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Space and Time

to be or not to be
von

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Prolog

„Lauf, Sebastian! Lass ihn nicht entkommen!“ Ciel keuchte als er sich mit den Händen auf den Knien abstützte, um wieder zu Atem zu kommen. Sein Butler war glücklicherweise schneller. Dieser Mann gehörte nicht hier her, hatte Sebastian gemeint. Vielleicht brachte er Licht in das ewige Dunkel um den Mord an seinen Eltern. Seit langem hatte er keine Anhaltspunkte mehr finden können, zuvor war alles im Sand verlaufen.

Aber jetzt wo sie mitten in der Nacht durch dunkle enge Gassen diesem Gentleman gefolgt waren, der sich ständig umsah, als wolle er, dass ihm niemand folgte und panisch die Flucht ergriffen hatte, als er die beiden entdeckte, war er ganz nah dran. Er wusste es, es musste stimmen!

„Bocchan.“ Sebastian stand plötzlich vor seinem Herrn.

„Wo ist er? Ich habe dir befohlen, ihm zu folgen!“ Ciels Atem malte wütende Dampfwölkchen in die kalte Dezemberluft.

„Er ist plötzlich verschwunden.“

„Was soll das heißen, verschwunden? Willst du mich auf den Arm nehmen?“, brüllte er den Dämon an, der ihm soeben seine einzige Chance vermasselt hatte und ihm nun mit stoischer Ruhe erklärte, der Mann hätte sich in Luft aufgelöst.

„Bitte folgt mir, das solltet ihr euch selbst ansehen.“ Sebastian geleitete seinen Herrn durch das Labyrinth aus Gassen, die ihm immer windschiefer und immer bedrängender vorkamen, durch Innenhöfe in denen Ratten umherliefen und schließlich eine unscheinbare von Müll, Schneematsch und anderen Dingen - an die der junge Lord im Moment gar nicht denken wollte – verdreckte Treppe hinunter in ein Souterrain, dessen Türen sperrangelweit offen standen.

Darin nichts. Absolut nichts. Ciel hätte schreien können. Buttler und Lord traten in die Mitte des Raumes und sahen sich weiter um. Vielleicht irgendwo eine Geheimtür?

Als Sebastian die okkulten Zeichen an den Wänden und am Boden erkannte war es schon zu spät. „Bocchan!“ er versuchte noch, seinen Herrn am Arm zu packen, doch ein gleißend helles Licht kam ihm zuvor und blendete die beiden, als es den Raum durchflutete. „Sebastian!“

Stille lag über dem Londoner Stadtviertel. Eine schwarze Katze streunte durch den Innenhof und sah eine verlassene Treppe hinunter und in gähnende Schwärze hinter den offenen Türen. Sie streckte sich und sprang über einen Müllhaufen auf den Mauerrand des Hofs zur anderen Seite in der Hoffnung noch irgendwo Futter zu finden.

Gefallen [S]

„Danke, Andrew.“ Rose Blackwater stieg in die Limousine, deren Tür höflich von einem großen breitschultrigen Mann in schwarzem Anzug aufgehalten wurde. Dieser schloss die Tür und setzte sich selbst hinters Steuer.

„Alles glatt gelaufen?“

„Wie geschmiert.“, kam es von der jungen Frau auf dem Rücksitz, die einen schwarzen Aktenkoffer auf ihren Schoß hob und diesen öffnete. Im Deckel verbarg sich ein Tablet-PC, und in der Unterseite lagen einige Kabel und Gerätschaften nebst einer kleinen Tastatur, die mit dem PC verbunden waren. Sie griff in ihre Manteltasche und zog einen Mikrochip hervor, den sie eben bei dem Treffen im Mandarin Oriental erhalten hatte. Der Chip enthielt Teildaten für einen kleinen Auftrag, den sie erledigen sollte, und die Koordinaten wo sie gleich die restlichen Informationen bekommen sollte. Der PC führ hoch, auf dem schwarzen Bildschirm erschien ein kleines blaues Quadrat, auf das sie ihren Daumen drückte.

„Welcome“, sagte schließlich die Computerstimme aus einem der Lautsprecher.

Sie schob den Chip in einen kleinen schlitz in einem kleinen kugelförmigen Gerät, das ebenfalls mit dem Tablet verbunden war. Ein grünes Lämpchen leuchtete am Gerät und der PC meldete Datenempfang.

„Commodore 64, Datenscan und entpacken.“ Der PC reagierte auf ihren Sprachbefehl und ein schmaler blauer Ladebalken erschien auf dem Display.

„Datentransfer abgeschlossen. Öffnen.“ Meldete die teilnahmslose computerstimme und sekundenbruchteile später erschien eine Karte von London auf dem Schirm. Ein Roter Pfeil sprang am Hyde Park auf die Position des Mandarin Oriental und schoss dann die virtuellen straßen entlang, hinauf zum Kings Cross in den Güterbereich und verharrte dort blinkend.

„Andrew, Kings Cross, zum Güterbahnhof.“

„Alles klar.“ Der Mann mit dem weißblonden Haar am Steuer lächelte in den Rückspiegel und setzte den Blinker.

Londons Lichter erhellten die Straßen, während sich am Nachthimmel die Wolken zusammenkuschelten.

„Es wird bald regnen.“ Stellte Rose beiläufig fest und hängte ihre Augen für kurze Zeit an die geisterhaften Bilder über ihr. In Andrews Augen blitzte kurz ein Lächeln auf, als er in den Rückspiegel sah.
 

Der Wagen Rollte im Schritttempo über den feuchten schotter an den Gleisen. Der Güterbahnhof lag in nahezu völliger Dunkelheit. Andrew löschte das Licht und führ langsam über einen Gleisübergang und folgte einer kleinen Straße parallel zu den Gleisen.

„Hier müsste es sein, halt an.“ Rose öffnete die Wagentür und stieg aus, in der Linken einen silberne Aktenkoffer. Andrew tat es ihr gleich, blieb aber am Wagen. Sie hörte im Hintergrund das vertraute Klicken von Metall- und Plastikteilen.

