Tempel für die Ewigkeit von Deikith ================================================================================ Kapitel 1: Bruchstücke ---------------------- Meine Augen brannten, trotzdem konnte ich sie nicht von den Blättern abwenden, die vor mir lagen, selbst wenn diese solch' eine Bezeichnung nicht einmal verdienten, handelte es sich doch dabei nicht um simples Papier, sondern um einen Schreibstoff, der einst edlen Würdenträgern als Untergrund für heutige Untersuchungsgegenstände gedient hatte. Zu dumm, dass ich leider keine solche Person war - denn sonst würde ich nicht hier in dieser Bibliothek sitzen, die ihrem Namen nicht einmal gerecht wurde. Es war warm, stickig, düster und vor allen Dingen klein - sehr klein, aber ich war hier derzeit öfter als zu Hause. Immer wieder las ich die gleichen Zeilen; vieles davon machte nur dann Sinn, wenn man nicht nur in der Lage war, die Zeichen zu verstehen, die da vor mir aneinander gereiht waren, sondern wenn auch der Hintergrund dem Leser bekannt gemacht wurde. Ich seufzte und schloss für einen Moment müde die Augen. Mein Kopf fühlte sich schwer an und ich konnte nur schwer dem Drang widerstehen, ihn einfach kurz auf dem Tisch abzulegen, denn die Wahrscheinlichkeit war viel zu hoch, dass ich dann einfach hier an Ort und Stelle einschlief. Grundsätzlich war ich eigentlich schon in der Lage, Sprache und Hintergrundwissen zu verbinden, im Moment fiel es mir aber einfach schon nur schwer, meine Gedanken in einer graden Linie wandern zu lassen. Ich schob die Papyrus Seiten von mir, verschränkte die Arme auf dem Tisch und legte den Kopf letztlich doch darauf ab. Schwarze Strähnen fielen in grüne Augen, aber ich machte mir nicht die Mühe, sie aus dem Weg zu pusten. Erschöpft schloss ich meine Augen und spürte, welch' angenehme Wohltat allein dieser kleiner Moment war. Wahrscheinlich wäre es klüger, einfach nach Hause zu gehen und ein paar Stunden zu schlafen - die Quellen würden mir garantiert nicht weglaufen. Gerade wollte ich mich einfach erheben, die Aufzeichnungen zurück in den Safe legen, immerhin handelte es sich dabei um Originale, und den Raum verlassen, als ich eine Stimme hörte. „Julian“, wisperte jemand. Erschrocken drehte ich mich um und erblickte meinen besten Freund, der hier eigentlich nichts verloren hatte, schon gar nicht wenn man bedachte, das es mitten in der Nacht war und ich nur deswegen noch hier sitzen konnte, weil ich als Hilfskraft meines Professors einen Schlüssel für die Bibliothek und den Hintereingang des Gebäudes hatte. „Was machst du hier?“ fragte ich ihn. „Hast du nachts nichts besseres zu tun?“ gab er nur zurück. Ich zuckte die Schultern. „Doch, ich könnte auch mal wieder schlafen, aber du weißt, dass ich mitten in meiner Abschlussarbeit stecke. Und auch wenn ich einige Monate Zeit habe, werde ich das Gefühl nicht los, dass ich nicht weiterkomme.“ Seth erhaschte einen Blick über meine Schulter und grinste. „Du hängst ja schon wieder über diesen ganzen verrückten Geschichten. Das ist doch alles Humbug.“ Ich verdrehte die Augen und versuchte, mich nicht wieder dazu hinreissen zu lassen, ihn als einen Banausen zu betiteln. Er musste oft genug schon darunter leiden, dass ich seinen Namen nicht englisch aussprach, sondern auf die Weise, wie man es in dem Land gesagt haben musste, aus dem der Name ursprünglich stammt. Er hasste es, auch wenn er mir den Gefallen tat, das nicht ständig deutlich zu machen. Ich allerdings hatte dabei meinen Spaß. So etwas war wohl ausgleichende Gerechtigkeit. „Dein Fleiß in allen Ehren, Jules, aber hin und wieder sollte man seinem Kopf schon eine Pause gönnen. Man sagt, dass es dann sogar wieder viel besser funktioniert.