tiefen Blick in diese großen grünen Augen nicht länger entziehen konnte.
 

Delilah lag bei entspannender Musik in der Badewanne, als ihre beiden Männer nach Hause kamen und sofort die Treppe hochpolterten, kaum dass Holly ihnen die Neuigkeit mitgeteilt hatte.

Deli!“ Die Zwillinge quetschten sich irgendwie beide gleichzeitig durch den Türrahmen zum Bad, bevor sie um den Platz auf dem Badvorleger rangelte, bis Delilah sie mit einem leisen Knurren ermahnte.

„Heute keine Streitigkeiten bitte.“ Sofort waren die beiden friedlich.

„Geht es ...“, wollte Dean gerade anfangen, als James ihm die Worte aus dem Mund stahl. „... dir gut?“

Kurz sah Dean seinen Bruder böse an, bis er sich lieber auf Delilah konzentrierte und ihre Hand nahm. James hingegen streichelte ihren Nacken und küsste kurz ihre Stirn.

„Ja, alles klar, bis auf ...“ Delilah verzog das Gesicht und atmete tief durch die Nase ein, bevor sie die Luft aus dem Mund wieder entließ. Das machte sie ein paar Mal, bis der Schmerz wieder etwas abgeebbt war. „... die Wehen. Die tun echt scheißweh.“

„Hab ich gemerkt.“ Dean sah etwas zerknirscht drein und versuchte Delilahs Finger um seine Hand ein bisschen zu lockern.

Delilah lächelte ihn entschuldigend an, bevor sie die beiden gründlicher betrachtete.

„Ihr solltet duschen gehen und euch etwas Sauberes anziehen. Zweifellos wird das Baby Mechanikergene haben, aber es muss nicht gleich von der ersten Minute an drauf gestoßen werden.“

Die Zwillinge blickten sich kurz musternd an und kamen wohl zum selben Schluss, wie sie.

Du zuerst!“, stießen sie wie aus einem Munde und knurrten sich schon wieder an. Doch bevor Delilah sie erneut ermahnen konnte, kam ihr James zuvor.

„Schere. Stein. Papier?“

„Na gut“, stimmte Dean ihm eher widerwillig zu und die beide knobelten aus, wer bei Delilah bleiben durfte, während der andere zuerst duschen ging.

Währenddessen musste Delilah eine weitere Wehe wegatmen, die stärker als die davor war.

James verlor und trollte sich aus dem Bad, während Dean nun vollständig seinen Platz an ihrer Seite einnahm und sie anlächelte, wobei ihm seine Nervosität eindeutig anzusehen war.

„Es ist alles gut, D. Holly ist eine hervorragende Hebamme und sie hat gesagt, dass das Baby und ich in einem ausgezeichneten gesundheitlichen Zustand sind. Uns beiden wird also nichts passieren.“

Das - was, wenn doch - ließ er unausgesprochen, aber sie konnte es in seinen Augen sehen. Er hatte Angst. Große Angst sogar.

An seinem Nacken zog sich Delilah etwas höher, um ihm einen beruhigenden Kuss auf die Lippen hauchen zu können.

„Holly hat Young bereits darüber informiert, dass das Baby kommt. Sollte es Komplikationen irgendwelcher Art geben, wird er sofort kommen. Okay?“

Dean nickte nur, weshalb Delilah schließlich ihre Arme um ihn schlang und ihn festhielt, bis das Zittern seines Körpers nicht mehr ganz so schlimm war.

„Hilfst du mir aus der Wanne?“, fragte sie ihn nach einer Weile. „Vom langen Liegen tut mir der Rücken weh.“

„Natürlich.“ Dean schnappte sich ein großes Badetuch und hob Delilah fast schon aus dem Wasser, bevor er sie gründlich in das weiche Frottee einwickelte.

Wieder musste sie kurz innehalten und mehrmals tief ein und ausatmen, bevor es weitergehen konnte.

Sie zog sich ein weites T-Shirt an, das ihr bis zur Mitte der Oberschenkel ging, da sie im Moment das Gefühl enger Kleider oder gar einer Hose nicht auf sich ertragen konnte.

Zurück in ihrem Schlafzimmer hatte Holly bereits alles hergerichtet, das sie in den nächsten Stunden brauchen würden.

