Memori3s von _Myori_ ================================================================================ Ihr Diener ---------- Die folgenden zwei Wochen waren keine angenehmen für Persephone. Nicht, weil Hades ihr wieder zu nah gekommen wäre - allein die Vorstellung, dass es wieder passieren könnte, war viel schlimmer. Er hatte sie geohrfeigt und den ganzen Tag finster angesehen, als sie damals von D zu Hades gebracht worden war. Ihre Wange hatte geglüht und kurz hatte sie befürchtet, dass der Gott noch weiter gehen würde. Doch nichts dergleichen war passiert. Nur dieser finstere Blick, dieses Leuchten in seinen hellen Iriden und ihr Wissen, zu was Hades fähig sein kann, wenn er nur wollte. Doch diese Mischung war Warnung genug für sie und sie war seit diesem Tag wieder regelmäßig bei Hades erschienen. Manchmal kam er ihr näher. Dann streifte sein Oberarm ihren oder er beugte sich wieder über sie, um an die Tastatur ihres Laptops zu gelangen, genau wie damals, aber das reichte Persephone schon aus und ihr Herz begann in solchen Momenten an zu rasen und zu hämmern, als würde es gleich darauf zerspringen. Und jeden Abend, wenn sie zurück in ihr Zimmer gehen wollte, verabschiedete er sie, wünschte ihr eine gute Nacht und lächelte wie früher, dass sie spürte, wie ihr Mageninhalt nach oben in Richtung Speiseröhre wanderte. Es war die reinste Hölle. Jeder verdammte Tag. Bis heute. Es fing an wie immer: sie klopfte an die Tür. In wenigen Sekunden würde Hades sie hereinrufen, sie mit einer knappen Begrüßung empfangen und sie dann auf ihren Platz vor seinem Schreibtisch verweisen. Sie würde ihren mitgebrachten Laptop aufklappen und sich anhören, was Hades diesmal von ihr verlangte. Dann würde sie zur Wanduhr hinaufschauen und innerlich denjenigen verfluchen, der festgelegt hatte, dass sechs Stunden unbedingt 360 Minuten lang sein müssen. Jede Sekunde davon kam ihr viel zu lange vor. Persephone spannte sich innerlich an und wartete auf das verhasste „Herein“, das unweigerlich auf ihr leises Klopfen folgen würde. Wie jeden Tag. Und da war es: „Herein.“ Doch diesmal klang es ungewöhnlich tief und erwartungsvoll, dass Persephone zuerst erschrocken die Hand von der Klinke zurückzog. Diese Stimme klang nicht nach Hades… Als sie nach fünf Sekunden immer noch nicht reagiert hatte, wiederholte der Fremde – es war eindeutig nicht Hades‘ Stimme, die würde sie überall heraus erkennen! – seine Aufforderung, einzutreten, doch gleich darauf hörte sie Schritte, die sich der Tür näherten und einen Moment später wurde diese von innen aufgezogen. Zeus‘ fragendes Gesicht ließ sie weitere zwei Schritte zurückstolpern. Warum war er hier? Sie hatte sich doch nicht etwa in der Tür geirrt? Verunsichert huschte ihr Blick den Gang hinab. Nein, kein Zweifel, sie stand vor Hades‘ Büro… „Ah, da bist du ja endlich!“ Zeus‘ Grinsen wurde eine Spur breiter und er trat zur Seite. „Komm rein, wir haben leider nicht viel Zeit.“ „Wofür?“ Etwas zögernd war Persephone der einladenden Geste gefolgt, doch diese merkwürdige Aussage ließ sie wieder in ihrem Gang stoppen. Zeus nickte nur, scheinbar ihre angespannte Haltung ignorierend. „Ich wollte mit dir reden. Hades besorgt gerade Ersatzteile für ein paar Geräte, aber er wird wahrscheinlich in einer viertel Stunde wieder hier sein.“ Er zwinkerte auf einmal verschmitzt. „Ich konnte ihn dazu überreden, auf dem Rückweg Kaffee für uns Drei mitzubringen. Den Guten von Starbucks, auf Dauer schlägt einem dieser Instantkaffee hier unten ja auf den Magen. Wenn wir also Glück haben, bleiben uns noch fünf Minuten mehr.