Ihre Stiefel klangen entsetzlich laut auf dem Schotter, als sie auf einen der Wagons zusteuerte.

„88“, murmelte sie. „perfekt.“ Sie hämmerte dreimal gegen den Wagon, und wartete den Hall ab. „Sieg! Heil!“ brüllte sie schließlich und das Rolltor glitt auf. Zwei Hände kamen aus der Dunkelheit und halfen ihr hinauf in den Wagon. Die beiden Herren, die ihr geholfen hatten, postierten sich rechts und links von der Tür. Sie hörte, wie sich ein Streichholz entzündete und folgte der Flamme, die eine Öllaterne entzündete. Im Lichtkegel zeigten sich drei Herren mittleren Alters, die auf Pfeffersäcken um die Lampe saßen. Alle fünf steckten in SS-Uniformen. Einer von ihnen zündete sich eine Zigarette an, er trug ein eisernes Kreuz an der Brust.

„Welch angenehme Überraschung.“, meinte er nach dem ersten Zug und schnippte die Asche weg.

Der, der auf der rechten Seite saß, lächelte einladend und klopfte auf den leeren Pfeffersack neben sich, dass es leicht staubte. Er wirkte nicht älter als zwanzig und seine fein geschnittenen Züge zierte eine blasse Narbe von der Augenbraue bis zur Unterlippe.

„Bitte, setzen sie sich.“ Sie kam wortlos seiner Bitte nach.

„Haben sie, was wir wollen?“ fragte der mit der Zigarette und nebelte sich ein.

„Haben sie, was ich will?“ fragte sie zurück und bekam leises Gelächter seitens der Männer zur Antwort.

„Sie gefallen mir.“ Er zog eine Schachtel Lucky Strike heraus und hielt sie ihr hin. Sie lehnte lächelnd mit einem Kopfschütteln ab.

„Na schön meine Herren, genug mit Smalltalk. Lassen wir die Hosen runter.“

Der mit der Zigarette grinste wieder. „Lloyd.“ Welcher bis eben noch stumm dagesessen war, griff in Seine Uniformjacke und warf ein A4 Kuvert neben die Öllampe auf einen der Pfeffersäcke, Ein Teil des Inhalts und ein Foto rutschte heraus. Sie lächelte.

Nun war es an ihr. Sie öffnete den Koffer und präsentierte den anwesenden Herren den Inhalt. Die SS-Männer zeigten sich zufrieden. „Wir bleiben ihnen einen Gefallen schuldig, Lady. Unser Mittelsmann steht ihnen jederzeit zur Verfügung.“

„Danke, Gentlemen.“ Sie lies den Koffer stehen und nahm den Umschlag an sich. „Ich wünsche noch einen schönen Abend.“ Sie stand auf und steckte die Papiere ein, bevor sie sich zum gehen wandte. Das Licht ging aus, einer der Wachposten streckte einen Arm aus um ihr hinunterzuhelfen. Sie schenkte ihm ein Lächeln und sprang einfach ab. Mit wehendem Mantel landete sie auf dem schotter. Im selben Moment gingen die Scheinwerfer ihres Wagens an, und blendete die Wachposten. Rose ging lässig dem Lichtkegel entgegen, während der Motor startete und stieg hinten in den Wagen. Andrew legte das Scharfschützengewehr, mit dem er am Autodach Stellung bezogen hatte, hinunter auf den Fahrersitz und zog eine Halbautomatik aus dem Schulterholster in seinem Jakett. Sie griff nach vorn, entlud das Gewehr, zerlegte es und lies die Einzelteile in dem Fach zwischen den Vordersitzen verschwinden. Andrew stieg ein und wendete den Wagen auf der Zufahrtsstraße. Vom Meer her hörte man es donnern.

Je näher sie der Themse kamen, desto dichter drängelten sich die Wolken und umso näher kam das Gewitter.

„Andrew, bitte halt an, ich möchte ein Stückchen zu Fuß gehen.“ Der Wagen hielt mit leicht quietschenden Bremsen am Straßenrand und Rose stieg aus. Der erste Regentropfen traf ihre Stirn. Es donnerte, und dann begann es zu schütten. Andrew folgte ihr mit einem Regenschirm bewaffnet. Sie steckte die Hände in die Manteltaschen und ging die Straße entlang, vorbei an Pubs und Rotlicht-Clubs. Langsam. Der kalte Regen durchnässte ihr Haar und rann ihr in den Nacken. Es war bitterkalt.

Plötzlich blieb sie stehen und wandte den Kopf zurück. Mit den Augen deutete sie auf eine kleine Seitengasse zwischen zwei zugenagelten und mit Plakaten übersäten Läden. Andrew trat unauffällig näher an die gegenüberliegende Seite. Sie war sich sicher, etwas gehört zu haben, und es war ihr nicht geheuer. Sie schlug den unteren Teil ihres Mantels zurück und öffnete den Halteriemen an ihrem Hüftholster. Bevor sie um die Ecke sah entsicherte sie.

Es war gut dass sie nachgesehen hatte. Obwohl ihr beinahe der Brechreiz hochkam. Zwei Männer, ein Kind.

„Lasst den Jungen los.“ Sie trat in die Gasse, die Hand am Holster. Doch anscheinend hatten sie nicht vor, sich stören zu lassen und rissen dem Jungen weiter die Kleider vom Leib, während einer von ihnen ihm den Mund zuhielt.

In Rose legte sich ein kleiner Schalter um. „Lasst sofort den Jungen los.“ Ihre Stimme duldete keine Wiederworte.

„Hast du’ n Problem, Schlampe?“ Einer von ihnen drehte sich um. Ein schmieriger kerl mit Bierbauch und ungepflegtem Gesicht.

„Ja, ihr seid mein Problem.“

„Keine Sorge, Kleine. Wir kümmern uns gleich um dich.“, meinte der andere und musterte Rose’ s Körper mit lüsternem Blick. Jetzt war ihr wirklich speiübel.

„Andrew.“ Der Hühne trat um die Ecke und kam auf die Männer zu, blieb jedoch neben Rose stehen.