Alte Handtücher, eine wasserdichte Unterlage, Knabberzeug, Wasser zum Trinken, einen pinken Gymnastikball, Kerzen und natürliche Massageöle und noch diverse andere kleine Dinge, die sie eventuell gebrauchen könnten und natürlich ihren Hebammenkoffer.

„Und wie fühlst du dich?“ Die brünette Werwölfin war die Ruhe selbst und Delilah hoffte sehr, dass etwas davon auf Dean abfärben würde, der ihre Hand hielt, als würde er sie für immer verlieren, wenn er sie auch nur einmal losließ.

„Entspannter, aber die Wehen werden stärker.“

„Gut. Lässt du mich einmal nachschauen, wie weit dein Muttermund inzwischen ist?“

Delilah nickte und ging zum Bett hinüber, um sich zu setzen. Holly streifte sich inzwischen sterile Handschuhe über und wollte gerade zwischen ihre Beinen tasten, als Deans Knurren sie nachdrücklich davon abhielt.

Überrascht sah Delilah zu ihm hoch und glaubte ihren eigenen Mann nicht mehr widerzuerkennen. Seine ganze Haltung, ja selbst der Ausdruck seines Gesichts war eine einzige Warnung, die besagte: Leg' Hand an meine Gefährtin und ich reiß dich in Stücke!

„Dean?“ Delilah zog sanft an seiner Hand, aber er reagierte nicht, bis sie ihm ihre andere Hand auf die Wange legte und sein Gesicht nachdrücklich zu sich herumdrehte.

„Es ist alles gut, D. Sie will nur nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Sie will mir nichts tun und auch nicht dem Baby. Verstehst du das? Sie hilft mir. Ich brauche sie. Lässt du sie bitte ihre Arbeit machen?“

Hinter Deans Augen tobte ein wilder Kampf, bis er seinen Wolf schließlich wieder so weit im Griff hatte, dass er schwach nicken konnte.

„Tut mir leid.“

„Schon in Ordnung, Dean“, beschwichtigte ihn nun auch Holly. „Es ist ganz normal, dass du deine Gefährtin und das Baby beschützen willst. Also versuch bitte immer daran zu denken, dass ich hier bin, um zu helfen und nicht um ihnen zu schaden.“

Wieder ein Nicken. Dieses Mal deutlicher. Trotzdem traute Delilah dem Frieden noch nicht so ganz, weshalb sie schließlich einen Kuss auf Deans Hand hauchte und ihm leise zuflüsterte: „Ich glaube, J dürfte inzwischen fertig sein.“

Er verstand den Wink, und obwohl es ihm deutlich widerstrebte, ließ er doch langsam ihre Hand los und atmete einmal tief durch.

„Ich beeile mich“, versprach er.

„Tu das.“

Sobald Dean die Tür hinter sich wieder zugezogen hatte, atmete Delilah tief durch. „Kann ich mich darauf einstellen, dass ich solche Reaktionen heute noch öfter zu sehen bekomme?“

Holle lachte leise. „Oh ja und wie du das kannst. Aber keine Sorge. Normalerweise greifen Werwolfmänner Hebammen nicht an. Sie wissen instinktiv, dass wir den werdenden Müttern nur helfen wollen, aber für sie kann es trotzdem nie schaden, ihren Standpunkt als Beschützer deutlich klarzumachen.“

Na das konnte ja noch was werden. Schließlich hatte sie zwei von der Sorte.

„Der Muttermund sieht gut aus. Du machst gute Fortschritte.“

Wenigstens eine erfreuliche Nachricht.
 

In den nächsten Stunden war Delilah mehr und mehr dazu gezwungen, sich nur noch auf sich und ihren eigenen Körper zu konzentrieren, während sie alles andere um sich herum nur noch als Randnotiz wahrnahm.

Unbewusst bekam sie natürlich trotzdem mit, dass ihre Männer bei ihr waren und sie in jeder erdenklichen Hinsicht unterstützten, was sie ungemein beruhigte, aber sie könnte nicht mehr genau sagen, wer von den beiden ihr den schmerzenden Rücken massiert und wer sie zwischen den Wehen mit stärkenden Snacks gefüttert hatte.

Was sie aber sehr wohl mitbekam, war der friedliche Ablauf, mit dem die beiden sich mit ihren Aufgaben abwechselten.