“ „Ähm … okay.“, erwiderte Persephone kleinlaut und setzte sich auf ihren angestammten Platz. Zeus setzte sich derweil auf Hades‘ Drehstuhl. Das Bild, das sich ihr nun bot, war verkehrt und passte nicht in ihre Vorstellung und unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. „Was wollten Sie denn nun mit mir bereden?“ Sah Persephone Hades nach ihrem Geschmack viel zu häufig, glänzte der zweite Anführer von Olymp dagegen mit hartnäckiger Abwesenheit. Egal zu welcher Tageszeit sie in den Gemeinschaftsraum oder die Trainingshalle ging oder sonst irgendeinen Ort in Olymp aufsuchte, traf sie in der Regel nie auf den stattlichen Mann mit den rabenschwarzen Haaren. Er hatte eine so andere Ausstrahlung als Hades; er lehnte sich in dem Drehstuhl weit nach hinten, die Hände im Nacken verschränkt, das eine Bein locker auf das andere gelegt, und sein Mund war zu einem leichten Lächeln verzogen. Obwohl er der ältere von ihnen war, wirkte Zeus in diesem Moment wesentlich jünger als Hades. „Ich habe mich mit Hades über deine Lernfortschritte unterhalten.“, begann er und sein Gesicht bekam etwas Ernstes. Unweigerlich spannte Persephone sich an. Sie fühlte sich wie in einem Déjà-vu; genauso hatte es damals auch angefangen: man hatte über sie gesprochen und dann… „Er spricht sehr positiv von dir. Du lernst schnell und scheinst ein gewisses Talent für diese Art von … Computerarbeit zu besitzen.“ Bei den letzten Worten kehrte ein kleines Grinsen in seine Mundwinkel zurück. „Allerdings sehe ich dein Talent sehr verschwendet, wenn du weiterhin ausschließlich für Hades arbeiten würdest. Ich finde, wir sollten noch einmal darüber nachdenken, dich für Missionen einzusetzen.“ Verwundert zog sie die Stirn kraus und versuchte das Gesagte zu verarbeiten. „Aber … ich dachte, ich sei dafür, naja, ungeeignet?“, entgegnete Persephone vorsichtig. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte; es klang verlockend, nicht den ganzen Tag von Hades umgeben zu sein und mit anderen zusammenarbeiten zu können und doch ließ sie dieses unbehagliche Gefühl nicht los. Sie wurde herumgereicht – wieder. Und mit jedem Mal schien die Situation sich für sie zum Schlechteren zu wenden. Sie fühlte sich machtlos. Auf Zeus‘ Züge stahl sich ein von bitterer Wahrheit beherrschtes Lächeln. „Nun, es ist kein Geheimnis, dass du mit Pistolen nicht besonders gut umgehen kannst.“, gab er vorsichtig zu und setzte sich etwas gerader hin. Im nächsten Moment wuchs sein Lächeln zusehends zu einem breiten Grinsen heran, das er ihr in einer gewissen Vorfreude zu schenken schien. „Daher habe ich mit Hades einen Deal ausgearbeitet.“ „Deal?“ Persephones Falten auf der Stirn wurden noch tiefer. „Ja. Quasi eine Zusammenarbeit von seiner und meiner Abteilung. Früher bin ich sehr häufig mit Hades gemeinsam losgezogen, um Jobs zu erledigen. Ich würde das gerne wieder aufleben lassen.“ Er fügte eine Kunstpause ein, an dessen Ende er enthusiastisch auf sie deutete. „Und ihr würdet der perfekte Testlauf sein.“ Persephone stutzte und kam gar nicht mehr aus ihrer Skepsis heraus. „Wir?“, wiederholte sie mit ungläubiger Stimme, doch bevor sie weiter nachfragen konnte, hatte sich Zeus schon erhoben und zur Tür begeben. Verwirrt verfolgte Persephone ihn mit den Augen. Er schenkte ihr noch ein letztes, aufgeregtes Lächeln, dann zog er Hades‘ Bürotür auf und schaute nach draußen. „Sehr gutes Timing, komm rein!