„Oh, du willst kämpfen, ja?“ der Zweite lies den Jungen los und ballte die Fäuste. Der Junge fiel zitternd zu Boden und kauerte sich in die nächste Ecke.

„Aber nein.“ Andrew lächelte und nahm den Mantel von Rose entgegen, den sie eben ausgezogen hatte.

„Schau, die Schlampe will Ärger.“ Der Dicke begann sich langsam ängstlich umzusehen, er hatte bereits die Waffe an ihrem Gürtel entdeckt. Der andere zog unbeirrt ein Messer und lies die Klinge aufschnappen.

„Oh, n ganz Harter.“ Rose‘ s Lächeln war bitter, als sie ebenfalls ein Messer aus einer kleinen Tasche an ihrem Oberschenkel zog.

Von beinahe anmaßender Selbstüberschätzung besessen ging der Kerl mit dem Messer auf sie los. Rose wich aus. Es blitzte. Der Dicke sah seinen Kumpel zu Boden gehen und sich den Bauch halten. Sein Hemd färbte sich langsam Rot.

„Und was dich angeht.“ Sie steckte das blutbeschmierte Messer weg und zog die Waffe. Im Holster war auch ein Schalldämpfer. „Du widerst mich am meisten an. Er hier hatte wenigstens noch etwas mumm in den Knochen, aber du“ Sie schraubte den Schalldämpfer auf und richtete den Lauf auf ihn. Er ging bereits wimmernd zu Boden und begann stumm um Gnade zu winseln, doch bevor er den Mund aufmachen konnte, sprach sie weiter. „Hast nicht mal den Anstand stehen zu bleiben, und winselst, bettelst, so elend, wie es nur Menschen sind. Vergreifst dich an Kindern, die sich nicht wehren können. Aber nicht hier, nicht in meinem Bezirk, nicht in meiner Stadt!“ Ein dumpfer zischender Laut. Der Schuss saß. Die Oberschenkelarterie war getroffen. Der zweite Schuss traf in die Genitalien.

„Was für Munitionsverschwendung.“ Sie drehte sich um und schoss dem anderen in den Kopf.

Andrew nahm die Waffe entgegen und gab ihr ihren Mantel zurück. Er stand immer noch unter dem Regenschirm. Rose stieg achtlos über den Zuckenden Körper am Boden und ging langsam auf die dunkle Ecke zu.

„Hey, Kleiner.“ Sie ging mit etwas Abstand vor ihm in die Hocke und warf ihm ihren Mantel über, sodass er vom Regen geschützt war. Ein Teil seiner merkwürdig altmodischen Kleider war zerrissen, der Rest hing nur noch halbherzig an seinem schmächtigen Körper. Er zitterte am ganzen Leib und gab sich Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken.

„Wie heißt du?“ fragte sie sanft.

Der Junge sah auf, sein rechtes Auge wurde von seinem durchnässten Haar verdeckt. Wunderschönes Blau sah ihr entgegen.

„C…Ciel.“, brachte er schließlich zwischen zwei Schluchzern heraus.

„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Ciel.“ Sie streckte eine Hand aus und wartete.

Ciel sah zuerst ihre Hand an, dann in ihr Gesicht. Sie war schön, sie lächelte. Plötzlich brach das Eis. Er stürzte sich in ihre Arme und begann bitterlich zu weinen.

„Ist ja schon gut. Es ist vorbei.“ Beruhigend strich sie über seinen schmalen Rücken unter ihrem Mantel. Dann sah er zu ihr auf. Hilfesuchend. Fragend.

„Ich passe auf dich auf, Ciel.“ Liebevoll strich sie ihm das nasse Haar aus dem Gesicht. Ihre Hand war wunderbar warm auf seiner Haut. Er wurde spürbar ruhiger. Jetzt sah er wieder zu ihr auf, doch was sie sah, weckte etwas in ihr.

Tainted.

„Kannst du aufstehen?“ Er nickte und kam etwas wackelig auf die Beine. Einen Arm um seine Schultern führte sie ihn aus der Gasse heraus ohne dass er die Leichen zu sehen bekam. Es regnete immer noch. Andrew folgte mit dem Regenschirm zurück zum Wagen.

Ciel sah zu der Frau neben sich auf. Obwohl es so kalt war, trug sie nur eine schwarze Bluse, unziehmlich kurze Hosen und Ihre langen Beine, die in klobigen Stiefeln steckten, waren von einem engmaschigen Netz bedeckt. Ihr langes Haar war triefnass, wie auch der Rest ihrer Kleidung, doch es schien sie nicht zu stören. Der große Mann hinter ihnen machte ihm Angst. Sie Öffnete die Tür, des merkwürdig aussehenden Vehikels, während der Große Mann, der sie Eingeholt hatte, einen Schirm über sie hielt.

„Steig ein.“ ER gehorchte zögernd und setzte sich auf die lederne Rückbank. Der Mann schloss den Schirm und legte ihr sein Jackett um, dann wand sie sich mit dem Gesicht zum Himmel und verharrte so für einige Augenblicke, bevor sie einstieg.

Der Mann setzte sich auf den Sitz vor ihm und fuhr los.

„Fahren wir heim, Andrew. Morgen wird ein langer Tag. Durch einen Spiegel an der Frontscheibe begegneten sich Ciels und Andrews Blick. Dieser wand sich allerdings sofort wieder der Fahrbahn zu.

„Wer… wie ist dein Name?“, fragte er die Frau.

Sie seufzte und lächelte ihn wieder warm an. „ Ich habe so viele. Gib mir einfach einen.“

Ihm fiel nichts ein, also sah er hinaus. All die vielen Lichter und riesigen Häuser. Wo war er hier? Wie war er hierher gekommen und warum?

Sie fuhren auf eine Brücke. Auf der gegenüberliegenden Seite, die Themse hinunter, zog die beleuchtete Tower Bridge vorbei.

Und vor allem, wer war er überhaupt? Ciel…?