Zunächst hatte es für Delilah so ausgesehen, als würden sich die beiden um jeden Handgriff streiten, doch nach und nach war es für die Brüder nötig, sich gegenseitig zu beruhigen und zu unterstützen. Sie verstanden nur zu gut, die Nervosität und Angst des anderen und so geschah es, dass diese Nacht, in der ihr gemeinsames Kind zur Welt kommen sollte, sie mehr zusammenschweißte, als alle Gelegenheiten davor.

Auch Elijah war da, wie ein stiller Schatten und zugleich ihr Fels in der Brandung, da die Ruhe und Stärke des Alphas den ganzen Raum erfüllte und Delilah, trotz ihrer eigenen Sorgen und Ängste, Ruhe und Vertrauen schenkte.

Vertrauen in ihre Hebamme, aber vor allem Vertrauen in ihren eigenen Körper und dass dieser sehr wohl wusste, wie er am Besten ihr Baby zur Welt brachte.

Holly hatte ihr schon bei den vielen Vorbereitungsstunden mitgeteilt, dass sie ihr nur dann strikte Anweisungen geben würde, wenn es wirklich notwendig sein sollte, ansonsten sollte Delilah ganz auf ihren Körper hören und darauf vertrauen, dass dieser wusste, was zu tun war.

So kam es, dass sie mit der Unterstützung ihrer Männer immer wieder das obere Stockwerk des Hauses ablief, oder sich an sie gekuschelt für eine Weile zwischen den Wehen ausruhte, um Kraft zu tanken.
 

In den frühen Morgenstunden setzten dann die Presswehen ein.

Dean saß am Fußteil des Bettes, während Delilah nun vollständig nackt auf ein paar Handtüchern und der wasserdichten Unterlage zwischen seinen Beinen kniete und sich an ihm festhielt.

James war dicht an ihrer Seite, während Holly hinter ihr hockte und Elijah ihr unterstützend zur Seite stand.

Die Schmerzen waren wirklich heftig und es hätte Delilah auch nicht gewundert, wenn sie Dean ein paar Rippen brach, so fest hatte sie ihre Arme um ihn geschlungen, doch er hielt es aus und sprach mit James zusammen beruhigend auf sie ein, bis sie ihnen nicht länger zuhören konnte.

Sie konnte deutlich spüren, wie der Kopf des Babys immer tiefer in ihr Becken rutschte, bis Holly freudig verkündete: „Ich kann schon das Köpfchen sehen!“

James, ihr hartgesottener Horrorfilmliebhaber, hatte kein Problem damit, auch einmal einen Blick zu riskieren, doch Dean, den sie wohlweißlich genau aus diesem Grund vor sich festgenagelt hatte, war nicht allzu erpicht darauf.

Lieber spornte er sie weiter an und ertrug ihre feste Umklammerung, als Delilah sich weiter darum bemühte, unter starken Schmerzen und enormen Anstrengungen ihr Baby zur Welt zu bringen.

Als es kurz darauf endlich so weit war und den ersten protestierenden Schrei ausstieß, waren der Schmerz und alle Anstrengungen vergessen und Delilah ließ sich mit dem Rücken gegen Dean fallen, ehe Holly ihr ein zappelndes, nacktes Bündel in die Arme legte.

„Glückwunsch, es ist ein Junge.“

Oh, Gott. Das war ihr Sohn! Und Delilah zitterte so stark von den überwältigenden Gefühlen, die alle gleichzeitig auf sie einstürmten, dass sie Angst hatte, ihn fallen zu lassen.

Zum Glück ließ Dean sich genau in dem Moment hinter ihr auf dem Boden nieder, so dass sie sich noch weiter zurück und gegen ihn lehnen und ihr Baby halb auf ihrem Bauch liegen konnte.

James war ganz dicht bei ihr und half ihr ebenfalls ihr gemeinsames Kind zu halten, während Delilah lachte und weinte und einfach nicht genug vom Anblick ihres kleinen Sohnes bekommen konnte.

Der hatte inzwischen zu weinen aufgehört und zappelte so lange herum, bis sein Mund ihre Brustwarze fand und er gierig daran zu saugen begann.

Delilah wagte einen kurzen Blick zu ihren Gefährten, denen ebenfalls Tränen in den staunenden Augen standen und die sie abwechselnd zärtlich küssten, bis sie alle drei vollkommen im Anblick ihres gemeinsamen Kindes versunken waren.

In diesem Moment wusste Delilah, dass sie noch sehr viel schlimmere Schmerzen ertragen hätte, wenn sie nur zu diesem kleinen Wunder führten.