“, rief er mit einem Mal und schien jemanden herein zu winken. Persephone konnte von ihrem Platz aus niemanden erkennen; erst als Zeus mit einer einladenden Geste zur Seite trat, konnte sie einen Blick auf die zweite Person werfen, die nun das kleine Büro betrat. Es war ein merkwürdiger Moment. Persephone hatte den Mann, der neben Zeus kurz verharrte, nie zuvor gesehen und dennoch fühlte sie sich auf einmal auf unheimlich vertraute Weise unter Strom gesetzt, als käme die Anwesenheit des Fremden einem Richter gleich, der nun das absehbare, unangenehme Urteil über sie sprechen würde. In ihr kam das Bedürfnis auf, genervt die Augen zu verdrehen. Ohne ihr Zutun spannte sie sich von neuem an und warf ihm einen strengen Blick zu. Der Mann überragte Zeus um einen halben Kopf und trug eine Kombination aus dunkler Jeans und dunkelgrauem Rollkragenpullover. Er musste in ihrem Alter sein, wenn auch seine harten, ernsten Gesichtszüge nicht ganz zu einem Mitte Zwanzigjährigen passen wollten, so schienen zumindest seinen blaugrünen Augen ein kleiner Rest von jugendlichem Übermut anzuhaften. Seine dunklen Haare waren länger und machten den Anschein, als hätten sie einst einen modischen, kürzeren Schnitt besessen, aus dem sie mit der Zeit jedoch herausgewachsen waren. Es gab ihm etwas Ungepflegtes, obwohl alles andere an ihm akkurat und gewollt wirkte: seine aufrechte Haltung mit in den Rücken gelegten Händen, die bewusst nach hinten gezogenen Schulterblätter, die gerade Beinstellung – soldatenhaft, schoss es Persephone durch den Kopf, als sie den Blick über ihn schweifen ließ. Zuletzt blieb sie wieder an seinen Augen hängen, in denen sie ebenfalls eine ungewöhnliche Reaktion ablesen konnte. Auch er hatte sie die ganze Zeit über gemustert und hätte Persephone nicht mit absoluter Gewissheit sagen können, diesem Mann vorher noch nie begegnet zu sein, so wäre sie sich sicher gewesen, dass er sie tadelnd, aber gleichzeitig auch mit einer liebenden Besorgnis ansah. Sie erwartete beinahe, dass er im nächsten Moment sich seufzend durch die Haare fuhr und sie fragte: „Was hast du nun wieder angestellt?“ Da war etwas Vertrautes zwischen ihnen; alte, eingefahrene Riten und Verhaltensmuster, als würden sie sich schon ewig kennen. Konnte der erste Eindruck von zwei Fremden so eine gegenseitige Wirkung haben? Ihr Kopf begann zu schwirren. Der Augenkontakt, in dem Persephone alles außer ihren Gegenüber ausgeblendet hatte, währte nur knappe Sekunden, in denen Zeus den beiden diese doch sehr privaten Blicke zusprach, dann war er um den Tisch herumgegangen, hatte sich gesetzt und auch den Mann mit einer Handbewegung gebeten, Platz zu nehmen. Dieser befolgte die Aufforderung schweigend und setzte sich neben Persephone. Ihr fiel es schwer, den Blick wieder auf Zeus zu richten, als dieser im nächsten Moment wieder ansetzte: „Äneas, das ist Persephone.“, begann er und deutete von dem Mann zu Persephone. Die gleiche Geste wiederholte er nun rückwärts. „Liebes, das ist Äneas, unser neustes Mitglied und von nun an dein Partner.“ Die Worte trafen sie wie ein Schwall kaltes Wasser und verwirrt wechselte sie schnelle Blicke zwischen den Anwesenden. Sie musste sich verhört haben! „W-wie bitte?“, fragte sie ungläubig und schluckte hart. Ihre Kehle war auf einmal staubtrocken. Sie wusste, was ein Partner hier bei Olymp bedeutete; sie würde sehr viel Zeit mit diesem Äneas verbringen müssen – warum nur hätte sie bei diesem Gedanken genervt aufstöhnen können? „Wie gesagt, Hades und ich haben einen Deal ausgehandelt.