Ein seltsamer Fisch [X]

Alkohol. Es roch nach Alkohol, nach schalem Bier und schlechtem Wein. Auf dem Betonboden der Lagerhalle lagen zerbrochene Flaschen und leere Pappbecher herum. In dem düsteren Zweilicht derflackernden Neonröhren konnte man einige angerostete Frachtcontainer erkennen deren Aufschriften über die Jahre unleserlich geworden waren. Leises Geflüster war aus den Containern zu hören, gewimmer und das unterdrückte Schluchtzen von Kindern. Luc erschauderte bei dieser Szenerie und musste Schlucken damit ihr der Muffin nicht wieder hochkam

„ Alles in Ordnung Lu?“ fragte eine tiefe Stimme hinter ihr.

„Was? Ja…es wird nur irgendwie nie…leichter…“ antwortete sie und biss sich auf die Lippe.

Sie legte ihr Fernglas beiseite, mit dem sie die Lagerhalle beobachtet hatte und drehte sich zu Pazcal um.

„Das sollte es auch nicht…“ erwiederte der Riese und fuhr sich durch das kurze mausgraue Haar.

Ein fremder Beobachter wäre von dem Bild verstört gewesen das sich ihm geboten hätte. Ein breiter Hüne wie er und ein kleines niedliches Mädchen waren nicht gerade ein gewohnter Anblick im Hafenviertel von Linorvo, nicht das sie zusammen überhaupt irgendwo ein gewohnter Anblick währen. Lu zog ihre Hose hoch und stopfte ein paar rote Haarsträhnen wieder unter ihr Barret. Pazcal zog ihr neckend die Mütze über die Augen und sie starrte ihn finster aus einem blauen Auge an

„ Lass das! Wir sind nicht zum rumblödeln hier!“ zischte sie und zog die Mütze zurecht, so das die Augenbinde welche ihr zweites auge verbarg nicht mehr zu sehen war. Nein, sie waren hier um zu arbeiten. Sie waren hier um Ordung zu schaffen, um sauber zu machen.

Sie hatten die Lagerhalle seit gestern Morgen beobachtet, doch endlich schien es als könnten sie zum Zug kommen.

„ Lass uns gehen, heute gibt es Sorbet zum Nachtisch. Wenn wir nicht pünktlich sind essen die anderen uns alles weg…“

Der Riese nickte mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht und hob Luc auf seine Schulter ehe er mit erstaunlicher Leichtigkeit vom Dach des Gebäudes sprang. Trotz seiner Masse bewegte er sich flink schnell und leise und stand innerhalb weniger Minuten am Hintereingang der Lagerhalle. Luc spähte noch einmal scharf durch die verstaubten Fenster ehe sie Pazcal ein Zeichen gab. Der Hüne legte seine Hand um das dicke Vorhängeschloss und drückte zu. Fast wie Alufolie begann das Schloss zu knittern und zerbröselte schlieslich. So leise wie möglich sties er die Metalltür auf und huschte in den Schatten einiger Kisten. Die Halle war von innen fast genauso leer wie sie von außen gewirkt hatte. Ein einizger Wachposten stand im Dunkeln, nahe der Container. Luc grinste ob dieser dreisten Dummheit. Da dachten diese Kerle doch tatsächlich sie könnten sich einfach in Paps Territorium breit machen. Allerdings hatten sie da die Rechnung ohne die Familie gemacht und man sollte immer mit la Familia rechnen. Der Wachposten schien seine Aufgabe nicht gerade ernst zu nehmen da er sich eine Zigarette ansteckte und nach einer Weile gelangweilt zu einer Kiste schlurfte um sich auf ihr niederzulassen. Nun grinste auch Pazcal.
 

Eine knappe Stunde später standen mehrere Polizeiwägen vor der alten Lagerhalle nachdem eine hysterisch klingende Kinderstimme der Polizei gemeldet hatte, dass dort Schüsse gefallen seien.

Die Beamten fanden zwei Frachtcontainer voller verängstigter Kinder und einen gesuchten Menschenhändler der um seinen Tod bettelte da er der festen Überzeugung war das der Teufel nach ihm geschickt hatte. Zwei Schatten verschwanden unbemerkt in Richtung des Wassers.
 

Lucia Blackwater blickte aus dem Fenster der Limousine starrte in den düster werdenden Himmel. Bald würde es ein Gewitter geben.

Nachdem sie Gestern mit Pazcal wieder in Milano angekommen war hatte ihr Vater sie umgehend zu sich nach Genova gebeten. Scheinbar hatte dies jedoch keinen bestimmten Grund, jedenfalls keinen Arbeitsbezogenen. Genova war wie Linorvo eine Hafenstadt und hatte regen Frachtverkehr, weshalb la Familia auch hier vertreten war.

„Pazcal, halt bitte an. Ich will laufen.“ meinte sie verträumt als die ersten Tropfen vielen. Regen. Sie liebte Regen. Als Pazcal die Limousine parkte und ausstieg war aus den einzelnen Tropfen bereits ein prasselnder schauer geworden. Lucia stieg aus und zupfte ihr Kleid zurecht. Es war ein wenig altmodisch, ebenso wie die Lackschuhe mit den goldenen Schnallen.

Sie lies ihre Füße gehen wohin sie wollten und blickte in den Himmel hinauf, spürte wie einzelnen Tropfen auf ihre Haut vielen und sie langsam durchnässten. Pazcal ging ihr unter einem Regenschirm hinterher. Anfangs hatte er sich stets um ihre Gesundheit gesorgt doch nicht einmal der Alte hatte ihr diese nassen Spaziergänge ausreden können. Wie in Trance ging sie Schritt für Schritt unter der grauen Wolkendecke entlang und landete schlieslich am Meer. Gerade lief ein großer Frachter in Hafen ein und schlug hohe Wellen. Sie beobachtete gerade fasziniert die Wellen und lehnte sich gegen ein Geländer, als ihr eine Bewegung im Wasser auffiel.