Irgendwann, als das gierige Nuckeln des Kleinen erlahmt und er eingeschlafen war, begann Delilah die Welt um sie herum wieder größer zu werden und ihr Blick fand den von Elijah, der so sanft lächelte, wie sie es noch nie an ihm gesehen hatte.

Etwas schwach hob sie ihre Hand und winkte ihn zu sich, damit auch er seinen Enkel willkommen heißen konnte.

Er ließ sich auf Delilahs anderer Seite nieder und berührte ganz vorsichtig den Kopf ihres Sohnes, der in seiner riesigen Hand regelrecht verschwand.

Das war der Zeitpunkt, an dem auch er nicht mehr an sich halten konnte und eine kleine Träne seinem Augenwinkel entschlüpfte.

„Er ist perfekt.“

Ja, das war er. Ihr Sohn war einfach vollkommen.

Epilog

1 Jahr später
 

„Und hier haben wir den Heiligen Gral der Lebensmittelindustrie. Das Mekka für alle gläubigen Frühstücksfanatiker und den einzig wahren Grund, warum die Jäger und Sammler sich letztendlich doch für den Ackerbau entschieden haben.“

James vollendete seine Ansprache mit einer tiefen Verbeugung und verwies seinen Sohn, der in Deans Armen hing und ihn mit großen, blauen Augen anschaute, auf das Regal mit den Frühstücksflocken.

„Hört, hört“, stimmte sein Bruder mit in das Theater ein, bevor er sich zu ihm gesellte, um einen besseren Blick auf die Auswahl in den Regalen zu haben.

„Aber mal ehrlich, Kev. So viel kannst du deinen Daddys schon glauben. Die Auswahl der richtigen Frühstücksflocken ist nicht nur echte Männersache, sondern auch ein Privileg, das uns von deiner Mutter gewährt wurde. Wir sollten also mit Bedacht wählen.“

„Dem kann ich nur zustimmen, D.“

James klopfte Dean brüderlich auf die Schulter, strich seinem Sohn kurz durch die weißblonden Haare und vertiefte sich dann in den Anblick der vielen bunten Verpackungen.

Delilah, die dem Spektakel nur am Rande gelauscht hatte, musste sich ein Lachen verkneifen, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Notizzettel in ihrer Hand richtete, um schon einmal den Einkauf zu erledigen, während ihre Männer beschäftigt waren.

Sie schaffte es auch fast, den ganzen Wagen zu füllen, bis der ihr nur allzu vertraute Schrei eines Babys quer durch das ganze Kaufhaus hallte und sie sofort zur Quelle des Protestlauts eilen ließ.

Dean war gerade dabei, einmal vorsichtig an den Windeln seines Sohnes zu schnuppern, als sie um die Ecke bog.

„Perfektes Timing, Deli.“ James lächelte ihr zu, bevor er die kleinen Hände seines Sohnes in die Arme nahm und über das Brüllen hinweg sanft auf ihn einredete. „Schau mal, Kev. Eine Göttin in Form deiner Mutter ist erschienen, um dich von dieser gemeinen, nassen Windel zu befreien.“

Wenig beeindruckt von diesen Worten brüllte Kevin nur noch lauter, bis sich Delilah seiner erbarmte und ihn von Dean entgegen nahm. Sofort wurde ihr Sohn ruhiger und James zog einen Schmollmund.

„Da darf er sich glücklich schätzen, dass er zwei voll coole Daddys hat, aber am Ende will er immer zu dir.“

„Und wer könnte es ihm verübeln? Ich würde mich am liebsten auch jede Sekunde des Tages an diesen Busen kuscheln.“ Dean grinste schelmisch.

Delilah brachte ihre Empörung lediglich damit zum Ausdruck, dass sie eine ihrer Augenbrauen hochzog und sich dann an James wandte.

„Du weißt, was zu tun ist.“

„Aye-aye, Ma’am.“ James salutierte vor ihr, bevor er seinem Bruder einen Klaps auf den Hinterkopf verpasste.