“ Er hatte ja Recht, das wusste ich selbst. Nun fiel mir auch wieder ein, dass er bislang meine eigentliche Frage nicht beantwortet hatte. Ich nahm die Papyri sachte an mich und legte sie in den Safe, verschloss diesen sorgfältig und sah Seth wieder an. „Du hast mir immer noch nicht gesagt, was dich hierher treibt.“ Seth kratzte sich am Kopf. „Ich hab noch Licht gesehen, als ich von der Spätschicht kam. Da dachte ich mir schon, dass du hier herumhockst, zumal du auf meine Nachrichten auch nicht geantwortet hast.“ Mit einem entschuldigenden Blick schaute ich auf mein Handy. „Wenn ich hier bin, tauche ich einfach in eine andere Welt.“ Er musste lachen. „Ja, das habe ich schon oft bemerkt. An sich bewundere ich dich und deine Faszination für diese tote Kultur und diese seltsam anmutenden Zeichen, die für mich absolut keinen Sinn machen. Für mich wäre das nichts.“ Ich lachte leise. Seth hatte sich damit gut charakterisiert, immerhin studierte er ja deswegen auch Sport und Englisch und nicht Ägyptologie. Ich allerdings empfand es als gar nicht so langweilig, wie es oftmals dargestellt wurde. Ohne ein weiteres Wort packte ich meine Sachen zusammen und nahm meine Tasche. „Komm“, meinte ich leise, zog ihn aus dem Raum, löschte das Licht und schloss die Tür hinter uns ab. Die Flure des kleinen Seminars waren dunkel, aber ich kannte mich hier gut genug aus, um kein Licht zu benötigen. „Lauf einfach neben mir her, dann fällst du auch garantiert nicht hin“, sagte ich leise zu Seth und zog ihn weiterhin neben mir her. Er sagte nichts, aber sein Schnauben entging mir nicht; scheinbar fühlte er sich in seiner Ehre ein auf das andere Mal etwas gekränkt, wenn er mit mir zusammen war. Ich konnte aber nichts dafür, dass ich ihn hin und wieder neckte. Es kam wie ein Reflex. Er war dafür immer ein wenig übertrieben besitzergreifend, wenn es um mich ging. Und das auf eine Art, die ich gar nicht in Worte fassen konnte. Es gab Momente, da schaute er mich einfach an und ich fragte mich, was er im Stillen dachte. Ausgesprochen hatte ich meine Frage bisher aber nie. Kurze Zeit später standen wir auch schon auf dem Hinterhof des Gebäudes und ich verriegelte die Tür. Es war kühl und das obwohl wir Sommer hatten. Für eine Stadt wie Phoenix war das nicht immer an der Tagesordnung und ich zog, einen Schauer unterdrückend, meine dünne Jacke etwas enger um mich. „Das Wetter ist seltsam“, sprach Seth da auch schon nachdenklich, als wir uns langsam vom Gebäude entfernten. „Hm“, machte ich nur bestätigend. Ich hatte nicht vor, mich in eine Diskussion über Klimaerwärmung zu verstricken. Eigentlich war ich nicht zimperlich, aber im Moment empfand ich die Temperatur als unangenehm und störend, so als wolle sie mich an irgendwas erinnern. Ich schüttelte den merkwürdigen Gedanken ab. „Worum geht es in deiner Abschlussarbeit eigentlich?“ fragte Seth mich nun. Ich verdrehte die Augen und boxte ihn sachte in die Seite. „Das habe ich dir ungefähr schon zehn Mal erzählt.“ „Und ich habe es mal wieder vergessen“, lautete die simple Antwort. „Dann bringt es auch nichts es dir noch einmal zu sagen.“ „Komm schon, Jules. Ich vergesse das ja nicht absichtlich, sondern kann es in meinen Sportlerhirn einfach nicht genügend verarbeiten.“ Ich konnte mir nicht helfen und lachte einfach los. „Was für eine Begründung“, kicherte ich. „Es stimmt aber.“ Abwehrend hob er die Hände und sah mich an. Wir waren stehen geblieben, befanden uns aber weiterhin auf dem Hinterhof. Das Licht der Laternen reichte bis hier kaum hin, so dass uns die Dunkelheit umschloss. Obwohl die Hauptstraße von hier bereits zu sehen war, wirkte es als wären wir von allem ein wenig abgeschottet. „Ich untersuche Quellen. Das was du eben gesehen hast, waren einige davon. Und ehe du fragst was genau dabei das Ziel ist... Ich will eine bestimmte Götterkonstellation untersuchen, auf ihre Bedeutung für die Mythologie.