“, entgegnete Zeus ruhig. In seinen dunklen Augen war weiterhin die vorangegangene Freude abzulesen. „Du wirst weiterhin halbtags von ihm lernen, wie man sich ungesehen Zugang zu jeglichen Informationen verschafft: Computer hacken, Viren basteln, eben alles, wovon ich absolut keine Ahnung habe. Den restlichen Tag wirst du mit Äneas zusammen von Herakles trainiert werden.“ Er hielt kurz inne. Dann sah er zu Äneas und seine Stimme erhielt einen Unterton, der keinen Widerspruch geduldet hätte. „Deine Aufgabe wird zukünftig darin bestehen, ihr Schatten zu sein. Du wirst sie auf Missionen nicht aus den Augen lassen und dafür sorgen, dass ihr kein Haar gekrümmt wird; selbst wenn sie mal auf die Idee kommen sollte, sich irgendwo vor zu werfen, wirst du dich gefälligst noch dazwischen quetschen.“ Er zwinkerte der Anwesenden frech zu. „Nicht, dass ich dir sowas Kopfloses zutrauen würde, aber ich denke, die Botschaft ist angekommen.“, fügte er im lockeren Tonfall hinzu, doch Persephone bekam dies nur am Rande mit. Sie hing mit den Gedanken immer noch an den vorangegangenen Sätzen fest. Ihr Partner? Computer - was?! Sie sollte bislang nur doch recherchieren! Als Zeus sich im nächsten Moment lautstark räusperte, schaute sie doch leicht erschrocken und hastig auf. „Das war einer der Bedingungen, die Hades aufgestellt hat, dass ich deine Sicherheit garantieren kann.“ Sein Blick ruhte bei den Worten nur auf ihr, doch aus den Augenwinkeln sah sie, wie Äneas mit ernster Miene nickte. Etwas zögernd und wesentlich langsamer tat sie es dem hochgewachsenen Mann gleich. Als Zeus seine Bestätigung hatte, fuhr er fort: „Normalerweise halte ich wenig davon, Partnerkonstellationen so früh festzulegen, aber in eurem Fall dürfte das der ganzen Sache eher einen positiven Effekt einbringen.“ Wieder eine Kunstpause und erneut verfinsterte sich Zeus‘ Gesicht, dass Persephone unmerklich schluckte. Nun saß ihr wieder der gnadenlose Anführer von dutzenden Kopfgeldjägern gegenüber. „Ich erwarte von euch, dass ihr hinterher bestens aufeinander eingespielt seid. Euer Team soll als eine Art Hinterhand fungieren und da ihr bislang das einzige Team dieser Art seid, bedeutet das im Umkehrschluss, dass du“, und damit musterte er Persephone eindringlicher, „zukünftig unentbehrlich sein wirst und immer einsatzbereit sein musst und dass du“, sein Blick wanderte nun zu Äneas, „die absolute Unversehrtheit deines Schützlings gewehrleisten musst. Bis hierhin Einwände?“ Keine Reaktion. Persephone schwirrte immer mehr der Kopf und er begann zu schmerzen, dass sie sich diesen am liebsten stöhnend gehalten hätte. Sie riss sich zusammen und spannte den Körper an. Zeus‘ Blick heftete sich abwechselnd auf die ihm Gegenübersitzenden und auf einmal umspielte wieder ein sympathisches Grinsen seine Lippen. „Sehr gut! Also werdet ihr ab heute eine volle Tagesplanung haben. Ich schlage vor, dass Äneas dich von Hades mittags abholt, Persephone, damit ihr nach einer kleinen Pause zügig weitermachen könnt.“ Persephone bewegte wieder mechanisch den Kopf. Was auch immer, schoss es ihr durch den Kopf; sie fühlte sich so zerstreut und überwältigt von den ganzen Veränderungen, dass sie zu so gut wie allen Ja gesagt hätte. „Da wäre noch eine Sache, Persephone…“ Zeus‘ leiser Tonfall riss sie aus ihren kreisenden Gedanken, die sie zu ordnen versucht hatte. Etwas hatte sich in die Miene des Gottes gelegt, was sie wieder die Stirn runzeln ließ. Sie bemerkte, wie er für sie nicht deutbare Blicke mit Äneas wechselte, der daraufhin leicht nickte und eine Hand zu seinem Rollkragen wandern ließ. Als er im Augenblick darauf wortlos den Stoff nach unten zog, stoppte Persephone erschrocken der Atem. Zuerst dachte