„Pazcal…!“ Sie packte ihren Begleiter am Arm und deutete in das Wasser unter sich. Der Hüne blickte zuerst verwirrt doch dann weiteten sich seine Augen vor Überaschung. Dort unten im Wasser war ein Mensch, mit dem Kopf nach unten. Ohne lang zu überlegen, schlüpfte sie aus ihren Schuhen und sprang ins Wasser. Sie wusste nicht genau was sie erwartet hatte, eine Leiche vermutlich, jedoch hatte sie nicht mir dem gerechnet was sie sah. Der Mann steckte mit dem Kopf nach unten unter einem rostigen Stahlträger fest, war jedoch noch sehr lebendig wie sein Puls ihr mitteilte. Pazcal tauchte neben ihr ins Wasser, da er das ganz von oben beobachtet hatte. Er hob den Stahlträger ohne Probleme an und zog den Mann mit nach Oben. Lucia viel etwas silbernes auf und sie packte es gerade noch bevor es im tieferen Wasser verschwand. Minuten später schnappte sie nach Luft als sie ans den kleinen Sandstrand nahe der Hafenschneise kroch. Pazcal hatte den Mann mit an Land gezogen und überprüfte seine Vitalzeichen

„Sein Puls ist unregelmäßig und langsam, allerdings scheint ihn das nicht zu stören“ brummte der Riese und wollte den Geretteten gerade in die stabile Seitnlage bringen als dieser die Augen aufriss und sich schlagartig aufsetzte. Für einen Augenblick glaubte Lucia rote Augen mit geschlitzten Pupillen zu sehen, doch da sackte er auch schon wieder in sich zusammen und blieb diesmal Bewusstlos.

Neugierig betrachteten beide den Mann und beiden viel gleichzeitig die altmodische Kleidung auf die er trug. Doch was Lu’s Interesse am Meisten fesselte war eine Ziernadel mit einem Wappen an seinem Revers. Das gleiche Wappen war auf der Taschenuhr welche sie in der Hand hielt. Beide starrten den Fremden eine Weile an bis ein Donnern sie aus ihren Gedanken riss.

„Ich sollte euch beide nach Hause bringen! Wenn du krank wirst reist mir der Alte den Kopf ab…“ burummelte Pazcal und warf Lucia sein Jacket über welches unter dem Regenschirm trocken geblieben war.

Zwei Stunden später sas Lu mit einer heisen Tasse Kakao neben einem Bett und sah zu wie ihr Ziehvater höchstpersöhnlich den Fremden untersuchte. Sie stützte ihr Kinn auf eine Hand und strich ihm eine schwarze Strähne aus dem Gesicht.

„Und?“ fragte sie leise und verfolgte die gebräunten Hände Alfredo Nucci’ s.

„Er hatte verdammt Glück. Ich kann keine inneren Verletzungen feststellen, ebensowenig hat er Knochenbrüche oder andere Verletzungen. Er ist erschöpft, was verständlich ist und hat einen Schlag auf den Kopf bekommen. Alles in allem sollte er bald wieder auf die Beine kommen…“ Ein Doppelseufzen ertönte im Raum und der Vater der Familia blickte mit einem milden Lächeln auf zwei seiner Kinder.

„Was gedenkst du mit ihm zu tun wenn er wieder zu sich kommt? Du hast ihm das Leben gerettet, also ist er nun in deiner Verantwortung.“ Ein einzelnes tief blaues Auge starrte Alfredo an und ihr Gesichtsausdruck schwankte zwischen einem zuckersüßen Lächeln und absolut tödlicher Entschlossenheit.

„Ich behalte ihn.“ Erwiederte sie schlicht und scheuchte die beiden anderen Männer aus dem Raum. Pazcal stellte sich wie gewöhnlich vor die Tür wie es als Bodyguard seine Aufgabe war, während Alfredo mit verschränkten Armen in den Keller verschwand, gefolgt von seinem eigenen Leibwächter.

Stunden vergingen in denen Lucia sich kein einziges Mal bewegte, jedoch immer müder wurde.

Kurz bevor sie einnickte bewegte sich Dornröschen und schien zu Bewusstsein zu kommen. Sofort rutschte sie weiter nach vorne und wartete bis er sich aufgerichtet hatte. Er blinzelte, rieb sich den Kopf und brauchte einige Minuten um zu sich zu kommen. Dann jedoch sah er sich verwirrt um und sein Blick landete auf ihr. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächelnd und legte den Kopf leicht schief

„Wo bin ich?“ Fragte er mit gebrochener Stimme und blickte sie aus glasigen Augen an.

„In der Villa Aeterna,“ erwiderte sie freundlich und legte ihm eine Decke um die nackten Schultern, da er zu zittern anfing.

„Wie heißt du?“ fragte sie nun ihrerseits und sah ihn weiterhin mit einem neugierigen Lächeln an. Er runzelte die Stirn und blickte auf seine Hände. Auf dem rechten Handrücken trug er ein Tattoo in Form eines Pentagrammes welches er nun betrachtete.

„Se..Sebastian. Jedenfalls…ist dass alles was mir einfällt…“ Seine Stimme wurde bereits wieder leiser und er schien wieder einzuschlafen.

„ Ruh dich aus, Sebstian. Hier tut dir niemand was.“ Sie drückte ihn zurück in die Kissen und deckte ihn zu. Momente später war er wieder eingeschlafen. Über die schwere Aufgabe des Bewachens jedoch wurden ihr selbst die Augenlieder schwer und sie rollte sich neben Sebastian zusammen. Wer ist er wohl? Was ist ihm passiert dachte sie noch ehe sie einschlief.
 

Tief unter der Villa Eterna fuhr eine braungebrannte Hand über ein verschnörkeltes Siegel auf einem Buch.

„Bald ist es soweit…“.

Das Alibi [S]

Als Ciel erwachte, hielt ihn immer noch dieser Alptraum gefangen. Hände, die ihm die Kleider vom Leib rissen und gierig seine Haut berührten. Er bekam Gänsehaut bei der Erinnerung an dieses widerliche Gefühl.