Dean wich protestierend einen Schritt zurück. „Hey, Mann! Spielst du in ihrem Team oder in unserem?“

„Definitiv in Delis Team. Du bist einfach nicht so heiß wie sie. Sorry, Kumpel.“

Bevor sich ihre beiden Jungs zu sehr in eine ihrer vielen und zum Glück harmlosen Rangeleien vertiefen konnten, schob Delilah den prall gefüllten Einkaufswagen demonstrativ zwischen die beiden Streithähne, drückte Dean dann denn Einkaufszettel in die Hand und gab sowohl ihm, wie auch James einen flüchtigen Kuss auf den Mund, ehe sie mit dem leise vor sich hinjammernden Kevin das Einkaufszentrum verließ, um zu ihrem Wagen zurückzukehren und ihm die nasse Windel wechseln zu können.

„Und haben deine Daddys dir die richtige Wahl der Frühstücksflocken näherbringen können?“, fragte sie fünf Minuten später ihren Sohn, den sie auf der Rückbank des Kombis auf eine weiche Decke gelegt hatte, während sie ihm den Hintern puderte.

Ein vergnügtes Japsen war genau die Antwort, die sie hören wollte.

„Na, da hast du dann ja was gelernt.“

Delilah kitzelte verspielt ihr kleines Energiebündel und brachte es damit noch mehr zum Lachen. Sie könnte nie genug von diesem Geräusch oder ihrem Sohn haben, den sie wie ihre beiden Männer so abgöttisch liebte.

Gerade war sie dabei, ihm den Strampler wieder richtig anzuziehen, als ein Schatten von hinten auf sie fiel.

„Na, habt ihr beide es endlich bis zur Kasse geschafft?“, wollte sie wissen, ohne sich umzudrehen.

„Nicht ganz.“

Delilah erstarrte beim Klang der weiblichen Stimme, die ihr nur allzu gut im Gedächtnis hängen geblieben war.

„Na du Schlampe? Weißt du noch, wer ich bin?“

Nadine!, schoss es ihr durch den Kopf, bevor eben dieser mit voller Wucht gegen den Rahmen der Autotür donnerte und sie ihr Bewusstsein verlor.
 

Ende



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Kommentare zu dieser Fanfic (40)
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Von:  kitty-Sakura
2017-09-10T21:33:22+00:00 10.09.2017 23:33
Eine wunderbare und spannende Story das ich unbedingt mehr davon lesen möchte und sehnsüchtig auch die Fortsetzung warte.
Von:  Dragonie
2017-06-28T08:16:57+00:00 28.06.2017 10:16
Das ist eine richtig gute Beschreibung, wie der Kleine zur Familie der Mechanikerwölfe gekommen ist. ;)
So rührend und realistisch, dass man in dem Geschehen - so intim es ist (Jungs, fresst mich bitte nicht OO,) - versinkt...
Von:  Dragonie
2017-06-28T08:00:23+00:00 28.06.2017 10:00
Endlich wieder ein neues Kapitel!!! *w*

Und noch dazu ein wunderschönes... QwQ
Bei der liebevollen Schilderung des Schmückens und der Geschenke bis zum Kinderzimmer bekommt man ja Tränen in die Augen.....
Von:  Physalis
2016-11-14T17:50:55+00:00 14.11.2016 18:50
Liebes... Ich habe dein Fanfic jetzt bereits 3 x gelesen und ich würde sooooooo gerne wissen wie es ausgeht *-*
Und zweiter Teil wäre natürlich auch wunderbar :D
Alles Liebe :*
Antwort von:  Darklover
14.11.2016 23:10
Heey. Das ist echt lieb von dir. Tut mir leid, dass es einfach nicht weiter geht. T.T
Ich hab derzeit soooo viel um die Ohren, dass es schon echt krass ist. Und vllt blockier ich auch unbewusst, damit ich die Story nicht fertig schreiben muss. Der zweite Teil wird sowas von hardcore. Zumindest wenn ich das wirklich durchziehe, was ich so im Kopf hab und ich bin mir einfach nicht sicher, was für ein Ende der erste Teil haben soll. Einen bösen Cliffhänger oder so ein Ende, das man stehen lassen kann, ohne gleich einen zweiten Teil voller Spannung zu erwarten. Vor allem weil ich nicht weiß, wie ewig lange ich dann mit dem zweiten Teil brauchen werde, wenn man bedenkt, wie lange ich schon für den ersten brauche. >-<

Hast du vielleicht eine Idee dazu, was nun besser wäre?

Aber trotzdem vielen Dank, dass du an mich denkst. Das bedeutet mir sehr viel.
Fühl dich gedrückt.