sie, dass er gewürgt worden wäre, so verfärbt wie seine Haut war, die nun zum Vorschein gekommen war. Auf den zweiten Blick dann erkannte sie das viel offensichtlichere: eine frische, breite Narbe zog sich quer über Äneas‘ Hals. Unter dem Kiefer beginnend, zog sich die Wunde über den Kehlkopf und verschwand kurz oberhalb des Schlüsselbeins. Dort, wo sich die Fäden hergezogen haben, erinnerten nur noch die Einstichstellen neben der neuen rosa Haut an sie; es mussten unzählige Stiche gewesen sein. Je länger sie die Narbe aus geweiteten Augen anstarrte, desto schmerzhafter schlug ihr Herz und ihre Augäpfel begannen zu brennen, als finge sie im nächsten Moment zu weinen an. Äneas hatte den Blick abgewandt und presste die Lippen verbittert aufeinander. War es Scham? Schmerz? Oder konnte er es nicht ertragen, dass sie seine Narbe zu Gesicht bekam? „Äneas hatte einen Unfall, der ihn wochenlang ans Bett gefesselt hat. Seine Stimmbände sind bei einer Schlägerei durch einen Messerstich durchtrennt worden.“ Zeus‘ Erklärungen kamen gedämpft und leise bei ihr an, als habe sich auf einmal eine Wand zwischen ihnen aufgebaut. Sie achtete nicht darauf, konnte sie ihren Blick sowieso nicht abwenden, auch wenn es ihr der Verstand aus Höflichkeit Äneas gegenüber befahl. Äneas drehte leicht den Kopf und musterte sie. Eine Mischung aus Angst und Besorgnis lag in seinem Blick. Und wieder kam ihr dieser Ausdruck auf merkwürdige Weise vertraut vor. Es war so typisch. Sie sah ihm direkt in die Augen. „Ich verstehe.“, antwortete sie Zeus leise. Ja, sie verstand und doch wollte etwas in ihr protestieren, sich auf den Boden werfen wie ein kleines Kind und den Umstand nicht akzeptieren, dass dieser Mann nie wieder sprechen könnte. Sie kannte ihn nicht, woher auch, und dennoch war sie überzeugt davon, dass er der letzte war, der so ein Schicksal verdient hat. „Tut mir leid.“, sagte sie aufrichtig und kämpfte nun tatsächlich mit den Tränen. „Ich kenne jemanden, der die Gebärdensprache unterrichtet.“, setzte Zeus von Neuem an und lenkte so die Aufmerksamkeit wieder auf sich. Äneas ließ den Kragen los, sodass die Narbe nicht mehr sichtbar war. Persephone versuchte sich möglichst unauffällig über die nassen Augen zu wischen. Ihr war diese ganze Situation rätselhaft… „Ihr werdet dreimal die Woche gemeinsam dorthin gehen.“ Zeus verstummte kurz und wartete erneut ein zustimmendes Nicken seitens der Betroffenen ab, dann sah er wieder Persephone durchdringend an. Sie erkannte leichte Sorgenfalten auf seiner Stirn. „Ich weiß, was ich … was wir dir damit alles zumuten.“, verbesserte er sich. „Ich könnte verstehen, wenn du sagst, dass du mit dieser Dreifachbelastung nicht klarkämest.“ Sein Blick wurde auf einmal weich und eine Aufrichtigkeit lag in diesem, dass ihr sofort wärmer wurde. „Das ist jedoch der einzige Kompromiss, den ich dir anbieten kann, Persephone.“ Etwas in ihr machte „Klick“ und die Wahrheit, die verhüllte Botschaft lag so deutlich vor ihr, als habe Zeus sie in großen Lettern aufgeschrieben. Er hatte es die ganze Zeit über gewusst. Natürlich hat er das. Und das alles tat er nur für sie. Natürlich tat er das – er war schließlich Zeus, belehrte sie eine leise Stimme in ihr. Unweigerlich drängte sich ein Bild in ihr auf: Hell und Dunkel. Hitze und Kälte. Zeus und Hades. Die Unterschiede lagen nicht nur in ihrem gegensätzlichen Auftreten, nein, es war viel offensichtlicher! „… ich weiß. Und ich danke Ihnen.