Da drang leise Musik an sein Ohr. Er sah sich um. Wo zum Teufel war er? Er lag in einem Bett und trug oberschenkellange schlabbrige Hosen und ein langes Hemd ohne Knöpfe mit kurzen weiten Ärmeln in quietschbunten Farben. Durch die halb offenen Vorhänge drang schwaches Tageslicht. Er fasste sich an den Kopf, als ob ihm das helfen könnte, seine Erinnerung wiederzuerlangen. Die Augenklappe! Panisch tastete Ciel auf der Bettdecke herum und suchte darunter, sie war nicht da. Ein angenehmes helles Lachen erscholl hinter der Tür. Er war also nicht allein.

Zögerlich krabbelte Ciel aus dem weichen Bett und tapste zur Tür. Dahinter verbarg sich nur ein lichtdurchfluteter Flur, von dem weitere Türen abgingen. Die Wände waren apricot-farben gestrichen, die Türen weiß.

Die Musik wurde lauter, als er langsam den Flur an der Fensterseite hinunter schlich. Als er hinaus sah, verschlug es ihm den Atem. Er konnte über die ganze Stadt blicken und erkannte sie wieder: London. Die Tower Bridge, Big Ben, alles war noch wo es sein sollte, sogar der Buckingham Palace. Aber die Häuser darum wirkten so unwirklich, riesig und gedrängt aneinander. Die Schiffe, die er auf der Themse sah, spien weder Dampfwolken, noch hatten sie Segelmasten. Ganz zu schweigen, von den schnellen pferdelosen Kutschen auf den Straßen, die er aus schwindelerregender Höhe sah. Automobile sahen doch so anders aus. Und es gab nicht so viele. Ciel wandte sich ab und rieb sich seufzend den schmerzenden Kopf. Was war passiert? War das alles am Ende auch nur ein Traum?

Gesprächsfetzen drangen wieder an sein Ohr im Hintergrund, immer noch diese merkwürdige Musik. Diesmal lachte ein Mann.

„Nein, ehrlich und was hat er dann gesagt?“ fragte die Frauenstimme belustigt.

„Erst mal gar nichts mehr und dann.“ Er machte eine Pause und sprach mit verstellter Stimme weiter. „Sie hören von meinen Anwälten!“, posaunte er empört. „Und dann ist er mit wehendem Mantel davon gestürmt.“, sprach er in normalem Ton weiter.

Die Frau lachte wieder leise. „Da wär ich gern dabei gewesen.“

Ciel schlich weiter und gelangte an eine Galerie wo eine Treppe hinunter führte, hockte sich ans Geländer und schielte vorsichtig hinunter. Dort unten war scheinbar eine Küche. Der Mann saß am gedeckten Tisch und las Zeitung, die Frau mit einer Tasse dampfender Flüssigkeit darin auf der Anrichte. Der Mann trug blaue Hosen und ein Hemd, das ähnlich aussah, wie seines, nur in schwarz. Die Frau trug graue schlabbrige Hosen und ein Unterhemd in hellblau. Warum lief eine Frau so merkwürdig herum? Und so freizügig. Die beiden waren alleine, also wo kam die Musik her? Er konnte kein Orchester oder Musikanten erkennen.

Ciels Blick blieb an dem Gedeckten Tisch hängen. Obst, duftende Pfannkuchen und Brot lagen darauf. Butter, Marmeladen und frischer Schinken. Dann standen da noch merkwürdig bunte Pakete auf dem Tisch, mit denen er nichts anfangen konnte. Langsam stieg ihm der Duft der warmen Pfannkuchen in die Nase. Es roch köstlich.

Ciel zuckte zusammen, als ihm sein Magen lautstark zustimmte.

„Ah, schau mal, wer wach ist.“ Der große Mann hatte den Hals verdreht und sah von seiner Zeitung zu ihm auf. „Und Hunger hat er auch.“ Er grinste.

„Guten morgen, Ciel.“, lächelte die Frau und sprang von der Anrichte. „Na los, komm runter. Iss, soviel du magst.“ Sie winkte einladend und zog einen Stuhl heraus, bei dessen Platz noch voll eingedeckt war.

Unschlüssig tapste Ciel die Treppe hinunter und setzte sich schließlich, allerdings nicht ohne den großen Mann aus den Augen zu lassen, der sich mittlerweile wieder den Artikeln in der Zeitung gewidmet hatte. Er war ihm irgendwie unheimlich.

„Ich weiß nicht, was du gerne frühstückst, also hab ich etwas mehr gemacht.“, riss ihn die lächelnde junge Frau aus den Gedanken. Er erinnerte sich an sie. Ihre Haare waren vom Regen nass geworden und ihre Beine steckten in diesem komischen Netz.

„Stimmt was nicht?“ fragte sie ihn. Ciel schüttelte ertappt den Kopf. Er hatte sie angestarrt. Das tat man nicht!

„Hast du deine Zunge verschluckt, Kleiner?“ fragte sie jetzt belustigt und setzte sich ihm gegenüber. Vor Kopf saß der Mann.

„Ich bin nicht klein!“, protestierte Ciel jetzt aufgebracht.

Hinter der Zeitung war ein Grunzen zu hören und Ciel erdolchte eine Werbeanzeige für einen Schuhladen in der Carter Lane mit seinem blauen Auge.

Die Frau lachte. „Also, was möchtest du?“

Ciel sah über den Tisch und blieb an dem Türmchen Pancakes kleben. Ehe er sich versah, hatte sie ihm zwei Stück auf den Teller gelegt und stellte ihm ein Fläschchen Ahornsirup neben den Teller. „Hau rein.“

Das lies sich der junge Lord nicht zweimal sagen und verschlang danach noch drei mehr. Aus einem der bunten Pakete füllte sie für ihn Milch in ein Glas. Sie schmeckte gut, aber er meinte dass sie irgendwie anders schmeckte.

Während Ciel mampfte, brühte Rose Tee auf und stellte sich, Andrew und ihrem Gast eine Tasse hin.

Andrew legte die Zeitung weg. „Nur Müll und schlechte Nachrichten. Die Kurse sind im Keller und bleiben da wahrscheinlich auch noch ne ganze Weile.“ Ciel verstand nur Bahnhof. Der Mann griff nach der Zuckerdose und schaufelte sich sechs löffel davon in den Tee, dann stellte er sie Ciel hin.