“ Seth schaute mich an. "Hm, ich erinnere mich. Es waren diese beiden komischen Typen, die eine Beziehung hatten." Nun verdrehte ich die Augen. "Das ist aber sehr simpel auf irgendwas ganz Banales heruntergebrochen", stellte ich fest. Er sah mich an. "Wie ist es denn dann, wenn man es nicht so sehr vereinfacht wie ich, der von diesen Dingen doch gar keine Ahnung hat." Ich seufzte. "Das war doch nicht böse gemeint." Seths Reaktion bestand in einem Lächeln. "Ich weiß doch, entschuldige. Manchmal geht meine ungestüme Art auch bei dir durch, dabei will ich das doch gar nicht." Manchmal war mein Gegenüber wie ein Sturm, unbändig und ungezügelt. Ich bekam das nur höchstselten ab und wenn, dann auch eher nur in kleinen Ausläufern. "Man kann nicht zwingend sagen, dass sie sich geliebt haben. Es war eher... eine Art Machtkampf zwischen den beiden. Wobei selbst das den Kern der Sache nicht trifft. Es ist etwas kompliziert." Leise lachte Seth. "Ist es das nicht immer, wenn es um Macht geht?" Sachte legte er mir einen Arm um die Schulter und zog mich an sich. Ich schloss die Augen und ließ das Gefühl auf mich wirken. Im Stillen musste ich zugeben, dass es mir gefiel, wenn er mich manchmal so sachte im Arm hielt oder wir abends beim Fernsehen auf dem Sofa kuschelten. "Sie fühlten sich also zueinander hingezogen?" Ich zuckte die Schultern. "Möglich, auch wenn es in den Texten eher wie ein Spiel wirkt - von einer Seite aus zumindest. Und die andere Seite war eher verschreckt. Aber wer weiß schon, was war, schließlich sind es nur Mythen... Nichts davon ist real." Nun lachte Seth. "Hey, soweit ich weiß trage ich doch den Namen eines der Götter in deiner Untersuchung, oder?" Das stimmte. Ich nickte leicht. "Oh Wunder, dass du dir das gemerkt hast." "Ich vergesse immerhin nicht alles. Und wer ist der Gegenpart?" Ich sah ihn an. "Horus. Er wurde nach dem Tod seines Vaters Herrscher des Landes. Dazu muss aber gesagt werden, dass sein Vater von Seth überhaupt erst getötet wurde und daraufhin der Kampf um die Nachfolge entbrannte." Seth lauschte meinen Worten, während wir immer noch auf dem düsteren Hinterhof des Seminars standen. "Ich verstehe. Zumindest teilweise. Sicherlich konnte es gar nicht gegenseitig sein, wenn einer den Vater des anderen tötet." Ich zuckte die Schultern. "Keine Ahnung. Manchmal gehen Gefühle seltsame Wege, vielleicht war auch genau das das Problem." Wieder durchlief mich so ein eigenartiges Gefühl, als wüsste ich, dass es so gewesen war. Doch wie sollte das möglich sein? Seths Arm zog mich dichter an ihn. "Du bist kalt", wisperte er leise. "Wir sollten nach Hause gehen. Ich nehme dich mit zu mir." Ich lächelte, sagte aber nichts, ließ mich einfach nur bereitwillig mitziehen. Er wohnte ein paar Straßen näher an der Uni, als ich. Es kam nicht selten vor, dass ich nach einem langen Abend in der Bibliothek den Weg zu ihm fand, weil es kürzer war. Heute sehnte ich mich besonders danach in die Wärme seiner kleinen Wohnung zu gelangen, um dieses befremdliche Gefühl abschütteln zu können. Wahrscheinlich hatte ich mich einfach viel zu sehr mit diesen Dingen befasst. Das nagende Gefühl ließ mich allerdings nicht los, so dass ich mich mehr an Seths Seite kuschelte. Seit ich ihn kannte, stand er mir näher, als jeder Mensch es bisher getan hatte und ich suchte oft einfach seine auf mich wie Schutz wirkende Nähe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)