Deine Darky
Antwort von:  Physalis
15.11.2016 22:15
Dass ist eine sehr schwierige Frage. An für sich haben Cliffhänger schon was für sich. Allerdings sind Cliffhänger, die zu viel offen lassen/Ereignisse auf die man schon lange wartet sehr unbefriedigend.
Auf der anderen Seite dachte ich mir direkt, bei den Worten " Der zweite Teil wird sowas von hardcore. " Bitte tue dem baby nichts an... Oder der jungen Mama... Oder den Zwillingen... Oder dem frisch gebackenen Opa..." und merk wie ich an dieser heilen Welt hänge. Es ist zwar totales Chaos in den Beziehungen und dann natürlich noch das mit Nadine (ich hätte ihr ja sowas von einem Abreibung gewünscht... So ne richtige! Wie ich diese ***** hasse!!!) ... Aber trotzdem ist das beschriebene zu Hause sehr angenehm. Auf der anderen Seite wir die perfekte Harmonie auf Dauer auch langweilig... Ich bin überfragt... Ich habe kein Talent fürs schreiben, mach das was du für richtig hältst. Es hat bisher ja auch wunderbar funktioniert. Auf ein gutes (ausgeschmücktes) Ende wartet man auch gerne. Nichts ist schlimmer als eine Trilogie zu lesen und das Ende versaut einem die vorherige Geschichte.
Also ich werde mit Spannung weiterhin warten und mich einfach überraschen lassen. So oder so ich freue mich wenn es weiter geht und ich freue mich unheimlich das du ein zweites Buch geplant hast *-*
Alles Liebe
*dich mal herzlich zurück drückt*
Antwort von:  Darklover
16.11.2016 11:27
Ich denke, ich hab schon ein passendes Ende gefunden. Mir fehlen nur noch die Details, aber man sieht wie es mit ihnen endet und erahnt, was da noch alles passiert sein könnte, während der Jahre, die dabei nach vor gesprungen werden.

Im Übrigen kannst du Delilah auch in der Geschichte Dark Circle ab Kapitel 61. erleben. Das spielt direkt in der Zeit, die das zweite Buch betreffen würde. Das ist zwar nur ein Hauch von dem, was sie und die Jungs wirklich alles so erleben, aber du hättest die Möglichkeit, dir einmal ein Bild davon zu machen, was ich vorhabe.
Ursprünglich habe ich die drei ja aus dieser Geschichte genommen, wo sie eigentlich nur Nebenfiguren waren.
Und falls du mal einen kurzen Blick auf die Geschichte wirfst, bitte nicht wundern. Der Schreibstil ist sehr gewöhnungsbedürftig, da es eigentlich ein Rollenspiel war/ist, das ich und meine Freundin gemeinsam geschrieben haben.

Trotzdem danke, dass du dir ein paar Gedanken dazu gemacht hast. Ich lege immer sehr viel Wert auch auf die Meinung anderer.

*herzlich zurück drück*
Liebe Grüße
Darky
Von:  Physalis
2016-04-12T12:44:45+00:00 12.04.2016 14:44
Durch einen anderen Fanfic, von dir, bin ich auf diese Story aufmerksam geworden. Da der andere nur wenige Kapitel hatte, mir dein Schreibstil aber so dermaßen gut gefallen hat, bin ich dann hier gelandet. Und ich bereue es kein bisschen!
Der Anfang hat mich bereits total gefesselt! Wenn die Story keinen mitreißenden Start hat verliere ich meist das Interesse.
Hier konnte ich nicht mehr aufhören!
Lustigerweise bin ich mit einem Zwilling zusammen XD. Er findet die "Handlung" allerdings nicht so prickelnd und er quittiert es auch immer mit einer hochgezogenen Augenbraue wenn er mitbekommt wie ich weiter lese ;) .
Als sie dann schwanger war und ihr Baby fast verloren hätte sind bei mir alle Dämmerung gebrochen. Ich habe so mitgefühlt. 2014 haben wir nämlich 2 Babys verloren. .. Bei der zweiten Fehlgeburt war es sogar knapp für mich... Ihre Gedanken, wo sie dachte sie hätte es verloren, kann ich mehr als nachvollziehen.
Spätestens dort konnte ich das Handy, wenn Zeit dafür war, nicht mehr aus der Hand legen. Da unser dritter Anlauf ein Erfolg war und wir nun eine kleine gesunde Tochter haben sollte ich die kurzen Nächte zum schlafen nutzen... theoretisch... Meine deutlichen Augenringe zeigen jedoch das ich sie anders genutzt habe. Ich freue mich auf die weiteren Kapitel :)
Abschließend kann ich nur sagen das ich mich anderen Kommentaren nur anschließen kann. Ich würde ebenfalls Geld für deine Werke bezahlen und bevor ich mich hier weiter mit meiner Begeisterung überschlagen hör ich besser auf XD und überlasse das Schreiben dir. Bitte! *so gespannt ist*
Antwort von:  Darklover
13.04.2016 00:20
Hi Physalis!