„Hast ganz schön Glück gehabt gestern, Kleiner. Wenn Rose nicht vorbeigelaufen wäre…“

Der Junge sah zwischen den beiden hin und her. Ja, langsam kam die Erinnerung zurück. „Gib mir einfach einen Namen.“, hatte sie gesagt. Sie hieß also Rose.

„Wie haben dich diese zwei Typen eigentlich in die Finger bekommen? Und wo kommst du her, dass wir dich wieder zu Hause abliefern können.“ fragte Rose.

Ciel überlegte und griff nach dem Zuckerlöffel. Er wusste keine Antwort. „Ich… ich weiß es nicht.“

Andrew und Rose sahen sich an. „Wie, du weißt es nicht?“ fragte der große weißhaarige Mann und beugte sich näher zu ihm.

Der Löffel fiel platschend in den Tee. Ciel hatte sein Gesicht in den Händen vergraben. „Ich weiß nichts mehr. Ich habe alles vergessen.“ Er begann zu schluchzen.

„Hey.“ Zwei arme legten sich sanft um seine Schultern. „Ist schon gut. Wir bekommen das alles wieder hin, Ja?“ Rose strich ihm sanft durch sein dunkles Haar, strich seine Hände von seinem Gesicht und wischte ihm die Tränen von der Wange. Etwas klingelte ganz weit entfernt in seinen Gedanken. Ihm hatte schon einmal jemand die Tränen vom Gesicht gewischt. Als er aufsah, lächelte ihn Rose aufmunternd an. Langsam wurde er ruhiger.

„Du kannst mich übrigens ruhig mit beiden Augen ansehen. Ich hab‘ s gestern schon gesehen.“

Zögerlich öffnete er sein rechtes Auge.

„Na also.“ Sie ging seitlich vor ihm in die Hocke und verschränkte die Arme auf seinem Schoß, als Ciel sich zu ihr drehte. „Na schön, dann brauchen wir erst mal ein Alibi für dich.“ Sie sah zu dem Mann hinter Ciel. „Andrew?“

„Am besten ist, dass wir uns bedeckt halten, die Leute sind furchtbar wenn‘ s um sowas geht.“ Er streckte sich und Gähnte herzhaft.

„Hm.“ Rose legte das Kinn auf ihre Arme und musterte mit ihren dunklen Augen den jungen Lord. „Wir bleiben bei der Wahrheit, wir haben dich gefunden und bei uns behalten. Du hast irgendeinem Perversling gehört der sich kleine Jungs wie Dich als Zeitvertreib hält. Das ist am einfachsten.“

Der Junge legte fragend seine Hand an sein violettes Auge. „Und das?“

„Ein Tatoo.“ Kam es von Andrew. Ciel drehte sich verwirrt zu ihm um.

„Tatoo?“

„Ja, es gibt solche Augentatoowierungen. Die sind aber Illegal. Wir sagen einfach der Futzi von dem du weggelaufen bist, hat seine Jungs damit so zu sagen als sein Eigentum gestempelt.“, erklärte Andrew und griff nach einer Scheibe Toastbrot auf dem Tisch und steckte sie in einen komischen Kasten, wo er einen Schieber hinunter drückte.

„Aber du musst es nicht immer zeigen, wir besorgen dir beim Arzt einen Verband, den du tragen kannst. Dann sagst du einfach, du hast ne Entzündung oder sowas.“ Meinte Rose und stand auf.

Ciel nickte langsam. Er verstand nicht warum diese Leute so nett zu ihm waren. Menschen waren egoistisch und geizig.

„Als erstes gehen wir dir aber Klamotten kaufen. Du kannst ja nicht ewig in Boxershorts und T-Shirt rumlaufen.“ Andrew Grinste, fing das kross geröstete Brot, dass der Automat eben ausgespuckt hatte, schob es sich in den Mund und half Rose beim Abräumen.

Ciel verstand schon wieder nicht, wovon der Weißhaarige Hüne, der Andrew hieß, sprach.

„Sag mal, du hast echt alles vergessen, oder?“ Andrew sah ihn musternd von der offenen Vorratsschranktür an. Jedenfalls glaubte er dass es sich um etwas Derartiges handelte, da die beiden die verderblichen Sachen dort hinein räumten.

„Hier.“ Rose hielt ihm ein paar Sachen hin, die zusammengelegt auf einem der Hocker vor der kleinen Bar neben der Anrichte lagen. „Ich hoffe, es passt dir, aber für die paar Minuten, bist du was Richtiges hast, wird’s reichen.“

Ciel nahm den Stoff entgegen. „Ähm. Danke?“
 

Die Sachen anzuziehen war zum Glück leicht. Das langärmelige knopflose Hemd mit der Kapuze brauchte man sich nur über den Kopf zu ziehen und die Hose: ein Knopf und… was war den das? „Au!“, schrie Ciel erschrocken, als er sich den Finger im Reißverschluss eingeklemmt hatte. Nach drei weiteren Versuchen, saß die Jeans einigermaßen da, wo sie sollte und er Trat aus dem Zimmer.

Rose lehnte an der Wand neben einem der Fenster. Sie hatte nun auch diese komischen blauen Hosen an, die hier irgendwie jeder trug.

„Ähm“ Sie kicherte. „Du solltest dich vielleicht noch kämmen. Da ist das Bad.“ Ciel trat durch die Tür, auf die sie gezeigt hatte und viel bei dem Anblick seines Spiegelbildes beinahe in Ohnmacht. Seine Haare standen kreuz und quer vom Kopf ab und bei genauerem Hinsehen entdeckte er einen kleinen Rest des Ahornsirups auf seiner Wange. Na fein, das bekam er auch alleine hin. Er erinnerte sich dunkel daran, dass man ihm einmal bei solchen Dingen zur Hand gegangen war. Wo war der Wasserkrug? Er fand ihn nicht. Schließlich fasste er den Mut, an der Armatur der Badewanne zu hebeln worauf Wasser aus dem Hahn kam. Zufrieden wischte er mit einer nassen Hand über sein Gesicht. Als er die Hand allerdings erneut unter den Strahl hielt, war das Wasser kochend heiß geworden und er verbrühte sich leicht. „Verdammt!“

Ein Klopfen an der Tür. „Ciel? Ist alles in Ordnung?“ Erklang Rose‘ s gedämpfte Stimme.