“ Persephone konnte nichts anderes tun als zu lächeln. Würde es nun vorbei sein? Nein. Wahrscheinlich wird es das nie. Sie sah noch einmal zu Äneas und ein beruhigendes Gefühl lockerte die feste Schlinge, die sich um ihr Herz gezogen hatte. Nein, aber nun hatte sie Hilfe erhalten; man hatte ihr einen Ausweg, eine Abzweigung zu einer Parallelstraße gezeigt, auf der es weniger beängstigend zu sein schien. Sie konnte hinterher nicht sagen, wie lange sie noch dort gesessen und Blicke mit Äneas ausgetauscht hatte. Diese Verbundenheit, die mit so vielen Widersprüchen einher ging, war wirklich merkwürdig. Auf der Suche nach Antworten stellte sie sich die Frage, ob die passende Bezeichnung für dieses Gefühl Verliebtheit sei, doch bei dem Gedanken musste sie innerlich fassungslos lachen. Nein, nie im Leben würde sie sich in diesen Mann verlieben! Und gleich drauf setzte sie die Frage nach dieser Gewissheit auf die Liste der ungelösten Rätsel. Vielleicht kannte ihr neuer Partner ja eine Antwort drauf… Ohne anzuklopfen wurde plötzlich die Tür aufgestoßen und alle Anwesenden starrten auf Hades, der nicht minder verwirrt zurücksah; vor allem Zeus schien er besonders skeptisch ins Auge zu fassen. Die Erkenntnis, warum so viele Leute in seinem Büro warteten, schlich sich zusehends in sein Gesicht. In der einen Hand hielt er einen Karton mit drei Pappbechern, die Finger der anderen umschlossen weiterhin die Türklinke. Persephones Körper krampfte sich bei dem Anblick des Gottes unweigerlich zusammen und sofort verstärkte sie den Griff um die Armlehnen des Stuhles, um das aufkommende Zittern zu verbergen. Es war Zeus, der die eingefrorene Szenerie letztendlich brach, indem er breit grinsend aufsprang und Hades entgegen ging. „Ah, endlich! Ich habe mir den Mund schon ganz fusselig geredet.“, sagte er im Plauderton und nahm es Hades ab, die Tür zu schließen. Der Blick seines Partners blieb gewohnt misstrauisch und ernst. „Dann habt ihr alles besprochen?“, fragte er und bei den Worten fasste er Persephone ins Auge. Einem Reflex folgend beugte sie sich dem Blick seiner kalten Augen und sah zu Boden. „Ja. Äneas und ich sind auch sofort wieder weg. Ich wollte Herk noch die frohe Botschaft überbringen.“, antwortete Zeus weiterhin mit gutgelaunter Stimme und nahm Hades einen der mitgebrachten Becher ab, den er dem nun ebenfalls aufstehenden Äneas in die Hand drückte. „Hier, du wirst ihn mehr brauchen als ich. Ich trinke eh viel zu viel von dem Zeug.“, raunte er ihm zu und ging an Hades vorbei zur Tür. Dann suchte er ein letztes Mal Persephones Blick. „Also dann, Äneas wird dich wie besprochen in vier Stunden abholen.“ Sie nickte vorsichtig und warf einen kurzen, prüfenden Blick zu Hades; dieser hatte das Gespräch mit einem bitteren Gesichtsausdruck verfolgt. Eine Hand berührte sie leicht an der Schulter und als sie sich verwundert umdrehte, drückte Äneas ihr einen kleinen Zettel in die Hand. Blinzelnd las sie die eng geschriebenen Wörter. Ich beeile mich, dich abzuholen und dann können wir uns in Ruhe kennenlernen. Du machst einen netten Eindruck, ich denke, wir werden gut miteinander auskommen. Als sie wieder aufschaute, hielt Äneas wie zur Erklärung einen kleinen Notizblock samt Kugelschreiber hoch und auf einmal klebte da ein winziges, verlegendes Lächeln in seinem rechten Mundwinkel. Ihre Augen wurden wieder groß und sie spürte, wie ihre Wangen glühten. Noch einmal hörte sie Zeus‘ Stimme, die nach Äneas rief und dieser Aufforderung folgte der Angesprochene dann, verließ hinter dem Gott das Büro und zog die Tür leise ins Schloss. „Du hast also dem Vorhaben zugestimmt?