Zuerst einmal mein herzliches Beileid zu deinem Verlust. Ich habe selber ja keine Kinder, kann mir also nicht mal im Ansatz vorstellen, wie schmerzlich so eine Situation sein muss, von daher bin ich froh, dass es wenigstens beim dritten Mal geklappt hat und hoffe, dass es dir und deiner kleinen Familie auch weiterhin gut geht.

Allerdings sind mir damals beim Schreiben auch öfter die Tränen gekommen, einfach weil ich mich immer stark in meine Charaktere hineinversetze, alles möglichst genau recherchiere, um dann so wahrheitsgetreu schreiben zu können, wie möglich. Das zieht dann bei mir natürlich nicht spurlos vorbei.

Aber schmunzeln musste ich, als ich gelesen hab, du wärst auch mit einem Zwilling zusammen. War ja klar, dass er nicht begeistert von der 'Handlung' ist. Hätte mich auch sehr stark gewundert. Die Story ist schließlich von einer Frau für Frauen und der weiblichen Fantasie sollte man ja dann doch auch freien Lauf lassen dürfen. ;)

Außerdem finde ich es bewundernswert, wie du so eine lange Geschichte auf dem Handy lesen kannst. Kein Wunder, dass du Augenringe hast, das muss wahnsinnig anstrengend sein. Ich hoffe, du wurdest wenigstens gut unterhalten. :)

Danke auf jeden Fall, dass du die Mühe auf dich genommen hast, um mir einen Kommentar dazulassen. Ich habe mich wirklich total gefreut und auch das Grinsen eine sehr lange Zeit nicht mehr aus dem Gesicht bekommen. Das macht total gute Laune.
Ich freue mich übrigens auch, dass du meine andere Geschichte favorisiert hast. Sie ist noch ganz frisch und sozusagen mein 'Baby', um das ich mich in nächster Zeit noch sehr intensiv kümmern werde, sobald ich diese Story hier abgeschlossen habe.

Ich hoffe auf jeden Fall, dass du jetzt wieder mehr Schlaf findest, da ich dann ja doch nicht so schnell mit dem Schreiben bin.

Alles Gute an dich und deine Family.

Darklover
Von:  Dragonie
2016-04-11T09:11:46+00:00 11.04.2016 11:11
Das ist ein sehr friedliches, ruhiges Kapitel - im Großen und Ganzen. ;)
Die Einlage mit Holly gefällt mir sehr gut~
Von:  Dragonie
2016-04-11T08:56:21+00:00 11.04.2016 10:56
Ooooh, da kommen einem mitunter fast die Tränen... Du hast die perfekte Mischung gefunden, die einen Delilahs Liebe und Gefühle nachempfinden lässt.
Und es ist einfach ein Genuss zu lesen, wie sie ihre Familie auf Trab bringt, sich über das Ungeborene freut und Gedanken macht und ganz besonders, wie sie die Festtagsdekorationen begutachtet.

Schmunzler waren das Ex-Schlafzimmer und - natürlich - der Mistelzweig-Teil. ;)
Holly scheint eine sehr sanfte, aber durchaus schlagkräftige Figur mit hochwertigen Muttereigenschaften zu sein...
Ich finde es faszinierend, wie Du die Duftwelt beschreibst. Man kann es selbst als Leser buchstäblich riechen... <3

Vielen Dank für ein weiteres, senstationelles Kapitel (wenngleich mir bei dem "durchdringenden Schrei" auch zuerst HORRORFILM und erst etwas später >Geburtsvorbereitung< durch den Kopf schoßen.) <3
Antwort von:  Darklover
13.04.2016 00:07
Hey meine Liebe!