„J…Ja!“ Mit der unversehrten Hand drückte er den Hebel hinunter und stellte das Wasser ab.

Nun begann die Suche nach einem Kamm.

Seine Frisur einigermaßen in Ordnung gebracht, trat er etwas erschöpft aus dem Bad. Rose wartete am Treppenabsatz, Andrew schon in Schuhen und Lederjacke an der Tür.

Draußen stiegen sie in den Aufzug, und unten an der Straße in den Wagen, in den sie schon gestern Nacht gestiegen waren. Rose beugte sich über ihn und gurtete ihn am Sitz an. Sie selbst setzte sich neben Andrew nach forn.

„Also, wo fahren wir hin?“

„Uff, ähm. Cardinal, oder so?“

„OK, versuchen wir‘s.“ Andrew drehte den Schlüssel neben dem Lenkrad und der Wagen sprang schnurrend an. Viel leiser als die Autos, die er kannte.
 

„Oh! So ein hübscher junger Mann!“, Freute sich die Verkäuferin in einem der Läden die Mode im klassischen Stil für Kinder und Jugendliche anbot. Ciel hatte ihn selbst ausgewählt, da ihm die Ausstellungsstücke in den Schaufenstern dort am meisten zugesagt hatten.

„Aber das ist ja kein Wunder, bei so gutaussehenden Eltern.“

Eltern? Andrew sog scharf die Luft ein, sah in an die Decke und lies sich in einen Der Sessel für wartende Kunden vor den Umkleidekabinen fallen, während Rose so tat, als wäre nichts gewesen. Eltern, sowas!

Geschäftig machte sich die Verkäuferin daran, etwas passendes für Ciel herauszusuchen und schnatterte dabei aufgeregt vor sich hin. „…Und das wäre doch schön in Kombination mit diesen Hosen … und die neuste Mode… Der Trend geht mehr zu *schnatter schnatter schnetter*“

Schließlich kam sie mit einem bunten Klamottenhaufen auf den Arm zurück und schob Ciel in eine Umkleidekabine. Die Dame nahm es mit ihrer Hilfsbereitschaft allerdings etwas zu ernst und wollte ihm beim Umziehen helfen, als Ciel Plötzlich schrie und die Verkäuferin um sich schlagend aus der Kabine scheuchte.

„Du lieber Himmel! So etwas ist mir noch nie passiert.“, meinte sie und hielt sich erschrocken die Hand vor dem Mund. Rose und Andrew waren aufgesprungen. „Er ist etwas empfindlich, was solche Dinge angeht.“ Sagte Andrew mit samtener Stimme zu der Verkäuferin, die darauf natürlich hin und weg war. Andrew wusste sein Aussehen und seine Ausstrahlung auf charmante Art zu nutzen. Rose trat dicht an den Vorhang, hinter dem Ciel bis dahin keinen Mucks mehr gemacht hatte. „Ciel, darf ich reinkommen?“

„Hm hm.“ Kam es bestätigend und sie trat ein um ihn zu beruhigen. Der junge hatte schon genug mitmachen müssen. Anschließend postierte sie sich vor der Kabine half ihm etwas mit dem Anziehen, wenn er hinter dem Vorhang unauffällig hinauslangte und sie an der Bluse zupfte.

Nacheinander präsentierte Ciel die Outfits und gewann langsam etwas wie Freude daran. Vor allem die Gesichter von Andrew und Rose zu sehen, wenn sie die Kleider beurteilten, manchmal waren sie sich einig, manchmal komplett anderer Meinung und stritten sich dann lachend darum, was besser aussähe. In der kurzen Zeit hatte er die Beiden lieb gewonnen. Obwohl ihm Andrew immer noch etwas suspekt war aufgrund seiner Größe, seiner etwas harschen Art und seiner für sein Alter untypischen Haarfarbe, mochte er ihn. Und Rose, er vertraute ihr völlig, aus einem Grund, den er nicht erklären konnte. Vielleicht weil sie in ihm ein Gefühl von Geborgenheit auslöste, das er, so schien ihm, seit langem misste.

„638 Pfund und 72 Pence, bitte.“, gluckste die Verkäuferin fröhlich und nahm eine kleine Karte von Rose entgegen, die sie aus ihrem Portemonnaie zog.

So viel? Sechs Hosen, vier bunte Hemden, zwei verschiedene Jacken, ein paar und einige dieser T-Shirts und Pullis und ein paar Schlabbersachen, wie man sie nannte, waren für ihn herausgesprungen. Die Sachen hatten ihm gefallen und ihm auf Anhieb gepasst.

Rose tippte etwas auf einem der Geräte ein, unterschrieb auf der Rechnung und bekam die Karte wieder. Komische Art, zu zahlen. Aber hier gab es so vieles, das er nicht verstand und nachdem er Andrew und Rose später fragen musste. Vielleicht fanden sie so heraus, wo er herkam.
 

„Hunger?“ Ciel nickte.

Andrew schob die Beiden in ein Café und lud sie ein. Ciel hatte sich einen Erdbeermilchshake und ein Lachs-Bagel herausgesucht. Andrew futterte ein Thunfischsandwich und schlurfte einen Lattemacchiato, was nichts anderes war, als ein bisschen starker Kaffee mit viel Milch, und Rose Trank irgendetwas mit Mocca und Schokolade, was herrlich zu ihm herüberduftete und auch so schmeckte, als sie ihn probieren lies.

„Jetzt fehlen noch Schuhe und Unterwäsche und dann sind wir fertig.“, seufzte sie und schlurfte an ihrem Pappbecher.

Ciel verschluckte sich heftig an seinem Bagel. Unterwäsche?!



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