“ Hades nachforschender Tonfall holte sie sofort wieder in die Wirklichkeit zurück und ließ sie auf ihrem Stuhl erschrocken zusammenzucken. Er musterte sie erwartend, als sie mit klopfendem Herzen nach den passenden Worten suchte. Die Weise, wie er die Frage gestellt hatte, hatte in ihr ein Gefühl geweckt, als habe sie etwas Falsches oder Dummes getan. „Ja, es ... erschien mir sehr sinnvoll.“, antwortete sie ihm leise und verfolgte jede seiner Bewegungen angespannt. Hades schien wieder in diese gefährliche Stimmung gefallen zu sein. Umso mehr verdutzte sie das schnaubende Lachen, was als Reaktion von ihm folgte. Hades ging langsam um seinen Schreibtisch herum und schüttelte mit dem Kopf. Als seine Augen sie wieder fixierten, lag in seinem Blick dieses Harte und Kalte, das Persephone seit neustem immer öfter zu Gesicht bekam; dennoch lief ihr weiterhin ein Schauer über den Rücken, wenn sie es sah. Bis jetzt hatte es nie etwas Gutes bedeutet. „Es hatte mehrere Gründe, warum Zeus dir von unserem Deal erzählt hat und nicht ich; einer davon war definitiv der, dass alles, was aus seinem Mund kommt, sich gut vermarkten lässt. Er war schon immer der Geschäftsmann von uns beiden.“, entgegnete er erstaunlich ruhig und reichte ihr einen der mitgebrachten Kaffeebecher. Er selbst trank auch einen Schluck aus seinem eigenen und musterte sie dabei nachdenklich. Sie spürte, wie die Nervosität ihr bis in die Fingerspitzen kroch. „Da du ja in Zukunft nun mehr mit ihm zu tun haben wirst, lass dir eine Warnung mit auf dem Weg geben:“, begann er und setzte den Becher ab. „Begehe nicht den Fehler, ihm zu viel zu vertrauen. Am besten fängst du erst gar nicht damit an. Menschen, die dir was verkaufen wollen, haben nie dein Bestes im Sinn, sondern nur die Zahlen auf ihrem eigenen Konto und manche würden dafür sogar über Leichen gehen.“ Er unterbrach den intensiven Blickkontakt und sah stattdessen an Persephone vorbei zur Tür, als würde Zeus immer noch in dessen Rahmen stehen und dem Gespräch lauschen. „Ich habe aufgehört mitzuzählen, über wie viele Zeus inzwischen hinweg gestiegen ist.“, raunte er leise und ein unheimlicher Schatten legte sich über seine Gesichtszüge, sodass Persephones Herz noch schneller in ihrer Brust hämmerte. Hades schwieg und eine unangenehme Spannung lag mit einem Mal in der Luft. Sie hasste es mit Hades alleine zu sein; aber Situationen wie diese, in denen sie schweigend voreinander saßen, und sie nicht wusste, was als nächstes passieren wird, waren die unangenehmsten. Sie spürte die Wärme des Kaffees durch die dünne Pappe des Bechers und sie begann, ihre Fingerspitzen leicht auf der Oberfläche kreisen zu lassen, nur um irgendetwas gegen diesen eingefrorenen Augenblick zu tun. Sie hasste es, mit ihm allein zu sein, nichts gegen diesen Zustand tun zu können … und da nistete sich auf einmal der Gedanke an Äneas in ihr ein, ihr Schatten, und ehe sie darüber nachdenken konnte, holte sie schon Luft und setzte zur Antwort an. „Nun, ich bin immer der Auffassung gewesen, dass man besser seine eigenen Fehler begehen sollte.“, entgegnete sie mit gestrafften Schultern und erstaunlich selbstsicherer Stimme. Als ihr Verstand ihr neugewonnenes Selbstbewusstsein endlich eingeholt hatte, biss sie sich erschrocken auf die Lippen und verfluchte sich. Waren ihr diese schnippischen Widerworte tatsächlich über die Lippen gekommen? War sie nun völlig irre geworden? Sie wollte schon den Blick unterwürfig abwenden, hatte dutzende Entschuldigungen bereits in Gedanken zurechtgelegt, doch Hades‘ Blick war erstaunlich mild und heiter. Amüsiert verzog er die Lippen. „Wie recht du doch damit hast. Aus den eigenen Fehlern lernt man ja bekanntlich noch am meisten.“ Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. „Und weißt du, was die wichtigste Erkenntnis meistens dabei ist?“, fragte er sie daraufhin und drückte beiläufig auf einen Knopf an seinem Computer. Summend sprang die Lüftung des Rechners an. „Man lernt, beim nächsten Mal vorsichtiger vorzugehen und es dann geschickter anzustellen.“, beantwortete er seine Frage selbst und in seinen Blick war etwas Gefährliches getreten; Persephone hatte das Gefühl, als starrte sie einem Raubtier direkt in die Augen. Die Botschaft traf sie mit voller Härte und es hätte nicht viel gefehlt, um sie erschrocken aufspringen zu lassen. Ihr Verstand spann die Szene in Gedanken weiter; sie würde zur Tür laufen und an ihr zerren; sie würde abgeschlossen sein – wie immer, natürlich, war Hades nicht der Letzte gewesen, der an der Tür gestanden hatte? – sie würde sich umdrehen, sehen wie Hades sich langsam erhebt und auf sie zukommt und dann … und dann… Tränen füllten ihre Augen. Er mag keine Tränen, hör auf damit! Doch Hades sagte nichts. Er saß ihr immer noch gegenüber und musterte sie. Sie bemerkte, wie sich sein Gesichtsausdruck wandelte, bis er genervt die Augen verdrehte und laut seufzte. „Beruhige dich, verdammt! Sieh mich nicht an, als säße dir ein hirnloses Monster gegenüber.“, zischte er wütend, „Ich habe die Verantwortung übernommen, dir mein Wissen zu vermitteln und du würdest Olymp mehr schaden als nützen, wenn ich das nicht gewissenhaft täte.“ Er deutete auf die Tasche, die neben ihr auf dem Boden stand. „Bau deinen Laptop auf, los, wir haben in den nächsten Stunden viel zu tun!“ Für einen Moment starrte sie ihn noch aus geweiteten Augen an. Sie spürte, wie sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste und ihre Wange herunter floss. Sofort wischte sie diese mit dem Handrücken weg und kam seiner Aufforderung nach. Ihr Herz raste unaufhaltsam, sie fühlte den Schlag bis in ihren Hals hinauf, doch etwas gab ihr die Gewissheit, dass sie Hades‘ Worten ein wenig Vertrauen schenken konnte. So paradox ihr das auch vorkam. Es ist in Ordnung, sprach sie sich in Gedanken zu, es ist alles in Ordnung, Äneas ist bei dir! Innerlich schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Sie kannte diesen Kerl gerade mal fünf Minuten und schenkte ihm schon ihr blindes Vertrauen … sie verlor langsam den Verstand. Für Minuten herrschte wieder die Stille vor, die einzigen Geräusche waren das Summen und Rauschen der Rechner. Hades wartete geduldig, bis sie fertig war, ihren Laptop hochzufahren, dann sah er sie noch einmal durchdringend an. Er brauchte sie nicht aufmerksam machen; seine Blicke waren für sie mit der Zeit fast physisch spürbar geworden. „Ich verlange nicht von dir, dass du auf mich hörst, aber du solltest meine Warnungen dennoch niemals vergessen.“, begann er. „Ich spreche sie nicht umsonst aus. Manchmal ist es gesünder auf die Ratschläge anderer zu hören, als auszutesten, wie weit man selbst gehen kann. Alle Fehler ziehen Folgen nach sich und manche davon können einem metaphorisch, manche aber auch wörtlich das Genick brechen. Das solltest du stets bedenken.“ Seine Worte hingen in der Luft, wiederholten sich leiser werdend in ihrem Kopf und je länger sie ihn ansah, umso deutlicher wurde die Botschaft, die in seinen hellen Iriden abzulesen war: Lass dich auf ihn ein und du bist tot. Du gehörst mir, vergiss das keinen einzigen Moment! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)