Tut mir ganz ganz doll leid, dass ich bisher noch nicht dazu gekommen bin, dir zu schreiben. Es geht bei mir wie immer drunter und drüber, mit Höhen und Tiefen, aber ich denke, das kennst du ja selbst. ;)

Aber auf jeden Fall wollte ich mich unbedingt für deine Lieben Worte bedanken und auch dass du mir deine Gedanken zu der Geschichte mitgeteilt hast. Es ist immer interessant, was die Leute bei den verschiedenen Szenen denken, aber es kommt eher selten vor, dass sie so detailiert darauf eingehen. Also dafür auch noch mal einen Extra-Dank.^__^

Ich hoffe, es geht dir gut und wenn nicht, darfst du dir gerne bei mir das Herz ausschütten.

Fühl dich ganz dolle geknuddelt.

Deine Darky
Von:  Korallenbeere
2016-03-23T16:12:41+00:00 23.03.2016 17:12
Omg! Ich liebe deine Geschichte so sehr! Ich lese seit 4 Tagen und kann gar nicht mehr aufhören! :D
Eigentlich wollte ich dann beim letzten Kapitel was schreiben, weil ich sonst am dauerkommentieren gewesen wäre, aber jetzt muss ich doch.

Ich kann nur sagen, wäre das ein Bich, ich würde Geld dafür ausgeben. Und das meine ich auch so - bin absolut mitgerissen von der Story! *begeistert ist*
Antwort von:  Korallenbeere
23.03.2016 17:13
*Buch hihi
Antwort von:  Darklover
26.03.2016 13:36
Hey Korallenbeere!

Tut mir sehr sehr leid, dass ich dir erst jetzt schreibe, aber ich hatte eine sehr arbeitsintensive Woche, die jetzt endlich vorbei ist.

Auf jeden Fall danke ich dir für deinen Kommentar. Ich habe mich wirklich riesig darüber gefreut, vor allem, weil ich einmal vorhabe, die ganze Geschichte gründlich zu überarbeiten und dann tatsächlich zu veröffentlichen, falls die Autorengötter mir wohlgesonnen sind. :)

Danke. Danke. Danke und schöne Ostern wünsche ich dir. Viel Glück bei der Eiersuche!

Lg Darklover
Von:  Dragonie
2015-11-02T12:03:06+00:00 02.11.2015 13:03
Oooch, das hast Du echt süß beschrieben - wie liebevoll die beiden "Jungwölfe" doch zu ihrer Delilah sind... wird einem warm ums Herz~:3
Von:  Caildyn
2015-01-18T01:27:34+00:00 18.01.2015 02:27
Hallöchen!
Bin über "Ein ungewöhnlicher Mitbewohner" auf dich gestoßen.

Ich hab jetzt grade Kapitel 52 durch und muss sagen: deine Geschichten machen süchtig!
Jetzt sitz ich hier wie auf heißen Kohlen und hoffe dass bald wieder was neues von dir zu lesen ist - sei es nun ein neues Kapitel in deinen bereits bestehenden Geschichten oder was völlig neues!
Ich finde es klasse, wie du die Beziehungen deiner Charaktere aufbaust - besonders zwischen Delilah, Dean und James. Auch wie sich die Charaktere selbst entwickeln, kommt richtig gut rüber.
Da werden die anfänglich abfällig als Welpen bezeichneten Jungs die anscheinend nur Mist im Kopf haben auf einmal zu pflichtbewussten, liebevollen, zuverlässigen und - nicht zu vergessen - heißen Männern, während Delilah sich von einer - wie ich finde - gefühlskalten Schlampe wider Willen (sie muss ja nunmal irgendwo schlafen, und wenn das nicht auf der Straße sein soll, bleibt ihr nichts anderes übrig) zu einer liebevollen, fürsorglichen Frau entwickelt, die endlich auch etwas hat, wofür es sich zu kämpfen lohnt und das, was sie hat zu schützen versucht...

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich schon lang keine Fanfic mehr gelesen habe, die mir wirklich wie ein Film vor den Augen abläuft, aber jedes Mal wenn ich die Nase in eine deiner Geschichten stecke, läuft bei mir das Kopfkino - selbst bei nicht versauten Stellen.
Du hast echt ein Talent dazu, Geschichten zu erzählen und deine Leser zu fesseln, denke ich.^^

Solltest du jemals eine deiner Geschichten als Buch drucken und verkaufen wollen, leg für mich ein Exemplar zurück! :D
Viele Grüße!


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